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Oscarnominierungen 2020: Analyse der Gewinner, Verlierer und Überraschungen

Oscars 2020 Gewinner Verlierer

Links: Jennifer Lopez in Hustlers © 2019 STX Films
Rechts: Adam Sandler in Der schwarze Diamant © 2019 A24

Nachdem wir nun zwei Tage hatten, um die sehr überraschungsarmen Nominierungen für die 92. Academy Awards zu verdauen, werfe ich nun einen ausführlichen Blick auf die einzelnen Gewinner und Verlierer der Bekanntgabe. Natürlich klingen diese Begriffe auf den ersten Blick seltsam, denn wie soll es Verlierer oder Gewinner geben, wenn es erst die Nominierungen sind? Nichtsdestotrotz geben auch sie uns einen Hinweis darauf, was bei den Academy-Wählern dieses Jahr besonders gut angekommen ist und die Position welcher Filme im Rennen nun gestärkt oder geschwächt ist. So war letztes Jahr der erste große Hinweis darauf, dass A Star Is Born keine Chance auf den "Bester Film"-Oscar hatte, als der Film weder eine Regie- noch eine Schnittnominierung erhalten hat.

Wie schon erwähnt, gab es dieses Jahr kaum Überraschungen unter den Nominierungen. Schon seit Wochen herrscht klarer Konsens im Oscar-Rennen. Zwischen der Top 10 des American Film Institute, den zehn Nominees der Produzentengewerkschaft und den neun Filmen, die bei den Oscars in der Hauptkategorie "Bester Film" nominiert sind, gab es sieben Übereinstimmungen – und das auch nur, weil Parasite beim American Film Institute für die Top 10 nicht zulässig war. Le Mans 66 ist der einzige Film, der vom AFI gar nicht erwähnt, aber dennoch für einen "Bester Film"-Oscar nominiert wurde. Trotz dieser Vorhersehbarkeit gab es dennoch einige klare Gewinner der Nominierungen. Hier findet Ihr die komplette Auflistung der Nominees.

Gewinner

Netflix – Falls es noch Widerstand gegen den Streaming-Giganten innerhalb der Academy gibt, so ist es den Nominierungen jedenfalls nicht anzusehen. Mit insgesamt 24 Nennungen führt Netflix vor allen anderen Studios dieses Jahr und ist mit zwei Filmen (The Irishman und Marriage Story) in der Kategorie "Bester Film" repräsentiert. Zu weiteren Netflix-Anwärtern gehören Die zwei Päpste, die Dokus American Factory und The Edge of Democracy und die Animationsfilme Klaus und Ich habe meinen Körper verloren. Zugegeben, es bedeutet noch nicht, dass Netflix am Abend der Verleihung auch groß abräumen wird. Bei den Golden Globes waren Netflix-Produktionen 31 mal nominiert, am Ende gab es jedoch nur zwei Auszeichnungen. Disney ist mit 23 Nominierungen knapp hinter Netflix, jedoch hauptsächlich dank den Fox-Erwerbungen Jojo Rabbit und Le Mans 66.

Joker – Mit elf Nominierungen hat Joker den bisherigen Rekord von The Dark Knight als meistnominierte Comicadaption aller Zeiten übertroffen. Nolans Film war in acht Kategorien nominiert. Joker ist außerdem der meistnominierte Film dieses Jahr und ist in jeder Schlüsselkategorie nominiert, die einen Oscarsieg begünstigt (Schnitt, Regie, Drehbuch, Schauspieler). Lediglich eine fehlende Nominierung seitens der Regiegewerkschaft DGA steht ihm im Wege. Noch nie hat ein Film den "Bester Film"-Oscar ohne eine DGA-Nominierung gewonnen. Black Panther stellte letztes Jahr mit drei Siegen den Rekord für meistprämierte Comicadaptionen auf. Ob Joker diesen übertreffen wird?

Scarlett Johansson – Letztes Jahr hätte für die Schauspielerin kaum besser verlaufen können. Sie spielte im umsatzstärksten Film aller Zeiten mit, wurde zur bestbezahlten Darstellerin der Welt und nun wurde dieser Triumph mit gleich zwei Oscarnominierungen gekrönt – ihren allerersten überhaupt! Dabei war sie schon lange überfällig für Beachtung seitens der Academy. Zuvor wurde Johansson für ihre Filmrollen bereits viermal für einen Golden Globe nominiert, davon gleich zweimal im Alter von 19 (für Lost in Translation und Das Mädchen mit dem Perlenohrring). Dennoch verweigerte ihr die Academy bislang die Nominierung. In Marriage Story und Jojo Rabbit lieferte sie die zwei besten Performances ihrer Karriere ab und das wurde zum Glück auch anerkannt. Sie ist die 12. Schauspielerin, die zweimal im selben Jahr für die darstellerischen Leistungen nominiert wurde. Von den elf vor ihr, haben sieben auch einen Oscar gewonnen, niemand jedoch gleich zwei im selben Jahr.

Südkorea – Cannes-Sieger Parasite ist nicht nur der absolute Kritikerliebling aus dem letzten Jahr, er ergatterte auch sechs Oscarnominierungen, darunter als "Bester Film". Es ist nicht nur der erste koreanische Film, der in der Kategorie nominiert ist, sondern sogar der erste koreanische Film, der für den Auslands-Oscar in der kürzlich umbenannten Kategorie "Bester internationaler Film" nominiert ist. Zudem würde der südkoreanische Dokumentar-Kurzfilm In the Absence für einen Oscar nominiert. Es ist das erste Mal, dass ein koreanischer Film für einen Doku-Oscar im Rennen ist.

Alte Nebendarsteller – Mit 56 Jahren ist der aktuelle Favorit für den Nebendarsteller-Oscar, Brad Pitt, der jüngste Anwärter in seiner Kategorie. Seine Konkurrenten sind Anthony Hopkins (82), Al Pacino (79), Joe Pesci (76) und Tom Hanks (63). Dass Brad Pitt natürlich de facto kein Nebendarsteller in Once Upon a Time in Hollywood ist, ist eine Debatte für sich.

Regie-/Drehbuchautor-Multitalente – Vier der fünf nominierten Regisseure sind auch für die Drehbücher zu ihren Film nominiert. Lediglich Martin Scorsese hat bei The Irishman das Schreiben gänzlich Steven Zaillian überlassen.

Laika – Mit der Nominierung für den überraschenden Golden-Globe-Gewinner Mister Link bleibt die Erfolgsbilanz der Animationsschmiede perfekt. Fünf Filme, fünf Nominierungen als "Bester Animationsfilm". Nur gewonnen hat Laika leider noch nie.
Auf Seite 2 gehe ich ausführlich auf die Verlierer, die Überraschungen und die Fun Facts ein.

Bad Boys for Life (2020) Kritik

Bad Boys for Life (2020) Filmkritik

Bad Boys for Life, USA/MX 2020 • 123 Min • Regie: Adil El Abri & Bilall Fallah • Mit: Will Smith, Martin Lawrence, Vanessa Hudgens, Alexander Ludwig, Charles Melton, Paola Nuñez, Joe Pantoliano, Kate del Castillo, Jacob Scipio • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 16.01.2020 • Website

Handlung

Nach fast drei Jahrzehnten bei der Polizei von Miami, ist der frischgebackene Großvater Marcus Burnett (Martin Lawrence) bereit für den Ruhestand. Sein langjähriger bester Freund und Partner Mike Lowrey (Will Smith) kann sich mit dem Gedanken aber gar nicht anfreunden. Der nie sesshaft gewordene Mike möchte mit seinem Kumpel durch die Gegend cruisen und Verbrecher jagen, bis er tot umfällt. Das geschieht jedoch beinahe deutlich früher als er erwartet hätte, denn der Sohn (Jacob Scipio) der rachsüchtigen Anführerin (Kate del Castillo) eines mexikanischen Drogenkartells verübt einen Mordanschlag auf Mike im Auftrag seiner Mutter. Mike kommt knapp mit dem Leben davon, ist jedoch tief erschüttert und in seinem Stolz verletzt. Marcus schwört in Folge der Gewalt ab und quittiert den Dienst. Der Killer zieht derweil eine blutige Schneise durch die Stadt, indem er weitere Zielpersonen von der Liste seiner Mutter abmurkst. Mike möchte seinen Angreifer um jeden Preis zur Strecke bringen, Marcus verweigert ihm jedoch die Hilfe. Mit eher rabiaten Methoden ermittelt Mike auf eigene Faust, bis sein Vorgesetzter Captain Howard (Joe Pantoliano) ihn widerwillig der Eliteeinheit AMMO zuweist, die sich mit dem Fall beschäftigt und von Mikes Ex Rita (Paola Nuñez) angeführt wird. Der mysteriöse Killer bleibt ihnen jedoch stets einen Schritt voraus. Als es hart auf hart kommt, kommt Marcus seinem Partner doch zur Unterstützung – ein letztes Mal, wie die beiden schwören.

Kritik

Während die Fans von Martin Riggs und Roger Murtaugh oder von Yang Naing Lee und James Carter weiterhin vergeblich auf die Rückkehr der Buddy-Cops warten, wurden die Bad Boys Mike Lowrey und Marcus Burnett nach fast 17 Jahren Pause wieder für den Kinodienst reaktiviert. Nach einer so langen Wartezeit, in der zwischenzeitlich nicht einmal einer der Hauptdarsteller an den dritten Film geglaubt hat, ist es schwer zu sagen, ob Bad Boys for Life die Erwartungen erfüllt bzw. was die Erwartungen überhaupt sind, die er erfüllen soll. Die Bad-Boys-Streifen waren keine großen Meilensteine der Buddy-Actionfilme à la Lethal Weapon oder gar des Actionkinos. Aber sie waren unterhaltsam und lebten, wie es im Subgenre üblich ist, von der Chemie ihrer Hauptdarsteller. Diese können Will Smith und Martin zum Glück auch 25 Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Auftritt wieder einfangen, auch wenn die Jahre einem der beiden sichtlich mehr zugesetzt haben als dem anderen. Wenn Lawrence in seine Variante des "Ich bin zu alt für diesen Scheiß" einstimmt, kann man zustimmend nicken. Immerhin spielt der Film auch damit.

Bad Boys for Life (2020) Filmbild 1Der Stil der ersten beiden Filme, insbesondere des überbordenden zweieinhalbstündigen Gewalt- und Actionorgie von Teil 2, war sehr vom Regisseur Michael Bay geprägt. Die belgischen Newcomer Adil El Abri und Bilall Fallah bleiben den Markenzeichen der Reihe einerseits treu und würdigen auch Bay auf eine kuriose Art und Weise direkt, schalten jedoch einen Gang zurück. Im Gegensatz zum Vorgänger hat man das Gefühl, dass sich die Macher diesmal tatsächlich etwas mehr damit beschäftigt haben, welche Geschichte sie erzählen und was sie für die Figuren bedeutet, als damit, was man als nächstes spektakulär in die Luft jagen kann. Während die Figuren im letzten Film eine Spur der Verwüstung hinterlassen und sich wenig um Kollateralschäden oder die Folgen ihres Handelns gekümmert haben, setzt sich Bad Boys for Life davon entschieden ab. Konsequenzen und Verantwortungsübernahme sind die Themen des Films. Die Pointe wird verdeutlicht, als sogar der kaltblütige Killer in dem Film nicht bereit ist, ein in seinen Augen unschuldiges Leben zu opfern, nur um an sein Ziel zu kommen.

Bad Boys for Life (2020) Filmbild 2Vor allem betrifft es aber natürlich die beiden Hauptcharaktere, die sich mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen auseinandersetzen müssen, als es für sie persönlich wird. Es ist ein nobler und anregender Ansatz, der jedoch nicht ganz konsequent durchgezogen wird, im letzten Akt durch einige große und zum Teil wirklich fragwürdige Wendungen in sich zusammenfällt und schließlich geradezu absurd wirkt.

Aber schließlich gehen die Zuschauer nicht für eine Unterrichtsstunde in Sachen Ethos und Moral in den Film, sondern für lockere Sprüche und deftige Action. Actionfans müssen sich keine Sorgen machen. Es gibt auch ohne Michael Bay immer noch reichlich Krawumm und Ballereien – diesmal mit weniger Zeitlupe und ohne hektische Schnitte eines ADHS-Cutters. Auch sein R-Rating nutzt der Film mit aufgeschlitzten Kehlen und Menschen, die von Gabelstaplern oder durch Glasscherben aufgespießt werden, voll aus. In den Zeiten von Actionern wie John Wick, The Raid oder der Mission: Impossible-Reihe, die die Messlatte hoch gelegt haben, kann Bad Boys for Life niemanden mehr vom Hocker reißen, bietet aber durchaus kurzweilige Unterhaltung über knapp zwei Stunden. Die Gags sitzen mal mehr, mal weniger, und funktionieren vor allem, wenn Smith und Lawrence zusammen auf der Leinwand zu sehen sind. Der Streifen lässt aber auch keine Zweifel daran, weshalb Smith der große Superstar von den beiden geworden ist. Er darf hier auch eine deutlich größere Bandreite an Gefühlen abdecken. Sehr willkommen ist auch die Rückkehr von Joe Pantoliano als dauergenervter Boss der beiden, dessen Ausraster dem Film einige seiner Highlights geben, der aber auch für eine überraschende ruhige und emotionale Szene im Film verantwortlich ist.

Bad Boys for Life (2020) Filmbild 3Von den neuen Darstellern beweist sich Newcomer Jacob Scipio in der Antagonistenrolle als sehr fähiger und agiler Actiondarsteller. Wenn er erstmals gegen Will Smith in dem Film kämpft, erinnert es an die Leichtigkeit, mit der Jet Li seine Gegner in Lethal Weapon 4 verprügelte. Smith und Charles Melton, der eins der jungen Mitglieder des AMMO-Teams spielt, dürfen die alter-Hase-arroganter-Frischling-Dynamik ausspielen, die sich aber größtenteils auf den "deine Mutter"-Gag beschränkt. "Vikings"-Star Alexander Ludwig ist als sensibles Muskelpaket und Computerexperte amüsant besetzt in einer Rolle, die im Prinzip eine ironische Umkehr der "heiße Hackerin"-Besetzung à la Nathalie Emmanuel in der Fast-&-Furious-Reihe ist. Die Frauenrollen von Paola Nuñez, Kate del Castillo und Vanessa Hudgens bleiben leider die am schwächsten ausgearbeiteten. In der Hinsicht bleibt der Film der Bay’schen Tradition treu.

Es ist löblich, dass der Film in seiner zweiten Hälfte nicht ganz so verläuft, wie man es von dem ansonsten recht generischen Actionstreifen erwarten würde. Jedoch wirft er spätestens nach seinem feurigen Showdown und der allerletzten, ein Sequel vorbereitenden Szene im Abspann sein Streben nach Konsequenzen über Bord und erinnert dann an ein anderes absurdes Action-Franchise aus den letzten Jahren.

Fazit

Ohne Krawall-Meister Michael Bay am Steuer, geht Bad Boys for Life seine Sache etwas ruhiger und nachdenklicher an und versucht, die weiterhin großzügig eingesetzte Action und die flotten Sprüche diesmal mit einer emotional wirkungsvollen Geschichte zu verbinden. Das funktioniert mal mehr, mal (gegen Ende) entschieden weniger gut. Will Smith und Martin Lawrence haben aber zum Glück immer noch die gleiche lockere Chemie wie vor 25 Jahren und helfen dem Film auch über einige holprige Momente hinweg.

Trailer

"The Witcher": Unsere Kritik zu Staffel 1 der Netflix-Fantasyserie

The Witcher Kritik

The Witcher, PL/USA 2019 • Laufzeit: 8 Folgen à 47-67 Min • Regie: Alik Sakharov, Alex Garcia Lopez, Charlotte Brändström, Marc Jobst • Mit: Henry Cavill, Anya Chalotra, Freya Allan, MyAnna Buring, Jodhi May, Joey Batey, Lars Mikkelsen, Emma Appleton • Anbieter: Netflix • Veröffentlichungstermin: 20.12.2019

Die nachfolgende Rezension basiert auf den ersten fünf Folgen der 1. "The Witcher"-Staffel und enthält leichte Spoiler!

Es gibt nicht wenige Filme und Serien, die den Erfolg und die Bekanntheit ihrer literarischen Vorlagen längst übertroffen haben. Erinnern sich viele heutzutage noch an die Romanvorlagen zu Forrest Gump oder Ben Hur? Und dass meisten Menschen Marvel-Helden inzwischen aus dem Kino kennen und nicht von den Seiten der Comics, ist auch kein Geheimnis. Doch dass eine Videospielreihe deutlich bekannter wird als die Romane, die ihre Grundlage bilden, ist ein Sonderfall. Denn genauso haben Millionen von Menschen "The Witcher" kennengelernt. Nicht als die insbesondere in ihrem Herkunftsland bekannte Hexer-Saga des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski, sondern hauptsächlich als drei gefeierte und insgesamt über 33 Millionen Mal verkaufte Action-Rollenspiele. Es sind jedoch nicht die einzigen Adaptionen, die die Geschichte über Geralt von Riva inspirierte. Auch eine Comicreihe, ein Film und eine ältere TV-Serie sind in der Heimat des Autors entstanden sowie die brandneue achtteilige Netflix-Serienadaption. Fans der Spiele sollten jedoch wissen, dass die Bücher und nicht die Videospiele die Vorlage für die neue Serie waren. Die sinnvolle Begründung der Showrunnerin Lauren Hissrich ist, dass eine Adaption einer anderen Adaption das Ausgangsmaterial zu sehr verwässern würde.

Ich für meinen Teil habe weder die Spiele gespielt noch die Romane gelesen, sodass ich in die Welt des Hexers als kompletter Neuling eingetaucht bin. Da sich eine Serie unabhängig von der Vorlage auf eigenen Beinen behaupten muss, sollte das kein Nachteil sein. Wer allerdings nach Vergleichen sucht oder die Frage nach der Vorlagentreue stellt, ist bei dieser Rezension fehl am Platze. Ist man aber einfach neugierig, ob die neue Fantasyserie von Netflix einen Blick wert ist, könnte die Antwort darauf nachfolgend zu finden sein.

The Witcher Staffel 1 Bild 1Letztlich musste ich schnell feststellen, dass die Kenntnis der Vorlage vermutlich hilfreich gewesen wäre, um in "The Witcher" reinzukommen, denn die Serie macht es einem nicht leicht, indem sie die Zuschauer mittendrin ins Geschehen reinwirft. Zahlreiche nichtssagende Begriffe und fantasievolle Ländernamen der Tolkien’schen bzw. Martin’schen Art werden teilweise im Maschinengewehr-Tempo heruntergerattert. Es gibt Prophezeiungen, Monster, Zauberwesen, Magie, Verschwörungen, Verrat, alte Feindschaften und natürlich Kriege – all das bereits in den ersten fünf von Netflix zur Vorabsichtung bereitgestellten Folgen. Wer die einzelnen Parteien genau sind, warum sie sich bekriegen, mit wem man mitfiebern sollte, bleibt zunächst schleierhaft. Die verschachtelte Erzählstruktur aus drei Handlungssträngen macht es einem auch nicht leichter.

The Witcher Staffel 1 Bild 2Da haben wir einerseits natürlich Geralt von Riva, sehr stoisch und imposant verkörpert von Superman Henry Cavill, dessen gewöhnungsbedürftige weiße Perücke sich perfekt neben dem Pornobalken aus Mission: Impossible – Fallout als (wenn auch in diesem Fall der Vorlage geschuldete) haarige Kuriosität einreiht. Der gegen Zauber weitgehend immune einzelgängerische Mensch-Mutant mit gelben Katzenaugen und begrenzten magischen Fähigkeiten zieht von Ort zu Ort durch den namenlosen Kontinent und bekämpft gegen Bezahlung Monster, die die Einwohner terrorisieren. Als Hexer wird er gefürchtet, aber wegen seiner Mutation und angeblich fehlenden Emotionen auch verachtet. Gleich in der allerersten Szene geht es mit Vollgas in Geralts Tagesgeschäft. In einem Sumpf kämpft er gegen das Kikimora, ein furchterregendes, spinnenähnliches Ungeheuer. Mit diesem rasanten Einstieg zeigt uns die Serie einerseits Geralts Kraft und Widerstandsfähigkeit und andererseits, dass Netflix ordentliche Kohle für die Serie hat springen lassen. Dieser Eindruck bestätigt sich auch in vielen weiteren Szenen, denn am Look von "The Witcher" ist wenig auszusetzen. "Game of Thrones" hat die Messlatte für kinowertige Fanatsyserien hoch gelegt und auch wenn "The Witcher" vielleicht noch nicht ganz so spektakulär aussieht wie HBOs Serie in ihren letzten Staffeln, so wurde auch deutlich mehr in sie investiert als zu Beginn von "Thrones".

The Witcher Staffel 1 Bild 3Anstelle des Solds für das Töten des Monsters gerät Geralt in der nächstgelegenen Ortschaft Blaviken zwischen die Fronten zweier Parteien, die ihn jeweils für ihre Sache einspannen wollen. Der von Lars Mikkelsen gespielte creepy Magier Stregobor, der in seinem Turm mit einem paradiesischen Garten und vielen nackten Frauen haust, möchte, dass Geralt ihm dabei hilft, eine junge Frau namens Renfri (Emma Appleton) zu töten, von der Geralt kurz zuvor vor den Anfeindungen durch die örtliche Bevölkerung bewahrt wurde. Renfri wurde als Prinzessin geboren, trug aber gemäß einer Prophezeiung Dunkelheit in sich, die sie angeblich zu einer Bedrohung für die Welt macht. Stregobor erwirkte ihre Verbannung aus ihrem Königreich und versuchte schon, sie als Kind erfolglos zu töten. Ihre Mutation macht sie unempfindlich gegenüber seiner Magie, sodass er auf Geralts Hilfe zählt, um sie umzubringen. Zugleich hofft Renfri auf Geralts Unterstützung, um Rache an Stregobor zu nehmen, der ihr Leben ruiniert und sie zu einer Gesetzeslosen gemacht hat. Der Hexer würde am liebsten keine Partei ergreifen, doch Ereignisse spitzen sich zu, Blut fließt und Geralt verdient sich den Beinamen Schlächter von Blaviken, was seinen Ruf nicht gerade aufbessert.

The Witcher Staffel 1 Bild 4Parallel folgen wir eine jungen, buckligen Frau namens Yennefer (Anya Chalotra), die von ihrem gehässigen Vater an eine vorbeireisende Zauberin (MyAnna Buring) für wenige Groschen verkauft wird. Yennefer befürchtet das Schlimmste, wird jedoch stattdessen in die Kunst der Magie eingewiesen, nachdem die Zauberin großes Potenzial in ihr gespürt hat. Die unsichere, bemitleidenswerte Frau entwickelt sich zu einer mächtigen, verführerischen und zielstrebigen Magierin, doch die Verwandlung hat auch ihren Preis, der sie verbittert macht.

Zu guter Letzt gibt es da noch die junge Prinzessin Ciri (Freya Allan). Ihr Königreich Cintra wird vom mächtigen Reich Nilfgaard überfallen und niedergebrannt. Ciri kann nur knapp entkommen, doch Nilfgaards Schergen heften sich an ihre Fersen. Ihre Bestimmung, so erklärt ihr ihre Großmutter (Jodhi May, die nur 25 Jahre älter als ihre Serien-Enkelin ist), liegt darin, Geralt zu finden.

Wie Euch vermutlich auffällt, ist wirklich viel los in der ersten "The Witcher"-Staffel. Der Zusammenhang der einzelnen Handlungsstränge und wohin die Reise der einzelnen Figuren führt, wird nur allmählich klar. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist zuweilen frustrierend und tempoarm, sodass man sich fragt, weshalb sich die Macherin für diese komplexe, verschachtelte Erzählweise entschieden hat. Aus narrativer Sicht macht es die Sache unnötig kompliziert. Erst ab der dritten Folge, wenn die Fäden langsam zusammenlaufen, stellt sich der Aha-Effekt ein. Höchstwahrscheinlich hätte die Besprechung davon profitiert, hätte Netflix die gesamte erste Staffel zur Sichtung bereitgestellt. Denn trotz diverser Einzel-Abenteuer von Geralt, bei denen er unterschiedlichen, toll designten Monstern begegnet, scheint es eine Serie zu sein, bei der das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Staffel anhand der ersten fünf Folgen zu beurteilen scheint also ein wenig so zu sein, als würde man ein Gericht beurteilen, bevor alle Gewürze drin sind.

The Witcher Staffel 1 Bild 5Nachdem man anfangs von den nach Kauderwelsch klingenden Begriffen überfordert wird, lernt man, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Rest vorerst als weißes Rauschen auszublenden. Übrig bleiben also dreigrößtenteils separate Geschichten mit ihren unterschiedlichen Qualitäten. Geralts Monsterkämpfe erinnern bei all ihren beeindruckenden Effekten an klassische Sonntagnachmittag-Unterhaltung. Die Rolle verlangt von Cavill bislang nicht viel ab. Phlegmatisch, mürrisch, grüblerisch und gelegentlich sarkastisch kann er gut. Eine größere Bandbreite haben die Emotionen seines Charakters nicht. Es ist im Prinzip Aragorn mit weißer Mähne. Für etwas humorvolle Auflockerung sorgt immerhin Joey Batey als Barde Jaskier, dessen Lied "Toss a Coin to Your Witcher" (deutsch: "Reichet Gold eurem Hexer") schnell zu einem Ohrwurm wird. Wenn die Serie allein aus ihren gemeinsamen Abenteuern bestehen würde, bei denen sie Ungeheuer bekämpfen, hätte ich auch gut damit leben können. Schauspielerisch entfällt der interessanteste Teil der Serie an Anya Chalotra als Yennefer, die eine wirklich gelungene Wandlung von einer vom Schicksal geplagten, niedergeschlagenen Frau zu einem selbstsicheren, betörenden Vamp vollbringt, ohne je die emotionalen Narben der Figur zu verbergen. Auch sonst wird nicht viel verborgen, darf Chalotra doch den Großteil der Nacktszenen der Staffel schultern.

The Witcher Staffel 1 Bild 6Über Ciris Abenteuer kann man leider bislang wenig sagen, außer dass ich mich immer gefreut habe, wenn die Handlung wieder zu Geralt oder Yennefer zurückkehrte. Die Figur wird sicher noch viel wichtiger werden, wenn sie denn endlich Geralt trifft, aber bislang kann ich weder ihrem Charakter noch ihrer trägen Nebenhandlung viel abgewinnen. Es ist nicht so, als seien die anderen beiden Handlungsstränge großartig, doch sie haben ihren Unterhaltungswert, insbesondere wenn sie sich nicht bierernst nehmen. Denn das funktioniert bei einer Serie mit so viel Nonsense am schlechtesten.

Wie jede andere Fantasyserie der nächsten Jahre wird auch "The Witcher" an "Game of Thrones"-Vergleichen nicht vorbeikommen. Jene Serie hat gezeigt, dass Fantasy im Fernsehen auf sehr hohem Niveau funktionieren kann. Doch es waren nicht die übernatürlichen Elemente oder die Drachen, die "Game of Thrones" zu einem weltweiten Zeitgeist-Phänomen gemacht haben. Es waren die komplexen Charaktere, die politischen Intrigen und die drastischen Wendungen, durch die die Serie herausstechen konnte. Okay, vielleicht auch die Drachen. "The Witcher" versucht, die gleiche Nische zu bedienen. Reichlich Sex und Gewalt gibt es auch hier, insgesamt spielt die Serie allerdings (noch) nicht annähernd in derselben Liga mit. Es gibt einen Unterschied zwischen komplex und konfus, und genau diesen führt die Netflix-Serie aktuell vor. Keine Vorwürfe kann man hingegen der Ausstattung, den sparsam, aber sehr effektiv eingesetzten Effekten und den Actionszenen machen. Gerade Geralts virtuose Schwertkämpfe sind makellos choreografiert. Ansonsten zeigt "The Witcher" Potenzial für Größeres, tut sich aber auch anfangs (unnötig) damit schwer, die Uneingeweihten an Bord zu bringen.

Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers (2019) Kritik

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmkritik

Star Wars: The Rise of Skywalker, USA 2019 • 142 Min • Regie: J.J. Abrams • Mit: Daisy Ridley, Adam Driver, John Boyega, Oscar Isaac, Ian McDiarmid, Carrie Fisher, Mark Hamill, Billy Dee Williams, Richard E. Grant, Domhnall Gleeson • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 18.12.2019 • Deutsche Website

Handlung

Ein Jahr nach der für den Widerstand verheerenden Schlacht von Crait, tritt eine neue Bedrohung für den galaktischen Frieden aus dem Schatten hervor. Der totgeglaubte Imperator Palpatine (Ian McDiarmid) sendet eine Botschaft, in der er seine Rache schwört und die neue Herrschaft der Sith ankündigt. Nicht nur der Widerstand ist von dieser Entwicklung beunruhigt, auch Kylo Ren (Adam Driver) sieht sich in seiner Machtposition als frischgebackener Oberster Anführer der Ersten Ordnung gefährdet. Auf eigene Faust spürt er Palpatine in einer entlegenen, unergründeten Ecke der Galaxie auf, mit dem Ziel, ihn zu töten. Doch der hinterlistige Sith-Lord macht ihm ein verlockendes Angebot. Er verspricht, seine gigantische Flotte von Sternenzerstörern in den Dienst der Ersten Ordnung zu stellen, mit deren Unterstützung der Widerstand und die gesamte Galaxie in die Knie gezwungen werden kann. Kylo Ren würde daraufhin seine Nachfolge als neuer Imperator antreten. Als Gegenleistung muss er jedoch den letzten Jedi, Rey (Daisy Ridley), finden und töten. Diese führt derweil ihre Ausbildung unter der Anleitung von Leia (Carrie Fisher) fort, spürt aber weiterhin ihre geheimnisvolle Verbindung zu Kylo, die sie aus dem Gleichgewicht bringt. Als die Rückkehr von Palpatine bestätigt wird, bricht sie mit ihren treuen Wegbegleitern Finn (John Boyega), Poe (Oscar Isaac), Chewie (Joonas Suotamo) und C3P0 (Anthony Daniels) auf die Suche nach der Heimatwelt der Sith auf. Kylo Ren und die Erste Ordnung bleiben stets dicht an ihren Fersen.

Kritik

"Lass die Vergangenheit sterben."

Dieser Aufforderung von Kylo Ren gehen Regisseur J.J. Abrams und sein Co-Autor Chris Terrio mit Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers ganz sicher nicht nach. Vielmehr ist ihr Film eine beschwichtigende Friedenspfeife an die spätestens nach Die letzten Jedi zerstrittene, polarisierte und zum Teil geradezu toxische Star-Wars-Fangemeinde. Mit dem Blick fest gerichtet auf einen möglichst versöhnlichen Abschluss der vor 42 Jahren begonnenen Reihe, geht der Film keinerlei Risiken ein und tischt vertraute Elemente, nostalgische Referenzen und haufenweise Fanservice auf. Das macht ihn nicht schlecht, denn dafür sind die Inszenierung und der Cast einfach viel zu gut, jedoch frustrierend einfallslos, während er einen vertrauten Punkt nach dem anderen von seiner Checkliste abhakt, um in die Gunst seiner Fans zurückzufinden. Bei all ihren Fehltritten in puncto Dialoge, Darsteller und CGI-Overkill, steckten in Lucas' Prequel-Trilogie weitaus mehr originelle Ideen als in Der Aufstieg Skywalkers.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 1In vielerlei Hinsicht fühlt sich der Film wie eine direkte Fortsetzung zu Abrams' Das Erwachen der Macht an, während Die letzten Jedi als schwarzes Schaf der Reihe so weit ignoriert wird, wie es der Umstand zulässt, dass es immer noch der unmittelbare Vorgänger ist. Das Erwachen der Macht verließ sich natürlich auch größtenteils auf Nostalgie und Ehrerbietung gegenüber der Original-Trilogie. Um die Magie von Star Wars nach den durchwachsenen Prequels zurückzugewinnen, war diese Herangehensweise aber auch notwendig, und ist aus meiner Sicht als eine Brücke vom Alten zum Neuen wunderbar aufgegangen. Die Basis war geschaffen, um das zu tun, was die Originalfilme im Verlauf der Trilogie auch gemacht haben: Die Zuschauer herauszufordern, zu überraschen und unerwartete Wege zu beschreiten. Genau das versuchte Rian Johnson mit Die letzten Jedi auch. Sein Film war nicht ohne Probleme. Einige fragwürdige Entscheidungen der Charaktere und die gesamte Sequenz auf dem Casino-Planeten Canto Bight störten den Fluss des Films. Doch es war auch ein mutiger Film, ein Film, der etwas gewagt hat, der den Erwartungen der Zuschauer ein Schnippchen geschlagen und die Sequel-Trilogie in eine ganz neue Richtung gebracht hat. Er griff nach den Sternen und hat sie vielleicht nicht immer erreicht, doch wie schon seinerzeit (der zugegebenermaßen bessere) Das Imperium schlägt zurück war er düster, furchtlos und radikal. Und wie ursprünglich auch Das Imperium schlägt zurück, hat er die Fans vor den Kopf gestoßen und war möglicherweise mitschuldig am Kassenflop von Solo: A Star Wars Story einige Monate später.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 2Also geht es nun an die Schadensbegrenzung, die Die letzten Jedi in einer seltsamen Position zurücklässt als das Mittelstück einer Trilogie, die sich nun überhaupt nicht wie eine Einheit anfühlt. Nicht nur macht Abrams einige von Rian Johnsons Ansätzen und Ideen im vertretbaren Rahmen rückgängig, in einer Szene stichelt der Film nicht einmal sonderlich subtil gegen seinen Vorgänger. Auch wenn ich mit dem Großteil der Kritik an den letzten beiden Filmen nicht einverstanden war, bestätigt Der Aufstieg Skywalkers letztlich einen großen Vorwurf der Fans: Die Macher hatten keinen genauen Plan für die neue Trilogie und mussten improvisieren. Vielleicht wäre das auch aufgegangen, wenn alle drei Filme von Abrams inszeniert worden wären, aber das ist eben nicht der Fall. Die gewählte Lösung dieses unlösbaren Problems ist ein loses Remake von Die Rückkehr der Jedi-Ritter, bei dem trotz vieler neuer Entwicklungen einem alles irgendwie vertraut vorkommt. Es ist natürlich cool, Billy Dee Williams zurück als Lando Calrissian zu sehen, doch weshalb er trotz seiner kurzen aber durchaus wichtigen Rolle erst jetzt ins Spiel kommt, wird auch nicht klar. Und wenn er eins der ikonischen Star-Wars-Zitate zum Besten gibt, fühlt sich das eher erzwungen denn organisch an. Kombiniert mit mehreren weiteren dick aufgetragenen Fanservice-Momente, macht der Streifen gelegentlich den Eindruck, die kostspieligste Fanfiction-Verfilmung aller Zeiten zu sein.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 3Der Film ist redlich darum bemüht, keine der vielen von seinen Vorgängern aufgeworfenen Fragen offen zu lassen. Wer jedoch auf die Erklärung von Palpatines Wiederauferstehung wartet, wird sich mit einem kryptischen Wort-für-Wort-Zitat aus Die Rache der Sith begnügen müssen. Die Wahrheit ist, dass seine Rückkehr ein weiterer Versuch ist, die beliebten Elemente der Originalfilme wieder aufleben zu lassen. Wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, Darth Vader zurückzubringen, hätte Abrams das sicherlich auch getan. Palpatines neuer Auftritt wird so gut es geht in die Handlung der Trilogie eingebunden, auch in dem Versuch, einen Bogen zu allen vorigen Filmen zu schlagen. Daraus entstehen für die Hauptfiguren Kylo und Rey durchaus einige mitreißende Szenen. Die Entscheidung, auf ihn als ultimativen Big Bad zurückzugreifen, wirkt jedoch uninspiriert, denn sein augenscheinlicher Tod am Ende von Die Rückkehr der Jedi-Ritter war bereits die perfekte Katharsis für Anakin Skywalker alias Darth Vader. Außerdem werfen Palpatines düsterer Heimatplanet und seine plötzlich aus dem Nichts auftauchende riesige Raumschiff-Flotte Fragen auf, mit denen man sich lieber nicht zu lange beschäftigt.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 4Auch wenn die Kritik bislang eher negativ klingt, spiegelt sie vor allem den Frust über Lucasfilms und Disneys Resignation vor den fordernden Fans wider. Einzelne Elemente, die bereits seit Das Erwachen der Macht gut funktioniert haben, bleiben auch hier erhalten. Trotz des unnötigen Schlenkers zurück zum Imperator und den Sith, ist Der Aufstieg Skywalkers immer noch die Geschichte von Rey und Kylo Ren, die bis auf einige wenige Momente gut gehandhabt wird. Adam Driver, der dieses Jahr schon in The Report und Marriage Story abermals bewiesen hat, was für ein großartiger Schauspieler er ist, verkörpert Kylo mit all der Zerrissenheit und den Gewissensbissen seiner Figur, die mit seiner Entschlossenheit, der dunklen Seite zu folgen, konkurriert. Daisy Ridley setzt ihre Entwicklung als Rey konsequent fort. Inzwischen deutlich souveräner im Umgang mit der Macht und dem Lichtschwert, wird sie dennoch unwiderstehlich zu Kylo und möglicherweise der Dunkelheit hingezogen. Auch ihre Vergangenheit lässt sie nicht los. Beide Figuren suchen den Weg zum inneren Frieden. Ihr fantastisch gefilmter Lichtschwertkampf auf den Ruinen des Todessterns in der stürmischen See ist eine bewegende, mitreißende Szene, in der in jedem Hieb Wut und Verzweiflung stecken. Es sind Szenen wie diese, die an die besten Momente von Star Wars erinnern. Auch während der unausweichlichen spektakulären Raumschlacht im dritten Akt gibt es eine atemberaubende Aufnahme, die die Herzen der Zuschauer vor Begeisterung höher schlagen lassen sollte.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 5Carrie Fishers Rolle als Leia wird mit Würde umgesetzt und es ist bemerkenswert, wie viel Abrams aus dem begrenzt verfügbaren Material der bereits vor drei Jahren verstorbenen Schauspielerin herausholen konnte. Auch das Widersehen mit Mark Hamill als Luke wird für inneren Beifall bei einigen Zuschauern sorgen. Die Hintergründe der Figur von Oscar Isaacs Poe werden endlich mehr erforscht, wodurch wir auch Keri Russell als taffe Kriminelle Zorri Bliss kennenlernen. Ihr geheimnisvoller Charakter bietet sich perfekt für eine Spin-Off-Serie oder zumindest Gastauftritte im Star-Wars-Universum an. Die Bromance zwischen Poe und Boyegas Finn stimmt weiterhin, aber der Film weiß, wie schon sein unmittelbarer Vorgänger, leider nicht so richtig was mit Finn anzufangen, sodass seine Figur mehr auf der Strecke bleibt als die anderen.

Inszenatorisch gibt es an dem Film kaum etwas auszusetzen. Die Effekte sehen wieder herausragend aus. Abrams bleibt bei den vielfältigen Kreaturen der Nutzung echter Modelle und Puppen treu, was für dieses zauberhafte Star-Wars-Feeling sorgt, das den Prequels zum Teil abhandengekommen ist. Der winzige Tüftler Babu Frik ist eins der Highlights des Films. John Williams' Musik ist natürlich wieder fantastisch, auch wenn sie weitgehend aus Variationen bekannter Stücke der Reihe besteht.

Star Wars Der Aufstieg Skywalkers (2019) Filmbild 6Dieses Jahr haben wir gewissermaßen das Finale von drei großen Popkultur- und Zeitgeist-Phänomenen erlebt. Avengers: Endgame gelang das unmögliche Kunststück, Marvels Kinouniversum nach 21 Filmen perfekt abzuschließen, ohne dabei viele Wünsche offen zu lassen oder Kompromisse einzugehen. Auf der anderen Seite des Spektrums fuhr "Game of Thrones" die finale Staffel mit Vollgas und wehenden Fahnen gegen die Wand. Der Aufstieg Skywalkers fällt irgendwo zwischen diese beiden Extreme. Auf seine Weise bringt er die Skywalker-Saga zu einem absolut vertretbaren, versöhnlichen Ende und schafft auf dem Weg dorthin sogar den einen oder anderen Höhepunkt. Andererseits fühlte sich ein so epischer Film selten so antiklimatisch an, weil man jederzeit das Gefühl hat, den Figuren voraus zu sein. Und ist "vertretbar" wirklich das, was sich Fans nach 42 Jahren als Abschluss einer der einflussreichsten und innovativsten Filmreihen überhaupt erhofft haben? Immerhin wird Der Aufstieg Skywalkers in einem Punkt der Original-Trilogie absolut gerecht: Er ist der schwächste der drei neuen Episoden.

Fazit

Der Aufstieg Skywalkers versucht innerhalb von fast zweieinhalb Stunden sehr viel unter einen Hut zu bringen, ist aber vor allem eins: bemüht. Bemüht um einen würdigen Abschluss der neunteiligen Filmreihe, bemüht um Versöhnung mit den Gegnern von Die letzten Jedi, bemüht um Nostalgie, Fanservice und Ehrerbietung, und bemüht um einen möglichst kleinen Nenner bei der Auflösung seiner Handlungsstränge. Der Film wird sicherlich weniger polarisieren als sein Vorgänger, lässt jedoch kaum Platz für Originalität und Mut zum Risiko. Damit wird er trotz einiger epischer, aufregender Momente als Finale dem für seinen Einfallsreichtum und reichhaltige Mythologie bekannten Franchise nur bedingt gerecht.

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Jumanji: The Next Level (2019) Kritik

Jumanji The Next Level (2019) Filmkritik

Jumanji: The Next Level, USA 2019 • 124 Min • Regie: Jake Kasdan • Mit: Dwayne Johnson, Karen Gillan, Kevin Hart, Jack Black, Danny DeVito, Danny Glover, Awkwafina, Rory McCann • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 12.12.2019 • Website

Handlung

Ein Jahr nachdem sie ihre lebensgefährlichen Abenteuer im Videospiel Jumanji überstanden haben, sind Bethany (Madison Iseman), Martha (Morgan Turner) und Fridge (Ser’Darius Blain) immer noch gute Freunde und pflegen regelmäßigen Kontakt zueinander. Lediglich der schüchterne Spencer (Alex Wolff) entfernt sich immer weiter von der Gruppe und seiner (inzwischen Ex-)Freundin Martha. Nachdem er im Adonis-Körper des unbesiegbaren Dr. Smolder Bravestone (Dwayne Johnson) stecken durfte, kommt er sich im wahren Leben unzulänglich vor. Als sein Frust den Kipppunkt erreicht, schmeißt er die von ihm heimlich wieder zusammengeschraubte verzauberte Konsole an und verschwindet in das Spiel. Bei der Suche nach ihm kommen seine Freunde schnell dahinter, was er getan hat, sodass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als Spencer nach Jumanji zu folgen. Doch das kaputte Spiel lässt sie die Avatare nicht selbst auswählen und zieht versehentlich auch Spencers mürrischen, gebrechlichen Großvater Eddie (Danny DeVito) und dessen ehemaligen Geschäftspartner und zerstrittenen Freund Milo (Danny Glover) hinein. Während Bethany in der realen Welt zurückbleibt und Martha wieder im Körper der taffen Kämpferin Ruby Roundhouse (Karen Gillan) landet, schlüpft Fridge zu seinem Verdruss in das Avatar Shelly Oberon (Jack Black). Die völlig verwirrten Eddie und Milo übernehmen die Avatare Smolder Bravestone und Mouse Finbar (Kevin Hart). Nicht nur die Rollenverteilung ist neu, sondern auch die Mission, die sie erfüllen müssen, bevor sie das Spiel verlassen können. Doch wo steckt Spencer?

Kritik

Es gibt einen einfachen Grund für die unablässige Welle von Reboots und Remakes aus Hollywood und es ist nicht der so häufig unterstellte Mangel an Kreativität. Die Wahrheit ist, dass in dem von allen Seiten geführten Kampf um die kostbaren, begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Konsumenten, Marken und Franchise-Titel mit hohem Wiedererkennungswert zu den wertvollsten Gütern gehören. Weshalb das Risiko einer unerprobten Geschichte ohne vorige Bekanntheit eingehen, wenn man von einer bereits existierenden Fangemeinde schöpfen kann? Das gilt auch, wenn man eigentlich eine völlig neue und unabhängige Geschichte erzählen will.

Paradox ist zugleich, dass sich in den letzten Jahren eine immer stärkere Aversion gegen Neuauflagen bekannter Stoffe herausgebildet hat. Um dieser Anti-Reboots-Mentalität vorzubeugen, machte Sony Jumanji: Willkommen im Dschungel vorletztes Jahr durch einen beiläufigen Verweis auf Robin Williams' Hauptfigur zum (sehr) losen Sequel des Originalfilms von 1995. Ansonsten hätte der Film seinen Titel einfach austauschen können und hätte mit seinem Vorgänger nicht mehr sonderlich viel gemeinsam. Der neue Jumanji war nicht mehr ein Reboot des alten als Joker ein Reboot von Taxi Driver ist. Und gerade das wirkte sich zum Vorteil des Films aus, denn er war ideenreich, clever, fühlte sich überraschend frisch an und war von jeglichen Franchise-Regeln losgelöst. Der Originalfilm, der wiederum auf dem gleichnamigen Kindebuch von Chris Van Allsburg basierte, bezog seinen Unterhaltungswert vor allem aus unterschiedlichen, als Rätsel präsentierten Gefahren, die das Brettspiel nach jedem Würfelwurf heraufbeschworen hat, und wirkte zuweilen sogar bedrohlich und schaurig. Die Neuauflage war hauptsächlich eine Körpertausch-Komödie, die mit ihrem toll zusammengestellten Cast punktete. Es funktionierte: Entgegen allen Erwartungen wurde Willkommen im Dschungel zum absoluten Publikumsrenner und Kassenhit, sogar in direkter Konkurrenz zum parallel laufenden Star Wars – Die letzten Jedi.

Jumanji The Next Level (2019) Filmbild 1Jumanji: Willkommen im Dschungel hat bewiesen, dass der Film auf ganz eigenen Beinen stehen konnte, sodass sein aktueller Nachfolger nunmehr auf jegliche Referenzen zum allerersten Jumanji verzichtet und auf dem stabilen Fundament seines unmittelbaren Vorgängers aufbaut. Getreu dem bewährten Motto "repariere nicht, was nicht kaputt ist" bringt Jumanji: The Next Level das gesamte Erfolgsteam des letzten Films vor und hinter der Kamera zurück, und vertraut auf die mehr oder weniger gleiche Formel mit kleinen Anpassungen. Das Körpertausch-Gimmick ist hier nicht mehr ganz so erfrischend, auch wenn die Autoren neue amüsante Twists eingebaut haben, die weitere Avatar-Wechsel innerhalb des Spiels ermöglichen. Das gibt einigen Darstellern, allen voran dem herrlich wandelbaren Franchise-Neuling Awkwafina (Ocean’s 8), die Gelegenheit, zwei völlig unterschiedliche Charaktere zu imitieren.

Jumanji The Next Level (2019) Filmbild 2Ohne den Neuheitswert des Vorgängers ist der Cast noch viel mehr gefordert, den Film zu tragen. Zum Glück bestehen die Darsteller diese Probe souverän. Die Neu- bzw. Umverteilung der Rollen verlangt von ihnen zum Teil noch mehr Wandelbarkeit als letztes Mal ab und zum Glück ist die Besetzung für jeden auch noch so albernen Spaß zu haben. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals über einen Film schreiben würde, aber in The Next Level ist es tatsächlich Kevin Hart, der seinen Co-Stars die Show stiehlt. Wirklich! Seine Imitation von Danny Glovers langsamer, bedächtiger Sprechweise (unbedingt im Original anschauen!) ist perfekt und die typischen Hart-Manierismen schraubt er angenehm um 90% herunter. Dwayne Johnsons Danny-DeVito-Nachahmung ist deutlich holpriger, doch das natürliche Charisma (oder "beeindruckende Intensität", wie das Spiel es nennt) des Stars zeigt wieder einmal, wie er zum bestbezahlten Schauspieler der Welt geworden ist. Jack Black spielt wieder Jack Black, wobei er noch mehr Spaß mit der Rolle einer tussigen Teenagerin zu haben schien als mit der einer Sportskanone wie hier. Karen Gillan ist die einzige des Quartetts, die weitgehend die gleiche Rolle verkörpert wie beim letzten Durchlauf des Spiels, hat sich aber auch weiterentwickelt. Die inzwischen deutlich selbstbewusstere Martha fühlt sich in Rubys durchtrainiertem Körper viel wohler und dadurch wird ihr Avatar dem offensichtlichen Vorbild Lara Croft noch ähnlicher als im Vorgänger – einschließlich einer neuen Tanz-Kampfeinlage, diesmal mit Nunchucks. Alles ist cooler mit Nunchucks!

Jumanji The Next Level (2019) Filmbild 3Bevor die actionreiche Nonstop-Achterbahnfahrt innerhalb des Spiels beginnt, traut sich der Film diesmal, mehr Zeit mit den Charakteren in der realen Welt zu verbringen und wirft dabei einige interessante Fragen auf. Lebensgefährliche Situationen schweißen bekanntlich zusammen, doch hält dieses Band auch langfristig an? Und was sind Videospiele, wenn nicht die Möglichkeit, der Realität zu entfliehen und Fähigkeiten zu bekommen, von denen man sonst nur träumen kann? Die Desillusion mit der realen Welt und das daraus resultierende Suchtpotenzial der Spiele – Spencers Flucht nach Jumanji ist nichts anderes als die Suche nach einem Rausch – sind interessante Themen, die sich im ersten Akt des Films andeuten und es sogar halbwegs glaubwürdig machen, dass die Figuren wieder im Spiel landen. Leider verflüchtigen sich diese Fragestellungen, sobald wir in die Welt von Jumanji eintauchen, geht dann es nur noch um den spielerischen Spaß. Lediglich die Zwietracht der alten Freunde Eddie und Milo bleibt als emotionaler Anker innerhalb des Spiels erhalten und führt trotz ihrer recht simplen Auflösung zu überraschend rührenden und menschlichen Momenten. Auch wenn daran mal ein Pferd beteiligt ist.

Jumanji The Next Level (2019) Filmbild 4Die eigentliche Action innerhalb des Spiels wirkt ähnlich austauschbar wie beim Vorgänger. Weder riesige Horden von aggressiven, teilweise mittelprächtig computeranimierten wilden Tieren noch die ausgefallenen Actionsequenzen in der Wüste oder auf morschen Hängebrücken lassen viel Spannung aufkommen, da man sich des Überlebens der Charaktere (innerhalb ihrer im Spiel gegebenen drei Leben) stets sicher ist. In ihren besten Momenten sind diese Szenen kurzweilig, dauern sie jedoch länger an, kommt es einem vor, als würde man jemandem beim Videospielen zuschauen. Andererseits, wenn ich an die sich mir nicht nachvollziehbare Popularität der "Let’s Play"-Szene denke, ist es vielleicht für viele auch kein Manko. Für etwas Abwechslung sorgen immerhin mehrere Landschaftswechsel und ein explosives Finale, das irgendwo zwischen Steampunk und Mittelalter angesiedelt ist. Als neuer eindimensionaler Spiel-Bösewicht Jurgen the Brutal lässt Rory McCann dabei sogar "Game of Thrones"-Erinnerungen wach werden.

Jumanji The Next Level (2019) Filmbild 5Es ist aber letztlich der Mischung aus Herz und Humor und sowie den Charakteren bzw. der Chemie ihrer Darsteller zu verdanken, dass der Spaß bei Jumanji: The Next Level trotz vieler Redundanzen zum Vorgänger nie zu kurz kommt. Eine Szene zu Beginn des Abspanns deutet zudem eine ganz neue (aber zugleich auch vertraute) Ausrichtung für die unausweichliche nächste Fortsetzung an, die tatsächlich sofort Lust auf mehr macht. Also nicht direkt aufspringen und den Saal verlassen!

Fazit

Jumanji: The Next Level wird seinem Titel gerecht und macht Sequel-typisch alles größer, schneller und abgedrehter. Ohne den Neuheitswert des Körpertausch-Gimmicks ist er dennoch nicht ganz so erfrischend und urkomisch wie sein Vorgänger, doch der wunderbare Cast, allen voran Kevin Hart, Karen Gillan und Neuzugang Awkwafina, und einige Twists in der bewährten Formel sorgen dennoch für heiteren, anspruchslosen Popcorn-Spaß über gesamte zwei Stunden Laufzeit.

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Parasite (2019) Kritik

Parasite, Südkorea 2019 • 132 Min • Regie: Bong Joon-Ho • Produktion: Kwak Sin-Ae, Moon Yang-Kwon, Jang Young-Hwan • Drehbuch: Bong Joon-Ho, Han Jin-Won • Mit: Song Kang-Ho, Choi Woo-Sik, Park So-Dam, Chang Hyae-Jin, Lee Sun-Kyun, Cho Yeo Jeong, Jung Ji-so, Jung Hyeon-Jun, Lee Jung-Eun • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 17.10.2019 • Website

Diese filmische Darstellung gewöhnlicher Menschen, die in ein unvermeidliches Chaos geraten, ist eine Komödie ohne Clowns und eine Tragödie ohne Bösewichte, die beide zu demselben Ergebnis führen werden – einem gewaltigen Durcheinander und einem Sturz, kopfüber die Treppe hinunter.“ (Bong Joon-Ho)

Mit diesen Worten fasst der südkoreanische Regisseur Bong, zuletzt bekannt durch Snowpiercer (2013) und Okja (2017), sein neustes Werk treffend zusammen. Wieder einmal ist es schwierig seinen Film zu kategorisieren. Was aber leicht fällt, ist diese Mischung aus schwarzhumorigem Drama, Sozialkommentar, Satire, Thriller und Horror als Meisterwerk zu bezeichnen. Vollkommen zu Recht hat Parasite bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme gewonnen. Regisseur und Co-Drehbuchautor Bong Joon-Ho ist es gelungen, einen ebenso unterhaltsamen wie anspruchsvollen Film zu drehen, der Zuschauer zuerst in einem Strudel von Emotionen festhält und dann leise befreit und mit nachdenklicher Miene nachhause schickt. Vielleicht nimmt man auf dem Weg seine Mitmenschen und sich selbst anders wahr als noch auf dem Weg zum Kino. Vielleicht ist Parasite der beste Film des Jahres. Definitiv hat er jedenfalls unsere Höchstwertung verdient!

Familie Kim ist ganz unten angekommen. Vater, Mutter, Sohn und Tochter leben in einer schäbigen Kellerwohnung, kriechen für kostenloses W-LAN in jeden Winkel und sind sich für keinen Aushilfsjob zu schade. Mit der Anstellung als Nachhilfelehrer bei der reichen Familie Park gewinnt der Jüngste den ersehnten Ausweg aus der Arbeitslosigkeit und zugleich den Eintritt in einen aberwitzigen und bitterbösen Klassenkampf. Mit Tricksereien, Talent und Teamgeist gelingt es Familie Kim alle bisherigen Bediensteten der Familie Park aus der Villa zu stoßen und sich selbst als unverzichtbar für ihre neuen Herrschaften zu behaupten. Doch für die Kims wird es zunehmend schwieriger, ihre wahre Identität und Verwandtschaft geheim zu halten. Nach einem unerwarteten Zwischenfall steht ihre „Vetternwirtschaft“ erst recht auf dem Spiel…

Auch in der realen Welt würden sich die Wege der arbeitslosen Protagonisten und der reichen Familie Park wohl kaum kreuzen, außer sie stehen in einem Arbeitsverhältnis zueinander. Und hier prallen die Welten der reichen Arbeitgeber und armen Arbeitnehmer lautstark aufeinander. Die Prämisse des Films allein ist üppiger Nährboden für beste Unterhaltung. Man kann kaum erwarten, zu sehen wie die Kims es wohl anstellen werden, sich bei den Parks einzunisten ohne aufzufliegen. Sobald sich Sohn Ki-Woo (Choi Woo-Sik) seine Stelle als Nachhilfelehrer gesichert hat, missbraucht er das Vertrauen seines Arbeitgebers, um auch dem Rest seiner Familie den Weg nach oben zu ebnen.

Der Zuschauer lernt schnell, dass die Familie es faustdick hinter den Ohren hat. Ihr dreister Einfallsreichtum, mit dem sie ihren Plan zum sozialen Aufstieg ausführen, ist faszinierend und urkomisch. Voller Vorfreude geht man aus jeder Szene in die nächste und schüttelt begeistert mit dem Kopf, während einer nach dem anderen bei den Parks einzieht. Im Zuge dessen fragt man sich logischerweise wieso diese vermeintliche Versagerfamilie es eigentlich nicht auf „normalem“ Wege geschafft hat, zu Wohlstand zu gelangen. Jeder einzelne von ihnen hat die Begabung oder das Wissen, sich seinen (beruflichen) Traum zu erfüllen und theoretisch erlaubt es das demokratisch-kapitalistische System auch. Theoretisch… Chancengleichheit ist hier zwar kein vorrangiges Thema, aber es macht sich immer bemerkbar, wenn man sich wieder vor Lachen schüttelt.

Man kann gar nicht genug betonen wie klar Bong seine Botschaft von der Unmöglichkeit des Zusammenlebens, vom Kampf um Glück vorträgt. Zwei Aspekte sind dafür maßgeblich: Der Filmemacher bedient sich keiner kryptischen Bilder, sondern skizziert das soziale Verhältnis der Figuren ganz augenscheinlich. Waren es in seinem ebenfalls hervorragenden, aber nicht ganz so reibungslosen Überraschungshit Snowpiercer (2013) (unsere Kritik) noch die Privilegierten vorne im futuristischen Zug nach der Apokalypse gegen die Ausgebeuteten im hinteren Zugabteil, kämpfen hier die Reichen von oben gegen die Armen von unten – und die unten gegeneinander. Und als hätten diese es nicht schon schwer genug, sind sie sogar dann die einzigen Leidtragenden, wenn höhere Gewalten wie Unwetter über die gesamte Gesellschaft hereinbrechen. Diese konträre Präsentation ist glücklicherweise kein bisschen plakativ, was an der genialen Figurenzeichnung liegt und womit wir zum zweiten Aspekt kommen.

Die Sympathieverteilung in Parasite ist homogen, wodurch wir nicht zwischen guten und bösen Personen unterscheiden können. Familie Kim nutzt die Gutgläubigkeit der Familie Park schamlos aus, hat aber nicht zuletzt aufgrund ihres liebevollen Füreinanders stets einen Platz in unserem Herzen. Familie Park ist reich und ignorant, aber so überaus freundlich und fair gegenüber ihren Angestellten, dass sie sich den Platz mit ebenjenen teilen müssen. Auch wenn das Machtverhältnis völlig unausgeglichen ist und Familie Park immer am längeren Hebel sitzen wird, so mag man sie trotzdem nicht so recht dafür schuldig machen. Es ist nicht so als hätten sie nicht auch hart für ihren Status gearbeitet und dafür, dass sie in unbeobachteten Momenten zutiefst verletzende Dinge über Vater Kim Ki-Taek (Song Kang-Ho) sagen, mag man ihnen auch nicht wirklich übel nehmen. Der Einzelne wird nicht prinzipiell für das bittere Los des Anderen, nicht für die ökonomische Ungleichheit verantwortlich gemacht, sondern das System beziehungsweise die Gesellschaft als Ganzes – Karl Marx lässt grüßen. Dieser Umstand im Film ist deshalb so genial, weil wir uns als Zuschauer insbesondere zu dessen Ende hin auf das Wesentliche konzentrieren können.

Parasite ist ein sozialkritischer Rundumschlag im Hier und Jetzt. Die Geschichte könnte die unserer Nachbarn, Freunde und Kollegen sein; eine ähnliche können wohl die meisten von sich erzählen. Aber können wir uns das gegenseitig zum Vorwurf machen? Wer ist hier eigentlich der Parasit? Die Versuchung, anderen die Schuld für die ökonomische Ungleichheit zu geben und bequeme, einseitige Lösungsansätze zu unterstützen, ist groß. Letzten Endes versuchen alle mit mehr oder (viel) weniger Skrupel im vorherrschenden System zu überleben, welches das eigentliche Problem darstellt. Was sich jeder allerdings selbst vorwerfen könnte, ist nicht hart genug an der Lösung dieses Problems zu arbeiten. Dieser Film ist eine ehrliche Allegorie auf die Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft, in der ein glückliches Zusammenleben immer schwieriger erscheint. Keine leichte Kost, doch Bong hat genau die richtigen Zutaten gefunden, um das Ganze leicht verträglich und jedem schmackhaft zu machen. Dazu zählen auch die Schauspieler, die miteinander wie ein Ensemble harmonieren und von denen jeder einzelne, auch nach einem kurzen Auftritt, einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Fazit

Die besten Filme guckt man mit seinem ganzen Körper. Das Herz schlägt schneller, der Bauch verkrampft sich, man weint, lacht und kaut an seinen Fingernägeln. Ich selber kann kaum nachzählen wie oft mich der vollkommen zu Recht gefeierte Regisseur aus Südkorea dieses Mal laut auflachen oder beinahe vom Platz hat aufspringen lassen, so euphorisch kann dieses Genie machen. Bong Joon-Ho erzählt seine Geschichte mit bösem Humor, spektakulären Bildern und Lust an der radikalen Zuspitzung der Verhältnisse. Er überschreitet Genregrenzen und nutzt diese Freiheit, um uns zu unterhalten. Und noch nie hat er das so gut gemacht wie mit Parasite.


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Doctor Sleeps Erwachen (2019) Kritik

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Doctor Sleep, USA 2019 • 151 Min • Regie & Drehbuch: Mike Flanagan • Mit: Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran, Zahn McClarnon, Emily Alyn Lind, Cliff Curtis • Kamera: Michael Fimognari • Musik: The Newton Brothers • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 21.11.2019 • Website

Wenn es um die besten Horrorfilme aller Zeiten geht, ist Stanley Kubricks „Shining“ in nahezu jeder Top-10-Liste aufzufinden. Doch wie bei jedem Meisterwerk, gibt es auch hier kritische Gegenstimmen – der prominenteste Vertreter: Der Autor der Romanvorlage, Stephen King. Zu kalt und klinisch ist dem Gruselkönig die freie Adaption unter der Aufsicht des Perfektionisten Kubrick ausgefallen. Die Geister, die in dem Bestseller den Hausmeister Jack Torrance quälten, suchte der Ausnahmeregisseur vor allem in der überforderten Psyche seines Antagonisten und auf dem Boden von dessen Whiskeyglas. Der Spuk im isolierten Overlook-Hotel diente dabei eher nur noch als Hintergrundkulisse einer Abwärtsspirale in den Wahnsinn. 1997 durfte Miniserien-Guru Mick Garris den Stoff noch einmal mit dem Segen Kings – aber ohne eigene Vision – im TV-Format runterkurbeln, bevor 2013 die Romanfortsetzung „Doctor Sleep“ folgen sollte. Mit deren Verfilmung unter dem recht irritierenden deutschen Titel „Doctor Sleeps Erwachen“ wagt Regisseur Mike Flanagan nun den nicht ganz einfachen Spagat, stilistisch an Kubricks Werk anzuschließen und trotzdem die darin vorgenommenen Story-Abänderungen im Sinne des Autoren wieder auszubügeln. Wer also die Bücher oder die Garris-Version nicht kennt, sollte sich im Vorfeld mit der Ursprungsgeschichte vertraut machen, um von gewissen Anschlüssen nicht verwirrt zu werden.

Doctor Sleeps Erwachen 1

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Danny Torrance, der als Kind den blutigen Amoklauf seines alkoholkranken Vaters miterleben musste und sich als Erwachsener (Ewan McGregor) selbst mit dieser Sucht konfrontiert sieht. Danny verfügt über eine besondere Begabung, die ihn mit den wenigen Gleichgesinnten telepathisch in Kontakt treten lässt. Die durchdringenden Rufe dieses sogenannten Shining versucht er mit seinem extremen Alkoholkonsum zu unterdrücken, doch droht ihn dieser Lebensstil zunehmend zu Grunde zu richten. Der Versuch eines Neuanfangs führt ihn in eine Kleinstadt, wo der inzwischen trockene Danny eine Anstellung in einem Altenheim erhält. Dort bekommt er von den Bewohnern bald den Spitznamen Doctor Sleep aufgedrückt, da er den Sterbenden die Angst vor dem Übertritt auf die andere Seite nimmt und sie so sanft entschlafen können. Inzwischen ist er ebenfalls wieder in übersinnlichem Kontakt mit der Teenagerin Abra (Kyliegh Curran), die durch ihre besonders starken Kräfte den bestialischen Mord an einem Jungen (Jacob Tremblay) ansehen musste. Abra bittet Danny um Hilfe, denn offenbar macht eine mysteriöse Sekte mit dem Namen True Knot unter der Führung der grausamen Rose The Hat (Rebecca Ferguson) Jagd auf Träger des Shining, da das Aufsaugen der besonderen Energie ihnen ein nahezu ewiges Leben beschert …

Doctor Sleeps Erwachen 2

Nicht erst mit der herausragenden Netflix-Serie „Spuk in Hill House“ hat sich Mike Flanagan einen Namen als stabile Hausmarke im modernen Horror(heim)kino gemacht. Bereits 2011 fiel der Regisseur mit seinem unheimlichen Indie-Werk „Absentia“ angenehm auf und festigte seinen Ruf als Beschwörer des schleichenden Grauens mit den Nachfolgern „Oculus“, „Before I Wake“ und „Still“ nachhaltig. Seine Adaption von Stephen Kings makabrem Roman „Das Spiel“ war die zweifellos beste Umsetzung aus dem Fundus des Autoren seit Frank Darabonts „Der Nebel“ und mit „Doctor Sleeps Erwachen“ beweist er erneut, dass sein in hypnotischen Bildern verpackter Ansatz jeden noch so erfolgreichen hyperaktiven Killerclown in der Effektivität um Welten schlägt. Mit einer Länge von über zweieinhalb Stunden entführt Flanagan die Zuschauer auf eine gefährliche Reise, während der die hellen Lichter von der sich ausbreitenden Finsternis verschluckt zu werden drohen. Anders, als das in vielen aktuellen Produktionen der Fall ist, versucht er hier nicht etwa, dem Genre durch den Einsatz vordergründiger Schocks gerecht zu werden. Irgendwo zwischen Clive Barkers magischem Detektiv-Krimi „Lord of Illusions“ und Kathryn Bigelows innovativem Vampir-Western „Near Dark“ verschmelzt der Regisseur und Drehbuchautor einen treibenden Verfolgungs-Thriller mit der emotionalen Suche einer schmerzerfüllten Seele nach Erlösung.

Doctor Sleeps Erwachen 3

Auf den Schultern von Hauptdarsteller Ewan McGregor liegt zunächst die Last, das Wunderkind aus Kubricks Klassiker glaubhaft in einen gebrochenen Erwachsenen zu transportieren, dessen Vergangenheit ihn nie ruhen lassen hat. So nimmt sich der Film dann zu Beginn ausreichend Zeit, aus diesem trotz der scharfen Kanten einen letztlich sympathischen Helden zu formen. Als Herzstück und Motor der Handlung bekommt er die von der Newcomerin Kyliegh Curran exzellent verkörperte Abra zur Seite gestellt, die Danny an den Verlauf seiner eigenen Vita erinnert. Das wahre schauspielerische Highlight stellt aber die aus dem „Mission: Impossible“-Franchise bekannte Rebecca Ferguson dar. Als geheimnisvolle Rose The Hat gibt sie lange eine sinnliche Schurkin, bis eine überaus schockierende Szene sie als sadistische und kaltblütige Mörderin ins Gedächtnis brennt. Zugleich Führerin und Verführerin, lenkt sie mit ihrer Rechten Hand Crow Daddy (Zahn McClarnon) auch verirrte Begabte auf den falschen Pfad, um deren unterschiedliche Talente bei den blutigen Streifzügen auszunutzen. Während einer Konfrontation mit Rose The Hat wird deutlich, dass auch Danny aufgrund seiner Schwäche ein leichtes Opfer für die Gefolgschaft hätte werden können.

Doctor Sleeps Erwachen 4

Abgesehen von einigen – sehr gelungenen! – audiovisuellen Anknüpfungspunkten an Stanley Kubricks Film ist „Doctor Sleeps Erwachen“ ein gänzlich eigenständiges Werk, das sich mit seiner emotionalen Erdung wieder mehr den Schriften Kings zuwendet, aber gleichzeitig ein echter Flanagan ist. Als minimalen Schönheitsfehler im sagenhaft atmosphärischen Grusel-Thriller lässt sich vielleicht ein etwas überhasteter erster Showdown ausmachen, der jedoch nicht weiter ins Gewicht fällt. Mit einem eindringlichen Sounddesign, das oft nur aus frostigen Windgeräuschen oder einem bebenden Herzschlag besteht, sieht der Regisseur außerdem von einer dauerhaften Musikbeschallung ab und lässt auch auf der Klangebene die Nackenhaare aufstellen. Als besonders eindrucksvoll ist hier das erste Aufeinandertreffen von Rose The Hat und Abra auf einer überirdischen, fast schon psychedelischen Ebene zu nennen.

Mit seiner epischen Laufzeit ist „Doctor Sleeps Erwachen“ eine lange aber nie langweilige Symphonie des Grauens, deren ghuliges Finale zu einem versöhnlichen Epilog leitet – und in einer der besten King-Adaptionen überhaupt mündet.


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Terminator: Dark Fate (2019) Kritik

Terminator Dark Fate (2019) Filmkritik

Terminator: Dark Fate, CN/USA 2019 • 128 Min • Regie: Tim Miller • Mit: Natalia Reyes, Mackenzie Davis, Gabriel Luna, Linda Hamilton, Arnold Schwarzenegger • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 24.10.2019 • Deutsche Website

Handlung

Sie hat die Zukunft der Menschheit verändert, ihren Untergang aufgeschoben, aber nicht verhindert. Etwa 25 Jahre nachdem Sarah Connor (Linda Hamilton) die Entwicklung von Skynet aufgehalten hat, landet der neue hochentwickelte Terminator REV-9 (Gabriel Luna) aus der Zukunft in Mexico City mit dem Ziel, die junge Dani Ramos (Natalia Reyes) zu eliminieren. Bevor er seinen Auftrag ausführen kann, wird Dani in letzter Sekunde von der taffen Zukunftssoldatin Grace (Mackenzie Davis) gerettet. Grace stammt aus dem Jahr 2042, ihr Körper wurde durch maschinelle Zusätze aufgebessert, damit sie dem Kampf gegen die Killer-Cyborgs standhalten kann. Dem überlegenen REV-9 ist sie dennoch kaum gewachsen und ergreift mit Dani die Flucht. Lediglich durch das plötzliche Auftauchen der schwerbewaffneten Sarah Connor können sie in letzter Sekunde gerettet werden. Während Dani die neue Welt um sie herum zu begreifen versucht, müssen die beiden argwöhnischen Kriegerinnen lernen, sich gegenseitig zu vertrauen, um sie zu beschützen. Doch auch ihre vereinten Kräfte reichen nicht aus, um REV-9 aufzuhalten. Könnte ihnen vielleicht ein mysteriöser Fremder helfen, der Sarah Connor die Koordinaten geschickt hat, die sie zu Grace und Dani führten? Während sich das Trio über die Grenze in die USA durchschlägt, bleibt ihnen der von seiner programmierten Mission getriebene REV-9 dicht auf den Fersen.

Kritik

Die ersten zwei Terminator-Filme von James Cameron sind Meilensteine des Science-Fiction-Kinos. Es ist selten, dass man das gleich von zwei Teilen eines Franchises behaupten kann, aber im Falle des minimalistischen, extrem gradlinigen ersten Films und seiner ambitionierten, bahnbrechenden Fortsetzung, die den ersten Film einerseits wiederholte und andererseits völlig auf den Kopf stellte, wird wohl kaum jemand widersprechen. Danach wird’s schwierig, denn mit drei weiteren Sequels und einer kurzlebigen TV-Show wurde der Terminator-Kanon chaotisch und wirr. Vorhang auf für James Cameron, der 2019 nach 35 Jahren die nordamerikanischen Rechte an der Reihe wieder erhalten hat. Unzufrieden damit, was aus seinem Franchise geworden ist, schritt er nach dem Kassenflop von Terminator: Genisys als Produzent und Ideengeber des neuen Teils aktiv ein. Gemäß Hollywoods neuster Methode, ausgelaugten, in den Sand gesetzten Franchises neues Leben einzuhauchen, sollte der neue Film die Existenz aller Filme nach Camerons eigenem Zweiteiler ignorieren und diesen direkt fortsetzen. David Gordon Green hat das letztes Jahr schon mit Halloween vorgemacht.

Terminator Dark Fate (2019) Filmbild 1Es ist natürlich ein hehres und vielleicht auch unrealistisches Ziel, an die ersten zwei Terminator-Filme anknüpfen zu wollen, die jeweils auf ihre Weise das gesamte Genre prägten. Wie schon der letztjährige Halloween, ist auch Terminator: Dark Fate letztlich nicht mehr und nicht weniger als eine handwerklich sehr solide Fortsetzung, die inhaltlich zwar ihre ikonischen Vorgänger fortführt, deren zusätzlicher Beitrag und Mehrwert nicht erheblich über den der bisherigen Sequels hinausgeht.

Das größte Verkaufsargument des Films ist die Rückkehr von Linda Hamilton als Sarah Connor, die in Terminator 3: Rebellion der Maschinen kurzerhand für tot erklärt wurde. Auch wenn viele Arnold Schwarzenegger primär mit den Terminator-Filmen assoziieren, waren die ersten zwei Teile im Kern Sarah Connors Geschichte und folgten ihrer Verwandlung von einer naiven Kellnerin zur knallharten Badass-Mutter des Zukunftsmessias. Dark Fate rückt die Perspektive wieder zurecht, indem er Sarah wieder zu einer zentralen Figur macht. Das verdeutlicht der Film bereits in seiner Eröffnung, in der wir die Videoaufnahmen von Sarah in der Nervenheilanstalt aus dem zweiten Film sehen. Als Mitbeschützerin einer neuen ahnungslosen jungen Frau, die von einer Killermaschine gejagt wird, schließt sich für sie in Dark Fate der Kreis. Als ältere Sarah ist Hamilton noch zäher, abgebrühter, aber auch traumatisierter, als wir sie zuvor gesehen haben.

Terminator Dark Fate (2019) Filmbild 2Hamilton hat den Powerfrau-Status im Film jedoch nicht allein, denn seine größte Offenbarung ist Mackenzie Davis (Blade Runner 2049) als mutige Soldatin Grace, die Dani aufopferungsvoll und um jeden Preis beschützen will. Körperlich und emotional steckt Davis alles in ihre Performance. Ihre Statur, ihr gestählter, von Narben übersäter Körper und der wild entschlossene Blick in ihren Augen lassen sie sehr glaubwürdig als eine Kriegerin wirken, die furchtlos in den Kampf gegen einen Terminator zieht. Zugleich wird es auch immer wieder deutlich, welchen schmerzhaften Preis sie für die an ihr vorgenommenen Veränderungen zahlen muss. Neben diesen beiden taffen Frauen wirkt Natalia Reyes als neue Auserwählte etwas blass und es fällt nicht ganz leicht, ihr ihre spätere enorme Bedeutung abzukaufen.

Terminator Dark Fate (2019) Filmbild 5Doch was wäre ein Terminator-Film ohne die titelgebenden Cyborgs? Diese sind in der Haupthandlung doppelt vertreten. Gabriel Luna macht halbwegs erfolgreich einen auf Robert Patrick. Die Idee, dass sein Terminator sich "verdoppeln" kann, indem seine Flüssigmetall-Hülle unabhängig von einem festen Metallskelett agieren kann, sorgt für einige sehr cool aussehende Momente, doch letztlich beweist der Film abermals, dass man den T-1000 als ultimatives, unaufhaltsames Modell einfach nicht toppen kann. Keins der späteren Modelle wirkte gefährlicher oder fortgeschrittener, und da ist REV-9 auch keine Ausnahme. Arnold Schwarzenegger ist wieder als T-800 mit von der Partie, und das in einer deutlich wichtigeren Rolle als die Trailer haben vermuten lassen. Seine Darstellung in dem Film wird sicherlich zum größten Streitpunkt unter vielen Fans werden. Einerseits ist es eine natürliche Weiterentwicklung dessen, was wir bereits Terminator 2 gesehen haben; andererseits geht sie so weit, dass sie an die Grenzen jeglicher Logik stößt. Aber Logik gehörte sowieso nie zu den Stärken der Reihe. Die Rolle ermöglicht Schwarzenegger eine Performance mit der für ihn bislang größten Bandbreite im Franchise (was natürlich nicht viel bedeutet). Doch während Hamilton und er den Film in seinen Wurzeln verankern, ist es Davis' furioser Auftritt, der einen besonders bleibenden Eindruck hinterlässt.

Terminator Dark Fate (2019) Filmbild 3

Arnies Rolle in dem Film stellt eine gewisse Evolution dar, der Film selbst ist jedoch vielmehr ein Best-Of der beiden Teile, die er fortsetzen will, aufgepeppt mit modernsten Effekten. Es ist eine ähnliche Herangehensweise wie bei Star Wars – Das Erwachen der Macht. Die besten Momente und Ideen aus Terminator und Terminator 2 werden mit einer guten Portion Fanservice wieder aufgearbeitet. Dinge haben zum Teil einen anderen Namen – so gibt es statt Skynet nun Legion – aber am Prinzip ändert sich nichts. Kurioserweise bedient sich der Film auch einiger Elemente aus den "ausgelöschten" Fortsetzungen. So ähnelt das Konzept von REV-9 (innen fest, außen flüssig) dem von T-X aus Terminator 3, Grace erinnert als Mensch-Cyborg-Hybrid an Sam Worthingtons Marcus aus Terminator: Die Erlösung, und einen gealterten, an die Menschheit angepassten T-800 haben wir in Genisys schon gesehen. Dark Fate nimmt die Details, die gut funktionierten, verwirft den Rest, und mischt sie unter die DNA von Camerons Filmen. Das Ergebnis ist gute Unterhaltung, die aber ebenso wenig in die Filmgeschichte eingehen wird, wie ihre unmittelbaren Vorgänger.

Terminator Dark Fate (2019) Filmbild 4Vielleicht ist es auch unfair zu erwarten, dass ein neuer Film an die Messlatte der ersten zwei herankommen kann, die in einer ganz anderen Ära erschienen sind. Vielleicht beweist Terminator: Dark Fate aber auch, dass man Perfektion nicht einfach nachahmen kann. Als Nonstop-Actionfeuerwerk geht Dark Fate nie die Luft aus und Tim Miller (Deadpool) inszeniert die Actionsequenzen mit Elan, spürbarer Rasanz und dezenter Brutalität. Die Computereffekte schwanken zwar zwischen großartig (insbesondere in einem gewissen Flashback) und offensichtlichem Greenscreen, doch die Ambitionen der großangelegten Actionszenen lassen gelegentlich den Atem stocken.  Letzten Endes fehlen dem Film die Innovation und der Mut zum Risiko, und er verlässt sich lieber auf Bewährtes. Das macht ihn nicht verkehrt, aber auch nicht so sehr der ersten zwei Teile würdig, wie Cameron es gerne hätte.

Fazit

Tim Millers Terminator: Dark Fate überzeugt als rasantes Actionspektakel, das die besten Elemente der ersten zwei Filme im neuen Gewand wiederverwertet und mit starken Auftritten von Mackenzie Davis und Linda Hamilton als taffe, aber traumatisierte Kriegerinnen punktet. An der hochgesteckten Ambition, an James Camerons Genre-Meilensteine würdig anzuknüpfen, scheitert er jedoch mangels Innovation und Risikobereitschaft. In sich gut abgeschlossen, macht der Film immerhin nicht den Fehler seines aus dem Kanon gelöschten Vorgängers, mögliche Sequels zu stark anzudeuten, die vielleicht nicht kommen werden.

Trailer

Joker (2019) Kritik

Joker, USA 2019 • 122 Min • Regie: Todd Phillips • Produktion: Todd Phillips, Bradley Cooper, Emma Tillinger Koskoff • Drehbuch: Todd Philipps, Scott Silver • Mit: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 10.10.2019 • Website

Was hat man nicht für Luftsprünge gemacht, als bekannt wurde, dass Charakterdarsteller Joaquin Phoenix (Walk the Line, Her) einen der faszinierendsten (Comic)Bösewichte verkörpern wird, noch dazu als Hauptfigur. Die Nachricht war eine erlösende Verheißung. Endlich werden wir wieder einen tollen Joker sehen. Endlich werden wir wieder einen ernsthaft guten DC-Film sehen! Heath Ledgers einzigartige und posthum oscarprämierte Verkörperung des mordenden Clowns in Christopher Nolans The Dark Knight (2008) blieb nach dessen tragischen Tod leider auch die einzige und Jared Letos (Requiem for a Dream, Blade Runner 2049) mehr als eigenwilliger Joker im unterirdisch schlechten Suicide Squad (2016) (unsere Kritik) führte zu Ernüchterung: Das war es dann wohl. Nur zwei Joker, die man sich in nur zwei guten Filmen immer wieder ansehen kann: Jack Nicholson in Batman (1989) und Heath Ledger. Aber jetzt haben uns Regisseur Todd Phillips (Road Trip, Hangover) und Joaquin Phoenix einen dritten beschert! Und der ist fast perfekt…

Mit Joker tritt Todd Phillips in die Fußstapfen von Alan Moore und geht der Frage nach, wie man zum gleichnamigen Schurken wird. In dessen Comic Batman: The Killing Joke von 1988 – klare Leseempfehlung an dieser Stelle – fasst es Mastermind Moore mit den Worten „Alles, was es braucht, ist ein schlechter Tag.“ zusammen. Wenn man einen niederschlagenden Lebenslauf vorweisen kann, ist das nachvollziehbar und damit guter (Zünd)Stoff, mit dem wir uns als Leser beziehungsweise Zuschauer identifizieren können. Na, dann wollen wir mal!

Der einsame Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sucht im verrußten und sozial unausgeglichenen Gotham City nach Anschluss. In dieser feindseligen Stadt schlägt er sich als Clown durch und bringt mit seinem Verdienst mehr schlecht als recht auch seine bettlägerige Mutter Penny (Frances Conroy) über die Runden. In seiner Freizeit träumt Arthur seinem Idol, dem Comedian und Fernsehstar Murray Franklin (Robert De Niro), nach. Doch Arthurs Anstrengungen, es ihm gleichzutun, scheitern und so entfernt sich der soziale Außenseiter weiter von seinen Mitmenschen…

Gleich zu Beginn steht Arthur Fleck, der sich gerade für seinen Job als Verkaufsclown schminkt, im Fokus und zieht die Kamera langsam an sich heran, bis es nicht noch näher geht. Und dann wird ohne ein Wort alles gesagt, was man über diesen Mann wissen muss. „My mother always tells me to smile and put on a happy face…“, erklärt er später. Doch vor dem Schminkspiegel sehen wir, dass dieses Credo ihm mehr Bauchschmerzen bereitet, als motiviert. Er zwingt sich ein Lächeln auf und überlebt gerade so einen weiteren unglücklichen Tag. An diesem wird er auch noch von Jugendlichen verprügelt, ehe er seiner Sozialarbeiterin klar macht, dass es rein gar nichts in seinem Leben gebe außer negativen Gedanken.

Es gibt nichts zu lachen und doch ist das erste, was der Zuschauer nach der Titeleinblendung sieht, ein Lachkrampf der Titelfigur. In den nächsten Momenten hatte ich gleich mehrere Ideen, warum Arthur sich nicht mehr einkriegt. Allmählich wirkt es eher verkrampft, dann schneidet man zur ernst dreinblickenden Frau gegenüber, bis Arthur sich wehleidig beruhigt und schließlich in fast schon philosophischer Reflektion fragt, wer hier eigentlich verrückt sei. Als würde er für eine Rolle vorsprechen – tut er aber nicht. Kurz darauf entpuppt sich sein Lachen als Krankheit und tragisches Handicap. Die Einführung seiner Figur ist eine lakonische Antithese und spiegelt die Essenz seiner zerrissenen Persönlichkeit sowie dessen Problematik, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wider.

Joker ist eine eingehende Charakterstudie und keine Präsentation der berühmt berüchtigten Mordspiele des verrückten Clowns, auch nicht mit voranschreitender Spielzeit. Das heißt beileibe nicht, dass wir keine Gewaltausbrüche serviert bekommen, doch sind diese wohl bedacht portioniert und im Grunde auch nicht mehr als eben genau das. Grausame Taten eines unberechenbaren Mannes, der sich gegen eine scheinbar gegen ihn gewandte Gesellschaft wehrt.

Im Kern handelt der Film von der Suche nach Anerkennung. Und was freut jemanden mehr, als wenn andere über unsere eigenen Witze lachen? Das ist eine wunderbare Bestätigung. Arthurs traurige Erfahrung jedoch ist, dass wirklich niemand ihn lustig findet und daran verzweifelt er. Dass er nicht begreift, weshalb er nicht witzig ist, lässt uns wiederum im Kino verzweifelt mitfühlen. Es geht einen ziemlich nahe, wenn dieser ohnehin schon labile, aber stets bemühte Mensch immer und immer wieder enttäuscht und getäuscht, gescholten und geschlagen, ausgegrenzt und ausgelacht wird. Solange Arthur nicht erkennt, dass er auch durch akribisches Hinarbeiten nicht zu einem Stand-up-Comedian werden kann, bleibt er unglücklich. Das ist einfach nicht er. Aber wie soll man zu jemand anderen werden, wenn man nicht einmal weiß, wer man überhaupt ist? Eine schwierige Frage, der im Film behutsam nachgegangen wird. Manchmal wird man vermutlich die Augen weit aufreißen, wenn gewisse Fässer aufgemacht werden – zumindest haben diverse Andeutungen mich und andere Gäste im Kinosaal zwischenzeitlich laut einatmen lassen.

Hier funktioniert also einiges verdammt gut. Und dass es so gut funktioniert, ist natürlich auch der abermals phänomenalen Schauspielleistung von Joaquin Phoenix zu verdanken! So intensiv und so menschlich hat man den Joker noch nicht gesehen. Dieser Aspekt macht seine Figur trotz ihrer Gräueltaten sympathisch. Eine blutige Szene in der zweiten Hälfte des Films macht das auf besonders (pechschwarze) lustige Weise deutlich.

Nein, an Mark Hamills (Star Wars) ikonische Synchronisation des Jokers mit dem völlig wahnsinnig klingenden Lachen kommt Joaquins Phoenix‘ Art nicht heran. Natürlich nicht. Warum auch? Er hat eine gänzlich andere Herangehensweise, die auch dem Umstand der krankhaften Lachkrämpfe geschuldet ist. So ist sein Lachen ebenso einzigartig wie entfremdend und damit die ideale Unterstreichung seiner kaputten Psyche.

In die lässt uns Regisseur, Co-Autor und Produzent Todd Phillips‘ tief blicken. Er erschafft zahlreiche Bilder, die uns seine Hauptfigur näherbringen und an die Leinwand kleben. Mit welcher Kreativität Phillips das tut, ist schlicht faszinierend. Er arrangiert die gesamte Szenerie so souverän, dass die Erzählung wie ein Fluss voranschreitet. Langsam, ruhig und mit gewaltiger Kraft, die sich in einem Finale entlädt, das nicht nur Arthur Fleck wie in Trance erlebt. Sein Weg ist voller falscher Fährten und falschen Hoffnungen. Seine Tortur vermittelt Phillips in eindrücklichen, ungeschönten Bildern, die offenkundig auf Martin Scorseses Taxi Driver (1976) und King of Comedy (1982) anspielen. Der Regisseur macht auch in Interviews keinen Hehl daraus, dass ihm diese Filme als Vorbilder dienten und natürlich hat Oscar-Preisträger Robert De Niro (Wie ein wilder Stier, Der Pate: Teil II) zu Recht seinen Platz im Cast von Joker eingenommen. Auf mich wirkt der Film wie eine Ansage an Hollywood, sich auch mit Super- oder, besser gesagt, Antihelden auf eine Art auseinanderzusetzen, die in Opposition zum Blockbuster-Bombast der letzten Jahre steht. Matt Reeves‘ für 2021 angekündigter The Batman soll ja in eine ähnliche Richtung gehen – bitte, gerne!

Joker Langfassung

Warum wird Arthur Fleck zum Joker? Todd Phillips gibt uns zwar eine Antwort darauf, die sich im Grunde ganz allein bei der Hauptfigur finden lässt, aber er sucht auch immer wieder in äußeren Umständen nach den Auslösern für Jokers Genese. Allerdings werden hier immer wieder soziale und politische Themen angesprochen, die nie analysiert oder zumindest diskutiert werden. Immer dann, wenn beispielsweise der gärende Hass der armen Unterschicht gegen das wohlhabende Establishment gezeigt wird und wir als Zuschauer gebannt auf den größeren Zusammenhang warten, der uns vielleicht Antworten auf unsere Probleme im realen Hier und Jetzt geben könnte, geht der Film wieder einen Schritt zurück.

Natürlich ist uns Todd Phillips keine Antworten schuldig, falls er sie denn hätte, aber zum dritten Akt hin erlebt man als Zuschauer eine etwas unbefriedigende Auf- und Abfahrt. Wir sehen ein Problem, das Arthur Fleck zu schaffen macht, dann wenden wir den Blick wieder ab und so weiter und so fort. Auf der einen Seite überzeugt der Film mit seiner Konzentration auf seine Titelfigur und wie diese die Probleme in Gotham City betrachtet und interpretiert, aber auf der anderen Seite wiederum schmachtet man bei diesem Anfüttern vergeblich nach einem Charakter, der so groß ist wie etwa die Schurken in Christopher Nolans The Dark Knight. Dort sind der Joker und Two-Face Personifikationen gesellschaftlicher Probleme, die wir durch ihren Auftritt vorgeführt bekommen und schmerzlich gut verstehen können. Hier verpufft das Potential, Joker geht nicht weit genug.

Die Figur selbst und Schauspieler Joaquin Phoenix gehen über das, was man erwarten kann, locker hinaus und liefern ein grandioses Schauspiel ab. Nur der Film insgesamt weigert sich, seinen freigehaltenen Platz in der Reihe der wirklich ganz großen Streifen einzunehmen. Freigehalten deshalb, weil der Hype um Todd Philipps Werk im Vorfeld so groß und die Hoffnung auf einen genialen und erwachsenen Film riesig war, nicht nur bei mir.

Fazit

Dieser Kritikunkt soll aber nur einen halben Stern Abzug geben, denn die Charakterstudie des Arthur Fleck ist in der Summe eine der besten, die man sich wünschen kann. Der Film ist klasse! Todd Phillips‘ Ursprungsgeschichte entspringt der traditionsreichen Mythologie des Jokers und ist doch ganz eigen. Damit ist für jeden etwas dabei, auch für diejenigen, die mit der Figur oder anderen Comicverfilmungen aus dem Superhelden-Milieu nicht viel anfangen mögen. Ganz gleich, was nach Joker kommt, dieser Film ist ein in sich abgeschlossenes Werk ohne aktivem Franchise Building. Im Zweifel lohnt sich das Kinoticket alleine für Joaquin Phoenix‘ Schauspiel!


Trailer

Box-Office USA: Joker bricht Oktober-Startrekord, Es 2 knackt $200 Mio

Joker Box Office

Links: Joaquin Phoenix in Joker © 2019 Warner Bros. Pictures
Rechts: Bill Skarsgård in Es: Kapitel 2 © 2019 Warner Bros. Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Das erste Wochenende im Oktober ist seit dem großen Kassenerfolg von Gravity zu einem beliebten Starttermin für größere Hollywood-Filme geworden, die zwischen der Sommer-Saison und Feiertagszeit in die nordamerikanischen Kinos kommen. Vier der fünf umsatzstärksten Oktober-Starts erfolgten am ersten Wochenende des Monats. Daher verzeichnet das Kinogeschäft in Nordamerika Anfang Oktober in aller Regel einen ordentlichen Aufschwung und das war dieses Wochenende nicht anders. Mit insgesamt $144,3 Mio legte der Gesamtumsatz der Top 12 um 68% gegenüber dem vorigen Wochenende zu. Allerdings konnte auch der Riesenstart von Joker nicht gegen das Power-Duo Venom und A Star Is Born aus dem letzten Jahr ankommen, sodass es gegenüber dem gleichen Wochenende im Vorjahr um 15% runter ging.

Natürlich drehte sich am Wochenende in den Kinos in den USA und in Kanada alles rund um Joker. Der düstere, stark in der Realität verankerte Film über den Comicschurken baute seit dem allerersten Trailer viel Hype auf. Dieser erreichte mit dem überraschenden Sieg bei den Filmfestspielen von Venedig seinen absoluten Höhepunkt. Dennoch übertraf der Film auch die kühnsten Erwartungen, als er in den ersten drei Tagen $96,2 Mio von 4374 Kinos (mit einem Schnitt von $21994 pro Spielstätte) eingespielt und die Chartspitze im Sturm erobert hat. Damit zerschmetterte Joker den erst letztes Jahr aufgestellten Oktober-Startrekord von Venom ($80,3 Mio) und legte einen besseren Start hin als Warners Es: Kapitel 2 vergangenen Monat ($91,1 Mio). Es ist der viertgrößte Start eines R-rated-Films in der US-Box-Office-geschichte, lediglich hinter Deadpool, Deadpool 2 und dem ersten Es, die allesamt die $100-Mio-Marke knackten. Allerdings ist das Startwochenende von Joker mindestens genauso beeindruckend, denn ein durch und durch finsterer Film über einen psychisch kranken Mann, der Amok läuft, ist deutlich weniger mainstreamfreundlich. Es ist sogar ein größeres Startwochenende als von Warners Justice League ($93,8 Mio).

Bereits in den Donnerstagspreviews brach Joker den Oktober-Rekord mit $13,3 Mio und sein Starttag in Höhe von $39,7 Mio übertraf den bisherigen Oktober-Rekord von Halloween, der letztes Jahr $33,1 Mio am ersten Freitag eingenommen hat.

Das Produktionsbudget von Joker wird auf $55 bis $70 Mio (ohne Marketingausgaben) geschätzt, sodass der Film einen wahren Geldregen für Warner bescheren wird. Doch wie konnte ein Film, der im Prinzip Taxi Driver mit einem psychotischen Clown ist, solchen Erfolg erzielen? Der Joker ist vermutlich der bekannteste aller Comic-Bösewichte, und die Idee, einen so berüchtigten Antagonisten in den Mittelpunkt seines eigenen Films zu rücken, weckte bei vielen Zuschauern die Neugier. Der frühe Oscar-Hype für Joaquin Phoenix und den Film selbst lockte auch die Zuschauer in die Kinos, die für gewöhnlich kein Interesse an Comicverfilmungen haben. Was aber zweifelsohne auch zum Erfolg beigetragen hat, sind die kontroversen Diskussionen um diesen vermeintlich "gefährlichen" und "gewaltverherrlichenden" Film. Noch nie hat man erlebt, dass es solche Sorgen um die Sicherheit der Kinogänger bei den Vorführungen in den USA gab. Bei vielen Vorstellungen, insbesondere in Großstädten wie New York, wurden Kinos von Polizisten, sowohl in Uniform als auch undercover, überwacht. Die Furcht vor einem weiteren Amoklauf wie bei der Mitternachtspremiere von The Dark Knight Rises in Aurora war groß. Ob berechtigt oder nicht, sei dahingestellt, der Film hat von dieser zusätzlichen Berichterstattung aber sicherlich profitiert, denn sie verlieh ihm einen zusätzlichen Reiz des Gefährlichen.

Bei den Zuschauern kam Joker gut, wenn auch nicht überragend an. Die CinemaScore-Wertung der Kinogänger vom Starttag war "B+" (äquivalent einer "2+"). Etwa 64% der Zuschauer waren Männer und 68% waren älter als 25. Es ist definitiv keine Comicbuchverfilmung, die sich an Teenager richtet, doch ihr Erfolg kann mit den ganz großen mithalten. Der weitere Verlauf des Films wird davon abhängen, wie lange der Hype nach dem Start anhalten kann und ob sich die erhofften Oscarnominierungen tatsächlich materialisieren werden. Aktuell gehe ich von etwa $240-270 Mio als Gesamtergebnis in Nordamerika aus. Das würde ausreichen, um Joker unter die zehn umsatzstärksten Filme aller Zeiten mit einem R-Rating zu katapultieren. International spielte Joker an seinem Startwochenende $152,2 Mio von 73 Ländern ein. Die Highlights waren darunter Südkorea mit $16,3 Mio und Großbritannien mit $15,5 Mio. Frankreich und Deutschland folgen kommende Woche. Wie nah der Film an die weltweiten $856 Mio von Venom herankommen wird, wird wohl davon abhängen, ob der Film einen Kinostart in China erhält. Aber auch wenn er dort starten darf, wird er ziemlich sicher nicht dessen $270 Mio im Reich der Mitte einspielen.

Platz 2 ging an DreamWorks' Everest – Ein Yeti will hoch hinaus. Der Animationsfilm hielt sich immerhin besser als jeder andere Top-12-Film, der nicht expandiert ist. Dennoch verlor er 42,2% gegenüber seinem Startwochenende und spielte $11,9 Mio von Freitag bis Sonntag ein. Nach zehn Tagen steht der Streifen bei recht schwachen $37,8 Mio. Mit einem Produktionsbudget von $75 Mio kostete der Film zwar nicht so viel wie die meisten Animationsstreifen von DreamWorks, doch angesichts positiver Kritiken und der Tatsache, dass es der erste größere kinderfreundliche Film in den USA seit Der König der Löwen im Juli ist, ist die Performance wirklich enttäuschend. Kommendes Wochenende bekommt er direkte Konkurrenz von Die Addams Family. Danach sollte er sich zwar stabilisieren, doch mehr als $65-75 Mio wird er nicht einnehmen. Für DreamWorks Animation ist das der größte kommerzielle Misserfolg seit Turbo vor sechs Jahren.

Downton Abbey sank am dritten Wochenende um einen Platz und 44,3% auf Rang 3 der US-Kinocharts und $8 Mio. Bislang hat die Adaption der erfolgreichen britischen Kostümserie solide $73,6 Mio in den USA und in Kanada eingespielt. Gerade für eine Verfilmung einer nicht-US-amerikanischen Serie ist der Erfolg an den nordamerikanischen Kinokassen beachtlich. Es hilft, dass es aktuell einer der wenigen Filme ist, der eine deutlich ältere Zielgruppe bedient. Momentan sieht es nach einem finalen Einspielergebnis von etwa $97 Mio aus, doch mit etwas Glück könnte er auch knapp der $100 Mio vorbeiziehen, wenn er seine Leinwände lange genug behalten kann. Ein Sequel ist nicht unwahrscheinlich.

Auf Seite 2 erfahrt Ihr, wie erfolgreich Rambo: Last Blood ist und welchen Box-Office-Meilenstein Es: Kapitel 2 erreichte.

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