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Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins (2023) Kritik

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Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmkritik

Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One, USA 2023 • 164 Min • Regie: Christopher McQuarrie • Mit: Tom Cruise, Hayley Atwell, Esai Morales, Simon Pegg, Rebecca Ferguson, Ving Rhames, Pom Klementieff, Vanessa Kirby, Henry Czerny, Shea Whigham, Cary Elwes • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 13.07.2023 • Deutsche Website

Handlung

Die neuste Mission von Ethan Hunt (Tom Cruise) scheint wirklich unmöglich zu sein, denn sein Gegner ist kein größenwahnsinniger Terrorist oder ehemaliger IMF-Agent, sondern eine hochentwickelte künstliche Intelligenz, die sich verselbstständigt hat und in der Lage ist, in jedes Computersystem der Welt einzudringen und es zu manipulieren. Wo die meisten Menschen mit gesundem Menschenverstand die ultimative Bedrohung sehen würden, wittern die Regierungen dieser Welt eine Chance. Wer die Entität unter seine Kontrolle bringen kann, besitzt nämlich die ultimative Waffe. Der Schlüssel zu ihrer Kontrolle ist buchstäblich ein zweiteiliger Schlüssel und ausgerechnet ehemalige MI6-Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) ist in Besitz einer Schlüsselhälfte gekommen, was sie zur meistgesuchten Person auf der Welt macht. Sein ehemaliger IMF-Vorgesetzter Eugene Kittridge (Henry Czerny) setzt Ethan auf seine Freundin und Verbündete an. Sich der Gefahr durch die Entität bewusst, beschließt Ethan, die Schlüsselhälfte nicht an seine Regierung auszuliefern, sondern wieder einmal abtrünnig zu werden und gemeinsam mit seinem treuen Team (Ving Rhames, Simon Pegg) die zweite Hälfte ausfindig zu machen und herauszufinden, was der Schlüssel aufschließt. Doch nicht nur sie haben es darauf abgesehen, sondern auch Profidiebin Grace (Hayley Atwell), mit der sie sich wohl oder übel verbünden müssen. Gemeinsam befinden sie sich nicht nur in einem Wettlauf gegen die Geheimdienste dieser Welt, sondern auch gegen einen kaltblütigen, fanatischen Killer (Esai Morales) aus Ethans Vergangenheit, der im Dienst der Entität steht.

Kritik

Es ist nicht überraschend oder ungewöhnlich, wenn eine Filmreihe, die beinahe 30 Jahre und sieben Teile auf dem Buckel hat, Ermüdungserscheinungen zeigt. Viel erstaunlicher ist es eigentlich, wenn sie es nicht tut und das kann ich von Mission: Impossible behaupten. Ich würde sogar so weit gehen, die Reihe als bestes Action-Franchise der letzten Jahrzehnte zu bezeichnen, dessen Qualitätsniveau deutlich konstanter ist als das Auf und Ab der britischen 007-Konkurrenz. Meine Rezension zu Mission: Impossible – Fallout begann vor fünf Jahren mit einem "Wow". Dass die Fortsetzung nicht auf Anhieb die gleiche uneingeschränkte Begeisterung bei mir hervorgerufen hat, liegt weniger an ihren Mängeln und vielmehr an der extrem hohen Messlatte, die die Reihe und insbesondere der nahezu makellose sechste Teil gelegt haben. Denn auch wenn Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins nicht ganz die luftigen Höhen seines Vorgängers – eines der besten modernen Actionfilme überhaupt – erreicht und nach kontinuierlicher Steigerung über mehrere Filme hinweg die Messlatte diesmal nicht spürbar höher legt, gibt es dennoch viel an diesem mitreißenden Spektakel zu bewundern, dessen 164-minütige Laufzeit wie im Flug vergeht.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 1Nachdem die ersten vier Missionen ihre Macher und einen Großteil ihrer Besetzungen von Film zu Film wechselten, schlug die Reihe ab dem fünften Teil unter der Ägide von Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie einen neuen Kurs ein. McQuarrie, der als Regisseur, Autor oder Produzent an nahezu allen Tom-Cruise-Filmen der letzten 15 Jahre beteiligt war und bereits das Drehbuch zu Phantom Protokoll überarbeitet hatte, perfektionierte in enger Zusammenarbeit mit seinem Star die M:I-Formel aus irrsinnigen, lebensgefährlichen Stunts, einem verstärkten Fokus auf Teamarbeit, ungezwungenem Humor und einer halbwegs fortlaufenden Geschichte mit immer mehr wiederkehrenden Figuren. Mit seinem dritten Mission: Impossible-Film baut McQuarrie weiter auf diese Stärken, besinnt sich aber auch auf die Anfänge der Reihe und huldigt Brian De Palmas Regiestil sowohl mit mehreren visuellen Referenzen als auch mit seinem packenden Zug-Finale. Auch erinnert der verschachtelte Plot des Films mit mehreren konkurrierenden Parteien und wechselnden Loyalitäten an De Palmas Originalfilm, ganz zu schweigen von Henry Czernys Rückkehr als Ethans zwielichtiger alter Boss.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 2Nachdem Fallout erstmals in die Psyche von Ethan Hunt eingetaucht ist, gibt Dead Reckoning Teil eins erstmals Hinweise auf sein Leben vor seiner Zeit als IMF-Agent und deutet eine tragische Vorgeschichte an, die hoffentlich im zweiten Teil noch weiter ausgeführt werden wird. Eine Schlüsselrolle dabei spielt der von Esai Morales ("Titans") verkörperte Schurke Gabriel, gegen den Ethan aus gutem Grund Groll hegt. Gabriel wirkt weder so genial und überlegen wie der von Sean Harris gespielte Solomon Lane aus den letzten beiden Filmen noch wie eine Kampfmaschine à la Henry Cavill aus Fallout, doch mit seiner sadistischen, nihilistischen Ader geht er unter die Haut und präsentiert sich als würdiger, ernstzunehmender Gegner von Ethan und seinem Team. Auch Marvel-Star Pom Klementieff als seine wortkarge, aber dafür wunderbar mimikreiche, tödliche Handlangerin Paris hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 3Letztlich sind die beiden jedoch auch nur Instrumente des eigentlichen, körperlosen Antagonisten. Über McQuarries Entscheidung, eine KI zum Bösweicht des neuen Films zu machen, kann man sich streiten. Einerseits legt er seinen Finger damit mehr auf den Puls der Zeit, als er beim Schreiben des Drehbuchs vor über drei Jahren vermuten konnte, andererseits ist eine KI als Gegner zwar übermächtig, aber nicht so packend wie ein Fiesling aus Fleisch und Blut, auch wenn McQuarrie sie wie eine digitale Version von Saurons Auge zu personifizieren versucht. Aber zum Glück gibt es ja noch Morales.

Der mit Abstand beste Franchise-Neuzugang ist jedoch "Agent Carter"-Star Hayley Atwell. Als clevere, auf eigenes Wohl bedachte Diebin erinnert ihre Einführung an Rebecca Fergusons ersten Auftritt als Ilsa Faust in Rogue Nation. Atwells Figur durchlebt eine emotionale Achterbahn in dem Film und hat stets eine angenehm authentische Reaktion auf die haarsträubenden Situationen, in die sie gerät, auf Lager. Atwell ist ein echter Star mit unglaublicher Leinwand-Präsenz und diese konnte sie im Kino noch nie besser unter Beweis stellen als in diesem Film. Mit Cruise hat sie nicht nur auf Anhieb lockere Chemie, sondern stiehlt ihrem Co-Star sogar wiederholt die Show.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 4Der bedauerliche Nebeneffekt von Atwells toller neuer Figur ist jedoch, dass Rebecca Fergusons Rolle gegenüber dem Vorgänger noch weiter reduziert wurde. Es scheint, als würde das Franchise nur eine starke zentrale Frauenfigur auf einmal vertragen. In ihren wenigen Szenen erinnert Ferguson jedoch auch daran, weshalb sie neben McQuarrie das Beste war, was der Reihe seit Teil 5 passiert ist.

Die meisten Zuschauer gehen natürlich in einen Mission: Impossible-Film in Erwartung von spektakulären Actionsequenzen und irrsinnigen Stunts rein und auch an dieser Front erfüllt Dead Reckoning Teil eins die Erwartungen. Leider wurde der berühmt-berüchtigte Motorradsprung von der Klippe im Vorfeld schon so viel beworben und seine Aufnahme bei den Dreharbeiten so ausführlich gezeigt, dass er etwas von seiner Wirkung in dem eigentlichen Film verliert. Das kann man jedoch nicht dem Film selbst zu Lasten legen, denn die Szene ist an sich immer noch atemberaubend, sondern der Marketingabteilung. Zum Glück wurde von der besten Actionsequenz des Films an Bord des Orient-Express-mäßigen Zugs noch nicht so viel verraten und sie alleine ist den IMAX-Eintrittspreis wert.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 5Der größte Verdienst des Films ist jedoch, wie durchgehend temporeich er während seiner mehr als zweieinhalbstündigen Laufzeit bleibt. Entsprechend dem Trend immer längerer Blockbuster-Sequels ist Dead Reckoning Teil eins auch der längste Teil seiner Reihe, doch im Gegensatz zu John Wick: Kapitel 4 oder Indiana Jones und das Rad des Schicksals hat er sich seine Laufzeit redlich verdient und hat keinerlei Längen. Nichts an dem Film ist überflüssig, alles ist für den maximalen Genuss kalkuliert. Obwohl er nur sechs Minuten kürzer ist als die vierte John-Wick-Ballerorgie, fühlt sich letztere gut eine Stunde länger an.

Wenn der erste Dead Reckoning an etwas kränkelt, dann an der inhärenten Natur als eine Hälfte eines ambitionierten Zweiteilers. Auch wenn er darum bemüht ist, eine möglichst eigenständige Geschichte zu präsentieren, wird man den Film dennoch vermutlich am besten beurteilen können, wenn der zweite Teil nächstes Jahr erschienen ist, denn abgeschlossen ist der Plot des Films an seinem Ende definitiv nicht, macht aber sehr große Lust darauf, zu erfahren, wie es weitergeht. Trotz etlicher Höhepunkte auf dem Weg zu einem wahrlich spektakulären Finale bleibt das Gefühl, dass der ganz große Showdown uns noch bevorsteht. Ich kann kaum abwarten, ihn zu sehen!

Fazit

Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie und sein Star und Produzent Tom Cruise bleiben ihrem Ruf als Dream Team des Actionkinos treu und liefern mit Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins ein emotional und visuell mitreißendes Spektakel ab, dessen 164-minütige Laufzeit wie im Flug vergeht. Aufgrund seiner inhärent unvollständigen Natur als eine Hälfte eines Zweiteilers ist der Streifen nicht ganz so rund wie sein Vorgänger Fallout und legt auch die Messlatte der besten Actionreihe der letzten Jahrzehnte nicht noch höher, kann sie aber halten und macht sehr große Lust auf den zweiten Teil.

Trailer

Talk to Me (2022) Kritik

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Talk to Me (2022) Filmkritik

Talk to Me, AUS 2022 • 94 Min • Regie: Danny Philippou, Michael Philippou • Drehbuch: Danny Philippou, Bill Hinzman • Mit: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird, Otis Dhanji, Miranda Otto • Kamera: Aaron McLisky • Musik: Cornel Wilczek • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Capelight • Kinostart: 27.07.2023 • Deutsche Website

Oberflächlich lässt sich der australische Schocker „Talk to Me“ neben US-Produktionen wie der „Insidious“-Reihe oder den „Ouija“-Filmen verorten. Tatsächlich bereiten einen die genannten Beispiele allerdings kaum auf den morbiden Sog des ziemlich hippen und teils finster schwarzhumorigen Regiedebüts der Brüder Danny und Michael Philippou (unter dem Namen RackaRacka durch ihren YouTube-Kanal bekannt) vor.

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Nach gefeierten Einsätzen auf diversen Festivals wird das Genre-Werk nun auch einen regulären Kinostart hierzulande erfahren. Und das sollte ein weiterer Grund zur Freude für die aktuell reichlich verwöhnten Horror-Fans sein: „Talk to Me“ ist eine beachtlich effektive und wirklich unter die Haut kriechende Portion Albtraum-Kino, die trotz bewährter Vorbilder in frischem Glanz erstrahlt. Bemerkenswert ist zudem, dass man vielleicht Referenzen zu Joel Schumachers „Flatliners“, Sam Raimis „Tanz der Teufel“ oder Mary Lamberts Stephen-King-Adaption „Friedhof der Kuscheltiere“ ausmachen kann, aber dennoch lange Zeit über den Verlauf der Geschichte im Dunkeln bleibt.

Schon die Einstiegsszene macht dem Publikum überdeutlich, dass hier kein sanfter übernatürlicher Grusel, sondern durchaus deftige Gewaltspitzen zu erwarten sind. Ein besorgter junger Mann betritt eine Party, um seinen scheinbar verwirrten Bruder abzuholen. Die Situation eskaliert und Blut fließt. Besonders schockierend ist dabei die Tatsache, dass sich die angeheiterten Gäste gar nicht um den Zustand ihres Freundes scheren, sondern stattdessen ihre Smartphones zücken um Videos von dem Ereignis anzufertigen.

Was es mit dem wilden Auftakt auf sich hat erfahren wir, nachdem wir die Schülerin Mia (Sophie Wilde) kennengelernt haben. Nach dem traumatischem Tod ihrer Mutter sucht diese überwiegend bei der Familie ihrer Freundin Jade (Alexandra Jensen) Unterschlupf. Die Frage, ob eine versehentliche Tabletten-Überdosis oder Selbstmord Ursache für den Verlust des geliebten Elternteils gewesen ist, nagt an der Teenagerin und soll die verstörenden Vorfälle letztlich in Gang setzen.

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Zusammen mit Jade und deren jüngerem Bruder Riley (Joe Bird) besucht Mia eine Party, auf welcher der Vorfall vom Anfang thematisiert wird und Aufnahmen von vermeintlicher Dämonen-Besessenheit kursieren. Ein Keramikarm, unter welchem sich die einbalsamierte Extremität eines Okkultisten befinden soll, wird auf einem Tisch aufgebaut und Mia meldet sich freiwillig für die folgende Mutprobe: Mit einer erleuchteten Kerze soll die Tür zum Reich der Toten geöffnet werden, die sich durch Auspusten wieder schließt. Nach Kontakt mit dem Arm hat die Probandin dazwischen exakt neunzig Sekunden Zeit, um mit den Worten „Sprich mit mir“ die Geister anzurufen und diese durch ein „Ich lass dich rein“ zur Übernahme des Körpers zu befähigen. Was Mia nun erlebt, schockiert sie und die Anwesenden, doch verleitet die anderen wie im Wahn, es selbst auch auszuprobieren. Ohne zu wissen, um wen genau es sich bei den ghulischen Gestalten auf der anderen Seite handelt, erkennt sie hier die Chance, das Mysterium um ihre Mutter zu lüften und ignoriert dafür später eine der Regeln. Mit fatalen Konsequenzen …

Wer auf spannende und oftmals raue Horrorkost steht, kommt um Beiträge aus Down Under kaum herum. Richard Franklins „Patrick“, Tony Williams' „Next of Kin“ (VHS-Titel: „Montclare – Erbe des Grauens“) und Russell Mulcahys „Razorback“ sind Vorreiter einer Ozploitation-Welle gewesen, die sich über das Millenium mit Werken wie Greg McLeans „Wolf Creek“, Sean Byrnes „The Loved Ones“, Ben Youngs „Hounds of Love“ oder zuletzt Hannah Barlows und Kane Senes' „Sissy“ vielversprechend und abwechsungsreich fortgepflanzt hat (Interessenten sei dringend die Dokumentation „Not Quite Hollywood: The Wild, Untold Story of Ozploitation!“ ans Herz gelegt). Auf australischen Schrecken ist regelmäßig Verlass, wie nun auch „Talk to Me“ wieder eindrucksvoll belegt.

Auch wenn die Philippou-Brüder zuvor Horrorset-Luft als Crew-Mitglieder bei Jennifer Kents preisgekröntem „Der Babadook“ schnuppern durften, umgibt ihren Spielfilm-Einstand ein Gefühl aus jugendlicher Unverbrauchtheit und Experimentierfreude ohne Angst oder Scham vor Sprüngen in pure Gross-Out-Situationen. Was hier aufgeboten wird, ist wahrlich krass – und das nicht nur in Bezug auf die erwähnten Splatter-Eruptionen. Im Gegensatz zu eher braven US-Filmen muten die dargestellten Partys mit ihrem creepigen Höhepunkt wirklich hemmungslos und reichlich asozial an. So werden nicht bloß jedes Mal abfeiernd die Smartphones gezückt, wenn wieder eine Figur die Selbstkontrolle an einen Dämon abgibt – was sicher nicht zufällig an einen Drogen-Rausch erinnert. Die Teilnehmer werden außerdem lachend bei ihrer Grenzerfahrung gepusht und sogar die Interaktion mit einem schlabbernden Hund wird dankbar aufgezeichnet, um mit dem Content im Netz zu punkten. „Talk to Me“ wirft mit seinem Konzept einen kritischen Blick auf die „Generation TikTok“, ohne jedoch plump mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Untermalt wird das Ganze sehr passend von einem groovigen HipHop-Soundtrack.

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Abgesehen von Miranda Otto („Homeland“) als alleinerziehende Mutter von Jade und Riley sind die Teenager-Charaktere hier zwar in ihrem unreflektierten Handeln recht authentisch gezeichnet (man erinnere sich einmal zurück, wie man sich selbst in deren Alter aufgeführt hat), aber keine sympathischen Darlings, wie man sie sonst im Kino gewohnt ist. Mias persönliche Motivation steht konträr zur reinen Schaulust ihrer Clique im Mittelpunkt. Man fasst sich bei ihrer folgenschweren Entscheidung im späteren Verlauf sicher an den Kopf und versichert sich, dass man nie so dumm gewesen wäre. Doch kann man sich da in Anbetracht der präsentierten Möglichkeit wirklich so sicher sein?

Die Regisseure zeigen ihr paranormales Grauen schon früh in kurzen aber sehr prägnanten Einstellungen. Unter der lauten Partystimmung schwingt deshalb immer ein deutliches Unbehagen mit. Die Form und der Zeitpunkt, zu dem die Philippous ihrem Publikum jedoch endgültig den Boden unter den Füßen wegziehen, kommt unerwartet und erschütternd. Dies ist keiner dieser Filme, in denen während einer ersten Seance etwas schief geht und daraufhin alles nach Schema F abläuft. Ähnlich wie James Wans „Insidious“ ist „Talk to Me“ heimtückisch – aber eben noch einige Stufen bösartiger und brachialer.

Das Werk ist so versiert inszeniert und schick eingefangen wie eine Studio-Produktion, doch schreckt es nicht davor zurück, mit sehr blutigen Szenen (Stichwort Auge) und grotesk gestalteten Kreaturen ein Mainstream-Publikum wahrlich zu verstören. Nicht umsonst hat sich der auf außergewöhnliche Genre-Filme spezialisierte Verleih A24 („Midsommar“) die US-Rechte gesichert.

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Auch wenn der Ausgang von „Talk to Me“ nicht wirklich neu ist und einige Charaktere ein wenig mehr Ausarbeitung vertragen hätten, ist dies zweifellos eines der überraschendsten und ernsthaft gruseligsten Horror-Highlights des Jahres. Mit ihrer Betrachtung von Social-Media-Trends treffen Danny und Michael Philippou obendrein voll ins Schwarze und fügen ihrem konsequenten Höllen-Trip eine sehr aktuelle Note bei.


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The Boogeyman (2023) Kritik

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The Boogeyman (2023) Filmkritik

The Boogeyman, USA 2023 • 98 Min • Regie: Rob Savage • Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman • Mit: Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair, Marin Ireland, David Dastmalchian, Madison Hu, LisaGay Hamilton • Kamera: Eli Born • Musik: Patrick Jonsson • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: 20th Century Studios • Kinostart: 01.06.2023 • Website

Rob Savages „The Boogeyman“ ist weder ein Remake des gleichnamigen Ulli-Lommel-Streifens von 1980, noch hat er etwas mit der gurkigen Sam-Raimi-Produktion von 2005 zu tun. Der Schocker des britischen Newcomers basiert auf der beliebten, 1973 veröffentlichten Kurzgeschichte „Das Schreckgespenst“ von Horror-Meister Stephen King, welche in dessen Sammelband „Nachtschicht“ enthalten ist. In dieser Schauermär erzählt der aufgelöste Patient Lester Billings dem Psychiater Dr. Harper von dem Grauen, das in Wahrheit seine drei Kinder getötet hat.

The Boogeyman (2023) Filmbild 1

Während der 1982er Kurzfilm von Jeff C. Schiro noch recht treu Kings Vorlage adaptiert hat, bietet Savages Version nach einem Drehbuch von Scott Beck und Bryan Woods („A Quiet Place“) sowie Mark Heyman („Black Swan“) eine Variation der Story. So treibt hier der von David Dastmalchian („Dune“) gespielte Lester die Geschehnisse erst an, als er Will Harper (Chris Messina) seine verstörende Familientragödie aufdrängt. In diesem Film werden nach einem unheimlichen Intro die Harpers Opfer des mörderischen Wesens, das es vor allem auf die jüngere Tochter Sawyer (Vivien Lyra Blair) abgesehen hat. Nach dem traumatischen Unfalltod der Mutter kümmert sich die selbst trauernde Teenager-Schwester Sadie (Sophie Thatcher) um das sich vor Monstern im Wandschrank fürchtende Mädchen. Vater Will ist mit der Kümmerer-Rolle sichtlich überfordert und vergräbt sich stattdessen in seine Arbeit.

Der Umgang mit der Trauer und dem Verlust ist ein großes Thema in „The Boogeyman“ noch bevor der Spuk wirklich einsetzt. Wenn dann die lange in der Dunkelheit gehaltene und eher durch Stimmen und Geräusche angedeutete Kreatur nach dem Leben der Kinder giert, setzt diese damit wieder Kräfte in der zerbrochenen Familie frei, die lange unter der schweren Decke aus Schmerz und Schuldgefühlen erdrückt wurden. Wie genau das Schattenwesen seinen Weg zu den Harpers gefunden hat, wird hier nicht vollständig erklärt. Es hat nach Lesters Ausführungen etwas mit väterlicher Unaufmerksamkeit zu tun – allerdings offensichtlich auch etwas mit dem Besuch des Patienten selbst, der den Fluch mit seinen Ausführungen quasi auf die Protagonisten übertragen hat.

The Boogeyman (2023) Filmbild 2

In einem Notizbuch Lesters sehen wir den Boogeyman auch erstmals visualisiert. Wie mit fast allen Kino-Monstern, lautet auch in diesem Film die Devise: Das, was sich die Zuschauer im eigenen Kopf ausmalen, ist in der Regel wesentlich effektiver als das, was CGI-Künstler letztlich aufwändig auf die Leinwand zaubern können. Auch wenn in der actionreicheren zweiten Hälfte der Unhold durchaus fantasievoll gestaltet daherkommt, ist das laute Finale mit Schießerei und Pyrotechnik schon eine Schwachstelle im Vergleich zu dem sich bedrohlich steigernden vorherigen Part. Das ist etwas schade, zerstört den insgesamt soliden Gesamteindruck aber nicht.

Neben den Box-Office-Hits „Smile“ und „Evil Dead Rise“ gehört „The Boogeyman“ außerdem zu den ursprünglich für einen Streaming-Service produzierten Werken, denen ein äußerst positives Ergebnis bei Test-Screenings doch noch zu einem Kinostart verholfen hat. Auch bei Savages Arbeit würde ich in Anbetracht der straffen und packenden Inszenierung einen Kassenerfolg prognostizieren. Der erst 31-jährige Regisseur hat während der Covid-Pandemie mit seinem Screenlife-Debüt „Host“ für Aufsehen gesorgt und mit dem brachialen Twitch-Splatter „Dashcam“ ein polarisierendes Zweitwerk nachgelegt. Ich habe durchaus Gefallen an den amüsanten Genre-Spielereien mit modernen Online-Plattformen gefunden, doch bei der Ankündigung von „The Boogeyman“ durfte man gespannt sein, ob Savage auch eine Gruselgeschichte im klassischen Gewand umsetzen kann. Die Antwort lautet jetzt klar: Ja.

The Boogeyman (2023) Filmbild 3

Zusammen mit seinem Kameramann Eli Born gelingt es ihm besonders anfangs den dunklen Ecken des Hauses eine Gänsehaut erzeugende Aura zu verleihen und diese Urangst mit dem zusätzlichen Sounddesign zu triggern. Das Ergebnis ist deutlich furchteinflößender als das von ähnlich gelagerten Filmen wie „Don’t Be Afraid of the Dark“ oder „Lights Out“, auch wenn neuere Indie-Games der Marke „Visage“ oder „MADiSON“ in Sachen Terror-Feeling in der Finsternis zugegeben noch deutlich mehr auftrumpfen können. Dem Regisseur scheint außerdem klar gewesen zu sein, dass seine Story neben der unangenehmen Atmosphäre auch Figuren verlangt, um die sich das Publikum sorgt und mit ihnen fühlt. Die Performances in „The Boogeyman“ sind wirklich hervorragend – und das bis in die Nebenrollen.

LisaGay Hamilton („The Practice“) als Therapeutin der Harper-Geschwister bekommt neben dem bereits erwähnten David Dastmalchian ebenso ihren Einsatz wie auch Madison Hu („Bizaardvark“) als Sadies einzige empathische Freundin oder Marin Ireland („The Dark and the Wicked“) als Lesters mysteriöse Ehefrau. Besonders sticht natürlich „Yellowjackets“-Star Sophie Thatcher hervor, deren Sadie sich trotz ihrer eigenen Probleme aufopferungsvoll um ihre kleine Schwester sorgt. Wenn sie zu Beginn des Films das Kleid ihrer verstorbenen Mutter anzieht, schlüpft sie nicht nur äußerlich in diese Position, sondern verkörpert über die gesamte Geschichte eine pflichtbewusste Erwachsene im Körper einer Teenagerin.

The Boogeyman (2023) Filmbild 4

Als bemühter aber nach dem Verlust deutlich distanzierter Vater zeigt Chris Messina („Devil“) das oft so unverwundbar und tapfer gezeichnete „starke Geschlecht“ von seiner hilflosen und überforderten Seite. Wenn sein Will während einer Therapiesitzung über seine Angst vor dem Vatersein spricht und seine tote Frau als den damals rettenden Anker erkennt, ist dies ein kleiner aber sehr emotionaler Moment im Schocker. Weniger tief aber dafür sehr sympathisch füllt Vivien Lyra Blair („Bird Box“) ihre Sawyer mit Leben, auf die als Schützling alle Augen gerichtet sind.

Stephen Kings Originalgeschichte ist bei den Fans extrem populär, nicht zuletzt aufgrund ihrer bitterbösen Schlusspointe. Wer mit dieser vertraut ist und diesmal die gleiche Richtung erwartet, dürfte am Ende enttäuscht werden. Sicher finden sich viele Elemente der Vorlage im Film wieder, die aber hier oft anders zusammengesetzt sind. Dieser „The Boogeyman“ ist ein stimmungsvoll gestalteter, unblutiger Mainstream-Grusler mit toll gezeichneten Charakteren, der seine Zuschauer aber eher mit einer dezenten Gänsehaut als mit einem deftigen Schock aus den Kinosesseln entlässt.

The Boogeyman (2023) Filmbild 5

Wer hier also nicht die nächste Horror-Sensation oder einen unangenehmen Tabubrecher erwartet und sich stattdessen auf einen milden aber involvierenden Aufstand der Nackenhaare einstellt, wird von „The Boogeyman“ sehr ordentlich bedient.


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Renfield (2023) Kritik

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Renfield, USA 2023 • 93 Min • Regie: Chris McKay • Drehbuch: Ryan Ridley • Mit: Nicholas Hoult, Nicolas Cage, Awkwafina, Ben Schwartz, Adrian Martinez, Shohreh Aghdashloo • Kamera: Mitchell Amundsen • Musik: Marco Beltrami • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 25.05.2023 • Deutsche Website

Ein besonderer Wunsch von Oscar-Preisträger Nicolas Cage ist es stets gewesen, einmal den Vampir-Grafen Dracula verkörpern zu dürfen. In Chris McKays Horror-Komödie „Renfield“ geht dieser Wunsch nun in Erfüllung, auch wenn Bram Stokers berühmter Antagonist hier inhaltlich eher die zweite Geige spielt. Im Mittelpunkt steht nämlich dessen titelgebender und von Nicholas Hoult („The Menu“) gespielter Diener, Robert Montague Renfield. Auch findet man uralte Gemäuer und Gothic-Stimmung lediglich im kurzen Prolog wieder, bevor uns das Werk neun Dekaden später ins heutige New Orleans katapultiert.

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Dort schleppt der treue Renfield seinem Meister zwar noch immer brav frische Leichen in den Keller eines heruntergekommenen Krankenhauses ran, doch zeigt sich der Blutsauger zunehmend unzufrieden mit der Beute. Dem Untergebenen macht dessen grausames und herrisches Gebaren langsam zu schaffen, weshalb er inzwischen heimlich eine Selbsthilfegruppe für Co-Abhängigkeit in Beziehungen besucht. Tatsächlich versucht Renfield dort, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem er einerseits an einem neuen Lebensweg arbeitet und andererseits Draculas Blutdurst zukünftig mit den toxischen Partnern der Mitglieder stillen will.

Bei diesem Plan gerät der nach Käfer-Snacks zu übermenschlichen Kräften fähige Melancholiker jedoch ins Visier einer kriminellen Origanisation, nachdem er unwissend den Gangster-Prinzen Teddy Lobo (Ben Schwartz) attackiert hat. Bei einem Anschlag auf die idealistische Polizistin Rebecca (Awkwafina) dezimiert Renfield schließlich noch erfolgreich Teddys Handlanger und gefällt sich in dem anschließenden Glanz eines Helden. Doch nicht nur Dracula tobt vor Wut, auch Lobo-Oberhaupt Bellafrancesca (Shohreh Aghdashloo) fordert Vergeltung für ihre Gefolgschaft und geht letztlich eine unheilige Allianz mit dem Grafen ein …

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Wie man am geschilderten Inhalt bereits erkennen kann, erwartet das Publikum in „Renfield“ alles andere als ein klassischer Vampir-Grusel. Regisseur Chris McKay („The Lego Batman Movie“) und sein Kameramann Mitchell Amundsen („Premium Rush“) tauchen den teils reichlich expliziten Splatter-Spaß in derart grelle Farben, dass man sich fast in einem EC-Comic verortet fühlt. Die Gestaltung des Films ist in der Tat ein kleiner Pop-Art-Augenschmaus, den man in einer solch actionorientierten Produktion wohl gar nicht erwartet hätte.

Obwohl mächtig Gliedmaßen abgerissen werden, ganze Körper platzen und Blut und Schleim aus allen Himmelsrichtungen spritzt (trotz FSK-Freigabe ab 16 Jahren ist der Film kaum harmloser als etwa Robert Rodriguez' einst indizierter „From Dusk Till Dawn“), geraten die Darsteller glücklicherweise nie ganz in den Hintergrund. Tatsächlich erinnert „Renfield“ (und das angenehm ohne Retro-Referenzen) an saftige Kultfilme der Achtziger, wie etwa John Landis' „American Werewolf“, Sam Raimis „Tanz der Teufel II“ oder Stuart Gordons „Re-Animator“. Qualitativ muss McKays Arbeit im Vergleich zwar schon zurückstecken, doch zumindest der Ansatz mit einer wilden Story und heftigen Gore-Effekten aber auch prägnanten Pro- wie Antagonisten ist sehr ähnlich.

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Dominieren – nicht nur inhaltlich über seinen Diener – tut selbstverständlich Nicolas Cage jede Szene, in der er zu sehen ist, und kombiniert in seiner Interpretation Draculas die legendären Vorgänger Bela Lugosi, Christopher Lee, Klaus Kinski oder Gary Oldman mit seinem ganz eigenen Overacting-Genie. Dass er großen Gefallen an dieser Rolle hat, merkt man der Performance tatsächlich in jeder Sekunde an. Mit seinem herrlich bizarren Abbild eines vermeintlichen Vampirs in Robert Biermans grandioser Yuppie-Parodie „Vampire’s Kiss“ hat diese Figur im Feld zwischen grotesker Kreatur und vornehmem Adeligen allerdings wenig zu tun. Trotz der modernen Inszenierung und Handlung geht zumindest der Charakter Draculas weitgehend zu den traditionellen Ursprüngen zurück.

Als neurotischer Renfield hat Nicholas Hoult natürlich ein dickes Brett zu bohren, um neben seinem schillernden Co-Star bestehen zu können. Auch wenn Cage definitiv die Hauptattraktion des Werkes bleibt, gelingt es dem jungen Mimen, seiner Rolle genügend Spleens zuzufügen, um deren Transformation vom verklemmten Lakaien zum immer noch schrulligen Helden interessant und sympathisch zu gestalten. Der Emo-Faktor wird zum Glück nicht nervig, sondern mit einem deutlichen Augenzwinkern dargeboten. So wie auch die federleichte Erlösung durch Psycho-Ratgeber oder positive Selbstwert-Sprüche.

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An dieser Stelle verpasst das amüsante Werk allerdings leider eine fette Chance, etwas über das ausbeuterische Verhältnis zwischen vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der heutigen Zeit zu sagen. Übertragen auf diesen Aspekt treiben ja nicht gerade wenige Blutsauger auf den Rücken unzähliger Angestellter ihr gieriges Unwesen und lassen diese mit einem kaum ausreichenden Gehalt dahinsiechen, während sie sich die dicken Scheine selbst in die Taschen stecken. Die Gründe für Renfields ausgelaugtes und unzufriedenes Dasein stehen zu wenig im Zentrum und der Befreiungsschlag verliert schließlich im Genre-Tumult seine allegorische Kraft.

Das Drehbuch von Ryan Ridley (basierend auf einer Story von „The Walking Dead“-Schöpfer Robert Kirkman) hätte ein kleines aber bissiges Statement zum aktuellen Arbeitskampf sein können, wollte aber wohl lediglich rund 90 minütige Midnight-Movie-Madness sein. Das ist etwas schade, doch zumindest seinen so auferlegten Zweck erfüllt „Renfield“ trotz kleiner Makel durchaus. Mit Rapperin Awkwafina als selbstbewusste Polizistin Rebecca verfügt der Film zudem noch über eine starke weibliche Co-Heldin – wobei man ihr Schurkinnen-Pendant in Form von Shohreh Aghdashloos sadistischer Bellafrancesca nicht unterschlagen darf.

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Seltsam ist es schon, dass der relativ runde Kinospaß „Renfield“ an den US-Kinokassen bereits böse gefloppt ist. Ob das Werk hierzulande oder auf anderen Märkten mehr Zuschauer in die Lichtspielhäuser locken kann, wird sich zeigen. Einem genreaffinen Publikum bietet der Film zumindest eine visuell absolut ansprechende, flott erzählte und schauspielerisch mitreißende Flucht aus dem grauen Alltag und hinein in einen poppig-bunten Mix aus Ghuls und Gangstern. Cult-Following nicht ausgeschlossen.


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Evil Dead Rise (2023) Kritik

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Evil Dead Rise, USA 2023 • 97 Min • Regie & Drehbuch: Lee Cronin • Mit: Lily Sullivan, Alyssa Sutherland, Morgan Davies, Gabrielle Echols, Nell Fisher, Jayden Daniels, Mirabai Pease, Anna-Maree Thomas, Richard Crouchley • Kamera: Dave Garbett • Musik: Stephen McKeon • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 27.04.2023 • Deutsche Website

Lee Cronins „Evil Dead Rise“ beginnt wie Sam Raimis Original „Tanz der Teufel“ mit einem subjektiven Kameraflug durch ein mooriges Waldstück. In der Tat entspricht der Anfang – nach einer geschickten Täuschung – mit seinem Setting in einer abgelegenen Holzhütte und mit einer sich extrem eigenartig benehmenden Figur ganz der bewährten Prämisse des beliebten Horror-Franchises. Noch bevor sich der Filmtitel majestätisch über einem See erhebt, wird der erste Skalp brutal von einem Schädel gerissen und das Wasser an der Urlaubsanlage blutrot gefärbt sein.

Anders als alle vorherigen „Evil Dead“-Einträge, wird die Handlung im Anschluss in ein regnerisches L.A. verlegt. Wie der Auftakt mit der dann erzählten Geschichte in Verbindung steht, soll man erst am Ende erfahren. Der irische Autor und Regisseur Cronin stellt nach seinem stimmungsvollen Spielfilmdebüt „The Hole in the Ground“ wieder eine alleinerziehende Mutter in den Mittelpunkt eines von dunklen Mächten heimgesuchten Geschehens. Diesmal ist es jedoch nicht der junge Sohn, der nach seinem Verschwinden wie ausgetauscht wirkt, sondern die zum unheimlichen Deadite mutierte Erzeugerin.

Zunächst lernen wir jedoch die als Guitar-Tech – nicht Groupie! – auf Tourneen tätige Beth (Lily Sullivan) kennen. Von einem Schwangerschaftstest auf einer schmuddeligen Club-Toilette überrascht, reist diese schließlich in die Stadt der Engel, um ihre ältere Schwester Ellie (Alyssa Sutherland) und deren drei Kinder Danny (Morgan Davies), Bridget (Gabrielle Echols) und Kassie (Nell Fisher) zu besuchen und in ihrer Situation Rat einzuholen. Wie sich herausstellt, liegt zwischen dem letzten Wiedersehen ein langer Zeitraum und nicht nur wird der heruntergekommene Wohnkomplex, in dem die Familie lebt, in Kürze abgerissen, auch hat sich Ellies Mann von ihr getrennt und sie und die gemeinsamen Kinder im Stich gelassen. Das Klima zwischen den Geschwistern ist aufgrund von Beths Nachlässigkeit leicht abgekühlt. Doch bevor die große Versöhnung stattfinden kann, wird das Gebäude von einem Erdbeben erschüttert, welches unter der Garage einen mysteriösen Raum mit christlichen Artefakten, uralten Schallplatten und einem beunruhigend eingebundenen Buch freilegt. Nachdem der Hobby-DJ Danny das Material in die Wohnung geschafft und die Tonträger auf sein Turntable gelegt habt, wird erneut das pure Grauen erweckt und fällt gnadenlos über die Familie her …

Auf den ersten Blick mag die Verlegung der Story in ein urbanes Umfeld (ähnlich wie beim diesjährigen Kassenhit „Scream VI“) als größte Innovation beim inzwischen fünften Kinofilm der „Evil Dead“-Reihe erscheinen. Tatsächlich allerdings verwandelt Lee Cronin die neuartige Umgebung mit einer Anzahl cleverer Ideen jedoch in eine 1:1-Entsprechung von Raimis klassischem Szenario. Was in „Tanz der Teufel“ Baumäste waren, sind in „Evil Dead Rise“ herunterhängende Kabel. Die eingestürzte Brücke wird zu einem zerstörten Treppenhaus und Fahrstuhl. Und die Bodenluke findet ihr Äquivalent im Türspion, durch welchen die blutgierigen Dämonen nun Einlass in die Wohnung fordern. „Evil Dead Rise“ ist ein traditionsbewusstes Kapitel, das sich – wie eigentlich alle Vorgänger, ausgenommen des eher als Slapstick-Abenteuer angelegten „Armee der Finsternis“ – als eine Variation der bekannten Handlung versteht. Zitate wie der aus „Tanz der Teufel II“ entliehene, verschluckte Augapfel oder diverse Easter Eggs (Wer findet Bruce Campbells Beitrag im Film und entdeckt die Anspielung auf den ikonischen 1973er Delta 88 Oldsmobile?) gehören selbstverständlich ebenso zum guten Ton, wie das obligatorische Gore-Fest.

Im Vergleich zu Fede Álvarez' sehr grimmigem „Evil Dead“ von 2013 sparen Cronin und sein Team zwar ebenfalls nicht an Kunstblut und Latex-Verstümmelungen, doch setzen sie trotz einem verstärkten Augenmerkt auf die klaustrophobische Atmosphäre wieder mehr auf den bitterbösen Humor, der Raimis Werke zunehmend ausgezeichnet hat. „Evil Dead Rise“ ist kein derart unbeschwerter Splatstick-Spaß wie „Tanz der Teufel II“ oder gar „Armee der Finsternis“, doch legt der Film sein Drama und die bedrückenden Momente eher in die erste Hälfte, um die Zuschauer schließlich – wenn auch mit sämtlichen Körperflüssigkeiten besudelt – mit einer Energieflut aus dem Kino zu spülen. Zum makabren Einsatz kommen diesmal neben der unvermeidbaren Kettensäge und der Schrotflinte (Pardon, Boomstick!) unter anderem Spiegel- und Glasscherben, eine Schere, eine Tätowiernadel, ein Industrieschredder und eine Käsereibe. Autsch!

Wie bereits zuvor erwähnt, ist das L.A.-Setting gar nicht die besondere Neuerung in „Evil Dead Rise“ – es ist die extrem verletzliche Familie im Mittelpunkt der Story. Mit „verletzlich“ ist hier ausdrücklich nicht nur die physische Gewalt gemeint, die auch minderjährigen Charakteren widerfährt, sondern vor allem das Trauma, ein Monster in Gestalt der eigenen Mutter erleben zu müssen. „Lass nicht zu dass es meine Babys kriegt“, fleht Alyssa Sutherland („Vikings“) als Ellie ihre Schwester an, bevor sie als Ober-Deadite mit ihren äußerst zynischen Psycho-Spielchen („Mami ist jetzt bei den Maden.“) und akkrobatischen Angriffen die Show stiehlt. Als toughe Genre-Heldin und Gegenpart steht ihr die von Lily Sullivan („Picnic at Hanging Rock“) verkörperte Beth jedoch in nichts nach. Cronin präsentiert mit „Evil Dead Rise“ einen sympathisch zeitgemäßen Schocker mit starken Frauenfiguren, Mutterschafts-Thematik und nur einem männlichen Protagonisten im Haupt-Cast (der obendrein durch seine dümmliche Neugier den Horror entfesselt – sorry, aber es sind halt immer die Jungs!) – wer hier wieder „feministischer Mist“ grölt, sollte besser gleich einen Bogen um das Werk machen und sich in die Steinzeit beamen lassen.

Besondere Erwähnung verdient auch Nell Fisher, die die kleine Kassie spielt und die man eigentlich nur als passionierter Kinderhasser nicht direkt ins Herz schließen kann. Kassie ist ein Mädchen mit morbidem Spleen, das Puppenköpfe abschneidet und diese zur Geisterabschreckung gruselig herrichtet. Abgesehen davon ist sie jedoch ein echtes Sweetheart. Vielleicht hätte Lee Cronin noch etwas mehr aus den anderen Stockwerk-Bewohnern, wie dem hilfsbereiten Gabriel (Jayden Daniels), rausholen können, doch folgt er mit seinen Kerncharakteren letztlich nur der Franchise-erprobten Fünf-Figuren-Formel.

Auch wenn „Evil Dead Rise“ das Horror-Rad ganz gewiss nicht neu erfindet und neben seinen Vorgängern auch zahlreichen anderen Genre-Werken die Ehre erweist, liegt hier eine ungemein dichte, zwischen Schrecken und Spaß gekonnt balancierende und höllisch effektive Modifikation des Kult-Klassikers vor. Die Verlegung in ein Apartment lässt sich gar als Seitenhieb auf Lamberto Bavas Italo-Plagiat „Dämonen“ von 1986 deuten, während eine spätere Szene eine glasklare Hommage an Stanley Kubricks „Shining“ darstellt. Die schmerzhafte Tragödie, die der Familie mit dem folgenden bösen Schrecken widerfahrt, ruft Erinnerungen an Mary Lamberts pechschwarze Stephen-King-Adaption „Friedhof der Kuscheltiere“ hervor und das Creature-Feature-Finale in bester „Das Ding aus einer anderen Welt“-Manier zeigt den groteskesten Endgegner seit sich Junggeselle Lionel in Peter Jacksons „Braindead“ buchstäblich aus dem untoten Mutterleib befreien musste.

Nach sehr positiven Testscreenings haben sich Warner Bros. entschieden, den einst für den Streamingdienst HBO Max produzierten „Evil Dead Rise“ doch in die Kinos zu bringen. Und genau dort gehört er auch hin.


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Pearl (2022) Kritik

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Pearl (2022) Kritik

Pearl, USA 2022 • 102 Min • Regie: Ti West • Drehbuch: Ti West, Mia Goth • Mit: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Emma Jenkins-Purro, Matthew Sunderland, Alistair Sewell • Kamera: Eliot Rockett • Musik: Tyler Bates, Tim Williams • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 01.06.2023 • Deutsche Website

In seinem großartigen Retro-Slasher „X“ präsentierte uns Regisseur und Autor Ti West letztes Jahr eine der ungewöhnlichsten Schurkinnen der Genre-Geschichte: Eine alte Frau, die es auf eine Filmcrew abgesehen hat, welche auf ihrem Grundstück einen Porno drehen wollte. Das direkt im Anschluss abgedrehte Prequel „Pearl“ widmet sich nun der Vorgeschichte der gleichnamigen und erneut von Mia Goth verkörperten Antagonistin.

Origin-Storys sind ja oft so eine Sache. In vielen Fällen bekommt man als Zuschauer dann doch nur einen lauwarmen Aufguss von dem geboten, was man über die betreffende Figur eh längt wusste. Nur eben nochmal aufgeblasen auf Spielfilmlänge. In „X“ erlebten wir Pearl als sich innerlich noch immer nach sexueller Befriedigung sehnende Greisin, für die ihr Körper so etwas wie eine langsam zerfallende Gefängniszelle darstellt. Die ihr gegenüberstehende (und passenderweise ebenfalls von Goth gespielte) Protagonistin Maxine stellte all das dar, was sie sich stets gewünscht hat. Daraus resultierten im Verlauf der Handlung Verzweiflung, Neid, Verbitterung und sich schließlich in einem Blutbad ergießender Hass. Wann und durch welches Ereignis die Frau zu einer derart erbarmungslosen Killerin mutiert ist, erfahren wir im vorherigen Film nicht. Allerdings sehen wir in einer Szene, dass dies offensichtlich nicht ihre erste Raserei gewesen ist.

Pearl (2022) 1

„Pearl“ entführt uns aus den späten Siebzigern zurück in das Jahr 1918. Äquivalent zum Anfang von „X“ blickt die Kamera wieder aus einer Scheune auf das Haus der Titelfigur. Im Gegensatz zum geschichtlichen Sequel sind die Aufnahmen von Eliot Rockett diesmal allerdings weit geöffnet und die Grindhouse-Körnigkeit weicht einer poppig-bunten Technicolor-Ästhetik. Schon lange war auf der Leinwand kein Himmel mehr so blau oder ein Kleid bzw. der Lebenssaft so knallig rot. Dazu versetzen uns die märchenhaft-idyllischen Klänge von Tyler Bates und Tim Williams in das Innenleben Pearls bevor wir diese überhaupt zu Gesicht bekommen.

Die verträumte junge Frau lebt zusammen mit ihrer strengen Mutter Ruth (Tandi Wright) und ihrem querschnittsgelähmten Vater (Matthew Sunderland) in dem abgelegenen texanischen Farmhaus und wartet auf die Rückkehr ihres Ehemanns Howard (Alistair Sewell), der im Ersten Weltkrieg kämpft während überall die Influenza-Pandemie wütet. Auch wenn die Mutter ihren Ambitionen stets harsch eine Absage erteilt, möchte Pearl eigentlich nicht ihr Leben in der Einöde verbringen und strebt heimlich eine Karriere als Tänzerin an. Ihr Publikum sind zunächst nur die Stalltiere, die bei schnatternder Kritik allerdings grausam dahingemeuchelt werden. Pearl ist ganz von ihrem Talent überzeugt und lässt sich in diesem Punkt auch nicht belehren. Als sie bei einem Trip in die Stadt einen charmanten Filmvorführer (David Corenswet) kennenlernt, der sie in ihren Zielen ermutigt, und ihre Schwägerin Mitsy (Emma Jenkins-Purro) von einem Vorspiel bei einer Tanzgruppe berichtet, fasst sie schließlich den Entschluss, ein neues, selbstbestimmtes Leben zu beginnen …

Pearl (2022) 2

Auch wenn „Pearl“, den Ti West diesmal zusammen mit seiner Hauptdarstellerin verfasst hat, in Sachen Gewalt seinem Vorgänger in nichts nachsteht (das sadistische Spiel mit dem hilflosen Vater ist übrigens weit schlimmer als jede Splatterszene), verlässt er dessen Slasher-Struktur und wendet sich eher einem psychologischen Horror im Stil von Roman Polanskis „Ekel“ oder Rob Reiners „Misery“ zu. „Pearl“ ist ein bewusst überschaubares Stück Southern-Gothic-Kino, in dessen Zentrum allein die exzentrische Frau an der Grenze zum völligen Wahnsinn steht. West und Goth legen die Figur sehr überzeugend als bereits von Beginn psychisch gestörten Charakter an, der seinen unkontrollierbaren Zorn zunächst an harmlosen Tieren auslässt. Es ist die Diskrepanz zwischen Pearls farbenfroher Innenwelt – die auf der Leinwand stets ihre Entsprechung findet – und der tristen Wirklichkeit, die sie aufgrund der äußeren Umstände nicht überwinden kann und sie schließlich die letzte Grenze überschreitend zu Mistgabel, Axt und anderen Mordinstrumenten greifen lässt.

Wenn man über „Pearl“ spricht, muss an oberster Stelle die absolut herausragende Performance von Mia Goth (in „Infinity Pool“ ebenfalls bald in unseren Kinos zu sehen) genannt werden. Horror war ja leider nie ein Genre, auf das die Academy besonders gut zu sprechen gewesen ist, doch ihre fulminante Darstellung der zugleich selbstbewussten wie auch gequälten Psychopathin hätte Goth gerechterweise eine Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ in einem zugegeben unkonventionellen Werk einbringen müssen.

Pearl (2022) 4

Während Interviews wirkt die gebürtige Britin vor der Kamera häufig etwas schüchtern oder reserviert, doch in Rollen wie nun „Pearl“ kann die neben ihrem „X“-Co-Star Jenna Ortega („Scream VI“) oft als neue Genre-Queen gehandelte 29-Jährige jede einzelne Szene in beeindruckender Weise dominieren. Ob sie nun in einem Tagtraum mit einer Vogelscheuche im Feld tanzt (der Film besitzt visuell und inhaltlich viele Referenzen zum Klassiker „Der Zauberer von Oz“ von 1939), bei ihrem Casting in ihre eigene kleine Welt versinkt, im Monolog mit ihrer Schwägerin minutenlang eine schmerzhafte Beichte direkt in die Kamera ablegt oder während des Anspanns so lange ein regungsloses Grinsen absolviert bis die Tränen kommen – Goth ist hier in jeder Situation eine schauspielerische Urgewalt.

Zwischen den Geschehnissen von „Pearl“ und „X“ liegen etliche Dekaden und nach Sichtung dieses Films wird sehr deutlich, welche gesellschaftlichen Umstände die Figur damals doch auf ihren Howard haben warten und an seiner Seite bleiben lassen. Die beiden Werke zeigen im Vergleich riesige historische Unterschiede auf, die sich über die Generationen entwickelt haben. Die nicht nur körperliche Freiheit der Siebziger wäre in diesem noch von Härte und Zwängen bestimmten Zeitalter nahezu undenkbar gewesen. Eine Szene, in der der namenlose Filmvorführer Pearl heimlich den ersten kurzen US-Sexstreifen „A Free Ride“ zeigt, ist einerseits ein wunderbarer filmgeschichtlicher Moment – der natürlich ebenso einen Bogen zu „X“ spannt -, wie auch ein Bild dafür, dass heute ganz gewöhnliche Dinge früher noch echte Verwunderung oder gar Skandale auslösen konnten. West und Goth präsentieren die Antagonistin zwar angemessen als grausame Täterin, doch porträtieren sie sie auch als zerbrochene Romantikerin und finden ihr pechschwarzes Herz schließlich unter all dem Blut und Gore.

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Nicht nur darstellerisch, auch erzählerisch und inszenatorisch ist Ti Wests intensiver wie intimer „Pearl“ eine echte Perle unter den aktuellen Horrorproduktionen. Das mit einer wunderschönen Farbpalette gemalte Prequel ist weit mehr als eine Ergänzung zu „X“ und kann als qualitativ mindestens ebenbürtiges Werk losgelöst für sich stehen.


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Sisu (2022) Kritik

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Sisu (2023) Kritik

Sisu, FIN/USA 2022 • 91 Min • Regie & Drehbuch: Jalmari Helander • Mit: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila, Arttu Kapulainen, Tatu Sinisalo • Kamera: Kjell Lagerroos • Musik: Juri Seppä, Tuomas Wäinölä • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

„Sisu“, der Titel von Jalmari Helanders blutigem Mix aus Exploitation-Action, Neo-Western, nordischer Heldensage und Kriegsapokalypse, lässt sich nicht exakt übersetzen. In etwa steht das finnische Wort für Willensstärke, Ausdauer und dafür, rational im Angesicht eines Unglücks zu handeln. Im Film wird damit der wortkarge Winterkriegs-Veteran Aatami Korpi (Jorma Tommila) beschrieben. Passender haben ihn die russischen Gegner den „Unsterblichen“ getauft. Absolut tödlich und wie eine unaufhaltsame Urgewalt agierend, hat er auf dem Schlachtfeld für Angst und Schrecken gesorgt. Und noch immer wird über ihn als Volkslegende gesprochen.

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1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, erleben wir Aatami als Einzelgänger, der in der kargen Natur Lapplands nach Gold gräbt. Die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe, die über ihn hinwegfliegen, interessieren ihn in etwa so wie ein aufkommendes Unwetter. Aatami ist durch mit dem Krieg und dem Kämpfen. Er möchte Reichtum anhäufen und dann endlich sein Leben führen. An einer Stelle macht er einen gewaltigen Fund und begibt sich mit dem wertvollen Rohstoff und seinem übrigen Hab und Gut – einem Hund, einem Pferd und einem Ring an seinem Finger – auf den Weg zurück zur nächsten Stadt. Ein Zug der Wehrmacht unter dem Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie) wird auf Aatami aufmerksam, doch lässt den vermeintlichen Kauz weiterziehen.

Blöd, dass ein paar weiter zurückliegende Nazis es dem Befehlshaber nicht gleichtun und stattdessen Aatami durchsuchen. Natürlich wollen die Männer dem in der Heimat als Held gefeierten Ausgedienten nun die Goldstücke streitig machen, doch sie haben keinesfalls damit gerechnet, dass ihr Gegenüber noch so auf Zack ist. Seine wohlverdiente Ruhe muss Aatami noch verschieben, denn nachdem er in Selbstverteidigung ein Blutbad angerichtet hat, jagen ihn nun auch Helldorf und seine Truppe. Ihnen ist zunächst nicht bewusst, mit wem sie sich hier angelegt haben …

Sisu (2023) 2

Darf man sich während nicht weit entfernt in Europa ein realer, fürchterlicher Angriffskrieg tobt zur Unterhaltung ein derart brutales Kinoabenteuer mit Soldaten als zentrale Figuren ansehen? Sicher ist „Sisu“ weit entfernt von einem Musterplädoyer für Pazifismus – mindestens ebensoweit entfernt ist er jedoch glücklicherweise auch von einem bellizistischen Manifest. Interessant an dem Werk und seinen Charakteren ist, dass von den behandelten drei Parteien jede einzelne letzlich ihre Eigeninteressen verfolgt, die eben nicht Vaterlandsliebe heißen.

Da wäre natürlich zunächst Aatami, der einzig und allein sein Gold vor Augen hat und am liebsten gar nicht erst in den Schlamassel reingeraten wäre. Außerdem befindet sich in einem Transporter der Nazis eine Gruppe Frauen rund um Aino (Mimosa Willamo), die von der Wehrmacht entführt und sexuell mißbraucht worden sind. Deren Ziel ist es selbstverständlich, aus den Klauen der Peiniger zu entkommen – wenn nötig mit Gewalt. Bei den Antagonisten handelt es sich schließlich um zwar weiterhin widerliche und sadistische Verbrecher, die jedoch ihre Lage in Hinblick auf den Ausgang des Krieges durchaus realistisch einschätzen und Aatamis Schatz nutzen wollen, um sich vor dem sicheren Galgen zu retten. Wenn sich der Rauch der großen Gefechte gelegt hat, bleiben am Ende ganz niedere Beweggründe und der reine Selbsterhalt übrig. „Sisu“ zeichnet ausdrücklich kein Bild von glorreichen Schlachten, in denen viel gewonnen werden kann.

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Das Genre des Kriegsfilms ist überhaupt die falsche Kategorie, um das Werk vernünftig einzuordnen. Anbieten würde sich vor allem der Spaghetti-Western, der ja ebenfalls nicht gerade redselige aber in brenzligen Situationen recht tatkräftige Figuren ins Zentrum rückt. Der erste Part des in Kapitel unterteilten Films bildet den Protagonisten etwa ganz allein im Goldrausch ab – in einem italienischen Klassiker würde man nun hinter dem nächsten Hügel eine Horde Revolverhelden auf Pferden vermuten. In „Sisu“ rollen halt alternativ Nazis mit Panzern und weiteren Fahrzeugen an.

Während die Titelgestaltung und die zuvor genannten Kapitel natürlich zuerst an Oscar-Preisträger Quentin Tarantino und dessen besondere Affinität zu absurder Grindhouse-Kost denken lassen, geht Helanders („Rare Exports“) Drehbuch der Suspense und clevere Wortwitz eines „Inglourious Basterds“ jedoch ab. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass das Werk eher ein Augenmerk auf die sich in heftigen Splattereinlagen entladende Action und den lediglich mit Mimik, Grummeln und Stöhnen operierenden Jorma Tommila als stummen Todesengel hat. Ob aus Aatamis Mund im Verlauf doch noch ein paar Sätze fallen werden, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zumindest erinnert der Charakter mit seiner mythologischen Aura durchaus an den von Mads Mikkelsen verkörperten, geheimnisvollen „Einauge“ aus Nicolas Winding Refns „Walhalla Rising“. Und würde Winding Refn, wie bei seinem Neo-Noir-Meisterwerk „Drive“, in Sachen bemühter Sperrigkeit mal wieder einen Gang zurückschalten, so hätte man sich den Dänen in weiten Teilen gar auf dem Regiestuhl dieses Films vorstellen können.

Sisu (2023) 4

Beim Thema Filmgewalt muss für sensible Gemüter durchaus eine Warnung ausgesprochen werden: Hier werden Messer und Spitzhacken durch Schädel getrieben, Landminen als Wurfgeschosse verwendet und es wird mit großen Kalibern aus allen Rohren geballert. Diese Szenen sind dann trotz der meist ins Komische abdriftenden Darstellung nicht ohne, jedoch auch kein Vergleich zur erbarmungslosen Gore-Granate, die Sylvester Stallone im letzten Drittel von „John Rambo“ (von dieser Action-Ikone hat Helander ebenfalls eine dicke Scheibe abgeschnitten) gezündet hat. Wenn man mag, kann man übrigens darin, dass Aatami bei seinen Attacken oft die Waffen der Nazis gegen sie selbst wendet, sogar auch einen bissigen Kommentar zu möglichen Risiken von Kriegsgerät-Exporten sehen.

Später, wenn sich der Protagonist unter der Überschrift „Kill 'em All“ (das klingt etwas martialischer, als es letztlich ausfällt – tatsächlich verschont der Film sogar einige Schurken gnädig) im Finale mit den Frauen zusammentut und es zum Vehikelkampf in der von den Kriegszerstörungen postapokalyptisch anmutenden Landschaft kommt, bekommt man sogar noch eine Miniausgabe von „Mad Max – Fury Road“ geboten.

Sisu (2023) 5

Ärgerlich ist ein wenig der obligatorische Endkampf der ansonsten packend inszenierten und vor allem mit Aksel Hennie („Headhunters“) als kaltblütiger Obernazi toll besetzten Arbeit: In einem mit CGI nicht sehr überzeugend getricksten Flugzeug darf der ohnehin schon deutlich Larger-than-Life angelegte Aatami ein letztes Mal alles geben. Das ist dann so viel, dass „John Wick: Kapitel 4“ im direkten Vergleich einem bodenständigen Drama gleichkommt. Natürlich, so viel Eskapismus muss im Kino erlaubt sein. Es hätte aber vielleicht auch mit etwas weniger funktioniert.

Dennoch: Wer hier nicht zu ernst an die Sache rangeht und blutige Bilder verträgt, dürfte an „Sisu“ Gefallen finden.


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Beau is Afraid (2023) Kritik

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Beau is Afraid (2023) Filmkritik

Beau is Afraid, USA 2023 • 179 Min • Regie & Drehbuch: Ari Aster • Mit: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Patti LuPone, Zoe Lister-Jones, Stephen McKinley Henderson, Parker Posey, Hayley Squires, Denis Ménochet • Kamera: Pawel Pogorzelski • Musik: Bobby Krlic • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Leonine • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

Mit seinem neuen Werk „Beau is Afraid“ zementiert Ari Aster erneut seinen Ruf als einer der spannendsten Filmemacher der Gegenwart. Wer jedoch lediglich dessen vorherige Spielfilme „Hereditary“ und „Midsommar“ zur Einstimmung auf die vom Regisseur und Autor selbst als „Albtraum-Komödie“ beschriebene und mit großer Sicherheit maximal polarisierende Arbeit heranzieht, könnte von dem unmittelbar hereinbrechenden Hurricane an bizarren und von pechschwarzem Humor getränkten Szenen aus dem Kinosessel gefegt werden. Thematisch steht „Beau is Afraid“ in einer Reihe mit Asters Horror-Vorgängern, erinnert aber in seiner bitterbösen Ausführung noch mehr an seine früheren Kurzfilme „The Strange Thing About the Johnsons“ und „Munchausen“.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 1

Zu Beginn lernen wir die Titelfigur Beau (Joaquin Phoenix) kennen. Der Mann mittleren Alters bereitet sich mit seinem Psychotherapeuten (Stephen McKinley Henderson) auf ein bevorstehendes Ereignis vor: Er besucht seine Mutter. Was für die meisten Menschen wohl einen ganz harmlosen Kurztrip bedeutet, stellt den unter massiven Angststörungen leidenden Beau vor eine äußerst unangenehme Riesenherausforderung. Da ist etwas in der Beziehung zu seiner Mutter, ein Trauma tief in seiner Vergangenheit, das ihn nicht loslässt und quält – mehr noch: Sein Innenleben zunehmend in ein apokalyptischen Höllenszenario verwandelt.

Es muss klar sein, dass wir als Zuschauer den wüsten Film durch die Augen des verstörten Protagonisten erleben und so manch monströse Manifestation nur in seiner Wahrnehmung ihre Proportionen erhält oder möglicherweise auch nur dort existiert. So wie der dämonische Verfolger, vor dem sich Beau in einem halsbrecherischen Wettlauf in den Hauseingang retten muss. Oder die verschwörerische Nachbarschaft, die den Haustürschlüssel zu seinem heruntergekommenen Apartment stiehlt, um dort eine exzessive Party zu veranstalten. Die ganze Welt scheint sich gegen ihn gewandt zu haben und erst recht seine Mutter macht Beau versteckt Vorwürfe, weil er es aufgrund der verfangenen Situation doch nicht heim schaffen wird. Die Nachricht von ihrem plötzlichen Tod – ein Kronleuchter hat ihren Kopf zerschmettert, wie ein Paketkurier am Telefon mitteilt – und die Attacke eines messerstechenden Nudisten (!) sowie ein darauffolgender Autounfall bedeuten für den ungewöhnlichen Helden den Auftakt einer beschwerlichen Odyssee zur anstehenden Totenwache …

Beau is Afraid (2023) Filmbild 2

Das knapp dreistündige Epos „Beau is Afraid“ ist trotz seiner Inszenierung als komödiantisches Schauderstück der bislang verstörendste und alarmierendste Film des jungen Regisseurs. Auch wenn man keine detailierten Einblicke in dessen eigene Biografie besitzt, bereitet sein bisheriges Gesamtwerk Anlass zur Sorge. „Beau is Afraid“ ist ein schmerzerfüllter Hilfeschrei, der sich hinter einer teuflisch grinsenden Fratze verbirgt. Die weit aufgerissene Wunde eines visionären Künstlers, der die Konfrontation mit seinem Publikum nicht scheut. Während viele überforderte Zuschauer die Arbeit wohl einfach als großes „WTF“ sehen werden, könnten andere die geschilderten Mommy Issues sogar als banal abtun. Fest steht, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen unterschiedlich stark mit dem Film und dem Charakter Beaus identifizieren werden können.

Aster bedient sich ausgiebig beim Vater des Psychoanalyse, Sigmund Freud, wenn er Beau als Gepeinigten sowohl seines bedrohlich empfundenen Umfelds, seiner gewählten Jungfräulichkeit aufgrund einer vermeintlichen Erbkrankeit (die Männer versterben scheinbar stets beim Geschlechtsakt) als auch seiner als grausam richtendes Über-Ich dargestellten Mutter (gespielt von Zoe Lister-Jones bzw. Patti LuPone) zeichnet. Wichtig ist, dass es sich hier um einen trotz seiner Störungen sympathischen und sensiblen Protagonisten handelt, der sich nicht als Opfer einer angeblich toxischen feministischen Bewegung sieht und voller Hass und Verbitterung steckt – Stichwort „Incel-Subkultur“. Beau hat sich als Jugendlicher (Armen Nahapetian) im Urlaub der gleichaltrigen Elaine (Julia Antonelli) versprochen und hofft mit einem alten Polaroid in der Hand noch immer auf ein Wiedersehen, während der Zahn der Zeit an ihm nagt.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 3

Dass seine Mutter wohl ein manipulatives menschliches Ungeheuer war, wird infolge von Rückblenden sehr deutlich. Die einflussreiche Frau scheint ein Spinnennetz um Beaus Leben gespannt zu haben, das jeden freien Schritt direkt unterbindet. Und wie ein haariger, giftiger Achtbeiner scheint sie auch nach ihrem Ableben noch das Versagen ihres Sohnes zu kontrollieren und darüber höhnisch zu lachen. Ohne Mutti gelingt eben nichts.

Was der Regisseur den Zuschauern hier alles um die Ohren haut, um den Zustand des psychisch ständig in die Enge getriebenen und unter Halluzinationen leidenden (Medikamente und andere Substanzen spielen im Film eine Rolle) Beau zu veranschaulichen, kann man tatsächlich unmöglich in einer kurzen Inhaltsangabe vermitteln – man muss es selbst sehen. Eigentlich harmonische Momente, wie die herzliche Aufnahme des Charakters von einem fürsorglichen Paar (Amy Ryan und Nathan Lane), verwandeln sich urplötzlich wieder in einen reißerischen Überlebenskampf, wenn die Tabletten-schluckende Teenager-Tochter (Kylie Rogers) einen Groll gegen Beau hegt und schließlich gar der von PTSD betroffene und auf dem Grundstück campierende Kriegsveteran (Denis Ménochet) auf ihn gehetzt wird. Wem das jetzt schon zu viel ist, sollte besser einen großen Bogen um das Werk machen. Wer allerdings von einer solch einmaligen cineastischen Tour de Force – wie ich – angezogen wird, dem sei ausdrücklich versichert: Es wird im Verlauf noch deutlich bizarrer und wilder!

Beau is Afraid (2023) Filmbild 4

Bevor „Beau is Afraid“ in einen düster-paranoiden Psychohorror mit einer der wohl absonderlichsten Creature-Feature-Szenen überhaupt kippt und mit einem bedrückenden Schauprozess im Geiste Franz Kafkas endet, besuchen wir mit Beau eine Theatergruppe tief im Wald. Das aufgeführte Stück entführt ihn in eine bunte und einfache Welt. Fast meinte man, er würde unerwartet doch noch Frieden und Glück finden. Doch Aster wäre nicht Aster, wenn der ewige Fluch die Figur nicht auch auf der Gedankenflucht einholen würde.

Als Titelheld liefert Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix („Joker“) wieder mal eine außergewöhnlich starke Performance ab, die allein die Eintrittskarte wert ist. Doch es ist Ari Asters unglaublich gewaltige (und vereinzelt auch durchaus gewalttätige) Umsetzung eines heutzutage völlig konkurrenzlosen Leinwandabenteuers (der Regisseur arbeitet hier nach dem Vorgänger erneut erfolgreich mit seinem Kameramann Pawel Pogorzelski und Komponisten Bobby Krlic zusammen), die als besonders spektakulär im Gedächtnis hängenbleiben wird. Ich habe in jeder Sekunde an jedem Bild des Werkes geklebt, auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass etliche Zuschauer dieses als Tortur empfinden und sich danach womöglich wie Beau selbst fühlen werden.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 5

„Beau is Afraid“ ist alles andere als ein einfacher Filmspaß. Er ist trotz des überwiegend schwarzhumorigen Tons letztlich ein Bild von Leid ohne Ausweg. Und während der Schluss von „Midsommar“ als böse-feierliches Happy End daherkam, fühlt man sich nach der Sichtung hier, als ob man einer eiskalten Exekution beigesessen hat. Man wird gelacht und gestaunt haben, bis die Falle zuschnappt und man still aus dem Saal entlassen wird.

Ari Asters neue Arbeit ist erneut grandioses Kino wie man es vielleicht noch nie gesehen hat. Aber sie ist eben auch, im Gegensatz zur Titelfigur, furcht- und schrankenlos.


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Hellraiser: Das Schloss zur Hölle (2022) Kritik

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Hellraiser: Das Schloss zur Hölle (2022) Kritik

Hellraiser, USA 2022 • 120 Min • Regie: David Bruckner • Drehbuch: Ben Collins, Luke Piotrowski • Mit: Odessa A’zion, Jamie Clayton, Adam Faison, Drew Starkey, Brandon Flynn, Aoife Hinds, Goran Višnjić, Hiam Abbass • Kamera: Eli Born • Musik: Ben Lovett • FSK: n.n.b. • Verleih: Paramount+ • Deutscher Streamingstart: 15.04.2023 • Website

Bis Regisseur David Bruckner („The Ritual“) endlich seine Vision von „Hellraiser“ (in Deutschland unter dem etwas dämlichen Titel „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ erhältlich) verwirklichen konnte, musste das beliebte Horror-Franchise erstmal Ewigkeiten durch die buchstäbliche Hölle billigst produzierter Direct-to-Video-Sequels wandern. Diese wurden letztlich nur dazu in Auftrag gegeben, um dem Genre-Studio Dimension Films weiterhin die Rechte an der Reihe zu sichern. Sicher waren nicht alle dieser Beiträge gänzlich uninteressant oder grottig, doch die Budget- und Zeitrestriktionen merkte man qualitativ deutlich auch den besseren Vertretern von Scott Derrickson („Hellraiser: Inferno“) und Make-Up-Künstler/„Hellraiser“-Urgestein Gary J. Tunnicliffe („Hellraiser: Judgment“) an.

Hellraiser (2022) Filmbild 4

Nach endlosem, gescheitertem Hin und Her mit Regisseuren wie Pascal Laugier („Martyrs“) oder Patrick Lussier („My Bloody Valentine 3D“) ist die Wahl für einen aufwändigen Neustart schließlich auf Bruckner und das Autorenduo Ben Collins/Luke Piotrowski gefallen, die zusammen mit „The House at Night“ den wohl besten Schocker des Jahres 2020 vorgelegt haben. Ihrem Vorgänger und „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ ist nun leider der Umstand gemein, dass beide Filme hierzulande ausschließlich über Streamingdienste abrufbar sind. Dabei wäre ein Kinorelease in beiden Fällen schon aufgrund von David Bruckners großem Gespür für dichte Atmosphäre geboten gewesen.

Wer sich nun fragt, ob dieser „Hellraiser“ nun ein Remake, Reboot oder Sequel von Clive Barkers düsterer Story ist, dem kann man salopp antworten: Alles und nichts davon. Selbstverständlich handelt auch diese Version von der mysteriösen Puzzlebox, mit der man den Höllenpriester Pinhead (erstmals verkörpert von der Schauspielerin Jamie Clayton) und die sadistischen Zenobiten heraufbeschwören kann. Ansonsten gibt es aber keinerlei Verweise zu früheren Charakteren oder Handlungssträngen aus der Reihe oder der Novellen-Vorlage.

Hellraiser (2022) Filmbild 3

Die Geschichte beginnt in Belgrad mit der Übergabe einer Holzkiste gegen eine beträchtliche Summe Geld. Auf einer Party in einem luxuriösen Anwesen in Massachusetts erfahren wir schließlich, welches Objekt bei dem Treffen erworben wurde – selbstverständlich der bereits erwähnte, unter dem Namen Lament-Konfiguration bekannte, mechanische Würfel. Ein junger Gast wird von dem geheimnisvollen Millionär Roland Voight (Goran Višnjić) dazu ermuntert, das Objekt zu testen. Einige Handgriffe und eine Verletzung an einer herausspringenden Klinge später, wird der unglückliche Besucher von Ketten in Stücke gerissen, während sich für den erfreuten Voight ein Portal öffnet.

Im Mittelpunkt steht allerdings die sich von ihrer Drogensucht rehabilitierende Riley (Odessa A’zion), die mit ihrem Bruder Matt (Brandon Flynn) und dessen Partner Colin (Adam Faison) in einer WG lebt. Zwischen den Geschwistern herrscht dicke Luft und nach einer weiteren Auseinandersetzung wirft Matt Riley schließlich aus der Wohnung. Seit einem Einbruch in eine Lagerhalle besitzt die junge Frau die Lament-Konfiguration, die sie in ihrer misslichen Lage öffnet, dabei allerdings unwillentlich ihren Bruder den Zenobiten als Opfer serviert. Um Matt zurückzubekommen, recherchiert Riley zu den Hintergründen der Box und stößt letztlich auf den Fall des scheinbar vom Erdboden verschluckten Roland Voight …

Hellraiser (2022) Filmbild 2

Allein handwerklich ist Bruckners „Hellraiser“ meilenweit von der meist nur schnell runtergekurbelten Billigware entfernt und besticht durch die finsteren und oft in Primärfarben getränkten Bilder von Kameramann Eli Born. Die ursprünglich von der SM-Szene geprägten Höllenwesen muten in dieser Variante nicht weniger grotesk an, nur lässt der Regisseur deren immer noch ziemlich heftige Gore-Exzesse meist nur in sehr kurzen Augenblicken aufblitzen. Diese reichen jedoch völlig aus, wenn man das Franchise nicht lediglich als Splatter-Maschine betrachtet.

Puristen dürften sich eher daran stören, dass Bruckner und seine Autoren die sexuellen Perversionen des Originals nicht wirklich verfolgen und stattdessen einen anderen Ansatz wählen. Die Mythologie der Puzzlebox wird hier auf interessante Weise weiter ausgebaut und wir erfahren, dass diese je nach Verlangen des Besitzers unterschiedliche Formen annehmen kann, wie etwa die Lazarus-Konfiguration für Wiedergeburt und mehr. Besonders spannend und clever ist jedoch, dass in diesem Film die Privilegierten auch andere Personen missbrauchen können, damit sich diese für deren Streben nach mehr Macht letztlich aufopfern. Das hat doch sogar ein bisschen was von manchen Zuständen in unserer Gesellschaft …

Hellraiser (2022) Filmbild 1

Schauspielerisch darf vermeldet werden, dass – sofern man sich dem Werk offen nähert und nicht verbohrter Doug-Bradley-Anhänger ist – in Jamie Clayton einen großartigen Pinhead-Ersatz mit ganz eigenen, unheimlichen Qualitäten gefunden hat. Sollte man Clive Barkers offiziellen Fortsetzungs-Roman „The Scarlet Gospels“ also irgendwann mal verfilmen wollen, müsste man für die Rolle des/der Antagonistin/en nicht wieder extra suchen müssen.

Was Odessa A’zion („Grand Army“) als Riley angeht, so gibt sie eine trotz ihres Makels sympathische Heldin ab, steht aber vor allem im Dienst des von Mystery getriebenen Plots. Die von Geheimgängen durchdrungene Villa Voights, in der sie und ihre Mitstreiter im Finale in bester „Die Nacht der lebenden Toten“-Manier Schutz vor den Dämonen suchen, ist übrigens derart interessant in Szene gesetzt, dass sie fast zum eigenen Charakter wird.

Etwas zu gut gemeint hat man es dagegen mit der Laufzeit von zwei Stunden. Es ist nicht so, dass der Film an diversen Stellen störend langweilig wird und ein gemächliches Tempo ist im Horror durchaus willkommen. Ein gewisses Gefühl von Repetition bekommt man in der zweiten Hälfte dennoch und ein paar Blödheiten von Figuren aus offensichtlich dramaturgischen Gründen lassen einen gegen Ende schon etwas aufstöhnen.

Hellraiser (2022) 5

Diese Neuauflage bzw. Weiterführung der „Hellraiser“-Saga ist gewiss kein bahnbrechendes Meisterwerk, aber nach Barkers eigener Kult-Adaption sicherlich der inhaltlich frischeste und inszenatorisch stärkste Eintrag. Ja, noch vor Tony Randels effektlastigem „Hellbound: Hellraiser II“.


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The Pope’s Exorcist (2023) Kritik

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The Pope's Exorcist (2023) Kritik

The Pope’s Exorcist, USA 2023 • 105 Min • Regie: Julius Avery • Drehbuch: Michael Petroni, Evan Spiliotopoulos • Mit: Russell Crowe, Daniel Zovatto, Alex Essoe, Peter DeSouza-Feighoney, Laurel Marsden, Franco Nero, Ralph Ineson • Kamera: Khalid Mohtaseb • Musik: Jed Kurzel • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 06.04.2023 • Deutsche Website

Eigentlich gibt es im Horror-Subgenre des Exorzismus-Films nur zwei Kategorien: Es gibt William Friedkins legendäres Meisterwerk „Der Exorzist“ und es gibt den Rest. Zwischen unterster Exploitation-Grütze und durchaus ambitionierten A-Produktionen, die jedoch nie die thematische Tiefe des Originals erreichen, rangiert Julius Averys „The Pope’s Exorcist“ dabei irgendwo im breiten Mittelfeld.

The Pope's Exorcist (2023) 1

Das von Michael Petroni und Evan Spiliotopoulos verfasste Werk basiert auf den Memoiren des realen römischen Hauptexorzisten Pater Gabriele Amorth, dem sich Friedkin bereits in seiner Doku „The Devil and Father Amorth“ gewidmet hat. Es bestand also durchaus die Möglichkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Wirken des 2016 verstorbenen Geistlichen. Doch nach Sichtung des effektlastigen und überraschend amüsanten Schockers lässt sich vermuten, dass Avery und sein Team das Drehbuch einfach aus dem Fenster geworfen haben, frei nach dem Motto: „Scheiß' auf den Schmarrn, lasst uns einfach Spaß haben!“ Und so klärt einen ein Text am Ende darüber auf, dass Amorth viele Schriften verfasst hat und fügt augenzwinkernd ein „Die Bücher sind gut“ hinzu – ganz so, als ob dem Film klar ist, dass er das nicht ist und es wohl auch nie sein wollte. Die gute Nachricht ist jedoch, dass „The Pope’s Exorcist“ zwar teils haarsträubender Edel-Trash ist, dieses Ziel aber zumindest hingebungsvoll ansteuert und nur sehr selten langweilt. Der Story nach zu urteilen, hat der Titelheld ganz schön wüste Abenteuer erlebt. Den Wahrheitsgehalt hier zweifle ich persönlich jedoch ausdrücklich an.

Im Film wird Amorth (Russell Crowe) vom Papst (Italo-Legende Franco Nero) zu einem abgelegenen spanischen Anwesen, das einst als Abtei gedient hat, entsandt. Das Grundstück hat die verwitwete Mutter Julia (Alex Essoe) geerbt und möchte es zusammen mit ihren Kindern Amy (Laurel Marsden) und Henry (Peter DeSouza-Feighoney) renovieren und verkaufen, bevor sie in die USA zurückkehren. Doch der vom Unfalltod des Vaters traumatisierte und seitdem stumme Henry ist nach der Entdeckung eines vermauerten Siegels im Keller – nun ja – nicht mehr der Alte. Plötzlich flucht er mit dämonischer Stimme, leidet offenbar an mehr als an einer schlimmen Bindehautentzündung und verfügt sogar über übermenschliche Kräfte. Der örtliche Priester Pater Esquibel (Daniel Zovatto) ist mit der Situation völlig überfordert und wendet sich beim Vatikan um Hilfe. Mit einer eindringlichen Warnung vor dem Ort, nehmen sich Amorth und Esquibel des Falles an und stoßen schließlich auf ein altes und wahrlich finsteres Geheimnis …

The Pope's Exorcist (2023) 2

Qualitativ liegt „The Pope’s Exorcist“ ein gutes Stück hinter Daniel Stamms unterschätztem Found-Footage-Beitrag „Der letzte Exorzismus“, kann sich aber aufgrund seiner soliden Inszenierung und der schalkhaften Darstellung des Hauptprotagonisten ebenso von nahezu unerträglichen Outputs der Marke „Devil Inside“ oder „The Exorcism of Molly Hartley“ absetzen. Die Aufnahmen von Kameramann Khalid Mohtaseb („Stunde der Angst“) sind stimmungsvoll und sogar richtig schick ausgefallen und der Score von Jed Kurzel („Der Babadook“) wabert passend creepy durch die Boxen.

Seit seinem adrenalinhaltigen Zombie/Nazi-Schlachtfetzen „Operation: Overlord“ ist Julius Avery in Sachen studiofinanzierter B-Movies bereits erprobt. Auch in „The Pope’s Exorcist“ liefert der Regisseur wieder exakt das ab, was ein Mainstream-Publikum wohl von einem unterhaltsamen aber auch reichlich substanzfreien Horror-Abend im Kino erwartet. Augen leuchten in allen höllischen Farben, Charaktere krabbeln wie Spinnen an der Zimmerdecke, besessene Körper platzen in bester Splattermanier nach Berührung mit einem Kruzifix und anstelle von Erbsensuppe wird direkt Blut auf das Gegenüber erbrochen. Und wer seinen Grusel gern kombiniert mit Pyrotechnik mag und von grottigen CGI-Effekten nicht abgeschreckt wird, bekommt auch das geboten. Worum es letztlich inhaltlich geht, geht in dem Spektakel allerdings zunehmend unter.

The Pope's Exorcist (2023) 3

Während Oscar-Preisträger Russell Crowe hier die Tage seiner größten Erfolge „Gladiator“ und „A Beautiful Mind“ weit hinter sich lässt und ähnlich seinem Hollywood-Kollegen Nicolas Cage mutmaßlich ein Comeback durch gnadenloses Overacting anstrebt (das hat bereits im Amok-Thriller „Unhinged“ ganz passabel funktioniert), welches im Duell in furchtbar schlechtem italienischen bzw. spanischen Akzent mit seinem Co-Star Daniel Zovatto („Don’t Breathe“) besonders gut zur Geltung kommt, rücken leider alle anderen Figuren in den Hintergrund. Alex Essoe ist eine gute Schauspielerin und seit der Indieproduktion „Starry Eyes“ ein Liebling bei Genrefans. Als besorgte Mutter bekommt sie diesmal leider nur die Gelegenheit zum blassen 08/15-Standardprogramm. Freude scheint zumindest der junge Peter DeSouza-Feighoney am wilden Grimassieren zu haben, während ihm „The Witch“-Star Ralph Ineson feuflisch obszöne Sprüche auf die Lippen legt.

Im Gegensatz zu hochwertigen Subgenre-Vertretern wie „Der Exorzismus von Emily Rose“ ist einem das Schicksal der Familie leider irgendwann ziemlich egal. Schlimmer noch, man vergisst nahezu dass diese einen entsetzlichen Kampf im Kinderzimmer austrägt, während das dynamische Priester-Duo entspannt das dunkle Gewölbe erkundet. Dramaturgisch ist das nicht sonderlich klug. Durch eine spätere Enthüllung bildet die obligatorische Vers-Weihwasser-Vers-Konfrontation zumindest nicht das eigentliche Finale, welches dann ungleich spektakulärer – und bizarrer – ausfällt. Auf was genau Amorth und Esquibel in der Dunkelheit stoßen, soll natürlich nicht verraten werden. Beide müssen sich letztlich ihren Sünden und ihrer Schuld stellen. Hier fällt in Bezug auf Amorths Vergangenheit dann auch der einzige Spruch im Film, der (zumindest mir) wirklich Kopfschmerzen bereitet: „Im Krieg zu fallen ist heldenhaft, den Krieg überlebt zu haben ist schwierig.“ Nun ja, jedem das Seine …

The Pope's Exorcist (2023) 4

Problematisch in „The Pope’s Exorcist“ ist außerdem die Tatsache, dass ein Gefühl von echter Angst oder Bedrohung nie aufkommt. Der Roller-fahrende, Beichten nicht allzu ernst nehmende und um lockere Sprüche nicht verlegene Amorth (der in seinem wahren Leben übrigens „Harry Potter“ als satanisch eingestuft hat) wirkt in seiner Präsenz derart robust und selbstsicher, dass man ihm schon nach seiner ersten Szene ein Scheitern nicht abkaufen würde. Und so ist es dann wohl auch kein Wunder, dass dieser spleenigen Figur und ihrem Sidekick zum Schluss vorsorglich ein Sequel oder gar eine ganze Reihe nach „Conjuring“-Vorbild in Aussicht gestellt wird. Wir erinnern uns: Amorth schrieb viele Bücher.

„The Pope’s Exorcist“ ist inhaltlich ziemlich leerer aber extrem kurzweiliger und charmant gespielter Trash groteskem Ausmaßes. Ist er gut? Hell, no. Aber ich hatte meinen Spaß.


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