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M3GAN (2022) Kritik

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M3GAN (2022) Kritik

M3GAN, USA 2022 • 102 Min • Regie: Gerard Johnstone • Drehbuch: Akela Cooper • Mit: Allison Williams, Violet McGraw, Ronny Chieng, Brian Jordan Alvarez, Jen Van Epps, Lori Dungey, Stephane Garneau-Monten, Amie Donald • Kamera: Peter McCaffrey • Musik: Anthony Willis • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 12.01.2023 • Deutsche Website

Gerard Johnstones „M3GAN“ beginnt mit dem Werbespot zu einem fiktiven Spielzeug: Ein Kind trauert an dem Grab seines Haustieres, doch soll es bald mit dem beworbenen Produkt von seinem Leid erlöst werden. Ein flauschiges Geschöpf, das die Bedürfnisse eines Kleinkindes simuliert, wird digital per Tablet mit Nahrung versorgt und kann auditiv mit Fürzen oder dem Ausscheiden von Plastikkot demonstrieren, dass es nicht ordnungsgemäß vom Besitzer behandelt worden ist. Bereits dieser Anfang des von Jason Blum („Der Unsichtbare“) und James Wan („Conjuring“) erstmals gemeinsam produzierten Sci-Fi-Horrors führt vor Augen, was die Zukunft 2.0 für uns bereit hält. Selbst eigentlich dem Zwischenmenschlichen vorbehaltene Tätigkeiten können nun über Computerprogramme aus der Distanz bedient werden – so wird es dem Nachwuchs zumindest von Kleinauf vermittelt. Eine schöne neue Welt?

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An der Entwicklung der zwischen Robotik, Software und Plüsch pendelnden Kreation ist die geniale Ingenieurin Gemma (Allison Williams) beteiligt gewesen, die zusammen mit ihrem kleinen Team nun ohne Kenntnis ihres cholerischen Chefs David (Ronny Chieng) an dem Prototyp eines enorm kostspieligen KI-Androiden namens M3GAN (kurz für Android der M3-Generation) arbeitet. Der karrierefixierten Frau kommt mitten in der heißesten Phase urplötzlich der Tod ihrer Schwester und ihre dadurch verwaiste Nichte Cady (Violet McGraw) zwischen die Planungen. Pflichtbewusst aber auch ohne angebrachte Selbstreflektion, übernimmt Gemma Cadys Sorgerecht und integriert sie in ihr eigentlich nicht auf Familie ausgerichtetes Leben. Doch schon bald zeichnet sich ab, dass sie der Herausforderung nicht gewachsen ist und das trauernde Mädchen von ihr nicht den notwendigen Halt bekommt. Wie schon bei ihrer Arbeit, gelingt es Gemma scheinbar, das Problem mit ihrem technischen Know How zu lösen: M3GAN (unter der künstlichen Fassade gespielt von Amie Donald und gesprochen von Jenna Davis) soll Cadys neue beste Freundin werden und gleichzeitig soll die hier wachsende Beziehung zwischen Mensch und Maschine als Anschauungsmaterial für den geplanten Verkaufsschlager dienen. Wäre da nicht das Problem mit M3GANs mörderisch ausgeprägtem Beschützerinstinkt und das Erwachen eines eigenen Bewusstseins …

Das Drehbuch zu „M3GAN“ stammt aus der Feder von Akela Cooper nach einer Story von James Wan. Zusammen hat das Duo zuvor den äußerst wilden und reichlich bizarren Grindhouse-Schocker „Malignant“ erschaffen, mit dem sich der neue Stoff die Fülle an irren Einfällen teilt. Als „Terminator“ meets „Annabelle“ hat Wan unlängst das Projekt zusammengefasst, doch lässt sich nach Sichtung festhalten, dass eine Mischung aus dem „Chucky“-Reboot „Child’s Play“ und Alex Garlands smartem „Ex Machina“ dem Werk eher gerecht wird. „M3GAN“ ist ohne Frage beste Genre-Unterhaltung, wie man sie eben von den Studios Blumhouse und Atomic Monster erwartet, doch entpuppt sich der Film zugleich als intelligentere Zeit-Satire als es zunächst den Anschein hat. Diesen als erfrischend feminine und deutlich weniger blutrünstige (trotz PG-13 und ohne Gore schocken einige Szenen dennoch mit ihrer bösartigen Konsequenz) Antwort auf „Child’s Play“ anzupreisen, wäre nicht verkehrt, doch würde dies die weiteren Themen der Geschichte völlig unterschlagen.

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So ist die lebensechte Roboter-Puppe mit ihren krassen Skills vordergründig klar die Antagonistin des Films. Doch fällt schon bald auf, dass man diese eigentlich kaum für ihre Taten verantwortlich machen kann. Es ist eine hypermoderne, hektische und auf ständige Leistung getrimmte Gesellschaft, die Schöpfungen wie M3GAN befördert, weil es mit der sogenannten Work-Life-Balance dann eben doch nicht immer gelingt. In Zeiten von Erzieherinnen- und Lehrkräftemangel werden dann die Kleinen gerne mal vor den Smartphones oder anderen technischen Gimmicks geparkt, ohne diese anzuleiten oder die Zeit in der virtuellen Welt einzuschränken. Auch M3GAN ist trotz ihres nahezu menschlichen Anlitzes immer noch eine digitale Kreatur. Wie stark die Bindung zum Androiden werden kann, erklärt im Film Cadys Psychologin: Ein verwaistes Kind baut eine besonders intensive Beziehung zur ersten Person auf, die sich seines annimmt – eben auch, wenn es sich dabei um ein menschliche Gefühle perfekt simulierendes Kunstprodukt handelt. Somit prägt sich Cady nicht nur M3GAN mit ihrem Daumendruck als erste Bezugsperson ein, sondern auch umgekehrt.

Während Cady als genau das dargestellt wird, was sie ist – nämlich ein schwer traumatisiertes und verwirrtes Kind -, konzentriert sich der neuseeländische Regisseur Gerard Johnstone im Nachfolgewerk seiner vorzüglichen Horrorkomödie „Housebound“ im Zentrum auf die von Allison Williams („Get Out“) gespielte Gemma. Die erfolgreiche Nerd-Frau ist, ähnlich wie M3GAN ihr Produkt ist, selbst ein Produkt ihres Karrieredrucks. Im Herzen versteht sie die Bedürfnisse ihrer Nichte und möchte bestmöglich für sie sorgen. Auf der anderen Seite ist sie selbst an der auch emotionalen Ausbeutung des Kindes von Seiten ihrer Firma beteiligt – der grausamste Aspekt des Films! Es ist Gemmas schwierige Lernphase, die hier vermittelt wird und welche stellvertretend für wohl viele überforderte Eltern heutzutage steht. So etwa auch für die Mutter eines reichlich auffälligen Jungen, der während einer Szene seine Zeugerin wild beschimpft und sich später wie ein psychopathischer Triebtäter über den Androiden beugt. Da hat es jemand verpasst, diesem liebevoll die Ohren langzuziehen, bevor dies auf grausame Weise nachgeholt wird.

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Tonal bewegt sich das Werk überwiegend auf einem fies-schwarzhumorigen Pfad. Wenn Cady im Film von Trauer überwältigt wird und ihre Roboter-Gefährtin ihr in bester Disney-Tradition ein kitschiges Lied trällert, auf welches Teile des Firmenvorstandes wiederum mit Tränen reagieren, geht der Witz jedoch nicht auf Kosten des Kindes sondern spiegelt zynisch eine plumpe und auf einfache Lösungen bedachte Gesellschaft wider. Trauriges Kind plus singendes Spielzeug gleich Glück gleich Erfolg zum Quadrat, lautet die Formel. Den zunächst gar nicht so in den Vordergrund gerückten Horror steigert Johnstone dann nach einer Anspielung auf Wes Cravens Frankenstein-Verschnitt „Der tödliche Freund“ im letzten Drittel. Auch wenn der Klimax relativ vorhersehbar abläuft und dann der von James Wan angeführte „Terminator“ etwas bemüht zur Geltung kommt, ist „M3GAN“ ein unerwartet cleverer kleiner Techno-Schrecken mit einer definitiv prägnanten Titel-Schurkin.

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Ein potenzielles Sequel hat man bei der Ausarbeitung der Geschichte schonmal eingeplant, weshalb man sich hoffentlich auf eine ähnlich bissige wie unterhaltsame Fortsetzung freuen darf.


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Avatar: The Way of Water (2022) Filmkritik

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Avatar The Way of Water (2022) Filmkritik

Avatar: The Way of Water, USA 2022 • 193 Min • Regie: James Cameron • Mit: Sam Worthington, Zoe Saldaña, Stephen Lang, Sigourney Weaver, Jamie Flatters, Britain Dalton, Jack Champion, Edie Falco, Kate Winslet, Cliff Curtis • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 14.12.2022 • Website

Handlung

Rund 15 Jahre sind vergangen, seit die Na’vi unter der Führung des Überläufers Jake Sully (Sam Worthington) die ausbeuterischen Menschen von Pandora vertrieben haben. Jake und Neytiri (Zoe Saldaña) haben inzwischen drei leibliche Kinder – die Teenager Neteyam (Jamie Flatters) und Lo’ak (Britain Dalton) sowie die kleine Tuktirey (Trinity Jo-Li Bliss). Außerdem haben sie die Na’vi-Jugendliche Kiri (Sigourney Weaver), die mysteriöserweise vom Avatar der verstorbenen Wissenschaftlerin Grace Augustine (ebenfalls Weaver) geboren wurde, und den Menschenjungen Miles "Spider" Socorro (Jack Champion), der nach dem Tod seines Vaters im Krieg gegen die Na’vi bei der Evakuierung von Pandora zurückbleiben musste, weil er als Kleinkind nicht in den Kälteschlaf versetzt werden konnte, adoptiert.

Doch Jakes und Neytiris Familienidyll hat ein jähes Ende, als die Menschen eines Tages mit einer großen Armada und neusten Waffen nach Pandora zurückkehren. Mit Guerrilla-Taktiken und Sabotage gehen Jake und sein Omaticaya-Clan effektiv gegen die Eindringlinge vor, doch diese lassen sich diesmal nicht abschrecken. Es geht nicht mehr nur um die Ausbeutung der Naturschätze des Planeten, sondern ums nackte Überleben, denn die Erde stirbt und die Menschheit braucht eine neue Heimat. Dafür müssen erst die Einheimischen aus dem Weg geräumt bzw. in den Worten der neuen RDA-Generälin Frances Ardmore (Edie Falco) "besänftigt" werden. Dazu bringt sie eine Geheimwaffe ins Spiel, die sogenannten Recombinants: verstorbene Soldaten, deren Erinnerungen und Persönlichkeit in künstlich gezüchtete Na’vi-Avatare eingespeist wurden. Sie haben den Auftrag, Jake Sully zu finden und zu töten, in der Hoffnung, so den Widerstand der Na’vi zu brechen. Angeführt werden die Recombinants vom wiedergeborenen Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang). Nach einem brutalen Angriff von Quaritchs Recombinant-Truppe sieht sich Jake gezwungen, zusammen mit seiner Familie aus den Wäldern Pandoras zu fliehen und beim Ozean-Stamm der Metkayina sicheres Versteck zu suchen, wo sie sich zunächst einmal in den neuen Lebensstil eingewöhnen müssen. Doch das Unheil folgt ihnen und der von Rachegelüsten getriebene Quaritch setzt alles daran, Jake und Neytiri ausfindig zu machen.

Kritik

Vor 13 Jahren hat James Cameron seinen Status als der König der Welt oder zumindest der Kinokassen zementiert und die Zuschauer auf eine audiovisuell atemberaubende Reise in eine fremdartige, faszinierende Welt mitgenommen. Niemand würde Avatar – Aufbruch nach Pandora eine komplexe Geschichte oder vielschichtige Charaktere vorwerfen. Böse Zungen könnten gar behaupten, dass Cameron einfach die Handlung von White-Savior-Filmen wie Der mit dem Wolf tanzt und Pocahontas umgeschrieben und mit einem Schuss FernGully versetzt hat. Doch es gab einen Grund, weshalb Avatar nach zwölf Jahren Camerons Titanic als umsatzstärksten Film aller Zeiten ablösen konnte und auch in Deutschland zum bislang letzten Film mit mehr als 10 Millionen Kinobesuchern wurde. Natürlich haben die bahnbrechenden Effekte und der durch den Film eingeläutete 3D-Hype massiv zum Erfolg beigetragen, doch sie alleine erklären nicht, wie Avatar den Nerv der Zuschauermassen so zielsicher treffen konnte.

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild 1Cameron griff auf bewährte Motive zurück. Die Grenzen zwischen Gut und Böse waren klar abgesteckt. Unterdrückte naturliebende Underdogs verteidigen ihr Land gegen skrupellose, seelenlose und gut bewaffnete Ausbeuter. Mittendrin ist eine "Romeo und Julia"-Liebesgeschichte und ein durch und durch fieser Schurke. Es ist ein simples Konzept, doch es funktioniert. Avatar war kein weiteres Sequel, Prequel, Reboot oder eine Comicverfilmung und dennoch war er vertraut. Die Zuschauer hatten das Gefühl, in eine ganz neue Welt einzutauchen, ohne dabei aber besonders herausgefordert zu werden. Camerons größter Geniestreich war dabei jedoch, dass der Film das Publikum dazu gebracht hat, mit den häufig als Invasoren im Kino dargestellten Aliens in ihrem Kampf gegen die Menschen mitzufiebern. Auch mich hat Avatar in seinen Bann gezogen, sodass ich ihn bis heute siebenmal im Kino gesehen habe.

Der Film kein reiner Glücksgriff war, war Cameron natürlich bewusst, weshalb er es nicht eilig hatte, eine Fortsetzung nachzuschieben, bis er sich sicher sein konnte, ein vergleichbares Erfolgsrezept gefunden zu haben. Doch diesmal dachte Cameron in die Zukunft und konzipierte seine Avatar-Fortsetzungen als Saga, die, wenn alles nach Plan läuft, mindestens vier weitere Filme umspannen soll. Die 13-jährige Wartezeit auf Teil 2 soll ab jetzt durch regelmäßige Sequels im zwei-Jahres-Rhythmus belohnt werden. Die Voraussetzung für die Verwirklichung von Camerons ambitionierten Plan ist jedoch, dass Avatar: The Way of Water ähnlichen Anklang findet wie sein Vorgänger. Doch ist es heutzutage überhaupt möglich, das CGI-abgestumpfte, des 3D überdrüssige Publikum noch so vom Hocker zu hauen wie vor 13 Jahren?

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild 2Die Antwort darauf ist ein entschiedenes jein. Mit Avatar: The Way of Water feuert James Cameron an der Bild- und Ton-Front aus allen Rohren und sorgt dafür, dass die Kinogänger für jeden Cent ihrer teuren Kinotickets auch wirklich etwas geboten bekommen, das sie so zu Hause nicht erleben können. Wie bereits Top Gun: Maverick dieses Jahr, erinnert The Way of Water daran, was große Kinospektakel sind. Groß und noch größer ist hier das Motto und nach Jahren mittelmäßiger 3D-Präsentationen zeigt Cameron uns wieder, welchen Mehrwert die Technologie bieten kann, wenn jemand mit Ahnung davon im Regiestuhl sitzt und den Film entsprechend konzipiert. Camerons Entscheidung für die HFR(High Frame Rate)-Technologie, also die hohe Bildrate, die Peter Jackson bereits bei seinen Hobbit-Filmen und zuletzt Ang Lee bei Gemini Man eingesetzt haben, bleibt ein zweischneidiges Schwert. Zwar ist es erwartungsgemäß der beste HFR-Einsatz, den wir bislang erleben durften und lässt das 3D sehr organisch wirken und die Zuschauer in die üppigen Welten von Pandoras Ozeanen eintauchen. Andererseits wirkt die durch HFR erzeugte Fernseh-Optik besonders in den Szenen mit Menschen leider ablenkend. Ich bin sicher, dass Cameron das meiste aus der Technik herausgeholt hat, doch vielleicht ist es einfach Zeit, den HFR-Versuch aufzugeben.

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild 3Davon abgesehen gibt es visuell an Avatar: The Way of Water nichts auszusetzen. Cameron konnte diesmal seine Liebe zum Meer und den Ozeanen in vollen Zügen ausleben und integrierte sie ins Worldbuilding. Sogar Erinnerungen an Titanic werden in einer längeren Sequenz wach, in der Charaktere versuchen, von einem sinkenden Schiff zu entkommen. Die Motion-Capture-Aufnahmen haben einen großen Qualitätssprung seit dem ersten Film gemacht und können jede Emotion der Na’vi-Darsteller perfekt einfangen. Ganz besonderes Lob geht dabei an die fabelhafte Zoe Saldaña mit einer mal wütenden, mal verzweifelten, mal kämpferischen Performance als Muttertier und taffe Kriegerin. Überhaupt ist es bemerkenswert, wie nahtlos die menschlichen Schauspieler mit CGI-Kreaturen interagieren, sodass man irgendwann tatsächlich vergisst, dass man in vielen Szenen im Prinzip nichts Anderes als einen Animationsfilm sieht.

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild 4Wer jedoch gehofft hat, dass Cameron und sein Autorenteam sich in der langen Zeit seit dem ersten Film eine originellere Handlung überlegt haben, wird ebenfalls eines Besseren belehrt. Es bleibt denkbar simpel. Tatsächlich wiederholt sich der Plot des Vorgängers sogar über weite Strecken. Die bösen Menschen beuten weiter Pandoras Ressourcen ohne Rücksicht auf Verluste aus, bloß handelt es sich diesmal um die kostbare, lebensverlängernde Hirnflüssigkeit hochintelligenter Walwesen. Stephen Langs Quaritch ist immer noch ein weitgehend eindimensionaler Bösewicht, der zwar um eine durchaus interessante Facette erweitert wird, die ihn jedoch nicht wesentlich verändert. Zudem vermisst man leider auch die charismatische Ausstrahlung seiner menschlichen Ausgabe. Derweil müssen sich Jake und seine Familie das Waldvolk an die Lebensweise der Metkayina gewöhnen, was im Prinzip Jakes erste Begegnungen mit den Na’vi widerspiegelt, einschließlich eines neuen Baumes der Seelen – nur diesmal unter Wasser – und der obligatorischen Zähmung fliegender (aber diesmal auch untertauchender!) Tierwesen. Also frei nach dem Motto, repariere nicht, was nicht kaputt ist.

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild 5Die neu hinzugekommene Familiendynamik der Sullys bewegt sich in ihrer Oberflächlichkeit leider irgendwo zwischen Seifenoper und familiären Verwicklungen à la Star Wars. Wir haben den braven ältesten Sohn, der seinen Verpflichtungen nachkommen und seinen Vater stolz machen will, die spirituelle Adoptivtochter mit einer geheimnisvollen Gabe, den rebellischen jüngeren Außenseiter-Sohn, der seinen Vater am laufenden Band enttäuscht, die kleine Tochter, die im Prinzip nur da ist, um süß zu sein und den Menschenjungen mit Identitäts- und Treuekonflikten. Die Figuren sind Abziehbilder mehr denn tatsächliche, ausgearbeitete Charaktere und man wünscht sich, dass Cameron vielleicht etwas mehr Zeit in sie investiert hätte.

Vergleichbare Kritik konnte man natürlich auch am ersten Film üben, dessen opulente Optik und berauschende Welt die Drehbuch-Mankos erfolgreich überdeckte. Trotz der technologischen Fortschritte hat Avatar: The Way of Water einfach nicht mehr den gleichen Wow-Effekt wie der Erstling vor 13 Jahren, sodass die inhaltlichen Schwächen diesmal deutlicher ins Gewicht fallen.

Avatar The Way of Water (2022) Filmbild Nichtsdestotrotz erfüllen die Charaktere und die Handlung ihren Zweck. Letztlich war Cameron nie für ausgeklügelte Plots oder hochkomplexe Charaktere bekannt, dafür aber für mitreißende Action, bahnbrechende Effekte und hochemotionale Geschichten und von all dem wird hier jede Menge geboten, insbesondere im atemlosen dritten Akt, bei dem jegliche vorige Bedenken endgültig vergessen werden und man einfach wieder mit Jake und seiner Familie mitfiebert, ihre Erfolge feiert und auch mal eine Träne verdrückt. Seine epische Laufzeit von 193 verdient sich der Film mit einem durchweg flotten Tempo und einem fortwährenden Bilderrausch und das können nicht viele überlange Blockbuster (siehe Black Panther: Wakanda Forever) von sich behaupten. Ob es diesmal für sieben Kinobesuche bei mir reichen wird, wage ich zu bezweifeln, doch es wird definitiv nicht mein einziger Trip nach Pandora diesen Winter bleiben.

Fazit

Mit Avatar: The Way of Water kehrt James Cameron nach 13 Jahren mit voller Bilderwucht in die berauschende Welt von Pandora zurück und zeigt, was mit modernster 3D- und CGI-Technologie im Kino möglich ist – und was eben nicht, nämlich eine recht banale Geschichte und dünn ausgearbeitete Charaktere zu kaschieren. Ohne den Wow-Effekt, den der Neuheitswert des ersten Films hatte, fallen die Drehbuchschwächen diesmal mehr ins Gewicht, doch trotz seiner mehr als dreistündigen Laufzeit ist The Way of Water nie langweilig und in seinen besten Momenten fesselnd, mitreißend und emotional. Dass er dennoch zu den schwächeren Filmen in Camerons Resümee zählt, zeigt eigentlich nur, wie hoch die Messlatte beim Blockbuster-Visionär liegt.

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Terrifier 2 (2022) Kritik

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Terrifier 2 (2022) Filmkritik

Terrifier 2, USA 2022 • 138 Min • Regie & Drehbuch: Damien Leone • Mit: David Howard Thornton, Lauren LaVera, Elliott Fullam, Sarah Voigt, Kailey Hyman, Casey Hartnett, Amelie McLain, Samantha Scaffidi • Kamera: George Steuber • Musik: Paul Wiley • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Tiberius Film • Kinostart: 08.12.2022 • Deutsche Website

Damien Leones „Terrifier 2“ hat mit rund einer Viertelmillion Dollar Crowdfunding-Budget inzwischen über zehn Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt. Von der US-Freigabebehörde MPA ungeprüft und trotz beinharter Gewaltspitzen ungekürzt, hat es das Werk während der Halloween-Zeit in immer mehr Kinos des Landes geschafft und sich zu einem regelrechten Phänomen entwickelt. Mit obendrein 138 Minuten Laufzeit wohlgemerkt – der längste mir bekannte Slasherfilm, der bisher kommerziell ausgewertet wurde.

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Sein Name ist Art, Art the Clown. Art könnte ein Vorname sein, doch in diesem Fall ist es wohl eher die Kurzform für Artist – also Künstler. Dieser Künstler trägt seine blutverschmierten Werkzeuge stets in einem Müllsack mit sich und sein Rohmaterial sind all jene Charaktere, die ihm nicht ins Bild passen. Im ersten „Terrifier“ von 2016 (der gleichnamige Kurzfilm sowie dessen Einbindung in die Anthologie „All Hallows' Eve“ außen vor gelassen) hat sich der Antagonist zum Schluss zwar in die ewigen Jagdgründe gepustet, doch lässt sich die Kunst eben nicht so einfach vom Feld weisen: Dank einer wachsenden Fangemeinde und deren finanzieller Unterstützung darf der Killerclown wieder zum Leben erwachen und seine Arbeit im Sequel fortführen. Und diesmal ist er nicht allein. Ein blasses Geistermädchen (Amelie McLain) mit einigen dämonischen Tricks und schlimmem Spritzpups steht ihm bei den neuen Schandtaten zur Seite.

Ein Kritikpunkt am ersten Teil ist immer gewesen, dass hier einfach old-schoolig Splatter an Splatter gereiht wurde, ohne das Ganze in eine echte Handlung mit ausgearbeiteten Protagonisten zu betten. Dies könnte man ehrlich gesagt sehr vielen alten und neuen Slasherbeiträgen vorwerfen, doch hat sich Autor/Regisseur Leone die Mängel für „Terrifier 2“ offensichtlich zu Herzen genommen, weshalb mit der Hauptfigur Sienna (Lauren LaVera) und ihrem jüngeren Bruder Jonathan (Little Punk Peoples Elliott Fullam) zwei durchaus sympathische Charaktere um ihr Leben kämpfen müssen.

Sienna ist so etwas wie die weniger verklemmte Laurie Strode, die sich nach dem Tod des Vaters zunehmend Sorgen um Jonathans Verhalten macht. Während sie in ihrer Freizeit an der Gestaltung eines aufwändigen Cosplay-Kostüms für Halloween arbeitet, verliert er sich in Recherchen über Serienkiller. Kein langer Weg also, bis Jonathan auf Arts Taten vom Vorjahr stößt und das Thema am Küchentisch ausbreitet. Einige brutale Morde und mysteriöse Albträume mit übernatürlichen Nachwirkungen später, sieht sich das Geschwisterpaar auf einem verlassenen Jahrmarkt ihrem scheinbar vorbestimmten Gegner in der womöglich finalen Schlacht gegenüber …

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Im Zentrum von „Terrifier 2“ steht selbstverständlich der bereits erwähnte, pantomimisch begabte Unhold. In dessen stumme Rolle ist erneut David Howard Thornton geschlüpft, der sich mit seinem charismatischen Spiel so langsam einen Platz neben den großen Brüdern Freddy, Michael und Jason sichern könnte. Mit einer kranken Mischung aus schwarzem Humor und drastischer Brutalität wartet Art seinen Opfern auf und nimmt sich mit seinen Taten so ausführlich Zeit, dass der morbide Spaß ab einem gewissen Punkt selbst Unbehagen bei eingefleischten Gore-Fans hervorruft. Dieser Splatter hat eine altmodische und physische Qualität, weshalb das bewusst überzogene Verstümmeln von Körpern gelegentlich an die eigene Schmerzgrenze stößt. Das Auge, welches schon in den 80er-Werken Lucio Fulcis grausigste Zerstörungen erfahren musste, ist auch ein Organ, an dem sich Art gern abarbeitet. Die einzige Möglichkeit, das eigene Sehorgan vor den übertragenen Gräueltaten zu schützen, ist die Augen vor dem bewusst provokanten Film zu verschließen.

Wie der Deutsche Jörg Buttgereit mit seinem Skandal-Werk „Nekromantik“, hält auch Damien Leone mit seinem Indie-Projekt den Zensoren und Studiobossen gleichermaßen den Stinkefinger hin. Der Erfolg gibt ihm letztlich Recht, wenn trotz fehlender professioneller Marketingkampagne immer mehr Leute in die Kinos stürmen um herauszufinden, was hinter diesem Schmuddelwerk steckt. Selbst Autoren-Legende Stephen King und der renommierte britische Kritiker Mark Kermode sind nicht um die Sichtung herumgekommen und fanden letztlich warme Worte für den modernen Exploitation-Hit.

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Auch wenn die Story an einigen Ecken gestrafft werden und man den Film auf eine Laufzeit von unter zwei Stunden hätte bringen können, hat mich der epische Umfang nie wirklich gestört. „Terrifier 2“ bewegt sich in seinem eigenen Rhythmus und lässt sich zwischen den expliziten Blutbädern ausreichend Zeit, auch Lauren LaVera und Elliott Fullam mit ihren natürlichen Performances glänzen zu lassen. Der Plot bewegt sich freilich irgendwo zwischen den Stalkerszenen aus John Carpenters „Halloween“, den surrealen Traumwelten aus Wes Cravens „A Nightmare on Elm Street“ und den erbarmungslosen Kills aus „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ mit Jonathan im Tommy Jarvis-Modus. Den Fantasy-Touch mit der magischen Vorbestimmung hätte ich dagegen nicht gebraucht, aber nun gut. Es gibt in Anbetracht des Mini-Budgets beachtliche Sets, handgemachten Gore galore und der in der Post-Produktion entwickelte Grindhouse-Look kaschiert souverän den Dreh ohne teuerstes Studio-Equipment. „Camp des Grauens“-Star Felissa Rose ist in einem Miniauftritt übrigens ebenso zu sehen wie Wrestler Chris Jericho während einer Mid-Credits-Szene – also schön brav sitzen bleiben!

Leones Film ist in vielen Belangen David Gordon Greens missratener „Halloween“-Trilogie eine Nase voraus – vor allem darin, sich nicht in eh irrelevanten Subplots zu verlieren. Man kann und darf „Terrifier 2“ hassen, ihn als Schund abtun und kleinreden. Ignorieren lässt sich Art the Clown nach dieser Leistung zumindest nicht mehr und ein dritter Teil ist nur noch eine Frage der Zeit. In gewisser Weise ist das Werk, äquivalent zur Tomatensuppe oder dem Kartoffelbrei auf Gemälden, der rebellische und provozierende Lichtstrahl auf Leinwände, die ansonsten von halbherzigen Blockbustern oder schmalzigen Familiendramen besetzt würden. Ein kleiner Befreiungsschlag, bei dem hier nicht das Klima, sondern die DIY-Mentalität und das Indie-Kino in den Fokus gerückt werden sollen.

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Damit steht Art in gewisser Weise sogar für Arthouse.


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5 essenzielle Kannibalenfilme für den romantischen Filmabend

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Beste Kannibalenfilme

Timothée Chalamet blutverschmiert nach einer Mahlzeit in Bones and All © 2022 Warner Bros. Pictures

Passend zum Kinostart von Luca Guadagninos Bones and All (von mir mit 5 Sternen in meiner Kritik ausgezeichnet) wollen wir Euch mit einem kleinen Special beglücken, das einen Blick auf fünf essenzielle (in den Augen des Autoren) Kannibalenfilme werfen wird. Neben Nekrophilie zählt der Verzehr von Menschenfleisch zu den größten Tabus unserer Gesellschaft und damit auch des Genre-Kinos.

Das schon vorweg: Auch Titel auf dieser Liste werden teils kontrovers und hitzig aufgrund ihres Inhalts und/oder Entstehung diskutiert. Obwohl es zumindest auch ein Hollywood-Klassiker unter die Top 5 geschafft hat, sind vor allem Grindhouse-Werke und auch Arthouse-Vertreter hier aufzufinden.

Kurz zur Auswahl und warum es einige Filme nicht geschafft haben: Zunächst ist selbstverständlich erneut der persönliche Geschmack des Autoren zu nennen. So ist beispielsweise S. Craig Zahlers relativ neuer und unter Fans sehr beliebter Horror-Western Bone Tomahawk ebensowenig vertreten wie die auf Festivals gefeierte schwarze Komödie Fresh oder Julia Ducournaus beeindruckendes Spielfilmdebüt Raw. Letzteres hätte es fast geschafft und ich habe beim letzten Platz mit mir ringen müssen, wie auch um Antonia Birds unterschätzten und nicht gelisteten Ravenous! Der Elefant im Raum mag sein, warum Jonathan Demmes Meisterwerk Das Schweigen der Lämmer fehlt, obwohl darin doch der menschenfressende Psychiater Hannibal Lecter eine große Rolle spielt – ganz einfach: Das Thema Kannibalismus soll in den vertretenen Filmen im Fokus stehen, bzw. der/die Haupt-Antagonist/in/en sollen dieser Neigung zentral nachgehen. Demzufolge bleibt Das Schweigen der Lämmer immer noch vor allem die Jagd auf den Frauenmörder Buffalo Bill trotz kurzem Hannibal-Dinner.

Bevor es losgeht, möchte ich Leseratten noch zwei neuere Genre-Bücher zu dem Thema ans Herz legen, die es mir zuletzt angetan haben: "The Hunger", Alma Katsus packende fiktive Aufarbeitung der Donner Party, und das ultra-explizite, gesellschaftskritische "Tender is the Flesh" (deutscher Titel: "Wie die Schweine") von der Argentinierin Agustina Bazterrica. Selbstverständlich muss ich für beide Romane vorab eine Trigger-Warnung an sanfte Gemüter aussprechen!

Jetzt aber buchstäblich ran ans Eingemachte:

5. Hotel zur Hölle (Motel Hell)

Beste Kannibalenfilme Hotel zur Hölle"It takes all kinds of critters to make Farmer Vincent’s fritters" – Wer hat behauptet, dass diese Liste komplett bierernst werden muss? Kevin Connors humorvoller Motel Hell von 1980 mag vielleicht nicht jedem etwas sagen, doch der Film gehört zweifellos zu den gutmütigsten Vertretern des Grindhouse-Kinos. Selbst der verstorbene US-Kritiker Roger Ebert hat trotz seiner Aversion gegenüber Slashern seinerzeit warme Worte für die Geschichte eines Farmer-Geschwisterpaares übergehabt, das Reisende entführt, um sie zu ihren regional berühmten Delikatessen zu verarbeiten. Yummy! Und der Kampf gegen einen Gegner mit Kettensäge und Schweinsmaske ist legendär.

4. Wir sind was wir sind (Somos lo que hay)

Beste Kannibalenfilme Wir sind was wir sindMit Jorge Michel Graus mexikanischem Vertreter kommt etwas Arthouse-Sensibilität ins Spiel. Nach dem Tod ihres Vaters muss sich eine in Armut lebende Kannibalen-Familie neu sortieren und zunächst herausfinden, wer von den beiden Söhnen nun buchstäblich das Essen auf den Tisch schaffen soll. Während der ältere Alfredo eher ruhiger Natur ist, entwickelt sich der jüngere Julian schnell zum gewalttätigen Hitzkopf. Seitdem ich den Film erstmals auf dem Fantasy Filmfest gesehen habe, ist er über die Jahre bei mir hängengeblieben und hat sich im Kopf festgebrannt. Denn natürlich ist er oberflächlich betrachtet blutiger Horror, doch steckt darunter vor allem der verzweifelte Versuch von Individuen, gegen ihre Determination anzukämpfen und der Rolle im Patriarchat zu entfliehen. Das etwas andere US-Remake von 2013 ist übrigens auch nicht übel.

3. Soylent Green

Beste Kannibalenfilme Soylent GreenHier nun der versprochene Klassiker, dessen Vorhandensein auf der Liste eigentlich einen Spoiler darstellt – nur können wir eben nicht auf jeden Rücksicht nehmen, der Richard Fleischers Schock-Dystopie seit 1973 verschlafen hat. Wie es aktueller kaum sein könnte, kommt in dem 2022 (!) angesiedelten Werk Charlton Heston als NYC-Detektiv bei einer Mordermittlung etwas Großem auf die Spur. In dieser Story ist die Welt bereits mehr von der globalen Erwärmung und Überpopulation gebeutelt als wir es heute sind. Eine Lösung, den Menschen genügend Nahrung bereitzustellen, besteht in der Herstellung einer mysteriösen Waffel namens Soylent Green. Nun, woraus könnte Soylent Green wohl bestehen, wenn es zu viele Menschen und zu wenig natürliche Lebensmittel gibt? Richard Fleischer spart sich die zynische wie raffinierte Antwort für den bitterbösen Klimax auf.

2. Blutgericht in Texas (The Texas Chain Saw Massacre)

Beste Kannibalenfilme Blutgericht in TexasEin weiterer Grindhouse-Vertreter, der im Laufe der Zeit zum Genre-Meilenstein gereift ist, folgt auf Platz 2 mit Tobe Hoopers phänomenalem Terror-Original von 1974. Gerne dem Slasherfilm zugeordnet, fallen das Kettensägenmassaker und sein ikonisches Aushängeschild Leatherface doch ziemlich aus dem Rahmen, wenn man es mit den Werken rund um Freddy, Jason oder Michael vergleicht. Die Schaudermär von einer psychotischen Sippe, welche im texanischen Hinterland Durchreisende zu Blutwurst verarbeitet, ist so dreckig, hysterisch, roh und unangenehm, dass die Erstsichtung zu einem echten Erlebnis wird. Das Finale mit einer kreischenden Marilyn Burns, die vom scheintoten Opa mit einem Schlachterhammer gequält wird, wird man nie vergessen. Entstanden ist das Werk während der Gegenbewegung zum Vietnamkrieg und implizit kann man den Konflikt der progressiven Jugend mit dem barbarischen Angriff der USA in dem Überlebenskampf der Protagonisten gegen die, nun, arg konservative Südstaaten-Familie herauslesen. Fun Fact: Dies war ein Lieblingsfilm von 2001-Meisterregisseur Stanley Kubrick!

1. Nackt und zerfleischt (Cannibal Holocaust)

Beste Kannibalenfilme Cannibal HolocaustJetzt kommt der Moment, an welchem ich mich sicherlich bei einigen Lesern komplett diskreditiere. Ja, Ruggero Deodatos berüchtigter Cannibal Holocaust gehört nicht ohne Grund zu den kontroversesten Filmen überhaupt. Als ich die VHS zum ersten Mal in die Finger bekam, ist mir von Tiersnuff-Szenen im Vorfeld nichts bekannt gewesen (es war die Prä-Internet-Zeit!) und mir kam an den betreffenden Stellen ohne Übertreibung das Essen hoch! Um das klarzustellen: Echte Gewalt für die Produktion eines Films lässt sich durch nichts rechtfertigen und solche Taten sind zur Zeit der Entstehung von Cannibal Holocaust keine Seltenheit gewesen – der Fehler ist nun schlichtweg gemacht. Selbst Deodato schämt sich inzwischen für die damaligen Entscheidungen, weshalb er nun eine Tiersnuff-freie Version für die neuen Auswertungen angefertigt hat. Diese hat es selbstverständlich weiter in sich, nämlich dann, wenn es um die Thematik dieses Artikel geht.

Inhaltlich geht es um einen Professor, der am Amazonas das Filmmaterial einer verschwundenen Doku-Crew auffinden soll und während seiner erfolgreichen Mission sowohl Kontakt mit einem Kannibalenstamm knüpfen als auch die Filmrollen aus den verzehrten Überresten der Schöpfer reißen kann. Was er bei der Sichtung des Materials im Sender miterleben muss, lässt bei ihm – und uns – am Ende des Werkes die Frage aufkommen, wer hier die wahren Wilden sind. Cannibal Holocaust zählt bekanntermaßen auch zu den Pionieren im Found-Footage-Subgenre, welches in der zweiten Hälfte extrem effektiv genutzt wird um uns hautnah auf körnigsten 16mm-Bildern unvorstellbare Gräueltaten vor Augen zu führen. Mit seiner Botschaft zur non-existenten Ethik in der Sensationspresse und der Gier von kapitalistischen Konzernen (hier in Gestalt des TV-Senders) schleicht sich Deodato nicht sanft an – er schüttelt uns, wirft uns zu Boden und tritt nach. Ein starker Film, den man aber nicht ohne Vorbehalt empfehlen kann.

Fun Fact: Nach Erstveröffentlichung hat man den Regisseur wegen Mordes vor Gericht gestellt, da ihm nicht geglaubt worden ist, dass die Kannibalismus-Szenen gestellt sind. Zum Glück konnte er sich auf die Aussagen seiner Darsteller verlassen …

So viel an dieser Stelle!

Wie ist es bei Euch – könnt Ihr etwas mit dem Kannibalenkino anfangen? Wenn ja, mit welchen Filmen?

Bones and All (2022) Kritik

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Bones and All, USA/ITA 2022 • 131 Min • Regie: Luca Guadagnino • Drehbuch: David Kajganich • Mit: Taylor Russell, Timothée Chalamet, Mark Rylance, André Holland, Michael Stuhlbarg, David Gordon Green, Jessica Harper, Chloë Sevigny • Kamera: Arseni Khachaturan • Musik: Trent Reznor & Atticus Ross • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 24.11.2022 • Deutsche Website

In seinem neuen Werk „Bones and All“ erzählt Luca Guadagnino mehr über unsere Gegenwart, als es das 80er-Setting zunächst vermuten lässt. Es geht um das berühmte „fressen oder gefressen werden“, das vielleicht mehr denn je diese Zeit bestimmt. Um impulsive junge Menschen, die versuchen nach ihrem Gewissen zu handeln und manchmal über ihre Fehler stolpern. Und um die Alten, die über die Jahre gieriger werden und sich mehr nehmen, als ihnen zusteht. All das formuliert der italienische Regisseur nie explizit, aber man kann es zwischen den betörenden Bildern erkennen, wenn man nicht nur schlicht dem Plot folgt und stattdessen den Film offen auf sich wirken lässt.

Bones and All (2022) Bild 1

Zu Beginn lernen wir die 18-jährige Maren (Taylor Russell) kennen, die in einem kleinen Kaff in Virginia die High School besucht. Sie erscheint zunächst wie eine ganz normale Teenagerin, die in bescheidensten Verhältnissen mit ihrem Vater (André Holland) lebt. Die Beziehung zwischen den beiden ist liebevoll, auch wenn es Maren strikt verboten ist, abends noch Freunde zu besuchen. Sie tut es selbstverständlich dennoch. Und hier zeigt sich das Mädchen dann urplötzlich von einer anderen Seite: Als sie einer Schulkameradin fast den Finger abbeisst. Maren ist ein „Eater“, eine Kannibalin – auch wenn letzterer Begriff im Film nie fällt.

Nach der Bluttat muss sich die Kleinfamilie sofort wieder auf die Flucht begeben, es ist nicht das erste Mal. Doch bald soll der Vater seine Tochter endgültig zurücklassen. Eines morgens findet Maren das neue Heim verlassen vor. Lediglich ein Umschlag mit etwas Geld, ihre Geburtsurkunde und eine Audiokassette liegen für sie auf dem Tisch. Bestürzt macht sie sich mit den Gegenständen auf den Weg quer durch die USA, um ihre auf dem Dokument aufgeführte, verschwundene Mutter zu suchen. Während ihrer Reise trifft sie ungeahnt Gleichgesinnte – und letztlich auch einen Seelenverwandten in dem rebellischen Lee (Timothée Chalamet) …

Bones and All (2022) Bild 2

„Bones and All“ funktioniert als Roadmovie, das trotz Guadagninos Arthouse-Sensibilität ganz klar im Horrorgenre verortet ist. So frei die wunderschönen Landschafts-Panoramen auch erscheinen, der Regisseur verleiht seinem Werk immer auch ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung, das sehr gut zu dem Innenleben der gemeinsam einsamen Protagonisten passt. Ohne Frage sind Maren und Lee Serienmörder – beide sogar Babysitter-Mörder, wie wir irgendwann erfahren -, doch haben sie sich trotz ihres Bedarfs an Menschenfleisch unausgesprochen einem Kodex unterworfen. Vorlaute Rüpel landen vornehmlich auf der Speisekarte, fürsorgliche Eltern sind tabu. Dass dieser Vorsatz nicht immer aufgeht, wird in einer dramatischen Szene verdeutlicht.

Das Töten von Individuen wird als unter den gegebenen Umständen notwendiger Akt dargestellt – Lee fällt das Morden deutlich leichter als Maren, dennoch hadern beide mit ihrer Natur. Das Werk ist mit seiner Thematik durchaus provokant, schließlich gibt es für das Paar nur drei Möglichkeiten, mit seinem Hunger umzugehen: Das Beste aus den Umständen machen, Selbstmord oder aufgeben und – metaphorisch – selbst gefressen werden. Mit der Entscheidung zu Ersterem entwickelt sich „Bones and All“ zu einer morbide lebensbejahenden Geschichte, über der die gefährliche Elektrizität eines Gewitters liegt, an deren Ende aber womöglich auch ein Lichtblick zu erkennen ist.

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Die wachsende Romanze zwischen Maren und Lee wird von der Bekanntschaft anderer „Eater“ überschattet. Während eines idyllischen Lagerfeuers erzählen etwa zwei Rednecks (Michael Stuhlbarg und der Schöpfer der aktuellen „Halloween“-Trilogie, David Gordon Green, in skurrilen Rollen) von ihrer besonderen Leidenschaft: Einen Menschen komplett zu essen, mitsamt seinen Knochen – das sei der größte Genuss, der zu einer höheren Stufe führe.

Besonders hartnäckig brennt sich jedoch der alte „Eater“ Sully (Mark Rylance) im Gedächtnis ein. Der mit einer Feder am Hut auch optisch auffällige Mann drängt sich Maren bei ihrer ersten Begegnung penetrant auf, gibt ihr aber zugleich die wichtige Information mit, dass sich die besonderen Einzelgänger gegenseitig am Geruch erkennen können. Sogar auf Meilen. Oscar-Preisträger Rylance („Bridge of Spies“) legt als ziemlich unangenehme Mischung aus Forrest Gump und Ed Gein eine derart markante Performance vor, dass er sich damit glatt ein weiteres Mal bei der Academy qualifizieren könnte. Zunächst empfindet man fast etwas Mitleid mit dem vereinsamten Sonderling, bis dieser seine Trophäensammlung präsentiert und damit das bereits mulmige Gefühl verstärkt.

Bones and All (2022) Bild 4

Abgesehen von Rylances herausragender Leistung, ist „Bones and All“ ein Film mit eher subtilem Ansatz. Taylor Russell („Waves“) und Timothée Chalamet („Call Me by Your Name“, „Dune“) gelingt es, zwei noch unfertige und durch ihre Biografie gebrochene junge Protagonisten zu entwerfen, mit denen man trotz ihrer bestialischen Taten immer noch sympathisieren kann. Manche ihrer Dialoge sind trivial bis naiv (das Werk basiert auf dem gleichnamigen YA-Buch von Camille DeAngelis) und die Emotionen schießen gelegentlich über – Merkmale ihrer noch nicht abgeschlossenen Reife. Luca Guadagnino hält sich glücklicherweise vom Schmalz der Marke „Twilight“ fern, etwa wenn die Kamera ein schmachtendes Wiedersehen des Paares nur aus der Distanz einfängt. Was nicht bedeuten soll, dass der Film nicht auch zu Tränen rühren kann: Eine Gänsehaut erzeugt die Szene, in der sich Maren und Lee vor einem Sonnenuntergang näherkommen und ihre Körper zu den sanften Klängen des Nine Inch Nails-Duos Trent Reznor und Atticus Ross verschmelzen, durch ihre schonungslose Melancholie.

Anders als seine Landsmänner Ruggero Deodato („Cannibal Holocaust“) und Umberto Lenzi („Cannibal Ferox“) breitet der Regisseur die blutigen Mahlzeiten übrigens nicht immer explizit aus, sondern beschränkt sich bei den Morden und dem kannibalistischen Akt danach auf ausgewählte Gewaltspitzen. Ein softer Film ist „Bones and All“, vor allem zum Schluß hin, dennoch nicht. In Guadagninos zweiter Genrearbeit nach der „Suspiria“-Neuinterpretation von 2018, trifft sein dem europäischen Kino eines Bernardo Bertolucci Rechnung tragender Stil auf den rauen Ton von John McNaughtons „Henry: Portrait of a Serial Killer“ und die unheilvolle Romantik aus Kathryn Bigelows Vampir-Western „Near Dark“.

Bones and All (2022) Bild 5

Wie schon in „Suspiria“, in dem das geteilte Nachkriegs-Berlin wie eine Mahnung vor dem faschistischen Schrecken des im Untergrund operierenden Hexenzirkels stand, wird auch hier das zeithistorische Setting nicht bloß als Vorwand für popkulturelle Nostalgie (Songs von Joy Division und New Order sind die Ausnahme) genutzt: In Ronald Reagans erzkonservativem und die Schwachen verschlingenden Amerika scheinen die zwei jungen Außenseiter schon im Vorfeld keine Chance zu haben – dass sie es dennoch versuchen macht die Magie des Films aus.

Großes intimes Kino.


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Black Panther: Wakanda Forever (2022) Kritik

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Black Panther Wakanda Forever (2022) Filmkritik

Black Panther: Wakanda Forever, USA 2022 • 161 Min • Regie: Ryan Coogler • Mit: Letitia Wright, Tenoch Huerta, Danai Gurira, Lupita Nyiong’o, Angela Bassett, Winston Duke, Martin Freeman • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 9.11.2022 • Deutsche Website

Handlung

Der König ist tot! Wakandas Herrscher und Beschützer T’Challa fällt einer unbekannten Erkrankung zum Opfer und ohne das herzförmige Kraut, das dem Black Panther seine Kräfte verleiht und von Erik "Killmonger" Stevens bei seiner Machtergreifung restlos niedergebrannt wurde, kann ihn nicht einmal die hochentwickelte Technologie seines Landes retten. T’Challas Mutter Ramonda (Angela Bassett) wird zur neuen Königin und seine hochintelligente Schwester Shuri (Letitia Wright) versinkt in Trauer und Wut und verschließt sich vor der Welt.

Bevor Thanos Chaos über die Welt gebracht und T’Challa für fünf Jahre aus der Existenz verbannt hat, hatte der frischgekrönte König angekündigt, Wakandas jahrhundertelange Abschottung zu beenden und das Wissen und die Technologien des Landes mit dem Rest der Welt zu teilen. Doch seine Politik der Offenheit hatte weitreichende Folgen. Ein Jahr nach seinem Tod sehen die Weltmächte Wakanda ohne Black Panther als geschwächtes Land und trachten nach dessen Vibranium, der Quelle des Reichtums und technologischen Fortschritts des afrikanischen Staates. Als Versuche scheitern, Wakanda das Vibranium abzuluchsen, suchen die USA anderswo nach weiteren potenziellen Vorkommen des außerirdischen Metalls – und werden auf Meeresgrund fündig. Unabsichtlich stoßen sie dabei auf das geheime Unterwasser-Königreich Talokan, regiert vom jahrhundertealten Namor (Tenoch Huerta). Er hat guten Grund, sein Volk und seine Welt vor der Außenwelt zu verbergen und Wakanda gibt er die Schuld daran, dass das Geheimnis um Talokans Existenz nun bedroht ist. Sein Ultimatum an Königin Ramonda setzt eine gefährliche Kette von Ereignissen in Gang und bringt die beiden mächtigen Nationen an den Rand des Krieges. Nichtsahnend steht im Mittelpunkt des Konflikts eine 19-jährige Erfinderin (Dominique Thorne)…

Kritik

Es beeindruckt mich immer wieder, wie vielfältig das Marvel-Universum ist. Für nahezu jeden Geschmack ist etwas dabei. Dass kunterbunte, überdrehte Filme wie Guardians of the Galaxy Teil desselben Universums sind wie verhältnismäßig bodenständige, düstere Geschichten wie "Jessica Jones" oder "The Punisher" ist erstaunlich und dennoch irgendwie natürlich. Allein mit Blick auf die letzten Monate wird der Kontrast sehr deutlich, denn nach dem regelrecht albernen Thor: Love and Thunder und der federleichten Meta-Serie "She-Hulk" kommt mit Black Panther: Wakanda Forever diesen Monat ein nüchternes Epos, das großes Actionkino und eine intime Auseinandersetzung mit Trauer und Verlust miteinander verknüpft. Wer der Gag-Paraden der letzten MCU-Beiträge überdrüssig ist und sich etwas mehr echte Gefühle und Ernsthaftigkeit wünscht, kommt beim Film auf seine Kosten, muss aber auch eine etwas ausufernde Laufzeit von 160 Minuten in Kauf nehmen.

Black Panther Wakanda Forever (2022) Filmbild 1Es ist kein Geheimnis, dass die zentralen Themen des Sequels und sein schwermütiger Ton aus einer traurigen Notwendigkeit heraus geboren wurden. Als erste Comicverfilmung, die bei den Oscars als "Bester Film" nominiert wurde, schrieb der erste Black Panther vor rund vier Jahren Geschichte. Doch Black Panther war mehr als nur eine weitere Comicverfilmung, es war ein Film, der den Geist der Zeit mitten ins Herz traf und den zumindest die US-amerikanische Gesellschaft gebraucht hat. Der Schlachtruf "Wakanda Forever" wurde sofort Teil der Popkultur, Hauptdarsteller Chadwick Boseman zum Empowerment-Symbol für die afroamerikanische Bevölkerung und Marvel hatte das potenziell größte Solo-Franchise des Studios.

Doch dann geschah das Unfassbare. Boseman starb im August 2020 an Darmkrebs. Für seine Kollegen war es ein Schock, denn er hielt seine Erkrankung bis zum bitteren Ende geheim, drehte unermüdlich zwischen Chemo-Behandlungen weiter und hoffte bis zum Schluss, das Black-Panther-Sequel machen zu können. Es sollte leider nicht sein. Die Filmwelt hat ein großes Talent verloren und das junge Franchise seinen Star. Es stand schnell fest, dass die Rolle nicht neu besetzt werden würde und so musste Regisseur und Drehbuchautor Ryan Coogler das bereits fertige Skript umschreiben. Man kann sich nur vorstellen, wie der Film mit Boseman ausgesehen hätte. Es gab schon einige Filme, die nach dem Tod ihrer jungen Hauptdarsteller erschienen sind und dadurch einen morbide faszinierenden Beigeschmack hatten wie The Dark Knight, The Crow oder Fast & Furious 7. Black Panther: Wakanda Forever ist jedoch besonders in der Hinsicht, als dass Boseman zwar in dem Film gar nicht auftritt, gerade seine Abwesenheit aber über den gesamten Film hinweg spürbar ist und für eine wehmütige, trauervolle Grundstimmung sorgt, mit der sich Wakanda Forever von anderen MCU-Filmen abhebt. Tatsächlich ist der möglicherweise humorloseste unter den bisherigen Marvel-Filmen so nüchtern, dass die wenigen eingestreuten Gags (meist bezogen auf Martin Freemans Figur Agent Ross) fast schon unpassend wirken.

Black Panther Wakanda Forever (2022) Filmbild 2Es ist nachvollziehbar, dass Marvel aus Respekt Bosemans Charakter so kurz nach seinem Tod nicht neu besetzen wollte, doch die Charisma-Lücke, die sein Fehlen im Film hinterlassen hat, kann niemand wirklich füllen. Um das zu kompensieren, wurden die Rollen des restlichen Wakanda-Casts ausgebaut, wobei auch Oscarpreisträger Daniel Kaluuya diesmal fehlt (seine Abwesenheit wird mit einem Satz erklärt). Versteht mich nicht falsch, die gesamte Besetzung ist wieder in Topform, allen voran Angela Bassett mit einer kraftvoll emotionalen Performance, die zu den besten ihrer gesamten Karriere zählt, und Winston Duke, dessen kantiger, überlebensgroßer M’Baku einfach Spaß macht. Letitia Wrights Rolle wurde am deutlichsten vergrößert und sie macht im Sequel deutlich mehr durch, emotional wie körperlich. Auch Lupita Nyong’os Rückkehr als Nakia, deren Abwesenheit während der beiden Avengers-Filme ebenfalls adressiert wird, ist sehr willkommen. Newcomerin Dominique Thorne zeigt Potenzial als Riri Williams, fungiert in dem Film jedoch vor allem als Mittel zum Zweck, um die Handlung voranzutreiben. Auf mehr Entfaltung des Charakters hoffe ich bei ihrer kommenden eigenen Disney+-Serie "Ironheart".

Black Panther Wakanda Forever (2022) Filmbild 3So gut die DarstellerInnen auch sind, niemand hat Bosemans majestätische Ausstrahlung oder körperliche Präsenz aus dem Originalfilm. Am nächsten kommt Franchise-Neuzugang Tenoch Huerta als Namor dran, einer der ältesten Marvel-Antihelden überhaupt, der in dem Film endlich sein Realdebüt feiert. Huerta wechselt als Namor mühelos zwischen einem gewitzten, charmanten, begeisterungsfähigen Herrscher und einer erbitterten, wütenden Naturgewalt, die es schafft, dass sogar seine comicgetreuen Mini-Flügel an den Fußknöcheln nicht lächerlich wirken. Die von der Vorlage abweichende Neuinterpretation des Charakters, der in den Comics über Atlantis herrscht, und seines Volks ist inspiriert von der aztekischen Kultur und verleiht ihnen exotischen und dennoch real wirkenden Flair. Auch wenn er nicht ganz die feurige Performance von Michael B. Jordans Killmonger aus dem ersten Film erreicht, gehört Namor definitiv zu den besseren und komplexeren MCU-Antagonisten.

Black Panther Wakanda Forever (2022) Filmbild 5Es steckt wieder einiges unter der Oberfläche bei Wakanda Forever. Dass die Gier der Industriewelt ausgerechnet zwei indigene Völker, die nur ihre Ruhe haben wollen, in blutigen Konflikt miteinander stürzt, anstatt dass sie sich verbünden, ist eine von Coogler mit Sicherheit beabsichtigte Spiegelung unserer realen Welt. Ging es im ersten Film noch um Verantwortung und die Bürde eines Vermächtnisses, spielen diesmal Wertvorstellungen, die Konsequenzen unserer Entscheidungen und die Fähigkeit, mit der traurigen Vergangenheit abzuschließen, um optimistisch nach vorne zu schauen, zentrale Rollen.

Wakanda Forever ist ein Film voller herausragender Einzelelemente, bis hin zu den prächtigen Setdesigns, verbesserten visuellen Effekten, einigen virtuosen Actionsequenzen und einem großartigen Soundtrack, sie kommen nie so nahtlos zu einem großen Ganzen wie beim Vorgänger. Vielleicht war es nach Bosemans Tod gar zwingend notwendig, dass der zweite Film zu einer therapeutischen Trauerbewältigung für alle Beteiligten wird, um an Ende hoffnungsvoll und versöhnt der (Franchise-)Zukunft entgegenzublicken. Realität und Fiktion verschwimmen dabei sorgen für gewisse raue Authentizität, aber auch einige Längen während der 160-minütigen Laufzeit, die das Tempo verglichen zu den letzten Marvel-Filmen erheblich drosselt. Der gemessen an der Gesamtlaufzeit verhältnismäßig kurze Auftritt des titelgebenden Black Panther (natürlich gibt es ihn wieder) verkommt dabei schon fast zur Nebensache. Es ist kein erhebender oder belebender Film, doch er hinterlässt definitiv einen nachhaltigen Eindruck. Dieser wird dann auch durch die einzige und fürs MCU recht ungewöhnlicher Abspannszene des Films zementiert, die bei vielen im Publikum für feuchte Augen sorgen wird.

Fazit

Aus einer denkbar ungünstigen, tragischen Situation heraus hat Regisseur und Autor Ryan Coogler mit Black Panther: Wakanda Forever einen würdevollen, einfühlsamen und sentimentalen Tribut an den verstorbenen Chadwick Boseman erschaffen, wenn auch keinen Meilenstein im MCU-Katalog wie sein Vorgänger. Die ausschweifende Laufzeit ist spürbar und es fehlt eine wirklich interessante, charismatische Hauptfigur, dafür bekommt die Nebenbesetzung mehr Gelegenheiten zum Glänzen.

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Barbarian (2022) Kritik

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Barbarian Filmkritik Slider

Barbarian, USA 2022 • 102 Min • Regie & Drehbuch: Zach Cregger • Mit: Georgina Campbell, Bill Skarsgård, Justin Long, Richard Brake, Matthew Patrick Davis, Jaymes Butler • Kamera: Zach Kuperstein • Musik: Anna Drubich • FSK: n.n.b. • Verleih: Disney+ • Deutscher Streamingstart: 28.12.2022 • Website

In Zach Creggers Horror-Überraschungshit „Barbarian“ soll der erste Eindruck täuschen: Die junge Tess (Georgina Campbell) trifft in einer regnerischen Nacht vor einem Detroiter Airbnb ein. Zunächst ist kein Hausschlüssel in dem Schließfach. Und dann wäre da noch die Tatsache, dass sich bereits ein Mann in dem kleinen Vorort-Häuschen befindet, der verdächtig dem Killerclown Pennywise aus der Stephen-King-Adaption „Es“ ähnelt …

Barbarian (2022) Bild 1

Selbstverständlich hat der Regisseur und Drehbuchautor den Newcomer Bill Skarsgård nicht zufällig für die Rolle des freundlichen aber etwas zu zuvorkommenden Unbekannten Keith ausgewählt – es ist ein Trick, den Suspense-Meister Alfred Hitchcock bereits in seinem Genre-Klassiker „Psycho“ angewandt hat, nur eben in quasi umgedrehter Absicht. Während Anthony Perkins als höflich-unscheinbarer Motel-Besitzer Norman Bates die Zuschauer mit seinem jungenhaften Anlitz eingelullt und sich erst im berühmten Schockmoment als mordender Transvestit entpuppt hat, besitzt Skarsgård zwar einerseits eine physische Attraktivität, aber anderseits auch die Reputation aus seiner unheimlichen Vor-Rolle.

Pennywises Aura umgibt Keith – doch nicht nur deshalb misstrauen wir, wie auch Tess, dem charmanten Gentleman. Wie bald geklärt wird, haben beide Protagonisten das Haus tatsächlich für die selbe Nacht über unterschiedliche Anbieter gebucht und Keiths Anwesenheit ist legitim. Doch es sind dessen vermeintlich gut gemeinten, aber in der unangenehmen Situation durchaus creepy anmutenden Andeutungen, die Tess zusätzlich stutzig machen. Die Bemerkung etwa, dass er eine Flasche Wein erst vor ihren Augen öffnen wolle, damit sie nicht denkt, er würde K.o.-Tropfen hineingeben. Der Beginn des Films wimmelt von Red Flags, wegen welchen wir Tess zunächst zurufen wollen: Hau bloß da ab!

Tatsächlich präsentiert sich „Barbarian“ als Horrorwerk auf der Höhe einer Zeit, in der Themen wie Machtmißbrauch und sexuelle Übergriffigkeit durch den Hashtag #MeToo ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Doch Zach Creggers Grusel-Patriarchat soll sich ganz anders entwickeln, als wir es anhand des ersten Drittels vermuten. Es ist zunächst nur die Fassade des unscheinbaren Hauses in einer ganz und gar nicht unscheinbaren Nachbarschaft – in den modrigen Keller und das Gewölbe seiner Story dringt der Regisseur nach zwei abrupten Sprüngen stetig weiter vor, bis wir uns zivilisatorisch nicht mehr im modernen Amerika, sondern in einer Steinzeit-Höhle wiederfinden.

Barbarian (2022) Bild 2

Neben dem möglicherweise fatalen Aufeinandertreffen von Tess und Keith, lernen wir in einem anderen Handlungsstrang außerdem den erfolgreichen Hollywood-Regisseur AJ (Justin Long) kennen, der an einem sonnigen Tag erfahren muss, dass ihn eine Darstellerin öffentlich der Vergewaltigung bezichtigt hat und damit seine Karriere am seidenen Faden hängt. Zwar beteuert AJ nachdrücklich seine Unschuld, doch wie schon Keith betrachten wir auch ihn zunächst mit Argwohn – oder: Mit Harvey Weinstein im Hinterkopf.

Wie die Geschichten von Tess, Keith, AJ und einem weiteren Charakter letztlich verwoben sind, soll an dieser Stelle allerdings nicht verraten werden. Strukturell erinnert „Barbarian" dabei an Pascal Laugiers kontroversen Schocker „Martyrs“, der ebenfalls mit ungeahnten Wendungen einer Abwärtsspirale des Grauens folgte. Mit einem Mini-Budget und limitiertem Cast, aber außerordentlich clever ausgearbeitetem und hintergründigem Skript, ist dem aus dem Comedy-Umfeld stammenden Cregger („The Whitest Kids U’Know“) hier eine extrem effektive Genrearbeit gelungen, die dank der präzisen schauspielerischen Leistungen, der atmosphärischen Inszenierung und dem gekonnten Jonglieren mit Schrecken und Humor zum besten gehört, was der Horror anno 2022 hervorgebracht hat.

„Barbarian“ verpackt seinen Subtext übrigens nicht bemüht „elevated“, sondern in Form eines grotesken und vereinzelt recht blutigen Mainstream-Schockers. Dieser mag am Ende den Horror nicht neu erfinden, aber mit u.a. Takashi Miikes bissigem „Audition“, Wes Cravens sozialkritischem „Das Haus der Vergessenen“ oder Fede Alvarez' klaustrophobischem „Don’t Breathe“ steht der Film in Nachbarschaft einiger hochkarätiger Referenzwerke. Dass im Verlauf die eine oder andere Logikfrage aufkommt und auch mal genretypisch Gesetze der Physik missachtet werden, ist absolut zu verzeihen.

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Wer „Barbarian“ gern auf der großen Leinwand erleben möchte, muss übrigens leider in ein Nachbarland wie die Niederlande ausweichen – hier wird der Film im Dezember ausschließlich über Disney+ zu sehen sein. Das ist ziemlich schade.


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Die Schule der magischen Tiere 2: Großes Gewinnspiel zum Kinostart

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Die Schule der magischen Tiere 2 Gewinnspiel

Emilia Maier in Die Schule der magischen Tiere 2 © 2022 Leonine

Es gibt ein neues großes Familienfilm-Franchise in Deutschland. Mit mehr als 1,7 Millionen Zuschauern wurde Die Schule der magischen Tiere letztes Jahr zum größten deutschen Kinohit seit Beginn der Pandemie. Der Erfolg kommt nicht aus dem Nichts, denn die Geschichte der Schule, in der magische, sprechende Tiere zu den besten Freunden von jeweils einem Kind werden, basiert auf der Kinderbuchreihe von Margit Auer, die sich mehr als 8 Millionen Mal verkauft hat und in 26 Sprachen übersetzt wurde. Rund ein Jahr nach dem Start der Verfilmung läuft sie tatsächlich an den Wochenenden noch in einigen Kinos in meiner Nähe und lockt neue ZuschauerInnen an. Dabei steht der zweite Teil bereits in den Startlöchern und wird am 29. September in die deutschen Kinos kommen. Dieser verspricht noch größere Abenteuer für die Kinder und ihre Tiergefährten und einen noch größeren Kassenerfolg für den Verleih und die Kinobetreiber.

Zum Kinostart von Die Schule der magischen Tiere 2 verlosen wir zwei Fanpakete zum Film, die jeweils zwei bundesweit einsetzbare Kinofreikarten, ein Hörspiel zum Film, die DVD des ersten Teils und ein Set Temporary Tattoos enthalten. Unter den Abbildungen der Preise findet Ihr auch die Gewinnspielfrage die Ihr beantworten müsst, um an der Verlosung teilzunehmen:

Die Schule der magischen Tiere 2 Gewinnspiel DVD Die Schule der magischen Tiere 2 Gewinnspiel Hörspiel Die Schule der magischen Tiere 2 Gewinnspiel Aufklebe-Tattoos

Um am Gewinnspiel teilzunehmen, beantwortet einfach nachstehende Frage und hinterlegt bitte zwecks Zusendung der Gewinne eure Kontaktdaten. Eure Daten werden selbstverständlich streng vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Viel Glück!

Wer heißt die Schildkröte in Die Schule der magischen Tiere?

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Einsendeschluss ist am Mittwoch, den 12. Oktober 2022.

Teilnahmeberechtigt sind nur volljährige Personen mit Wohnsitz in Deutschland. Es ist nur eine Teilnahme pro Person möglich. Unvollständige Bewerbungen können leider nicht berücksichtigt werden. Die Mitarbeiter von FILMFUTTER sind von der Verlosung ausgeschlossen.

Die Schule der magischen Tiere 2 Gewinnspiel Poster

Viel Glück!

"Auf der Wintersteinschule stehen die Feierlichkeiten zum 250. Schuljubiläum an. Dafür soll die Klasse von Miss Cornfield (Nadja Uhl) ein Musical über den Schulgründer einstudieren. Für Regisseurin Ida (Emilia Maier) wird schon das Casting eine Herausforderung, weil Oberzicke Helene (Emilia Pieske) einfach die Hauptrolle an sich reißt. Dabei ist das wahre Gesangstalent die schüchterne Anna-Lena (Lilith Johna), die sich niemals trauen würde, ins Rampenlicht zu treten! Stattdessen tut sie alles, um ihre Freundschaft mit Helene nicht zu gefährden. Erst durch ihr magisches Tier, Chamäleon Caspar (Stimme Rick Kavanian), kann sie über ihren Schatten springen. Ob Anna-Lena will oder nicht: Sie muss gegen Helene antreten! Auch Ida liegt mächtig mit Helene über Kreuz und das hat nicht nur mit dem Theaterstück zu tun, sondern auch mit Jo (Loris Sichrovsky), den Helene mit allen Tricks für sich zu gewinnen sucht. Jos magisches Tier, der forsche Pinguin Juri (Stimme Axel Stein), stürzt mit seiner „Unterstützung“ das Trio komplett ins Chaos. Als schließlich das gesamte Schuljubiläum ins Wasser fallen soll, weil auch noch seltsame Löcher auf dem Schulhof auftauchen, müssen die Kinder und ihre Tiere endlich lernen, worauf es in der magischen Gemeinschaft ankommt: Teamwork!"

Bilder und Videomaterial © 2022 Leonine

Thor: Love and Thunder (2022) Kritik

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Thor Love and Thunder Filmkritik

Thor: Love and Thunder, USA 2022 • 119 Min • Regie: Taika Waititi • Mit: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Christian Bale, Tessa Thompson, Taika Waititi, Russell Crowe, Chris Pratt, Karen Gillan, Pom Klementieff, Dave Bautista • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 6.07.2022 • Deutsche Website

Handlung

Donnergott Thor Odinson (Chris Hemsworth) hat alles verloren: seine Eltern, seinen Bruder, seine große Liebe, seine Heimat und sogar seinen stählernen Adoniskörper. Immerhin letzteren hat er nach einem rigorosen Workout wiederhergestellt. Nach dem Sieg über Thanos hält Thor nichts mehr auf der Erde und auf der Suche nach seinem Platz auf dieser Welt schließt er sich gemeinsam mit seinem neuen Kumpel Korg (Taika Waititi) den Asgardians Guardians of the Galaxy an, um mit ihnen Abenteuer im Weltall zu bestreiten und anderen Völkern in Not zu helfen. Leider liegt ihm Teamwork auch nach Jahren bei den Avengers nicht und so trennen sich ihre Wege, als Thor den Hilferuf seiner ehemaligen Kampfgefährtin Lady Sif (Jaimie Alexander) vernimmt.

Er findet sie schwerverletzt neben der riesigen Leiche eines ermordeten Gottes (in einer Szene, die haargenau den Comic-Panels entnommen wurde). Von Sif erfährt Thor, dass ein skrupelloser Schurke namens Gorr (Christian Bale), bewaffnet mit dem mythischen Nekroschwert, eine blutige Fehde gegen alle Götter des Universums führt und sein nächstes Ziel New Asgard ist, das in Thors Abwesenheit zu einem Touristenparadies wurde. Thor kehrt gerade noch rechtzeitig auf die Erde zurück, um sich im Kampf Gorr und seinen Schattenmonstern zu stellen. Dabei erlebt er den Schock seines Lebens, als er auf dem Schlachtfeld seiner Ex-Freundin Jane Foster (Natalie Portman) begegnet, die als The Mighty Thor aus unerklärlichen Gründen seinen alten und eigentlich zertrümmerten Hammer Mjölnir schwingt und ähnliche Kräfte besitzt wie er selbst. Doch für Beziehungstalk gibt es erst einmal keine Zeit. Zusammen mit Valkyrie (Tessa Thompson) können Thor und Jane Gorr knapp abwehren, aber nicht bevor er asgardische Kinder entführt. Das Trio nimmt gemeinsam mit Korg die Verfolgung auf und erfährt von Gorrs wahrem Ziel, das die Existenz aller Götter im Universum bedroht.

Kritik

Avengers: Endgame war in vielerlei Hinsicht das Ende einer Ära im Marvel Cinematic Universe. Nicht nur brachte uns der Film den Abschluss der Infinity Saga und den finalen Triumph gegen Thanos, der jahrelang als zentraler Antagonist des MCU vorbereitet wurde, der Film führte auch die Charakterbögen von zwei der sechs Original-Avengers konsequent und befriedigend zu Ende. Robert Downey Jr. wandelte sich als Tony Stark/Iron Man vom einst gewissenslosen Waffenhersteller und egozentrischen Playboy zum Familienmenschen, der am Ende das ultimative selbstlose Opfer bringt, während Captain America Steve Rogers (Chris Evans) nach vielen Umwegen endlich mit seiner großen Liebe wiedervereint wird und den versprochenen Tanz einlöst. Auch wenn viele Fans die beiden Helden sicher vermissen, war die Auflösung ihrer jeweiligen Geschichten so zufriedenstellend, dass jeder weitere Auftritt der Darsteller in den Rollen die emotionale Kraft des bittersüßen Abschieds mindern würde.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 1Während Iron Man und Captain America drei Solo-Auftritte im Kino gebraucht haben, um am Ziel ihrer Entwicklung anzukommen, Scarlett Johansson erst nach dem Tod ihrer Figur endlich einen Black-Widow-Film als Prequel erhalten hat und sowohl Hulk als auch Hawkeye zu den Serien wechseln, schreibt ihr asgardischer Mitstreiter Thor jetzt Geschichte als erster MCU-Held, der einen vierten eigenen Film bekommt. Dieser ist auch wohlverdient, denn Thors Sinnkrise war am Ende von Endgame noch nicht überwunden und seine Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Nachdem Taika Waititi mit Thor – Tag der Entscheidung den Titelhelden komplett demontiert und frischen Wind ins Franchise gebracht hat, das nach dem zweiten Teil schon etwas ächzte, bleibt der oscarprämierte neuseeländische Regisseur und diesmal auch Co-Autor mit Thor: Love and Thunder seiner Linie treu und folgt Thor durch die Midlife-Crisis, an dessen Ende er ein anderer Mensch, äh, Gott ist.

Tag der Entscheidung ist vermutlich der polarisierendste unter allen MCU-Filmen. Während sich Kritiker mit Lobeshymnen überschlugen und reguläre Kinogänger die Leichtigkeit und Absurdität des Films genossen, empfanden viele eingefleischte Thor- und Marvel-Fans die etwas alberne Darstellung ihres Helden als Affront. Zu naiv und dümmlich, nicht genug Badass-Coolness, zu viel Humor und zu wenig Ernsthaftigkeit waren häufig vorgebrachte Vorwürfe. Tja, wer mit Waititis respektlosem Humor, sprudelnder Kreativität und unaufhaltsamer Over-the-Top-Energie des Vorgängers wenig anfangen konnte, wird auch mit Love and Thunder nicht glücklich werden. Alle anderen dürfen sich auf eine stilistisch wie inhaltlich sehr stimmige Fortsetzung freuen, in der sich durchgeknallte Einfälle und Schenkelklopfer mit packender Action – häufig zu den Hits der Guns N' Roses – atemberaubenden Effekten und leiseren Augenblicken von Selbstreflexion abwechseln.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 2Zugegeben, Waititis hochenergische Inszenierung mit ihren unbestrittenen Albernheiten, von denen manche mehr (schreiende Ziegen!) und andere weniger (Sturmbrechers Eifersucht auf Mjönir) funktionieren, wirkt nicht mehr ganz so überraschend und neu wie beim ersten Mal. Es wäre wohl auch zu viel, das zu erwarten. Dafür hat Love and Thunder einen etwas ernsteren und vor allem emotionaleren Unterbau als der dritte Thor-Film, ohne Waititis typische Markenzeichen dabei einzubüßen. Es wäre nämlich trotz seiner irrwitzigen und abgedrehten Ideen ein Trugschluss zu glauben, Waititi würde seine Figuren, ihre Gefühle und Probleme nicht ernst nehmen. Wie er es u. a. bei seinem oscarprämierten Geniestreich Jojo Rabbit gezeigt hat, ist der Filmemacher ein Meister darin, sehr ernste und tragische Themen unter einem humorvollen Gewand zu verbergen.

In Thor: Love and Thunder ist es neben Thors Selbstfindung auch die Geschichte seiner Ex-Freundin Dr. Jane Foster, gespielt von Franchise-Rückkehrerin Natalie Portman. Nachdem Portman die Rolle zuletzt sichtlich desinteressiert in Thor – The Dark Kingdom vor neun Jahren verkörpert hat, in dem sie sich abermals von ihrem übermächtigen Freund retten lassen musste, wird Love and Thunder dem dramatischen wie komödiantischen Talent der Oscarpreisträgerin endlich gerecht, indem der Film die Storyline aus den Comics adaptiert, in der die krebskranke Jane den Hammer Mjölnir selbst aufnimmt und als The Mighty Thor – und nicht Lady Thor, wie Jane in einer Szene des Films sehr eindeutig auf den Punkt bringt! – selbst auf dem Schlachtfeld kämpft. Das hat aber seinen Preis, denn jedes Mal, wenn sie zu Mjölnir greift, machen ihre neu gewonnenen Superkräfte ihre Krebsbehandlung zunichte.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 3Portman, die im Fitnessstudio fleißig Gewichte stemmte, um als The Mighty Thor eine gute Figur zu machen, hat sichtlich Spaß an der Rolle und diesen werden auch die Zuschauer an ihrer Performance mehr denn je haben. Es ist leicht nachvollziehbar, wie Waititis es geschafft hat, sie zum Franchise zurückzulocken, nachdem sie diesem desillusioniert den Rücken gekehrt hatte. Jane ist endlich nicht auf die Rolle des Love Interests oder der "Jungfrau in Nöten" reduziert, sondern darf auch kämpfen, alberne Sprüche klopfen und Witze reißen, um ihre eigentlich schlimme Situation zu verbergen. Nachdem das Offscreen-Ende von Thors und Janes Beziehung zuvor mit einem Satz lieblos abgehandelt wurde, wird es in Love and Thunder mit Flashbacks gebührend aufgearbeitet und so wird eine erzählerische Lücke im Franchise endlich zufriedenstellend gefüllt.

Als Powerfrauen-Duo hat sie mit Tessa Thompsons Valkyrie (wieder ultracool) außerdem sogar noch bessere Chemie als mit Hemsworth. Krebs ist natürlich ein sehr ernstes Thema, das auf den ersten Blick vielleicht nicht zu Waititis hellem Wahnsinn passt, in dem Film aber nicht zu kurz kommt und mit jedem nötigen Respekt und Sensibilität behandelt wird.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 4Das gilt auch für Christian Bales Figur Gorr der Götterschlächter. Die besten Bösewichte sind häufig diejenigen, deren Motivation man nachvollziehen und mit denen man sogar mitfühlen kann. Deswegen gehören Michael B. Jordans Kilmonger, Daniel Brühls Zemo und sogar Josh Brolins Thanos zu den interessantesten Schurken des MCU und nach Love and Thunder wird Gorr seinen Platz an ihrer Seite einnehmen. Waititi verschwendet keine Zeit, den neuen Bösewicht einzuführen und seine Beweggründe zu verdeutlichen. In der allerersten Szene des Films, die als Cold Open noch vor dem Marvel-Logo zu sehen ist, erfahren die Zuschauer, weshalb Gorr einen Groll gegen alle Götter hegt und man kann es ihm schwer verübeln. Seine Antipathie findet in einer späteren Szene weitere Berechtigung, als Götteranführer Zeus, wundervoll theatralisch gespielt von Russell Crowe, die Selbstsucht der Götter und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der anderen unberührt zur Schau stellt.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 5Gorr ist verbittert, wütend und hasserfüllt, und Bale spielt die Rolle mit vollster Hingabe, die man vom wandlungsfähigen Method Actor erwarten würde. Er macht keine halben Sachen, ob er nun Batman verkörpert oder einen intergalaktischen Bösewicht, der wie eine Kreuzung aus Onkel Fester, Voldemort und dem Tod aus Bill & Ted aussieht. Sein ausgezehrter, sehniger, mit Narben übersäter Körper zeugt von den Spuren, die der Besitz des Nekroschwerts auf ihm hinterlassen hat. Die Waffe vergiftet seine Seele und seinen Körper, sodass er bei seinem Kreuzzug gegen die Götter ohne Rücksicht auf Kollateralschäden vorgeht und mit seinen Opfern gerne sadistische Spielchen treibt. Dabei ergibt sich eine interessante Parallele zu Janes Nutzung des Mjölnir, denn beide magische Waffen verleihen ihren Trägern Superkräfte, während sie sie langsam auch zugrunde richten. Große Macht fordert ihren Tribut.

Gorrs Kräfte, die es ihm ermöglichen, unheimliche Monster aus Schatten zu erschaffen und die nahezu schwarzweiße Schattenwelt, in die er Asgards Kinder entführt, gehören zu den visuellen Highlights des Films und stehen im starken Kontrast zu ansonsten sehr bunten Welten, die Waititi auf der Leinwand entwirft.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 6Last, but not least ist Thor: Love and Thunder aber natürlich auch die Fortsetzung von Thors Reise zur Selbsterkenntnis, wobei sich seine ersten Szenen in dem Film, in denen er sich neben den Guardians übermütig, unbedacht und ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzt, fast schon wie ein Rückschritt für den Charakter anfühlen. Doch Thor Wiedersehen mit seiner Ex, die Konfrontation mit seinen schlummernden Gefühlen, die Angst, sie wieder zu verlieren und die augenöffnende Begegnung mit Zeus und den anderen Göttern lassen Thor weiter wachsen und reifen. Hemsworth hat die selbstironische, gänzlich uneitle Darstellung des Charakters inzwischen perfektioniert und man merkt, dass er den Part seit Tag der Entscheidung mit mehr Elan und Freude spielt.

Thor Love and Thunder (2022) Filmbild 7Waititi packt viel, vielleicht sogar zu viel, in die nach Blockbuster- und Marvel-Maßstäben sehr knackige 119-minütige Laufzeit des Films, schafft es aber dennoch, zwischen den atemlosen Action- und Humorsequenzen Atempausen für seine Hauptfiguren und ihre Entwicklung zu finden. Das gelingt, indem er den Fokus ganz auf die Charaktere der Thor-Reihe hält, ohne jegliche Multiversum-Spielereien oder besondere Anknüpfungen an das erweitere Marvel-Kino- und Serienuniversums, abgesehen von den Gastauftritten der Guardians im ersten Akt. Im Gegensatz zu seinem MCU-Vorgänger Doctor Strange in the Multiverse of Madness, dessen Genuss essentiell von der Vertrautheit mit der Disney+-Serie "WandaVision" abhängt, setzt Thor: Love and Thunder lediglich Kenntnisse der bisherigen Thor-Filme voraus und sogar diese werden von Korg, im Original wieder großartig von Waititi selbst gesprochen, clever rekapituliert. Es ist erfrischend zu sehen, dass sogar in einem so komplexen und verwobenen Universum wie dem MCU ein Franchise auch mit seinem vierten Film weitgehend separat und ohne Ballast existieren kann.

Love and Thunder ist vermutlich immer noch nicht das letzte Kapitel von Thors Weg im Marvel-Universum, doch bis zum Ende des Films macht er den bis dato größten Sprung in seiner Weiterentwicklung. Sollte es entgegen den Erwartungen der letzte Thor-Film werden, wäre es tatsächlich auch ein befriedigender Abschluss, doch eine Abspannszene deutet darauf hin, dass wir noch mehr vom Space Wikinger zu sehen bekommen werden. Man darf gespannt sein, was Marvel und hoffentlich wieder Waititi für ihn noch im Sinn haben.

Fazit

Wer Thor – Tag der Entscheidung mochte, wird bei Thor: Love and Thunder voll auf seine Kosten kommen. Der vierte Alleingang des Donnergottes knüpft tonal nahtlos an seinen Vorgänger an und lässt Taika Waititis bewährtem Wahnsinn freien Lauf, ohne jedoch die ernsten Themen und Probleme seiner Figuren zu vernachlässigen. Während die schrägen Einwürfe Waititis nicht mehr ganz so frisch wirken wie beim ersten Mal, punktet der Film mit einem emotional dichteren Kern. Natalie Portman feiert eine fulminante Rückkehr zum Franchise und kann als taffe Kämpferin, die aus ihren neu gewonnenen Superkräften und abgedroschenen One-Linern eine Schutzmauer um ihre Gefühle für Thor und ihre tragische Situation aufbaut, endlich ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen. Ein weiteres Highlight ist Christian Bale, dessen facettenreiche, intensive, schmerzvolle und stellenweise furchteinflößende Performance ihn unter die besten Schurken des MCU hebt. Anfangs überschattet von diesen beiden schauspielerischen Kraftpaketen, findet in der zweiten Filmhälfte auch Chris Hemsworth als Thor seinen Stand und führt die Entwicklung seines Charakters konsequent fort.

Trailer

 

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Kritik

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Doctor Strange in the Multiverse of Madness Kritik

Doctor Strange in the Multiverse of Madness, USA 2022 • 126 Min • Regie: Sam Raimi • Mit: Benedict Cumberbatch, Elizabeth Olsen, Xochitl Gomez, Benedict Wong, Rachel McAdams, Chiwetel Ejiofor • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 4.05.2022 • Deutsche Website

Handlung

Keine Verschnaufpause für Doctor Strange (Benedict Cumberbatch): Nachdem er kürzlich die durch seinen Leichtsinn mitverursachten Risse im Multiversum mit knapper Not flicken konnte, wartet nun der nächste Schicksalsschlag auf den ehemaligen Obersten Zauberer. Als geladener Hochzeitsgast muss er dabei zusehen, wie seine große Liebe Christine Palmer (Rachel McAdams) von einem anderen Mann vor den Altar geführt wird, während sein früherer Rivale Nicodemus West (Michael Stuhlbarg), der während des Blips seinen Bruder verloren hat, nichts als Verachtung für ihn übrig hat. Eine willkommene Ausflucht bietet sich an, als ein riesiges, einäugiges Tenktakelmonster durch die Straßen Manhattans wütet, sodass Strange mit seinem magischen Umhang davonfliegt, um es gemeinsam mit Wong (Benedict Wong) zu bekämpfen. Zu ihrer großen Überraschung stellen sie fest, dass das Monster hinter einem jugendlichen Mädchen namens America Chavez (Xochitl Gomez) her ist, das Strange bereits in seinen (Alb)träumen gesehen hat. Sie staunen auch nicht schlecht, als America ihnen offenbart, dass sie aus einem anderen Universum stammt und die Macht besitzt, durch das Multiversum zu reisen, diese jedoch nicht kontrollieren kann. Ein interdimensionaler Dämon hat es auf auf diese Superkraft abgesehen und sollte er sie erlangen, stünde das gesamte Multiversum (mal wieder) vor dem Untergang.

Um America zu beschützen, lässt Strange sie nach Kamar-Taj bringen, das Refugium für Zauberer und Zauberlehrlinge in Nepal. Für zusätzliche Unterstützung wendet er sich an seine ehemalige Mitstreiterin Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen), die über enorme magische Kräfte verfügt, nach dem traumatischen Kampf gegen Thanos jedoch zurückgezogen lebt. Damit setzt er eine Kette von Ereignissen in Gang, die America, Wanda und ihn auf einen wilden Trip durch das Multiversum katapultieren, von dem es möglicherweise kein Zurück mehr gibt.

Kritik

"Bist du glücklich?" wird Stephen Strange in einer frühen Szene seines zweiten Solo-Abenteuers Doctor Strange in the Multiverse of Madness von seiner Ex-Freundin Christine bei ihrer Hochzeitsfeier gefragt. Er lügt und bejaht die Frage, die sich im Laufe des Films noch mehrfach wiederholt und zum übergreifenden Thema für seine Charaktere wird. Wie jeder Spider-Man-Fan weiß, folgt aus großer Kraft große Verantwortung. Für viele Helden des Marvel Cinematic Universe geht diese auch mit großen Opfern einher. Wie hoch der Preis dieses aufopferungsvollen Lebens ist, zeigte zuletzt Spider-Man: No Way Home, in dem alle drei Versionen von Peter Parker durch persönliche Verluste gezeichnet waren. Am Ende musste Tom Hollands Peter abermals ein Opfer bringen und seine große Liebe MJ aufgeben, um die Welt zu retten.

Hält das Superheldenleben, für das sie sich entschieden haben oder zu dem das Schicksal sie bestimmt hat, persönliches Glück auf lange Sicht überhaupt bereit? Und wenn man für das Allgemeinwohl immer wieder zurückstecken muss, wie lange dauert es, bis man der Versuchung erliegt, die enormen Kräfte, die einem innewohnen, dafür einzusetzen, um sein eigenes Glück zu finden – oder zu erzwingen? Schließlich sind auch Superhelden (mehr oder weniger) nur Menschen. Regisseur Sam Raimi und Drehbuchautor Michael Waldron schicken Stephen und Wanda in ihrem Film auf eine multiversale Reise, an deren Ende sie vielleicht immer noch keine genauen Antworten auf diese Fragen haben, aber um einige Erkenntnisse reicher sind.

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Filmbild 1Unterwegs bekommt Raimi, der seit neun Jahren keinen Film mehr inszeniert hat, die Gelegenheit, sich richtig auszutoben. Mit seinen ersten beiden Spider-Man-Filmen hat er zwei der besten Comicbuchverfilmungen überhaupt erschaffen. Diesen Rang läuft Doctor Strange in the Multiverse of Madness ihnen nicht ab, bietet Raimi aber mit Hexen, Dämonen, Zauberern und sogar einem waschechten Untoten die perfekte Vorlage, seine Markenzeichen und stilistischen Kunstgriffe als Horrorregisseur richtig auszukosten. Nein, In the Multiverse of Madness ist nicht Marvels erster Horrorfilm, wie einige besonders reißerische Schlagzeilen einen im Vorfeld vielleicht glauben ließen, doch er ist definitiv eine Spur unheimlicher, abgefahrener, böser und brutaler als man es von den MCU-Kinofilmen gewohnt ist.

Natürlich bewegt sich Raimi dabei innerhalb des von Disney diktierten Rahmens für einen massenkompatiblen PG-13-Blockbuster, zeigt jedoch auch, wie viel darin möglich ist. Es ist kein Film für die jüngsten Avengers-Fans, denn wir sprechen hier von gebrochenen Schädeln, herausgerissenen Augen, zweigeteilten oder auf Gitterstäben aufgespießten Menschen, verdrehten Körpern, die Spiegeln entsteigen – nicht unähnlich Samara in der berüchtigten Fernseherszene aus Ring  -und einem halbverwesten Zombie in einer Schlüsselszene des Films. Dabei werden nicht nur immer wieder Erinnerungen an Raimis ikonische Evil-Dead-Trilogie (nicht nur wegen des obligatorischen, großartigen Bruce-Campbell-Cameos) wach, sondern noch mehr an seinen unterschätzten, schwarzhumorigen Drag Me to Hell, mit dem er vor 13 Jahren einen beinahe perfekten PG-13-Horrorfilm abgeliefert hat.

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Filmbild 2Dass in einer gut geölten, hochgradig durchstrukturierten Maschine wie dem Marvel Cinematic Universe Filmemacher wie James Gunn, Ryan Coogler und nun Sam Raimi dennoch die Gelegenheit bekommen, ihren Vorlieben freien Lauf zu lassen, ist höchst bemerkenswert. Zugleich ist es auch ein Zeugnis dafür, wie "kugelsicher" und souverän geführt das Universum ist, in dem solche stilistischen Ausbrüche dennoch zu einem großen Ganzen verschmelzen.

Raimis Einflüsse sind hier so stark, dass sie manchmal die anderen Stärken (und Schwächen) des Films überschatten. Zu den letzteren gehört ein etwas holpriges Drehbuch von Michael Waldron, der in der "Loki"-Serie das Multiversum-Konzept ins MCU eingeführt hat, sich hier aber fast schon zurückhalten muss. Es ist zwar kaum die Schuld des Films, dass er nur eine Woche nach dem phänomenalen, bahnbrechenden Multiversum-Abenteuer Everyhing Everywhere All at Once in unseren Kinos startet, doch um einen Vergleich kommt er nicht herum. Gegen den Indie-Film mit Michelle Yeoh, der Absurdität zur höchsten Kunstform erhebt, wirkt In the Multiverse of Madness geradezu gemäßigt, zahm und wird dem letzten Wort seines Filmtitels höchstens in einer kurzen Montage, in der Strange und America durch verschiedene Universen hindurchfallen, gerecht.

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Filmbild 3Das lässt sich jedoch leicht verschmerzen, denn im Kontext des MCU macht der Film dennoch neue Türen auf und zeigt abermals, dass Doctor Strange das visuell beeindruckendste unter allen Solo-Franchises des Filmuniversums ist. Wer auf CGI-Spektakel allergisch reagiert, wird auch hier sicherlich die Nase rümpfen, doch die digitalen Effekte sind wieder einmal – mit einigen wenigen Ausnahmen – herausragend. Das stets hohe Tempo des Films, der nie auf die Bremse drückt und mit knapp über zwei Stunden Laufzeit nach modernen Blockbuster-Maßstäben schon kurz und knackig daherkommt, sorgt auf dafür, dass man über manche Ungereimtheiten oder verpasste Gelegenheiten hinwegsehen kann.

Benedict Cumberbatch trägt die Rolle des arroganten Zauberers inzwischen wie eine zweite Haut. Obwohl es erst sein zweiter Alleingang als Doctor Strange ist, spielte er den Part auch in vier der letzten elf MCU-Filmen. Es ist leider ein Versäumnis des neuen Films, dass er die unterschiedlichen Versionen des Charakters aus anderen Universen lediglich nur wenige Minuten lang spielen darf. Newcomerin Xochitl Gomez zeigt Potenzial als fesche, aber von Schuldgefühlen geplagte America, kommt jedoch im Mittelteil des Films viel zu kurz. Benedict Wong hat immer noch ein tolles Zusammenspiel mit Cumberbatch, auch wenn er trotz Wongs Rang als Oberster Zauberer immer noch wie ein Sidekick des Titelhelden wirkt. Rachel McAdams, die im ersten Film so sehr verschwendet wurde, dass ich mich buchstäblich an keine einzige Szene mit ihr erinnern kann, bekommt hier immerhin etwas mehr zu tun, aber leider nicht viel mehr.

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Filmbild 4Der unumstrittene Star des Films ist Elizabeth Olsen als Wanda, die mehr denn je endlich zu der Scarlet Witch wird, auf die Comicfans schon lange gewartet haben. Wut, Schmerz, Verzweiflung und Entschlossenheit vermischen sich bei ihr zu einer komplexen, facettenreichen und emotionalen Performance, mit der sie nahtlos an die Disney+-Miniserie "WandaVision" anknüpft. Darin liegt auch die Krux der Sache. Habe ich im letzten Absatz meiner Kritik zum ersten Doctor Strange vor fünfeinhalb Jahren noch geschrieben, dass der Film auch weitgehend eigenständig funktioniert, erfordert In the Multiverse of Madness für optimalen Filmgenuss nicht nur Vorkenntnisse der MCU-Filme, sondern der besagten Serie. Genau genommen fühlt sich In the Multiverse of Madness über weite Strecken mehr wie eine zweite "WandaVision"-Staffel als ein Doctor-Strange-Sequel an. Seit dem Start von Disney+ war es ein erklärtes Ziel des Studios, die neuen Marvel-Serien zum Pflichtprogramm für die Fans zu machen, die auf dem Laufenden bleiben wollen. Wer "WandaVision" nicht kennt, wird sich, trotz gelegentlicher Erklärungen, etwas verloren fühlen.

Doctor Strange in the Multiverse of Madness (2022) Filmbild 5Eingefleischte Marvel-Fans werden jedoch sehr auf ihre Kosten kommen, denn auf sie warten grandiose Überraschungen und Gastauftritte, bis in die Abspannszene hinein. Das Marketing zum Film hat sich nicht viel in die Karten blicken lassen und auch diese Kritik lässt bewusst viel vage. In the Multiverse of Madness profitiert davon, dass man möglichst wenig über den Film im Vorfeld weiß. Im Gegensatz zu No Way Home hat die Produktion es diesmal sogar geschafft, dass einige wirklich große Knüller, die vermutlich noch Auswirkungen auf die Zukunft des MCU haben werden, nicht schon lange im Vorfeld geleakt sind.

Fazit

Nicht seit James Gunns Guardians of the Galaxy hat ein Filmemacher einem Marvel-Film so sehr seinen eigenen, unverkennbaren Stempel aufgedrückt, wie Sam Raimi bei Doctor Strange in the Multiverse of Madness. Im halsbrecherischen Tempo nimmt er die Zuschauer auf eine visuell bombastische, gelegentlich unheimliche, sehr ambitionierte, aber auch chaotische Achterbahnfahrt, deren wilde Drehungen, Wendungen und Cameos eingefleischten MCU- und Comicfans mehr als einmal ein Jauchzen entlocken werden. Wer bislang nur die Filme aus dem Marvel-Kinouniversum mitverfolgt hat, könnte sich ohne umfassende Vorkenntnisse der "WandaVision"-Serie, deren Star Elizabeth Olsen das Highlight des Films ist, etwas verloren fühlen.

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