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Gemini Man (2019) Kritik

Gemini Man (2019) Filmkritik

Gemini Man, CN/USA 2019 • 117 Min • Regie: Ang Lee • Mit: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 3.10.2019 • Website

Handlung

Henry Brogan (Will Smith) ist der Beste seines Fachs. Für die den US-Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) hat er während seiner Laufbahn als Auftragskiller mehr als 70 Zielpersonen mit höchster Präzision eliminiert. Damit soll jedoch Schluss sein. Nicht nur das Alter holt Henry ein, sondern auch die Schuldgefühle wegen seiner Taten lasten schwer auf ihm. Nachdem ein Auftrag beinahe böse schiefgegangen ist, quittiert er den Dienst und setzt sich zur Ruhe. Leider findet er jedoch heraus, dass er bei seiner letzten Mission von seinen Auftraggebern hinters Licht geführt wurde und er anstelle eines Terroristen einen renommierten Wissenschaftler ins Jenseits befördert hat. Dieses Wissen macht ihn zu einer Bedrohung fürs DIA. Henry und alle, die mit ihm in Verbindung stehen, müssen beseitigt werden. Der herkömmliche Weg scheitert: Henry dezimiert mühelos die entsandte Spezialeinheit und flieht mit der DIA-Agentin Danny (Mary Elizabeth Winstead), die zur Beobachtung auf ihn angesetzt wurde, im Schlepptau. Das DIA ist nun gezwungen, zu drastischen Mitteln zu greifen. Clay Varris (Clive Owen), der skrupellose Leiter der Söldnerfirma Gemini, setzt seine Geheimwaffe gegen Herny ein: ihn selbst. Vor 25 Jahren hat Varris Henry heimlich klonen lassen, ihn wie einen Sohn großgezogen und zu einer perfekten Waffe ausgebildet. Nun soll Junior (Will Smith), der nichts von seiner Herkunft ahnt, Henry und Danny auslöschen. Es beginnt ein Kampf der Erfahrung gegen jugendliche Kraft.

Kritik

In der heutigen Zeit sind wir es inzwischen gewohnt, dass jede auch noch so ausgefallene Fantasie mittels modernster Effekte auf die Leinwand gebannt werden kann. Doch das war nicht immer so. Es gab in Vergangenheit immer wieder Filmideen, die der Technologie für ihre Umsetzung zeitlich voraus waren. Aus diesem Grund hat Stanley Kubrick sein Traumprojekt A.I. – Künstliche Intelligenz zu Lebzeiten nicht gedreht. Auch James Cameron schrieb das Drehbuch zu Avatar bereits Mitte der Neunziger, noch vor seinem Riesenerfolg mit Titanic, ließ es aber mehr als ein Jahrzehnt in der Schublade, bis die Technik seine Vision eingeholt hat.

Das Drehbuch zu Gemini Man, dem neuen Sci-Fi-Actionfilm mit Will Smith, wurde 1997 an Disney verkauft. Tony Scott (Der Staatsfeind Nr. 1) sollte damals den Film inszenieren. Doch die Effekte waren einfach nicht auf dem nötigen Stand, um glaubwürdig einen deutlich jüngeren Klon des Hauptdarstellers abzubilden. Über 20 Jahre wechselte Gemini Man Regisseure, Autoren, Studios und Stars (darunter Nicolas Cage, Tom Cruise, Harrison Ford, Sean Connery und Mel Gibson), bis der Film in die Hände des Erfolgsproduzenten Jerry Bruckheimer fiel. Nachdem Ang Lee bereits mit den phänomenalen 3D-Effekten von Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger Kinogänger ins Staunen versetzte, legt er mit Gemini Man die Messlatte für photorealistische, computergenerierte Schöpfungen noch höher. Henrys Klon Junior ist kein digital verjüngter Will Smith à la Samuel L. Jackson in Captain Marvel, sondern eine komplett per Motion-Capture-Technologie computergenerierte Schöpfung, die Big Willie aus seinen "Der Prinz von Bel-Air"-Zeiten (nur deutlich, deutlich ernster) wiederbelebt. Doch während die visuellen Effekte Quantensprünge gemacht haben, steckt das Drehbuch von Gemini Man weiterhin hoffnungslos in den Neunzigern fest. Kurz zusammengefasst: Der Film hat mehr von Jerry Bruckheimer als von Ang Lee.

Gemini Man (2019) Filmbild 1Der zweifach oscarprämierte Filmemacher beweist mit dem Film auf jeden Fall seine schier grenzenlose Wandelbarkeit. Er ist in der Hinsicht sozusagen ein Anti-Woody-Allen. Zu seiner Filmografie gehören u. a. eine Jane-Austen-Adaption (Sinn und Sinnlichkeit), ein prachtvoller Wuxia-Film (Tiger and Dragon), ein Bürgerkriegsdrama (Ride with the Devil), eine Marvel-Verfilmung (Hulk), eine Liebesgeschichte (Brokeback Mountain), ein Erotikdrama (Gefahr und Begierde) und eine moderne Fabel (Life of Pi). Nun zeigt er auch beeindruckendes Talent als Action-Regisseur, denn die Actionszenen sind das eindeutige Highlight des Films. Das hat einerseits mit der virtuosen, wenn auch gelegentlich etwas übertriebenen Choreografie der Kampfszenen zu tun, in denen der ältere Will Smith auch mit 51 Jahren eine verdammt gute Figur abgibt. Doch es ist auch die Präsentation der Action, die diese aufwertet.

Gemini Man (2019) Filmbild 2Wie schon seinen wenig gesehenen Vorgängerfilm Die irre Heldentour des Billy Lynn drehte Ang Lee Gemini Man mit der ultrahohen Bildrate (HFR) von 120 Bildern pro Sekunde (120 fps) in 3D. Peter Jackson war der erste Regisseur, der mit HFR im Kino experimentierte. Seine Hobbit-Trilogie präsentierte er mit 48 fps, stieß aber damit auf gemischte Reaktionen. Die Filme entsprachen nicht den Sehgewohnheiten der Zuschauer, die den Soap-Opera-Effekt bemängelten. Sprich: die Filme sahen aus wie Fernsehen und wirkten dadurch paradoxerweise "billig". Lees Lösung war es, die Bildrate einfach deutlich zu erhöhen. Da die meisten Kinos jedoch nicht in der Lage sein werden, die 120-fps-Version abzuspielen, wird man als Zuschauer nur bedingt das komplette Ausmaß von Lees Vision zu sehen bekommen. Bei unserem Screening wurde die 3D-Version mit 60 Bildern pro Sekunde gezeigt und in dieser kommen wieder einmal sowohl die Vorteile als auch die Nachteile der Technik zum Vorschein.

Gemini Man (2019) Filmbild 3Die Actionszenen profitieren deutlich von der hohen Bildrate in Kombination mit der 4K-Auflösung. Die extrem hohe Bewegungsschärfe lässt die Action sehr flüssig und nah wirken, insbesondere in einer atemlosen Motorrad-Verfolgungsjagd durch die engen Straßen von Cartagena in Kolumbien. Satte Farben der Umgebung springen dem Zuschauer direkt ins Auge. Bei den dunklen, nächtlichen oder unterirdischen Kampfszenen nimmt man erstaunlich viele Details, Kontraste und Konturen wahr. Auch die 3D-Tiefe wirkt dank HFR sehr organisch. Das Eintaucherlebnis wird durch die Technik verstärkt. Zugleich wird man durch die gewöhnungsbedürftig hyperrealistischen Bilder in den ruhigen und langsamen Momenten aus dem Film herausgerissen. Die HFR-Präsentation hat auf jeden Fall geeignete Einsatzgebiete, aber auch ihre Grenzen.

Die Grenzen der visuellen Effekte werden wiederum durch Will Smiths CG-Klon weiter ausgelotet denn je, und in dieser Hinsicht ist der Film wirklich ein Meilenstein. Während es im Kino immer wieder gelungen ist, sehr glaubwürdige CGI-Kreationen wie King Kong, Gollum oder Caesar aus Planet der Affen zu erschaffen, scheiterten computergenerierte Menschen in der Regel am Uncanny-Valley-Effekt. Auch wenn Junior nicht immer perfekt aussieht (im Tageslicht wirkt immer noch etwas falsch), ist er die bislang beste Annäherung an einen echten Menschen und schafft es aufrichtige, glaubwürdige Emotionen zu vermitteln, in einer Rolle, die ironischerweise etwas komplexer ist als die seines älteren Vorbilds.

Gemini Man (2019) Filmbild 4Wirklich komplex ist an dem Film und seiner nur oberflächlich angerissenen Klonthematik nichts. Im Grunde ist Gemini Man nicht anders als ein durchschnittlicher Van-Damme-Klopper der späten Neunziger, nur mit einem deutlich größeren Budget. Wie seine Regie-Kollegen James Cameron und Robert Zemeckis hat Ang Lee in den letzten Jahren offenbar mehr Interesse an modernster Filmtechnik als an seinen Charakteren und Drehbüchern. Man bekommt den Eindruck, dass er Gemini Man vor allem angenommen hat, weil der Film ihm die Möglichkeit gibt, sich mit HFR, 3D und neusten Computereffekten auszutoben. Einen wirklichen Bezug zu den Charakteren, wie er diesen in so vielen seiner früheren Filme zeigte, gibt es hier nicht. Henry ist ein alternder Profikiller, der plötzlich ein Gewissen entwickelt. Junior hinterfragt seine Existenz, nachdem er die Wahrheit erfährt. Clive Owen ist ein stereotyp böser Kriegstreiber, nicht unähnlich Danny Hustons Figur aus Angel Has Fallen. Mary Elizabeth Winstead und Benedict Wong sind nur Anhang. Das ist das Ausmaß der Figurenzeichnung des Films. Immerhin bekommt auch Winstead die Gelegenheit, bei den Actionszenen ordentlich mitzumischen. Hoffentlich gibt Hollywood ihr bald wieder eine Hauptrolle!

Gemini Man (2019) Filmbild 5Das flotte Erzähltempo, die mitreißende Action und Will Smiths Charisma können nur gelegentlich den Blick von den Logiklücken und der Absurdität des Drehbuchs und dessen Grundprämisse ablenken. Es ist natürlich beeindruckend, dass die Hauptfigur ihre Zielperson im fahrenden Zug aus 2 km Entfernung erschießen kann (Deadshot lässt grüßen?), aber würde ein erfahrener Killer dieses Vorgehen wirklich als einfachsten Weg wählen? Die unethischen Klonexperimente von Clive Owens privatem Militärunternehmen sollen streng geheim sein, obwohl bereits der Name "Gemini" (Zwillinge) etwa so subtil ist wie Remus Lupin oder Cruella De Vil. Und inwiefern ist es ein genialer Masterplan, Junior auf den älteren Henry anzusetzen, wenn letzterer ihn mehrfach mühelos austrickst oder überwältigt, und sein Leben immer wieder verschont?

Der Film hetzt von einer beeindruckenden Actionszenen zur nächsten, bevor der Zuschauer die Gelegenheit bekommt, sich diese Fragen zu stellen, doch bereits kurz nach der Sichtung fällt das Gerüst wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das kümmert Lee wenig, denn für ihn ist der Streifen ein Spielplatz, um mit den Fortschritten der Technologie zu experimentieren. Gemini Man ist filmisches Fast Food. Er ist unterhaltsam, kurzweilig und zuweilen besonders nett anzusehen, aber nicht ganz, was man von Ang Lee erwarten würde.

Fazit

Mehr Bruckheimer als Lee: Die neuste Technik, die Actionszenen rasant und flüssig und Will Smiths CG-Klon besonders realistisch wirken lässt, kann nur bedingt überdecken, dass das 3D in Gemini Man mehr Tiefe besitzt als das Drehbuch und die Charaktere. Für einen kurzweiligen Filmabend reicht der Streifen aber allemal.

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3 From Hell (2019) Kritik

3 From Hell (2019) Filmkritik

3 From Hell, USA 2019 • 115 Min • Regie: Rob Zombie • Mit: Sheri Moon Zombie, Bill Moseley, Richard Brake, Emilio Rivera, Jeff Daniel Phillips, Sid Haig • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 27.09.2019 • Deutsche Website

Handlung

Als hätte die Hölle sie wieder ausgespuckt: Obwohl das Trio Infernale Baby Firefly (Sheri Moon Zombie), Otis B. Driftwood (Bill Moseley) und Captain Spaulding (Sid Haig) 1978 bei einer Straßenblockade der Polizei von Kugeln durchsiebt wurde, haben alle drei entgegen jeglicher statistischer Wahrscheinlichkeit überlebt. Zehn Jahre später verbüßen sie lebenslange Haftstrafen bzw. warten auf ihre Hinrichtung. Jedoch gelingt Otis mithilfe seines Halbbruders Winslow Foxworth Coltrane alias "The Midnight Wolfman" (Richard Brake) die Flucht. Die beiden Psychopathen ziehen eine blutige Schneise durch das Land mit einem einzigen Ziel: Ihre Schwester Baby aus dem Gefängnis zu befreien, damit sie wieder gemeinsam ihrem nihilistischen Lebensstil frönen können. Nach einigen weiteren Leichen schaffen sie auch das und nehmen Kurs Richtung Mexiko. Noch ahnen sie nicht, dass ihre blutige Vergangenheit sie verfolgen wird.

Kritik

Die altbekannte Filmweisheit lautet: Fortsetzungen sind schlechter als Originale. Eine gute Fortsetzung ist in der Tat eine schwierige Angelegenheit. Bleibt man zu nah am Original, fühlt sie sich redundant an, entfernt man sich zu weit davon, verliert man das, wofür die Zuschauer den ersten Film mochten. Natürlich gibt es bei jeder Regel auch Ausnahmen, die sie bestätigen. Wie man die Idee des Originalfilms nimmt und sie in eine völlig neue und unerwartete Richtung ausbaut, hat kaum jemand so gut vorgemacht wie James Cameron. Terminator 2 und Aliens – Die Rückkehr sind goldene Standards für Sequels, die es mit ihren Vorgängern aufnehmen können. Rob Zombies The Devil’s Rejects gehört vielleicht nicht zu solchen Meilenstein-Fortsetzungen der Filmgeschichte, dennoch war auch dieser Film eine unerwartete Weiterentwicklung und deutliche Verbesserung gegenüber seinem Vorgänger. Haus der 1000 Leichen hat zwar in gewissen Kreisen Kultstatus erreicht, doch das Beste, was ich über diese inkohärente Grindhouse-Groteske sagen kann, ist, dass sie auf jeden Fall genau der kompromisslosen Vision ihres Machers entsprochen ist.

3 From Hell (2019) Filmbild 1Mit The Devil’s Rejects hob Zombie sein Werk jedoch auf ein ganz neues Level. Er verwarf die übernatürlichen Elemente des Vorgängers, verzichtete auf ahnungslose, blöde Protagonisten, und legte stattdessen den Fokus der Erzählung auf die psychopathische Firefly-Familie. Der Film war böse, brutal, dreckig und er drehte den Spieß so clever um, dass die Zuschauer zunächst dazu gebracht wurden, mit dem Killer-Trio mitzufiebern, nur um später den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Denn bei all ihrer Antihelden-Stilisierung darf man auch nicht vergessen, dass sie Mörder und Vergewaltiger sind. Deshalb endete der Film auch mit einer mutigen Katharsis und ließ Otis, Baby und Captain Spaulding zu den Klängen von Lynyrd Skynyrds "Free Bird" in einem Kugelhagel der Polizei sterben. Das Kapitel der Fireflys wurde konsequent und augenscheinlich endgültig abgeschlossen.

Doch Rob Zombie, dessen Regie-Karriere seitdem mit den polarisierenden Halloween-Filmen, dem experimentellen The Lords of Salem und dem eher ermüdenden 31 eher holprig verlaufen ist, konnte der Versuchung nicht widerstehen, zum beliebtesten Film seiner Karriere zurückzukehren. Vierzehn Jahre nach dem perfekten Ende von The Devil’s Rejects lässt er die Massenmörder in 3 From Hell wiederauferstehen. Doch während sich der zweite Film wirklich etwas getraut und neue Pfade beschritten hat, begnügt sich Zombie beim unnötigen Nachfolger damit, den Vorgänger beinahe mechanisch zu wiederholen. Damit ist nicht nur gemeint, dass er dessen Stil weiterführt, sondern dass er tatsächlich nahezu jedes Handlungselement von The Devil’s Rejects lieblos neu verpackt und wiederholt. Wir haben hier schon wieder eine Gruppe von Leuten, die als Geiseln genommen, gefoltert und getötet werden, ein Gesicht wird wieder abgeschnitten, die Fireflys entspannen sich wieder in einem Bordell, und erneut macht jemand aus einer persönlichen Vendetta heraus Jagd auf sie. Rob Zombies Filme haben schon immer polarisiert, doch jeder folgte eine ganz eigenen Vision des Filmemachers und Metal-Musikers. Diese Vision fehlt in seinem neusten Film, der bestenfalls wie ein Best-Of seines Vorgängers wirkt, ohne dessen Reiz wirklich verstanden zu haben. Wer nur für den dreckigen Grindhouse-Stil und drastische, menschenverachtende Gewalt kommt, wird auf seine Kosten kommen, doch hier verkommen sie zum Selbstzweck ohne Sinn und Verstand. The Devil’s Rejects war subversiv, 3 From Hell möchte es sein, ist dabei einfach nur uninspiriert und bemüht.

3 From Hell (2019) Filmbild 2Anfangs hat er sogar interessante Anflüge, wenn der mediale Rummel um die zu Legenden avancierten Killer sie zu einer Art Volkshelden macht. Die an den Manson-Kult angelehnten Szenen, in denen Firefly-Groupies "Free the Three!" fordern und sie für vom Staat zu Unrecht verurteilt halten, entbehren nicht gewisser, wenn auch nicht gerade subtiler Gesellschaftskritik über die Verehrung charismatischer, kontroverser Figuren. Doch so schnell diese Idee aufgegriffen wird, so schnell wird sie nach den ersten zehn Minuten auf fallen gelassen, wenn der Film in seinen vertrauten Trott verfällt. Dazu gehört natürlich Zombie-übliche White-Trash-Exploitation. Dialoge wie beispielsweise Foxys (Richard Brake) Traum, ins Pornogeschäft mit dem Titel The Salami Man einzusteigen, lassen einen sich wundern, ob Rob Zombie die Pubertät schon überwunden hat.

3 From Hell (2019) Filmbild 3Geholfen wir dem Film auch nicht dadurch, dass er keine Balance beim titelgebenden Trio erreicht. In dem Vorgänger hatten alle drei Hauptdarsteller ihre Momente. Gerade Sid Haig (R.I.P.) stahl als schnell miesgelaunter Captain Spaulding häufig die Show. In 3 From Hell hat der sichtlich kranke Haig nur wenige Minuten Screentime. Richard Brake ist leider kein würdiger Ersatz, was weniger an dem in der Regel großartigen Charakterdarsteller liegt, dessen manische, jokereske Performance in 31 eins der rettenden Elemente jenes Films war. Hier wird sein Charakter des zuvor nie erwähnten Halbbruders nie ausgearbeitet. Er ist einfach mit dabei, bereit zu allen Schandtaten, aber sein größtes Merkmal in dem Film ist der Running Gag, dass ihn niemand kennt. Unter diesen Umständen nimmt Rob Zombies Gattin Sheri Moon Zombie eine zentrale Rolle im Sequel ein und zeigt, dass manche Dinge nur in Maßen gut sind. Wir verbringen viel Zeit nur mit ihr im Gefängnis, wo ihre Halluzinationen an die schlimmsten Momente in Rob Zombies Totalausfall Halloween II erinnern. Ihre affektierte, überdrehte Eichhörnchen-nach-zehn-Espresso-und-fünf-Lines-Koks-Performance wirkt vor allem störend. Wenn plötzlich Bill Moseleys Otis als Stimme der Vernunft und Ruhe wirkt, merkt man, dass die Dinge irgendwie nicht ausgeglichen sind. Er merkt sogar an, dass das Gefängnis sie "seltsam" gemacht habe. Wie viele andere, wird jedoch auch diese Idee schnell vergessen.

3 From Hell (2019) Filmbild 4Es ist nicht nur Sheri Moon Zombies Performance, die die erste Filmhälfte beinahe unerträglich macht, sondern auch Rob Zombies überraschend durchwachsene Inszenierung mit hektischen, desorientierenden Schnitten und einer sehr nervösen Wackelkamera. Gegen Ende findet der Film seinen Flow und bietet immerhin einige gut umgesetzte Actionmomente. Allerdings leidet der letzte Akt unter einem anderen Problem: Rob Zombie erhebt seine mörderischen Figuren diesmal scheinbar völlig ironie- und satirefrei zu Antihelden, die ja immer noch besser sein sollen als die kaputte Welt um sie herum. Damit geht auch das interessanteste Element seines komplexeren Vorgängers flöten.

Fazit

3 From Hell tut dem Vermächtnis seines bösen, cleveren Vorgängers keinen Gefallen, indem er dessen gesamten Höhepunkte lieblos und uninspiriert herunterspult. Bei all seiner menschenverachtenden, drastischen Gewalt, Grindhouse-stilistischen Auswüchsen und einer Over-Over-the-Top-Performance seiner Gattin fühlt sich Rob Zombies Film so leblos an, wie seine Hauptcharaktere es am Ende von The Devil’s Rejects hätten sein sollen.

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Rambo: Last Blood (2019) Kritik

Rambo Last Blood (2019) Filmkriitk

Rambo: Last Blood, USA 2019 • 101 Min • Regie: Adrian Grunberg • Mit: Sylvester Stallone, Sergio Peris-Mencheta, Adriana Barraza, Paz Vega, Yvette Monreal, Óscar Jaenada • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 19.09.2019 • Website

Handlung

Nach Jahrzehnten von gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um die Welt, hat Vietnam-Veteran und Green Beret John Rambo (Sylvester Stallone) endlich seinen Frieden gefunden. Seinen Lebensabend verbringt er auf der Ranch seiner Eltern in Arizona, wo er Pferde dressiert und sich gelegentlich als Freiwilliger bei Rettungseinsätzen in den Bergen meldet. Die Vergangenheit lässt Rambo jedoch nie los. Geplagt von Schuldgefühlen wegen der Menschen, die er nicht retten konnte, und Angstzuständen, die er mit Pillen unter Kontrolle hält, verbringt er viel Zeit in einem komplexen Tunnelsystem unter der Ranch. Unter der Erde fühlt er sich wohler als draußen. Halt im Leben geben ihm seine Haushälterin und enge Freundin Maria (Adriana Barraza) und ihre Enkeltochter Gabrielle (Yvette Monreal). Dieses Idyll wird jedoch gestört, als Gabrielle ihren verantwortungslosen Vater in Mexiko aufspürt und trotz aller Warnungen seitens Maria und Rambo zu ihm fährt, in der Hoffnung, endlich abschließen zu können. Was sie neben ihrem kaltherzigen Erzeuger dort findet, ist jedoch die Hölle auf Erden. Sie wird von einem skrupellosen Sexhändlerring geschnappt, angeführt von den Brüdern Hugo (Sergio Peris-Mencheta) und Victor (Óscar Jaenada) Martinez. Sie setzen sie unter Drogen und verkaufen sie als Ware. Als Gabrielle nach mehreren Tagen nicht zurückkehrt, schnappt sich Rambo sein großes Jagdmesser und folgt ihr südlich der Grenze. Mithilfe der Journalistin Carmen (Paz Vega), deren Schwester selbst dem Kartell zum Opfer fiel, spürt er die Verantwortlichen auf und packt sein gesamtes tödliches Talent aus, um die junge Frau zu retten, die für ihn wie eine Tochter ist.

Kritik

Es war einmal die Geschichte eines traumatisierten Kriegsveteranen, der die meisten seiner Freunde in Vietnam oder an den Folgen des Krieges verloren hat und sich nun ziellos durchs Leben treiben lässt. In einer US-amerikanischen Kleinstadt wird er von einem Sheriff verhaftet und schikaniert. In die Enge getrieben, setzt sein Überlebensinstinkt ein: Er flieht in die Berge und wird vom Sheriff und seinen Polizisten gejagt, die ihm jedoch nicht gewachsen sind. Rambo gilt als ein Klassiker des Actionkinos und legte den Grundstein für eins der erfolgreichsten Action-Franchises der Achtziger, doch im Kern war es eine Geschichte über die Verzweiflung und gesellschaftliche Ausgrenzung von Kriegsrückkehrern, die ihre belastenden Erlebnisse nie verarbeitet haben. Der Film bot Sylvester Stallone auch die Gelegenheit, eine der emotional kraftvollsten Performances einer Karriere abzuliefern.

Rambo Last Blood (2019) Filmbild 1Doch das ist nicht Rambo, wie ihn die meisten Zuschauer mehr als 35 Jahre später wahrnehmen. Im öffentlichen Bewusstsein ist Rambo der unkaputtbare Actionheld, ein kriegerischer Superman, der rückwirkend den Vietnamkrieg gewonnen hat, sich mit der Taliban verbündet hat (autsch!), um sowjetische Invasoren in Afghanistan zu bekämpfen, und die halbe burmesische Armee abgeschlachtet hat, um US-Missionare zu retten. Aus einem kaputten Soldaten hat Sylvester Stallone eine Actionikone erschaffen. Die Elemente der Filme waren fest etabliert: Rambo bewaffnet sich bis zu den Zähnen mit Feuerwaffen, Messern und Pfeil und Bogen, und geht auf eine wie ein Himmelfahrtskommando erscheinende Rettungsmission inmitten der wilden Natur in einem fremden Land.

Rambo Last Blood (2019) Filmbild 4Knapp elf Jahre nach seinem letzten und blutigsten Einsatz in John Rambo, bringt der 73-jährige, aber immer noch sehr agile Stallone den Veteranen in Rambo: Last Blood für seinen möglicherweise (vielleicht aber auch nicht) letzten Einsatz zurück. Dabei rüttelt er kräftig an den bisherigen Grundfesten der Reihe. Wer sich davon jedoch frischen Wind erhofft, sollte die Erwartungen zügeln. Co-Autor Stallone hat die Formel nicht aufgebrochen, sondern sie durch eine andere, nicht weniger abgedroschene Formel ersetzt. Es ist, als hätte er am Straßenrand ein von Liam Neeson weggeworfenes Drehbuch zu einem Taken-Sequel gefunden, minimale Anpassungen vorgenommen, das Gewaltlevel hochgedreht und sich in der Hauptrolle besetzt. So wie sich die letzten Stirb-langsam-Filme (ungeachtet ihrer jeweiligen Qualität) nicht mehr wie Stirb langsam angefühlt haben, so fühlt sich auch Last Blood nicht mehr wie ein Rambo-Film an. Es ist ein generischer, austauschbarer Rache-Actioner, der sich halbherzig und mit hölzernen Dialogen die Mühe gibt, Rambos angeschlagene Psyche zu erforschen. Das ist jedoch nur ein Mittel zum Zweck, um die Zeit totzuschlagen, bis im letzten Akt das Gemetzel entfesselt wird.

Rambo Last Blood (2019) Filmbild 2Auch losgelöst vom Franchise-Vermächtnis, ist Rambo: Last Blood lediglich ein passabler Actionstreifen, der sich nur durch sein höheres Budget von der grauen Masse unterscheidet, die jeden Monat direkt im Heimkinomarkt landet. Dass Regisseur Adrian Grunberg es auch besser kann, zeigte er mit Get the Gringo mit Mel Gibson, der mit Elan und schwarzem Humor inszeniert wurde. Es spricht nichts gegen anspruchslose Action, schließlich waren die anderen Rambo-Sequels auch nicht viel mehr. Last Blood stellt jedoch auch die Geduld der Actionfans auf die Probe. Die erste Stunde ist gekennzeichnet durch schablonenhafte Charaktere, bemühte Dialoge und eine fragwürdig stereotype und nicht wirklich zeitgemäße Darstellung Mexikos als ein Land, in das man ganz sicher nicht reisen möchte (Trump wäre stolz). Weder Paz Vega als Reporterin, die Rambo hilft, noch Sergio Peris-Mencheta und Óscar Jaenada als die beiden bösen Brüder – einer besonnen und berechnend, der andere durchgedreht – sind kaum der Bezeichnung "Charaktere" wert. Lediglich die oscarnominierte Adriana Barraza (Babel) strahlt in ihren wenigen Szenen Warmherzigkeit und Gefühle aus.

Rambo Last Blood (2019) Filmbild 3Nach dem sehr langsamen Anlauf gipfelt Rambo: Last Blood in einem blutigen, actionreichen Höhepunkt. Mit etwas Glück wird der Film durch den explosiven Showdown vergessen lassen, wie zäh der Weg dorthin war. Wenn Rambo die perfiden Fallen für seine Gegner aufstellt, blitzt zumindest kurz das Rambo-Feeling auf. Wirkt der restliche Film wie Taken 4, so ist das Finale eine FSK18-Version von Kevin – Allein zu Haus, wenn der erwachsene Kevin McAllister eine ausgesprochen sadistische Ader bei sich entdeckt hätte. Zwar erreicht Last Blood nicht ganz die Splatterorgie von John Rambo, es wird dem Film jedoch auch niemand vorwerfen, die Gewalt merklich heruntergeschraubt zu haben. Mit Machete, Hammer, Mistgabel, Nägeln, Pfeilen, Bomben und diversen Feuerwaffen nimmt Stallone seine unbedarften Gegner auseinander. In einer Zeit, in der man actiontechnisch durch John Wick, Atomic Blonde oder eben Liam Neesons 96 Hours verwöhnt ist, sticht das nicht mehr sonderlich hervor, doch es macht immer noch Spaß, Stallone in seinem Element zu sehen, wenn er seine angestaute Wut entfesselt.

Das Finale rettet den Film davor, ein kompletter Reinfall zu sein. Dennoch ist bei allen Beteiligten vor und hinter der Kamera eine gewisse, mechanische Lustlosigkeit zu spüren – mit der Ausnahme von Stallone. Ihm liegt die Figur offenbar immer noch am Herzen. Umso bedauernswerter ist es, dass der Abschied von der Ikone so unspektakulär ausfällt. Die während des Abspanns gezeigten Szenen aus den früheren Filmen der Reihe verdeutlichen erst Recht, wie wenig Rambo: Last Blood mit ihnen eigentlich noch gemeinsam hat.

Fazit

Mit Rambo: Last Blood endet das ikonische Action-Franchise auf eine denkbar unspektakuläre Art und Weise. Auch Stallones wütende Intensität und ein Blutbad-Finale können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film nur langsam in Fahrt kommt und letztlich kaum mehr ist als Fließbandware aus der Liam-Neeson-Racheaction-Fabrik.

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Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Kritik

Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Filmkritik

Scary Stories to Tell in the Dark, USA/CA 2019 • 107 Min • Regie: André Øvredal • Mit: Zoe Colletti, Michael Garza, Gabriel Rush, Austin Zajur, Natalie Ganzhorn, Dean Norris • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 31.10.2019 • Website

Handlung

Es ist Halloween im Jahr 1968. Der Vietnamkrieg wütet und bestimmt die Stimmung in den USA. Doch im ländlichen Kaff Mill Valley haben die junge Horror-Liebhaberin Stella (Zoe Colletti) und ihre besten Freunde Auggie (Gabriel Rush) und Chuck (Austin Zajur) haben ganz andere Sorgen. Sie spielen dem halbstarken Tommy Milner (Austin Abrams), der sie immer schikaniert, einen fiesen Streich. Als Tommy und seine Freunde das Trio daraufhin durch die Stadt jagen, finden die Teenager zunächst Zuflucht in einem Autokino, wo sie auf den durchreisenden Ramón (Michael Garza) treffen, der ebenfalls zu Tommys Zielscheibe wird. Gemeinsam fliehen sie in ein altes, verlassenes Haus, um das sich viele Gerüchte ranken. Dort lebte einst die wohlhabende Familie Bellows, die Mill Valley mitbegründet hat. Doch die Bellows hatten ein dunkles Geheimnis. Ihre jüngste Tochter Sarah wurde wegen ihres andersartigen Aussehens in einem Kellerraum eingesperrt. Die Legende besagt, dass sie Kindern, die sie aus Neugier besucht haben, gruselige Geschichten durch die Wände geflüstert hat, woraufhin sie spurlos verschwunden sind. Tommy ist Stella und ihren Freunden in das Haus gefolgt und sperrt sie dort gemeinsam mit Chucks Schwester und seiner gelegentlichen Freundin Ruth (Natalie Ganzhorn) in Sarah Bellows' altem Verlies ein. Die Teenager können sich befreien, doch Hobby-Autorin Stella lässt leichtsinnigerweise das Buch mit Sarahs Gruselgeschichten mitgehen. Damit beschwört sie ihren rachsüchtigen Geist herauf, der neue Geschichten in das Buch schreibt. Deren Hauptfiguren: die Kids selbst! Schon bald gibt es das erste Opfer.

Kritik

Zum Horrorfan wird man für gewöhnlich jung. Im Gegensatz zu anspruchsvollen Dramen, die man in der Regel erst später im Leben wertzuschätzen lernt, ist Horror ein Genre, zu dem man bereits in den jungen Jahren in der einen oder anderen Form Zugang findet. Diese ersten Erfahrungen prägen häufig eine lebenslange Liebe für das Genre. Wie bei vielen anderen Dingen, ist es der Reiz des Verbotenen und des Gefährlichen, mit dem Horror lockt. Man setzt sich ihm für eine kurze Zeit aus, bevor man sich wieder in die eigene sichere Welt zurückziehen kann. Wie eine Achterbahnfahrt sorgt guter Horror für belebenden Adrenalinausstoß. Jeder Horrorfan hat seine eigene Geschichte, wie er oder sie mit dem Genre in Kontakt gekommen ist. Bei vielen war es der sanfte Einstieg, beispielsweise mit den "Gänsehaut"-Büchern von R.L. Stine oder Filmen wie Gremlins oder Ghostbusters. Bei mir waren es A Nightmare on Elm Street und Tanz der Teufel (ich hatte sehr entspannte Eltern).

Für viele junge US-Amerikaner, die in den Achtzigern und Neunzigern aufgewachsen sind, waren es die "Scary Stories to Tell in the Dark"-Bücher von Alvin Schwarz. In drei von 1981 bis 1991 veröffentlichten Bändern sammelte Schwartz zahlreiche, meist nur eine bis zwei Seiten lange Gruselgeschichten, die ihren Ursprung in der Folklore und Großstadtlegenden hatten. Die Babysitterin, die unheimliche Anrufe erhält, der Mörder mit der Hakenhand, Alligatoren in der Kanalisation – diese und viele andere Geschichten haben ihren Weg in Schwartz' Bücher gefunden. Noch berühmt-berüchtigter als die Bücher selbst waren die grausigen schwarzweißen Illustrationen von Stephen Gammell.

Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Filmbild 1In Schwartz' Geschichten und Gammells Zeichnungen schöpfte Oscarpreisträger Guillermo del Toro, der Macher modernen Filmmärchen wie Pans Labyrinth und Shape of Water, die Inspiration, Scary Stories to Tell in the Dark auf die Leinwände zu bringen. Mit dem Norweger André Øvredal fand Produzent del Toro genau den richtigen Regisseur, um den Gruselgeschichten neues Leben einzuhauchen. Seinen Hang zum Mythischen zeigte Øvredal bereits mit seinem "Found Footage"-Regiedebüt Trollhunter und inszenierte zuletzt den minimalistischen und hochspannenden Grusler The Autopsy of Jane Doe. Gemeinsam erschufen del Toro und Øvredal eine echte Rarität – einen guten, waschechten Gruselfilm für Jugendliche. Diese Bezeichnung ist in den letzten Jahren aufgrund diverser blutleerer PG-13-Horror-Remakes in Verruf geraten, doch in diesem Falle meine ich sie als großes Kompliment. Es ist kein leichter Spagat, einen Horrorfilm zu drehen, der von Jugendlichen und ihren Eltern gleichermaßen goutiert werden kann, ohne dass er für die ersteren zu heftig oder für die letzteren zu zahm wird. Ich spreche hier von Filmen wie Monster Busters oder dem vorhin erwähnten Gremlins. Die neuen Gänsehaut-Verfilmungen gingen etwas zu sehr in die kinderfreundliche Schiene; noch eher traf ausgerechnet Eli Roth mit Das Haus der geheimnisvollen Uhren den Ton, der allerdings auch noch stark auf Humor und bunte Computereffekte setzte.

Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Filmbild 2Scary Stories to Tell in the Dark trifft meist genau den idealen Punkt zwischen Teenager- und Erwachsenenhorror. Bereits in den allerersten Szenen werden die Zuschauer auf die Halloween-Atmosphäre eingestimmt, wenn sie in einer Montage die Hauptfiguren bei ihren Vorbereitungen auf die Nacht der Geister und Hexen kennenlernen, musikalisch unterlegt von Donovans "Season of the Witch" (im Abspann kommt noch ein eindringliches Cover des Songs von Lana del Rey).

Es ist ein Film, der selten wirklich gruselig, aber dafür durchweg stimmig und schaurig ist. Was der Film nicht ist, ist zahm. Zwar gibt es keine Blutfontänen oder Splattereinlagen, doch die Gefahr für die Protagonisten ist stets sehr real. Nur weil es Kinder sind, bedeutet es hier definitiv nicht, dass sie vor dem Bösen sicher sind. Nachdem die ersten Geschichten von Sarah Bellows zum Leben erwachen, stellt sich sogar ein Gefühl der Unausweichlichkeit ein, nicht unähnlich dem Horror-Meisterwerk It Follows (der kurioserweise eine niedrigere Altersfreigabe in Deutschland erhalten hat, obwohl er deutlich weniger für ein junges Publikum geeignet ist).

Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Filmbild 3Guillermo del Toro schrieb zwar nur den ersten Story-Entwurf und fungierte als Produzent, seine Handschrift ist in dem Film jedoch unverkennbar. Seine Liebe für Filmmonster und handgemachte Effekte sorgt für einige Highlights des Streifens. Ob es eine gruselige Vogelscheuche ist, die zum Leben erwacht, um an ihrem Peiniger Rache zu nehmen, eine Leiche, die nach ihrem verlorenen Zeh sucht, oder ein Schreckgespenst in Gestalt einer leichenblassen, übergewichtigen Frau, die in lynchesken roten Korridoren lächelnd auf einen zuschleicht – Øvredal und del Toro entwerfen hier gekonnt albtraumhafte Szenarien, die noch lange im Gedächtnis haften. Im großen Finale nimmt das CGI leider doch die Oberhand. Gerade im Kontrast zu den vorigen Schöpfungen ziehen die Computereffekte eindeutig den Kürzeren und rauben dem Film seine leise Intensität.

Anstatt mehrere Geschichten der Vorlage als Anthologie umzusetzen, verbindet sie im Film ein übergreifender Handlungsbogen über ein junges Mädchen, deren Misshandlungen als Kind sich in einer unaufhaltsamen Wut materialisierten. Man könnte aber auch sagen, dass der wahre Horror, der über allem in dem Film schwebt, der Geist des Vietnamkriegs ist – kaum im Vordergrund thematisiert, aber dennoch stets präsent. So wie die Kinder in dem Film im Angesicht des ungreifbaren Schreckens erwachsen werden müssen, so verlor auch Amerika in den Sechzigern durch den Horror von Vietnam seine Unschuld. Es gibt keinen Weg zurück, und so bleibt auch den Kids nichts anderes übrig, als zusammenzuhalten und gemeinsam einen Weg zu suchen, dem Albtraum zu entkommen.

Scary Stories to Tell in the Dark (2019) Filmbild 4Die Vergleiche zu "Stranger Things" und Es liegen natürlich sehr nahe, auch wenn das Setting noch weiter in der Zeit zurückliegt. Schon wieder ist es eine Gruppe Kinder, die, von Erwachsenen im Stich gelassen, alleine gegen das scheinbar übermächtige Böse kämpfen muss. Leider bleiben die Charakterzeichnungen der jungen Hauptfiguren in Scary Stories vergleichsweise dünn, was jedoch nicht an ihren überzeugenden Performances liegt. So ist Tommy ein unbelehrbarer Schläger, der natürlich selbst zu Hause schlecht behandelt wird. Die Oberflächlichkeit von Chucks Schwester Ruth wird böse bestraft (eine Albtraum-Szene für alle Arachnophobiker!). Die am besten ausgearbeiteten Charaktere sind die nerdige Horrorfanatikerin Stella, die gemeinsam mit ihrem Vater von ihrer Mutter verlassen wurde und die Schuld bei sich sieht, und Ramón, der vom Vietnamkrieg ganz persönlich betroffen ist und in den USA der Sechziger dem alltäglichen Rassismus begegnet. Trotz ihrer unvernünftigen Idee, das Horrorbuch mitgehen zu lassen, entpuppt sich Stella als eine widerstandsfähige, clevere Heldin, sehr sympathisch verkörpert von der Newcomerin Zoe Colletti. "Breaking Bad"-Star Dean Norris kommt als ihr liebevoller Vater viel zu kurz.

Trotz einiger leichter Mankos gelingt Scary Stories to Tell in the Dark genau das, was der Film sich zum Ziel setzt. Es ist eine offene Liebeserklärung an das Horrorgenre, die jüngeren und älteren Fans gleichermaßen einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Ein potenzieller moderner Halloween-Klassiker ist geboren, dessen Ende – nicht ganz happy, aber optimistisch – eindeutig auf eine Fortführung ausgelegt ist, die wir hoffentlich zu sehen bekommen werden.

Fazit

Als ein rundherum gelungener Horrorfilm für Jugendliche stellt Scary Stories to Tell in the Dark den Unterschied zwischen "gruselig" und "schaurig" perfekt heraus. Tonal irgendwo zwischen den "Gänsehaut"-Büchern und der neuen Verfilmung von Stephen Kings "Es" angesiedelt, ist der Streifen ein Liebeserklärung an das Horrorgenre und seine Fans. Guillermo del Toros unverkennbare Handschrift und André Øvredals sichere Regie sorgen für viele einprägsame, unheimliche Momente mit Gänsehaut-Garantie und wohligem Halloween-Feeling.

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Es: Kapitel 2 (2019) Kritik

Es Kapitel 2 (2019) Filmkritik

It: Chapter Two, USA/CA 2019 • 170 Min • Regie: Andy Muschietti • Mit: James McAvoy, Jessica Chastain, Bill Hader, Isaiah Mustafa, Jay Ryan, James Ransone, Bill Skarsgård, Sophia Lillis, Jaeden Martell • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 5.09.2019 • Deutsche Website

Handlung

Als Kinder stellten sich die sieben Freunde Bill, Beverly, Ben, Mike, Richie, Eddie und Stan gemeinsam einem gestaltwandelnden Monster in der Kanalisation ihrer Heimatstadt Derry. Nach ihrem augenscheinlichen Triumph legten sie einen Blutschwur ab, zurückzukehren und das Wesen endgültig zu vernichten, sollte es jemals wieder auftauchen. In den Jahren darauf verließen alle, bis auf Mike (Isaiah Mustafa), Derry und drifteten auseinander. 27 Jahre später führen die einstigen Verlierer tolle Karrieren, sind im Privatleben jedoch etwas weniger erfolgreich. Bill (James McAvoy) ist ein erfolgreicher Schriftsteller mit Eheproblemen; Beverly (Jessica Chastain) hat sich als Modedesignerin einen Namen gemacht, ist jedoch mit einem gewalttätigen Ehemann verheiratet; Richie (Bill Hader) ist ein Standup-Comedian mit ausverkauften Bühnenshows; Ben (Jay Ryan) wurde vom übergewichtigen Außenseiter zu einem gutaussehenden durchtrainierten Mann mit einem eigenen Architekturbüro; Eddie (James Ransone) arbeitet als Risikobewerter; Stan (Andy Bean) ist ein Buchhalter. Ihre Erinnerungen an jenen schicksalhaften Sommer 1989 und aneinander sind völlig verblasst, bis ein Anruf von Mike sie wachrüttelt. Der Clown Pennywise (Bill Skarsgård) ist wieder da und zieht eine blutige Schneise durch Derry! An ihren Schwur erinnert, kehren die Verlierer widerwillig in die Kleinstadt zurück, wo Mike als Bibliothekar die Geschichte des Monsters studierte und möglicherweise einen Weg fand, es ein für alle Mal zu besiegen. Dazu müssen sie erst ihre Erinnerungen wiedererlangen und ihre Freundschaftsbande wieder aufleben lassen. Denn nur gemeinsam sind sie stark.

Kritik

Eine Verfilmung von Stephen Kings möglicherweise berühmtestem Roman "Es", der (gemeinsam mit seiner Miniserienadaption von 1990) massenhafte Coulrophobie in einer ganzen Generation von Kindern und Jugendlichen auslöste, konnte nie ein leichtes Unterfangen werden. Mit über 1000 Seiten, mehreren Hauptfiguren, einer komplexen Mythologie und zwei ineinander verwobenen Zeitsträngen, die 27 Jahre auseinanderliegen, ist er eine Herausforderung an jeden Drehbuchautor. Es ist nicht ohne Grund, dass die erste Adaption ein TV-Zweiteiler wurde. Auch der ursprüngliche Regisseur und Autor der Kinofassung, Cary Joji Fukunaga, entschied sich für eine Aufteilung in zwei Filme. Fukunaga ging nach unüberbrückbaren kreativen Differenzen mit Warner Bros., seine Idee wurde jedoch beibehalten und vom Regisseur Andy Muschietti und Autor Gary Dauberman umgesetzt. Die natürliche Aufteilung bot sich durch die zwei Timelines im Roman an. Während der erste Film einzig und alleine den Kindern bei ihrem Kampf gegen Pennywise folgte, konzentriert sich Es: Kapitel 2 auf die erwachsenen Verlierer 27 Jahre später. Dabei nähert sich der zweite Film der Erzählstruktur des Romans mehr an, indem er die gegenwärtige Handlung mit den Flashbacks verbindet.

Es Kapitel 2 (2019) Filmbild 1Insofern ist Kapitel 2 einerseits keine klassische Fortsetzung, sondern vielmehr eine organische Fortführung und der Abschluss einer sehr ambitionierten Adaption eines Monumentalwerks der Horrorliteratur. Andererseits folgt der Film aber auch dem typischen Sequel-Motto Hollywoods: größer, länger, härter. Schaut man sich viele Horrorklassiker an, dann merkt man, dass sich gerade in dem Genre der Ansatz "weniger ist mehr" bewährt hat. Andy Muschietti hält offenbar nicht viel davon. Bei ihm heißt es: "Viel, viel mehr ist mehr." Nach dem durchschlagenden Kassenerfolg des ersten Films erhielt er ein deutlich größeres Budget für das zweite Kapitel und das lässt er die Zuschauer nie vergessen, indem er ein Tsunami an groß angelegten Monster- und Horroreffekten auf der Leinwand entfesselt. Seine Vorliebe dafür, das Grauen in all seiner ekelerregenden Schaurigkeit explizit zu zeigen, merkte man bereits seinem Debüt Mama und dem ersten Es an, doch in Es: Kapitel 2 darf er sich wirklich nach Herzenslust austoben. Er flutet die Leinwand buchstäblichen mit Blut, lässt Pennywise alle möglichen, zum Teil überdimensionalen Formen annehmen (auch der berühmt-berüchtigten Spinne wird Tribut gezollt) und schafft einige bemerkenswerte Szenen, allen voran in einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt des Horrors. Die Gruselmomente sind noch böser und zuweilen auch deutlich härter als im ersten Film, doch nach einer Weile wirkt die Effekthascherei auch ein wenig redundant und ermüdend, und man sehnt sich nach Grusel und Atmosphäre, die unter die Haut geht. Diese lässt der Film leider zugunsten der teuersten Geisterbahn der Filmgeschichte vermissen.

Es Kapitel 2 (2019) Filmbild 2Auf eine gewisse Weise ist der Film gerade in dieser Hinsicht einzigartig, denn er beantwortet die Frage, wie ein Horrorfilm aussehen würde, wenn die Macher ein riesengroßes Budget und kaum Einschränkungen auferlegt bekommen. Stellt Euch einen Nightmare-on-Elm-Street-Film vor, wenn sein Regisseur ein Blockbuster-Budget für die Umsetzung von Freddy Kruegers Albtraumszenarien hätte. An Wes Cravens Traum-Killer erinnern die Auswüchse des Pennywise-Horrors am meisten, denn auch der Clown konfrontiert seine Opfer mit ihren größten Ängsten und Unsicherheiten, und ernährt sich von deren Angst, bevor er sie umbringt.

Die Zweiteilung der Verfilmung war wahrscheinlich der einzige sinnvolle Weg einer Umsetzung für die Leinwand, bringt aber auch einen Nachteil für den zweiten Film mit sich. Die Coming-of-Age-Geschichte der Kinder ist inhärent interessanter und für viele Zuschauer nachempfindbarer als die Geschichte der Erwachsenen. Das war schon in der Romanvorlage der Fall. Filme wie Die Goonies und Stand By Me, oder auch die von ihnen aber auch von Stephen Kings inspirierte Netflix-Serie "Stranger Things" erfreuen sich anhaltender Beliebtheit und eines Kultstatus, weil die Zuschauer sich dadurch in die eigene Kindheit zurückversetzt fühlen, eine Zeit unkomplizierter Freundschaften, Abenteuer und Herausforderungen des echten Lebens, die man gemeinsam bewältigte und an denen man wuchs. Seit jeher finden diese Geschichten großen Anklang. Es: Kapitel 2 bringt zwar die jungen Darsteller des Vorgängerfilms in clever eingebundenen Flashbacks zurück, sie spielen jedoch eine deutlich untergeordnete Rolle. War der erste Film nur vordergründig Horror, funktionierte jedoch noch besser als Coming-Of-Age-Drama, beschäftigt sich das zweite Kapitel mit Traumabewältigung und -aufarbeitung, tendiert aber dabei noch mehr zum echten Genrekino. Das wird sicherlich die Zuschauer freuen, denen Kapitel 1 zu zahm war. Der neue Film ist in jeder Hinsicht erwachsener, fieser und härter, lässt jedoch die verträumte Magie von Teil 1 schmerzlich vermissen.

Es Kapitel 2 (2019) Filmbild 3Immerhin sind die Hauptrollen der erwachsenen Verlierer extrem passend besetzt. Bei jedem der Darsteller kauft man sofort ab, dass sie die erwachsene Version ihres jeweiligen Charakters sind. Das wird erst recht durch die Rückblenden verdeutlicht, die jede Figur einzeln erlebt. James McAvoy (X-Men) und Jessica Chastain (Interstellar) sind natürlich die ganz großen Stars im Cast, doch die wirklich herausragende und in einer fairen Welt Oscar-würdige Darbietung liefert hier Bill Hader ("Barry") als Richie ab. Er ist der vielschichtigste Charakter des Films, der die größte Entwicklung durchmacht. Er sorgt einerseits für die heiteren Momente des Films, aber auch für seine emotionalsten. Seine Chemie mit James Ransone (Sinister) als Eddie, die möglicherweise über reine Freundschaftsgefühle hinausgeht, ist spürbar. Jessica Chastain, die bereits in Muschiettis Mama mitgespielt hat, hat auch einige sehr kraftvolle Momente, die sich in Bevs Vorgeschichte und Sophia Lillis' brillante Performance im letzten Film gut einfügen. Dafür schwankt die Performance des in der Regel sehr zuverlässigen James McAvoy als Bill etwas gewöhnungsbedürftig zwischen teilnahmslos und manisch, sodass ich als ein Kind in dem Film, das er vor Pennywise zu beschützen versucht, vor ihm noch deutlich mehr Angst gehabt hätte. Dass sein Charakter, der natürlich stellvertretend für King selbst steht, ein Schriftsteller ist, der oft Schwierigkeiten mit den Enden seiner Romane hat, ist eine nette Meta-Note, die jedoch spätestens durch ein Cameo mit Vorschlaghammer ausgereizt wird.

Es Kapitel 2 (2019) Filmbild 4Erfreulich ist, dass Bill Skarsgård in dem Film als Pennywise mehr Screentime und vor allem noch mehr Spaß in der Rolle hat. Dagegen fühlt sich sein Auftritt im ersten Film fast schon zaghaft und zurückhaltend an. Hier darf der Clown herrlich ausgelassen böse sein, wenn er mit den Verlierern spielt, sie verhöhnt und heimsucht. Der erste Kampf hat nicht nur ihnen seine Spuren hinterlassen, sondern auch bei Pennywise, der die Sache sehr persönlich nimmt. Skarsgård schafft gekonnt den Spagat zwischen furchterregend, verspielt, schwarzhumorig und, wenn die Geschichte es verlangt, verängstigt.

Es Kapitel 2 (2019) Filmbild 5Mit knapp 170 Minuten gehört Es: Kapitel 2 zu den längsten Horrorfilmen aller Zeiten und die Laufzeit macht sich gerade im letzten Akt leider bemerkbar. Die Vorlage ist natürlich sehr umfangreich, und das Duo Muschietti/Dauberman versucht, ihr möglichst gerecht zu werden. Ein Film wie dieser kann seine epische Länge durchaus rechtfertigen, es hapert allerdings an dem Flow und der Verteilung des Tempos. Zwar wird es zu keinem Zeitpunkt langweilig, weil der Regisseur in regelmäßigen Abständen in das Gruselkabinett einlädt und die Schauereffekte herabprasseln lässt, doch zugleich zieht sich der knapp einstündige Showdown und zerrt am Geduldsfaden. Viel lieber hätte ich mehr Zeit mit den Verlierern zusammen verbracht, deren bester Moment das Wiedertreffen im chinesischen Restaurant ist. In dieser Szene entfaltet sich die Dynamik der Gruppe, indem alte Freundschaften wie aus einem lange vergessenen Traum wieder erwachen. Leider schickt der Film die Charaktere danach getrennter Wege und bringt sie erst richtig zum überlangen Finale wieder zusammen, das jedoch mehr mit Effekten als mit den Figuren beschäftigt ist. Kurios ist dabei, dass der Film sich zwar als zu lang anfühlt, man zugleich aber auch merkt, dass hier und da etwas fehlt und die Übergänge manchmal holprig sind. So erhalten wir beispielsweise anfangs kurze Einblicke in die privaten Probleme von Bill und Beverly, diese werden jedoch nie wieder aufgegriffen. Vielleicht wird die von Muschietti versprochene Langfassung bzw. der Supercut der beiden Kapitel für das optimale Tempo sorgen.

Fazit

Größer, böser, härter und ambitionierter: Getreu diesem bewährten Sequels-Credo bringt Es: Kapitel 2 die Adaption von Stephen Kings Horrorepos zu einem zufriedenstellenden Abschluss. Doch auch mit einem sichtlich größeren Budget, ausgefallenen Effekten und einem namhaften Cast, aus dem Bill Hader mit einer fantastischen, vielschichtigen Performance herausragt, reicht der Film nicht ganz an seinen magisch verträumten Vorgänger und dessen Sensibilität heran. Insbesondere im letzten Akt seiner fordernden 170-minütigen Laufzeit schleichen sich spürbare Längen ein.

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Crawl (2019) Kritik

Crawl (2019) Filmkritik

Crawl, USA 2019 • 88 Min • Regie: Alexandre Aja • Mit: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Ross Anderson • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 22.08.2019 • Deutsche Website

Handlung

Haley (Kaya Scodelario) ist eine Studentin und Hochleistungsschwimmerin an der Universität von Florida, die sich Sorgen um ihr Stipendium macht, nachdem sie bei einem Schwimmwettbewerb eine knappe Niederlage erlitten hat. Dazu gesellt sich die Sorge um ihren frisch geschiedenen Vater Dave (Barry Pepper), der auf Anrufe nicht reagiert, während sich in Florida ein Hurrikan der Kategorie 5 anbahnt. Also setzt sich Haley kurzerhand ins Auto und fährt trotz eindringlicher Warnungen der Bundespolizei dem Hurrikan entgegen, in ihr Heimatnest Coral Lake. Im dunklen, schlammigen Kriechkeller ihres alten Familienhauses findet sie ihren Vater verletzt und bewusstlos vor. Die beiden sind nicht alleine. Mehrere gefräßige Alligatoren haben den Keller zu ihrem Jagdrevier gemacht und Dave bereits übel zugerichtet. Mit knapper Not kann Haley ihren Vater und sich in Sicherheit bringen, wobei lediglich Heizungsrohre sie von den schuppigen Monstern trennen. Doch der Schutz ist nicht von Dauer. Der Hurrikan nimmt an Intensität zu, der Wasserpegel steigt stetig und immer mehr Alligatoren strömen ins Haus. Ein verzweifelter Überlebenskampf beginnt.

Kritik

Für viele Einwohner Floridas gehören Alligatoren zum Alltag. Mehr als eine Million Reptilien mit vielen Zähnen leben aktuell im US-Bundestaat. Neben ihren üblichen Lebensräumen findet man sie regelmäßig in Parks, an Golfplätzen oder sogar in privaten Pools. Auch bei meinem mehrwöchigen Florida-Aufenthalt vor einigen Jahren wurde ich Zeuge von ihrer Allgegenwärtigkeit. Wirkt ein Alligator am Straßenrand anfangs noch faszinierend, exotisch bis furchteinflößend, gewöhnt man sich schnell daran. Es ist eine Co-Existenz, mit der sich alle Parteien mehr oder weniger arrangiert haben. Fast 9000 Alligatoren mussten vergangenes Jahr in Florida als Störenfriede eingefangen oder entfernt werden. Tödliche Angriffe sind jedoch äußerst selten. Keine zehn Menschen fielen seit 2010 einem Alligator zum Opfer. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz tödlich getroffen zu werden, ist in Florida höher, als zum Alligator-Snack zu werden.

Crawl (2019) Filmbild 1Da ein Horrorfilm über Blitze, die Jagd auf Menschen machen, etwas abwegig wäre (oder doch nicht?!), treibt der französische Regisseur Alexandre Aja mit seinem neusten Film Crawl die Statistik der fatalen Alligatorenangriffe gewaltig in die Höhe und spielt dabei gekonnt mit den Urängsten der Zuschauer. Nach Ausflügen in die Gefilde übernatürlicher Thriller (Das 9. Leben des Louis Drax) und märchenhafter, düsterer Fantasy (Horns), kehrt Aja mit Crawl wieder zu im Wasser lebenden tödlichen Kreaturen zurück. Diese hat er bereits in seinem ultrablutigen, bewusst trashigen Remake Piranha 3D auf ahnungslose Party-Urlauber losgelassen und ein Leinwand-Gemetzel sondergleichen entfesselt.

Trotz dieser oberflächlichen Gemeinsamkeit und der Tatsache, dass sie jeweils auf ihre Weise zu den besten Tierhorrorfilmen der letzten zehn Jahre gehören, sind beide Filme grundverschieden. Piranha 3D war eine ausgelassene, absurde Splatter-Partygranate, die ihre willkürlichen Nacktszenen, derben Humor und Over-the-Top-Gewalt auskostete. Crawl ist hingegen ein straffer, schnörkelloser, spannungsgeladener und bierernster Survival-Horrorfilm. Auf Gags wird hier weitestgehend verzichtet; augenzwinkernd wird es erst, wenn "See You Later, Alligator" im Abspann spielt. Seine Gewaltspitzen setzt der Film dezent, dann aber wirkungsvoll ein, und bleibt dabei relativ bodenständig. Jedenfalls so bodenständig, wie ein Film sein kann, in dem Alligatoren eine junge Frau durch ein überflutetes Haus jagen. Das klingt vielleicht ein wenig bescheuert, aber wenn schon ein Film es geschafft hat, Haie im Supermarkt halbwegs glaubhaft auf Jagd gehen zu lassen, wirken Alligatoren in einem Haus dagegen wie eine Doku.

Crawl (2019) Filmbild 2Im Subgenre des Tierhorrors spielen Alligatoren und Krokodile neben Haien die zweite Geige. Dass sie dennoch mindestens genauso erbarmungslos und gefährlich wirken können (auch wenn sie es, ebenso wie Haie, im echten Leben selten sind), führt Crawl sehr effektiv vor. Trotz des relativ niedrigen Budgets sehen die hauptsächlich digital erschaffenen Alligatoren im Film in den meisten Szenen sehr glaubwürdig aus. Lediglich in einigen längeren Frontalaufnahmen, die der Film wohlwissend zu vermeiden versucht, gerät der pixelige Realismus ins Wanken. Aja versteckt seine Tiere jedoch nicht, sondern setzt sie sehr wirkungsvoll ein. Mal kommen die Angriffe unvermittelt und lassen die Zuschauer zusammenzucken, mal wird die Spannungsschraube langsam angezogen, dadurch dass man bloß ihre Silhouetten unter Wasser oder gar nur kleine Wellen an der Oberfläche sieht.

Crawl ist ein sehr simpler Film mit einer schlichten Zielsetzung: die Zuschauer erschrecken und vor Spannung schwitzen lassen. Ein Haus, zwei Leute, viele Alligatoren und ein apokalyptischer Hurrikan. Das sind die Zutaten, die Alexandre Aja zu einem unraffinierten, aber sehr zufriedenstellendem Cocktail vermischt. In der Hand eines weniger talentierten Filmemachers hätte der Film vielleicht seinen Blick fürs Wesentliche verloren oder wäre aufgrund seines räumlich eingegrenzten Settings redundant geworden. Nicht so bei Aja. Mit nur 24 drehte er High Tension, trug zur französischen Horrorwelle der 2000er bei und sorgte weltweit für Aufsehen unter Genrefans. The Hills Have Eyes, Mirrors und Piranha 3D machten ihn zum heißesten Hollywood-Export für Horror-Remakes. Crawl ist nicht sein bester Film, doch auch er zeugt von Ajas gutem Gespür für die Interaktion von Setting, Atmosphäre und Spannung. Obwohl nahezu der gesamte Film innerhalb eines Hauses spielt, findet Aja immer wieder kreative Wege, seine Protagonisten, allen voran Kaya Scodelario als Haley, in neue gefährliche Situationen zu bringen. Er verschafft den Zuschauern einen guten Eindruck von der räumlichen Umgebung und trickst nicht mit hektischen Schnitten oder schwacher Beleuchtung. Man sieht immer klar, was passiert; jede Szene ist sorgfältig choreografiert und mit maximaler Effizienz umgesetzt.

Crawl (2019) Filmbild 3Tödliche Raubtiere sind nicht die einzige Urangst, die Aja in dem Film bedient. Das Setting ermöglicht klaustrophobische Momente und der (für das Budget ebenfalls beeindruckend umgesetzte) Hurrikan bringt einem die Angst vor dem langsamen Ertrinken nahe.

Die Kenner von Ajas früheren Filmen wissen, dass der Filmemacher weder dafür bekannt ist, zimperlich mit seinen Charakteren umzugehen noch eine Abneigung gegen Gewaltdarstellungen hat. Auch wenn Crawl in dieser Hinsicht etwas zahmer daherkommt, gibt es darin immer wieder Momente, die einen daran erinnern, wer hier hinter der Kamera saß. Wer also fand, dass es in Tierhorrorfilmen wie The Shallows oder MEG mehr ans Eingemachte hätte gehen sollen, wird bei Crawl seine Freude haben. Es ist kein zügelloses Blutbad á la Piranha 3D, doch es schauen genug Kanonenfutter-Charaktere zwischendrin vorbei, um den Zuschauern ganz genau zu zeigen, was Alligatoren mit dem menschlichen Körper anstellen können. Insbesondere eine Szene, in der gleich mehrere Tiere ein unglückseliges Opfer angreifen, brennt sich ins Gedächtnis ein. Aber auch die beiden Hauptfiguren bekommen eine deftige Abreibung. Crawl ist keiner dieser Filme, in denen die Protagonistin mit einigen Alibi-Kratzern davonkommt. Das lässt die Bedrohung durch die bissigen Alligatoren unerbittlich und real wirken.

Crawl (2019) Filmbild 4Lob gebührt Aja und den Drehbuchautoren Michael und Shawn Rasmussen, denen es gelingt, Haley Gefahren auszusetzen, ohne dass der Charakter dafür den gesunden Menschenverstand aufgibt und dumme Entscheidungen trifft. Sie reagiert glaubwürdig und lösungsorientiert, aber auch nicht ohne Angst und Zweifel. Die Alligatoren sind die Stars des Films, doch ohne den starken Auftritt von Kaya Scodelario würde er nicht so gut funktionieren. Ähnlich wie Blake Lively in The Shallows, ist es ihre Performance als entschlossene Überlebenskämpferin, die den Film über weite Strecken trägt. Aja dreht Scodelario als Haley gehörig durch die Mangel und lässt sie den Großteil des Films barfuß, durchnässt und verletzt durchs Haus hetzen, springen, kriechen oder schwimmen. In einer für viele Zuschauer sicherlich unangenehmen Szene macht sie auch die Bekanntschaft von ganz anderen Lebewesen, womit wir dann wieder beim Thema der Urängste wären. Verbissen und erfinderisch trotzt sie jedoch allen Widrigkeiten und setzt sich mit ihren begrenzten Mitteln erfolgreich zur Wehr. Für die u. a. aus der Maze-Runner-Reihe bekannte Schauspielerin sollte der Film hoffentlich den Weg zu weiteren Hauptrollen ebnen.

Crawl (2019) Filmbild 5Dass der Streifen Haley in den ersten Minuten als Schwimmtalent etabliert, spielt natürlich in ihrem Kampf ums Überleben eine wichtige Rolle, auch wenn die Flashbacks zu ihrer Kindheit und dem Training durch ihren Vater, der ihr eintrichtert, sie sei ein "Spitzenräuber", etwas zu dick aufgetragen sind. Die zweite Ebene des Films macht die Leben-oder-Tod-Situation von Haley und Dave zu einer Art extremer Familientherapie. Hat er ihr sie als Kind zu sehr an ihr Talent glauben lassen? Ist sie schuld an der Scheidung ihrer Eltern? Das Vater-Tochter-Drama ist abgedroschen und in seinem Verlauf natürlich komplett vorhersehbar. Doch es lenkt zum Glück nicht von der Hauptattraktion des Films ab: Alligatoren gegen Menschen vor dem Hintergrund eines extremen Unwetters. Der Film verschwendet keine Zeit, kommt schnell zur Sache und hält sein flottes Tempo über knackige 80 Minuten. Viel mehr kann man sich von einem Tierhorrorfilm nicht wünschen.

Fazit

Inmitten von großen effektgeladenen Sommer-Blockbustern ist Crawl erfrischend in seiner Schlichtheit und Gradlinigkeit. Dank dem vollen Einsatz der Hauptdarstellerin und einem Regisseur mit ausgeprägtem Gespür für Spannung und Szenengestaltung, unterhält er bestens während seiner kurzen Laufzeit. Es ist der beste Film mit tödlichen Reptilien in einem überfluteten Haus seit Jumanji.

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Hobbs-&-Shaw-Star Jason Statham im Interview: "Cheat Days sind für Weicheier!"

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Jason Statham Interview

© 2019 Universal Pictures

Vom professionellen Wasserspringer zu einem der erfolgreichsten Actiondarsteller der Welt. So lässt sich die Karriere von Jason Statham knapp zusammenfassen, doch es lohnt sich auch ein genauerer Blick auf seinen Werdegang. Zwölf Jahre lang war der passionierte Fußballspieler und Schwimmer als Wasserspringer Teil des britischen Nationalkaders. Bevor Guy Ritchie ihn entdeckte und in seinem Kultfilm Bube, Dame, König, grAS besetzte, arbeitete Statham gelegentlich als Model und trat in Werbespots auf. Die Kollaboration mit Ritchie (später auch bei Snatch – Schweine und Diamanten und Revolver) öffnete für Statham die Türen, doch es waren seine Martial-Arts-Kenntnisse, seine Athletik und sein harter-Kerl-Charisma, die ihm die Hauptrolle in Luc Bessons Produktion Transporter eingebracht und ihn 2002 weltweit als neuen großen Star des Actionkinos bekannt gemacht haben.

Die nächsten zehn Jahre verbrachte er hauptsächlich in Filmen, die fast zu einem eigenen Subgenre wurden: dem Jason-Statham-Actioner. Filme wie Crank, Death Race, The Mechanic, Killer Elite und Safe erfreuten sich großer Beliebtheit unter Genrefans. Größeren kommerziellen Erfolg feierte er als Teil des Ensembles in Stallones The Expendables. Doch es war seine Besetzung als Schurke Deckard Shaw in Fast & Furious 7, die ihm seinen ersten Megablockbuster eingebracht hat. Neben dem Auftritt im Sequel, dann wieder auf der Seite der (fast) Guten, durfte er letztes Jahr erstmals die alleinige Hauptrolle in einem großen Blockbuster spielen – MEG. Auch der Film über den prähistorischen Riesenhai wurde zu einem großen Kassenhit, an dessen Fortsetzung bereits gearbeitet wird. Nach langer harter Arbeit war Jason Statham wirklich ganz oben angekommen.

Vergangenes Wochenende eroberte er mit Fast & Furious: Hobbs & Shaw (unsere Kritik) an der Seite von Dwayne Johnson die weltweiten Kinocharts. Die Stathamania ist größer denn je. Ich habe Jason Statham anlässlich des Kinostarts von Hobbs & Shaw zu einem ausführlichen Interview getroffen. Der Schauspieler, der nichts von seinem rauen Charme eingebüßt hat, sprach mit mir über gefährliche Stunts, seine Chemie mit Dwayne Johnson, seine anderen Franchises und eine grauenvolle und prägende Nahtoderfahrung, die er am Set von The Expendables 3 durchlebt hat.

Filmfutter: Also, wie ist es, einen Helikopter an der Leine zu führen?     

Jason Statham: Tja, ich gewähre dir einen kleinen Einblick – es waren Computereffekte. (lacht) Es gab eine große Windmaschine und wir saßen in einem Truck ohne Räder. Es gibt einen wirklich sehr frustrierten Teil von mir, der es hasst, CGI- und Greenscreen-Stunts zu drehen. Aber sie sind notwendig. Sie sind die am wenigsten aufregenden Szenen beim Dreh, aber die beeindruckendsten für die Zuschauer. Aber für mich sind sie die langweiligsten.

FF: Was durftest Du dann selbst machen? Was ist real, was ist CG?

JS: Es ist eine lange Liste für beides. Aber Vieles wurde direkt mit der Kamera aufgenommen. (Regisseur) David Leitch ist jemand, dessen Wunsch, so viel wie es geht direkt mit der Kamera aufzunehmen, ich sehr schätze. Er ist ein ehemaliger Stuntman und Second-Unit-Regisseur. Ich habe mit ihm zuvor schon an vier oder fünf Filmen gearbeitet. Ich kenne ihn als einen Stuntman. Er ist wirklich der Kerl, der möglichst viel echt haben will. Von all den Filmen, die ich für das Fast-&-Furious-Franchise gedreht habe, war das derjenige, bei dem am meisten direkt beim Dreh und nicht später am Rechner entstanden ist.

Hobbs and Shaw Jason Statham Interview 1FF: Aber er bringt auch einen größeren Comedy-Aspekt mit rein, wie er das schon in Deadpool 2 tat. Sogar John Wick hatte humorvolle Elemente.

JS: Ich finde das großartig. Ich denke, dass das Fast-&-Furious-Franchise keinen Raum dafür hatte, was wir in Hobbs & Shaw machten. Deshalb wollten sie einen Ableger machen und den Fans eine neue Dimension gönnen, eine neue DNA und neue Schichten für die beiden Charaktere Hobbs and Shaw. Es gibt so viele Figuren in Fast & Furious, dass man nicht die Gelegenheit hat, den Zuschauern jeweils mehr von ihnen separat zu zeigen, abgesehen von einer Szene hier und einer Szene da. Ich denke, der Appetit für das, was wir gemacht haben, war vorhanden. Es gab entsprechendes Feedback von den Testvorführungen. Die Zuschauer mochten es, wenn Dwayne und ich uns gestritten haben. Sie liebten die Bromance. Je mehr wir uns hassten, desto mehr liebten sie es.

FF: Offensichtlich haben das Studio und die Produzenten die Chemie zwischen Euch beiden erkannt. Aber wann ist sie Euch selbst aufgefallen?

JS: Wenn man diese Szenen gemeinsam dreht, merkt man, dass da etwas ist. Wir haben viel gelacht. Wir gehen einander heftig an in unseren Szenen, aber wenn die Kamera nicht mehr läuft, ist es lustig, denn natürlich sind wir nicht so zueinander. Es fiel uns sehr leicht. Als wir Teil 8 drehten, gab es die Gelegenheit, ein kleines Stück am Ende des Films zu drehen, eine Abspannszene. So wie das erste Mal, als mein Charakter am Ende von Teil 6 eingeführt wird. Der Film ist eigentlich vorbei und dann ruft Deckard Shaw Dom an und sagt zu ihm: "Du weißt nicht, wer ich bin, aber du wirst es bald herausfinden." Sie wollten auch eine solche Szene am Ende von Fast & Furious 8 einfügen. Dwayne Johnson und ich kreisen umeinander in einer Garage, um dieses Ding endlich zu klären. Ich habe ihn im siebten Film aus dem Fenster geworfen und für mich war es ein Sieg, aber er sieht es natürlich anders. Also wollen wir das ein für alle Mal entscheiden. Wir hatten diesen tollen Dialog und verbalen Schlagabtausch. Alle Studioleute liebten die Szene, aber sie hat es nie in den Film geschafft, weil sie nicht so gut reinpasste. Stattdessen haben sie einfach einen ganz neuen Film mit uns beiden gemacht. (lacht) Wir haben uns darauf eingelassen und ich denke, es hat gut geklappt, weil die Chemie stimmt.

Hobbs and Shaw Jason Statham Interview 2FF: Wenn ich Hobbs und Shaw Seite an Seite kämpfen sehe, erinnern sie mich ein wenig an Bud Spencer und Terence Hill. A großer, massiger Kerl und ein eher athletischer, agiler Typ.

JS: Ich habe noch nie von den beiden gehört.

FF: Sie sind zwei ikonische italienische Stars, die mehrere Dutzend Actionkomödien zusammen gedreht haben und sehr berühmt in Deutschland sind.

JS: Oh, wow, ich komme mir blöd vor, weil ich sie nicht kenne.

FF: Dwayne Johnson ist für sein sehr strenges Fitnessprogramm bekannt. Er steht laut eigener Aussage um 4:30 morgens auf und geht ins Fitnessstudio. Bist Du mit ihm mitgegangen?

JS: Pfannkuchen sind doch nicht streng! Er isst Riesenstapel von Pfannkuchen!

FF: Ein Cheat Day vielleicht?

JS: Niemand hat einen Cheat Day! Cheat Days sind für Weicheier! Lass mich das klarstellen: Während er Pfannkuchen isst, ackere ich im Fitnessstudio.

FF: Vin Diesel spricht immer von dieser großen Fast-&-Furious-Familie. Gab es Spannungen oder gestörte Harmonie in dieser Familie, nachdem bekannt wurde, dass Ihr beide einen eigenen Film bekommt?

JS: Nein, ich denke nicht. Man könnte eigentlich zwei beliebige Charaktere aus dem Franchise nehmen und einen Film mit ihnen machen. Ich denke, so ist es auch geplant. Mit den Mädels, mit Tyrese (Gibson). Die Abspannszene, die wir für Teil 8 drehten, war direkt unter deren Nase, also haben sie diesen Film gemacht. Wir versuchen auf keinen Fall, das Fast-&-Furious-Franchise zu unterminieren. Unser Film legt einfach den Fokus auf einen Tag aus dem Leben dieser beiden Kerle. Es ist wie ein Zweig eines Baumes. Wir wollen dem Fast-Universum Respekt erweisen und ich denke, das ist uns gelungen.

FF: Aber Ihr seid im neunten Film nicht dabei, oder?

JS: Wir haben erst kürzlich diesen Film beendet und sie drehen bereits Teil 9. Ich schätze, es wäre ein Hobbs-und-Shaw-Overkill, wenn wir darin auch noch auftauchen würden. (lacht)

Hobbs and Shaw Jason Statham Interview 3FF: Bist Du es irgendwann leid, Actionszenen zu drehen? Immer schießen, rennen, Leute verprügeln…

JS: Nee, es ist ein Riesenspaß. Meine Lieblingsleute am Filmset sind die Stuntleute. Meine Gelegenheiten, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten, sich etwas zu überlegen, bereiten mir echt viel Spaß. Wenn man es richtig hinbekommt, dann hat man wirklich das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Man bringt sich an seine Grenzen und versucht, das Timing richtig hinzubekommen. Alle kreativen Elemente kommen zusammen. Zum Glück waren Dwayne und ich auch Produzenten bei diesem Film. Man hat dann einen großen kreativen Input: man arbeitet mit den Autoren zusammen und mit anderen Abteilungen. Es ist faszinierend.

FF: Wird es mit dem Alter schwieriger, diese Szenen zu drehen?

JS: Ich bin zwar nicht der Jüngste, aber ich denke, dass ich der jüngste bin! Ich denke, es ist ein Bewusstseinszustand. Wenn der Körper in Form ist und man sich bewegen kann, welchen Unterschied macht es aus, wie alt man ist? Ich kenne Leute meines Alters, die kaum eine Tasche in den Zug hochheben können. Sie sind körperlich einfach unfähig. Und dann gibt es Leute, die viel älter sind als ich, die Marathons laufen, an Triathlons teilnehmen, Gewichte stemmen oder Martial Arts trainieren. Das Alter ist irrelevant: es kommt nur darauf an, wie gut man funktioniert.

FF: Bist Du dennoch irgendwann an einem Punkt in Deinem Leben angekommen, an dem Du dachtest, dass Du weniger riskieren möchtest?

JS: Wir können die Risiken unserer Arbeit gut einschätzen. Natürlich versuchen wir immer, möglichst sicher zu sein. Uns ist sehr bewusst, was wir da machen. Aber mir fällt trotzdem eine bestimmte Situation bei Mechanic: Resurrection ein, als ich einen Stunt beim Dreh in Thailand gemacht habe. Ich musste laufen und von einem höheren Deck eines Boots in ein Schlauchboot auf dem unteren Deck springen. Während ich in der Luft war, musste ich mich drehen, meine Waffe abfeuern und im Boot landen. Die Dichte des Schaumstoffs im Schlauchboot war zu hart und sie konnten keine andere Polstermatte vom Festland bringen, weil es zu weit war und die Sonne unterging. Also war die Frage, ob ich den Sprung selbst ausführe, oder ihn einem Stuntman überlasse. Für mich war es eine einfache Sache, eine gymnastische Bewegung, eine einfache Hüftendrehung in der Luft. Wir haben die Szene fünf- oder sechsmal wiederholt. Als ich den Kopf nach vorne richtete, um den Kerl zu erschießen, und mein Körper drei Meter tiefer aufschlug, konnte ich spüren, wie mein Hals jedes Mal zurückgeworfen wurde. Ich habe diese Entscheidung teuer bezahlt. Es dauerte gut zehn Monate, bis mein Hals wieder ganz war. Wenn das Weichgewebe echten Schaden nimmt, dauert es lange, bis es sich erholt. Das sind die Augenblicke, in denen man die Stunts hinterfragt, die man selbst ausführt.

Auf Seite 2 geht es weiter mit einem Update zu nächsten The-Expendables– und MEG-Sequels. Außerdem erzählt Jason Statham ausführlich von seiner furchteinflößenden Erfahrung am Set von The Expendables 3, die ihm beinahe das Leben kostete.

Fast & Furious: Hobbs & Shaw (2019) Kritik

Fast & Furious: Hobbs & Shaw (2019) Filmkritik

Fast & Furious Presents: Hobbs & Shaw, USA/GB 2019 • 136 Min • Regie: David Leitch • Mit: Dwayne Johnson, Jason Statham, Vanessa Kirby, Idris Elba, Eiza González, Eddie Marsan • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 1.08.2019 • Deutsche Website

Handlung

US-Bundesagent Luke Hobbs (Dwayne Johnson) wird von der CIA auf eine neue Mission nach Großbritannien geschickt. Er soll die abtrünnige MI6-Agentin Hattie (Vanessa Kirby) ausfindig machen, die vermeintlich ihr ganzes Team getötet und mit einem hochgefährlichem Virus untergetaucht ist, das bei Freisetzung Millionen von Menschen weltweit grausam töten würde. In London angekommen, stellt er fest, dass er dabei gezwungen ist, mit seinem einstigen Widersacher Deckard Shaw (Jason Statham) zusammenzuarbeiten, einem ehemaligen Elitesoldaten, der zum Söldner wurde und Hobbs einst eine Tracht Prügel verpasste. Obendrein ist Hattie Shaws jüngere Schwester, die ihn für einen Landesverräter hält. Nachdem Hobbs Hattie mit Mühe und Not dingfest machen kann, erklärt sie, dass ein Terrorist namens Brixton (Idris Elba) im Auftrag der mächtigen kriminellen Organisation Etheon hinter dem Virus her ist. Er hat ihre Kollegen getötet und ihr alles in die Schuhe geschoben. Um die Superwaffe vor ihm zu bewahren, hat sich Hattie das Virus selbst injiziert und hat nur noch 36 Stunden, bis es sie tötet und freigesetzt wird. Widerwillig müssen also Hobbs und Shaw zusammenarbeiten, um einen Weg zu finden, das Virus aus Hattie herauszubekommen und unschädlich zu machen. Brixton, der dank Hightech-Ergänzungen mehr Cyborg als Mensch ist und übermenschliche Kräfte besitzt, und seine Privatarmee machen es dem Trio jedoch nicht leicht und verfolgen sie rund um die Welt.

Kritik

Ihr sucht nach einem knüppelharten, bodenständigen Actionfilm? Dann solltet Ihr einen weiten Bogen um Fast & Furious: Hobbs & Shaw machen. Wer seinem Hirn aber eine Auszeit gönnen möchte und sich auf dieses völlig ausgelassene, alberne und mit mehr One-Linern als ein Arnie-Film zu dessen besten Zeiten gespickte Popcorn-Abenteuer einlässt, kann sich zwar nicht auf die besten, aber womöglich die kurzweiligsten 136 Filmminuten dieses Jahres freuen.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass sich das Fast-&-Furious-Franchise seit ihren bescheidenen Anfängen als ein Gefährliche-Brandung-Abklatsch mit getunten Autos und illegalen Straßenrennen massiv verändert hat. Den Machern wurde bewusst, dass sich diese Prämisse nur bedingt lange auf weitere Fortsetzungen strecken lässt. Wenn man den Wendepunkt im Franchise benennen müsste, dann ist es vermutlich der erste Auftritt von Dwayne "The Rock" Johnson als Luke Hobbs in Fast & Furious Five. Der samoanische Thor mit einer großen Vorliebe für Babyöl war anfangs ein Widersacher für Dom (Vin Diesel) und sein Team, wurde aber in weiteren Fortsetzungen zum Verbündeten, der sie auf gefährliche Missionen rund um den Globus schickte. Die einnehmende Leinwandpräsenz des Profi-Wrestlers und inzwischen eines der bestbezahlten Schauspieler der Welt verlieh der Reihe ein neues Flair. Eine ähnliche Wandlung vom Antagonisten zum widerwilligen Teamplayer machte auch Jason Statham als Deckard Shaw durch. Am Ende meiner Rezension zu Fast & Furious 8 attestierte ich beiden großartige Chemie miteinander, die viel vom Spaß des letzten Films ausgemacht hat.

Fast and Furious Hobbs and Shaw (2019) Filmbild 1Das sahen Universal und die Filmemacher ähnlich, sodass den beiden ein eigener Film auf ihre durchtrainierten Leiber geschrieben wurde. Als erstes (aber sicherlich nicht letztes) Nebenkapitel der Fast-&-Furious-Reihe macht Hobbs & Shaw dem Haupt-Franchise alle Ehre. Völlig absurde Actionsequenzen? Check. Schnittige, getunte Autos (mit besonderem Augenmerk auf McLaren- und Chevrolet-Logos)? Check. Fette Beats? Check. Familie als zentrales Thema der Protagonisten? Check. Viel Selbstironie verpackt in coole Sprüche? Check. Co-Autor Chris Morgan, der seit Tokyo Drift jeden Teil der Reihe geschrieben hat, sorgt dafür, dass auch der Ableger auch exakt demselben Holz geschnitzt ist wie die anderen Filme. Mehrere Referenzen und namentliche Erwähnungen betten den Film außerdem fest in den Kanon der Reihe ein.

Fast and Furious Hobbs and Shaw (2019) Filmbild 2Trotz gleicher DNA ist der Ableger dennoch nicht einfach nur ein weiteres Fast-&-Furious-Sequel mit abgewandeltem Titel. Sind die Filme der Hauptreihe inzwischen stets Ensembleabenteuer, ist Hobbs & Shaw im Kern ein waschechter Buddy-Film ganz im Geiste des Achtziger-Kinos à la Tango & Cash. Wir haben zwei gegensätzliche Muskelprotze, die sich über die gesamte Laufzeit einen verbalen Schlagabtausch abliefern, den Testosteronspiegel durch die Decke gehen lassen und natürlich im Laufe ihrer Abenteuer lernen, einander zu vertrauen. Ihnen steht ein übermächtiger, größenwahnsinniger Schurke gegenüber, den sie nur besiegen können, wenn sie ihre Differenzen beilegen.

Was den Film jedoch am meisten zu einer Hommage an jene simpleren Zeiten im Actionkino macht, ist die schiere Unmenge an bissigen Sprüchen und One-Linern, die gefühlt mehr als die Hälfte der gesamten Dialoge in dem Film ausmachen. Es ist als ob Chris Morgan und sein Co-Autor Drew Pearce beim Schreiben ein Programm nebenbei laufen hatten, das auf Kommando einen neuen One-Liner ausspuckte. Der Humor deckt die gesamte Palette von clever ("Game of Thrones" wird besonders getrollt) bis schamlos vorpubertär ab. Mein junggebliebenes Ich war köstlich amüsiert. Dazu trugen auch zwei sehr überraschende Gastauftritte bei, die man sich vorher auf keinen Fall spoilern lassen sollte.

Fast and Furious Hobbs and Shaw (2019) Filmbild 3Das hätte auch schnell peinlich werden können, funktioniert aber dank den beiden Hauptdarstellern, deren Charisma sie vielleicht nicht zu den besten Schauspielern der Welt, aber dennoch zu echten Stars macht. Mehr für ihre Actionrollen bekannt, haben sowohl Johnson als auch Statham ausgeprägtes komödiantisches Gespür, dem sie in diesem Film freien Lauf lassen. Ihre zum Teil sehr kreativen Sticheleien ziehen sich von ihrer allerersten gemeinsamen Szene bis nach dem Abspann des Films durch (also sitzen bleiben!). Aber keine Sorge, sie verprügeln auch wieder viele, viele böse Buben. Gerade dem wendigeren und flinkeren Statham schaut man bei seinen Kampfszenen immer gerne zu. Johnson hingegen lässt mehrfach den voluminösen Bizeps spielen, macht Liegestützen, drückt Gewichte auf der Bank, zieht wieder eine Augenbraue hoch und bezeichnet sich selbst als Muskelberg. Es sieht genau so absurd aus, wie es klingt, und das völlig bewusst.

Fast and Furious Hobbs and Shaw (2019) Filmbild 4Was den Film jedoch von dem Testosteron-Kino der Achtziger unterscheidet (neben den völlig abgedrehten Actionsequenzen, die nur dank modernen Computereffekten umsetzbar sind), ist Vanessa Kirby, die dem Männer-Duo als eine nicht minder effektive Partnerin beisteht. Kirby, die bereits in Mission: Impossible – Fallout die Luft des Spionage-Actionkinos geschnuppert hat, macht als ultracoole, agile Agentin mit einem trockenen Spruch auf den Lippen eine verdammt gute Figur und bietet ein gutes Gegengewicht zum Männerakt. Ihr Auftritt in dem Film erinnert mich an den Augenblick, als ich Scarlett Johansson erstmals als Black Widow in Iron Man 2 in Aktion gesehen habe und wusste, dass die Schauspielerin, von der ich das zuvor nicht angenommen hätte, definitiv eine Zukunft im Actionkino hat. Dass ihre Figur im Film nur wenige Jahre jünger als Jason Stathams sein soll, sollte man vielleicht nicht zu sehr unter die Lupe nehmen.

Nicht ganz so gut kommt der großartige britische Schauspieler Idris Elba als Schurke weg. Der selbsternannte Black Superman ist simpel gestrickt und eigentlich ein Mittel zum Zweck, um die Handlung von A nach B voranzutreiben. Er spielt die Rolle natürlich nicht schlecht (das könnte Elba sicher gar nicht), aber das Talent des "Luther"-Stars ist hier eindeutig unterfordert. Sein Motiv, der Genozid an schwächeren Menschen der Welt, damit die stärkeren durch technologische Zusätze zu einer neuen Rasse von Supermenschen werden wie er, ist ziemlich dünn und nicht gerade originell.

Fast and Furious Hobbs and Shaw (2019) Filmbild 5Regisseur David Leitch, der mit John Wick und Atomic Blonde zwei der besten Actionfilme der letzten Jahre drehte, inszeniert Hobbs & Shaw extrem temporeich. Der Film steigt direkt mit einer Actionszene ein und nimmt danach den Fuß nie vom Gaspedal. Es vergehen keine zehn Minuten ohne eine weitere, in der Regel zunehmend haarsträubende Actioneinlage, sei es eine unrealistischste, aber ultraspaßige Auto-Verfolgungsjagd durch die vollen Straßen Londons, eine Verfolgungsjagd durch ein explodierendes Kraftwerk in Russland, ein waffenloser Kampf zwischen Brixtons Söldnern und Hobbs' samoanischer Familie mit traditionellen Stammeswaffen, oder eine Szene, die sich kaum anders beschreiben lässt als Johnson, der einen Helikopter an einer Stahlkette Gassi führt. Leitch lässt nie Langeweile aufkommen. Er weiß genau, was die Fans der Reihe erwarten, und bedient sie entsprechend. Hobbs & Shaw ist ein Film, der albern, übertrieben und auf eine selbstironische Weise blöd ist. Doch im Unterschied zu wirklich dummen Filmen, die sich ernst nehmen, wie dem Großteil des Transformers-Franchises, ist das allen Beteiligten jederzeit klar, und das macht ihn wirklich sympathisch. Erfolg und eine Fortsetzung sind bei dem Film vorprogrammiert, sodass dieser wohlwissend das Fundament für den nächsten Teil legt.

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Midsommar (2019) Kritik

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Midsommar, USA 2019 • 147 Min • Regie & Drehbuch: Ari Aster • Mit: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, Will Poulter, William Jackson Harper, Ellora Torchia, Archie Madekwe • Kamera: Pawel Pogorzelski • Musik: Bobby Krlic • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Weltkino • Kinostart: 26.09.2019 • Deutsche Website

Es sind kalte Bilder und kalte Emotionen, die den Zuschauern zu Beginn von Ari Asters zweitem Spielfilm „Midsommar“ begegnen. Aufnahmen von einsamen und verschneiten Landschaften gehen in die Wohnung einer jungen Frau über, die verzweifelt auf ihr Smartphone starrt. Der Regisseur des gefeierten Horrorschockers „Hereditary – Das Vermächtnis“ nimmt sich auch in seiner neuen Arbeit Zeit, das Drama-Fundament seiner Geschichte bis zur Schmerzgrenze auszuloten, bevor er seine Protagonisten schließlich in den ungewissen Schrecken stürzt. So ist „Midsommar“ zuallererst die schonungslose Dokumentation einer dysfunktionalen Beziehung, die sich im Verlauf vor den Hintergrund eines bizarren Folk-Horror-Szenarios verlagert und dort ihren morbiden Höhepunkt findet. Aster zeigt sich erneut als aufmerksamer Beobachter verborgener Gefühle, die sich wie ein bösartiges Geschwür durch die Seele fressen und langsam Einfluss auf den Charakter nehmen. Der Albtraum ist hier menschengemacht.

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Bei der Frau vom Beginn handelt es sich um die Studentin Dani (Florence Pugh), deren Schwester bei ihrem Selbstmord auch die Eltern mit in den Tod gerissen hat. Erschüttert und von ihren Emotionen überwältigt, sucht sie Halt bei ihrem distanzierten Freund Christian (Jack Reynor), der sich aber lieber mit seinen oberflächlichen Kumpels umgibt als Trost zu spenden. Nur durch Zufall erfährt sie, dass Christian mit diesen eine Reise nach Schweden plant, um der Gemeinde seines Freundes Pelle (Vilhelm Blomgren) bei ihrem Sommerfest beizuwohnen. Schuldbewusst und in dem festen Glauben, dass sie nicht mitkommen wird, wird Dani kurzerhand auch eingeladen – und sagt zur Entgeisterung der Clique, der noch Josh (William Jackson Harper) und Mark (Will Poulter) angehören, zu. Vor Ort angekommen, tut sich für die Amerikaner eine ganz neue Welt auf: Eine eigentümliche Ansammlung von Menschen in Gewändern begrüßt sie herzlich in einem entlegenen und von seltsamen Gebäuden umstellten Idyll. Ein ganz besonderes Ereignis steht hier bevor – und während sich die Gäste im Drogenrausch mit der Umgebung vertraut machen, stellen sie zunehmend fest, dass in dieser Gesellschaft äußerst ungewöhnliche Rituale praktiziert werden …

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Stilistisch entfernt sich Ari Aster von der klaustrophobischen Finsternis des Vorgängers und fängt „Midsommer“ in einer sonnendurchfluteten, scheinbar endlosen Weite ein, die eher Agoraphobie erzeugt. Ein Rückzug in die Privatsphäre scheint vor den Augen der omnipräsenten Gemeindemitglieder unmöglich – nicht gerade die optimale Situation im fragilen Zustand des Trauerns. Als klares Vorbild dient dem Regisseur der Urvater der Folk-Horrorfilme, Robin Hardys „The Wicker Man“, in dem sich Paranoia und Unbehagen auch schleichend durch wachsende Skurrilität und nicht durch physische Konfrontation ausbreiten. Hinter all der Freundlichkeit versteckt sich nicht etwa etwas abgründig Böses, sondern eine andere Sichtweise der Welt. Und eine andere Interpretation von Recht und Unrecht. Trotz der geschilderten Perversionen und haarsträubenden Riten gelingt es Aster, dieser Gesellschaft auch etwas verboten Anziehendes zu verleihen. Nicht umsonst steht die Wärme und feierliche Stimmung im krassen Gegensatz zu den unterkühlten Eindrücken des Einstiegs.

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Deutlich verstörender als die kurzen aber effektiven Splatter-Einschübe brennen sich die Szenen im Gedächtnis fest, die anfangs die völlige Gleichgültigkeit gegenüber der verletzten Dani von Seiten ihrer vermeintlichen Freunde und ihres Partners zeigen. Während nach außen Verständnis geheuchelt wird, lässt die Clique im engen Kreis kein gutes Haar an ihr. Eine Ausnahme ist Pelle, der nicht umsonst das Bindeglied zu der mysteriösen Sekte bildet. Jeder von ihnen erhofft sich von der Reise etwas anderes: Josh will seine Abschlussarbeit über das Sommerfest schreiben, Mark freut sich auf Party und ungezwungenen Geschlechtsverkehr und Christian wagt mit seinen wahren Absichten erst später die Konfrontation. Doch lediglich die von der fantastischen Newcomerin Florence Pugh („Lady Macbeth“) eindringlich verkörperte Dani befindet sich auf einer existenziellen Suche. Innerlich weiss sie, dass es sich bei Christian und Co. um verlogene Gefährten handelt – ihr fehlt schlicht die Kraft, sich aus dem Gefüge zu lösen und einen neuen Weg zu beschreiten.

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Mit „Midsommar“ gelingt Ari Aster das Kunststück, seinem Volltreffer-Debüt direkt ein ebenbürtiges Zweitwerk nachfolgen zu lassen und seinen Status als absolutes Ausnahmetalent im Horrorgenre nachdrücklich zu festigen. Wie die Altmeister der Zunft nutzt auch er die erzählerischen Freiheiten der Fantastik, um seine im Kern universelle Suche nach Halt und Zugehörigkeit bis ins Groteske zu übersteigern. Auch wenn der Leidensweg Danis tief unter die Haut geht, sitzt Aster hier stets spürbar der Schalk im Nacken: So ernst ihm der emotionale Leitfaden der Geschichte auch ist, so bewusst ist er sich ebenso der Absurdität des Szenarios. Die Reaktionen der Besucher auf die merkwürdigen Gepflogenheiten der Gastgeber sorgen beispielsweise an diversen Stellen für eine willkommene Prise makabrer Komik. Inszenatorisch in den Fußstapfen von Kubrick und Polanski, bricht in „Midsommar“ vereinzelt der Wahnsinn des „Texas Chainsaw Massacre“ und die Obszönität von Ken Russells „Die Teufel“ durch, weshalb das Werk von der US-Behörde MPAA mit dem gefürchteten NC-17 (kein Einlass unter 18 Jahren) abgestraft wurde. Für den regulären Kinostart steht also zunächst lediglich eine bereits alles andere als zahme Schnittfassung bereit, die dann bei späteren Auswertungen um den vollständigen Director’s Cut ergänzt werden soll.

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Bewusst provokant und in hypnotischen Bildern eingefangen, ist „Midsommar“ nach Jordan Peeles „Wir“ bereits das zweite überragende Genrewerk des Jahres 2019 und ein emotional stark involvierender Leinwand-Trip. Ein robustes Nervenkostüm sollte man hier allerdings auf jeden Fall mitbringen.


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Once Upon a Time in Hollywood (2019) Kritik

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Once Upon a Time … in Hollywood, USA/GB 2019 • 161 Min • Regie & Drehbuch: Quentin Tarantino • Mit: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Timothy Olyphant, Margaret Qualley, Emile Hirsch, Al Pacino • Kamera: Robert Richardson • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 15.08.2019 • Deutsche Website

Mit seinem Retro-Epos „Once Upon a Time in Hollywood“ möchte Quentin Tarantino der Traumfabrik sein ganz persönliches Denkmal setzen und wählt dafür einen sehr spezifischen Zeitpunkt aus: Im Jahre 1969 befindet sich die Filmindustrie, wie auch die Gesellschaft, im Wandel. Die Goldene Ära der pompösen Monumentalfilme ist vorbei und auf den Straßen tummeln sich junge Menschen, die lauthals gegen die Ideale der Elterngeneration aufbegehren. Während sich das neue Hollywood um frische Konzepte bemüht, erreicht die einst friedliche Hippiebewegung in der Gestalt von Charles Manson und dessen Anhängern einen tragischen Tiefpunkt. Am Morgen des 9. August 1969 ermordeten Mitglieder der Manson-Familie die damals hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski, und ihre Freunde auf bestialische Weise. Tarantino schielt in seinem ansonsten überaus leichtfüßigen (die Betonung liegt auf Füße) Mix aus Hang-Out- und Buddy-Movie auf dieses Datum und lässt es wie ein Damoklesschwert über den Protagonisten schweben.

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Als Anker in dem schillernden Geschehen dienen der Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und dessen treuer Kumpel und Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt). Daltons Karriere befindet sich nach dem Aus seiner TV-Serie auf dem Abstieg und um den Kopf über Wasser zu halten, gibt er in diversen Einzel-Episoden den flink eliminierten Schurken. Während er mit der Möglichkeit, bald in Italien Spaghetti-Western zu drehen, bitter hadert, nimmt Booth sein eigenes Schicksal eher gelassen und lebt in den Tag hinein. Beim Cruisen sammelt der einstige Kriegsheld und mutmaßliche Mörder seiner Ehefrau das aufdringliche Hippie-Mädchen Pussycat (Margaret Qualley) auf, das eine Mitfahrgelegenheit zur Spahn-Ranch, einer verkommenen Filmkulisse, sucht. Dort gerät Booth schnell an eine ansässige und ihm feindlich gesinnte Kommune. Noch im gleichen Jahr soll es ein Wiedersehen mit einigen der aggressiven Kids geben, denn zu Daltons Freude haben just Sharon Tate (Margot Robbie) und Roman Polanski (Rafal Zawierucha) das Nachbarhaus bezogen – könnte sich so vielleicht bald eine lukrative Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Starregisseur ergeben … ?

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Quentin Tarantino ist zweifellos eine Marke für sich – oft kopiert, nie erreicht. Auf Genre-Grenzen pfeifend, gibt der aus allen möglichen und unmöglichen Streifen zitierende Auteur und Filmgeek seit inzwischen 27 Jahren den Rockstar der Traumfabrik. Was läge für den zweifachen Oscar-Preisträger also näher, als seinen sehr individuellen Blick auf Hollywood schließlich auch einmal im breitesten Tarantino-Scope einzufangen? Das bedeutet freilich, dass alles erlaubt ist und selbst reale Personen vom Meister wie Spielzeugfiguren in ein nur teils wahres Geschehen gestürzt werden. So entstehen dann haarsträubende Momente, etwa wenn Booth einem arg geschwätzigen Bruce Lee (Mike Moh) den Hintern versohlt oder Steve McQueen (Damian Lewis) seine Chancenlosigkeit bei Sharon Tate darauf zurückführt, dass er nicht wie ein 12-jähriger Knabe aussieht. An jeder Einstellung, jedem Dialog und jedem Ohrwurm-Popsong merkt man, dass Tarantinos (angeblich) vorletzter Film erneut einer tiefen Passion entspringt, die auch – aber nicht nur – den Anblick von Frauenfüßen einschließt. Würde man „Once Upon a Time in Hollywood“ nur nach diesem Aspekt betrachten, so wäre er schonmal sein Fuß-Meisterwerk. Besonders deutlich wird das in einer Szene, in der sich Tate einen ihrer Filme im Kino anschaut und dabei Margot Robbies Sohlen minutenlang einen Großteil der Leinwand einnehmen. Fußgegner seien also vorgewarnt!

Wer sich gefragt hat, ob die Besetzung der beiden Megastars DiCaprio und Pitt im selben Film wirklich notwendig oder pures Namedropping war, dem sei gesagt, dass die Chemie zwischen dem gebrochenen Darsteller und dem lässigen Stuntman dem Werk erst den besonderen Kick verschafft und beide Schauspieler hier zu absoluten Hochtouren auflaufen. Wenn Tarantino im Abspann den klassischen Batman-Song aus der Kiste kramt, feiert er damit sein ganz persönliches dynamisches Duo, das allerdings eher aus Robin (Dalton) und einer Batman/Alfred-Mutation (Booth) besteht. Beide Protagonisten sind übrigens die einzigen Figuren, die eine gewisse Entwicklung durchmachen – wo wir nun bei den Kritikpunkten des überaus unterhaltsamen Films angekommen wären.

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Tarantino – eigentlich ein Garant für die Kreation und Besetzung überragender Nebenrollen – enttäuscht hier erstmals mit einer recht blassen Bevölkerung seiner Fantasiewelt abseits von Dalton und Booth. Selbst Margot Robbies Sharon Tate, die mit ihrer Screentime an dritter Stelle stehen dürfte, wirkt eher wie ein hübsches Requisit als wie eine sorgfältig ausgearbeitete Figur. Geschweige denn wie ihr reales Vorbild. Während der bereits erwähnte Mike Moh als Bruce Lee in einer für den Verlauf der Geschichte recht überflüssigen Szene zumindest nachhaltig begeistern kann, vergisst man namhafte Gesichter wie Al Pacino, Kurt Russell oder Timothy Olyphant als „Lancer“-Star James Stacy leider schnell nach ihren amüsanten Auftritten wieder. Man könnte es so zusammenfassen, dass „Once Upon a Time in Hollywood“ eine wunderschön fotografierte und mit Auge zum Detail inszenierte Liebeserklärung geworden ist, welche 160 Minuten bemerkenswert schnell verfliegen lässt, sich aber gleichzeitig als Tarantinos erzählerisch flüchtigste Leistung entpuppt. Recht abrupt springt die Handlung hin und her – mal gibt es Dalton am Set, Booth mit nacktem Oberkörper auf dem Dach, Tate im Kino oder eine Party in der Playboy-Villa; dann wieder Interview-Ausschnitte, Rückblenden, Trailer (im Abspann gibt es mehr zur Tarantino-Eigenmarke Red Apple) oder einen Zeitsprung mit Off-Kommentar. Das alles macht Spaß, keine Frage. Doch abgesehen von einer intensiven Szene, in der Booth die Spahn-Ranch inspiziert, und dem garantiert polarisierenden Over-the-Top-Finale, dessen böse Gewalteruption selbst Gaspar Noé stolz machen würde, driftet das Werk ohne besondere Ereignisse von einer Station zur nächsten. Wer mehr als die pure Unterhaltung aus dem Kino mitnehmen möchte, dem bleibt die zarte Message, dass die Magie der Filme sogar die Geschichte zu verändern vermag.

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„Once Upon a Time in Hollywood“ ist sicher eine Platte, die man gern wieder auflegt. Nur handelt es sich hier halt nicht um ein homogenes Album, sondern um eine zum Feiern und Mitsingen zusammengestellte Greatest-Hits-Compilation. Dafür muss man sich nicht schämen.


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