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John Wick: Kapitel 4 (2023) Kritik

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John Wick Kapitel 4 (2022) Filmkritik

John Wick: Chapter 4, USA 2023 • 169 Min • Regie: Chad Stahelski • Mit: Keanu Reeves, Donnie Yen, Ian McShane, Shamier Anderson, Bill Skarsgård, Hiroyuki Sanada, Rina Sawayama, Scott Adkins, Clancy Brown, Marko Zaror • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 23.03.2023 • Deutsche Website

Handlung

John Wick (Keanu Reeves) kümmert sich wieder mit einem unerschöpflichen Waffenarsenal im Alleingang um das Problem der Überbevölkerung.

Kritik

Eine Faustregel unter Filmfans besagt, dass Fortsetzungen meist nicht so gut sind wie die Originale. Natürlich gibt es berühmte Ausnahmen, doch es gibt auch einen nachvollziehbaren Grund, weshalb Sequels und Prequels es nicht leicht haben. Colin Firth hat das mir gegenüber in einem Interview zum ersten Kingsman-Film gut auf den Punkt gebracht: Die Fans wollen bei einer Fortsetzung einerseits wieder das erleben, was sie am ersten Film mochten, und andererseits wollen sie nicht dessen exakte Kopie sehen. Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Innovation und Originaltreue für die Filmemacher.

Letztlich funktionieren Franchises nach einer bewährten Formel. Denn bei aller Kritik an mangelnder Originalität haben viele Fans konkrete Erwartungen, wenn sie den neusten Star-Wars-, James-Bond-, Scream– oder Marvel-Film sehen. Weichen Filmemacher zu sehr von dieser Formel ab, riskieren sie es, die unbändige Wut der eingefleischten Fans auf sich zu ziehen, wie David Gordon Green mit Halloween Ends und Rian Johnson mit Star Wars – Die letzten Jedi erlebt haben.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 1Manche Franchises finden ihr Erfolgsrezept nicht schon mit dem ersten Film, sondern mit einer der Fortsetzungen. Fast & Furious ist ein Paradebeispiel dafür, denn niemand hat den ersten Teil gesehen und dabei gedacht, dass die aufgemotzten Autos irgendwann in den Weltraum fliegen würden, und doch scheint dies ab dem fünften Teil eine durchaus natürliche Weiterentwicklung zu sein. Auch die John-Wick-Reihe mit Keanu Reeves funktioniert nach einer Formel, die erst mit dem zweiten Film wirklich finalisiert wurde. War der erste Film noch die simple Geschichte eines Profikillers im Ruhestand, der 77 Menschen tötet, um den Mord an dem Hund seiner verstorbenen Ehefrau zu rächen, handelt die Reihe ab ihrem zweiten Kapitel von Johns Konflikt mit dem geheimnisvollen und allmächtigen Verbrechersyndikat Hohe Kammer, dessen heilige Regeln er bricht und dafür regelrechte Armeen von Profikillern effizient und gelegentlich auch kreativ aus dem Weg räumen muss.

Um sich auf das Universum von John Wick einzulassen, muss man als Zuschauer akzeptieren, dass diese Filme, wie auch die neuen Fast-&-Furious-Teile, in einer Parallelwelt existieren, in der eigene Gesetze der Physik und der Widerstandsfähigkeit des menschlichen Körpers herrschen. Große Faszination übt die John-Wick-Reihe auch durch ihr Worldbuilding aus, das eine massive kriminelle Unterwelt mit eigenen Regeln, Mechanismen, kuriosen Begriffen und alten Traditionen entwirft, die von Film zu Film komplexer wird. Im Mittelpunkt des Ganzen steht Keanu Reeves. Reeves wird vermutlich nie einen Oscar gewinnen, doch als stoischer Actionstar sucht der 58-Jährige Seinesgleichen. Als souveräne Killermaschine John Wick, die keinen anderen Weg vorwärts mehr sieht, als alle und jeden, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten, wurde Reeves vielleicht die Rolle seines Lebens auf den Leib geschrieben, die inzwischen so synonym mit einer unaufhaltsamen Actionikone geworden ist wie Rambo es in den Achtzigern war.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 2Weil Kritiker und Zuschauer die bisherige Formel der zunehmend erfolgreicheren Filme lieben, wird von dieser nicht abgewichen. Stattdessen bedient sich Regisseur Chad Stahelski der anderen inoffiziellen Hollywood-Regel, die besagt, dass Sequels in jeder Hinsicht größer als ihre Vorgänger ein müssen. Das ist der Grund, weshalb Fortsetzungen heutzutage immer ausschweifendere Laufzeiten haben und in diesen Trend fügt sich John Wick: Kapitel 4 nahtlos ein. Über fast drei Stunden dezimiert John Wick wieder Horden meist gesichtsloser und austauschbarer Gegner, häufig mit präzisen Kopfschüssen in bester Egoshooter-Manier, aber auch mit Messern, Nunchakus und bloßen Fäusten. Auch ein Bleistift hat wieder einen Gastauftritt als Waffe, wird zur Abwechslung jedoch nicht von John Wick verwendet.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 3Neu ist der Einsatz fahrender Autos als Waffen, gegen die Gegner geworfen werden. Das sieht einerseits verdammt cool aus, andererseits hat der Zusammenstoß eines menschlichen Körpers mit einem schnell fahrenden Auto zumindest für größere Figuren des Films die Wirkung eines lästigen Mückenstichs oder bestenfalls eines gestoßenen Knöchels. Dasselbe gilt auch, wenn man mehrere Stockwerke tief stürzt und gegen einen Müllcontainer prallt oder eine sehr lange Steintreppe herunterpurzelt. Mit der realen Welt hat die Action von John Wick: Kapitel 4 längst nichts mehr zu tun. Ob in der japanischen Version des Continental-Hotels, in den dunklen Gassen von Paris oder zu Pferd mitten in der Wüste ist John Wick immer adrett mit einem maßgeschneiderten und maximal kugelsicheren Anzug bekleidet, auf den seine Gegner auch immer brav zielen, jedoch nie auf seinen Kopf. Überhaupt lässt die Treffsicherheit der vermeintlichen Superkiller sogar aus nächster Nähe zu wünschen übrig, wenn es dem Drehbuch gerade passt.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 4Doch man geht nicht in John Wick, um bodenständige, realistische Action zu sehen. Man will virtuose Choreografie, stylische Inszenierung und immer wieder neue, kreative Wege, wie John Wick seine Widersacher erledigt und auch brenzligsten Situationen verletzt, aber lebend davonkommt. Kapitel 4 ist sehr darum bemüht, all das zu bieten und neue Maßstäbe der Reihe in puncto Action zu setzen. Gerade anfangs sind die Szenen wirklich atemberaubend. Doch in seinen epischen Ambitionen überstrapaziert der Film die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer bei ausgedehnten Nonstop-Actionsequenzen und wenn John Wick dann seinem 80. Gegner in 15 Minuten mehrfach in den Kopf schießt, ist das irgendwann ermüdend und abstumpfend. Hatten die letzten Filme noch genau das richtige Maß an Over-the-Top-Action, treibt es das vierte Kapitel etwas zu weit, um auf Teufel komm raus ein Magnum Opus des Genres zu sein.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 5Es sind jedoch nicht nur die Actionszenen in John Wick: Kapitel 4, die bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern auch einige der neuen Charaktere, allen voran Donnie Yen als blinder Profikiller Caine, der von Bill Skarsgårds herrlich unangenehmem, arrogantem Antagonisten Marquis de Gramont mit einer Drohung gegen seine Tochter dazu erpresst wird, seinen alten Freund John zu jagen. Der Konflikt zwischen Wick und Caine ist einer der interessantesten Aspekte des Films, denn erstmals steht John nicht nur einem wirklich ebenbürtigen Gegner gegenüber, sondern auch jemandem, dessen Versagen tödliche Konsequenzen für eine unschuldige Person haben. Yen stiehlt in allen seinen Szenen mühelos die Show und beweist auch mit fast 60 Jahren, dass er vermutlich der größte Martial-Arts-Star seiner Generation ist. Der Film findet kreative Wege zu zeigen, wie Caine seine Sehbehinderung im Kampf ausgleichen oder sogar zum Vorteil nutzen kann, sodass man wirklich das Gefühl bekommt, dass John Wick diesmal einen würdigen Widersacher hat.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 6Erwartet man von Donnie Yen als Genrekenner von vornherein einen starken Auftritt, überrascht inmitten des großen Ensembles ausgerechnet Newcomerin Rina Sawayama als Akira, Tochter des Managers (Hiroyuki Sanada) des Osaka Continental. In ihrer allerersten Filmrolle ist die Sängerin eine wahre Naturgewalt, die in Actionszenen sehr überzeugend ist, John Wick aber auch mit Verbitterung daran erinnert, welche gravierenden Konsequenzen seine Entscheidungen für seine wenigen Freunde und Verbündeten nach sich ziehen. Mit dieser Wahrheit wird John Wick wiederholt im Laufe des Films konfrontiert. Auf diese Weise rechnet Kapitel 4 mit den Ereignissen seiner Vorgänger ab und führt die bisherige zentrale Handlung der Reihe zu einem konsequenten, versöhnlichen Abschluss. Wüsste man nicht, dass John Wick 5 mehr oder weniger offiziell angekündigt wurde, könnte man Kapitel 4 auch als großes, versöhnliches Finale der Reihe betrachten, das Keanu Reeves als John Wick endgültig in das Pantheon der ganz großen Actionhelden erhebt.

Fazit

John Wick: Kapitel 4 setzt alles daran, um das Vermächtnis der Reihe als eins der spektakulärsten Action-Franchises aller Zeiten mit einem fast dreistündigen Magnum Opus zu zementieren. Dabei entfernt sich der Film noch weiter von jeglichem Anschein einer realen Welt und macht keinen Hehl daraus, absurder und unterhaltsamer FSK-18-Action-Slapstick zu sein. Keanu Reeves ist in Topform als Stehaufmännchen John Wick, während Donnie Yen als blinder Killer die Show stiehlt und Newcomerin Rina Sawayama sich als Naturgewalt entpuppt, von der man nicht genug bekommen kann. Die ausgedehnten, virtuosen Actionsequenzen des Films sind kreativ, sehr stylisch inszeniert, strapazieren jedoch unweigerlich die Sinne und die Geduld und wirken ermüdend. Immerhin nutzt der Film seine ausufernde Laufzeit auch dazu, die Handlungsstränge der ersten drei Filme zu einem konsequenten, versöhnlichen (und vorläufigen?) Abschluss zu führen und Reeves als John Wick endgültig ein Denkmal zu setzen.

Trailer

https://youtu.be/I04tlU7CRPA

Oscars 2023: Unsere finalen Tipps und Gedanken

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Oscars 2023 Tipps

Heute Nacht werden in Los Angeles zum 95. Mal die Oscars verliehen und ich werde sie natürlich wieder live im Fernsehen mitverfolgen. Schließlich habe ich seit 2000 keine Verleihung mehr verpasst und nachdem die Corona-Flaute, die mir 2020/2021 jeglichen Spaß an den Oscars geraubt hat, überwunden war, freue ich mich wieder aufrichtig, die magische Nacht (ja, ja, Ihr Zyniker, bei aller Kritik an den Oscars ist sie das für mich immer noch) wieder mitzuerleben.

Abschließend noch meine finalen Tipps in allen 24 Kategorien sowie meine persönlichen Favoriten, die ich jedoch nur angegeben habe, wenn ich mindestens drei Nominees aus der Kategorie gesehen habe:

Bester Film

In den 29 Jahren, in denen die Produzentengewerkschaft, die Regiegewerkschaft DGA, die Autorengewerkschaft WGA und die Schauspielergewerkschaft SAG jährlich ihre Preise verleihen, haben nur fünf Filme bei allen vier großen Industrie-Gewerkschaften, deren Mitglieder einen großen Anteil der Oscarwähler bilden, gewonnen. Vier davon (American Beauty, No Country for Old Men, Slumdog Millionär und Argo) haben auch den "Bester Film"-Oscar gewonnen. Der fünfte ist Everything Everywhere All at Once, der wie eine Dampfwalze die Konkurrenz der diesjährigen Oscar-Saison plattgemacht und kürzlich Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs als meistprämierten Film in der Geschichte Hollywoods abgelöst hat. Sicherer kann ein Oscarsieg eigentlich nicht sein.

Und doch… Es besteht eine winzig kleine Chance, dass die Academy, deren Altersschnitt immer noch recht hoch ist, mit dem innovativen, durchgeknallten Trip des Daniels-Regieduos nicht so viel anfangen kann und zugleich mit der Auszeichnung für Im Westen nichts Neues ein Zeichen gegen den Ukraine-Krieg setzen wird. Bei den BAFTAs, den britischen Oscars, wurde Im Westen nichts Neues siebenmal ausgezeichnet, darunter als "Bester Film". Das gibt zu denken. Doch letztlich bleibt die Chance marginal und ohne Nominierungen für die Regie, den Schnitt und die Darsteller ist Im Westen nichts Neues in keiner guten Position. Eine Niederlage für Everything Everywhere All at Once wäre nach seinen unzähligen Siegen bei allen erdenklichen Industriepreisen historisch und das ist nicht die Art Geschichte, die die Academy schreiben will. Mich persönlich freut es sehr, dass ein Film, in dem Leute auf Buttplugs springen und der eine Ratatouille-Parodie mit einem Waschbären enthält, überhaupt zum Favoritenstatus gekommen ist.

Wird gewinnen: Everything Everywhere All at Once
Sollte gewinnen: Everything Everywhere All at Once

Beste Regie

Zu Beginn der Oscar-Saison sah es noch danach aus, als könnte Steven Spielberg mit seinem autobiografischen Film Die Fabelmans seinen dritten Regie-Oscar gewinnen, insbesondere nachdem die Golden Globes ihn ausgezeichnet haben. Doch das Duo Daniel Scheinert und Daniel Kwan haben in den letzten Wochen mit Siegen bei der Regiegewerkschaft, den Critics Choice Awards und den Independent Spirit Awards ihren Favoritenstatus zementiert. Ein Hoch auf Originalität!

Werden gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)
Sollten gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)

Bester Hauptdarsteller

In drei der vier Schauspielerkategorien ist das Rennen sehr knapp und es ist wirklich erfrischend, dass die Kategorien noch so offen sind und die Spannung bleibt. Colin Farrell und Austin Butler gewannen die Golden Globes in den Kategorien Komödie bzw. Drama und Butler überraschte mit einem Sieg bei den BAFTAs gegen britische und irische Konkurrenten, die Heimvorteil hatten. Doch Brendan Fraser hat mit The Whale bei den Critics Choice Awards und vor allem bei der Schauspielergewerkschaft SAG gewonnen und hat definitiv die meisten Sympathiepunkte dieses Jahr dank seiner Comeback-Story gesammelt. Sein Film wird häufig mit Darren Aronofskys The Wrestler verglichen, dessen Star Mickey Rourke trotz ähnlicher Comeback-Geschichte gegen Sean Penn (Milk) verloren hat. Gegen Fraser spricht, dass sein Film im Gegensatz zu Farrells und Butlers nicht als "Bester Film" nominiert ist. Seit 2010 hat kein Schauspieler den Hauptdarsteller-Oscar gewonnen, wenn sein Film nicht auch nominiert war. Weil die Academy gerne Darsteller aus Musiker-Biopics auszeichnet (siehe Jamie Foxx oder Rami Malek), könnte Butler die Nase vorn haben, doch sein junges Alter könnte ihm im Weg stehen, während Fraser mit seinen ergreifenden Reden immer wieder zu Tränen rührte.

Wird gewinnen: Brendan Fraser (The Whale)
Sollte gewinnen: Colin Farrell (The Banshees of Inisherin)

Beste Hauptdarstellerin

Seit sie bei den Filmfestspielen von Venedig für ihre monumentale Performance in Tár prämiert wurde, war Cate Blanchett lange Zeit die haushohe Favoritin im Oscar-Rennen. Sie gewann den Globe, den BAFTA und den Critics Choice Award. In nahezu jedem anderen Jahr hätte sie gewonnen. Doch das Blatt wendet sich zu Gunsten von Michelle Yeoh seit sie überraschend den Preis der Schauspielergewerkschaft gewonnen hat. Wird die Academy in einem Jahr, in dem 16 der 20 Schauspielerinnen und Schauspieler erstmals nominiert sind, Blanchett ihren dritten Oscar geben oder Yeoh auszeichnen und mit dem ersten Hauptdarstellerin-Oscar für eine asiatische Schauspielerin sowie dem zweiten Hauptdarstellerin-Oscar überhaupt für eine Woman of Color Geschichte schreiben? Ich kenne meine Antwort darauf.

Wird gewinnen: Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)

Bester Nebendarsteller

Wir machen das kurz, denn in dieser Kategorie gab es die ganze Zeit nur einen Favoriten, der, bis auf den BAFTA, jeden erdenklichen Preis gewonnen hat und ebenfalls eine rührende Comeback-Geschichte vorzuweisen hat.

Wird gewinnen: Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)

Beste Nebendarstellerin

In dieser Kategorie ist das Rennen hingegen sehr offen. Angela Bassett wurde für Black Panther: Wakanda Forever mit dem Golden Globe und dem Critics Choice Award ausgezeichnet und als erste Marvel-Darstellerin überhaupt für einen Oscar nominiert. Es wäre eine tolle Gelegenheit, die Schauspielveteranin für ihr Lebenswerk auszuzeichnen, doch die Globes und die Critics Choice Awards sind letztlich Kritikerpreise ohne Überschneidungen mit den Oscars. Als es dann ans Eingemachte ging, hat Kerry Condon mit The Banshees of Inisherin bei den BAFTAs gewonnen und Jamie Lee Curtis mit Everything Everywhere All at Once bei der SAG. Alle drei haben gute Chancen, doch ich denke nicht, dass The Banshees of Inisherin ganz leer ausgehen wird und in dieser Kategorie hat er vermutlich die besten Chancen.

Wird gewinnen: Kerry Condon (The Banshees of Inisherin)
Sollte gewinnen: Kerry Condon (The Banshees of Inisherin)

Bestes Originaldrehbuch

Die Daniels haben den WGA Award der Autorengewerkschaft gewonnen, doch Martin McDonaghs The Banshees of Inisherin war für eine Nominierung unzulässig und deshalb konkurrierten sie auch nicht gegeneinander. Bei den Oscars tun sie es und es ist ein knappes Rennen. Wie gesagt, ich gehe nicht davon aus, dass The Banshees of Inisherin komplett leer ausgehen wird. Wenn er den Nebendarstellerin-Oscar nicht bekommen wird, dann wird er für sein Drehbuch gewinnen. Aktuell geben ich aber Everything knapp den Vorzug.

Wird gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)

Bestes adaptiertes Drehbuch

Sarah Polleys Die Aussprache hat den WGA Award und den USC Scripter Award gewonnen, zwei gute Prädiktoren dieses Oscars, doch Im Westen nichts Neues, der den BAFTA gewonnen hat, wurde, wie auch Banshees, von der WGA wegen Unzulässigkeit ausgeschlossen. Wenn die Academy den Kriegsfilm wirklich liebt, könnte er hier gewinnen, doch Polleys Drehbuch zu Die Aussprache ist genau die Art dialogreiches Drehbuch, das die Academy gerne prämiert.

Wird gewinnen: Sarah Polley (Die Aussprache)
Sollte gewinnen: Sarah Polley (Die Aussprache)

Bester internationaler Film

Trotz einer starken Auswahl an Filmen ist Netflix' Im Westen nichts Neues, der in acht weiteren Kategorien nominiert hier, konkurrenzloser Favorit und wird Deutschland den ersten Oscar seit 16 Jahren einbringen.

Wird gewinnen: Im Westen nichts Neues
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Dokumentarfilm

Hier wird es spannend, denn Laura Poitras All the Beauty and the Bloodshed hat den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen und Poitras hat zuvor mit CitizenFour schon den Doku-Oscar gewonnen, doch Fire of Love ist deutlich zugänglicher, während Nawalny politisch einfach die naheliegende Wahl in der aktuellen Zeit ist und den Zeitgeist trifft.

Wird gewinnen: Nawalny
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Animationsfilm

Pixar hat in der Kategorie normalerweise die Nase vorn und ist diesmal mit Rot mit dabei, doch Guillermo del Toros Pinocchio ist der eindeutige Favorit und hat die meisten Animationsfilm-Preise im Vorfeld abgeräumt

Wird gewinnen: Guillermo del Toros Pinocchio
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester animierter Kurzfilm

Wird gewinnen: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Dokumentar-Kurzfilm

Wird gewinnen: Stranger at the Gate
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Kurzfilm

Wird gewinnen: An Irish Goodbye
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Beste visuelle Effekte

Wie hieß es so schön in Highlander? Es kann nur einen geben!

Wird gewinnen: Avatar: The Way of Water
Sollte gewinnen: Avatar: The Way of Water

Beste Kamera

Wenn wir ehrlich sind, wurde die beste Kameraarbeit 2022 gar nicht nominiert. Das wäre nämlich Claudio Miranda mit Top Gun: Maverick. Roger Deakins ist mit Empire of Light zum zigsten Mal dabei, doch er wird seinen Oscar nicht für einen Film gewinnen, den niemand gesehen hat. Mandy Walker hat mit ihrem Sieg beim Verband der Kameraleute ASC als erste Frau Geschichte geschrieben und könnte es bei den Oscars wiederholen, doch es gilt zu bedenken, dass auf den Wahlzetteln nur Filmtitel und keine Namen stehen. Im Westen nichts Neues wurde von der ASC nicht einmal nominiert, hat aber den BAFTA gewonnen und scheint genau die Art Film zu sein, die die Academy in der Kategorie vorzieht.

Wird gewinnen: James Friend (Im Westen nichts Neues)
Sollte gewinnen: James Friend (Im Westen nichts Neues)

Bester Schnitt

Hier ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Everything Everywhere All at Once und Top Gun: Maverick. Beide haben beim Cutter-Verband ACE gewonnen und Everything holte seinen einzigen BAFTA in der Schnitt-Kategorie. Doch ich habe das Gefühl, dass die Academy Maverick einige technische Preise geben wird, insbesondere nachdem er für seine Kamera schockierenderweise nicht einmal nominiert wurde.

Wird gewinnen: Top Gun: Maverick
Sollte gewinnen: Everything Everywhere All at Once

Bester Ton

Blockbuster haben immer besonders gute Chancen in der Kategorie, erst Recht, wenn sie auch als "Bester Film" nominiert sind. Normalerweise haben Kriegsfilme einen Vorteil hier, doch Maverick sollte unschlagbar sein,. Überraschen könnte jedoch Elvis.

Wird gewinnen: Top Gun: Maverick
Sollte gewinnen: Top Gun: Maverick

Beste Kostüme

Hier ist das Rennen offen. Everything Everywhere All at Once und Elvis wurden von der Gewerkschaft der Kostümbildner CDG ausgezeichnet, Elvis auch von der BAFTA. Black Panther: Wakanda Forever hat tolle Kostüme und der Vorgänger hat auch schon gewonnen und in Mrs. Harris und das Kleid von Dior geht es primär um Mode, doch den Film haben vermutlich nicht genug WählerInnen gesehen. Letztlich sollte man Baz Luhrmanns Filme in der Kategorie nie unterschätzen, denn auch Moulin Rouge und Der große Gatsby haben darin gewonnen.

Wird gewinnen: Elvis
Sollte gewinnen: Mrs. Harris und das Kleid von Dior

Bestes Szenenbild

Das ist die Kategorie, in der Babylon wirklich glänzen kann und hat nicht umsonst schon den BAFTA und den Preis der Szenenbildner-Gewerkschaft gewonnen.

Wird gewinnen: Babylon – Rausch der Ekstase
Sollte gewinnen: Babylon – Rausch der Ekstase

Beste Filmmusik

John Williams ist mit Die Fabelmans zum 53. (!) Mal nominiert, gewonnen hat er jedoch seit fast 30 Jahren nicht mehr. Das wäre die perfekte Gelegenheit, ihn und Die Fabelmans zu ehren. Doch Volker Bertelmann alias Hauschka hat einen gewaltigen Score zu Im Westen nichts Neues beigesteuert, der viel von der bedrückenden Stimmung des Films ausmacht. Mein persönlicher Favorit ist jedoch Justin Hurwitz' Komposition für Babylon, die ihm immerhin den Golden Globe eingebracht hat.

Wird gewinnen: John Williams (Die Fabelmans)
Sollte gewinnen: Justin Hurwitz (Babylon – Rausch der Ekstase)

Bestes Filmlied

Diane Warren hat bereits einen Grammy, einen Emmy und zwei Golden Globes gewonnen, jedoch keinen Oscar trotz 13 Nominierungen in Vergangenheit. Auch mit ihrer 14. Nominierung wird sie nicht gewinnen, nicht für einen Film, den kein Mensch gesehen hat. Außerdem wurde sie kürzlich erst mit dem Oscar für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Mit Lady Gaga ("Hold My Hand") und Rihanna ("Lift Me Up") sind zwei Musik-Superstars dabei, doch die Sympathien gehören dieses Jahr eindeutig "Naatu Naatu" aus dem indischen Megahit RRR.

Wird gewinnen: "Naatu Naatu" (RRR)
Sollte gewinnen: "Hold My Hand" (Top Gun: Maverick)

Bestes Make-up

Elvis gewann den BAFTA und zwei Auszeichnungen vom Verband der Maskenbildner, doch auch The Whale wurde von dem Verband ausgezeichnet und könnte das Rennen machen. Es ist wirklich 50/50 zwischen den beiden, doch mein persönlicher Favorit ist ein ganz anderer.

Wird gewinnen: Elvis
Sollte gewinnen: The Batman

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Stimmt Ihr mit uns überein oder sehen Eure Tipps anders aus?

Scream VI (2023) Kritik

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Scream VI (2023) Filmkritik

Scream VI, USA 2023 • 123 Min • Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett • Drehbuch: James Vanderbilt, Guy Busick • Mit: Melissa Barrera, Jenna Ortega, Jasmin Savoy Brown, Mason Gooding, Courteney Cox, Hayden Panettiere, Samara Weaving, Dermot Mulroney, Liana Liberato, Henry Czerny, Jack Champion • Kamera: Brett Jutkiewicz • Musik: Brian Tyler, Sven Faulconer • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 09.03.2023 • Deutsche Website

Im Fall von „Scream VI“ wäre es bereits eine Schande, Details aus der Eröffnungsszene zu verraten. Es ist der beste Beginn aus der beliebten Slasher-Reihe seit Drew Barrymore in Teil eins unerwartet früh ihren Filmtod gefunden hat. Anders, unvorhersehbar und schockierend – der Auftakt setzt geschickt den Ton des neuen Films, der erneut von dem Radio-Silence-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett („Ready or Not“) inszeniert und von James Vanderbilt („Zodiac“) sowie Guy Busick (u.a. „Castle Rock“) verfasst worden ist. Die Kreativerben der verstorbenen Horror-Legende Wes Craven und Original-Autor Kevin Williamson wissen genau um den Geist des Franchises, vermögen es diesmal aber noch mehr als in ihrem bereits sehr gelungenen fünften Ableger, diesem auch ganz frische Akzente hinzuzufügen.

Scream VI (2023) Filmbild 6

Im Vorgänger mahnte Neve Campbell als leiderprobtes Final Girl Sidney Prescott die Neuzugänge Sam (Melissa Barrera) und Tara Carpenter (Jenna Ortega), dass es keinen Sinn macht, vor dem Schrecken davonzulaufen, da dieser einen letztlich sowieso einholen wird. Nach den blutigen Ereignissen ist Sidney diesmal in weiter Ferne, da sowohl die Geschwister, als auch ihre Freunde Mindy (Jasmin Savoy Brown) und Chad (Mason Gooding) sich dafür entschieden haben, das Trauma in Woodsboro zu lassen und in New York City einen Neuanfang zu wagen.

Während Tara, Mindy und Chad dort das College besuchen, knabbert Sam an ihrer Vergangenheit als Tochter des Serienkillers Billy Loomis und hält ihre kleine Schwester schützend an einer sehr kurzen Leine. Nicht völlig grundlos, wie sich bald herausstellt: Ein bestialischer Mord mit einer Spur zu Sam führt den Ermittler Bailey (Dermot Mulroney) zu der eingeschworenen Clique. Sogar das FBI ist schließlich in den Fall involviert und möchte in Gestalt einer alten Bekannten, Agentin Kirby Reed (Hayden Panettiere), dem neuen Ghostface ein für allemal das Handwerk legen. Bis die Beteiligten dem Täter (oder den Tätern?) auf die Spur kommen, soll selbstverständlich noch mehr Blut fließen …

Scream VI (2023) Filmbild 5

Anders als jede vergleichbare Horrorreihe, haben die „Scream“-Filme stets von gut gezeichneten und sympathischen Protagonisten gelebt. „Scream VI“ macht da keine Ausnahme, selbst wenn außer Courteney Cox als unverbesserliche Reporterin Gale Weathers und der bereits genannten Kirby aus Teil vier lediglich die ganz frische Generation sowie einige Neuzugänge (u.a. Liana Liberato als Quinn, die WG-Mitbewohnerin der Carpenters, Jack Champion als Chads Studentenverbindungskumpel Ethan und Devyn Nekoda als Mindys Geliebte Anika) die Handlung vorantreiben.

Sowohl die Schöpfer der Geschichte als auch die Jungstars haben inzwischen so viel Vertrauen in die Charaktere, dass das Werk letztlich auch komplett ohne Legacy-Cast funktioniert hätte. So sind es neben den intensiven Slasher-Attacken vor allem die zwischenmenschlichen Momente, die sich später im Gedächtnis festbrennen werden. Selten hat man in einem Subgenre-Beitrag eine derartige Chemie zwischen den Figuren gespürt. Dass die gemeinsamen Erlebnisse das Quartett geprägt und fest zusammengeschweißt haben, wird in diesen intimen Szenen überdeutlich. Das hier sind Freunde, die für das Leben des anderen sogar ins offene Messer springen würden.

Scream VI (2023) Filmbild 4

In den Teilen eins bis drei hat der getötete Filmnerd Randy Meeks seine Verbündeten bekanntlich stets über die überlebenswichtigen Spielregeln der jeweiligen Story – ob Slasher, Sequel oder Trilogie – aufgeklärt. Seit dem letztjährigen Vorgänger übernimmt diesen Part dessen Nichte Mindy, die den fünften Teil bereits als Requel identifiziert hat und sich infolge der neuen Mordserie in einem Franchise verortet sieht. Wer der Täter ist, beziehungsweise lebt oder stirbt, sei nun völlig offen – alte Hasen nicht ausgeschlossen. Zusätzlich spielen Easter Eggs diesmal eine wesentliche Rolle, die in „Scream VI“ besonders in Form eines mysteriösen Ghostface-Schreins eine echte Bedeutung bekommen und nicht, wie so oft, als reiner Fanservice im leeren Raum stehen. Da gerade dieser Film viele Bezüge zu seinen Vorgängern aufweist – insbesondere zu „Scream 2“ – ist eine erneute Sichtung der gesamten Reihe vor dem Kinobesuch lohnenswert.

Horror- und Thriller-Freunde werden allerdings auch außerhalb des „Scream“– oder internen „Stab“-Universums etliche Referenzen zu älteren Werken entdecken. Zumal diese Story nicht nur im urbanen Big Apple angesiedelt ist, sondern zugleich in der Halloween-Zeit spielt, gibt es für den Täter reichlich Gelegenheit, sich unter anderen Maskierten zu verstecken, die neben weiteren Ghostface-Kostümen eben auch die gesamte Grusel-Bandbreite abdecken. Beklemmend wird das, wenn die Freunde an einer Subway-Station getrennt werden und in ihrem jeweiligen Zug angespannt Ausschau nach dem Täter halten müssen.

Scream VI (2023) Filmbild 3

„Scream VI“ enthält erstmals auch Elemente eines klassischen Polizei-Thrillers sowie Zitate aus dem Krimi- und Giallo-Feld. Neben einem T-Shirt zu Dario Argentos „Vier Fliegen auf grauem Samt“ gibt es auch inhaltlich klare Anspielungen auf den italienischen Spannungs-Meister, wenn zum Beispiel ein Charakter, wie in dessen Meisterwerk „Deep Red“, aus der Ferne einen Mord beobachtet, ihm in der aufgeladenen Situation aber wichtige Einzelheiten entgehen. Dass hier auf die eine oder andere Weise auch der einzige Film-Ausflug von Slasher-Ikone Jason Voorhees nach NYC auftaucht, sollte man dagegen gar nicht extra erwähnen müssen.

New York mit seinen dunklen Gassen ist als neuer Hintergrund übrigens nicht bloß eine willkommene atmosphärische Abwechslung zu (abgesehen von Teil drei) dem Dauer-Tatort Woodsboro. Dass die Protagonisten selbst in dieser Metropole nicht vor weiteren Ghostface-Angriffen sicher sind, zeigt, dass das Kleinstadt-Drama durch die populäre Verwertung in Buch und Film bis weit über die vertrauten Grenzen Anhänger und Schaulustige gefunden hat und Sidney mit ihrer zuvor genannten Prognose Recht behält. Ein weiteres Grauen kann überall lauern und jederzeit zuschlagen. Eine Flucht ist unmöglich. Dass man sich deshalb aber noch lange keiner vermeintlichen Vorbestimmung hingeben muss, zeigt eine wunderbare Szene zum Schluss.

Scream VI (2023) Filmbild 2

Wie es um die Auflösung von „Scream VI“ oder das Ghostface-Motiv steht, wird an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten. Nur so viel: Auch dieses adrenalinhaltige Finale steht ganz in der Tradition der Reihe und man kann als erfahrener Zuschauer durchaus erraten, wer unter der vertrauten Maske steckt. Woran sich einige zartbesaitete Zuschauer allerdings stören könnten – und was wiederum andere freuen wird -, ist dass dieser sechste Eintrag deutlich brachialer und blutiger zur Sache geht als die Prequels.

Die Spannungsschraube ist seit dem grandiosen Beginn kräftig angedreht und Gefangene werden nicht gemacht. Dieses Mal springt Ghostface während einer Konversation auf offener Straßer auf seine Opfer zu, greift zu Schusswaffen und verschwindet nicht einfach, wenn Türen verschlossen sind. Doch während der oder die Täter so kompromisslos Terror verbreiten, wappnen sich auch die Helden zur Gegenwehr und gehen dabei keinesfalls zimperlicher vor.

Scream VI (2023) 6

Als Verarbeitung von Opfer-Traumata ist „Scream VI“ kämpferisch, als Bild von Zusammenhalt und Freundschaft rührend und als Meta-Schocker zugleich clever und äußerst intensiv. Es ist der beste Teil der Reihe seit dem Original, neben Ti Wests „X“ der beste Slasher seit Wes Cravens Megahit und eines der besten Horror-Sequels überhaupt. Man kann nur hoffen, dass Radio Silence als Regie-Team bei weiteren Fortsetzungen erhalten bleiben und man das Franchise auf diesem Niveau weiterführt.

So und nicht anders bitte.


Trailer

The City That Never Sleeps: 6 Slasherfilme aus dem Big Apple

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Slasher New York

Links: Angie Dickinson in Dressed to Kill © 1980 Filmways Pictures
Mitte: Freitag der 13. – Todesfalle Manhattan © 1988 Paramount Pictures
Rechts: Joe Spinell in Maniac © 1980 Magnum Motion Pictures Inc.

Diese Woche wird uns mit Scream VI eine populäre Slasher-Reihe erstmals in den Big Apple entführen und unter dem Motto "New York, New Rules" frischen Wind in das Franchise blasen. Zwar ist bereits Teil 3 in Hollywood angesiedelt gewesen, spielte allerdings gefühlt lediglich in einer künstlichen Studio-Ausgabe der fiktiven Kleinstadt Woodsboro.

Kritische Fan-Stimmen wurden im Vorfeld des neuen Films laut, die die Verlegung in eine US-Metropole als Bruch mit der Atmosphäre des Scream-Universums und generell als unvereinbar mit dem Horror-Subgenre halten. Zumindest letztere Behauptung möchten wir mit diesem kleinen Spezial anlässlich des Kinostarts von Teil 6 entkräften, in welchem wir Euch sechs mehr oder weniger bekannte – und qualitativ sehr diverse! – Vertreter des Slasher- oder späten Giallo-Kinos präsentieren, deren Handlungen ebenfalls in New York City spielen.

Packen wir es direkt an:

6. Freitag der 13. – Todesfalle Manhattan (Friday the 13th Part VIII – Jason Takes Manhattan)

Slasher New York 1

An letzter Stelle befindet sich ganz obligatorisch das achte Blutbad des Hockeymasken-Killers Jason Vorhees, welches übrigens nicht daran krankt, dass es in New York spielt, sondern daran, dass es eindeutig zu lange braucht, bis es dort angelangt ist. Crystal Lake hin oder her – als Anhänger der Reihe kam man sich doch veräppelt vor, ein cooles Marketing mit "I Love NY"-Postern präsentiert zu bekommen und dann letztlich für die meiste Zeit beobachten zu müssen, wie der Antagonist dumme High-School-Absolventen auf einem Schiff dezimiert. Sicher, auch mit diesem Beitrag kann man sich 90 Minuten stumpf die Zeit vertreiben. Man kann dies aber auch mit besseren Filmen tun …

5. American Killing (The Clairvoyant, alternativ: The Killing Hour)

Slasher New York 2

… wie zum Beispiel mit dem soliden und hierzulande lediglich auf VHS veröffentlichten American Killing. Das von Armand Mastroianni (Panische Angst) inszenierte Werk handelt von einem Serienkiller, der seine Opfer relativ originell (aber blutleer) mit Hilfe von Handschellen tötet – das funktioniert im Film übrigens deutlich besser, als es hier im Text klingt. Von seinen Taten ist eine telepathisch begabte Studentin an der New Yorker Kunstakademie (Elizabeth Kemp) inspiriert, die sich aufgrund ihrer Bilder natürlich ins Visier des Täters begibt. Ganz sicher alles andere als ein Genre-Meilenstein, aber ein netter Hybrid, der sich für den spannenden Thriller-Abend eignet.

4. Der nackte Wahnsinn (Too Scared to Scream)

New York Slasher 3

Tony Lo Biancos Psychothriller zeigt Deadwood– und John-Wick-Star Ian McShane als eitlen Nachtportier eines edlen New Yorker Apartmentkomlexes, der nach dem Mord an einer Bewohnerin unter dringenden Tatverdacht gerät. Mike Connors und Anne Archer ermitteln in einem zwar vereinzelt blutigen und mit Nacktszenen ausgestatteten, aber ansonsten vergleichsweise altmodischen Whodunit-Slasher, der ausnahmsweise eher die schicken Seiten der Stadt zeigt. Auch hier sollte man lediglich eine solide Genre-Rarität mit Unterhaltungswert erwarten, die zwar tonal etwas uneben und teilweise sehr albern geraten ist aber letztlich mit einem schrillen Finale endet.

3. Maniac

Slasher New York 4

Vor allem infolge der britischen Video-Nasty-Hysterie in den Achtzigern genießt William Lustigs Maniac Berühmtheit auf dem Horror-Sektor und war auch in Deutschland für viele Jahre beschlagnahmt. Aus den Augen (wenn auch nicht ganz so wörtlich wie im gelungenen Remake) des Frauenmörders Frank Zito erleben wir dessen bestialische Taten im Big Apple aber auch seine innere Zerrissenheit hautnah mit. Hauptdarsteller Joe Spinell gelingt ein beängstigend intensives Psychogramm einer gequälten Seele und Tom Savinis spektakuläre Gore-Effekte (einer mit Tierinnereien gefüllten Puppe wurde mit einer echten Shotgun der Kopf weggeschossen) steuern eine Menge zu der schmutzig-schmuddeligen Atmosphäre des Kultschockers bei.

2. Der New York Ripper (Lo Squartatore di New York)

Slasher New York 5

Mit Lucio Fulcis stilistisch eher dem Slasher zugehörigen Giallo folgt das definitiv sadistischste und kontroverseste Werk auf der Liste. Dem Titel entsprechend meuchelt sich auch hier ein irrer Killer durch die Großstadt und richtet dabei Frauen in endlos grausamen Szenen übel zu. Dass er während der Taten mit Donald-Duck-Stimme quakt, macht das Geschehen nur noch unbehaglicher. Der New York Ripper ist ein zynischer und äußerst expliziter Exploitation-Albtraum, der selbst für Fulcis Verhältnisse manchmal deutlich über die Stränge schlägt und deshalb nur sehr hartgesottenen Zuschauern empfohlen werden kann. Bemerkenswert ist, wie dekadent der Italiener die Metropole und deren Bewohner hier zeigt – als ob es sich hierbei um einen weiteren Teil seiner Gates-of-Hell-Trilogie handelt und sich unter der 42nd Street buchstäblich der Schlund zur Hölle auftun würde. Die heftige Wirkung des Films kann man eigentlich nur bewundern oder zutiefst verabscheuen.

1. Dressed to Kill

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Brian De Palmas US-Giallo-Meisterwerk und Psycho-Hommage landet ganz klar auf Platz 1 der New Yorker Killer-Thriller. Ein schockierender Rasiermesser-Mord in einem Fahrstuhl bildet den Auftakt zu einer packenden und cleveren Jagd nach dem Täter, die von der Callgirl-Zeugin (Nancy Allen) und dem smarten Sohn des Opfers (Keith Gordon) ausgeht. De Palma nutzt geschickt Tricks wie den Split-Screen, um die Zuschauer bei der eigentlich offensichtlichen Auflösung an der Nase herumzuführen. Dabei hintergeht der psychosexuelle Dressed to Kill die Intelligenz seines Publikums jedoch nicht, sondern – im Gegenteil – fordert es zu einer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums auf. Ein absolutes Muss!

Das war’s erstmal mit dieser Liste.

Mit welchen der genannten Werke könnt Ihr etwas anfangen und fallen Euch noch weitere NYC-Slasher ein?

Cocaine Bear (2023) Kritik

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Cocaine Bear (2023) Filmkritik

Cocaine Bear, USA 2023 • 95 Min • Regie: Elizabeth Banks • Drehbuch: Jimmy Warden • Mit: Keri Russell, Margo Martindale, Ray Liotta, Alden Ehrenreich, O’Shea Jackson Jr., Jesse Tyler Ferguson • Kamera: John Guleserian • Musik: Mark Mothersbaugh • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 13.04.2023 • Deutsche Website

„Ein Bär ist auf Koks!“, fasst ein verstörter Charakter aus Elizabeth Banks' „Cocaine Bear“ die Prämisse des Films zusammen. In der Tat würde man eine solch absurde Geschichte eigentlich direkt einem wirren Hollywood-Geist zuordnen, würde diese nicht auf einem wahren Ereignis aus dem Jahre 1985 beruhen. Unter dem Namen Pablo Eskobear hat ein Schwarzbär vor seinem Tod 34 Kilo Kokain verschlungen, das bei einem missglückten Drogentransport über den Wäldern von Tennessee abgeworfen wurde. Während die ausgestopften Überreste des Tieres noch immer in einem Einkaufszentrum in Kentucky zu begutachten sind, gibt es jetzt einen Mix aus Crime-Komödie und Wildlife-Horror zu dem Vorfall. Dass das Werk die Geschehnisse sehr frei aufbereitet, sollte jetzt niemanden ernsthaft überraschen.

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Zu Beginn klärt uns ein Zitat darüber auf, dass Schwarzbären nicht von Territorialität motiviert sind und selten Menschen attackieren. Bei einem Angriff sei deshalb nicht etwa Ruhe, sondern die Gegenwehr geboten. Einer Empörungswelle zuvorkommend, outet sich die Quelle allerdings augenzwinkernd schlicht als Wikipedia. Eine blutige Attacke auf ein Touristen-Pärchen setzt dann direkt den Ton des Films, bevor uns das größere Protagonisten-Ensemble vorgestellt wird. Zu diesem gehört die Mutter Sari (Keri Russell), deren junge Tochter Dee Dee (Brooklynn Prince) zusammen mit ihrem Freund Henry (Christian Convery) unerlaubt in den Wildpark ausgebüchst ist. Für die Suche wendet sie sich an die Park-Rangerin Liz (Margo Martindale) und ihren Kollegen Peter (Jesse Tyler Ferguson). Nicht fehlen dürfen natürlich die recht sympathischen Bad Guys in Gestalt der Gangster Daveed (O’Shea Jackson Jr.) und Eddie (Alden Ehrenreich). Eddie ist der Sohn von Big Boss Syd (Filmlegende Ray Liotta in seiner letzten Rolle vor seinem Tod), der die beiden in die Wälder entsendet, um sein Kokain zurückzubeschaffen. An den Fersen der Kriminellen klebt wiederum der Ermittler Bob (Isiah Whitlock Jr.). Ein Mitglied einer Punker-Gang (Aaron Holliday) und ein geschocktes Sanitäter-Duo (Kahyun Kim, Scott Seiss) gerät mit in das rege Treiben im Wald, der sich langsam mit Leichenteilen füllen soll. Der bereits deutlich zugedröhnte Bär ist auf Zack und freut sich über jede noch so kleine Koksspur bei den Anwesenden …

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Die erste Genre-Arbeit der Regisseurin und Schauspielerin Elizabeth Banks („Pitch Perfect 2“) weiß genau was sie sein will und legt ohne ausschweifende Einführung direkt los. Das ist zunächst ein gutes Zeichen, da hier nicht unnötig Zeit für Nebensächlichkeiten verplempert wird und so die knackige Dauer von 95 Minuten eingehalten werden kann. Auf der anderen Seiten wird man mit der bereits genannten Anzahl an lebhaften Charakteren quasi in die Story gekippt und muss sich erstmal ein wenig orientieren, während das pelzige Suchttier bereits die ersten Gliedmaßen von Rümpfen reißt.

„Cocaine Bear“ ist ein rein auf morbiden Spaß ausgerichteter Film, dessen Horrorelement sich auf einige effektive Splatstick-Momente beschränkt. Eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier wie in Werner Herzogs „Grizzly Man“ darf man hier keinesfalls erwarten. Eher bekommt man ein fast schon altmodisches B-Genre-Werk im Stil von William Girdlers „Grizzly“ mit mehr Humor und ein paar subversiven Untertönen (nicht oft hat man in einer Studioproduktion Kinder beim Kokskonsum gesehen) geboten. Man fragt sich ein wenig, was ein versierterer Exploitation-Kenner wie Alexandre Aja („Crawl“) oder gar Joe Dante („Piranhas“) aus dem Stoff hätte zaubern können. Was nicht bedeuten soll, dass Banks bei dem zwar nicht besonders guten aber auch nie langweiligen Film die falsche Wahl für den Regieposten gewesen ist. Ein paar eingestreute Albernheiten hätte man sich sicher sparen können, doch insgesamt ist „Cocaine Bear“ ein souverän inszeniertes Edel-Trash-Produkt mit einer Zahl amüsanter Highlights und einer Ansammlung unwiderstehlicher Achtziger-Ohrwürmer (Depeche Modes „Just Can’t Get Enough“ und die dazugehörige Szene sind eine wahre Freude).

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Das eigentliche Manko ist dann auch eher beim Drehbuch von Jimmy Warden („The Babysitter: Killer Queen“) zu suchen, dem – im Gegensatz zum Bären – eine klare Linie fehlt und das eigentlich bis zum Ende von einem mal mehr und mal weniger geglückten Geschehen zum nächsten springt. Ganz klar ist es der Cast (während Keri Russell eher blass bleibt, stechen vor allem Isiah Whitlock Jr., Alden Ehrenreich, O’Shea Jackson Jr. und Aaron Holliday hervor), der zusammen mit dem wunderbar getricksten Apex-Raubtier den Film am Laufen hält und über manch dramaturgische Schwäche hinwegrettet. Der Klimax, der wohl ein wenig den kitschigen Märchen-Touch einer Disney-Produktion aufs Korn nehmen will und bei dem sich Ray Liottas Figur endgültig als fieser, Tierbabys tretender Schurke zu erkennen gibt, schließt mit seiner Bigger-than-Life-Gestaltung sehr passend das groteske Abenteuer ab.

Als No-Brainer und kleines Guilty Pleasure ist „Cocaine Bear“ sicher für den amüsanten Kinoabend zu empfehlen, auch wenn nach der Vorstellung vermutlich nicht mehr als ein, zwei markante Szenen kurzfristig im Kopf hängenbleiben werden.

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Wer Gefallen an koksschniefenden Bären hat, kann übrigens zusätzlich das old-schoolige 8-Bit-Game zum Film online antesten.


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Infinity Pool (2023) Kritik

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Infinity Pool (2023) Filmkritik

Infinity Pool, CAN/HUN/FR/HR 2023 • 118 Min • Regie & Drehbuch: Brandon Cronenberg • Mit: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Thomas Kretschmann, Jeffrey Ricketts • Kamera: Karim Hussain • Musik: Tim Hecker • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 20.04.2023 • Deutsche Website

„Infinity Pool“, der Titel von Brandon Cronenbergs neuem Science-Fiction-Thriller, suggeriert unendliche Möglichkeiten, die allerdings in einem fatalen Sturz münden können. Die paradiesische Atmosphäre des Touristen-Hotels im Fantasieland Li Tolqa trügt. Zäune und Wachposten sichern das exklusive Resort vermeintlich vor gewaltbereiten Einheimischen ab. Doch ist man sich nach Sichtung des provokanten Werkes gar nicht mehr sicher, wer hier tatsächlich vor wem geschützt werden muss.

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Im Zentrum der Handlung steht das Paar Em (Cleopatra Coleman) und James Foster (Alexander Skarsgård). James ist ein erfolgloser Schriftsteller mit Schreibblockade, der den Urlaub zur Inspiration für sein nächstes Buch nutzen will, während seine aus wohlhabender Familie stammende Frau dessen müßigen Lebensstil finanziell unterstützt. Bei ihrem Aufenthalt lernen die beiden das ebenfalls gut situierte Ehepaar Gabi (Mia Goth) und Alban Bauer (Jalil Lespert) kennen, das die Fosters zu einem unerlaubten Ausflug außerhalb des Geländes einlädt. Auf der Rückfahrt zum Hotel läuft James ein Ortseinwohner vor das Auto und stirbt an der Unfallstelle. Der Drang der Fosters, die Polizei zu verständigen, wird von den Bauers eindringlich abgelehnt – die Behörden in Li Tolqa gingen bei solchen Vorfällen kompromisslos und mit aller Härte vor. Dass dies so ist, soll James am nächsten Morgen erfahren, als er von dem Ermittler Thresh (Thomas Kretschmann) ohne jeden Prozess direkt zum Tode verurteilt wird. Für den geschockten Touristen gibt es jedoch einen Ausweg: Gegen eine beträchtliche Geldsumme kann sich James klonen lassen und sein Duplikat der Strafe zuführen. Die barbarische Exekution des Doppelgängers ruft in James eine dunkle Faszination hervor, die er offensichtlich mit den Bauers und weiteren Urlaubern teilt …

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„Ist das ein Traum? Das würde mehr Sinn ergeben“, entfährt es Em in einer Szene. Und in der Tat entfaltet sich „Infinity Pool“ mit einem flüchtigen Gefühl aus verbotener Anziehung und kafkaeskem Horror wie ein Traum, oder besser: Albtraum. Konkret entspringt die Geschichte einer fiebrigen Fantasie, doch was man hier thematisch greifen kann, basiert tatsächlich auf dem Schrecken einer ausbeuterischen und zutiefst korrupten Gesellschaft. Was wäre, wenn Geld und Gewalt die einzigen Konstanten sind, die eine Ordnung bestimmen? Würden die Inhaber dieser Instrumente damit nicht über unendliche Macht verfügen und wie Götter über den Unpriviligierten schweben? Vor allem: Was wäre, wenn dies nicht wäre, sondern schon längst so ist?

Brandon Cronenbergs Film ist ein verzerrter Spiegel, der uns in monströsen Proportionen vorführt, was in vielen Staaten dieser Welt bittere Realität ist. Durch die Augen von James erleben wir, wie Gabi, Alban und ihre reichen Gefährten ihre komfortable Situation für perverse Spiele ausnutzen und die bröckelige Rechtsprechung von Li Tolqa am Ende lediglich dazu dient, die Taschen der Mächtigen zu füllen während der Rest der Bevölkerung in Elend lebt. Li Tolqa stellt dabei kein spezifisches Land dar, doch ein geschilderter Vorfall, bei dem ein Arbeiter beim Bau eines Infinity Pools durch mangelnde Sicherheitskonzepte in den Tod gestürzt ist, erinnert wohl nicht zufällig an die unmenschliche Entstehungsgeschichte des WM-Stadions in Katar.

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Nach seinem vielversprechenden Debüt „Antiviral“ und dem ultrabrutalen Nachfolger „Possessor“ setzt sich der Regisseur und Drehbuchautor mit „Infinity Pool“ noch mehr von den Werken seines Vaters, der Body-Horror-Legende David Cronenberg („Videodrome“), ab. Freilich erinnert der exotische Ferienort entfernt an „Naked Lunch“ und die makabren Triebe der dekadenten Urlaubergruppe rufen Assoziationen mit dem Selbstverletzungsfetisch in „Crash“ hervor, doch insgesamt steht der Genre-Hoffnungsträger mit diesem radikalen wie schwarzhumorigen Blick in einen tiefen Abgrund als eigene Marke da. Die Thematik des Klonens wird glücklicherweise nicht unnötig als Mindfuck verheizt, bei dem zum Schluss als einzige Frage bleibt, wer nun das Original ist. Auch wenn diese Frage im Verlauf kurz angerissen wird und in der Tat unheimlich anmutet, spielt die Antwort darauf eigentlich keine große Rolle. Es sind exakte Dupletten, die den Charakteren dazu dienen, in Li Tolqa schrankenlose Freiheit ohne echte Konsequenzen zu genießen.

Alexander Skarsgård („The Northman“) steht hier als reichlich naiver James unter dem Einfluss der von Mia Goth („X“, „Pearl“) herrlich psychotisch gespielten Femme fatale Gabi. Ein echter Mann zu sein koste Blut, flüstert Gabi James ein. Absolute Greueltaten sind zur Transformation zum freigeistigen Ungeheuer nötig. „Infinity Pool“ widersteht der Versuchung eines moralisierenden Endes. Cronenberg lässt einen buchstäblich desillusioniert im Regen sitzen und genau dieser finale Eindruck ist zur Reflektion richtig. Das Werk ist trotz seiner teils rauschhaften Bilder von Kameramann Karim Hussain („Subconscious Cruelty“) und Spitzen von expliziter Gewalt und Sex (in Deutschland wird im Gegensatz zu den USA die ungekürzte Fassung im Kino zu sehen sein) eher dem nachdenklichen Arthouse- als dem wüsten Exploitation-Kino zuzuordnen.

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Auch wenn dem wenig mainstreamkompatiblen „Infinity Pool“ ein hiesiger Kassenerfolg voraussichtlich verwehrt bleibt und der Film seine Anhänger vor allem auf Festivals wie der Berlinale finden wird, dürfte er mit seinem klaren Blick auf die Themen Dekadenz, Korruption und Ausbeutung bei anspruchsvollen Kinogängern noch längere Zeit Gesprächsstoff bleiben. Brandon Cronenberg ist hier ein starkes und nachwirkendes Drittwerk gelungen, das man wohl schon jetzt zu den Highlights des noch jungen Filmjahres 2023 zählen kann.


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Ant-Man and the Wasp: Quantumania (2023) Kritik

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Ant-Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmkritik

Ant-Man and the Wasp: Quantumania, USA 2023 • 125 Min • Regie: Peyton Reed • Mit: Paul Rudd, Evangeline Lilly, Kathryn Newton, Jonathan Majors, Michelle Pfeiffer, Michael Douglas, Corey Stoll, Bill Murray • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 15.02.2023 • Website

Handlung

Scott Lang (Paul Rudd) hat es endlich geschafft. Stand er in seinem letzten Film noch als Krimineller unter Hausarrest, ist er seit dem Triumph der Avengers gegen Thanos ein gefeierter Held. Auf der Straße wird er wiedererkannt, Leute wollen Selfies mit ihm, seine Autobiografie steht kurz vor ihrer Veröffentlichung und in seinem Stammcafé muss er nicht zahlen – auch wenn der Besitzer ihn eigentlich mit Spider-Man verwechselt. Aber was soll’s, das Leben ist schön und auch seine Beziehung mit Hope (Evangeline Lilly) läuft super. Allein die Tatsache, dass er fünf Jahre im Leben seiner Tochter Cassie verpasst hat, schmerzt immer noch etwas.

Die inzwischen 18-jährige Cassie (Kathryn Newton) ist eine Aktivistin, die auch mal das Gesetz überschreitet und unerlaubt Ant-Man-Technologie nutzt, um sich für ihre Ideale einzusetzen. Nach ihrer (wiederholten) Verhaftung sorgt sich Scott, dass seine Tochter in die Fußstapfen ihres Ex-Knacki-Vaters treten könnte. Dabei ahnt er nicht, dass Cassie längst ein eigenes Superhelden-Suit hat und zudem eine geniale Erfinderin ist, die gemeinsam mit Hank (Michael Douglas) ein Instrument konstruiert hat, mit dem man das Quantenreich abscannen kann. Als Hanks Ehefrau Janet (Michelle Pfeiffer), die selbst unfreiwillig mehrere Jahrzehnte im Quantenreich verbracht hat, bei der Vorführung der Erfindung erfährt, dass diese nicht nur Signale aus dem Quantenreich empfängt, sondern sie auch dorthin sendet, zieht sie angsterfüllt den Stecker, doch es ist zu spät: Scott, Hope, Cassie, Hank und Janet werden ins Quantenreich hineingezogen, wo ein geheimnisvoller Herrscher namens Kang (Jonathan Majors) auf sie wartet. Er hat eine Vorgeschichte mit Janet, kennt aber auch Scott, obwohl dieser ihn noch nie getroffen hat. Kang wurde einst ins Quantenreich verbannt und hat es mittels hochentwickelter Waffentechnologie unterjocht, doch um daraus endlich auszubrechen, braucht er Ant-Man und nimmt Cassie als Geisel, um Scott dazu zu zwingen, eine gefährliche Mission für ihn zu unternehmen. Scott braucht einen Plan, um seine Tochter zu retten, aber auch Kang davon abzuhalten, seinen Eroberungsfeldzug fortzusetzen.

Kritik

"Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern."

Galadriels Zitat aus Der Herr der Ringe trifft nicht nur auf Frodo zu, sondern auch auf den Marvel-Helden Ant-Man. Der Sieg über Thanos und die Rettung des halben Universums war natürlich das Ergebnis der Teamarbeit der Avengers und der Opferbereitschaft von Tony Stark. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass all das ohne die Zeitreise-Idee von Scott Lang alias Ant-Man, der den Stein erst ins Rollen gebracht hat, gar nicht möglich gewesen wäre. Okay, genau genommen hat eine Ratte die Welt gerettet, indem sie das Portal aktiviert und Scott aus dem Quantenreich befreit hat, aber wollen wir mal nicht zu genau sein. "Look Out for the Little Guy" heißt in Ant-Man and the Wasp: Quantumania die Autobiografie von Scott Lang, die übrigens im September tatsächlich in die Läden kommen wird. Mit ihr möchte Scott der Welt seine Schlüsselrolle bei ihrer Rettung ins Bewusstsein rufen.

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 1Diese Entwicklung spiegelt sich auch auf der Meta-Ebene wider: Das eher simpel gestrickte und kommerziell kleinste MCU-Franchise spielte im Marvel-Kinouniversum bislang eine eher untergeordnete Rolle. Die ersten beiden Filme waren hauptsächlich leichtfüßige Spaßfilme nach epischen Avengers-Events: der erste Ant-Man als Epilog von Phase Zwei unmittelbar nach Avengers: Age of Ultron und das Sequel als Verschnaufpause zwischen Avengers: Infinity War und Avengers: Endgame. Das ändert sich jedoch grundlegend mit Ant-Man and the Wasp: Quantumania. Marvels kleinster Held soll nicht mehr unter Wert verkauft werden und die Rolle seines neusten Films im MCU trägt seinem entscheidenden Einsatz bei der Umkehr des Snaps Rechnung. Das dritte Ant-Man-Abenteuer positioniert sich als Auftakt von Marvels Phase Fünf und gibt den Marvel-Fans das, worauf sie schon seit dem Ende der Infinity Saga warten und wonach sie in Phase Vier größtenteils vergeblich suchten: Einen klaren Pfad vorwärts für die Multiverse Saga und einen übergreifenden Bösewicht, der sich einerseits stark von Thanos unterscheidet und andererseits durch seine Besonderheiten ernstzunehmend genug ist, um als dessen würdiger Nachfolger gesehen zu werden.

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 2Jonathan Majors feierte bereits im Finale der ersten "Loki"-Staffel sein Debüt als eine eher wohlwollende Variante von Kang und genießt in Quantumania sichtlich die Gelegenheit, unterschiedliche Facetten derselben Figur auszuleben. Seine Beweggründe bleiben noch jedoch leider (und vermutlich bewusst) nebulös, was ihm die Komplexität und Tiefe eines Kilmonger oder eines Zemo raubt, doch Majors zeigt definitiv genug Potenzial, um bei künftigen Auftritten zu einem der besten Marvel-Schurken aufzusteigen. Wenn Euch der Hauptfilm noch nicht ganz davon überzeugt, dass er das Zeug zum neuen Avengers-Schreck nach Thanos hat, dann wird es vermutlich spätestens die Abspannszene schaffen.

Um seiner zentralen Rolle als Sprungbrett für Phase Fünf und Wegbereiter von Avengers: The Kang Dynasty gerecht zu werden, musste sich bei Ant-Man and the Wasp: Quantumania Vieles ändern. Waren die ersten beiden Ant-Man-Filme noch von exzentrischen Nebenfiguren, albernem Humor und niedrigen Einsätzen geprägt, steht in Quantumania nicht nur das Schicksal der gesamten Welt auf dem Spiel, sondern auch das der unzähligen Parallelwelten. Um diese neuen hohen Einsätze zu verdeutlichen, wurde die Reihe einer Generalüberholung unterzogen. Abgesehen von einem winzigen Gastauftritt von Randall Park als FBI-Agent Jimmy Woo, verzichtet Quantumania auf jegliche Nebenfiguren aus den ersten beiden Filmen. Weder Judy Greer als Scotts Ex-Frau noch Bobby Cannavale als ihr neuer Ehemann sind mit von der Partie und auch auf Luis (Michael Peña), Kurt (David Dastalmachian) und Dave (T.I. Harris) wartet man vergeblich, wobei Scotts Ex-Knacki-Kumpel erstaunlicherweise nicht einmal mit einer Erwähnung gewürdigt werden. Dastalmachian kehrt jedoch in der Originalfassung in einer Sprechrolle als ein ganz anderer, sehr lustiger Charakter zurück. Stichwort: Löcher!

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 3Die größte Veränderung betrifft jedoch das Setting und den visuellen Look des Films. Nach zwei sehr irdischen, wenn auch nicht ganz bodenständigen Abenteuern verlässt Quantumania unsere Welt nach weniger als einer Viertelstunde und verbringt nahezu die gesamte darauffolgende Laufzeit im visuell opulenten Quantenreich. Zwar befinden wir uns technisch gesehen immer noch auf unserem Planeten, die Quantenwelt erinnert mit ihren vielfältigen schrägen Kreaturen, Völkern und Fluggeräten sowie einem Bösewicht, der (mehr oder weniger) Blitze aus seinen Händen schießt und Armeen von gleich uniformierten Nicht-aber-fast-Sturmtrupplern so sehr an Star Wars, dass man jede Minute erwartet, dass jemand das Lichtschwert zückt oder nach dem Weg nach Tatooine fragt. Tatsächlich fühlt sich Quantumania sogar mehr wie Star Wars an als die Weltraumabenteuer der Guardians of the Galaxy.

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 4

Regisseur Peyton Reed, der zwei Folgen der Star-Wars-Serie "The Mandalorian" gedreht hat, war offenbar von der Welt der Sternenkrieger so angetan, dass er seinen dritten Ant-Man als zweistündiges Bewerbungsvideo für die Regie eines Star-Wars-Films inszeniert hat. Das ist nicht zwingend ein Makel per, doch für die Fans der ersten zwei Filme könnte die Reihe ihren Charakter dadurch ähnlich verloren haben wie Thor für einige mit Tag der Entscheidung. Für mich, der mit den ersten zwei Filmen trotz ihrer Qualitäten nicht so richtig warm geworden ist, macht der durchgeknallte Ritt durch fremde Welten Quantumania knapp zum besten Teil der Reihe. Wer jedoch auf CGI-Overkill allergisch reagiert, könnte mit dem Film seine Schwierigkeiten haben.

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 5Bei all den Änderungen behält Quantumania den lockeren Humor der Reihe weiterhin bei. In Abwesenheit von Michael Peña sorgt dafür ausgerechnet Corey Stoll. War er als Darren Cross noch ein blasser, eindimensionaler Antagonist im ersten Ant-Man-Film, der am Ende ins Quantenreich geschickt wurde, wurde er seitdem von Kang gefunden und erhielt als M.O.D.O.K. (Mechanized Organism Designed Only for Killing) eine neue Bestimmung, die er mit einer Mischung aus Besessenheit, Rachegelüsten und Selbsthass auslebt. Als überdimensionaler Kopf in einem kleinen Roboterkörper ist er ein wahrlich bizarrer Anblick und Stoll hat deutlich mehr Spaß mit der Rolle als bei seinem ersten Einsatz.

An der Protagonisten-Front macht Paul Rudd wieder sein Ding als sympathischer Loser, der zum unwahrscheinlichen Helden wurde, und hat seine selbstironische Performance perfektioniert. Leider rückt Evangeline Lilly ziemlich in den Hintergrund, dafür bekommt ihre Filmmutter Michelle Pfeiffer, immerhin auch eine titelgebende Wasp, deutlich mehr zu tun als im letzten Film. Es ist möglicherweise ihre coolste Badass-Rolle, seit sie vor über 30 Jahren Catwoman verkörpert hat. Kathryn Newton überzeugt als lebhafte, taffe Cassie, die bei künftigen Auftritten (Young Avengers vielleicht?!) richtig aufblühen könnte.

Ant Man and the Wasp Quantumania (2023) Filmbild 6Wenn man Quantumania etwas vorwerfen kann, dann dass es in dem Film zwar immer wieder betont wird, wie gefährlich Kang ist und welche große Bedrohung er für unsere und alle anderen Welten darstellt, diese hohen Einsätze jedoch nie richtig spürbar werden. Zu keinem Zeitpunkt hat man ernsthaft Angst um Scott, Cassie oder andere Figuren und trotz der zahlreichen ehrfurchtsvollen Beteuerungen seiner Übermacht wirkt Kang nie so allmächtig. Dadurch flacht der Spannungsbogen des Films etwas ab. Das ist jedoch nicht Majors' Schuld, sondern die des Drehbuchs. Was übrig bleibt, ist ein humorvoller, effektreicher Blockbuster mit einem tollen Cast, einigen kreativen Einfällen und viel Potenzial, von dem jedoch nur ein Teil erfüllt wird.

Fazit

Auch wenn Ant-Man and the Wasp: Quantumania den gelegentlich albernen, selbstironischen Humor beibehält, ist der dritte Ant-Man-Film mit seinen deutlich höheren Einsätzen, einem drastischen Setting-Wechsel und dem ersten ernstzunehmenden Bösewicht der Reihe sowohl visuell als auch inhaltlich eine deutliche Abkehr von seinen recht klein gehaltenen, schlichten Vorgängern, die dem Marvel-Universum einen erstaunlichen Star-Wars-Anstrich verpasst. Jonathan Majors zeigt als Kang Potenzial, unter die besten Marvel-Schurken aufzusteigen, ist aber noch nicht ganz so weit, während Michelle Pfeiffers coolste Rolle seit Jahren und Corey Stolls urkomische Rückkehr sie zu den heimlichen Stars des Sequels machen. Der gelungene Auftakt zu MCUs Phase Fünf gibt eine klare Richtung für die Multiverse Saga vor und wird durch zwei Abspannszenen abgerundet, die viele Marvel-Fans in Vorfreude jubeln lassen werden.

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Knock at the Cabin (2023) Kritik

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Knock at the Cabin (2023) Filmkritik

Knock at the Cabin, USA 2023 • 100 Min • Regie: M. Night Shyamalan • Drehbuch: M. Night Shyamalan, Steve Desmond, Michael Sherman • Mit: Dave Bautista, Jonathan Groff, Ben Aldridge, Kristen Cui, Rupert Grint, Nikki Amuka-Bird, Abby Quinn • Kamera: Jarin Blaschke, Lowell A. Meyer • Musik: Herdís Stefánsdóttir • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 09.02.2023 • Deutsche Website

M. Night Shyamalan ist ein bemerkenswerter Regisseur. Früh wurde er mit seinem Geisterdrama „The Sixth Sense“ als neuer Spielberg in den Himmel gehoben. Im Anschluss feierte er weiterhin gigantische Erfolge an den Kinokassen, auch wenn die Rezeption seiner Folgewerke zunehmend kritischer ausgefallen ist. Unerbittlichen Spott und Häme musste er seit dem teuren B-Movie „The Happening“ über sich ergehen lassen. Zusätzlich bekam er mit „Shamalamadingdong“ persönlich einen rassistisch geprägten Spitznamen aufgedrückt. Trotz dieser sicher nicht immer angenehmen Hollywood-Achterbahnfahrt ist er noch immer als gefragter Studio-Filmemacher im Rennen. Und individuelle Qualitäten bringt er mit. Oft sind seine Arbeiten mit einem nicht zu leugnenden Gespür für Timing ausgestattet. Die Spannung steigt hinter langen Close-Ups von Blicken und unter schließlich zögerlich gesprochenen Worten. Und dann wäre da natürlich noch das Klischee mit dem Twist, das Shyamalan seit seinen ersten Hits anhaftet.

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Mit seinem neuen Film „Knock at the Cabin“ wagt er sich jetzt an seine erste Romanadaption. Das 2018 mit dem Bram-Stoker-Award ausgezeichnete Buch „The Cabin at the End of the World“ (deutscher Titel: „Das Haus am Ende der Welt“) von Paul Tremblay gehört zu den populärsten Vertretern der aktuellen Genre-Literatur, weshalb eine entsprechende Umsetzung nur eine Frage der Zeit gewesen ist. Rein inszenatorisch könnte der mysteriöse Mix aus Home-Invasion-Thriller und apokalyptischem Horror tatsächlich die bislang intensivste Arbeit Shyamalans darstellen. Gleich der Auftakt ist eine kleine Meisterleistung an stiller Bedrohung, die sich schnell zu purem Terror steigert. Durch die großartige Kamera von Oscar-Nominee Jarin Blaschke („The Witch“, „Der Leuchtturm“) und Lowell A. Meyer ist man als Zuschauer buchstäblich mitten im Geschehen, wenn über die im Zentrum stehende Kleinfamilie der Schrecken hereinbricht. Schauspielerisch gibt es keine Aussetzer zu vermelden und als Kenner der Vorlage kann man sich mit dem Casting der Charaktere mehr als zufrieden geben. Und dennoch: „Knock at the Cabin“ ist der erste Shyamalan-Film, der mich ernsthaft frustriert und traurig bis wütend gemacht hat. Das Problem liegt dabei keinesfalls im Handwerk, es ist einzig und allein beim Regisseur und Co-Autor zu suchen, der das letzte Drittel der zutiefst humanistischen Geschichte quasi rausgerissen und in seinem Sinne umgeschrieben hat. Keine dieser Änderungen – abgesehen von einem anderen Titel – ist von Vorteil für das Werk. Es ist jedoch die Umgestaltung der urspünglichen Aussage, die wirklich erschreckend ist und tief in den Verantwortlichen selbst blicken lässt.

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Die Prämisse von Buch und Film sind identisch: Das schwule Ehepaar Eric (Jonathan Groff) und Andrew (Ben Aldridge) verbringt seinen Urlaub zusammen mit seiner jungen Adoptivtochter Wen (Kristen Cui) in einer abgelegenen Hütte im Wald. Eines Tages nähert sich der hünenhafte Leonard (Dave Bautista) dem Kind und bereitet es auf das vor, was in Kürze geschehen wird. Leonard und seine Mitstreiter Sabrina (Nikki Amuka-Bird), Ardiane (Abby Quinn) und Redmond (Rupert Grint) werden mit ihren bedrohlichen Tötungsinstrumenten in das Haus der Familie eindringen, sie fesseln und vor eine düstere Wahl stellen: Entweder jemand von ihnen lässt sich von einem der Liebsten freiwillig umbringen oder die Apokalypse wird die gesamte Menschheit auslöschen. Dieses Szenario sei den Eindringlingen in einer gemeinsamen Vision erschienen und als vermeintliche Beweismittel zeigen sie ihren Opfern Nachrichtensendungen von Flutkatastrophen und Epidemien. Um zu demonstrieren, wie ernst es ihnen ist, wird das Quartet seine Werkzeuge an sich selbst einsetzen. Doch das Band zwischen den Familienmitgliedern ist stark – nur wird es auch die weiteren Schreckensbilder überdauern?

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In Kürze sind die positiven Aspekte von „Knock at the Cabin“ ja bereits aufgeführt worden, zumindest soll aber noch schnell auf die im Mainstream-Kino immer noch relativ seltene Repräsentation von homosexuellen Hauptfiguren eingegangen werden. Eric und Andrew sind zwei absolut sympathische Protagonisten, die von Jonathan Groff („Mindhunter“) und Ben Aldridge („Pennyworth“) mit einer spürbaren Chemie untereinander verkörpert werden. Das Thema der sexuellen Orientierung und die damit verbundenen Hürden wird zwar an verschiedenen Stellen und in vor allem Rückblenden behandelt, doch entgeht der Film der Gefahr, dass sich der Gesamtfokus zu stark darauf richtet. Liebe ist nicht geschlechts- oder ethnienabhängig, an dieser klaren Message hat sich im Vergleich mit der Vorlage glücklicherweise nichts geändert.

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Es ist gar nicht so einfach, über das konkrete Versagen des Films zu schreiben ohne in Spoilerterritorium zu geraten. Ich will es versuchen: Tremblays Roman ist als Reaktion auf die Lügen und Desinformationen sowie das zunehmend aggressive Klima unter der Trump-Admistration entstanden. Dabei geht der Autor nicht mit dem erhobenen Zeigefinger vor, sondern bleibt in seinem Text bis zum Schluss uneindeutig darüber, ob es sich bei Leonards Gruppe um wahrhafte Propheten der Apokalypse oder um gefährliche Spinner (QAnon anyone?) handelt. Zwar lässt sich durch die Nachrichten eine bedenkliche Anhäufung von Katastrophen darstellen, doch werden dabei Zufälligkeiten oder womöglich wissenschaftliche Fakten gar nicht näher in Betracht gezogen. Die Zweideutigkeit ersetzt Shyamalan am Ende der Adaption gegen seine eigene im besten Fall schmerzhaft naive, im schlimmsten Fall allerdings ideologisch verblendete Sichtweise. Der Glaube, der bereits in „Signs“ eine zentrale Rolle gespielt hat, zeigt diesmal alttestamentarische Auswüchse. Wenn es nach Leonard und Co. geht, hat der Mensch in Gottes sadistischem Spiel gar keine freie Wahl mehr. Auch wenn sie etwas anderes sagen. Blut muss fließen, mindestens das von einer Person. Man hatte gedacht, die Menscheit wäre inzwischen weiter und würde sich drängenden Fragen (Klimakrise, Epidemien, Cyberkriege) auf intelligente Weise annehmen und weltliche Antworten suchen. Zumindest Shyamalan hält im Gegensatz zu Tremblay offenbar wenig von der Aufklärung. Warum auch, wenn eh alles vorherbestimmt ist und Entscheidungen ihren Namen nicht verdienen?

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Das präsentierte Ende von „Knock at the Cabin“ könnte trostloser und verstörender kaum sein, doch der Regisseur verkauft es uns als bittere Pille, die zwar geschluckt werden muss, aber nach der schon alles wieder gut werden wird. Tremblays Roman ist ebenfalls finster (eine besonders erschütternde Szene hat es gar nicht in den Film geschafft und musste es auch nicht zwingend), doch feiert er in all der Ungewissheit die unter keinen Umständen verhandelbare Liebe zwischen Menschen, die sich niemals einer grausamen Gottheit unterwerfen werden. Sicher, man darf Änderungen an Büchern für die Verfilmung vornehmen, doch führt eine sehr schlechte Änderung an zentraler Stelle dann eben eventuell auch zu einem sehr schlechten Film. Wie würden übrigens die Befürworter den Ausgang dieser Geschichte sehen, wenn die Propheten aus einem anderen Kulturkreis kämen, lange Bärte hätten und stumpfe Messer bei sich tragen würden?

Knock at the Cabin (2023) 7

Ich musste nach der Vorstellung an Wolfgang M. Schmitts Filmanalyse zu „Old“ unter der Überschrift „Nie wieder Shyamalan“ denken. Schmitt kann sich darin vorstellen dass der Regisseur unter Hilfe eines guten Dramaturgen oder Lektors auch wieder etwas Vernünftiges aus seinen Konzepten machen könnte (ich mochte übrigens noch sowohl „The Visit“ als auch „Split“, vielleicht einfach weil beide reichlich schräger aber unverfänglicher Spaß waren). Diesmal hatte Shyamalan tatsächlich eine gleichzeitig packende und zum Nachdenken anregende Vorlage direkt vor der Nase. Er hat sich jedoch nach 90 Minuten aufwühlendem Kino für die schlimmst mögliche Alternative entschieden und damit alle wunderbaren Leistungen (Bautista war nie besser) davor mit in die Tonne gekloppt.

Zumindest ich kann leider kein noch so toll gestaltetes Produkt mehr genießen, wenn dessen Kern derart verfault ist.


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The Price We Pay (2022) Kritik

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The Price We Pay (2022) Filmkritik

The Price We Pay, USA 2022 • 85 Min • Regie: Ryûhei Kitamura • Drehbuch: Christopher Jolley • Mit: Emile Hirsch, Gigi Zumbado, Stephen Dorff, Vernon Wells, Tyler Sanders, Tanner Zagarino • Kamera: Matthias Schubert • Musik: Aldo Shllaku • SPIO/JK: keine schwere Jugendgefährdung • Verleih: Tiberius Film • VoD-Start: 09.02.2023 • Deutsche Website

Ryûhei Kitamuras „The Price We Pay“ hat sich vor allem Robert Rodriguez' Kultstreifen „From Dusk Till Dawn“ als Vorbild für seinen Mix aus hartem Crime-Thriller und absurdem Grindhouse-Horror genommen. Im Gegensatz zum genannten Vampir-Splatter will der Ansatz hier aber nicht wirklich gelingen. Zunächst bekommen wir zu früh einen Vorgeschmack auf das Grauen, das uns eigentlich später überraschen sollte. Doch das ist nicht das Hauptproblem des B-Films: Es muss ja nicht immer ein mit Blutsaugern gefüllter Stripclub wie der Titty Twister sein, doch etwas mehr als den ziemlich drögen und ausgelutschten Schrecken, den uns Kitamura und sein Autor Christopher Jolley auftischen, darf man bei einem stumpf-unterhaltsamen Midnight-Movie schon erwarten. „The Price We Pay“ langweilt über weite Strecken schlicht, und das ist nicht gut.

The Price We Pay 1

Es beginnt an einer Raststätte, an der ein reichlich prolliger Fahrer seine weibliche Begleitung unter lautstarkem Protest rauswirft. Einige sinistre Gestalten in einem Truck beobachten die Situation und betäuben die Frau auf der Toilette. Einige Kilometer weiter rauben Cody (Stephen Dorff), Alex (Emile Hirsch) und dessen Bruder Shane (Tanner Zagarino) gerade ein Pfandhaus aus. Es kommt zu einer blutigen Schießerei, bei der Shane verletzt wird, und die drei Gangster entscheiden sich kurzerhand, die anwesende Grace (Gigi Zumbado) als Geisel zu nehmen. Auf der Flucht versuchen sie einer Polizeikontrolle zu entgehen und wählen den Weg durch das texanische Hinterland bis zu einer abgelegenen Farm. Texas? Farm? Richtig, uns steht ein Massaker bevor. Allerdings ohne Kettensäge und dafür mit einer Spule aus Stacheldraht. Einen hünenhaften Leatherface-Verschnitt gibt es später auch zu sehen, nachdem die Antihelden die Warnung des dort lebenden Danny (Tyler Sanders) ignorieren und Alex die Ställe durchsucht. Inzwischen ist der Truck vom Anfang ebenfalls angekommen und die Lage spitzt sich zu …

The Price We Pay 2

Mit seinem actionreichen Yakuza-vs-Zombies-Mix „Versus“ und der leider von Vertreiber-Seite völlig lieblos verwursteten, äußerst wilden Clive-Barker-Adaption „The Midnight Meat Train“ mit einem noch aufstrebenden Bradley Cooper in der Hauptrolle, hatte sich der japanische Regisseur Ryûhei Kitamura als Vertreter unprätentiöser, goriger Hardcore-Kost einst bei Genre-Fans empfohlen. Leider ist er nach dem provozierten Flop des letztgenannten Films nie wieder in den Genuss einer ähnlich packenden Vorlage oder der damaligen Produktionsstandards gekommen. Der unmittelbare Nachfolger „No One Lives“ war ziemliche Grütze und der Scharfschützen-Thriller „Downrange“ krankte an einem schlechten Skript mit dämlichen Charakteren. Trotzdem besteht weiterhin die Hoffnung, dass das frühere Energiebündel unter den richtigen Umständen wieder zur Hochform auflaufen könnte. „The Price We Pay“ ist jedoch leider nicht das Werk, das seine Karriere voran treiben wird. Zwar ist die Inszenierung für einen Film dieser Art solide ausgefallen, doch den einstigen visuellen Einfallsreichtum sucht man hier vergebens.

Wie bereits erwähnt, ist jedoch die ideenlose Vorlage der eigentliche Stolperstein: Stephen Dorff („Blade“) und Emile Hirsch („The Autopsy of Jane Doe“) geben sich als Gecko-Brüder-Kopie alle Mühe, ihren schablonenhaften Figuren etwas raues bis psychotisches Charisma zu verleihen, und auch Gigi Zumbado („Tone-Deaf“) macht aus ihrer Kontast-Rolle als eigentliche Heldin das Beste. Doch da es letztlich darauf hinausläuft, toughe 08/15-Dialoge rauszuhauen oder auf einer Liege festgeschnallt wahlweise zu fluchen oder zu flehen, macht sich beim vermeintlich saftigen Exploitation-Stück zunehmend Langeweile breit. Bis zum großen Genre-Twist, der eigentlich keiner ist, braucht es die Hälfte der Spielzeit. Erst recht dann ist das Resultat ernüchternd: Tausend Mal gesehen hat man das, was einem als großes Geheimnis im Untergrund aufgetischt wird. Ein wenig „Hostel“ oder „Turistas“ im „Texas Chain Saw Massacre“-Setting bekommt man geboten, ausgestaltet mit billigen Spezialeffekten und reichlich spannungsarm. Wenn da nicht die überaus nervige Moral über den Preis, den wir alle zahlen müssen (gemeint ist nicht die Lebenszeit beim Anschauen oder der kleine Obolus für den Stream) wäre, könnte man „The Price We Pay“ zumindest zugute halten, dass er sich selbst nie wirklich ernst nimmt.

The Price We Pay 3

Wer den Film jedoch scheinbar wirklich ernst genommen hat, ist die FSK, die der ungekürzten Version die Freigabe verweigert hat und daher mal wieder die Juristenkommission ran musste. Zwar gibt es hier sicher ein paar ausgedehnte Splatterspitzen zu begutachten, doch insgesamt ist „The Price We Pay“ im Vergleich zu einigen zuletzt durchgewunkenen Werken doch eher zahm ausgefallen. Vermutlich ist es das groteske Finale gewesen, in dem der in Troma-Manier verunstaltete Leatherface-Ersatz eine Überlebende mit seiner Sense über den Hof jagt und es zu zur blutigen Eskalation mit dem zuvor erwähnten Stacheldraht kommt, das den Jugendschützern ein besonderer Dorn im Auge gewesen ist. Genau diese Terror-Szene ist es jedoch, die den alten Kitamura reichlich spät doch nochmal kurz von der Kette lässt und „The Price We Pay“ am Ende zwar ein schlechter Film bleibt, es aber fast für ein Guilty Pleasure reicht.

Fast.


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Oscarnominierungen 2023: Die größten Gewinner, Verlierer und Überraschungen

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Oscarnominierungen 2023

© Academy of Motion Picture Arts and Sciences

Der Staub nach der Bekanntgabe der diesjährigen Oscarnominerungen hat sich gelegt. Wer die begehrten Goldjungen tatsächlich nach Hause mitnehmen wird, werden wir erst in der Nacht vom 12. auf den 13. März erfahren, wenn die Oscars in Los Angeles zum 95. Mal verliehen werden. Wie üblich werfen wir aber jetzt schon einen ausführlichen Blick auf die Nominierungen, fassen die größten Überraschungen und Auslassungen zusammen und erklären, warum bestimmte Filme und DarstellerInnen jetzt schon als "Gewinner" hervorstechen und andere den Kürzeren gezogen haben.

Gewinner

Everything Everywhere All at Once – Wer den Film gesehen hat (und das solltet Ihr unbedingt!), wird mir zustimmen, dass der wilde Multiversum-Genremix alles andere als typisches Oscarbait ist. Es ist ein Film, in dem Leute manchmal Hotdogs anstelle von Fingern haben und Sexspielzeuge erstaunlich häufig in Martial-Arts-Kampfszenen zum Einsatz kommen. Ohne jegliche Oscar-Erwartungen wurde der Film lange vor der Oscar-Saison in der ersten Jahreshälfte veröffentlicht und begeisterte die Kinogänger sogar außerhalb der üblichen Arthouse-Nische. Mit einem weltweiten Einspiel von knapp über $100 Mio wurde er zum mit Abstand größten Hit des Prestige-Studios A24. Langsam aber sicher wurde klar, dass der Film bei den Oscars mitmischen würde und in den letzten Wochen hat er sich neben Die Fabelmans und The Banshees of Inisherin als einer der drei großen Favoriten herauskristallisiert. Dennoch hat er bei der Bekanntgabe der Nominierungen alle Erwartungen übertroffen. Alle vier seiner zentralen Darstellerinnen und Darsteller wurden nominiert, zusätzlich zu Nominierungen für die Regie, das Drehbuch, den Schnitt und natürlich als "Bester Film". Mit insgesamt elf Nennungen ist es der meistnominierte Film des Jahres. Früher hätte ihn das automatisch auch zum Favoriten für den Sieg gemacht, jedoch gewann in den letzten zehn Jahren der meistnominierte Film (Birdman und Shape of Water) nur zweimal den "Bester Film"-Oscar.

Asiatischstämmige Schauspieler – Der Nominierungsregen für Everything Everywhere All at Once ist auch ein historischer Moment für asiatische bzw. asiatischstämmige Schauspielerinnen und Schauspieler bei den Oscars gewesen. Mit Michelle Yeoh, Ke Huy Quan, Stephanie Hsu sowie Hong Chau, die für The Whale im Rennen ist, gingen vier der 20 Schauspiel-Nominierungen an asiatischstämmige Performer, was mit Abstand einen Oscar-Rekord darstellt. Yeoh ist sogar die allererste Frau, die sich selbst als Asiatin identifiziert, die in der Hauptdarstellerin-Kategorie nominiert wurde. Sie befindet sich im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Cate Blanchett (Tár) für den Sieg.

Irland – Auch Irland und irischen Schauspielern sind Academy-Wähler sehr wohlgesonnen gewesen. Neun Oscarnominierungen gingen an die irische Co-Produktion The Banshees of Inisherin, darunter vier für ihre irischen Schauspieler Kerry Condon, Colin Farrell, Brendan Gleeson und Barry Keoghan und drei weitere an ihren irischen Regisseur und Autor Martin McDonagh. Darüber hinaus wurde mit dem irischsprachigen Das stille Mädchen erstmals ein irischer Film in der Kategorie "Bester internationaler Film" nominiert und mit An Irish Goodbye ist ein Film von der grünen Insel auch im Rennen um den besten Kurzfilm.

Erstlings-Nominees unter Schauspielern – Insgesamt 16 der 20 nominierten Schauspielerinnen erhielten dieses Jahr ihre allererste Oscarnominierung. Cate Blanchett (Tár), Judd Hirsch (Die Fabelmans), Michelle Williams (Die Fabelmans) und Angela Bassett (Black Panther: Wakanda Forever) sind die einzigen Ausnahmen. Gewonnen hat zuvor lediglich Blanchett. Eine so niedrige Quote an früheren Nominees und Gewinnern gab es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Tatsächlich ist es sogar das erste Mal seit 1935 (!), dass keiner der fünf "Bester Hauptdarsteller"-Nominees vorher nominiert war. Dabei erhielten dieses Jahr etablierte Schauspieler wie Colin Farrell, Brendan Gleeson, Jamie Lee Curtis und Michelle Yeoh lange überfällige Anerkennung. Das bringt mich direkt zum nächsten Punkt…

Andrea Riseborough (To Leslie)Andrea Riseborough ist eine Schauspielerin, die seit Jahren schon starke Performances abliefert. Ihre Nominierung für To Leslie ist dennoch ein kleines Wunder, denn sie tauchte vorher auf nahezu keiner Liste der gängigen Preisverleihungen auf und wurde weder von den Golden Globes noch von der Schauspielergewerkschaft SAG noch den BAFTAs oder den Critics' Choice Awards nominiert. Ihr Micro-Budget-Drama To Leslie hatte keinerlei Budget für die übliche Oscar-Kampagne, also musste Riseborough einfallsreich werden und sicherte sich die Unterstützung prominenter Freundinnen wie Gwyneth Paltrow, Amy Adams und Kate Winslet, die öffentlich von ihrer Performance schwärmte, Q&A-Sessions mit ihr durchführten und für die Anerkennung ihrer Darbietung einsetzten. Sogar Cate Blanchett nannte Riseborough bei ihrer Rede nach dem Sieg bei den Critics' Choice Awards. Die Bemühungen haben sich gelohnt, die Academy-Wähler holten den winzigen Film nach und würdigten Riseboroughs Performance.

Blockbuster-Sequels – Mit Avatar: The Way of Water und Top Gun: Maverick sind nicht nur zwei Fortsetzungen im Rennen um "Bester Film", sondern auch die beiden umsatzstärksten Filme des Jahres. Letzteres gab es seit 40 Jahren nicht mehr, ersteres noch nie: Insgesamt wurden in der Academy-Geschichte nur neun Sequels nominiert, jedoch noch nie zuvor zwei im selben Jahr.

Im Westen nichts Neues – Die erste (US-amerikanische) Verfilmung von Erich Maria Remarques Roman gewann den Hauptpreis bei der dritten Oscarverleihung. Die neuste (deutsche) Adaption ergatterte neun Nominierungen und wurde zum ersten deutschsprachigen Film überhaupt, der als "Bester Film" im Rennen ist. Außerdem überholte Im Westen nichts Neues Das Boot als meistnominierten deutschen Film. Tiger and Dragon und Roma sind die einzigen nicht-englischsprachigen Filme, die noch mehr Oscarnominierungen (jeweils zehn) erhielten.

Europäisches Kino – Neben den Triumphen der europäischen Filme Im Westen nichts Neues und The Banshees of Inisherin gelang auch dem Cannes-Sieger Triangle of Sadness ein überraschender Erfolg mit drei Nominierungen für seinen Macher Ruben Östlund – als Regisseur, Drehbuchautor und für den Film selbst.

Verlierer

Filme mit mehrheitlich schwarzer Besetzung – Während asiatischstämmige Schauspielerinnen und Schauspieler bei den Nominierungen besser repräsentiert sind denn je, sind mehrere im Vorfeld als Kandidaten gehandelte Filme mit afroamerikanischen Casts komplett untergangen. Einer davon ist The Woman King, der nicht nur hervorragende Kritiken erhielt, sondern auch ein Kassenhit war und auf mehreren Bestenlisten des letzten Jahres aufgetaucht ist. Viola Davis war bei den Golden Globes, den BAFTAs und der Schauspielergewerkschaft SAG nominiert, Regisseurin Gina Prince-Bythewood bei den Critics' Choice Awards und den BAFTs und sowohl die National Board of Review als auch das American Film Instutite zeichneten The Woman King als einen der zehn besten Filme 2022 aus. Bei de Oscars gab es für ihn keine einzige Nominierung. Dasselbe gilt auch für das Rassismusdrama Till, dessen Hauptdarstellerin Danielle Deadwyler auch für zahlreiche Preise im Vorfeld nominiert war. Auch Jordan Peeles Nope wurde kein einziges Mal nominiert. Black Panther: Wakanda Forever ist mit fünf Nominierungen zwar ein kleiner Lichtblick, verpasste aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger die "Bester Film"-Nominierung.

Claudio Miranda – Der Kameramann von Top Gun: Maverick hat im Vorfeld mehr (hochverdiente) Auszeichnungen für seine virtuosen Aufnahmen abgeräumt als jeder andere in der Kategorie und die meisten Experten gingen davon aus, dass er für das Blockbuster-Sequel seinen zweiten Oscar nach Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger holen würde. Stattdessen verwehrte die Academy ihm sogar eine Nominierung was für mich zu den schockierendsten Auslassungen dieses Jahr gehört. Auch Avatar: The Way of Water wurde für seine Kamera nicht nominiert, obwohl der Vorgängerfilm den Kamera-Oscar gewonnen hatte.

Taylor Swift – Während die Academy Lady Gaga und Rihanna für Oscars nominiert hat, zog Taylor Swifts Song "Carolina" aus Der Gesang der Flusskrebse den Kürzeren. Die Diskrepanz zwischen den Oscars und den Golden Globes, wo die Sängerin bereits viermal nominiert war, ist sehr groß. Swift wartet immer noch auf ihre erste Oscar-Nennung.

Die Frau im Nebel – Die Oscarnominierungen waren zwar ein Triumph für asiatische Schauspielerinnen und Schauspieler, der südkoreanische Beitrag Die Frau im Nebel von Park Chan-wook, der neben Im Westen nichts Neues als größter Anwärter in der "Bester internationaler Film"-Kategorie gehandelt wurde und dessen Macher den Regie-Preis in Cannes gewonnen hat und kürzlich bei den BAFTAs nominiert wurde, erhielt jedoch keine einzige Nominierung.

Weitere interessante Fakten

John Williams hat für Die Fabelmans die 53. Oscarnominierung seiner Karriere geholt und den Abstand zu Walt Disneys Rekord (59 Nominierungen) wieder etwas verringert. Mit 90 ist er außerdem der älteste Oscar-Nominee überhaupt. Gewonnen hat Williams jedoch schon seit Schindlers Liste nicht mehr.

Steven Spielberg ist dank Die Fabelmans mit neun Nominierungen zum zweitmeistnominierten Regisseur neben Martin Scorsese geworden. Nur William Wyler hatte mit zwölf Nominierungen noch mehr Chancen. Er ist außerdem der einzige Regisseur, der in sechs unterschiedlichen Jahrzehnten für seine Arbeit nominiert wurde. Zudem ist Spielberg mit Wyler als Regisseur mit den meisten "Bester Film"-Kandidaten (13) in der Oscargeschichte gleichgezogen.

Tár ist bereits der zehnte "Bester Film"-Kandidat, in dem Cate Blanchett mitgespielt hat. Nur Robert De Niro war in noch mehr (11) dabei.

– Es ist das fünfte Jahre in Folge, in dem ein nicht-englischsprachiger Film in der "Bester Film"-Kategorie nominiert ist.

– Nach Rachel Morrison (Mudbound) und Ari Wegner (The Power of the Dog) ist Mandy Walker mit Elvis erst die dritte oscarnominierte Kamerafrau.

– Mit 42 Jahren Abstand zwischen seiner letzten und seiner aktuellen Nominierung hat Judd Hirsch (Die Fabelmans) Henry Fondas Rekord gebrochen.

Angela Bassett wurde mit Black Panther: Wakanda Forever zur ersten Person aus einem Marvel-Film, die für einen Schauspiel-Oscar nominiert wurde. Außerdem ist sie nach Viola Davis, Octavia Spencer und Whoopi Goldberg erst die vierte schwarze Frau mit mehr als einer Oscarnominierung.

Alfonso Cuarón hat dank seiner Kurzfilm-Nominierung für Le Pupille Kenneth Branaghs Rekord aus dem letzten Jahr eingestellt und war im Laufe seiner Karriere in sieben unterschiedlichen Kategorien nominiert.

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Ich hoffe, Ihr habt meine Analyse zu den Oscarnominierungen genossen und ich werde natürlich weiter über das Rennen und die kommenden Industrie-Preise berichten, bis wir im März endlich die Oscarsieger erfahren.

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