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The Possession of Hannah Grace (2018) Kritik

The Possession of Hannah Grace (2018) Filmkritik

The Possession of Hannah Grace, USA 2018 • 86 Min • Regie: Diederik Van Rooijen • Mit: Shay Mitchell, Kirby Johnson, Grey Damon, Stana Katic, Louis Herthum • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 31.01.2019 • Deutsche Website

Handlung

Nach einem tragischen Zwischenfall auf der Arbeit, der sie in den Substanzmissbrauch getrieben und ihre Beziehung ruiniert hat, möchte die ehemalige Bostoner Polizistin Megan (Shay Mitchell) die Scherben ihres Lebens aufsammeln und es langsam wieder aufbauen. Dabei hilft ihr ihre Freundin und Sponsorin Lisa (Stana Katic), die ihr einen Job in der Nachtschicht am städtischen Leichenschauhaus verschafft. Dort soll sie Leichen entgegennehmen, ihre Merkmale katalogisieren und abfertigen. Ob das der beste Ort für einen Neuanfang nach einem tragischen Lebenseinschnitt und Depressionen ist? Megan ist jedenfalls fest entschlossen, die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen. Als jemand, der nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt, scheint sie auch bestens geeignet zu sein, um sich von der morbiden Umgebung nicht einschüchtern zu lassen. Die Einlieferung der grausam zugerichteten Leiche einer jungen Frau (Kirby Johnson) macht es ihr aber nicht leicht. Technik streikt in ihrer Nähe, Wunden verschwinden plötzlich, und obwohl der Todeszeitpunkt bereits drei Monate zurückliegt, zeigt die Leiche keine Verwesungsmerkmale auf. Mit Hilfe ihres Ex-Freunds und Polizisten Andrew (Grey Damon) stellt Megan Nachforschungen an, und was sie herausfindet, stellt ihre rationale Weltsicht und ihre Überzeugungen auf den Prüfstand.

Kritik

The Possession of Hannah Grace beginnt dort, wo die meisten Filme aus dem Genre aufhören – mit einem Exorzismus. Es ist eine fiese Angelegenheit, die alle Merkmale einer filmischen Teufelsaustreibung pflichtbewusst durchgeht. Eine junge Frau liegt ans Bett gefesselt in einem in Dämmerlicht getauchten Schuppen. Sie ist schweißüberströmt, ihre Gelenke unnatürlich verdreht, ihr Gesicht zur Fratze verformt, ihre Zähne gelb und verfault. Eine dämonische Stimme spricht aus ihr und verhöhnt die beiden Priester, die um ihre Seele kämpfen. Sie scheinen den Kampf zu verlieren und einer der Priester bezahlt dafür einen blutigen Preis, der uns auch schnell klarmacht, dass wir hier keinen PG-13-Film sehen. Der verzweifelte Vater des Mädchens, gespielt von Louis Herthum aus "Westworld", sieht letztlich keinen anderen Ausweg, als seiner Tochter den Gnadentod zu gewähren, um sie aus ihrem Leid zu erlösen.

In den 45 Jahren seit Der Exorzist hat sich der Exorzismusfilm zu einem bewährten Horror-Subgenre mit etablierten Regeln und Verlaufsmustern entwickelt, das sich liebend gerne des "basierend auf einer wahren Geschichte"-Zusatzes bedient. Es ist fast immer eine junge Frau, die zunächst von schrecklichen Visionen geplagt wird, bis sie schließlich gänzlich einer übernatürlichen Macht verfällt und von einem oder mehreren mutigen Priestern, die ihr eigenes Leben riskieren (und manchmal opfern) mit Kruzifixen, Weihwasser und Bibel gerettet wird. Beim Versuch, im Besessenheitshorror neue Impulse zu setzen, verzichtet The Possession of Hannah Grace auf diesen Aufbau und beginnt mit dem altbewährten Ritual. Von einer überraschend derben Einlage abgesehen, ist die Szene nichts, was Genrefans nicht bereits in unzähligen Filmen gesehen haben, und dennoch erfüllt sie ihren Zweck. Der Auftakt ist intensiv, er rüttelt die Zuschauer wach und zieht sie in die Handlung hinein. Der Film macht schnell deutlich, wie gefährlich der Dämon ist, der Hannah Grace innewohnt.

The Possession of Hannah Grace (2018) Filmbild 1Ein altbekannter Spruch besagt, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist. Wendet man ihn auf diesen Film an, dann sollte der Filmprojektor nach dieser Szene ausfallen, sodass man sich um einen potenziell ordentlichen Grusler betrogen fühlt. Denn leider erreicht der Streifen in seinen ersten fünf Minuten seinen Intensitäts- und Spannungshöhepunkt. Danach erwarten die Zuschauer jedoch weitere 75 Minuten von weitgehend uninspiriertem Horror von der Stange, der lange braucht, um wieder in Fahrt zu kommen.

Es ist ein wenig ironisch, dass das wirkungsvollste Element eines Films, der dem Genre einen neuen Twist verpassen möchte, ausgerechnet die klassische Exorzismusszene ist. Das liegt nicht daran, dass die spätere Ausgangssituation kein Potenzial hat. Dass Leichenhallen nachts ein sehr unheimliches Setting sind, haben ja schon Ole Borendals Nightwatch – Nachtwache und dessen Remake Freeze – Alptraum Nachtwache gezeigt. Mit seinen weitläufigen Korridoren, unzuverlässiger automatischer Beleuchtung, die in unpassendsten Momenten aus- und wieder angeht (in Kruzifixform, wie subtil!) und einem steril-kühlen Ambiente bietet der Krankenhaus-Koloss einen angemessen Schauplatz für einen Horrorfilm, der diesen jedoch nicht gut zu nutzen weiß. Ganz neu ist die Filmidee auch nicht. The Autopsy of Jane Doe hat erst vor zwei Jahren Brian Cox und Emile Hirsch als Vater-Sohn-Rechtsmediziner-Duo mit einer mysteriösen und gefährlichen Leiche zusammengebracht. Das Kammerspiel war all das, was The Possession of Hannah Grace nicht ist: spannend, atmosphärisch, toll gespielt und zuweilen richtig gruselig.

The Possession of Hannah Grace (2018) Filmbild 2Nach dem flotten Prolog nimmt sich der Film reichlich (und ich meine, reichlich) Zeit, um wieder zur Sache zu kommen. Wir lernen Shay Mitchells Protagonistin kennen, folgen ihrem monotonen Alltag in der Leichenhalle, erfahren stückweise ihre Vergangenheit. Charaktere in Horrorfilmen ausgiebig kennenzulernen, damit man später mit ihnen mitfiebert, ist durchaus eine Tugend. "Pretty Little Liars"-Star Mitchell ist eine passable Darstellerin in der Rolle, doch jegliche ernsthafte Charakterentwicklung bleibt auf der Strecke. Allein die Information, dass ihr früherer Fehler ihrem Partner das Leben gekostet hat und sie danach drogensüchtig geworden ist, macht noch keine interessante Figur aus. Eine ehemalige Polizistin kauft man ihr darüber hinaus auch nicht ab. Keine anderen Figuren sind der Rede wert. Weshalb überhaupt die durchaus bekannte "Castle"-Darstellerin Stana Katic in einer so undankbaren Rolle wie hier besetzt wurde, bleibt wohl ein größeres Geheimnis als das Mysterium um Hannah Grace.

The Possession of Hannah Grace (2018) Filmbild 3Hoffnung auf Besserung kommt auf, als die besagte Hannah beginnt, ihr Unwesen zu treiben. In der letzten halben Stunde kann der Film dann einen letzten Trumpf ausspielen – sein fieses Sound-Design. Für alle Zuschauer, die es als unangenehm empfinden, wenn jemand in ihrer Nähe mit den Fingern knackt, wird dieser der reine Horror sein. Trotz der expliziten Anfangssequenz hält sich der Film im späteren Verlauf nämlich zurück und lässt die Zuschauer das Knacken und Knirschen von Hannahs Gliedmaßen sowie ihrer unglückseligen Opfer aus dem Off hören. Die ersten Male ist das sehr effektiv und geht unter die Haut, verliert jedoch schnell an Wirkung, sobald es klar wird, dass es auch der einzige gute Trick ist, den der Film draufhat. Den Rest machen wenige müde Jump Scares und eine ständig aufgehende Tür des Leichenkühlschranks aus.

The Possession of Hannah Grace (2018) Filmbild 4Dass alles, was in dem Film geschieht, vorhersehbar ist, ist nicht sein größter Makel. Nicht jeder Horrorfilm muss das Rad neu erfinden. Es kommt auf die Umsetzung an und diese ist in Diederik Van Rooijens Hollywooddebüt dürftig. Dabei schießt er sich häufig selbst ins Knie. Weshalb man eine begabte Tänzerin und Verrenkungskünstlerin wie Kirby Johnson als monströse Hannah engagiert, dann aber die meisten ihrer Szenen in völlige Dunkelheit taucht, sodass ihre Talente gar nicht erst zur Geltung kommen können, ist mir ein Rätsel. Der Ansatz, dass das, was man nicht sieht, häufig furchterregender ist, als das, was man sieht, wurde hier grundsätzlich missverstanden. Wenn man immer wieder kaum erkennen kann, was auf der Leinwand überhaupt geschieht, ist das nicht gruselig, sondern einfach nur frustrierend. So wie dieser gesamte Film.

Fazit

The Possession of Hannah Grace versucht dem ausgelutschten Besessenheitshorror einen frischen Anstrich zu verpassen, doch er macht letztlich wenig Neues und das selten gut.

Trailer

Aquaman (2018) Kritik

Aquaman (2018) Filmkritik

Aquaman, AU/USA 2018 • 143 Min • Regie: James Wan • Mit: Jason Momoa, Amber Heard, Patrick Wilson, Nicole Kidman, Yahya Abdul-Mateen II, Willem Dafoe, Dolph Lundgren, Temuera Morrison • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 20.12.2018 • Deutsche Website

Handlung

Arthur Curry (Jason Momoa) ist ein Kind von zwei Welten. Er ist das Ergebnis einer verbotenen Liebe zwischen dem Leuchtturmwärter Thomas (Temuera Morrison) und Atlanna (Nicole Kidman), der Königin des verborgenen, technologisch fortschrittlichen Unterwasser-Königreichs Atlantis. Um sie zu schützen, musste Atlanna Thomas und Arthur verlassen und in ihre Heimat zurückkehren, wo sie für ihren Verrat zum Tode verurteilt wurde. Mit übermenschlichen Kräften ausgestattet und von Atlantis' Wesir Vulko (Willem Dafoe) heimlich ausgebildet, wuchs Arthur an Land auf, wo er gelegentlich Seemänner in Not rettet und dadurch den Beinamen Aquaman bekommt. Von dem Königreich, das ihm seine Mutter weggenommen hat, will er nichts wissen. Doch als Atlantis seine Welt bedroht, muss er sich seinem größenwahnsinnigen Halbbruder Orm (Patrick Wilson) stellen, der inzwischen über Atlantis herrscht. Orm hegt tiefen Groll gegen Arthur, dem er die Schuld an dem Tod ihrer gemeinsamen Mutter gibt, und plant, mit Hilfe des Königs Nereus (Dolph Lundgren) alle Unterwasser-Königreiche zu vereinen, um in den Krieg gegen die Landbewohner zu ziehen. Begleitet von Nereus' resoluter Tochter Mera (Amber Heard) begibt sich Arthur auf die Suche nach dem sagenumwobenen Dreizack von Atlann, dem einstigen König von Atlantis. Wer die Macht über den Dreizack hat, hat auch den Anspruch auf den Thron von Atlantis. Das kann Orm natürlich nicht zulassen und setzt neben atlantischen Elitesoldaten auch den rachsüchtigen Piraten Black Manta (Yahya Abdul-Mateen II), den er mit atlantischer Waffentechnologie ausstattet, auf die beiden an. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Kritik

"Wartet noch, es kommt bei Marvel-Filmen immer noch was."

Diesen Satz, den ein Kollege an seine Begleiter richtete, habe ich kürzlich hinter mir im Kinosaal mitbekommen, als der Abspann zur neusten Comicverfilmung Aquaman begann. In einem Punkt hatte er Recht: Es gab tatsächlich eine zusätzliche, wenn auch wenig aufregende Szene während des Abspanns. Natürlich handelt es sich bei dem Film um keine Marvel-, sondern eine DC-Adaption, doch so ganz kann man die Aussage dem jungen Mann auch nicht verübeln, denn schließlich ist Aquaman der Marvel-mäßigste Film, den das DC-Kinouniversum bislang hervorgebracht hat.

Ein gutmütiger, aber hitzköpfiger Muskelprotz mit Anspruch auf den Thron eines wundersamen Königreichs, in dem Magie und Wissenschaft fließend ineinander übergehen, muss Demut lernen und sich als würdig erweisen, eine mächtige Waffe zu schwingen, damit er seinen hinterlistigen Bruder besiegen kann. Wem diese Beschreibung vage bekannt vorkommt, ist höchstwahrscheinlich mit Marvels Thor-Filmen vertraut. Dazu geben Regisseur James Wan und seine Autoren David Leslie Johnson und Will Beale noch einen ordentlichen Schuss Indiana Jones und fertig ist der letzte große Megablockbuster des Jahres. Die Vergleiche zu den genannten Vorbildern wirken sich jedoch nicht zum Nachteil des Films aus, sondern zeigen vor allem eins: Aquaman soll Spaß machen. Und wisst Ihr was? Das tut er, und zwar so richtig. Die Mischung funktioniert und ist ein weiterer Schritt weg von der düsteren Trostlosigkeit der neueren DC-Filme. Wonder Woman traf letztes Jahr den idealen Punkt zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit. Aquaman ist etwas abgedrehter, ausufernder und anspruchsloser als der Film seiner Justice-League-Mitstreiterin, hat nicht ganz so gute Charaktere, macht es aber mit einem berauschenden Bilderreigen wieder wett.

Aquaman (2018) Filmbild 1Es sieht ganz danach aus, als würde das DC-Kinouniversum am besten funktionieren, wenn es sich auf einzelne Figuren anstelle von Ensembles konzentriert. Neben Man of Steel und Wonder Woman gehört nun auch Aquaman zu den eindeutig stärkeren Filmen des Universums. Wie schon Wonder Woman ist auch Aquaman ein weitgehend eigenständiger Film. Die Ereignisse von Justice League, in dem Jason Momoa als Aquaman sein Debüt feierte (vom wortlosen Mini-Cameo in Batman v Superman mal abgesehen), werden in einem einzigen Satz angesprochen und das war’s auch schon mit Verweisen. Man sollte also nicht erwarten, dass Superman oder The Flash über die Leinwand huschen. Warner Bros. hat endlich begriffen, dass man die einzelnen Figuren und ihre jeweiligen Welten erst richtig aufbauen muss, bevor man sie zusammenwirft.

Aquaman (2018) Filmbild 5In dieser Hinsicht macht Aquaman auch gute Fortschritte. Jahrzehntelang war die Figur eine Zielscheibe des Spotts, woran nicht zuletzt die Siebziger-Zeichentrickserie "Super Friends" und "The Big Bang Theory" die Schuld tragen. Mit seiner allerersten Szene in Aquaman macht Jason Momoa unmissverständlich klar, dass er alles andere als eine Witzfigur ist. In Justice League war seine Rolle hauptsächlich auf möchtegern-coole Sprüche und imposantes Getue reduziert. In Aquaman wirkt er wie ein echter Charakter mit Entwicklung. "Game of Thrones"-Star Momoa hat mit seiner blonden Comicfigur keinerlei optische Gemeinsamkeit, doch angesichts deren Rufs in der Popkultur ist es vielleicht auch eine gute Sache, dadurch etwas Abstand zu gewinnen. Die Figur ist immer noch nicht furchtbar interessant oder fesselnd, aber das war Thor in seinem Film anfangs auch nicht. Was Momoa mitbringt, sind grobschlächtiges Charisma und ungeheure physische Präsenz. Wenn er mit entblößtem Torso in einer Szene Piraten auseinandernimmt und kurz pausiert, um in Zeitlupe die üppige Haarmähne zurückzuschwingen, könnte das glatt eine Aufnahme aus einem Werbespot für Männerparfum sein. Beim Anblick werden wohl nicht wenige Frauen schwach werden.

Aquaman (2018) Filmbild 2Die hinreißende Amber Heard, deren feuerrotes Haar ihr lebhaftes Temperament unterstreicht, ist als Mera seinem Charme gegenüber (zumindest anfangs) immun. Bereits in ihrem kurzen Auftritt in Justice League machte sie Lust auf mehr und sie enttäuscht hier nicht. Mera ist viel mehr als ein Sidekick oder potenzielles Love Interest für Aquaman. Intelligenter, raffinierter und besonnener als ihr Begleiter, stiehlt Heard Momoa nicht selten die Show. Ihre Superkraft, alle Flüssigkeiten zu manipulieren, kommt im Film auf kreative Weisen zum Einsatz und findet ihren Höhepunkt in einer Szene im Weinladen, die beweist, dass Alkohol auch Leben retten kann. Nicole Kidman füllt ihre Rolle mit Anmut und Weisheit, während Temuera Morrison als Arthurs Vater gute Chemie mit Momoa hat. Außerdem ist es sehr nett, Action-Altstar Dolph Lundgren plötzlich in einem Riesenblockbuster zu sehen.

Aquaman (2018) Filmbild 3Doch der wahre Star von Aquaman ist sein Regisseur James Wan. Bereits mit dem Low-Budget-Horrorphänomen Saw zeigte er, dass er aus wenig viel machen kann. In Aquaman macht er aus viel sehr viel. Für seinen bislang teuersten Film hatte Wan $200 Mio Budget zur Verfügung und man sieht jeden Cent davon auf der Leinwand. Es ist keine Übertreibung, dass Aquaman der bestaussehende und alleine schon nach seinen Maßstäben und seinen Ambitionen schlichtweg größte Film des Jahres ist. Was der Geschichte an Originalität fehlt, macht Wan mit unbändigem Einfallsreichtum seiner Bilder wieder wett, die zuweilen an Avatar oder Valerian erinnern und dennoch originell wirken. Auch seine Erfahrungen als Horrorregisseur kommen in einer Sequenz zur Geltung, in der Arthur und Mera einen Schwarm furchterregender Meeresungeheuer abwehren müssen, während sie in die Tiefe des Ozeans hinabtauchen. Die Aufnahme der beiden in einem Negativraum, beleuchtet von einem einzigen roten Leuchtfeuer und umgeben von einer lebenden Masse, die ihnen nach dem Leben trachtet, gehört zu den einprägsamsten des Jahres. Spätestens wenn der Film bei seiner klimatischen Schlacht angelangt – der größten, die es seit Der Herr der Ringe im Kino zu sehen gab – kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Krieger, die auf aufgerüsteten Haien oder gigantischen Seepferdchen (!) reiten, stürzen sich in den Kampf gegen riesige Krabbenwesen und ein kolossales Monster mit Tentakeln. Habe ich schon erwähnt, dass es in dem Film einen Oktopus gibt, der auf Bongos trommelt?

Aquaman (2018) Filmbild 4Wer ins Kino geht, um in eine fremdartige Welt entführt zu werden und ein Spektakel zu erleben, wird hier bestens bedient. Es ist ein aberwitziges, absurdes und unbändig kreatives Universum, das Wan und seine Effektespezialisten hier auf die Leinwand gezaubert haben. Dass große Teile der Handlung unter Wasser spielen, kommt dem Film zugute. Auf physikalische Gesetze wie Schwerkraft kann man dann getrost pfeifen und die 3D-Effekte profitieren auch.

Aquaman kommt aber auch nicht ganz ohne Probleme aus. Bevor das ausgelassene Abenteuer richtig in Fahrt kommt, muss man sich durch einen eher zähen Auftakt durchkämpfen. Außerdem sind beide Antagonisten recht uninteressant, insbesondere Black Manta, wobei sein großer Auftritt immerhin eine der besten Actionszenen des Films herbeiführt. Insgesamt unterhält die Comicverfilmung jedoch unprätentiös und mit viel Augenzwinkern.

Fazit

Nach seinem auf abgedroschene One-Liner und grimmige Blicke begrenzten Auftritt in Justice League, läuft Jason Momoa in Aquaman zur wahren Größe auf. Doch der echte Star dieses anfangs etwas zähen und später zunehmend aberwitzigen und spaßigen Mischmaschs aus Marvels Thor, Indiana Jones und den opulenten Welten von Avatar und Valerian ist Regisseur James Wan. Ihm gelingt nicht nur eine aufrichtig gute DC-Verfilmung und ein aufregender Fantasy-Abenteuerfilm, sondern auch das bestaussehende Leinwand-Spektakel des Jahres mit der größten Kinoschlacht seit Der Herr der Ringe.

Trailer

Box-Office USA: Spider-Man top, Mortal Engines ein Riesenflop und Creed II erreicht einen Meilenstein

Mortal Engines Box Office

Links: Spider-Man:. A New Universe © 2018 Sony Pictures
Mitte: Mortal Engines – Krieg der Städte © 2018 Universal Pictures
Rechts: Creed II – Rocky’s Legacy © 2018 Warner Bros. Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Nach dem umsatzschwächsten Wochenende des Jahres verhalfen drei Neustarts den US-Kinocharts wieder zum Aufschwung, wobei nur zwei von ihnen einen guten Eindruck hinterlassen haben. Insgesamt erwirtschafteten die Top-12-Filme $106,1 Mio – 36% mehr als vor einer Woche, jedoch 61% weniger als am selben Wochenende vor einem Jahr, als Star Wars – Die letzten Jedi auf Platz 1 eröffnete.

Mit dem erfolgreichen Start von Spider-Man: A New Universe gehörte zum 13. Mal dieses Jahr die Spitze der nordamerikanischen Kinocharts einer Marvel-Verfilmung. Außerdem gehört damit der erste Platz der Charts zum fünften Mal in sechs Wochen einem Animationsfilm, nachdem zuvor schon Der Grinch und Chaos im Netz die Pole Position belegten. Der erste animierte Spider-Man-Kinofilm spielte in seinen ersten drei Tagen $35,4 Mio von 3813 Kinos ein und erreichte einen Schnitt von $9284 pro Spielstätte. Damit gelang dem Streifen das beste Startwochenende für einen Animationsfilm im Dezember. Zwar liegt der Start natürlich deutlich hinter den Startwochenenden aller bisherigen Spider-Man-Filme, mit nur $90 Mio Produktionskosten ist es aber auch der kostengünstigste Film über den Spinnenmann aus New York.

A New Universe profitierte stark von schwärmenden Kritiken (die besten, die ein Spider-Man-Film je erhalten hat) und machte durch seinen ungewöhnlichen Look auf sich aufmerksam. Den Zuschauern scheint der Film sehr zu gefallen. Sie vergaben ihm im Schnitt den seltenen "A+"-CinemaScore (äquivalent einer "1+"). Kein anderer Spider-Man-Film erreichte eine so hohe Zuschauerwertung. Die Mundpropaganda sollte also sehr positiv sein. Der Film spricht ein eher jüngeres Publikum an – etwa 59% der Zuschauer am Wochenende in den USA und in Kanada waren jünger als 25. Der nächste große Animationsfilm, The LEGO Movie 2, kommt erst im Februar in die Kinos. Bis dahin hat Spider-Man: A New Universe freie Bahn und könnte $120-140 Mio in Nordamerika einspielen, was definitiv als Erfolg für das riskante Projekt zu verbuchen ist.

Platz 2 der Wochenendcharts ging an Clint Eastwoods Leinwand-Comeback The Mule. Die erste Regiearbeit des Altmeisters seit Gran Torino, in der er auch selbst mitspielt, nahm zum Start $17,2 Mio von 2588 Kinos ein. Das bedeutete einen Schnitt von $6650 pro Lichtspielhaus. Es war der drittbeste breite Start für einen Film mit Eastwood in der Hauptrolle nach Gran Torino ($29,5 Mio) und Space Cowboys ($18,1 Mio). Wie erwartet, gehörten die Zuschauer des Films eher der älteren Generation an. Knapp 78% waren älter als 35. Dass Eastwoods Film mit einem recht spät veröffentlichten Trailer und ohne intensives Marketing trotzdem einen recht erfolgreichen Start geschafft hat, spricht für die anhaltende Starpower der Hollywood-Legende. The Mule könnte der letzte Filmauftritt von Eastwood sein, und das wollen sich viele nicht entgehen lassen. Die Zuschauerreaktionen scheinen auch sehr positiv zu sein. Bei der CinemaScore-Umfrage erreichte der Film eine "A-"-Wertung (äquivalent einer "1-"). Zwar ist der Film nicht ganz so gut angekommen wie Gran Torino, doch es gibt ganz offensichtlich immer noch ein breites Publikum, das an Eastwoods Filmen interessiert ist.

Wie die meisten Filme mit einem älteren Zielpublikum wird auch The Mule vermutlich eine lange Laufzeit in den Kinos haben. Ältere Kinogänger strömen in der Regel nicht zwingend am Startwochenende in die Kinos, was für gutes Durchhaltevermögen der entsprechenden Filme an den Kinokassen sorgt. Als Kontrastprogramm zu Blockbustern wie Bumblebee und Aquaman wird The Mule in der Weihnachtszeit und zwischen den Jahren gut laufen und am Ende $65-80 Mio in den USA und in Kanada erreichen. Bei einem Budget von $50 Mio wäre das ein solides Ergebnis.

Der Grinch fiel lediglich um einen Platz auf Rang 3 und baute dabei nur 23% ab. An seinem sechsten Wochenende spielte die Verfilmung des Kinderbuchklassikers weitere $11,6 Mio ein und brachte ihr vorläufiges Gesamteinspiel auf tolle $239,3 Mio. Insbesondere im Vergleich zum $75-Mio-Budget des Films sieht das Einspielergebnis fantastisch aus. Aktuell liegt der Film 3% vor der Realversion mit Jim Carrey und wird diesen Vorsprung in den nächsten Wochen weiter ausbauen. Nach Weihnachten wird Der Grinch vermutlich recht schnell aus den Charts verschwinden, doch bis dahin erwarten den Streifen noch sehr gute Zahlen. Insgesamt wird Der Grinch $275-285 Mio in Nordamerika erreichen und sich einen Platz in der Jahres-Top-10 sichern. Für Universals Animationsstudio Illumination ist Der Grinch ein weiterer Triumph. Acht der neun Illumination-Produktionen erreichten bislang mehr als $200 Mio in den USA und in Kanada.

Chaos im Netz, das in Deutschland seltsam betitelte Sequel zu Ralph reichts, sank an seinem vierten Wochenende um 41% und drei Plätze auf jeweils $9,6 Mio und Rang 4 der Charts. Nach 26 Tagen steht das Einspiel des Films bei $154,5 Mio – 3% mehr als sein Vorgänger im selben Zeitraum. In der Weihnachtszeit wird der Film sehr gut laufen und ohne Animationskonkurrenz bis Februar könnte er knapp $200 Mio erreichen, bevor er die Kinos verlässt.

Platz 5 ging an die Peter-Jackson-Produktion Mortal Engines – Krieg der Städte. Mit knapp $100 Mio Produktionsbudget (Marketingkosten exklusive) ist Mortal Engines der teuerste unter den Neustarts gewesen und zugleich der umsatzschwächste am ersten Wochenende. In der Kritik zerrissen, spielte das Sci-Fi-Abenteuerepos magere $7,5 Mio von 3103 Kinos ein (im Schnitt $2417 pro Kino), und das sogar trotz IMAX-Einsatz und 3D-Bonus. Der Film ist ein gigantischer Flop, der nicht mehr als $18-20 Mio in den USA einspielen wird. Eine Adaption der verbleibenden drei Romane der Reihe ist ausgeschlossen.

Auf Seite 2 verraten wir Euch, welche neuen Box-Office-Meilensteine Phantastische Tierwesen – Grindelwalds Verbrechen und Creed II erreicht haben, und wie gut Once Upon a Deadpool angelaufen ist.

Mortal Engines – Krieg der Städte (2018) Kritik

Mortal Engines - Krieg der Städte (2018) Filmkritik

Mortal Engines, NZ/USA 2018 • 128 Min • Regie: Christian Rivers • Mit: Hera Hilmar, Robert Sheehan, Jihae, Leila George, Hugo Weaving, Stephen Lang • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 13.12.2018 • Deutsche Website

Handlung

Nachdem sich die Menschheit bei einem "60-Minuten-Krieg" weitgehend vernichtet hat, hat sich aus der Asche der alten Zivilisation eine neue Weltordnung erhoben. Mehr als 1000 Jahre in der Zukunft durchstreifen Städte als gigantische Festungen auf Rädern die verdorrte postapokalyptische Landschaft. Es herrscht das Prinzip des "städtischen Darwinismus": Fressen oder gefressen werden. Große Raubtierstädte jagen kleinere Städte und verschlingen sie, um an ihre Ressourcen zu kommen. Eine der mobilen Städte ist London, die auf der Suche nach neuen Jagdgründen Großbritannien für das europäische Festland verlassen hat. In der Stadt lebt auch der junge Waise Tom Natsworthy (Robert Sheehan), dessen Traum, Pilot zu werden, mit dem Tod seiner Eltern zerplatzte. Nun arbeitet er als Historikerlehrling in einem Museum und sammelt Technologien der Alten Welt. Sein Vorbild ist Thaddeus Valentine (Hugo Weaving), ein Historiker, dessen Forschungsprojekt London langfristig mit Energie versorgen soll. Toms Leben ändert sich jedoch schlagartig, als Hester Shaw (Hera Hilmar) nach London gelangt. Die junge Frau, die ihre Gesichtsnarben hinter einem Tuch verbirgt, hat eine persönliche Rechnung mit Valentine offen. Der ahnungslose Tom verhindert ihren Mordanschlag auf ihn, erfährt dabei jedoch unangenehme Wahrheiten über den vermeintlichen Retter der Stadt, woraufhin er von Valentine über Bord gestoßen wird. Gestrandet im gefährlichen Ödland, ist er nun auf Hesters Hilfe angewiesen. Doch nicht nur Valentine ist hinter ihnen her, sondern auch ein untoter Killer namens Shrike (Stephen Lang) mit einer ganz besonderen Verbindung zu Hester.

Kritik

Wenn Effektespezialisten ihr Debüt als Regisseure feiern, kann man sich in der Regel zumindest auf eine Sache verlassen: Die Filme sehen fantastisch aus. Das war schon bei Robert Stormbergs Maleficent der Fall ebenso wie bei Gareth Edwards' Monsters (und noch viel mehr bei seinem Godzilla). Auch Mortal Engines – Krieg der Städte ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Der Film ist zwar ein Herzensprojekt des Herr-der-Ringe-Regisseurs Peter Jackson, der ihn produziert und auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, doch die Regie hat er seinem Protegé Christian Rivers überlassen. Rivers arbeitet als Storyboarder und VFX Supervisor seit Braindead mit Peter Jackson zusammen und gewann für Jacksons King Kong auch verdient den Effekte-Oscar. Die Bilder, die Rivers in seinem Regiedebüt auf die Leinwand zaubert, sind berauschender visueller Bombast in seiner Reinform und verlangen nach der größtmöglichen Leinwand.

Mortal Engines - Krieg der Städte (2018) Filmbild 1Diese Kritik basiert auf einer Sichtung des Films in IMAX 3D, also den besten Voraussetzungen dafür, dass die größte Stärke des Films am besten zur Geltung kommt. Nachdem uns die Stimme aus dem Off kurz und knackig über den Untergang und die Wiederauferstehung der Zivilisation aufklärt (nette Verarbeitung des Universal-Logos!), eröffnet der Film mit seiner spektakulärsten Szene. Metropole London rollt als überdimensionaler Stadtpanzer, gekrönt von St. Paul’s Cathedral, auf einem Kettenlaufwerk durch eine karge Landschaft. Plötzlich ist ein kleines Städtchen in Sichtweite. Eine rasante Verfolgungsjagd, wie man sie so noch nie gesehen hat, beginnt. Die Designs der teilweise sehr chaotisch aussehenden Steampubk-Städte wecken Erinnerungen an Hayao Miyazakis Das wandelnde Schloss. Der Einstieg in diese postapoakyltische Welt ist gelungen, bildet aber auch schon den Höhepunkt des Films.

Leider spiegelt sich der visuelle Einfallsreichtum des Films in seiner abgenudelten Geschichte und dünnen Charakteren nicht wider. Mortal Engines ist ein Film, der so sehr mit seinen zugegebenermaßen beeindruckenden Schauwerten beschäftigt ist, dass der generische Plot beinahe als Nebensache nach Schema F abgehandelt wird. So toll die Welt von Mortal Engines aussieht, so wenig originell sind die Ideen dahinter. Jackson und seine Co-Autorinnen Fran Walsh und Philippa Boyens bedienen sich besonders großzügig bei Star Wars, aber auch mehr als ein Hauch von Mad Max und Die Tribute von Panem ist zu erkennen, während Rivers' visuelle Umsetzung hier und da an Terry Gilliam erinnert. Da ich mit Philip Reeves Roman nicht vertraut bin, kann ich nicht sagen, wie viel davon auf die Vorlage zurückgeht, doch letztlich werden sehr viele Elemente den Zuschauern vertraut vorkommen.

Mortal Engines - Krieg der Städte (2018) Filmbild 2Es ist natürlich keineswegs verwerflich, sich von großen Vorbildern inspirieren zu lassen. Schließlich hat Star Wars unzählige Fantasy- und Sci-Fi-Blockbuster über die Jahrzehnte beeinflusst. Es ist die Umsetzung dieser bekannten Elemente, auf die es ankommt, und vom Visuellen abgesehen, wirkt diese in Mortal Engines vor allem zweckmäßig. Nach dem furiosen Auftakt, sobald Hester und Tom außerhalb von London landen, verfällt der Film in einen gewissen Trott, bei dem Dinge ohne viel Energie und Elan passieren, weil sie passieren müssen, um die Geschichte voranzutreiben, ohne dass am anfangs so vielversprechenden Worldbuilding oder den Charakteren gearbeitet wird. Das ist zwar aufgrund der zahlreichen soliden, wenn auch zum Teil zu schnell geschnittenen Actioneinlagen nicht langweilig, aber auch nicht so mitreißend, wie es hätte sein können, wenn die Helden und die Einsätze, um die es hier geht, einen auch nur ein bisschen kümmern würden.

Mortal Engines - Krieg der Städte (2018) Filmbild 3Dass ein Film von solchen Maßstäben wie Mortal Engines fast gänzlich auf unverbrauchte, neue Gesichter setzt – den meisten Kinogängern wird lediglich Hugo Weaving vertraut sein – ist in der Tat erfrischend. Der Film macht jedoch nicht viel daraus. Die isländische Schauspielerin Hera Hilmar ("Da Vinci’s Demons") hinterlässt als verwegene, widerstandsfähige, aber auch (nicht nur äußerlich) zutiefst verletzte Heldin einen sehr positiven Eindruck, doch das Drehbuch wird ihrer Performance nicht gerecht. Robert Sheehan ("Misfits") ist als Tom der klassische Luke-Skywalker-Verschnitt (jedoch ohne besondere Kräfte) – ein fader, weitäugiger, begeisterungsfähiger Held und Optimist. Wenn in der zweiten Filmhälfte unausweichlich die Funken zwischen Hester und Tom sprühen, passiert das nicht, weil die beiden Chemie haben oder der Film die Beziehung vorbereitet hat, sondern weil das Drehbuch es so diktiert. Als ultracoole Rebellenkämpferin Hanna Solo Anna Fang hat die südkoreanische Musikerin Jihae viel Stil und keinerlei Substanz. Hugo Weaving ist charismatisch wie eh und je, verkommt jedoch sehr schnell zu einem eindimensionalen Bösewicht.

Die faszinierendste Figur des Films und dessen überraschendes Herz ist Stephen Lang als Zombie-Terminator Shrike. Leider kommt er zu kurz und verschwindet aus dem Film gerade wenn er am interessantesten wird.

Mortal Engines - Krieg der Städte (2018) Filmbild 4Der Film hat einige gute Einfälle. So gibt es ein herrlich amüsant erklärtes Cameo der Minions, das möglicherweise mehr oder weniger subtile Gesellschaftskritik enthält. Auch die unendlich haltbaren Süßigkeiten aus der alten Welt oder die Bewunderung eines Toasters lassen einen schmunzeln. Es sind diese kleinen Momente des Worldbuilding, von denen man sich mehr wünscht, um sich wirklich auf diese ungewöhnliche Welt einlassen zu können. Diese sind jedoch im ersten Akt abgearbeitet und danach geht es über mehrere Umwege, einschließlich einer umwerfenden Luftstadt (Star Wars lässt wieder grüßen), zur Rebellenbasis für einen verzweifelten, finalen Angriff auf den Todesstern, ähhh, London. Als der Streifen dann noch den am wenigsten überraschenden Twist des Jahres serviert, kann man nur noch die Augen rollen und sich wundern, ob Jackson nicht eigentlich doch viel lieber ein Abenteuer aus einer weit entfernen Galaxie umgesetzt hätte.

Es ist recht unwahrscheinlich, dass Jackson und Rivers die Gelegenheit bekommen werden, die verbleibenden drei Romane aus Reeves Zyklus über Tom, Hester und die mobilen Städte zu adaptieren. Die gute Nachricht ist jedoch, dass im Gegensatz zu vielen Filmen, die hoffen, ein neues Franchise zu werden, Mortal Engines ein in sich gut abgeschlossenes, zufriedenstellendes Ende hat.

Fazit

Obwohl Peter Jackson die treibende Kraft hinter Mortal Engines ist, erinnert der Film kaum an sein Mittelerde-Epos Der Herr der Ringe. Vielmehr ist er eine Young-Adult-Version von Mad Max, mit schamlosen Anleihen bei Star Wars. Der Streifen bietet herausragende Schauwerte, interessante Ansätze einer faszinierenden Welt und eine sympathische, starke Heldin, jedoch weder seine Geschichte noch seine Charaktere sind ausreichend ausgearbeitet.

Trailer

Robin Hood (2018) Kritik

Robin Hood 2018 Filmkritik

Robin Hood, USA 2018 • 116 Min • Regie: Otto Bathurst • Mit: Taron Egerton, Jamie Foxx, Eve Hewson, Ben Mendelsohn, Tim Minchin, Jamie Dornan, F. Murray Abraham, Paul Anderson • FSK: n. n. b.• Kinostart: 10.01.2019 • Deutsche Website

Handlung

Der junge Adlige Robin of Loxley (Taron Egerton) hat gerade sein Liebesglück mit der feschen Marian (Eve Hewson) gefunden, da wird er zum Dienst für das Vaterland im Dritten Kreuzzug einberufen. Als er vier Jahre später traumatisiert und desillusioniert in seine Heimat zurückkehrt, steht er buchstäblich und metaphorisch vor dem Ruin seines früheren Lebens. In seiner Abwesenheit wurde Robin für tot erklärt, sein Besitz wurde vom Sheriff von Nottingham (Ben Mendelsohn) als Kriegspfand eingezogen und seine Liebste ist inzwischen mit dem Gerechtigkeitskämpfer und aufstrebenden Politiker Will (Jamie Dornan) liiert. Neuen Lebensmut gibt ihm sein ehemaliger maurischer Feind Yahya alias John (Jamie Foxx), der zuvor Robins Sinn für Gerechtigkeit erkannte und sich einem Schiff nach England schmuggelte. Er wird zu Robins Mentor und spornt ihn an, gegen die privilegierten Verantwortlichen zu kämpfen, die den beiden viel Leid verursachten. Dazu soll Robin sie dort treffen, wo es weh tut: beim Geld. Nach einer Reihe immer gewagterer Raubzüge wird er als The Hood zum Volksheld für die Unterdrückten und einem Dorn im Auge des Sheriffs und der Kirche.

Kritik

Robin Hood, der mythische mittelalterliche Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und das Vorbild vieler Anarchisten, bekommt mit dem Filmdebüt des britischen TV-Regisseurs Otto Bathurst ("Peaky Blinders") eine revisionistische Frischzellenkur verpasst. Vollgespickt mit politischen Allegorien auf die Gegenwart, ist der neue, von Leonardo DiCaprio mitproduzierte Robin Hood zwar gut gemeint, verfehlt aber im Gegensatz zu seinem Titelhelden sein Ziel massiv.

Bekanntlich raubte Robin Hood laut der Sage die Reichen und Adligen aus und gab das Geld an die Armen weiter. Der neue Film klaut dafür unverschämt bei Christopher Nolans Batman-Trilogie, Die Tribute von Panem, der "Assassin‘s Creed"-Spielereihe und Donald Trumps Reden, und versucht damit als hippe Robin-Hood-Version für Generation Z den armen Kinogängern Geld aus der Tasche zu ziehen. Leider hat der Film dabei jedoch nicht viel mehr zu bieten als Schall und Rauch (und Pfeile) und eine Handvoll guter, aber verschwendeter Darsteller.

Robin Hood 2018 Filmbild 1"Ich würde euch sagen, in welchem Jahr diese Geschichte spielt, aber ich erinnere mich nicht." Mit dieser Voiceover-Ansage beginnt das neue Abenteuer von Robin Hood und schafft die Grundlage für eine anachronistische Interpretation der Legende. Obwohl der Dritte Kreuzzug den zeitlichen Rahmen als Ende des 12. Jahrhunderts vorgibt, kommt man nicht umhin, sich während des Films zu fragen, ob das Ganze nicht doch eine Dystopie sein soll, die in ferner Zukunft angesiedelt ist. Das Armenviertel von Nottingham, in Film ominös als "die Minen" genannt, sieht wie eine Mischung aus den Panem-Distrikten und einem riesigen Stahlwerk aus. Mittendrin in diesen rußgeschwärzten Slums lebt auch Eve Hewsons Marian, perfekt gestylt und mit Outfits, die sie offenbar soeben in der Nottingham-Filiale von H&M eingekauft hat. Auch die Bekleidung der anderen Hauptfiguren sieht ähnlich unzeitgemäß aus. Natürlich ist das kein gravierender Fehler der Kostümbildner der Produktion, sondern eine bewusste Entscheidung der Macher. Kann man machen. Schließlich hat Ritter aus Leidenschaft vor 17 Jahren schon eine anachronistische Version des Mittelalters in die Kinos gebracht. Es würde Brian Helgelands Film jedoch ein Unrecht tun, ihn mit Robin Hood anno 2018 zu vergleichen. Bei Ritter aus Leidenschaft ging das Konzept dank viel Augenzwinkern und unbekümmerter Attitüde gut auf. Der modernisierte Robin Hood zieht es hingegen mit der Ernsthaftigkeit eines Totengräbers durch, verzweifelt darum bemüht, für das Publikum von heute hip und relevant zu sein.

Robin Hood 2018 Filmbild 2Das erstreckt sich auch auf die Dialoge ("I wanna go big!") und die Actionsequenzen. Die Kriegsszenen in "Arabien" zu Filmbeginn sollen die moderne Kriegsrealität in Irak oder Afghanistan widerspiegeln. Daher sehen Robin und die anderen Kreuzritter in ihren Schutzwesten darin so aus, als seien sie geradewegs in eine Szene aus American Sniper hereingestolpert und man hätte die Sturmgewehre per Photoshop mit Bögen ersetzt. Passend dazu gibt es auch ein Quasi-Maschinengewehr, das mit Pfeilen schießt, eine Pfeile-Bazooka (!) und mehr Explosionen, als man einem Film über das 12. Jahrhundert zumuten sollte.

Nach diesen "Call of Duty: Medieval Warfare"-Szenen widmet sich der Film seiner eigentlichen Ambition: aus Robin Hood einen Superhelden zu machen. Genau genommen, einen bestimmten Superhelden. Wenn unser Held bei Tag als Robin of Loxley, ein reicher, sorgloser Gönner der Kirche in der Öffentlichkeit auftritt, und bei Nacht als The Hood deren Schatztruhen ausräumt, liegt der Vergleich zum Doppelleben eines gewissen Bruce Wayne auf der Hand. Oder auch zur Serienversion von Green Arrow, der die Fans des DC-Superhelden sowieso schon lange vorwerfen, aus ihm Batman mit Pfeil und Bogen gemacht zu haben. Anders gesagt: Taron Egerton spielt Robin Hood als Green Arrow als Batman aus Nolans Filmen.

Robin Hood 2018 Filmbild 3Der Kingsman-Star ist sympathisch und mit seiner jugendlichen Energie wäre er bestens dazu geeignet gewesen, seinen Robin Hood von den jüngsten Darbietungen von Russell Crowe und Kevin Costner abzugrenzen. Doch der Film verschwendet seinen natürlichen Charme, sattelt ihn mit einem Liebesdreieck sowie einer zum ungünstigsten Zeitpunkt plötzlich auftretenden PTSD und zwingt ihn in die engen Vorgaben eines Superhelden-Origins-Films.

Die meisten anderen Darsteller kommen leider nicht besser weg. Jamie Foxx knurrt sich durch den Film und wirkt die meiste Zeit genervt davon, dass er überhaupt dabei ist. Tim Minchins Simon-Pegg-Imitation als Bruder Tuck entlockt nicht die erhofften Lacher. Shades-of-Grey-Star Jamie Dornan hat als Will Scarlet die undankbarste Rolle des Films. F. Murray Abraham spielt einfach den Strippenzieher Dar Adal aus "Homeland" weiter, hier jedoch in einer Kardinalsrobe. Bonos Tochter Eve Hewson macht bei Marians Einführung als mutige, draufgängerische Diebin (mit einem ablenkend tiefen Dekolletee) noch einen vielversprechenden Eindruck, doch sie verkommt schnell zu einer weitgehend passiven Figur, deren größter Zweck darin besteht, den Konflikt zwischen Robin und Will anzuheizen. Dabei hat sie leider weder mit Egerton noch mit Dornan jegliche Chemie. Die Figuren in Disneys 80-minütigem Robin-Hood-Zeichentrick, in dem Robin ein Fuchs und Little John ein Bär waren, waren sympathischer und vielschichtiger als in der neuen Version.

Robin Hood 2018 Filmbild 4Am besten behauptet sich noch Ben Mendelsohn, Christoph Waltz' inoffizieller Nachfolger als Hollywoods erste Wahl für Schurkenrollen (Rogue One, Ready Player One). Als jahrgangsbester Absolvent der Al-Pacino-Schule des überlauten Overactings haz er die besten Zeilen des Drehbuchs und droht anderen Charakteren an, sie in Schweineblut zu ertränken oder in Pisse zu kochen. Dazu bekommt der Sheriff im Gegensatz zu allen anderen Figuren sogar eine zusätzliche Dimension, als der Film auf die Idee kommt, Kindesmissbrauch durch Priester zu einem seiner weiteren Themen zu machen.

Ja, das neue Abenteuer des berühmten Schlitzohrs Robin Hood enthält unsubtile Anspielungen auf moderne Kirchenskandale, von Machtgier motivierte Kriege, die Ausbeutung der 99% (man denke "Occupy Notthingham") und leidenschaftliche Hetzreden gegen den Islam. Leider wirkt das alles nicht annähernd so clever und aufgeklärt, wie der Film es gerne hätte, sondern aufgesetzt bis hin zu deplatziert. Als Actionfilm ist Robin Hood leider auch nicht viel abzugewinnen. Erreichen die frühen Kriegsszenen noch einen gewissen Grad an Intensität und Unmittelbarkeit, werden diese später durch Dunkelheit und ultrahektischen Schnitt zunichte gemacht. Wenn Robin Hood durch die Luft fliegt und dabei seine Pfeile in Zeitlupe abfeuert, wirkt das nicht annähernd so cool, wie vom Regisseur beabsichtigt. Und weder eine Trainingsmontage à la Rocky noch die Hans-Zimmer-lite-Musik machen aus diesem Film einen Batman Begins, so gerne er das auch wäre.

Robin Hood 2018 Filmbild 5Als der Film dann mit einer Enthüllung im dritten Akt und dem dummdreisten Ende, das eine Fortsetzung vorbereitet, die niemals kommen wird, endgültig ins Absurde abgleitet, wird der neue Robin Hood auf eine gewisse Weise sogar faszinierend, wenn auch keineswegs gut. So sehr der Film nach der Sternen greift, die besten Vergleiche sind Peter Hyams' The Musketeer und Guy Ritchies letztjähriger King Arthur: Legend of the Sword. Beide Filme versuchten ebenfalls, einen angestaubten Heldenmythos zu modernisieren, und fielen damit auf die Fresse. "Vergesst die Geschichte. Vergesst, was ihr glaubt. Vergesst, was ihr wisst", ermahnt zu Beginn die Stimme aus dem Off, was hinterher als präventive Ausrede für die vielen Fehltritte des Films interpretiert werden kann. Die Zuschauer werden den Rat vermutlich treu befolgen und auch diesen Film sehr schnell vergessen.

Fazit

So sehr der neue Robin Hood auch hip, modern und relevant sein möchte, es steckt kein Funken Originalität in dem aus zahlreichen besseren Vorbildern zusammengeklauten Streifen, dessen politische Intentionen gut gemeint sind, aber letztlich hohl klingen. Lediglich Ben Mendelsohns amüsant überzogene Performance als Bösewicht und die zunehmende Absurdität des Plots bleiben nach diesem stumpfen Filmerlebnis in Erinnerung.

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Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen (2018) Kritik

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmkritik

Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald, GB/USA 2018 • 134 Min • Regie: David Yates • Mit: Eddie Redmayne, Johnny Depp, Jude Law, Katherine Waterston, Alison Sudol, Dan Fogler, Zoë Kravitz, Ezra Miller • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 14.11.2018 • Deutsche Website

Handlung

Einige Monate nach den turbulenten Ereignissen in New York, die Teile der Stadt in Schutt und Asche legten, sitzt der gefährliche Dunkle Zauberer Gellert Grindelwald (Johnny Depp) in Gefangenschaft und soll nach Europa überführt werden, um dort für seine Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen gelingt Grindelwald eine spektakuläre Flucht. Er verschwendet keine Zeit, schart seine treuen Anhänger um sich und schmiedet einen teuflischen Plan. Für dessen Umsetzung braucht er jedoch Credence (Ezra Miller), den jungen Zauberer, der seinen mächtigen und in New York beinahe vernichteten Obscurus inzwischen unter Kontrolle gebracht hat. Grindelwalds Jugendfreud Albus Dumbledore (Jude Law) gilt als einziger Zauberer, der Grindelwald ebenbürtig oder gar überlegen ist, doch aus gewissen Gründen kann er nicht selbst gegen ihn antreten. Daher bittet er heimlich seinen ehemaligen Schüler, den leidenschaftlichen Magizoologen Newt Scamander (Eddie Redmayne), sich an Grindelwalds Fersen zu heften und ihm bei der Suche nach Credence zuvorzukommen. Da Newt nach dem Zwischenfall in New York die Reisegenehmigung durch das Zaubereiministerium entzogen wurde, macht er sich illegal nach Paris auf, um Dumbledores Auftrag zu erfüllen. Begleitet wird er von seinem Muggel-Freund Jacob (Dan Fogler), der in Paris nach seiner launenhaften Hexenfreundin Queenie (Alison Sudol) sucht. Newt hofft wiederum, Queenies Schwester Tina (Katherine Waterston) wiederzutreffen. Sie wurde inzwischen wieder zur Aurorin befördert und sucht auf eigene Faust nach Credence. Jedoch sind Newt, Tina, Grindelwald und das Zaubereiministerium nicht die einzigen, die hinter dem jungen Mann her sind.

Kritik

Bücher und Filme sind zwei grundverschiedene Medien, eine Tatsache, die viele Leser vergessen oder ausblenden, wenn sie sich darüber beschweren, dass eine Romanverfilmung ihre Lieblingsszene aus der Vorlage herausgelassen hat. Und obwohl beide Medien von ihren Erschaffern große Kreativität erfordern, bedeutet es nicht, dass wenn man in einem davon sehr gut ist, sich das auch automatisch auf das andere überträgt. Niemand kann Harry-Potter-Schöpferin J.K. Rowling ihre unbändige Vorstellungskraft und die Fähigkeit, bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete magische Welten zu erschaffen, abstreiten. Sie als J.R.R. Tolkien ihrer Generation zu bezeichnen, wäre nicht weit hergeholt. Doch während ihr Talent als Schriftstellerin unbestritten ist, tut sie sich als Drehbuchautorin auch bei ihrem zweiten Versuch schwer. Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen ist ein ambitionierter, zum Teil sogar mutiger, aber auch hoffnungslos überfrachteter Film, dessen zahlreichen Handlungsstränge sich deutlich besser für einen Roman als für das Drehbuch eines 134-minütigen Films eignen.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 1Zunächst haben wir die Haupthandlung rund um Newt und seine Suche nach Credence und Grindelwald sowie Grindelwalds Streben nach Macht, dessen Vorstellungen von Blutreinheit nicht weit von Voldemorts (oder Hitlers) entfernt sind. Aber auch diverse aktuelle und verflossene Liebschaften kommen ins Spiel. Newt möchte wieder Teil von Tinas Leben werden, die sich von ihm nach einem Missverständnis entfernt hat. Dabei trauert er jedoch möglicherweise immer noch seiner Verflossenen nach, Leta Lestrange (Zoë Kravitz), die ihre eigenen Dämonen hat und inzwischen mit Newts Bruder Theseus (Callum Turner) verlobt ist. Dieser versucht wiederum, Newt für die Arbeit im Ministerium zu gewinnen. Newt wird zudem von seiner liebenswerten Assistentin Bunty (Victoria Yeates) angehimmelt. Jacob und Queenie lieben sich, haben jedoch sehr unterschiedliche Wege, mit ihrer in der Zaubereiwelt verbotenen Beziehung umzugehen. Dass Grindelwald und Dumbledore einst mehr als nur innige Freundschaft verband, wird vom Letzteren auch stark angedeutet. Dann haben wir noch Credence, der nach seiner wahren Familie sucht. Begleitet wird er von der mit einem Blutfluch belegten indonesischen Hexe Nagini (Claudia Kim), die sich nachts in eine Schlange verwandelt und eines Tages diese Form permanent beibehalten wird. Harry-Potter-Fans wissen natürlich, wohin das führen wird. Nicht unwesentlich für die Geschichte sind außerdem der senegalesische Zauberer Yusuf Kama (William Nadylam) und ein Kopfgeldjäger des Zaubereiministeriums, gespielt von Ingvar Eggert Sigurðsson.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 2Wenn das nach ziemlich viel für einen Film klingt, dann liegt es daran, dass es auch zu viel ist. Die Pfade vieler dieser Figuren kreuzen sich auf teilweise überraschende und manchmal tragische Arten und Weisen, und der Film duldet wirklich keine Augenblicke der Unaufmerksamkeit. Ihre Detailverliebtheit und zum Teil ausschweifende Nebenhandlungen, die zur Figurengestaltung oder zum Ausbau der Mythologie dienten, waren schon immer die Stärken von Rowlings "Harry Potter"-Romanen. Sie stellten jedoch Drehbuchautoren und Regisseure vor die Herausforderung, die Geschichten aufs Wesentliche zu verdichten, um den Verfilmungen einen klaren Fokus zu geben. Auch wenn so manche unter Fans beliebte Nebenhandlungen dann wegfallen mussten, geschah dies in der Regel zum Vorteil der Filme.

Ohne eine solche Kontroll-Zwischeninstanz für Rowlings Fantasie ufert die Handlung des neuen Films aus.  Zum Ende hin werden die meisten Subplots weitgehend erfolgreich zusammengeführt, doch der Weg dorthin ist hektisch. Wir springen von einem Schauplatz und einer Geschichte zur nächsten. Das geht auf Kosten der einzelnen Geschichten und Charaktere. David Yates in der Zauberwelt inzwischen routinierte Regie prescht immer vorwärts, die meisten Szenen und Interaktionen von Charakteren ein Mittel zum Zweck, die komplexe Geschichte zu ihrem großen, aufregenden und tatsächlich auch emotionalen Finale zu bringen. Dabei hätte es manchen Szenen und Figuren gut getan, mehr Raum zu bekommen, um ihre Eigendynamik weiter zu entwickeln. So bleibt beispielsweise die potenziell interessante Vorgeschichte zwischen Newt und Leta auf einige kurze Flashbacks und bedeutungsschwangere Blicke beschränkt.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 3In einem Punkt hat Rowling allerdings seit ihrem Vorgänger dazugelernt. Grindelwalds Verbrechen ist nicht mehr tonal durcheinander. Es gelang dem ersten Film zum Teil nicht, seine leichtfüßigen, nach Familienkomödie anmutenden und ernsten Elemente zu einem stimmigen Ganzen zusammenzubringen. In dieser Hinsicht wirkt die Fortsetzung wie aus einem Guss und entscheidet sich komplett für die dunkle Seite. Grindelwands Verbrechen ist erheblich düsterer und ernster als sein Vorgänger. Es ist ein Film, in dem Kleinkinder dem Tode geweiht sind. Vergewaltigung und emotionaler Missbrauch in Beziehungen werden indirekt, aber klar erkennbar thematisiert. Dass Grindelwald als ein ideologisch verwerflicher, aber rhetorisch gewandter Anführer, der auch gute und aufrichtige Seelen für seine Sache zu gewinnen weiß, in unserer Welt eine reale Entsprechung hat, ist kein Zufall.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 6Eine Schwäche der Reihe bleibt leider ihr Protagonist. Es ist schwer zu sagen, ob es an Eddie Redmaynes eher eintönigem Auftreten (verlegen zur Seite schauen, sozial ungeschickt agieren und sich regelmäßig eine Haarlocke ins Gesicht fallen lassen) liegt, oder daran, wie seine Figur geschrieben ist, doch umgeben von einem fantastischen Ensemble und einer vor Wundern strotzenden Welt, wirkt Newt sehr blass. Auch Harry Potter war nicht die vielschichtigste Figur, doch seine Erlebnisse als Heranwachsender machten ihn nahbarer. Newt hat keine Ecken, Kanten oder erkennbare Facetten. Er ist einfach durch und durch gutherzig, optimistisch, idealistisch und, wenn man Dumbledore Glauben schenkt, ein äußerst talentierter Magier, auch wenn wir davon noch nicht viel zu sehen bekommen haben. Angesichts der Fülle an Charakteren bekommt Redmayne auch kaum die Gelegenheit, mehr aus seinem Charakter zu machen, als die durch das Drehbuch skizzierte Version.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 4Dafür ist Jude Law ein äußerst willkommener Neuzugang. Anstatt Richard Harris oder Michael Gambon zu kopieren, macht er sich Dumbledore zu Eigen und es funktioniert blendend. Seine Auftritt ist souverän, geistreich, leicht verspielt und doch mit tief sitzender Traurigkeit und Bedauern. Es sind die Szenen mit ihm in Hogwarts, die zu den besten des Films gehören und allein schon durch die vertraute "Hedwig’s Theme"-Musik die Herzen aller Potter-Fans höher schlagen lassen sollten.

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt auch Zoë Kravitz in ihrer viel zu kurzen Screentime. Sie strahlt zugleich Eleganz, atemberaubende Schönheit und Zerbrechlichkeit aus, die in der tragischen Vorgeschichte ihres Charakters begründet ist. Dan Fogler und Alison Sudol, die überraschenden Highlights des letzten Films, haben auch im Sequel starke Momente. Fogler sorgt für ein klein wenig Heiterkeit in der ansonsten recht grimmigen Geschichte und Sudol macht als quirlige Queenie die vermutlich interessanteste Entwicklung in dem Film durch. Diese ist zwar nicht gänzlich glaubwürdig, doch mit ihrer Mischung aus Unschuld, Naivität und einem Schuss Unberechenbarkeit lässt Sudol einen darüber hinwegsehen.

Phantastische Tierwesen Grindelwalds Verbrechen (2018) Filmbild 5Viele wird es natürlich interessieren, wie sich Johnny Depp in der Titelrolle als Grindelwald macht und die Antwort ist…ganz solide. Es ist Johnny Depp, der eine exzentrische, überlebensgroße Figur spielt. Das hat man schon häufig gesehen, man weiß was einen erwartet und Depp ist routiniert darin. Wer auf einen neuen ikonischen Filmbösewicht hofft, wird vermutlich enttäuscht sein. Grindelwald ist eine eindimensionale, sehr auf ihr simples Ziel ausgerichtete Figur, der Depp adäquat Leben einhaucht, während das Kostüm- und Makeup-Team den Rest erledigt.

Wie alle Filme aus dem Harry-Potter-Universum besticht auch Phantastische Tierwesen 2 durch eine berauschende Optik. Von Colleen Atwoods kreativen Kostümdesigns über üppige Kulissen bis hin zu phänomenalen Computereffekten ist der Film ein Spektakel, das nach der größtmöglichen Leinwand verlangt. Grindelwalds Flucht in schwindelerregender Höhe ist eine mitreißende Sequenz, ebenso wie der finale Showdown. Obwohl sich die Hauptgeschichte nun auf den klassischen Gut-gegen-Böse-Konflikt fokussiert, kommen die titelgebenden phantastischen Tierwesen auch nicht zu kurz und werden noch besser als im Vorgänger in die Handlung integriert. Die Highlights sind der chinesische Drachenlöwe Zouwu, die unwirklich süßen (und nützlichen!) Niffler und die gruseligsten Filmkatzen seit Friedhof der Kuscheltiere.

Fazit

Bei J.K. Rowlings und David Yates' zweitem, sehr düsterem Ausflug in die Welt der phantastischen Tierwesen wäre weniger mehr gewesen. Visuell ist Grindelwalds Verbrechen eine Augenweide, die wendungsreiche Geschichte hegt mutige Ambitionen und einige Momente, insbesondere mit Jude Law als Dumbledore, beschwören erfolgreich die Harry-Potter-Magie herauf. Doch ein mit unzähligen Nebenhandlungen und Figuren überladener Plot und eine blasse Hauptfigur hindern die Fortsetzung daran, mit den besten Filmen aus dieser magischen Welt mitzuhalten.

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Operation: Overlord (2018) Kritik

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Operation: Overlord (2018) Filmkritik

Overlord, USA 2018 • 110 Min • Regie: Julius Avery • Drehbuch: Billy Ray, Mark L. Smith • Mit: Jovan Adepo, Mathilde Ollivier, Wyatt Russell, John Magaro, Iain De Caestecker, Pilou Asbæk, Dominic Applewhite • Kamera: Laurie Rose, Fabian Wagner • Musik: Jed Kurzel • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 8.11.2018 • Deutsche Website

Wenn man sich Julius Averys „Operation: Overlord“ anschaut, wird vor allem eines sehr deutlich: Die im Zeitalter der Digitalisierung zunehmende und aufgrund von schrumpfender Gedächtnisspanne des Mainstreampublikums leider notwendige Über-Anpreisung und Franchisisierung des Produktes „Film“ sorgt dafür, dass inhaltliche Wendungen den Zuschauern nur noch bei lukrativen Tentpoles wie Marvel oder Star Wars unter dem „Spoiler“-Banner stringent vorenthalten werden – dabei hätte gerade eine relativ kleine Produktion wie diese von einer ähnlich restriktiven Werbetaktik wie seinerzeit bei Alfred Hitchcocks „Psycho“ profitieren können. Doch wir sind freilich nicht mehr in den Sechzigern und „Operation: Overlord“ ist jetzt nunmal schon im Vorfeld der Zombiereißer, der im Zweiten Weltkrieg spielt. Dabei wäre es für ein von offensiven Plakaten und Trailern verschontes Publikum sicher spannender gewesen, ein düsteres Kriegsabenteuer im Stil von David Ayers „Herz aus Stahl“ präsentiert zu bekommen, das erst ab der zweiten Hälfte die Maske fallen lässt und unerwartet in den glitschigen „Re-Animator“-Modus schaltet. Wie dieser plötzliche Genretwist letztlich aufgenommen worden wäre, wäre dann natürlich abzuwarten gewesen.

Operation: Overlord 1

Mit einer fulminanten Eingangssequenz wirft sich die vom Newcomer Avery („Son of a Gun“) inszenierte und von Hollywoods Goldesel J.J. Abrams („Star Wars – Das Erwachen der Macht“) produzierte Schlachtplatte mitten ins Getümmel: Eine Einheit von US-Fallschirmspringern gerät am Vorabend des verheerenden D-Days über der Normandie unter Beschuss und nur ein kleiner Trupp der Männer überlebt den riskanten Absprung in das Inferno. So finden sich die Soldaten Boyce (Jovan Adepo), Ford (Wyatt Russell), Tibbet (John Magaro), Rosenfeld (Dominic Applewhite) und Chase (Iain De Caestecker) in einem finsteren Waldstück wieder, wo sie in der Zivilistin Chloe (zart und hart: Newcomerin Mathilde Ollivier) eine Verbündete treffen. Ihr Dorf befindet sich unter der Gewalt des grausamen Nazi-Offiziers Wafner (passend scheußlich: Pilou Asbæk), der die junge Frau unter Druck auch sexuell ausbeutet. Chloe gelingt es, die Amerikaner auf dem Dachboden ihres Hauses zu verstecken, doch irgendetwas stimmt auch hier definitiv nicht: Unter welcher mysteriösen Erkrankung leidet etwa ihre Tante, nachdem diese einige Tage lang von den Nazis verschleppt worden ist? In einem schwer gesicherten Bunker stößt Boyce schließlich auf das schreckliche Geheimnis des Ortes …

Operation: Overlord 2

Es ist wahrscheinlich, dass „Operation: Overlord“ mit seinem schamlosen Mix aus gleich zwei Exploitation-Subgenres nicht den hohen Ansprüchen von störrischen Arthouse-Snobs genügen wird. In der Tat handelt es sich hier um eine vor allem audiovisuell starke Formübung, die inhaltlich bis auf den nicht mehr wirklich twistigen Twist nichts grundlegend neues oder gar intellektuell stimulierendes bietet – und das muss sie auch gar nicht. So sehr die Begriffe Unterhaltungs- oder Popcornkino in vielen Diskursen Reizworte darstellen, so reizend fällt auch mein Urteil über das Werk aus: „Operation: Overlord“ ist ein Arschtritt von einem Film – und zwar so einer, den man sich gerne ein weiteres Mal gefallen lässt! Regisseur Avery versteht es, wie man Nervenkitzel, Humor, Entsetzen, Drama und eine sympathische Portion Pathos vereint, ohne dass sich eines der Elemente im Gesamtbild unpassend anfühlt. Wenn auch spürbar kantiger und schmuddeliger, erinnert der deftige Action-Splatter-Eintopf angenehm an ungezwungene Abenteuer-Blockbuster der Achtziger, in denen absurde Komikeinlagen (Stichwort: Motorradgespann) noch pointiert eingesetzt wurden und nicht gleich als endlose Ansammlung von Albernheiten jegliche Spannung ertränkten. Die Auswirkungen der Nazi-Experimente sind übrigens wahrhaft harte Kost (Stichwort: Kopf), was dann trotz irritierend niedriger FSK-16-Freigabe zum Vorteil von Gorehounds und Nachteil von zartbesaiteten Kinogängern ausfallen dürfte. Das vorweg als wahlweise Info oder Warnung.

Operation: Overlord 3

Während der hektische Beginn noch eine Identifikation mit den Figuren verwehrte, überrascht es im Verlauf doch, wie sehr einem letztlich alle zentralen Charaktere ans Herz wachsen und diese auch glücklicherweise nicht als bloßes Kanonen- oder Zombiefutter verwertet werden. Das ist dann wohl auch neben der aufwändigen und effektiven Umsetzung (besonderes Lob an den bedrohlichen Score von Jed Kurzel und die atmosphärische Kameraarbeit von Fabian Wagner sowie „Friedhof der Kuscheltiere“-DOP Laurie Rose) der größte Unterschied zu billigen Naziploitation-Streifen: Die teilweise grotesk brutalen Exzesse dienen vielleicht einem Selbstzweck, nur gehen zwischen Blut und Eingeweiden die Gesichter nie gänzlich unter. In gewisser Weise ist „Operation: Overlord“ auch der richtige Film zur falschen Zeit: Schon lange waren auf der Leinwand die Amis nicht mehr so hemmungslos heldenhaft und die Grenze zwischen schwarz und weiß so klar gezeichnet. Dabei ist der Inhalt nur formell Historie und entspricht ganz gewiss nicht unserer Gegenwart – wenn man Kino also nun als Realitätsflucht begreift, ist es vielleicht doch der richtige Film zur richtigen Zeit.


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Verschwörung (2018) Kritik

Verschwörung (2018) Filmkritik

The Girl in the Spider’s Web, USA/GB/D/SE/CA 2018 • 117 Min • Regie: Fede Alvarez • Mit: Claire Foy, Sverrir Gudnason, Sylvia Hoeks, Lakeith Stanfield, Stephen Merchant, Claes Bang • FSK: n. n. b.• Kinostart: 22.11.2018 • Website

Handlung

Die rebellische Hackerin Lisbeth Salander (Claire Foy) lebt untergetaucht in Stockholm. Immer wieder zieht sie die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich durch ihre Racheakte gegen Männer, die Frauen misshandeln. Ihre zaghafte Freundschaft zum Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason) ist seit einem Exposé, das er drei Jahre zuvor über sie publiziert hat, deutlich abgekühlt. Doch nun ist sie auf seine Hilfe angewiesen, nachdem ein Freelance-Hackerjob ihr mehr Ärger einhandelt, als sie es sich hätte vorstellen können. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Frans Balder (Stephen Merchant) bittet sie darum, ein mächtiges Programm, das er einst geschrieben hat und mit dem die Waffensysteme eines jeden Landes unter Kontrolle gebracht werden können, zu stehlen, damit er es vernichten kann. Der Hackangriff auf die US-Behörde verläuft erfolgreich, ruft jedoch nicht nur den cleveren NSA-Mann Needham (Lakeith Stanfield) auf den Plan, sondern auch eine mysteriöse kriminelle Organisation. Diese hat es ebenfalls auf das Programm abgesehen und geht dafür über Leichen. Frans wird ermordet, sein autistischer Sohn August entführt. Der Mord wird Lisbeth angehängt, die selbst nur knapp einen Mordanschlag überlebt. Mikael, der inmitten einer Schaffenskrise steckt, soll dabei helfen, herauszufinden, wer dahinter steckt. Eine überraschende Spur führt direkt in Lisbeths Vergangenheit…

Kritik

Mit Lisbeth Salander hat der schwedische Autor und Journalist Stieg Larsson eine postmoderne feministische Ikone erschaffen. Hochintelligent, zäh, unangepasst und mit einer rebellischen Scheiß-drauf-Attitüde begeisterte die Hackerin zunächst Millionen von Lesern und verhalf später gleich zwei Schauspielerinnen zum großen Durchbruch. Noomi Rapace wurde durch ihre Darstellung von Lisbeth in den schwedischen Adaptionen von Larssons drei Romanen weltweit bekannt, Rooney Maras furchtlose Interpretation brachte ihr eine verdiente Oscarnominierung ein.

Larsson hat die Popularität seiner ultracoolen Antiheldin leider nicht mehr miterlebt, da er noch vor der Veröffentlichung seiner Bücher an einem Herzinfarkt starb. Seine ursprünglich auf zehn Romane angelegte "Millennium"-Reihe, in die er neben spannenden Krimigeschichten auch politische Aussagen eingebunden hat, wurde jedoch einige Jahre nach seinem Tod durch David Lagercrantz fortgesetzt. Nun schafft es auch die erste dieser Fortsetzungen in die Kinos. Nachdem Sony trotz fünf Oscarnominierungen nur bedingt zufrieden mit der Performance von David Finchers kostspieliger Verblendung-Verfilmung war, wich das Studio nicht nur auf einen neuen Regisseur und Darsteller aus, sondern übersprang gleich den zweiten und dritten Roman, um direkt bei Lagercrantz' erstem Beitrag zur "Millennium"-Reihe anzusetzen. Ich kenne die Vorlage zu Verschwörung nicht, doch wenn der Film ihr im Großen und Ganzen entspricht, kann ich mir nicht vorstellen, dass Larsson sehr glücklich darüber gewesen wäre, was sie aus dem Duo Lisbeth und Mikael gemacht hat.

Verschwörung (2018) Filmbild 1Claire Foy hat sich die Rolle geschnappt, um die sich bereits zahlreiche junge Hollywood-Schauspielerinnen gerissen haben. Dass sie in Verschwörung deutlich weniger nachhaltigen Eindruck hinterlässt als ihre beiden Vorgängerinnen in der Rolle, liegt sicherlich nicht an Foys Talent, den sie über jeden Zweifel hinaus in der Netflix-Serie "The Crown" bewiesen hat, sondern daran, wie ihre Figur angelegt ist und welches Material sie bekommt. Gerade Verblendung – sowohl die schwedische als auch die US-amerikanische Version – schickte Lisbeth auf eine Tour de Force. Sie war in ihrer Weltfremdheit faszinierend, buhlte nie um die Sympathie ihrer Mitmenschen oder Zuschauer und nur gelegentlich blubberten bei ihr Gefühlsregungen knapp unter der Oberfläche. Verschwörung macht Lisbeth menschlicher, aber auch banaler. Ihre traumatischen Kindheitserfahrungen mit ihrer Schwester führen dazu, dass Lisbeth immer wieder abgelenkt wird, wenn sie ein Kind sieht. Ihre Gefühle verbirgt sie nicht mehr hinter einem undurchdringlichen Schutzwall. Von der punkigen Antiheldin ist nicht mehr viel übrig. Noch deutlich gewöhnungsbedürftiger ist, dass die neue Lisbeth zu einer Actionheldin stilisiert wird, die in Verschwörung mehr Actionsequenzen vorzuzeigen hat als bei allen bisherigen Auftritten der Figur zusammengenommen.

Foy ist bei der Performance nichts vorzuwerfen und den richtigen Look – abgesehen von der seltsamen Wahl eines Topfschnitts – hat sie auch drauf. Im Gegensatz zu Rapace und Mara fügt die Rolle ihrem Repertoire jedoch nicht viel hinzu und offenbart auch keine neuen Tiefen.

Verschwörung (2018) Filmbild 2Sie kommt jedoch deutlich besser weg als alle anderen Figuren in dem Film, die lediglich dazu da sind, um die Handlung voranzutreiben. Lisbeth war immer der wahre Star und der beliebteste Charakter der "Millennium"-Reihe, doch die Geschichten handelten genau so sehr von ihr wie von Mikael. In Verschwörung ist Mikaels Rolle so nebensächlich, dass sie überflüssig erscheint. Sverrir Gudnason, der zuletzt in Borg/McEnroe einen guten Eindruck gemacht hat, ist völlig blass und eindimensional in der Rolle. Die Entscheidung, seine Figur plötzlich deutlich zu verjüngen und nah an Lisbeths Alter zu bringen, ist schwer zu rechtfertigen. Dem für seine 40 Jahre sehr jugendlich aussehenden Gudnason kauft man einen sehr erfahrenen, mit allen Wassern gewaschenen Journalisten nicht wirklich ab.

Überhaupt schafft es der Film, eine beachtliche Anzahl an wirklich guten Schauspielern in schablonenhaften Rollen zu verschwenden, darunter Stephen Merchant (Logan – The Wolverine), Lakeith Stanfield ("Atlanta") und Claes Bang aus dem Cannes-Sieger The Square, der als stumpfer Killer auch ein drittrangiger James-Bond-Handlanger hätte sein können. Am übelsten dran ist Vicky Krieps, die sich zuletzt in Der seidene Faden sogar neben Daniel Day-Lewis behauptet hat, hier als Mikaels (ebenfalls deutlich verjüngte) Kollegin und Liebhaberin mit gerade einmal zwei oder drei nichtssagenden Szenen. Sylvia Hoeks (Blade Runner 2049) hat als Lisbeths Gegenspielerin immerhin eine unheimliche Ausstrahlung und kontrastiert auch optisch prächtig mit Claire Foy. Jedoch schöpft auch ihre unausgereifte Rolle das Potenzial kaum aus. Bonuspunkte gibt es jedoch für ihr  ultrastylisches und auf kilometerweite Entfernung auffälliges rotes Outfit.

Verschwörung (2018) Filmbild 4Der Vorteil, die vorherigen Romane auszulassen und gleich mit Band 4 zu beginnen, liegt darin, dass die Zuschauer endlich eine neue Geschichte aus der Welt des Mädchens mit dem Drachen-Tattoo zu sehen bekommen und Vergleiche mit einer anderen Version entfallen. Das hat jedoch auch zur Folge, dass essentielle Vorgeschichte fehlt. Auf die vorherigen Ereignisse wird im Film immer wieder mal angespielt und verwiesen, das reicht jedoch nicht aus, um dem zentralen Konflikt das nötige emotionale Gewicht zu verleihen.

Es waren nicht so sehr die Krimi-Plots, die Larssons Romane so gut gemacht haben, sondern seine Figuren. Diese Schlüsselerkenntnis ist den Machern von Verschwörung offenbar entgangen, die vertiefte Figurenzeichnung zugunsten eines flotten und actionreichen Plots opfern. Dieser ist jedoch leider auch mit zahlreichen Logiklöchern gespickt und verlässt sich sehr auf rettende Einfälle in letzter Sekunde. Jeder kennt es, wenn eine Bombe in Filmen eine Sekunde vor dem Ablauf des Countdowns entschärft wird. Jetzt stellt Euch vor, solche Last-Second-Aktionen sind über einen gesamten Film verteilt. Dazu werden auch gerne die Intelligenz und die Vernunft einiger Akteure nach Belieben variiert, damit es passt. Die Charaktere stehen im Dienste des Plots und nicht andersherum.

Verschwörung (2018) Filmbild 4Was Regisseur Fede Alvarez, der zuvor das solide Evil-Dead-Remake und den hochspannenden Thriller Don’t Breathe inszeniert hat, gelingt, ist ein passabler, flott erzählter Thriller, der trotz seiner Vorhersehbarkeit durchaus unterhält. Im Gegensatz zu Fincher schafft es Alvarez nicht, eigene Akzente zu setzen. Sogar der schön animierte Bond-eske Vorspann ist klar von Finchers Verblendung inspiriert. Er hat jedoch ein gutes Auge für markante Bilder, die von seinem Don’t-Breathe-Kameramann Pedro Luque auf die Leinwand gebannt wurden. Auch wenn dem Film insgesamt die schäumende Wut und die bitterböse Note von Finchers Film fehlt, gibt es zumindest eine sehr fiese Szene, die alle daran erinnert, dass Alvarez im Horrorgenre beheimatet ist. Ansonsten wirkt der Film wie eine kompetent inszenierte Auftragsarbeit. Adäquat, aber ohne Leidenschaft.

Fazit

Tauscht man die Namen der Protagonisten aus, dann bleibt Verschwörung ein durchschnittlicher, weitgehend spannungsarmer Thriller mit einigen wenigen Höhepunkten und schöner Optik. Regisseur Fede Alvarez schafft es im Gegensatz zu David Fincher nicht, eigene Akzente zu setzen, und der Film wird den von Stieg Larsson erschaffenen faszinierenden Hauptfiguren keineswegs gerecht.

Trailer

Box-Office USA: Halloween startet phänomenal

Halloween Box Office

© 2018 Universal Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Fünf Jahre lang hielt Gravity den Rekord des umsatzstärksten Startwochenendes im Oktober in Nordamerika. Dieses Jahr haben gleich zwei Filme dessen Startwochenende deutlich übertroffen. Während in Deutschland das Kinogeschäft dieses Jahr wirklich schleppend ist, können sich Kinobetreiber in den USA und in Kanada nicht über leere Säle beklagen. Vergangenes Wochenende nahmen die Top-12-Filme zusammengerechnet $158,8 Mio in den USA und in Kanada ein, 24% mehr als in der Vorwoche und beeindruckende 94% mehr als am gleichen Wochenende vor einem Jahr, als Tyler Perry’s Boo 2! A Madea Halloween die Charts anführte.

Kinogänger haben Michael Myers ganz offensichtlich sehr vermisst. Der erste Halloween-Film seit neun Jahren übertraf am Startwochenende die kühnsten Erwartungen. In 3928 Kinos spielte der Slasher phänomenale $76,2 Mio ein und erzielte einen Schnitt von $19405 pro Kino. Lässt man Inflation außer Acht, hat Halloween in den ersten drei Tagen bereits mehr eingespielt als jeder vorige Halloween-Film während seiner gesamten Laufzeit. Rob Zombies vor elf Jahren veröffentlichtes Remake war bislang der einspielstärkste Teil der Reihe in den USA mit $58,2 Mio, gefolgt von Halloween H20 mit $55 Mio. Sogar inflationsbereinigt haben nur vier der anderen zehn Halloween-Filme insgesamt mehr eingenommen als der neue zum Start. Die inflationsbereinigte Liste führt Carpenters Originalfilm mit $183,6 Mio an und es ist durchaus denkbar, dass der neue Streifen auch diesen hinter sich lassen wird.

David Gordon Greens Halloween, ein direktes Sequel zu John Carpenters erstem Film, der alle Nachfolger ignoriert, verfehlte nur knapp den Oktober-Startrekord, der zwei Wochen zuvor von Venom mit $80,3 Mio aufgestellt worden ist. Dennoch gehört Halloween der erfolgreichste Oktober-Starttag aller Zeiten mit $33,1 Mio. Den Ausschlag für Venoms Triumph gab sein Sonntagseinspiel.

Der gigantische Start von Halloween ist jedoch deutlich beeindruckender. Schließlich kostete der Film lediglich $10 Mio und ist jetzt schon profitabel für das Produktionsstudio Blumhouse. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es der insgesamt 11. Film aus einem 40 Jahre alten Horror-Franchise ist, das in der Zwischenzeit nicht gerade nur Meisterwerke herausgebracht hat. Dass der neue Halloween so unglaublich gut gestartet ist, spricht dafür, dass Michael Myers eine echte kulturelle Ikone geworden ist, aber auch dafür, dass Oktober die beste Zeit ist, um einen Halloween-Film in die Kinos zu bringen. So offensichtlich das auch erscheint, so haben Studios das offenbar lange nicht begriffen. Halloween 5 war der letzte Halloween-Film, der tatsächlich im Oktober angelaufen ist. Die viel beworbene Beteiligung von John Carpenter, die Rückkehr von Jamie Lee Curtis und das 40. Jubiläum des ersten Films taten ihr Übriges.

Halloween gelang darüber hinaus das beste Startwochenende für einen Horrorfilm dieses Jahr, noch vor The Nun ($53,8 Mio) und A Quiet Place ($50,2 Mio) sowie der zweitbeste Start eines Horrorfilms mit R-Rating (nur hinter Es). Die Mundpropaganda ist gerade für einen Horrorfilm wirklich sehr positiv. Die Zuschauerwertung CinemaScore betrug am Startwochenende "B+" (äquivalent einer "2+"). Erwartungsgemäß waren die Zuschauer überwiegend älter (59% über 25). Die besten Tage stehen Halloween noch bevor, da der namensgebende Feiertag erst kommende Woche stattfindet. Bis dahin sollte der Film weiterhin an US-Kinokassen abräumen. Auch wenn er danach abstürzt, wird er insgesamt mindestens $170-190 Mio in die nordamerikanischen Kinokassen spülen. Sogar eine kleine Chance auf $200 Mio hat der Film. Eins ist sicher: wir werden keine weiteren neun Jahren auf einen neuen Halloween-Streifen warten müssen!

Auf Platz 2 hielt sich zum dritten Mal in Folge Bradley Coopers Regiedebüt A Star is Born. Das Musikdrama mit Cooper und Lady Gaga hat weitere $19,1 Mio eingespielt und gab lediglich um 33% gegenüber der Vorwoche nach. Insgesamt hat der Film nach 17 Tagen $126,1 Mio in den USA und in Kanada eingenommen, was für das Genre großartig ist, erst recht mit einem R-Rating.

Mit Bohemian Rhapsody wird der Film in zwei Wochen erste direkte Konkurrenz seit seinem Start bekommen, doch Oscar-Hype wird A Star is Born vermutlich noch bis ins nächste Jahr begleiten und für geringe Rückgänge sorgen. Aktuell sieht es für den Film nach einem Gesamteinspiel in Höhe von $175-185 Mio aus. Jedoch sind auch $200 Mio nicht auszuschließen, falls der Film bei den Oscars wirklich punkten kann. Für Bradley Cooper ist A Star is Born bereits der neunte Film mit mehr als $100 Mio Einspiel in Nordamerika (von den Marvel-Filmen, in denen er Rocket Raccoon spricht, mal abgesehen).

Auf Platz 3 sank der Sieger der letzten zwei Wochen, Venom. Die Comicverfilmung nahm $18 Mio von Freitag bis Sonntag ein und baute 48,5% gegenüber dem vorigen Wochenende ab. Nach 17 Tagen steht der Film bei $171,1 Mio in Nordamerika und steuert zielsicher auf die $200-Mio-Marke zu. Insbesondere angesichts der zum Teil vernichtenden Kritiken ist die Box-Office-Performance des Films bemerkenswert. Weltweit hat die $100-Mio-Produktion bereits etwa $460 Mio eingenommen und wird sehr bald die halbe Milliarde knacken. In Nordamerika kommt erst mit Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen echte Blockbuster-Konkurrenz auf ihn zu, sodass Venom insgesamt $205-210 Mio einnehmen dürfte, bevor er die Kinos verlässt.

Auf Seite 2 verraten wir Euch unter anderem, wie potenzielle Oscarkandidaten The Hate U Give und Aufbruch zum Mond laufen.

"Marvel’s Daredevil" Staffel 3: Unsere Kritik zu Folgen 1-6

Daredevil Staffel 3 Kritik

Marvel’s Daredevil, USA 2018 • Laufzeit: 13 Folgen à 48-55 Min • Regie: Lukas Ettlin, Alex Garcia Lopez, Julian Holmes, Toa Fraser, u. a. • Mit: Charlie Cox, Vincent D’Onofrio, Wilson Bethel, Denorah Ann Woll, Elden Henson, Jay Ali, Joanne Whalley • Anbieter: Netflix • Veröffentlichungstermin: 19.10.2018

Diese Rezension basiert auf den ersten sechs Folgen der 3. "Daredevil"-Staffel und enthält leichte Spoiler!

Man sagt häufig, ein Held bzw. eine Geschichte seien nur so gut, wie ihr Antagonist. Dass es nicht pauschal zutrifft, merkt man zum Glück am Marvel Cinematic Universe, das bereits zahlreiche wirklich gute Filme hervorgebracht hat, in denen interessante und komplexe Bösewichte dennoch rar gesät waren. Es funktioniert also auch ohne, solange coole Helden und eine gelungene Inszenierung den Mangel eines mehrdimensionalen Gegners kompensieren. Ergibt sich jedoch die glückliche Fügung, dass ein überzeugender Held auf einen interessanten Schurken trifft, hat man den Jackpot geknackt. Noch mehr als die Filme betrifft das Marvels Netflix-Serien. Es ist eben deutlich schwieriger, die Geschichte 13 Folgen lang alleine vom Protagonisten vorantreiben zu lassen, wenn der Bösewicht lahm ist. So gut wie Jessica Jones, Daredevil oder Luke Cage auch angelegt sind (lassen wir mal Iron Fist unerwähnt bleiben), erst im Zusammenspiel mit einem würdigen Widersacher blühen sie wirklich zur Hochform auf. Es ist kein Zufall, dass die bislang besten Serienstaffeln aus dem Marvel/Netflix-Serienuniversum – die ersten Seasons von "Daredevil" und "Jessica Jones" – zugleich auch diejenigen mit den besten Gegnern sind. Die zweite "Daredevil"-Staffel war immer noch sehr solide, funktionierte aber am besten in der ersten Hälfte, als der Titelheld es noch mit dem Punisher zu tun hatte. Wie bei Vincent D’Onofrios Wilson Fisk, waren es der Kontrast und die Ähnlichkeiten zwischen den beiden, die als Motor der Geschichte dienten. Als dann die Hands Ninjas übernommen haben, war die Staffel weiterhin unterhaltsam, verlor jedoch den besonderen Reiz. D’Onofrios kurzer Auftritt in der zweiten Season machte erst recht deutlich, wie sehr er der Serie fehlte.

Seine Vollzeit-Rückkehr als Fisk ist daher das Beste, was der dritten "Daredevil"-Staffel passieren konnte. Er ist nicht der einzige Grund, weshalb die ersten sechs zur Vorabsichtung bereitgestellten Folgen einen sehr gelungenen, vor Potenzial triefenden Auftakt zur neuen Staffel bilden, doch er trägt erheblich dazu bei.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 1Doch unsere Geschichte beginnt zunächst mit einem kaputten Helden. Obwohl beim Kampf unter Midland Circle ein ganzes Gebäude auf ihn herabgestürzt ist, hat Matt Murdock alias Daredevil (Charlie Cox) überlebt, wenn auch schwer lädiert. Nachdem er aus einem Abwasserrohr gespült wurde, schafft er es gerade noch aus letzter Kraft, nach Pater Lantom (Peter McRobbie) zu rufen, der ihn ins Waisenhaus bringt, in dem Matt aufgewachsen ist. Dort wird er von den Nonnen, vor allem von der resoluten Schwester Maggie (Joanne Wahlley), über Wochen gesund gepflegt. Doch auch nachdem Matt endlich über den Berg ist, ist er ein gebrochener Mann. Die Verletzungen beeinträchtigen seine sonst außerordentlich geschärften Geruchs- und Gehörsinne, womit er zunächst das verliert, was ihn als Superhelden ausmacht. Doch Matts Wunden sind nicht nur äußerlich. Völlig desillusioniert und verbittert, hat er seinen Glauben verloren, die eine Sache, die ihm Kraft verliehen und auf den rechten Pfad geleitet hat. Ohne Glauben an Gott oder Gerechtigkeit in der Welt, ist er bereit, Matt Murdock, den Anwalt, hinter sich zu lassen, und sein Schicksal als Daredevil anzunehmen, auch wenn es ihn umbringt.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 2Die Zuschauer haben Matt Murdock schon häufig leiden sehen. Als Katholik sind Selbstzweifel und innere Zerrissenheit ein inhärenter Teil seiner Identität und keiner der Defenders wurde in Kämpfen so häufig und so heftig verletzt wie er. Ohne spezielle Superkräfte oder eine militärische Ausbildung ist er der menschlichste der Marvel-Helden bei Netflix. Zu Beginn der dritten Staffel ist Matt körperlich wie psychisch jedoch an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Es ist wirklich erfrischend zu sehen, dass Matts Nahtoderfahrung nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist. Zu häufig erleiden Helden schwere Verletzungen, nur um sich eine Folge später quickfidel ins Kampfgetümmel zu stürzen. Natürlich kann eine Serie wie "Daredevil" ihren Helden nicht eine ganze Staffel lang auskurieren lassen, doch er schlüpft auch nicht direkt zurück in sein Daredevil-Kostüm und vermöbelt wieder Kriminelle. Nicht dass er keinen Drang dazu verspüren würde, doch bei seinem ersten Einsatz stößt er schnell an seine neuen Grenzen.

Hauptdarsteller Charlie Cox spielt sich als Matt die Seele aus dem Leib. Gerade körperlich ist die Performance beachtenswert. In jedem Schritt und jeder Bewegung merkt man ihm die Schmerzen und den Verlust der Supersinne, die ihn zuvor ausgemacht haben, an. Bei einer gewissen Szene mit einer Nasendusche musste ich sogar kurz zusammenzucken. Etwas schwieriger gestaltet sich die neue pessimistisch-fatalistische Einstellung der Figur. Cox verkauft alles, was das Drehbuch von ihm verlangt, sehr glaubwürdig, doch wenn man etwas Abstand nimmt, wirkt der ultradüstere Wandel etwas zu drastisch und überzogen. Ist es der erneute Verlust von Elektra, der ihn so verbittert gemacht hat, oder die Tatsache, dass er wieder fast ums Leben gekommen ist? Das wird nie zufriedenstellend erklärt. Foggy (Elden Henson) sinniert nach seiner ersten, nicht gerade angenehmen Begegnung mit Matt, dass ein Teil von ihm unter Midland Circle gestorben sei. Das hat man als Zuschauer zu akzeptieren. Zum Glück macht es Charlie Cox einem nicht schwer und die Serie scheut sich auch nicht davor, Matt durchaus unsympathisch zu zeigen, denn wie er nach seiner Rückkehr mit seinen Freunden umgeht, ist trotz vermutlich bester Absichten eher fragwürdig. Doch es funktioniert innerhalb der Geschichte. Ein Held muss nicht immer sympathisch sein, solange er interessant ist. Danny Rand/Iron Fist ist ein Beispiel dafür, wenn man weder noch ist. Ohne seinen Glauben scheint Matt nur einen schlechten Tag davon entfernt zu sein, zum Punisher zu werden. Es fällt ihm sichtlich immer schwerer, seinen dunklen Impulsen nachzugeben.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 3Diese Impulse hat Wilson Fisk am Ende der ersten Staffel in seiner großartigen "Guter Samariter"-Rede bereits akzeptiert und zu Beginn der dritten Staffel verbüßt er weiterhin seine Haftstrafe. Auch mit diesem Schicksal scheint er sich abgefunden zu haben. Als er jedoch davon unterrichtet wird, dass das FBI auch gegen seine Verlobte Vanessa wegen Mittäterschaft vorzugehen plant, erklärt er sich bereit, zu kooperieren und seine Kontakte in der kriminellen Unterwelt ans Messer zu liefern. Im Gegenzug verlangt er komplette Immunität für Vanessa. Eingefädelt wird der Deal durch den ehrgeizigen, jedoch in schweren finanziellen Nöten steckenden und um die Beförderung ringenden FBI-Agenten Nadeem (Jay Ali). Fisk hält sein Wort, doch sein Ruf als Spitzel macht ihn natürlich auch zur Zielscheibe anderer Insassen. Damit seine unerschöpfliche Quelle nicht versiegt, erwirkt Nadeem gegen großen Widerstand Fisks Transfer vom Gefängnis in eine luxuriöse Hotel-Suite, was natürlich zum öffentlichen Aufschrei führt und sowohl Matt als auch Karen (Deborah Ann Woll) und Foggy ordentlich durchrüttelt. Alle drei setzen sich unabhängig voneinander das Ziel, Fisk mit allen Mitteln zurück ins Gefängnis zu bringen. Doch der Meister der Manipulation zieht schon längst die Strippen in einem großen Plan, der nicht nur Vanessa beschützen, sondern auch Matt Murdock vernichten soll. Nach und nach wickelt er seine Mitmenschen durch beispiellose Kooperation und höflich-verständnisvollen Umgang um den Finger.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 4Es ist wichtig, Ziele im Leben zu haben. So ist es ausgerechnet die Rückkehr von Wilson Fisk in die Öffentlichkeit, die Matt wieder Antrieb verleiht. Das bringt ihn zumindest sporadisch mit seinen alten Freunden Foggy und Karen zusammen, wobei gerade letztere nie die Hoffnung verloren hat, ihn wiederzusehen, sich die Reunion jedoch ganz anders vorgestellt hat.

Die Dynamik zwischen Matt und Fisk zeigt wieder Potenzial, wobei sich diese in den ersten Folgen größtenteils in Matts Kopf abspielt, was wirklich einfallsreich umgesetzt ist. Das Schicksal hat die beiden zusammengebracht und ähnlich wie Batman und den Joker verbunden. Das Zusammenspiel ist etwas simpler geworden als in der ersten Staffel, in der beide mit dem Vorhaben begonnen haben, ihr Viertel zu einem besseren Ort zu machen und jeweils den Anderen als Störenfried sahen, bis Fisk realisierte, wer er wirklich ist und was er will. Nun geht ihr Zweikampf in die nächste Runde und diesmal ist das Ziel klar. Fisk will Rache, Matt möchte seine Mitmenschen (und New York) vor Fisk ein für allemal beschützen. Für Fisk gibt es keine Grenzen, doch wie weit ist Matt bereit zu gehen?

Es ist nicht das Was, das ihr Schachspiel ausmacht, sondern das Wie. Beide spielen mit Handicap. Matt ist kein Anwalt mehr, als Daredevil nicht gerade in Topform, und kommt an den unter FBI-Schutz stehenden Fisk auch nicht heran. Letzterer hat zwar immer noch enorme Ressourcen, ist jedoch in seiner Hotelsuite gefangen. An dieser Stelle kommt eine neue Figur ins Spiel, der FBI-Agent Benjamin "Dex" Pointdexter, gespielt von Wilson Bethel. Comicfans wissen natürlich, dass sich dahinter Daredevils zweitbekanntester Gegner (nach dem Kingpin), Bullseye, verbirgt, und bereits bei seinem allerersten Auftritt werden uns seine Treffsicherheit und zugleich seine Skrupellosigkeit im Einsatz vorgeführt. Noch versucht er, gut und rechtschaffen zu sein, doch die Zuschauer erfahren schnell, welche dunklen Abgründe sich bei Dex verbergen. Um aus ihm einen interessanten zweiten Gegenspieler zu machen, widmet die Staffel seinen Hintergründen sogar eine ganze Folge, in der Matt kaum vorkommt. Es ist ein mutiger Zug für eine Serie mit dem Titel "Daredevil", eine Episode fast ohne Daredevil zu haben, doch er zahlt sich aus. Ohne zu viel zu verraten, erleben wir unter anderem eine ehemalige Therapeutin von Dex, die ihm erklärt, dass sein moralischer Kompass besser funktioniert, wenn er ein Vorbild bzw. eine Leitfigur im Leben hat. Doch was passiert, wenn Fisk diese Rolle einnimmt? Wilson Bethel verkörpert überzeugend einen Mann, der gegen einen unertrinnbaren Strudel ankämpft, bis auch er sich seinem Schicksal ergibt. Die ersten sechs Folgen zeigen Bullseyes Geburt, doch es bleibt noch großes Potenzial für den Charakter in der zweiten Staffelhälfte.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 5Die gesamte Besetzung ist in Topform. Elden Henson ist als Foggy sympathisch und vermutlich die beste Identifikationsfigur der Serie im Moment, Karen hat mit eigenen Dämonen zu kämpfen, die denen von Matt vielleicht gar nicht unähnlich sind, und Joanne Whalley ist als strenge, aber liebevolle Nonne ein starker Gegenpart zum pessimistischen Matt. Doch es sind Vincent D’Onofrios Szenen als Fisk, in denen man alles andere vergisst. Obwohl er die Gesamtheit der ersten sechs Folgen lediglich an zwei Orten verbringt (erst Knast, dann Hotel), und dabei wenig Anderes tut, als zu reden, hat er dabei größere Präsenz als die meisten Marvel-Bösewichte der letzten Jahre. Jedes seiner sorgfältig ausgewählten und mit Bedacht vorgetragenen Worte trägt eine unglaubliche Wucht. Trotz seiner enormen Selbstbeherrschung merkt man das Aggressionspotenzial, das in Fisk lodert. Die Kamera liebt D’Onofrio. Aus der Anzahl der Aufnahmen, in denen man seinen Stiernacken oder die Rundung seines massigen kahlen Kopfes sieht, könnte man glatt ein Trinkspiel machen. D’Onofrios Performance ist sehr auf die Körperlichkeit und Gestik angelegt. Fisk hat nicht mehr ganz den Wow-Effekt, wie in der ersten Staffel, in der man ihn langsam kennenlernte, doch es tut der Faszination mit ihm keinen Abbruch. Selten erlebt man in Serien einen Charakter, der mit jedem Wort oder jeder Bewegung so fesselt. Auch seine Liebe zu Vanessa spielt weiterhin eine große Rolle und macht viel von dem Charakter aus. Obwohl Ayelet Zurer in den ersten sechs Folgen nicht zu sehen ist, spürt man durch Fisk ihre Präsenz.

Daredevil Staffel 3 Kritik Bild 6Man kann die Besprechung nicht abschließen, ohne auf das andere Highlight der Serie einzugehen: ihre Action. Mit der ohne Schnitte inszenierten Flur-Kampfszene in der ersten Staffel schrieb "Daredevil" Seriengeschichte und hatte ein eigenes Markenzeichen. Die zweite Staffel setzte mit der deutlich längeren und ebenfalls in einer langen Plansequenz realisierten Treppenhaus-Kampfszene noch einen drauf und etablierte "Daredevil" als eine der besten Actionserien überhaupt. In dieser Hinsicht enttäuscht auch die neue Staffel nicht. Ja, auch hier gibt es wieder eine phänomenal inszenierte Kampfszene ohne Schnitte, die mit ihren beiden Vorgängern jedes bisschen mithalten kann. Was sie noch bemerkenswerter macht, ist, dass Matt Murdock in ihr, im Gegensatz zu den beiden davor, keine Maske trägt, sodass Charlie Cox augenscheinlich an einem Großteil der Szene selbst beteiligt war. Hut ab! Genau so großartig ist jedoch auch das mitreißende erste Duell zwischen Daredevil und Bullseye, das die unterschiedlichen Stärken der beiden sehr gut zur Geltung bringt – einer ist besser im Nahkampf, der andere unschlagbar auf Entfernung. Davon gibt es in der zweiten Staffelhälfte hoffentlich noch mehr zu sehen.

Ein besonderes Schmankerl für die Kenner der Comicvorlagen ist, wie sehr sich die Staffel von Frank Millers "Born Again"-Storyline inspirieren ließ. Es ist natürlich keine 1:1-Adaption und ganz so düster wie in "Born Again" wird es hier nicht – also keine Sorge, Karen wird (vorerst) zu keiner heroinsüchtigen Pornodarstellerin. Doch es sind mehr als nur Einzelheiten, die der neue Showrunner Erik Oleson in seine Geschichte übernommen hat. Comicleser werden sehr viele allgemeine, aber auch spezifische Plotelemente und Details wiedererkennen.

Außerdem gelingt es der dritten Staffel zumindest in den ersten sechs Folgen, den größten Minuspunkt der meisten Marvel/Netflix-Serien zu vermeiden – das zähe Tempo. Es gibt hier und da etwas überschüssiges Fett, wie beispielsweise Foggys eher nichtssagende Szenen mit seiner Familie, doch im Großen und Ganzen bringt jede Episode das Geschehen gut voran und die Staffel tritt nie auf der Stelle, wie beispielsweise "The Punisher" oder zuletzt die zweite "Iron Fist"-Season. Natürlich darf man nicht vergessen, dass sich all das auf die erste Staffelhälfte bezieht. Sowohl die erste "Luke Cage"-Staffel als auch "The Defenders" sind in ihrer zweiten Hälfte regelrecht implodiert. Man kann nur hoffen, dass "Daredevil" ihr Pulver nicht jetzt schon verschossen hat. So wie es steht, ist es ein äußerst vielversprechender Start, der mich die Fortführung kaum abwarten lässt.

 

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