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Avengers: Endgame (2019) Kritik

Avengers Endgame (2019) Filmkritik

Avengers: Endgame, USA 2019 • 181 Min • Regie: Joe & Anthony Russo • Mit: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Mark Ruffalo, Josh Brolin, Karen Gillan, Paul Rudd, Brie Larson • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 24.04.2019 • Deutsche Website

Handlung

Nach Thanos' (Josh Brolin) vernichtendem Triumph, bei dem mit einem Fingerschnipsen die Hälfte aller Lebewesen im Universum ausgelöscht wurde, sind die übrig gebliebenen Avengers moralisch am Ende und von Schuldgefühlen über ihre erste große Niederlage erfüllt. Insbesondere am körperlich und psychisch angeschlagenen Tony Stark (Robert Downey Jr.) nagt das Gefühl des Versagens. Mit Unterstützung des mächtigen Neuankömmlings Captain Marvel (Brie Larson) unternehmen die dezimierten Avengers einen verzweifelten Versuch, alles wieder in Ordnung zu bringen. Als auch dieser nicht aufgeht, müssen sich die Helden mit der bitteren neuen Lebensrealität arrangieren. Manchen von ihnen gelingt das mit der Zeit besser als anderen, die alles verloren haben. Als jedoch Scott Lang alias Ant-Man (Paul Rudd) mit einer tollkühnen Idee am Avengers-Hauptquartier anklopft, schöpfen Natasha (Scarlett Johansson), Steve (Chris Evans) und Co erstmals wieder Hoffnung, die unbeschreibliche Katastrophe ungeschehen zu machen. Dazu muss jedoch die alte Truppe wieder zusammengetrommelt werden, denn der riskante Plan erfordert alle Mann an Deck. Nicht alle sind jedoch auf Anhieb überzeugt.

Kritik

"Avengers, assemble!"

Wenn dieser Satz in Avengers: Endgame ausgesprochen wird, wird Millionen von Fans der Marvel-Kinohelden weltweit das Herz vor unbändiger Freude springen, denn was darauf folgt, ist mit Sicherheit die epischste Szene des gesamten Marvel Cinematic Universe. So inflationär dieses Adjektiv bei Blockbustern auch benutzt wird, selten war es zutreffender, seit die Avengers in ihrem ersten gemeinsamen Film vor sieben Jahren einen Kreis bildeten.

Es ist nicht abwegig, das Marvel Cinematic Universe (MCU) mit seiner seriell aufeinander aufbauenden Handlung als eine Art ultrateure, im Kino gezeigte Serie, und ihre einzelnen Phasen als Staffeln zu betrachten. Auch wenn das MCU natürlich noch sehr lange fortbestehen wird und die aktuelle dritte Phase erst mit Spider-Man: Far From Home ihr offizielles Ende finden soll, fühlt sich Avengers: Endgame in dieser Analogie als das große Serienfinale an. Einige MCU-Filme sind natürlich besser als andere, doch man kann auch guten Gewissens sagen, dass die Qualität insgesamt auf einem hohen Niveau gehalten wurde und die Erwartungen immer wieder übertroffen wurden. Wie die meisten Serienfans wissen, kann ein enttäuschendes Finale auch bei einer ansonsten guten Serie einen so bitteren Nachgeschmack hinterlassen, dass sich dieser rückblickend auf den Rest der Serie abfärbt. Doch Disney, Marvel und das Regie-Duo Joe und Anthony Russo haben wieder einmal etwas geschafft, das im Vorfeld noch schwieriger erschien, als Thanos' Massenmord ungeschehen zu machen: Sie haben die himmelhohen Erwartungen erfüllt und ein äußerst zufriedenstellendes, kraftvolles Finale einer elfjährigen und 22 Filme starken Filmsaga bewerkstelligt.

Avengers Endgame (2019) Filmbild 1Doch es sind nicht der gebotene und zu erwartende Bombast und Spektakel, sondern die vielen kleinen Charaktermomente und Reminiszenzen, die Endgame zu einem nahezu perfekten Abschluss des bisherigen Marvel-Kinouniversums machen. Infinity War war eine wilde Achterbahnfahrt, die von einer rasanten Actionszene zur nächsten hetzte und dabei kaum Zeit zum Durchatmen ließ. So unterhaltsam er war, der Streifen fühlte sich wie ein zweieinhalbstündiger Showdown an. Trotz seines Titels gehörte die Geschichte von Infinity War nicht den Avengers, sondern Thanos, der sich zu einem der interessantesten MCU-Bösewichte entwickelt hat. Endgame ist hingegen ganz und gar seinen Helden gewidmet und erinnert die Zuschauer daran, weshalb das Marvel-Kinouniversum so beliebt ist. Denn dieses einzigartige ambitionierte Experiment eines gigantischen zusammenhängenden Filmuniversums mit mehr Hollywood-Stars als bei jeder Oscarverleihung ist nicht dank aufregender Action und atemberaubender Effekte aufgegangen, sondern dank der Charaktere, die die Kinogänger liebgewonnen haben. Wäre das MCU dort, wo es jetzt ist, wenn Robert Downey Jr.s Performance als Tony Stark vor elf Jahren nicht auf den Anklang gestoßen wäre, der ihr zuteilwurde? Vermutlich nicht.

Avengers Endgame (2019) Filmbild 2Das ist den Machern von Endgame bewusst. Frei nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" würdigt ihr Film die Reise, die die Zuschauer über mehr als ein Jahrzehnt gemeinsam mit den Helden unternommen haben. Wie bei Avengers: Infinity War, der mit Thanos' Vernichtung des asgardischen Flüchtlingsschiffs begonnen hat, setzt auch die ruhige Eröffnungsszene von Endgame noch vor dem Marvel-Studios-Logo den Ton für die nächsten Stunden. In dieser treffen wir einen Charakter wieder, den viele in Infinity War vermisst haben, und das bedrückende Wiedersehen macht eins klar: Diesmal wird es persönlich.

Infinity War hatte die schwierige Aufgabe, zahlreiche Charaktere des MCU erstmals zusammenzuführen. Dabei war es unausweichlich, dass die meisten von ihnen zu kurz kamen. Indem jener Film jedoch den Großteil der Charaktere am Ende aus dem Spiel nahm, ermöglichte er Avengers: Endgame einen deutlichen Fokus auf die Kerngruppe, mit der alles begonnen hat, und ihre bisherigen Charakterbögen fortzuführen – und zum Teil abzuschließen. Mit anderen Worten: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Scarlett Johansson und Jeremy Renner gehören die besten Szenen des Films. Downey Jr. und Johansson, deren Figuren von ihrer Niederlage traumatisiert und von der Hoffnung auf eine zweite Chance getrieben sind, sind besser denn je und haben einige Szenen, die wirklich ans Herz gehen. Auch Renners Hawkeye macht seine Abwesenheit im Vorgänger mit dem besten Auftritt seiner Figur im MCU wieder wett. Doch den besten Eindruck hinterlässt Hemsworth als Thor, wie wir ihn zuvor noch nie gesehen haben. Wirklich. Ihm hat der Film nicht nur seine lustigsten Szenen zu verdanken, sondern eine der rührendsten. Seine Bromance mit Rocket blüht zudem weiter auf. Letztlich sind es jedoch alle sechs, die ihre Entwicklung als Team und als einzelne Figuren zeigen. Dabei gibt es auch schöne Parallelen zum ersten The-Avengers-Film, wenn die Truppe hier wieder einmal teilweise widerwillig für eine neue Mission zusammenkommen muss.

Avengers Endgame (2019) Filmbild 3Die dreistündige Laufzeit entschleunigt den Film gegenüber seinem Vorgänger, wobei man dies keineswegs mit einem zähen Tempo verwechseln sollte. Der Film hat keine Durchhänger, keine einzige überflüssige Szene. Vielmehr lässt er sich die nötige Zeit, um den neuen Status Quo der Figuren zu etablieren, um sie später auf jeweils eigene Abenteuer zu schicken. Es gelingt, auf vielen Elementen der vorigen Filme aufzubauen. Diverse kleinere Details werden wieder aufgegriffen und plötzlich wichtig, was wieder einmal davon zeugt, wie gut durchdacht Kevin Feiges Plan des Marvel-Universums ist. Es gibt einige zum Teil sehr überraschende Wiedersehen mit Schauspielern, mit denen man nicht mehr gerechnet hat. Erfreulicherweise sind das nicht allesamt Fanservice-Cameos, sondern einige dienen auch dazu, die Charaktere voranzubringen.

Falls Ihr Euch nun fragt, wo bei dieser Analyse nun Thanos und Carol Danvers alias Captain Marvel bleiben, so haben beide zwar wichtige, aber zeitlich gar nicht so umfassende Auftritte im Film, wie man es vielleicht erwarten würde. Larson (mit stylischer neuer Frisur!) darf als Carol ihre enormen Kräfte unter Beweis stellen, die sie inzwischen sehr gut beherrscht. Ihre unausweichliche Konfrontation mit Thanos ist nicht lang, aber genau so cool, wie man es erwarten würde. Thanos selbst bleibt weiterhin ein respekteinflößender Gegner, doch seine besten Momente hatte er im letzten Film.

Avengers Endgame (2019) Filmbild 4Im Vorfeld gab es natürlich zahllose Theorien darüber, wie sich die Handlung von Avengers: Endgame abspielen würde. Auch wenn einige der beliebten Vermutungen nicht ganz daneben waren, hat der Film immer noch viele unvorhersehbare Elemente und Wendungen. Ergibt alles davon Sinn? Nicht wirklich, aber das wird höchstens bei den pingeligsten Zuschauern ins Gewicht fallen. Avengers: Endgame ist komplex, manchmal nicht ganz kohärent, sieht sich aber nicht als Puzzle zum Auseinanderpflücken, sondern als eine emotionale, wehmütige und vom Geist echter Kameradschaft und Freundschaft geprägte Reise mit Figuren, mit denen inzwischen eine ganze Generation von Filmfans aufgewachsen ist. In dieser Hinsicht ist der Film ein Triumph.

Fazit

Die Einsätze sind höher denn je, doch Avengers: Endgame ist trotzdem ein ruhigerer Film als sein von einem Actionhöhepunkt zum nächsten hetzender Vorgänger Infinity War. In einer perfekten Balance zwischen schenkelklopfendem Humor, mitreißendem Spektakel, großen Emotionen und sanftem Wehmut, die sogar Thanos stolz machen würde, gelingt Endgame ein sehr befriedigender und zum Teil unvorhersehbarer Abschluss des bisherigen Marvel-Filmuniversums. Dabei besinnt sich der Film darauf, was das Franchise überhaupt erst erfolgreich gemacht hat: seine Charaktere und ihre Entwicklung, die konsequent fortgeführt wird. Dass die Handlung bei näherer Betrachtung einige Logiklöcher aufweist, fällt dabei wenig ins Gewicht.

Trailer

Box-Office USA: Shazam! startet fabelhaft, Friedhof der Kuscheltiere solide, Dumbo bricht ein

Shazam Box Office

Links: Shazam! © 2019 Warner Bros. Pictures
Rechts: Friedhof der Kuscheltiere © 2019 Paramount Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Zwei Neustarts deckten am Wochenende viele Zielgruppen in Nordamerika ab und sorgten dafür, dass die meisten älteren Filme zum Teil deutlich nachgaben. Nichtsdestotrotz verhalfen sie dem Box-Office zum Aufschwung. Insgesamt erwirtschafteten die Top-12-Filme der nordamerikanischen Kinocharts $141,5 Mio, 8% mehr als in der Vorwoche. Gegenüber dem vorigen Jahr, als A Quiet Place mit einem überwältigen Start die Spitze erklommen hat, ging es um knapp 4% runter.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten, läuft wirklich zusehends besser für das DC-Kinouniversum, sowohl in der Kritik als auch unter den Kinogängern und an den Kinokassen. Nachdem Megaerfolg von Aquaman ($335,1 Mio) im Winter kam jetzt auch die neue Comicverfilmung aus dem Hause Warner ordentlich aus den Startlöchern mit guten Aussichten auf eine lange Laufzeit. Shazam! eroberte mit $53,5 Mio von 4217 Kinos die Chartspitze und lag dabei leicht über den Industrieerwartungen. Der Film erzielte einen Schnitt von $12675 pro Spielstätte. Einschließlich der im März stattgefundenen Previews kann Shazam! bereits $56,8 Mio vorweisen.

Natürlich könnte man auch böse behaupten, dass das Startwochenende von Shazam! das niedrigste von allen DC-Verfilmungen aus Warners post-Nolan-Ära ist. Doch man muss den Erfolg des Films relativ betrachten. Zunächst einmal trägt Shazam! das mit Abstand niedrigste Budget von allen DCEU-Filmen. Ohne Marketingkosten beträgt es lediglich $100 Mio, gleichauf mit dem letztjährigen Hit Venom. Bislang war der kostengünstigste moderne DC-Film Wonder Woman mit $149 Mio. Hinzu kommt auch, dass der Titelheld von Shazam! zwar auf eine sehr lange Geschichte in den Comics zurückblicken kann, im Mainstream aber weniger Bekanntheit genießt als Justice-League-Mitglieder wie Superman, Batman, Wonder Woman oder Aquaman. Der Film wurde außerdem mehr wie eine Familienkomödie mit einem Superhelden und weniger als der neue Megablockbuster vermarktet. Unter diesen Gesichtspunkten ist ein Start oberhalb von $50 Mio sehr ansehnlich. Darüber hinaus hat Shazam! am Wochenende mehr als $100 Mio außerhalb von USA und Kanada eingenommen.

Was bei Shazam! aber besonders wichtig ist, ist die sehr positive Mundpropaganda. Die Zuschauer am Startwochenende vergaben dem Film im Schnitt einen CinemaScore von "A" (äquivalent einer "1"). Der einzige DC-Film der letzten Jahre, der eine vergleichbar gute Wertung hatte, war Wonder Woman. Alle anderen haben schlechter abgeschnitten. Das spricht für sehr positive Mundpropaganda und gutes Durchhaltevermögen in den kommenden Wochen. Das größte Problem des Films ist natürlich der Start des übermächtigen direkten Konkurrenten Avengers: Endgame Ende des Monats. Bis dahin hat Shazam! allerdings freie Bahn. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Endgame und Shazam! gut co-existieren könnten, da Shazam! ein eher jüngeres Publikum anspricht. Etwa 25% seiner Zuschauer am Startwochenende waren unter 18. Insgesamt ist hier mit $170-180 Mio in den USA und in Kanada zu rechnen, aber auch einen Sprung über die $200-Mio-Marke würde ich nicht ausschließen.

Platz 2 der Charts ging am Wochenende an das Horror-Remake Friedhof der Kuscheltiere mit $25 Mio von 3585 Kinos (im Schnitt $6974 pro Kino). Es ist ein absolut solider Start für den Film – weder enttäuschend, noch sonderlich bemerkenswert. Rein nominal ist es der zweitbeste Start einer Stephen-King-Verfilmung nach Es. Inflationsbereinigt liegt er allerdings auch hinter den Starts von The Green Mile, Zimmer 1408, Das geheime Fenster und dem Original von Friedhof der Kuscheltiere.

Der Film hat sicherlich daran gelitten, dass nur zwei Wochen zuvor der Horror-Riesenhit Wir angelaufen ist und ihm jeglichen Hype gestohlen hat. Bei den Zuschauern kam der neue Friedhof der Kuscheltiere nur mäßig an. Sie vergaben einen CinemaScore von "C+", äquivalent einer "3+". Das ist identisch zu den CinemaScores der Horror-Remakes Poltergeist und Evil Dead, die beide auch ähnlich gestartet sind. Mit Lloronas Fluch nur zwei Wochen entfernt, wird Friedhof der Kuscheltiere recht schnell aus den Charts verschwinden und insgesamt $55-65 Mio einspielen. Der Originalfilm nahm vor fast genau 30 Jahren $57,5 Mio ein. Inflationsbereinigt beläuft sich dessen Einspiel jedoch auf etwa $130 Mio.

Tim Burtons Dumbo hat am zweiten Wochenende einerseits unter der generellen Frontlastigkeit von Burtons Filmen und andererseits unter der direkten Familienkonkurrenz von Shazam! gelitten. Die Realverfilmung des Disney-Klassikers brach um heftige 60,4% ein und erwirtschaftete weitere $18,2 Mio. Nach zehn Tagen steht der Film bei $76,3 Mio in den USA, was aus Disneys Sicht und angesichts des enormen $170-Mio-Budgets zwangsläufig enttäuschend sein muss. Tim Burtons Alice im Wunderland hat alleine an seinem Startwochenende vor neun Jahren deutlich mehr eingespielt ($116,1 Mio). Kein anderer Tim-Burton-Film ist an seinem zweiten Wochenende so stark gegenüber dem Startwochenende abgerutscht. In den nächsten Wochen wird sich Dumbo zwar angesichts eines Mangels an nennenswerter direkter Konkurrenz erholen, mehr als $110-115 Mio wird er in Nordamerika aber auch nicht erreichen. Für Disney ist es die erste große Enttäuschung unter den Realverfilmungen ihrer Zeichentrickfilme.

Jordan Peeles Horrorschocker Wir fiel an seinem dritten Wochenende um 58,4% auf $13,8 Mio und belegte Platz 4 der Wochenendcharts. Da der Streifen mit direkter Konkurrenz seitens Friedhof der Kuscheltiere konfrontiert wurde, ist der Drop nicht überraschend. Nach 17 Tagen in den Kinos konnte Wir phänomenale $152,4 Mio einsammeln (bei einem Produktionsbudget von mageren $20 Mio). Aktuell ist Wir weniger als $24 Mio vom Gesamteinspiel von Peeles Regiedebüt Get Out entfernt und wird jenen Film voraussichtlich noch vor Monatsende toppen. Lloronas Fluch wird Wir zwar auch noch zusetzen, dennoch sollte der Film großartige $180-185 Mio einnehmen, bevor er die Kinos verlässt.

Auf Seite 2 findet Ihr heraus, wie weit Captain Marvel inzwischen gekommen ist und wie es um Drachenzähmen leicht gemacht 3 steht.

Friedhof der Kuscheltiere (2019) Kritik

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Friedhof der Kuscheltiere 2019 Filmkritik

Pet Sematary, USA 2019 • 101 Min • Regie: Kevin Kölsch, Dennis Widmyer • Drehbuch: Jeff Buhler • Mit: Jason Clarke, Amy Seimetz, John Lithgow, Jeté Laurence, Alyssa Brooke Levine, Obssa Ahmed • Kamera: Laurie Rose • Musik: Christopher Young • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 04.04.2019 • Deutsche Website

Man sollte vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht. Im Gegensatz zu W. W. Jacobs' berühmter Kurzerzählung "Die Affenpfote" gibt es in Stephen Kings Bestseller "Friedhof der Kuscheltiere" keine Möglichkeit, das selbst heraufbeschworene Grauen noch in letzter Sekunde ungeschehen zu machen. Der Roman wurde bereits 1989 erfolgreich von Regisseurin Mary Lambert für die Leinwand aufbereitet und erhält nun von dem Newcomer-Duo Kevin Kölsch und Dennis Widmyer ("Starry Eyes") eine Neuinterpretation. Auch in ihrem "Friedhof der Kuscheltiere" steht freilich eine junge Familie buchstäblich zwischen zwei Ruhestätten – der der Akzeptanz und der der Ignoranz. Während der Verlauf zunächst weitgehend dem der Vorlage und des Vorgänger-Drehbuchs von King höchstselbst entspricht, nimmt diese Version jedoch an einer prominenten Stelle eine Wendung mit haarsträubenden Konsequenzen. Neben einer knackigen und atmosphärisch dichten Inszenierung mit engagierten Darsteller-Performances, birgt der Film leider ebenso einige dramaturgische Schwächen und tonale Unebenheiten.

Friedhof der Kuscheltiere 2019 Filmbild 1

Zu Beginn gleitet die Kamera über die üppigen Wälder der Kleinstadt Ludlow und zeigt zunächst ein Haus in Flammen, bevor das Bild bei einem scheußlichen Schauplatz direkt gegenüber Halt macht: Ein Auto mit blutigem Handabdruck an der geöffneten Tür. Dazu eine Blutspur, die von einem Hauseingang in den anliegenden Wald führt. Wie es zu dieser Szene gekommen ist, erfahren wir erst am Ende der Geschichte. Nachdem wir miterlebt haben, wie der Bostoner Arzt Louis Creed (Jason Clarke) mit seiner Frau Rachel (Amy Seimetz) und den beiden Kindern Ellie (Jeté Laurence) und Gage (Hugo und Lucas Lavoie) hinaus in die abgelegene Idylle gezogen ist, um ein ruhigeres Leben mit Anstellung am örtlichen College zu beginnen. Direkt am ersten Tag wird Ellie Zeugin einer mysteriösen Prozession, bei der Kinder in Tiermasken einen toten Hund eine Lichtung entlang transportieren. Wie sie schließlich von dem alteingesessenen Nachbarn Jud Crandall (John Lithgow) erfährt, gehört zu dem riesigen Grundstück auch ein Tierfriedhof, in welchem die Anwohner ihre kuscheligen Freunde zur letzten Ruhe betten. Aufgewühlt von dem Anblick und der Konfrontation mit dem Thema Tod, lässt sie sich von ihrem Vater beruhigen: Der Tod sei etwas natürliches, vor dem man sich nicht fürchten müsse. Doch schon kurz darauf soll sich der Sensenmann seinen Weg auch in das Zentrum der Familie bahnen. Das schockierende Ableben des Studenten Victor Pascow (Obssa Ahmed) und der anschließende Tod von Ellies geliebtem Kater Church sind die ersten Vorboten einer Tragödie, die durch die Leichtsinnigkeit des alten Jud in Gang gesetzt wird. Entgegen seines Wissens, dass der Tod manchmal besser ist, führt er Louis mit dem Tierkadaver zu einem geheimen Ort jenseits der Barriere des Tierfriedhofs, dessen Macht die Trauer des Mädchens noch einmal abwenden soll …

Friedhof der Kuscheltiere 2019 Filmbild 2

Einen Teil ihres Reizes hat diese Neuverfilmung leider bereits im Vorfeld aufgrund eines unglücklich zusammengestellten Trailers eingebüßt, der einige prägnante Änderungen unnötigerweise vorweggenommen und den Überraschungseffekt in der zweiten Hälfte reduziert hat. Wer also das Glück hatte, die Werbekampagne weitgehend verpasst zu haben, ist als Zuschauer hier im Vorteil. Schließlich funktioniert der Schocker genau dann am besten, wenn er recht unerwartet in ein anderes Subgenre schaltet und mit der zynisch-bösen Pointe eines EC Comics endet. Anders als beim Film von Lambert konfrontieren Kölsch und Widmyer ihr Publikum direkt mit dem Schrecken, um dann unter einem Mantel aus dunklen Prophezeiungen, verstörenden Visionen und rabenschwarzem Humor noch einmal zu demonstrieren, wie es zu dem Unheil gekommen ist.

Leider ist es der Auftakt, der mit seinem etwas zu zügigen Verbinden der Stationen wie eine Plotmaschine wirkt und den emotionalen Kern oftmals überrumpelt. So sind es vor allem die kleinen Momente, die in dieser Phase herausragen: Beispielsweise in einer Szene nach dem Unfalltod Victor Pascows, in der Louis in seinem Wagen vor einer roten Ampel wartet, während ihm der Vorfall noch sichtlich in den Knochen steckt. Unbedacht fährt er plötzlich los und wird dabei beinahe von einem Lastwagen auf der Kreuzung erfasst. Hier tritt das Regie-Duo nicht nur angenehm auf die Bremse, um dem Innenleben des Protagonisten Luft zu verschaffen, sondern findet gleichzeitig ein markantes Bild für die Folgen des Überschreitens einer verbotenen Grenze.

Friedhof der Kuscheltiere 2019 Filmbild 3

Mit ihrem Indie-Debüt "Starry Eyes" haben Kevin Kölsch und Dennis Widmyer bereits ein Händchen für stimmungsvolles Horrorkino mit morbider Note bewiesen. In diesem Punkt enttäuschen sie auch bei ihrer ersten Studioproduktion keinesfalls und haben mit Laurie Rose ("Operation: Overlord") einen Kameramann ausgewählt, der mit Bravour die trügerische Idylle vor und das unheimliche Schattenreich hinter der Barriere stilistisch separiert, bis beide Welten schließlich gnadenlos zusammenprallen. Auch der im Genre verdiente Komponist Christopher Young ("Hellraiser") steuert mit seinen sublim einwirkenden Klängen nachhaltig zum Gänsehauteffekt bei.

Im Zentrum des Geschehens stehen aber selbstverständlich die Figuren. Obwohl Jason Clarke ("Zero Dark Thirty") als fürsorglicher Familienvater, der im Verlauf zunehmend in den Wahnsinn gleitet, und John Lithgow ("Interstellar") als dessen freundlicher aber verschwiegener Nachbar am häufigsten im Bild zu sehen sind und auch ordentliche Performances an den Tag legen, brennen sich die weiblichen Stars Amy Seimetz ("Stranger Things") und die beeindruckende Neuentdeckung Jeté Laurence am meisten im Gedächtnis ein. Seimetz' Rachel ist seit ihrer Kindheit vom Tod ihrer Schwester Zelda (weniger grotesk als ihr männlicher Kollege in der ersten Adaption: Alyssa Brooke Levine) traumatisiert und baut jedes Mal einen instabilen Schutzwall auf, wenn das Thema der Sterblichkeit aufkeimt. Als schließlich eine bösartige Macht von einem geliebten Verstorbenen Besitz ergreift, wird ihre schlimmste Angst mörderische Realität. Als junge Ellie muss Jeté Laurence einen deutlich schwierigeren Sprung als ihre Rollen-Vorgängerin wagen, da ihr Charakter am deutlichsten von den zuvor besprochenen Abänderungen betroffen ist. Und ohne hier zu viel zu verraten: Sie ist der heimliche Star des Films. Wobei man auch Kater Church zumindest am Ende erwähnen muss – dessen tierischer Darsteller hat den wohl besten "Das-kriegst-du-zurück"-Blick aller Zeiten drauf!

Friedhof der Kuscheltiere 2019 Filmbild 4

Für Mainstream-Horrorverhältnisse ist "Friedhof der Kuscheltiere" sicher ein respektabler Schritt in die richtige Richtung, weg vom CGI-Overkill und hin zu einer fast schon klassischen Gruselatmosphäre mit behutsam dosierten Gewaltspitzen. Das Drehbuch von Jeff Buhler muss dabei allerdings als zweischneidiges Schwert vermerkt werden. Der Autor war sowohl an der sehr gelungenen Clive-Barker-Verfilmung "Midnight Meat Train", als auch an dem eher drögen Killerkind-Beitrag "The Prodigy" beteiligt – und "Friedhof der Kuscheltiere" sitzt strukturell mit einem generischen Auftakt und wahnwitzigen Finale irgendwo zwischen diesen Werken. Besser als Lamberts Version ist die Neuauflage nicht, da hier einfach alles etwas zu schnell abgehandelt wird (man erfährt beispielsweise nur rudimentär von vergangenen Ereignissen, dafür wird allerdings kurz auf die Mythologie hinter der Begräbnisstätte eingegangen) und das Grauen eher in die Eingeweide zielt, als sich tief in die Psyche zu fressen. Neulinge des Stoffes kommen am Ende definitiv auf ihre Kosten, während bei Kennern die Toleranz der zwar gelungenen aber auch wilden Modifikationen Voraussetzung ist. Nicht so modrig-morbide wie der Erstversuch, ist dies ein solider und unerwartet schwarzhumoriger Beitrag zur aktuellen Stephen-King-Renaissance.


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Wir (2019) Kritik

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Wir (2019) Filmkritik

Us, USA 2019 • 116 Min • Regie & Drehbuch: Jordan Peele • Mit: Lupita Nyong’o, Winston Duke, Shahadi Wright Joseph, Evan Alex, Elisabeth Moss, Tim Heidecker, Yahya Abdul-Mateen II, Anna Diop • Kamera: Mike Gioulakis • Musik: Michael Abels • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 21.03.2019 • Deutsche Website

Es lohnt sich, Jordan Peeles („Get Out“) neue Regiearbeit „Wir“ direkt von Beginn mit zwei wachen Augen zu verfolgen. Nach einem kryptischen Text über mysteriöse Tunnel unterhalb der USA, führt uns der Oscarpreisträger mit Comedy-Wurzeln in das Wohnzimmer der jungen Adelaide. Es ist das Jahr 1986 und im Regal stapeln sich VHS-Kassetten (u.a. „C.H.U.D.“) während im TV ein „Hands Across America“-Spot übertragen wird. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass hier in derselben Bildeinstellung ein B-Kultfilm über blutrünstige Kreaturen, die in den Abwasserkanälen hausen, und ein populäres Benefiz-Event referiert werden. Aus diesen und anderen pop- wie soziokulturellen Elementen fügt sich in „Wir“ nach und nach ein groteskes Porträt des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten zusammen, in dem das Versprechen von Freiheit und Gleichheit ausdrücklich nicht für alle gilt. Peele macht klar: Er liebt das Horrorgenre aus vollstem Fan-Herzen, möchte aber auch mit seiner neuen Geschichte zugleich entsetzen und einen Blick hinter die saubere Fassade der amerikanischen Gesellschaft werfen.

Wir (2019) 1

Ein Ausflug an den Strand von Santa Cruz ist es, der dem Mädchen Adelaide zusetzt und ihr noch Jahrzehnte später als erwachsene Frau (Lupita Nyong’o) nachhängt. Was sich im dortigen Spiegellabyrinth wirklich zugetragen hat, ist weder ihrem arglosen Ehemann Gabe (Winston Duke) noch ihren beiden Kindern Zora (Shahadi Wright Joseph) und Jason (Evan Alex) bekannt. Adelaide lebt in ständiger Unruhe und scheint vor irgendetwas auf der Flucht zu sein. Als sich Gabe mit einem Kurzurlaub in Santa Cruz durchsetzt, soll es nicht lange dauern, bis sich die schlimmsten Albträume seiner Frau in Fleisch und Blut manifestieren. Erst sind es kleine Ereignisse, die in Adelaide die unangenehmen Erinnerungen aufkeimen lassen. Doch dann stehen nachts auf einmal vier Gestalten in knallroten Overalls in der dunklen Einfahrt. Eine Familie. Die Situation eskaliert, und plötzlich sitzen die Urlauber ihren verzerrten Doppelgängern gegenüber – ein gnadenloser Kampf um Leben und Tod entbrennt …

Wir (2019) 2

Einen guten Horrorfilm zu inszenieren, ist eine Kunst. Einen guten Horrorfilm zu inszenieren, der auch noch die breite Zuschauermasse mitnimmt, ist eine Rarität. Und einen guten Horrorfilm mit kommerziellem Anspruch und gleichzeitig smartem Unterbau zu inszenieren, ist ein Spagat. Mit seiner erst zweiten Regiearbeit kristallisiert sich „Key & Peele“-Star Jordan Peele bereits als neuer Meister des grausigen Genres heraus, dem besagter Spagat mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit gelingt. Wie bei „Alice im Wunderland“ führt er das Publikum immer tiefer in seinen ganz eigenen Kaninchenbau, in dem etwas Furchterregendes bereits lange gärt und nun den verbitterten Aufschrei wagt. Prophetisch heißt es in dem im Verlauf oft zitierten Bibelvers Jeremia 11:11: „Darum siehe, spricht der Herr, ich will ein Unglück über sie gehen lassen, dem sie nicht sollen entgehen mögen; und wenn sie zu mir schreien, will ich sie nicht hören.“ Ganz wie bei „Get Out“ liegt dem Regisseur und Drehbuchautor allerdings nichts ferner, als sein Thema von der hohen Kanzel und mit erhobenem Zeigefinger auf die Zuschauer herab zu predigen. Noch mehr als bei seinem Vorgänger wagt sich Peele an den Genre-Baukasten und setzt altbekannte Versatzstücke und Klischees (u.a. aus „Der weisse Hai“, „Funny Games“, „Die Körperfresser kommen“ und vielen anderen) geschickt ein, um sowohl den Klassikern zu huldigen als auch zu täuschen und überraschen. Hier könnte er bald Quentin Tarantino seinen Rang als Regie-Rockstar ablaufen, der ebenfalls manisch aus vergangenen B- bis C-Filmen samplet und daraus interessante Geschichten für ein modernes Publikum zu basteln versteht.

Wir (2019) 3

Was „Wir“ auf inszenatorischer Ebene zu einem viszeral noch packenderen Triumphzug als den bereits erstklassigen „Get Out“ werden lässt, ist sein Wagnis, den verschachtelten Inhalt in einem geradezu atemlosen Tempo vorzutragen. Peele sitzt fest in seinem Sattel und jongliert während des wilden Rodeos noch mit Spaß und Schrecken, ohne einen der Bälle jemals aus den Händen zu verlieren. Dazu gehört auch, dass er die richtigen Leute mit auf die Reise genommen hat: Komponist Michael Abels ist erneut mit an Bord und sorgt mit einem Gänsehaut erzeugenden Score dafür, dass eine mit einem Augenzwinkern begonnene Szene urplötzlich in schieren Terror umschlägt. Und mit Lupita Nyong’o („12 Years a Slave“) könnte eine frische Horror-Queen auf dem Weg sein, die nicht durch hysterisches Kreischen, sondern eine komplizierte Doppelrolle im Gedächtnis haften bleibt, welche ihr hoffentlich eine erneute Teilnahme bei der nächsten Oscar-Zeremonie sichern wird. Die erste Konfrontation ihrer beiden Figuren lässt das Blut in den Adern gefrieren und stellt den absoluten Höhepunkt in einem tadellosen Filmerlebnis dar. Im krassen Gegensatz steht der von Winston Duke („Black Panther“) verkörperte Gabe, der als ständig um lockere Sprüche bemühtes Familienoberhaupt letztlich von seiner toughen und vorausdenkenden Frau in seine Schranken verwiesen wird. In den Nebenrollen glänzen außerdem Elisabeth Moss („The Handmaid’s Tale“) und Comedian Tim Heidecker als Köpfe einer Snob-Familie, deren dekadent-überhebliches Verhalten sich wie ein Negativ zu ihren zurückhaltenden Freunden darstellt. Es sind unüberlegte Kommentare und kleine Sticheleien, die die empfindliche Diskrepanz zwischen Mittelschicht und gehobener Mittelschicht verdeutlichen und einem wesentlich ernsteren Klassenkampf wie ein Omen vorauseilen.

Wir (2019) 4

„Wir“ geht als blutig-anarchisches Adrenalinkino durch, hinter dem jedoch deutlich mehr steckt, als ein oberflächlicher Blick hergeben könnte. Es ist ein Film, über dessen Feinheiten man noch lange nach dem Anschauen nachdenken wird und der Anlass für Diskussionen bietet (ähnlich wie der von Peele als eine Referenz genannte „Martyrs“). Was als geheimnisvolle Home Invasion beginnt, weitet sich rasch auf ein ungeahntes Spektrum aus, das überspitzt zu ganz aktuellen Gesellschaftsthemen führt. Mit Newcomern wie Jordan Peele, Robert Eggers („The Witch“, bald „The Lighthouse“) und Ari Aster („Hereditary – Das Vermächtnis“, bald „Midsommar“) ist ein neues Goldenes Zeitalter des intelligenten Horrorfilms angebrochen und diese unverbrauchten Talente haben das Zeug, Legenden wie Carpenter, Craven, Romero und Hooper in Zukunft zu beerben.


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Captain Marvel (2019) Kritik

Captain Marvel (2019) Filmkritik

Captain Marvel, USA 2019 • 124 Min • Regie: Ryan Fleck & Anna Boden • Mit: Brie Larson, Jude Law, Samuel L. Jackson, Ben Mendelsohn, Annette Bening, Gemma Chan, Djimon Hounsou, Lee Pace • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 7.03.2019 • Deutsche Website

Handlung

Carol Danvers (Brie Larson) ist eine furchtlose Air-Force-Pilotin, die 1989 nach einem mysteriösen Unfall von den Kree, einer technologisch weit fortgeschrittenen, kriegerischen Alien-Rasse, gerettet wird. Die Rettung verleiht ihr unglaubliche Kräfte, die sie nur jedoch nur schwer kontrollieren kann. Fortan heißt sie Vers und wird zum Mitglied der Kree-Eliteeinheit Starforce, angeführt von ihrem Mentor Yon-Rogg (Jude Law). Jegliche Erinnerungen an ihr früheres Leben, einschließlich ihres echten Namens, hat sie verloren, und wird von diesen nur in Albträumen heimgesucht. Gemeinsam mit der Starforce kämpft sie gegen die Skrulls, eine Rasse von Gestaltwandlern und Krees Erzfeinde. Nachdem ein Einsatz gegen die Skrulls schief läuft, gerät Vers in deren Gefangenschaft. Skrulls' Anführer Talos (Ben Mendelsohn) interessiert sich besonders für ihre verlorenen Erinnerungen, die er zu extrahieren versucht. Vers kann knapp entkommen und landet eher unsanft auf der Erde im Jahr 1995. Der unerfahrene S.H.I.E.L.D.-Agent Nick Fury (Samuel L. Jackson) wird zur Stelle ihrer Bruchlandung gerufen und staunt nicht schlecht, als Vers behauptet, eine außerirdische Kriegerin zu sein. Für Erklärungen bleibt nicht viel Zeit, denn die Skrulls sind dicht an ihren Fersen und können dank ihren Fähigkeiten überall sein. Währenddessen intensivieren sich Vers' Erinnerungs-Flashbacks und ihr wird klar, dass sie nicht zum ersten Mal auf diesem Planeten ist. Mit Fury im Schlepptau, macht sie sich auf die Suche nach ihrer Herkunft auf und kommt dabei zu überraschenden Erkenntnissen.

Kritik

In diversen Belangen mögen die Filme des Marvel Cinematic Universe ihren bisherigen DC-Konkurrenten von Warner voraus sein, doch in einem Punkt mussten sie sich geschlagen geben. Mit Wonder Woman rückte Warner erstmals in einem Superhelden-Blockbuster der Moderne eine weibliche Hauptfigur in den Mittelpunkt und landete damit einen Volltreffer, der Zuschauer und Kinogänger gleichermaßen begeisterte. Jetzt wird mit Captain Marvel diese Lücke auch seitens Disneys geschlossen, und mit Brie Larson als Titelfigur ist eine neue beeindruckende Kinoheldin geboren.

Wohl wissend, dass es nicht immer weise ist, DC- und Marvel-Filme zu vergleichen, kommt man aufgrund der bisherigen Alleinstellung der Filme dennoch nur schwer umhin. Wie Wonder Woman ist auch Captain Marvel nicht makellos, jedoch sind die Probleme der Filme ganz unterschiedlich verteilt. Ist es bei Wonder Woman der enttäuschende Showdown im dritten Akt, der einen schlechten Nachgeschmack bei einem ansonsten durchweg gelungenen Film hinterlässt, blüht Captain Marvel in seinem Finale erst so richtig auf, hat aber mit einigen Tempo- und Logikschwierigkeiten auf dem Weg dorthin zu kämpfen. In beiden Filmen ist es jedoch die starke Heldin bzw. ihre Darstellerin, die über etwaige Mängel hinwegsehen lässt. Obwohl große Teile von Captain Marvel wie eine klassische Buddy-Actionkomödie mit Brie Larson und Samuel L. Jackson aufgebaut sind, bestehen nie Zweifel daran, dass die Oscarpreisträgerin der Star des Films ist. Gewitzt, frech, fesch und um einen gelegentlichen coolen Spruch nicht verlegen, ist Carol eine Heldin, mit der man sehr gerne mitfiebert. Wenn sie dann das volle Potenzial ihrer Kräfte freisetzt und sich dabei sichtlich wohl fühlt, ist das ein Moment, der zum Mitjubeln einlädt, nicht unähnlich der großartigen Szene im Niemandsland aus Wonder Woman.

Captain Marvel (2019) Filmbild 1Natürlich darf die Frauenpower-Botschaft in Captain Marvel auch nicht fehlen. Diese ist etwas expliziter und vielleicht ungeschickter eingebunden als sie es idealerweise hätte sein können, doch sie hat durchaus nicht Unrecht und das Herz am rechten Fleck. Letztlich ist der Film ist weit entfernt von dem Feminismus-Propagandawerk, als welches einige Internet-Trolle ihn (ungesehen) darzustellen versuchen.

Subtilität und Raffinesse sind sowieso nicht die Stärken des Films, was man bei einem $150 Mio teuren, effektreichen Blockbuster über eine intergalaktische Heldin, die mit Lichtgeschwindigkeit fliegen und konzentrierte Energiestrahlen aus ihren Fäusten schießen kann, nicht zwingend erwarten sollte. Das wird spätestens dann klar, als der Film uns nach Carols Landung auf der Erde mit unzähligen Neunziger-Referenzen überschüttet, damit es auch wirklich bei den Zuschauern mit der längsten Leitung ankommt, wann der Film spielt. Wenn Carol durchs Dach einer Videothek der heutzutage nahezu ausgestorbenen "Blockbuster"-Kette crasht und dann prompt einem True-Lies-Standee Arnies Kopf wegschießt, ist ein sehr netter, cleverer Touch, um den Handlungsrahmen zu verankern. Radio Shack, Altavista, schneckenlangsame Modems und Carol in einem Grunge-Outfit folgen, und das anfangs hohe Amüsement-Level nimmt mit jedem Verweis ab. Ja, wir haben es verstanden, es sind die Neunziger.

Sehr positiv ist dafür der Soundtrack hervorzuheben, der die Musik aus der Epoche perfekt einsetzt. Wie in Black Panther und den beiden Guardians-of-the-Galaxy-Filmen, bestimmt auch Captain Marvels Soundtrack, u. a. mit Songs von Nirvana und No Doubt, maßgeblich den Ton des Films.

Captain Marvel (2019) Filmbild 2Einer der größten Hinweise darauf, dass der Film vor den meisten anderen MCU-Beiträgen angesiedelt ist, ist natürlich Samuel L. Jacksons Auftritt als jüngerer und noch zweiäugiger Nick Fury. Jackson hat sichtlich Spaß daran, die Rolle des späteren S.H.I.E.L.D.-Leiters mal ganz anders zu spielen. Das ist noch nicht der obercoole, abgebrühte Nick Fury, den wir kennen. Hier ist er entspannter, begeisterungsfähiger und voller Staunen über die neue Welt, die sich ihm durch Carol offenbart und ihn zuweilen auch überfordert. Zwischen Jackson und Larson entwickelt sich lässig-ungezwungene Chemie, aus der sich etliche humorvolle Szenen ergeben. Wir erfahren auch, wie Fury sein Auge verloren hat, und die (nicht vorlagenkonforme) Antwort darauf werden vermutlich nur die wenigsten erahnen. Außerordentlich gelungen ist digitale Verjüngung um 25 Jahre. Zwar zeigten sich die Fortschritte in dieser Technik bereits in Marvels Ant-Man an Michael Douglas und Guardians oft he Galaxy Vol. 2 an Kurt Russell, doch Captain Marvel besteht die große Feuerprobe, indem der Film Jackson über den gesamte Laufzeit hinweg jünger aussehen lässt, ohne dass es seinem Schauspiel im Weg steht.

Captain Marvel (2019) Filmbild 3Leider ist die entsprechende Verjüngung bei Clark Gregg als Phil Coulson weniger gelungen, der sich irgendwo zwischen Uncanny Valley und einer Botox-Überdosis bewegt. Auch sonst sind die Computereffekte bei Captain Marvel trotz einiger wirklich spektakulärer Bilder im Weltraum nicht ganz auf dem höchsten Niveau vieler anderer Marvel-Filme. Green-Screen-Aufnahmen machen sich gelegentlich bemerkbar. Das ist selbstverständlich Meckern auf hohem Niveau, doch die photorealistischen CGI-Effekte der letzten Jahre bestimmen eben die Erwartungshaltung.

Marvel-Studios-Chef Kevin Feige und die Drehbuchautorinnen des Films haben im Vorfeld betont, dass Captain Marvel keine Origin-Geschichte der Superheldin ist, weil sie schon von Anfang an über ihre Kräfte verfügt. Das stimmt zwar, ist aber auch irreführend, denn im Grunde ist der Streifen die klassische Geschichte der Selbstfindung, in der die Heldin erst ihr altes Ich wiederfinden muss, bevor sie dann die Kraft in sich findet, zur echten Superheldin zu werden. Insofern ist es immer noch ein waschechter Origin-Film, jedoch etwas anders strukturiert und erzählt, als man es sonst gewohnt ist. Larsons authentische, mitreißende Performance sorgt dafür, dass man als Zuschauer jeden Schritt mit ihr mitgeht und mitjubelt, wenn sie allen Widrigkeiten trotzt, die sich ihr in den Weg stellen.

Captain Marvel (2019) Filmbild 4In seiner ersten Hälfte hat der Film einige Tempo-Durchhänger und die Charaktereinführung lässt etwas zu wünschen übrig. Obwohl Carol bereits Jahre unter den Kree verbracht hat, fehlt ein das Gespür dafür, wo ihr Platz in dieser Welt ist und wie sie sich darin integriert hat. Dieser Teil wird zu schnell abgehandelt, bevor sie auf die Erde kommt. Dann steigert sich der Film jedoch stetig, serviert mehrere mal mehr, mal weniger vorhersehbare Wendungen, und verdient sich dank seines sorgfältigen Aufbaus auch seinen fesselnden, actionreichen Höhepunkt im Finale. Das Regieduo Ryan Fleck und Anna Boden hinterlässt keinen erkennbar eigenen Stempel wie James Gunn in Guardians of the Galaxy, Ryan Coogler in Black Panther oder Taika Waititi in Thor – Tag der Entscheidung, doch sie verstehen ihr Handwerk sowohl in ruhigen Charaktermomenten als auch in rasanten Actionszenen, an denen es dem Film nicht mangelt.

Captain Marvel (2019) Filmbild 6Eine wirklich positive Überraschung im Film ist Ben Mendelsohn als Talos. Der australische Schauspieler ist inzwischen Hollywoods neue erste Wahl für Schurkenrollen, nachdem Javier Bardem und Christoph Waltz diese Funktion in den letzten Jahren erfüllten. Doch obwohl Talos auf dem ersten Blick wie ein weiterer uninspirierter MCU-Bösewicht und eine stereotype Mendelsohn-spielt-böse-Performance à la Ready Player One oder Robin Hood wirkt, täuscht dieser Eindruck genau so wie das Äußere der Skrulls. Der Charakter ist komplexer, nuancierter und feinsinniger als man vermuten würde. Obwohl Mendelsohn den Großteil des Films unter einer dicken Schicht von grünem Makeup verbringt, macht er sehr viel aus seiner Stimme und subtiler Mimik. Über Jude Law und andere Kree-Darsteller des Starforce-Teams, (darunter Gemma Chan und Djimon Hounsou in seiner Rolle aus Guardians of the Galaxy) kann man das leider nicht behaupten. Ihre Figuren bleiben weitgehend eintönig, was gerade bei Laws tragender Rolle schade ist.

Captain Marvel (2019) Filmbild 5Doch während Larson der glänzende Stern des Films, Jackson die Identitätsfigur für die meisten Zuschauer und Mendelsohn ein sympathischer Widersacher ist, stiehlt ein Vierbeiner allen drei die Show. Carols Kater Goose, benannt nach Anthony Edwards' Charakter aus Top Gun, ist für einige der besten Szenen des Films verantwortlich, die sowohl allen Katzenliebhabern die Herzen höher schlagen lassen werden, als auch diejenigen Bestätigung finden lassen, die Katzen für hinterlistige Ausgeburten der Hölle halten. Die Zuschauer dürfen sich außerdem auf eins der cleversten Cameos (genau aufpassen!) der verstorbenen Marvel-Legende Stan Lee freuen. Ihm ist auch das neue Marvel-Studios-Logo gewidmet ist und man kann es einem nicht verübeln, wenn man als Fan in dem Moment nach den Taschentüchern greift.

Captain Marvel ist kein kultureller Meilenstein oder ein Zeitgeist-Phänomen wie Black Panther. Doch das muss er auch nicht sein. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und gelegentlicher Ungereimtheiten, verpackt er Brie Larson als coole Heldin in genau die Art stimmiges, gut kalibriertes Abenteuer, das man von Disneys Marvel-Filmen gewohnt ist. Es ist gute Unterhaltung mit einem Schuss Empowerment und einer beeindruckenden Zurschaustellung der Kräfte von MCUs mächtigster Heldin.

Fazit

Kein Genre-Meilenstein, aber gewohnt gute Unterhaltung: Als Captain Marvel erhebt sich Brie Larsons fesche Badass-Heldin in ihrem stimmigen, stellenweise mitreißenden Abenteuer bequem ins obere Mittelfeld von Disneys Marvel-Filmen. Wie seine Titelfigur, überwindet auch der Film einige Hürden und Makel, bevor er sich in einem fulminanten Finale entlädt, das die Zuschauer mit einem Hochgefühl und dem Wunsch nach einer Katze wir Goose aus dem Kino entlässt.

Trailer

Oscars 2019: Abschließende Analyse und Tipps

Oscars 2019 Tipps

Links: John David Washington in BlacKkKlansman © 2018 Focus Features
Mitte: Yalitza Aparicio in Roma © 2018 Netflix
Rechts: Mahershala Ali in Green Book © 2018 Universal Pictures

Die Stimmzettel sind ausgezählt und die Gewinner stehen fest. Heute Nacht werden in Los Angeles zum 91. Mal die Oscars verliehen – nach dem Kevin-Hart-Debakel erstmals seit über 30 Jahren ohne einen designierten Moderator. Wenn ich mir aber die teilweise zum Fremdschämen fürchterliche Moderation in den letzten zehn Jahren anschaue, ist das vielleicht auch gar nicht schlimm. Viele andere Veränderungen wollte die Academy zur Verleihung forcieren und dadurch den sinkenden Einschaltquoten entgegenwirken. Eine "Bester populärer Film"-Kategorie sollte eingeführt werden, vier Kategorien sollten während der Werbepausen verliehen werden und nur zwei der fünf nominierten Songs sollten auch aufgeführt werden. Die letzten beiden Maßnahmen sollten dazu dienen, die Laufzeit der Veranstaltung zu straffen. Als ob jemand, der bislang kein Interesse an den Oscars hatte, dadurch plötzlich einschaltet.

Erwartungsgemäß gab es bei allen diesen Veränderungen massiven Gegenwind innerhalb der Filmindustrie und die Academy hat nach und nach klein beigegeben. Im Großen und Ganzen wird also alles verlaufen wie immer. Wie jedes Jahr seit 2000 werde ich die Verleihung live mitverfolgen und hoffe auf einige Überraschungen. Die Chancen stehen ganz gut, denn in vielen wichtigen Kategorien ist das Rennen bis zum Schluss offen und unvorhersehbar geblieben. Natürlich gibt es auch klare Favoriten, die ihre Rede aus gutem Grund heute Nacht schon bereithalten dürfen, doch die Frage, welcher Film als der beste von 2018 gekürt werden wird, ist definitiv noch nicht so eindeutig beantwortet, wie sie es zu diesem Zeitpunkt vor einem Jahr war, als Shape of Water als klarer Favorit in die Nacht ging.

In der folgenden Analyse werfe ich einen kurzen Blick auf jede Kategorie und versuche mich mit meinen Tipps. Diese beruhen auf dem gesamten Verlauf der Oscar-Saison, einschließlich bewährter Prädiktoren wie der BAFTAs, der Golden Globes, aber vor allem der unterschiedlichen Auszeichnungen der Industrieverbände und -gewerkschaften, denn letztlich sind es auch zum Teil diese Leute, die bei den Oscars abstimmen. Was dieses Jahr jedoch noch weniger vorhersehbar macht als sonst, ist die Tatsache, dass die Academy vergangenes Jahr ihre Mitgliederzahl um knapp 1000 neue Filmschaffende ausgeweitet hat, um für größere Diversität zu sorgen. Dieser Ausweitung sind auch, so bin ich überzeugt, einige Überraschungen bei den Nominierungen zu verdanken, wie beispielsweise Pawel Pawlikowkis Nominierung als "Bester Regisseur" für Cold War.

Alle Nominierungen zum Vergleich findet Ihr hier.

Bester Film

Vertraut man den Statistiken, so gibt es jedes Jahr im Vorfeld schon Hinweise darauf, welche Filme in dieser Kategorie gut aufgestellt sind. Das Problem ist: Dieses Jahr ist kein Film ein klarer Favorit. Seit 1996 haben nur zwei Filme den "Bester Film"-Oscar gewonnen, ohne zuvor von der Schauspielergewerkschaft für ihr Ensemble nominiert worden zu sein – Braveheart und Shape of Water. Allerdings sind Black Panther, BlacKkKlansman und A Star Is Born die einzigen Nominees dieses Jahr, die von der Screen Actors Guild zuvor nominiert wurden, und keiner von ihnen hat im Vorfeld viele "Bester Film"-Preise abgeräumt. Roma ist der eindeutige Kritikerliebling. Der Film gewann den Hauptpreis der britischen Oscars (BAFTAs), den Critics' Choice Award, den Preis der Regiegewerkschaft DGA und den Regiepreis der Golden Globes. Doch Roma hat auch viele Handicaps. Es ist ein schwarzweißer, nicht-englischsprachiger Film, der von Netflix veröffentlicht wurde.

Wird die Academy mehrfach Geschichte schreiben , indem sie den Hauptpreis an Roma vergibt? Noch nie hat ein fremdsprachiger Film in der Kategorie gewonnen. Außerdem hat Netflix innerhalb der Industrie auch viele Gegner, da sie das traditionelle Kinogeschäft durch die Streaming-Plattform bedroht sehen und Netflix-Produktionen als TV-Filme betrachten. Ein weiteres Problem von Roma: Der Film wurde nicht für seinen Schnitt nominiert und diese Kategorie ist äußerst entscheidend beim "Bester Film"-Oscar. Birdman ist der einzige Film seit 1982, der ohne eine Schnitt-Nominierung gewonnen hat (aus offensichtlichen Gründen, wenn man den Film kennt). Das ist eine sehr aussagekräftige Statistik.

Andererseits stellt sich die Frage: Wenn nicht Roma, welcher Film dann? Vice, BlacKkKlansman und The Favourite sind die einzigen drei Filme, die bei den Oscars als Filme, für ihre Regie, ihre Drehbücher und ihren Schnitt nominiert sind. Doch Vice ist zu polarisierend und The Favourite konnte sich nicht einmal in seiner Heimat Großbritannien durchsetzen. BlacKkKlansman hat mich am ehesten die Chancen, baute jedoch während der Oscar-Saison wenig Hype auf. Green Book könnte Roma den Hauptpreis streitig machen. Der Film ist ein Crowd Pleaser, ein Kassenerfolg und gewann schon den "Bester Film"-Preis bei den Golden Globes und der Produzentengewerkschaft. Doch auch Green Book hat ein Problem – der Film wurde für seine Regie nicht nominiert. Zwar gab es durchaus schon "Bester Film"-Gewinner ohne eine Regie-Nominierung, wie zuletzt Argo vor sechs Jahren, doch es ist dennoch recht selten.

Letztlich wird sich Roma vermutlich durchsetzen, weil es keine Alternative mit viel Leidenschaft dahinter gibt. Zehn Oscarnominierungen für den Film, darunter die zwei überraschenden Nennungen für die Darstellerinnen aus dem Film, sprechen dafür, dass viele in der Academy hinter ihm stehen. Gerade die veränderte Zusammensetzung der Academy-Mitglieder wird vermutlich für Romas Sieg entscheidend sein.

Mein Tipp: Roma.

Beste Regie

Hier ist die Sache ganz klar. Von den Golden Globes über die Regiegewerkschaft bis zu den BAFTAs – Alfonso Cuarón hat für seinen zutiefst persönlichen Film jeden erdenklichen Preis abgeräumt und wird auch seinen zweiten Regie-Oscar (nach Gravity) holen. Damit wird der Regie-Oscar übrigens zum fünften Mal in sechs Jahren an einen mexikanischen Filmemacher gehen.

Mein Tipp: Alfonso Cuarón (Roma)

Bester Hauptdarsteller

Zu Beginn der Oscar-Saison schien es noch so, als könnte es Bradley Coopers Jahr mit A Star Is Born werden. Doch auch bei seiner vierten Nominierung wird der Schauspieler wohl leer ausgehen. Das Rennen ist zwischen Rami Malek für Bohemian Rhapsody und Christian Bale für Vice. Beide gewannen den Golden Globe. Bale wurde mit dem Critics' Choice Award ausgezeichnet, doch Malek gewann die deutlich wichtigeren Preise der Schauspielergewerkschaft und der BAFTAs. Letztlich ist Bohemian Rhapsody einfach ein deutlich erfolgreicherer und beliebterer Film als Vice und eine Auszeichnung für Malek wird in gewisser Hinsicht auch eine Ehrung von Freddie Mercury sein.

Mein Tipp: Rami Malek (Bohemian Rhapsody)

Beste Hauptdarstellerin

Auch in dieser Kategorie gab es vor einigen Monaten noch viel Hype um Lady Gagas erste Film-Hauptrolle und sie hat ohne Zweifel wunderbar gespielt. Doch Glenn Close hat sich nach und nach als Favoritin herauskristallisiert. Ihr Film Die Frau des Nobelpreisträgers ist zwar im Gegensatz zu den Filmen ihrer Konkurrentinnen nur in dieser einzigen Kategorie nominiert, doch worauf es letztlich ankommt ist, dass Glenn Close bereits sechsmal erfolglos für den Oscar nominiert war. Olivia Colman, die auch den Golden Globe gewonnen hat und mit Heimvorteil auch den BAFTA, könnte ihr den Preis streitig machen, doch die Academy möchte vermutlich nicht, dass Glenn Close zu einem weiblichen Peter O’Toole wird, der mit acht Nominierungen und keinem einzigen Sieg verstarb. Außerdem passt Die Frau des Nobelpreisträgers perfekt in die "Time’s Up"-Ära und Glenn Close hat sich mit ihren leidenschaftlichen Dankesreden viel Aufmerksamkeit verschafft.

Mein Tipp: Glenn Close (Die Frau des Nobelpreisträgers)

Auf Seite 2 geht es mit den restlichen Kategorien weiter.

Alita: Battle Angel (2019) Kritik

Alita Battle Angel (2019) Filmkritik

Alita: Battle Angel, USA 2019 • 122 Min • Regie: Robert Rodriguez • Produktion: James Cameron, Jon Landau • Drehbuch: James Cameron, Leata Kalogridis • Mit: Rosa Salazar, Christoph Waltz, Jenniver Connelly, Mahershala Ali, Ed Skrein, Keean Johnson, Jackie Earle Haley • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 14.02.2019 • Website

Als James Cameron (Terminator, Titanic) auf den Manga „Battle Angel Alita“ von Yukito Kishiro aufmerksam gemacht wurde, verliebte er sich sofort in die Cyberpunk-Geschichte, erkannte das enorme Kino-Potenzial und besorgte sich prompt die Rechte für eine Real-Verfilmung. Das ist knapp 20 Jahre her. Da Ende der Neunziger zum einen die Technik für Camerons Vision noch nicht reif war und zum anderen sein zweites Herzensprojekt Avatar (2009) sowie dessen Fortsetzungen den ambitionierten Regisseur zeitlich für Jahre eingespannt hat und noch einspannen wird, wurde das Projekt solange aufgeschoben, bis es schließlich in die Regie-Hände von Robert Rodriguez (From Dusk Till Dawn, Sin City) gegeben wurde. Für mich eine etwas kuriose Entscheidung, sind doch seine besten und bekanntesten Filme völlig anderen Genres zuzuordnen. Doch dem technikbegeisterten Filmemacher, der oft Autor, Produzent, Komponist, Regisseur und Kameramann zugleich ist, ist einiges zuzutrauen. Und tatsächlich hat er mit dem geschätzten Budget von satten 200 Mio. Dollar einen energischen und absolut unterhaltsamen Blockbuster geschaffen. Was lange währt, wird endlich gut – nicht sehr gut, aber: Alita: Battle Angel ist Hollywoods erste nicht in irgendeiner Weise verhunzte Manga- und Anime-Adaption!

In ferner Zukunft schlägt das Herz der menschlichen Zivilisation nach einem verheerenden Krieg in der Stadt Iron City. Ein verarmter Schmelztiegel von Kulturen, in welchem gewöhnliche Menschen mit kybernetisch verbesserten Körpern leben, stets im Schatten der letzten Himmelstadt Zalem, die nur Privilegierten zugänglich ist. Auf einem Schrottplatz findet der Cyber-Mediziner Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz) die Überreste eines jungen weiblichen Cyborgs (Rosa Salazar): ein intakter Torso und Kopf mit noch lebendigem menschlichen Gehirn. Ido baut dem mysteriösen Mädchen einen neuen Körper und tauft sie auf den Namen Alita. Von da an erleben wir die Geschichte durch Alitas Augen, die sich mit der Hilfe des gewieften Hugo (Keenan Johnson) in ihrem neuen Leben zurechtzufinden lernt. Erinnerungen an ihr bisheriges Leben hat sie keine. Das ändert sich, als ihr bewusst wird, welche übernatürlichen Kampffähigkeiten in ihr schlummern. Indes versuchen korrupte Kräfte, sich Alitas zunutze zu machen. Mit der Zeit begreift die, dass ihre Kräfte der Schlüssel zu Rettung ihrer Freunde und von Iron City sein könnten.

Um es vorweg zu nehmen: Eine Offenbarung ist der Film nicht. Zwar ist auch das Originalmaterial längst nicht so tiefsinnig, wie gerne behauptet wird. Doch hätte es der Verfilmung gutgetan, wenn sie nicht vor den großen philosophischen Fragen zurückschrecken würde, die sich vielleicht dem einen oder anderen Zuschauer beim Anblick der exotischen Cyborgs aufdrängen. Es gibt keinen Diskurs darüber, was Leben ist oder inwiefern man sich selbst noch als lebendig bezeichnen kann, wenn man fast vollständig mechanisch konstruiert ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen ihre echten und auch reproduzierenden Körperteile mit künstlichen austauschen, wirft doch zumindest die Frage auf, wie lange es wohl noch dauern mag, bis die Menschheit ausgestorben ist. „Kann ein Mensch einen Cyborg lieben?“, fragt Alita Dr. Ido irgendwann. Zu Alitas Freude bejaht er dies. Die nachdenkliche Mine ihrer Vaterfigur ist das einzige winzige Geständnis des Films, dass diese Frage und alles, was sie impliziert, eigentlich eine ausführlichere Antwort verdient hätte. Doch dass es diese nicht gibt, ist nur ein kleines Manko. Alita: Battle Angel ist ein Film über Humanität und zeigt, wie das Cyborg-Mädchen ihre eigene und damit sich selbst entdeckt. Das ist der emotionale Kern des Films und Regisseur Rodriguez achtet genau darauf, dass das in jeder Szene spürbar ist. Halbgare Denkübungen haben sich die Drehbuchautoren James Cameron und Laeta Kalogridis (Shutter Island) gespart. Insofern macht sich dieser Blockbuster nichts vor und ist genau das, was er sein will – ganz im Gegensatz zur US-Adaption von Ghost in the Shell aus 2017, die sich zwar so anspruchsvoll wie ihre wirklich geniale Vorlage gibt, aber im Grunde (leider) wenig davon verstanden hat. Der Vergleich drängt sich auf, nicht nur weil beide Filme demselben Genre entspringen. Hollywood hat jüngst zwar erkannt hat, dass es einen Markt für eigene Anime- und Manga-Adaptionen gibt, ist bisher jedoch, gelinde gesagt, unglücklich mit dem Originalstoff umgegangen. Alita: Battle Angel könnte eine Wende zum Besseren sein.

Es war zu erwarten, dass man sich nicht nur am ersten Band der Vorlage bedienen würde, die nicht genug Inhalt für einen abendfüllenden Film hat, aber dennoch bin ich begeistert, wie viel Handlung in die Realverfilmung gepasst hat. Zu keinem Zeitpunkt wird es langweilig oder allzu vorhersehbar. Zu verdanken ist das der Hauptfigur. Rosa Salazar spielt die wiedergeborene Alita mit unendlich viel jugendlicher Sympathie und schafft es auch in den etwas kitschigeren Szenen potenzielle Augenroller zu vermeiden. Apropos, an ihre Manga-typischen super süßen großen Augen – ein stilistischer Bruch, eine Verbeugung vor dem Originalmedium – gewöhnt man sich recht schnell. Die Motion Capture-Technologie vollbringt an sich einmal mehr Verblüffendes. Alita ist jedenfalls mehr als eine Jugendliche in einer Coming of Age-Story. Sie ist eine Kriegerin, die sich nicht nur für ihre Vergangenheit als Berserker interessiert, sondern wer sie im Hier und Jetzt sein will und wie sie dieses mit ihren außergewöhnlichen Kräften verändern kann. Am beeindrucktesten ist, wie die furchtlose Protagonistin, die bei jeder noch so großen Gefahr direkt in den Angriffsmodus schaltet, doch so verletzlich gezeichnet wurde. Mehr und mehr entpuppt sich Alita als zutiefst selbstlose Persönlichkeit, die sprichwörtlich ihr Herz für andere hergeben würde. Um das alles nachvollziehen zu können, lässt sich Rodriguez dankbar viel Zeit, ohne die an sich plotgetriebenen Geschichte zur Ruhe kommen zu lassen.

Die Schauwerte des Films sind erstklassig. Die chaotische wie schöne Welt von Iron City ist mit viel Liebe zum Detail entworfen, sieht realistisch aus und entspricht auch der Vorlage. Produktionsdesign und Actionszenen sind zum Teil sogar eins zu eins aus dem Manga übernommen worden, was den Wow-Effekt noch verstärkt. Denn allein die entsprechenden Panels im Original haben es in sich. Die Cyborgs sehen so gut aus, dass man gar nicht genug Nahaufnahmen von ihnen bekommen kann, um jedes Kabel, jeden Draht, jedes was-auch-immer genauer zu bestaunen. Was bei der FSK 12-Altersfreigabe in mindestens zwei Szenen überrascht, sind die kurzen doch recht heftigen Momente, in denen Körperteile abgetrennt oder seziert werden. Im Prinzip hat man durch die Künstlichkeit der Körper und deren blauen (Blut)Flüssigkeiten als Zuschauer genügend Abstand zu echtem Ekel. Es könnte einem aber durchaus mulmig werden, wenn sich gewisse Umstände in aller Bildlichkeit präsentieren. Übrigens: Ich persönlich bin kein Fan von 3D-Aufnahmen, aber dieser Film ist einer der seltenen Fälle, in denen sich das teurere Kinoticket lohnt.

Trotz aller positiven Aspekte hat Alita: Battle Angel seine Schwächen: Die futuristische Stadt gerät schnell zur bloßen Kulisse. So klar der thematische Fokus des Films ist, die Handlung ist es mitunter nicht. Während diverse Hintergründe und Personen erforscht werden, ist über weite Strecken nicht ersichtlich, wer denn nun der eigentliche Bösewicht ist, oder worauf das Geschehen überhaupt abzielt. In diesem Zusammenhang beschleicht einen das Gefühl, die Filmemacher hätten sich selbst verloren. Zum Glück ist das nicht der Fall. Dennoch: Glaubt man einmal den roten Faden gefunden zu haben, wird er auch schon wieder entrissen. Grundsätzlich ist das nicht schlimm. Nur ist man dabei hier nicht immer in guten Händen. Deswegen verfehlt der Film am Ende seinen emotionalen Punch. Vielleicht steht die Vorbereitung auf eine Fortsetzung im Weg. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass jüngere Zuschauer der Geschichte auch so genug abgewinnen können. So dreist wie zuletzt beispielsweise in Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen war man mit dem „Sequel Building“ jedenfalls nicht.

Manchmal, ausgerechnet dann, wenn Alita von ihren Mitmenschen lernt, entstehen merkwürdige Momente, in denen auffälliger Weise Christoph Waltz nach getaner Arbeit oder erteilter Lektion dasteht, als wäre ihm gerade der Maulkorb angelegt worden. Uuund Schnitt! Nein, doch nicht? Hm… Wenn es laut Drehbuch nicht mehr als das Nötigste (und unter Umständen Oberflächige) zu erzählen gibt, dann könnte man durchaus eher in die nächste Sequenz schneiden.

Fazit

Der rasante und unterhaltsame Blockbuster ist die erste artgerechte Hollywood-Adaption eines Mangas und Animes und überzeugt längst nicht nur mit atemberaubenden Effekten und halsbrecherischer Action. Allen voran die von Rosa Salazar verkörperte sympathische Hauptfigur entschädigt für die Schwächen des Films, die man durchaus stärker hätte gewichten können, als ich es tue. Tatsächlich bewahrt Robert Rodriguez den kindlichen aber letztendlich bluternsten Charme der Vorlage. Wer diese kennt, dürfte außerdem erfreut sein, dass nicht zuletzt die Dialoge im Film deutlich besser sind – kaum zu glauben, aber wahr. Mir hat Alita: Battle Angel besser als die Vorlage gefallen. Man darf hoffen, dass wir Alita in ein paar Jahren auf die große Leinwand zurückkehren sehen werden.

Kleiner Exkurs zum Schluss: Es ist erfreulich, wenn Inspirationsquellen im Abspann direkt genannt werden, aber die vermeintlich anspruchsvollere Bezeichnung „Graphic Novel“ ist mir doch sauer aufgestoßen. Es ist ein Manga! Das kann man schon so sagen.


Trailer

Escape Room (2019) Kritik

Escape Room 2019 Filmkritik

Escape Room, USA/ZA 2019 • 100 Min • Regie: Adam Robitel • Mit: Taylor Russell, Deborah Ann Woll, Logan Miller, Jay Ellis, Tyler Labine, Nik Dodani • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 28.02.2019 • Website

Handlung

Die hochintelligente, aber schüchterne Physikstudentin Zoey (Taylor Russell), die als Kind bei einem Flugzeugabsturz ihre Eltern verloren hat, erhält eine mysteriöse Puzzlebox. Diese enthält die Einladung zu einem exklusiven Escape-Room-Spiel in einer hochmodernen Einrichtung, dessen Sieger 10.000 Dollar erwarten. Vor Ort trifft Zoey ihre fünf Mitspieler: Börsenmakler Jason (Jay Ellis), Slacker Ben (Logan Miller), Kriegsveteranin Amanda (Deborah Ann Woll), Trucker Mike (Tyler Labine) und Spielenerd Danny (Nik Dodani). Zu spät bemerken sie, dass sie Spielfiguren in einem Spiel um Leben und Tod sind. Jeder Raum in diesem Escape Room ist eine ausgeklügelte Todesfalle, der man nur entkommen kann, wenn man das jeweilige Rätsel rechtzeitig löst. Ein verzweifelter Überlebenskampf beginnt, bei dem die Mitspieler zusammenarbeiten müssen, ohne zu wissen, ob sie sich gegenseitig überhaupt vertrauen können. Während sich die Truppe unter Verlusten von Raum zu Raum vorarbeitet, stellen sie fest, dass sie mehr verbindet, als sie anfangs geglaubt haben.

Kritik

Escape Room ist ein kompletter Reinfall. Obwohl der Großteil des Films ein Spiel gegen die Zeit ist, bei dem es um Leben und Tod geht, schafft es der Thriller mit seinen einfallslosen Todesfallen dennoch nicht, die Spannungskurve jemals nach oben zu treiben. Ein Grund dafür sind die mittelprächtigen Schauspieler, die schlechte Dialoge aufsagen und Charaktere spielen, die bestenfalls uninteressant und schlimmstenfalls hassenswert sind. Als Zuschauer wird man dabei nicht einmal mit coolen Todesszenen dieser nervtötenden Gestalten belohnt, sodass das Ganze eine ziemlich unbefriedigende Angelegenheit ist. Zusammengefasst: Der Film ist reine Zeitverschwendung.

Die gute Nachricht ist: Die Rede ist von Will Wernicks Escape Room aus dem vorletzten Jahr. Adam Robitels diesjähriger, mit einem höheren Budget und einem hochwertigeren Cast produzierter gleichnamiger Film ist seinem Namensvetter deutlich überlegen. Die schlechte Nachricht: Einige der oben genannten Kritikpunkte treffen auch auf Escape Room anno 2019 zu.

Escape Room (2019) Filmbild 1Diese betreffen hauptsächlich die Figuren des Films – weitestgehend klar gezeichnete Stereotype. Taylor Russells Zoey ist ein verschlossenes Genie und muss im Verlauf des Films lernen, ihr mangelndes Selbstvertrauen zu überwinden. Als Jason ist Jay Ellis der klassisch arrogante, rücksichtslose Finanzhai. Bens (Logan Miller) Hang zum Alkohol wird durch das Bild eines Flachmanns auf seiner tristen Arbeit als Lagerist kommuniziert. Der sträflich unterforderte "True Blood"-Star Deborah Ann Woll gibt die traumatisierte Irak-Veteranin zum Besten. Tyler Labine als einfach gestrickter Trucker ist immerhin recht sympathisch und Nik Dodanis überschwänglich begeisterter Escape-Room-Fanatiker ist vor allem da, um den Zuschauern zu erklären, was Escape Rooms sind. Dabei sollte man meinen, dass wenn der Trend dieser simulierten Fluchtszenarien schon so groß ist, dass er bereits drei gleich betitelte Filme innerhalb von drei Jahren inspiriert hat, das Konzept keine zusätzliche Erklärung nötig hat. Ja, es gab 2017 sogar einen weiteren Film mit dem selben Titel, doch ihn habe ich (zum Glück?) nicht gesehen.

Escape Room (2019) Filmbild 2Für den Genuss und das Verständnis des Films ist das Wissen um die Funktionsweise von Escape Rooms ohnehin nicht notwendig. Escape Room steht in der Tradition der Cube– und Saw-Reihen, die noch vor dem großen Escape-Rooms-Boom entstanden sind und sogar dazu beigetragen haben. Auch in jenen Filmen mussten unglückselige Opfer Räumen mit perfiden Todesfallen entkommen. Im Gegensatz zu seinen Vorbildern setzt Escape Room nicht auf blutspritzende, explizite Gewaltdarstellungen, sondern auf Spannung und ausgefallene Sets.

Das größte Lob gebührt nicht dem Regisseur, den Autoren oder dem Darstellern, sondern den Szenenbildnern, denn die die kreative Ausgestaltung der einzelnen Raumfallen, die Jigsaw vor Neid erblassen lassen würden, ist auch die größte Stärke des Films. Dieser verschwendet nicht viel Zeit damit, sie dem Zuschauer vorzuführen. In der allerersten Szene des Films bricht ein junger Mann durch die Decke in ein elegant möbliertes Herrenzimmer hinein und sucht fieberhaft nach der Lösung für ein Zahlenrätsel, während die Wände um ihn herum einen auf die Müllpresse aus Star Wars machen und ihn zu zerquetschen drohen. Dann versetzt uns der Film jedoch drei Tage in die Vergangenheit zurück und enthüllt, dass der junge Mann aus der ersten Szene eine der sechs Hauptfiguren des Films ist.

Escape Room (2019) Filmbild 3Wie schon kürzlich bei Sonys anderem Horrorfilm The Possession of Hannah Grace, ist der Einstieg bei Escape Room sehr wirkungsvoll und stimmt die Zuschauer darauf ein, was sie erwartet. Glücklicherweise stellt die Szene bei Escape Room nicht den einzigen Höhepunkt des Films dar, und nach der flotten Vorstellung der eindimensionalen Figuren geht das Spiel schon los. Jeglicher Glaubwürdigkeitsanspruch und Logik werden schnell über Bord geworfen, während sich die Charaktere von einem gigantischen Raumofen über eine vereiste Winterlandschaft bis zu einer komplett auf den Kopf gestellten Billardkneipe bewegen – alles angeblich innerhalb eines von außen hin ganz gewöhnlich aussehenden Gebäudes. Je absurder und extravaganter die Fallen werden, desto größer wird der Unterhaltungsfaktor. Gerade die Sequenz in dem Kneipenraum, in dem den Spielern der Boden unter den Füßen buchstäblich wegbricht und einen tödlichen Abgrund offenbart, während Petula Clarks "Downtown" aus der Jukebox dröhnt, ist herrlich ausgeklügelt und macht das meiste aus der sprichwörtlichen tickenden Uhr.

Regisseur Adam Robitel, dessen grundsolider Beitrag zum Insidious-Franchise letztes Jahr ihn zum gefragten Genre-Filmemacher gemacht hat, inszeniert den Wettlauf gegen die Zeit routiniert und darf sich in einer Szene, in der die Protagonisten unter Drogeneinfluss stehen, auch visuell austoben. Das eigentliche Rätsellösen wirkt auf der Leinwand jedoch leider zuweilen so chaotisch, dass es häufig schwer nachzuvollziehen ist und dadurch nebensächlich wird. Dennoch schafft es Robitel gelegentlich, die Spannungsschraube deutlich anzuziehen. Dass es ihm nicht häufiger gelingt, liegt tatsächlich an den blassen Figuren. Als klischeehafte Abziehbilder, deren Entwicklung hauptsächlich mittels kurzer Flashbacks geschieht, sind sie einfach nicht interessant. Das hemmt wiederum echte Spannungsentwicklung. Überlebenskämpfe in Horrorfilmen und Thrillern funktionieren am besten, wenn die Zuschauer mit den Figuren aufrichtig mitfiebern. Immerhin sind die meisten Figuren hier im Gegensatz zum anderen Escape-Room-Film nicht so offensiv unsympathisch, dass man ihnen einen grausamen Tod wünscht, doch wirklich involviert ist man in deren Schicksal auch nicht. Die Zuschauer bleiben neutrale Beobachter, staunen über irrwitzige Fallen und werden durchweg bei Laune gehalten, solange das Spiel läuft.

Escape Room (2019) Filmbild 4Zum Schluss schlägt der Film einen weiteren Bogen, der die bisherigen in der Absurdität übertrifft und an das Ende eines Horrorthriller-Sequels aus dem letzten Jahr erinnert. Zu diesem Zeitpunkt ist man als Zuschauer jedoch schon entweder längst ausgestiegen, oder lässt sich auf diesen logikfreien, aber kurzweiligen Ritt ein und freut sich auf die Fortsetzung, die angesichts des Kassenerfolgs des Films recht wahrscheinlich ist.

Letztlich bietet der filmische Escape Room ähnlich zerstreuende Realitätsflucht wie echte Escape Rooms. Wenn man sich darauf einlässt und über die unzähligen Logiklöcher hinwegsieht, kann man 95 Minuten auch deutlich schlechter anlegen.

Fazit

Was wäre, wenn Jigsaw ein deutlich größeres Budget und einen geringeres Faible für Blut und Eingeweide gehabt hätte? Regisseur Adam Robitel beantwortet diese Frage mit seinem inhaltlich absurden, aber kurzweiligen Thriller Escape Room, der mit abgefahrenen Fallendesigns für langweilig stereotype Charaktere entschädigt.

Trailer

The Mule (2019) Kritik

The Mule, USA 2018 • 117 Min • Regie: Clint Eastwood • Mit: Clint Eastwood, Bradley Cooper, Manny Montana, Taissa Farmiga, Alison Eastwood, Andy Garcia, Laurence Fishburne, Michael Peña • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 31.01.2019 • Website

Altmeister Clint Eastwood macht auf Breaking Bad – Das war mein erster Gedanke, als ich nachträglich den Trailer von The Mule gesehen habe. Gut, dass ich dieses Mal, ohne überhaupt die Handlung zu kennen, ins Kino gegangen bin. Sonst wäre ich vielleicht etwas enttäuscht gewesen, verspricht zumindest der Trailer doch einen dramatischen Nervenkitzel mit Starbesetzung und liefert stattdessen ein sehr ruhiges und witziges Roadmovie. Ob der Film deshalb so kontrovers diskutiert wird? Dachte man bei Warner Bros., der Film wäre nicht gut genug für eine inhaltsgetreue Bewerbung? Die Tatsache, dass The Mule in den USA erst auf den letzten Drücker, also kurz vor offiziellem Kinostart, der Presse vorgeführt wurde, spricht zumindest für letzteres. Was die zum Teil schlechten Kritiken angeht, gibt es natürlich Ärger über falsche Versprechen im Trailer als auch erzählerische beziehungsweise inhaltliche Mängel zu berücksichtigen. Die halten sich allerdings im Rahmen, oder werden meiner Meinung nach missverstanden. Es ist das erste Mal seit Gran Torino (2008), dass Clint Eastwood sowohl vor als auch hinter der Kamera steht – und glänzt! Dieser Film made my day…

In der auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte spielt Eastwood den hochverschuldeten Weltkriegsveteranen Earl Stone, der in seinen späten Achtzigern vor der Zwangsvollstreckung seines Unternehmens steht. Dann bekommt der charmante Florist und Lebemann ein Jobangebot, bei dem er nur Autofahren soll. Ohne es zu wissen, hat Earl als Drogenkurier für ein mexikanisches Kartell angeheuert. Er macht seinen Job gut – sogar so gut, dass er immer wertvollere Frachten bekommt und mit dem Geld, das er verdient, seinen Freunden großzügig unter die Arme greift. Doch dann ändert sich die Agenda seiner Auftraggeber, die Earl nun strenger beobachten, und DEA-Agent Colin Bates (Bradley Cooper) kommt den Drogenschmugglern immer näher. Auch wenn seine Geldprobleme nun der Vergangenheit angehören, belasten Earl die Fehler seiner Vergangenheit zunehmend. Und es ist ungewiss, ob er noch genug Zeit hat, diese wiedergutzumachen, bevor ihn das Gesetz oder das Kartell aus dem Verkehr zieht.

Kommen wir direkt zum Offensichtlichen: Wie kann ein normal denkender Mensch, der mit rund 90 Jahren zwar schon sehr alt aber keineswegs senil ist und schon viel erlebt hat auf der Welt, überrascht sein, dass seine geheime Lieferfracht Drogen sind? Immerhin holt er die „unscheinbaren“ Sporttaschen bei Gangstern mit schweren Waffen hinter verschlossenen Türen in Grenznähe zu Mexiko ab, wird zum Stillschweigen verdonnert und bekommt ein Einweg-Diensthandy. Noch dazu ist die Belohnung, die Earl in seinem Handschuhfach findet, ein ziemlich fettes Bündel Bargeld. Natürlich spielt er den Drogenkurier! In diesem Zusammenhang gibt es zwei Negativpunkte, die eine noch bessere Bewertung verhindern.

Nicht nur die Hauptfigur, sondern der Film an sich ist eine bisweilen etwas naive Auseinandersetzung mit schwierigen Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Familie und Reue. Drehbuchautor Nick Schenk (Gran Torino), der sich von dem New York Times Magazine-Artikel The Sinaloa Cartels‘ 90-Year-Old Drug Mule von Sam Dolnick inspirieren ließ, bringt seinen Protagonisten zwar in eine brenzlige Lage. Doch abgesehen davon, dass die Kartellgangster Earl immer konkretere Todesdrohungen machen und ihm die Polizei auf den Fersen ist, bleibt das kriminelle Milieu eher belanglos. Das ganze Kokain, das ins Land geschmuggelt wird, wird nicht thematisiert. Der Zuschauer erfährt lange nicht, ob Earl überhaupt moralische Bedenken bezüglich seiner Arbeit hat. Da bleibt es beinahe fraglich, dass der Zuschauer eingeladen wird, mit ihm mit zu fiebern und zu lachen, wenn er doch als abgehängter Patriot sein Heil ausgerechnet in einer Tätigkeit findet, die sein geliebtes Land ruiniert. So konzentriert sich der Film zwar auf das Wesentliche. Damit macht man es sich dann aber doch zu leicht und so bekommt The Mule einen kitschigen Beigeschmack, den man an der einen oder anderen Stelle gern loswerden würde.

Eine beispielhafte naive und vor allem von der Zeit überholt wirkende Szene wäre etwa die Autopanne eines farbigen Paares. Als Earl anhält, um zu helfen, spricht er sie mit freundlicher Selbstverständlichkeit als Neger an. Die beiden schlucken ihren Ärger herunter und erklären dem Alten, dass diese Bezeichnung heutzutage nicht mehr in Ordnung ist – sie wollen einfach „Leute“ genannt werden. Denn das sind sie ja, genauso wie Earl. Der entschuldigt sich mit drolliger Attitüde, nach dem Motto wie-schnell-doch-die-Zeit-vergeht. Sicher, Rassismus ist nachwievor ein brandaktuelles Thema und etwaige Szenen sind nicht unrealistisch. Aber Earls Lektion hat nicht ansatzweise den gewünschten Effekt, den es vielleicht vor über 50 Jahren gegeben hätte. Es ist schade, dass solche Ressentiments hier als eher harmlose Charaktermängel sprichwörtlicher „Spätzünder“ skizziert werden. Andererseits muss man zugeben: besser spät als nie. Und: Das Thema ist ja nunmal leider aktuell, egal wie fremd sowas einem vorkommen mag.

Die Autopannenszene ist im Grunde eine (von vielen) Szenen, in denen beide Seiten voneinander etwas fürs Leben lernen: Earl korrigiert seinen vielleicht nicht so gemeinten, aber dennoch rassistischen Fauxpas und die beiden Autopannenopfer lernen vom alten Hasen, wie man Reifen wechselt, wenn Tante google mal nicht erreichbar ist. Es ist dieser versöhnliche Tenor, der sich wie ein roter Faden durch den gesamten Handlungsverlauf zieht und einfach gut tut. Mehr noch, allen voran Clint Eastwoods charmantes Schauspiel bringt einen von Beginn an regelmäßig zum Lachen, wenngleich mehr und mehr das Ausmaß von Earls völlig vermasselter Ehemann- und Vaterrolle offenbar wird. Er ist im Grunde ein zweigleisiger Narzisst. Er ist gerne unter Menschen, dauernd „on the road again“, wie er singt, und für alle um ihn herum hat er einen weisen Rat. Aber wenn es um seine Familie geht, haben seine Weisheiten für ihn keinen substantiellen Wert mehr. Er scheint sich bei Frau und Kind eingeengt zu fühlen und rechtfertigt seine entsprechende Abwesenheit damit, dass er nur so für sie sorgen könne. Eine typische Ausrede für jemanden, der einfach lieber woanders ist und sogar die Hochzeit der eigenen Tochter verpasst. Viel zu spät erkennt er seine Fehler, ausgerechnet dann als er sich mit dem Kartell einlässt. Und hier wird es besonders interessant.

Mit seinem Charme und seiner Lebenserfahrung schafft es Earl die kriminellen Brummbären aufzulockern und ihre andere Seite zu zeigen. Sie haben dieselben Probleme, wie andere Menschen auch, können respektvoll miteinander umgehen und hinterfragen sogar ihre Arbeitsmethoden. Daraus ergeben sich nicht wenige skurrile Situationen. Wie gesagt, das Drogengeschäft an sich behält seinen fragwürdigen Status Quo und ist hier im Prinzip ein Einkommen, wie jedes andere auch. Dafür bekommt jeder letzten Endes, was er verdient. Earl selbst ist als „The Mule“, zu Deutsch Esel, nicht nur der sogenannte Drogenkurier, sondern auch mit all den Eigenschaften, die diesem Tier zugeschrieben werden, gebrandmarkt: fleißig, sanft, irgendwie drollig, aber auch dumm und vor allem stur. Außerdem ist die Welt der, wieder einmal, bösen ausländischen Mexikaner im Film wie eine Karikatur inszeniert. Besonders deutlich wird das, als Earl zum Sitz des Kartellboss (Andy Garcia) eingeladen wird und den bösen Glatzköpfen mit ihren polierten Pistolen und ihrem endlosen Heer von anbiedernden Bikini-Girls zu erklären versucht, wie man lebt. Und alle lieben ihn dafür – auch im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt viel zu lachen, wenn Earl mit seiner Gelassenheit (oder Ignoranz) und störrischen Art den Gangstern vor den Kopf stößt. Dabei lernt er von der jungen Generation und umgekehrt. Und mit Humor lernt man eben am besten. Wer diesem Film also eindimensionale und stereotypische Darstellung von Minderheiten oder gar „schleichende Xenophobie“ vorwirft, der hat das Gesamtbild schlicht nicht erfasst.

Fazit

The Mule ist ein schön gefilmter und unterhaltsamer Selbstfindungstrip, der seine Botschaft klar vorträgt: Für Veränderung ist es nie zu spät, auch wenn man dafür einen hohen Preis bezahlen muss. Außerdem ist es sinnvoller zuzuhören, genau hinzusehen und miteinander zu reden, als schnelle und kurzsichtige Lösungen zu fordern, wie es der DEA Special Agent dauernd tut. Nur ist es eben auch etwas naiv, wenn man glaubt, die großen Probleme seien im Grunde so unkompliziert.


Trailer

Oscarnominierungen 2019: Die größten Gewinner, Verlierer und Überraschungen

Oscarsnominierungen 2019 Gewinner

Links: Emily Blunt in Mary Poppins' Rückkehr © 2018 Walt Disney Pictures
Rechts: Tomasz Kot und Joanna Kulig in Cold War – Der Breitengrad der Liebe © 2018 Amazon Studios

Nachdem wir nun einen Tag hatten, um den Schock über einige der Oscarnominierungen (hier alle zum Nachlesen) sich setzen zu lassen, ist es Zeit, ein Fazit zu ziehen. Zu diesem Zweck werfe ich einen ausführlichen Blick darauf, wer von den Nominierungen der Academy besonders profitiert hat, und welche Filme und Performances leider außen vor gelassen wurden.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die zum Teil sehr überraschenden und vielfältigen Nominierungen sehr wahrscheinlich unmittelbar auf die enorme Ausweitung der Mitgliederzahl der Academy of Motion Picture Arts and Sciences zurückzuführen ist. Anfang 2017 zählte die Academy noch knapp 6700 Mitglieder. Im Laufe der letzten zwei Jahre und im Zuge heftiger Kritik an der überwiegend anglophonen, weißen, älteren und männlichen Zusammensetzung der Wähler, lud die Academy mehr als 2000 neue Mitglieder in die eigenen Reihen ein. Viele von ihnen stammten aus Europa und Asien. Zum jetzigen Zeitpunkt zählt die Academy über 9000 Mitglieder, sodass es Sinn ergibt, dass bisherige Muster wenig Geltung haben. Eine neue Ära für die Academy ist angebrochen.

Gewinner

Roma – Es hat sich bereits seit geraumer Zeit abgezeichnet, dass Roma einer der großen Favoriten im diesjährigen Oscar-Rennen sein würde. In Kritikerkreisen ist Alfonso Cuaróns Film eindeutig der beliebteste Film des letzten Jahres. Doch man darf auch nicht vergessen, wie viel augenscheinlich gegen ihn sprach: Es ist ein schwarzweißer, spanischsprachiger Film aus Mexiko mit weitgehend unbekannten Darstellern, der von Netflix vertrieben wird. In der Regel wäre jede große Nominierung für einen solchen Film abgesehen von "Bester fremdsprachiger Film" eine tolle Leistung. Dass Roma jedoch gleich zehn Nominierungen erhalten und zusammen mit The Favourite die Nominierungsliste anführen würde, hat wohl kaum jemand erwartet. Sehr überraschend sind die Nominierungen für seine beiden Darstellerinnen Yalitza Aparicio und Marina de Tavira, die zuvor kaum eine Rolle im Oscar-Rennen gespielt haben. Auch die beiden Ton-Nominierungen, mit denen sich Roma gegen zahlreiche Blockbuster durchgesetzt hat, waren nicht selbstverständlich. Nur ein einziger nicht-englischsprachiger Film hat zuvor genau so viele Oscarnominierungen erhalten – Ang Lees Tiger and Dragon. Der Film gewann 2001 vier Oscars. Roma hat die Chance auf mehr und gilt nach seinem überraschenden Abschneiden bei den Nominierungen als größter Favorit im Oscar-Rennen. Sein einziges Handicap: Der Film verpasste eine Nominierung für seinen Schnitt und seit 1981 kam es lediglich nur einmal vor, dass ein Film ohne eine Schnitt-Nominierung den "Bester Film"-Oscar gewann (Birdman). Doch es ist auch ein ungewöhnliches Jahr.

Vice – Der zweite Mann – Mit nur 64% positiver Rezensionen auf RottenTomatoes ist Adam McKays Vice einer der polarisierendsten Filme im diesjährigen Rennen, doch die Academy ist der Satire offenbar verfallen. Es war abzusehen, dass er um den großen Preis konkurrieren würde, nicht jedoch, dass er gleich in acht Kategorien nominiert werden würde. Neben BlacKkKlansman und The Favourite ist Vice der einzige "Bester Film"-Kandidat, der sowohl für seine Regie als auch sein Drehbuch und seinen Schnitt nominiert wurde. Darüber hinaus ergatterte er gleich drei Nominierungen für seine Darsteller, darunter für Sam Rockwell, der bereits letztes Jahr für Three Billboards Outside Ebbing, Missouri gewonnen hat.

Streaming-Portale – Nach mehreren Jahren größtenteils erfolgloser Bemühungen hat Netflix es endlich ins große Spiel geschafft. Insgesamt 15 Nominierungen ergatterte der Streaming-Dienst für seine Filme, darunter die begehrte Nominierung für "Besten Film", die Roma erhielt. Außerdem überraschte auch The Ballad of Buster Scruggs mit drei Nominierungen, obwohl ihn zuvor eigentlich kaum jemand noch auf dem Radar hatte. Man sollte die Coen-Brüder wohl nie unterschätzen. Zwei weitere Nominierungen gingen dank Kurzdokus auf Netflix' Konto. Letztes Jahr gewann Netflix dank der Dokumentation Icarus seinen ersten Oscar. Dieses Jahr werden einige mehr hinzukommen.

Doch Netflix war nicht der einzige Nutznießer der Akzeptanz von Streaming-Diensten. Amazon zählte mit Cold War – Der Breitengrad der Liebe drei Oscarnominierungen und sogar Hulu ist diesmal mit der Doku Minding the Gap dabei.

Walt Disney Pictures – Insgesamt 17 Nominierungen zählte Disney gestern – mehr als jedes andere Studio. Die meisten von ihnen sammelte das Haus von Mickey Mouse in technischen und Animationskategorien ein. Doch der größte Triumph des Studios ist die "Bester Film"-Nominierung für Black Panther. Die Marvel-Adaption schrieb Geschichte, indem sie zur allerersten Comicverfilmung wurde, die in der Königsklasse nominiert wurde. Da der Film keine Nominierungen für seine Regie, sein Drehbuch, seine Darsteller oder seinen Schnitt erhalten hat, hat er so gut wie keine Chancen auf den Sieg in der Kategorie, doch allein schon die Nominierung ist ein Sieg für diesen Film und für das Genre. Eine etwas überraschende Nominierung gelang Disney in der Effekte-Kategorie, in der Black Panther zwar überraschend nicht aufgetaucht ist, dafür aber Christopher Robin.

Fremdsprachige Filme und Regisseure – Daran zeigte sich der Einfluss der neuen Wähler vielleicht am deutlichsten. Drei der fünf Nominees in der "Beste Regie"-Kategorie kommen nicht aus den USA: Yorgos Lanthimos (Griechenland), Alfonso Cuarón (Mexiko) und Pawel Pawlikowski (Polen). Gerade die (hochverdiente!) Nennung des letzteren anstelle der erwarteten Nominierung für Bradley Cooper (A Star Is Born) oder Peter Farrelly (Green Book) ist eine Riesenüberraschung. Genau so überraschend, wenn auch in einer "kleineren" Kategorie, ist die Nominierung des deutschen Epos Werk ohne Autor für seine Kamera, womit wirklich niemand im Vorfeld gerechnet hat.

Paul Schrader – Kaum zu glauben, aber der Drehbuchautor von Martin-Scorsese-Klassikern wie Taxi Driver und Wie ein wilder Stier hat dieses Jahr mit First Reformed seine allererste Oscarnominierung erhalten. Die Kritikerpreise hat Schraders Drehbuch bereits dominiert, doch dass dies keine Bedeutung hat, wenn es um die Oscars geht, zeigt die Tatsache, dass Ethan Hawke trotz unzähliger Kritikerpreise für First Reformed bei den Oscars unbeachtet geblieben ist.

Auf der 2. Seite geht es mit den diesjährigen Verlierern, Überraschungen und Fun Facts weiter.

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