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Evil Dead Rise (2023) Kritik

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Evil Dead Rise, USA 2023 • 97 Min • Regie & Drehbuch: Lee Cronin • Mit: Lily Sullivan, Alyssa Sutherland, Morgan Davies, Gabrielle Echols, Nell Fisher, Jayden Daniels, Mirabai Pease, Anna-Maree Thomas, Richard Crouchley • Kamera: Dave Garbett • Musik: Stephen McKeon • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 27.04.2023 • Deutsche Website

Lee Cronins „Evil Dead Rise“ beginnt wie Sam Raimis Original „Tanz der Teufel“ mit einem subjektiven Kameraflug durch ein mooriges Waldstück. In der Tat entspricht der Anfang – nach einer geschickten Täuschung – mit seinem Setting in einer abgelegenen Holzhütte und mit einer sich extrem eigenartig benehmenden Figur ganz der bewährten Prämisse des beliebten Horror-Franchises. Noch bevor sich der Filmtitel majestätisch über einem See erhebt, wird der erste Skalp brutal von einem Schädel gerissen und das Wasser an der Urlaubsanlage blutrot gefärbt sein.

Anders als alle vorherigen „Evil Dead“-Einträge, wird die Handlung im Anschluss in ein regnerisches L.A. verlegt. Wie der Auftakt mit der dann erzählten Geschichte in Verbindung steht, soll man erst am Ende erfahren. Der irische Autor und Regisseur Cronin stellt nach seinem stimmungsvollen Spielfilmdebüt „The Hole in the Ground“ wieder eine alleinerziehende Mutter in den Mittelpunkt eines von dunklen Mächten heimgesuchten Geschehens. Diesmal ist es jedoch nicht der junge Sohn, der nach seinem Verschwinden wie ausgetauscht wirkt, sondern die zum unheimlichen Deadite mutierte Erzeugerin.

Zunächst lernen wir jedoch die als Guitar-Tech – nicht Groupie! – auf Tourneen tätige Beth (Lily Sullivan) kennen. Von einem Schwangerschaftstest auf einer schmuddeligen Club-Toilette überrascht, reist diese schließlich in die Stadt der Engel, um ihre ältere Schwester Ellie (Alyssa Sutherland) und deren drei Kinder Danny (Morgan Davies), Bridget (Gabrielle Echols) und Kassie (Nell Fisher) zu besuchen und in ihrer Situation Rat einzuholen. Wie sich herausstellt, liegt zwischen dem letzten Wiedersehen ein langer Zeitraum und nicht nur wird der heruntergekommene Wohnkomplex, in dem die Familie lebt, in Kürze abgerissen, auch hat sich Ellies Mann von ihr getrennt und sie und die gemeinsamen Kinder im Stich gelassen. Das Klima zwischen den Geschwistern ist aufgrund von Beths Nachlässigkeit leicht abgekühlt. Doch bevor die große Versöhnung stattfinden kann, wird das Gebäude von einem Erdbeben erschüttert, welches unter der Garage einen mysteriösen Raum mit christlichen Artefakten, uralten Schallplatten und einem beunruhigend eingebundenen Buch freilegt. Nachdem der Hobby-DJ Danny das Material in die Wohnung geschafft und die Tonträger auf sein Turntable gelegt habt, wird erneut das pure Grauen erweckt und fällt gnadenlos über die Familie her …

Auf den ersten Blick mag die Verlegung der Story in ein urbanes Umfeld (ähnlich wie beim diesjährigen Kassenhit „Scream VI“) als größte Innovation beim inzwischen fünften Kinofilm der „Evil Dead“-Reihe erscheinen. Tatsächlich allerdings verwandelt Lee Cronin die neuartige Umgebung mit einer Anzahl cleverer Ideen jedoch in eine 1:1-Entsprechung von Raimis klassischem Szenario. Was in „Tanz der Teufel“ Baumäste waren, sind in „Evil Dead Rise“ herunterhängende Kabel. Die eingestürzte Brücke wird zu einem zerstörten Treppenhaus und Fahrstuhl. Und die Bodenluke findet ihr Äquivalent im Türspion, durch welchen die blutgierigen Dämonen nun Einlass in die Wohnung fordern. „Evil Dead Rise“ ist ein traditionsbewusstes Kapitel, das sich – wie eigentlich alle Vorgänger, ausgenommen des eher als Slapstick-Abenteuer angelegten „Armee der Finsternis“ – als eine Variation der bekannten Handlung versteht. Zitate wie der aus „Tanz der Teufel II“ entliehene, verschluckte Augapfel oder diverse Easter Eggs (Wer findet Bruce Campbells Beitrag im Film und entdeckt die Anspielung auf den ikonischen 1973er Delta 88 Oldsmobile?) gehören selbstverständlich ebenso zum guten Ton, wie das obligatorische Gore-Fest.

Im Vergleich zu Fede Álvarez' sehr grimmigem „Evil Dead“ von 2013 sparen Cronin und sein Team zwar ebenfalls nicht an Kunstblut und Latex-Verstümmelungen, doch setzen sie trotz einem verstärkten Augenmerkt auf die klaustrophobische Atmosphäre wieder mehr auf den bitterbösen Humor, der Raimis Werke zunehmend ausgezeichnet hat. „Evil Dead Rise“ ist kein derart unbeschwerter Splatstick-Spaß wie „Tanz der Teufel II“ oder gar „Armee der Finsternis“, doch legt der Film sein Drama und die bedrückenden Momente eher in die erste Hälfte, um die Zuschauer schließlich – wenn auch mit sämtlichen Körperflüssigkeiten besudelt – mit einer Energieflut aus dem Kino zu spülen. Zum makabren Einsatz kommen diesmal neben der unvermeidbaren Kettensäge und der Schrotflinte (Pardon, Boomstick!) unter anderem Spiegel- und Glasscherben, eine Schere, eine Tätowiernadel, ein Industrieschredder und eine Käsereibe. Autsch!

Wie bereits zuvor erwähnt, ist das L.A.-Setting gar nicht die besondere Neuerung in „Evil Dead Rise“ – es ist die extrem verletzliche Familie im Mittelpunkt der Story. Mit „verletzlich“ ist hier ausdrücklich nicht nur die physische Gewalt gemeint, die auch minderjährigen Charakteren widerfährt, sondern vor allem das Trauma, ein Monster in Gestalt der eigenen Mutter erleben zu müssen. „Lass nicht zu dass es meine Babys kriegt“, fleht Alyssa Sutherland („Vikings“) als Ellie ihre Schwester an, bevor sie als Ober-Deadite mit ihren äußerst zynischen Psycho-Spielchen („Mami ist jetzt bei den Maden.“) und akkrobatischen Angriffen die Show stiehlt. Als toughe Genre-Heldin und Gegenpart steht ihr die von Lily Sullivan („Picnic at Hanging Rock“) verkörperte Beth jedoch in nichts nach. Cronin präsentiert mit „Evil Dead Rise“ einen sympathisch zeitgemäßen Schocker mit starken Frauenfiguren, Mutterschafts-Thematik und nur einem männlichen Protagonisten im Haupt-Cast (der obendrein durch seine dümmliche Neugier den Horror entfesselt – sorry, aber es sind halt immer die Jungs!) – wer hier wieder „feministischer Mist“ grölt, sollte besser gleich einen Bogen um das Werk machen und sich in die Steinzeit beamen lassen.

Besondere Erwähnung verdient auch Nell Fisher, die die kleine Kassie spielt und die man eigentlich nur als passionierter Kinderhasser nicht direkt ins Herz schließen kann. Kassie ist ein Mädchen mit morbidem Spleen, das Puppenköpfe abschneidet und diese zur Geisterabschreckung gruselig herrichtet. Abgesehen davon ist sie jedoch ein echtes Sweetheart. Vielleicht hätte Lee Cronin noch etwas mehr aus den anderen Stockwerk-Bewohnern, wie dem hilfsbereiten Gabriel (Jayden Daniels), rausholen können, doch folgt er mit seinen Kerncharakteren letztlich nur der Franchise-erprobten Fünf-Figuren-Formel.

Auch wenn „Evil Dead Rise“ das Horror-Rad ganz gewiss nicht neu erfindet und neben seinen Vorgängern auch zahlreichen anderen Genre-Werken die Ehre erweist, liegt hier eine ungemein dichte, zwischen Schrecken und Spaß gekonnt balancierende und höllisch effektive Modifikation des Kult-Klassikers vor. Die Verlegung in ein Apartment lässt sich gar als Seitenhieb auf Lamberto Bavas Italo-Plagiat „Dämonen“ von 1986 deuten, während eine spätere Szene eine glasklare Hommage an Stanley Kubricks „Shining“ darstellt. Die schmerzhafte Tragödie, die der Familie mit dem folgenden bösen Schrecken widerfahrt, ruft Erinnerungen an Mary Lamberts pechschwarze Stephen-King-Adaption „Friedhof der Kuscheltiere“ hervor und das Creature-Feature-Finale in bester „Das Ding aus einer anderen Welt“-Manier zeigt den groteskesten Endgegner seit sich Junggeselle Lionel in Peter Jacksons „Braindead“ buchstäblich aus dem untoten Mutterleib befreien musste.

Nach sehr positiven Testscreenings haben sich Warner Bros. entschieden, den einst für den Streamingdienst HBO Max produzierten „Evil Dead Rise“ doch in die Kinos zu bringen. Und genau dort gehört er auch hin.


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Pearl (2022) Kritik

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Pearl (2022) Kritik

Pearl, USA 2022 • 102 Min • Regie: Ti West • Drehbuch: Ti West, Mia Goth • Mit: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Emma Jenkins-Purro, Matthew Sunderland, Alistair Sewell • Kamera: Eliot Rockett • Musik: Tyler Bates, Tim Williams • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 01.06.2023 • Deutsche Website

In seinem großartigen Retro-Slasher „X“ präsentierte uns Regisseur und Autor Ti West letztes Jahr eine der ungewöhnlichsten Schurkinnen der Genre-Geschichte: Eine alte Frau, die es auf eine Filmcrew abgesehen hat, welche auf ihrem Grundstück einen Porno drehen wollte. Das direkt im Anschluss abgedrehte Prequel „Pearl“ widmet sich nun der Vorgeschichte der gleichnamigen und erneut von Mia Goth verkörperten Antagonistin.

Origin-Storys sind ja oft so eine Sache. In vielen Fällen bekommt man als Zuschauer dann doch nur einen lauwarmen Aufguss von dem geboten, was man über die betreffende Figur eh längt wusste. Nur eben nochmal aufgeblasen auf Spielfilmlänge. In „X“ erlebten wir Pearl als sich innerlich noch immer nach sexueller Befriedigung sehnende Greisin, für die ihr Körper so etwas wie eine langsam zerfallende Gefängniszelle darstellt. Die ihr gegenüberstehende (und passenderweise ebenfalls von Goth gespielte) Protagonistin Maxine stellte all das dar, was sie sich stets gewünscht hat. Daraus resultierten im Verlauf der Handlung Verzweiflung, Neid, Verbitterung und sich schließlich in einem Blutbad ergießender Hass. Wann und durch welches Ereignis die Frau zu einer derart erbarmungslosen Killerin mutiert ist, erfahren wir im vorherigen Film nicht. Allerdings sehen wir in einer Szene, dass dies offensichtlich nicht ihre erste Raserei gewesen ist.

Pearl (2022) 1

„Pearl“ entführt uns aus den späten Siebzigern zurück in das Jahr 1918. Äquivalent zum Anfang von „X“ blickt die Kamera wieder aus einer Scheune auf das Haus der Titelfigur. Im Gegensatz zum geschichtlichen Sequel sind die Aufnahmen von Eliot Rockett diesmal allerdings weit geöffnet und die Grindhouse-Körnigkeit weicht einer poppig-bunten Technicolor-Ästhetik. Schon lange war auf der Leinwand kein Himmel mehr so blau oder ein Kleid bzw. der Lebenssaft so knallig rot. Dazu versetzen uns die märchenhaft-idyllischen Klänge von Tyler Bates und Tim Williams in das Innenleben Pearls bevor wir diese überhaupt zu Gesicht bekommen.

Die verträumte junge Frau lebt zusammen mit ihrer strengen Mutter Ruth (Tandi Wright) und ihrem querschnittsgelähmten Vater (Matthew Sunderland) in dem abgelegenen texanischen Farmhaus und wartet auf die Rückkehr ihres Ehemanns Howard (Alistair Sewell), der im Ersten Weltkrieg kämpft während überall die Influenza-Pandemie wütet. Auch wenn die Mutter ihren Ambitionen stets harsch eine Absage erteilt, möchte Pearl eigentlich nicht ihr Leben in der Einöde verbringen und strebt heimlich eine Karriere als Tänzerin an. Ihr Publikum sind zunächst nur die Stalltiere, die bei schnatternder Kritik allerdings grausam dahingemeuchelt werden. Pearl ist ganz von ihrem Talent überzeugt und lässt sich in diesem Punkt auch nicht belehren. Als sie bei einem Trip in die Stadt einen charmanten Filmvorführer (David Corenswet) kennenlernt, der sie in ihren Zielen ermutigt, und ihre Schwägerin Mitsy (Emma Jenkins-Purro) von einem Vorspiel bei einer Tanzgruppe berichtet, fasst sie schließlich den Entschluss, ein neues, selbstbestimmtes Leben zu beginnen …

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Auch wenn „Pearl“, den Ti West diesmal zusammen mit seiner Hauptdarstellerin verfasst hat, in Sachen Gewalt seinem Vorgänger in nichts nachsteht (das sadistische Spiel mit dem hilflosen Vater ist übrigens weit schlimmer als jede Splatterszene), verlässt er dessen Slasher-Struktur und wendet sich eher einem psychologischen Horror im Stil von Roman Polanskis „Ekel“ oder Rob Reiners „Misery“ zu. „Pearl“ ist ein bewusst überschaubares Stück Southern-Gothic-Kino, in dessen Zentrum allein die exzentrische Frau an der Grenze zum völligen Wahnsinn steht. West und Goth legen die Figur sehr überzeugend als bereits von Beginn psychisch gestörten Charakter an, der seinen unkontrollierbaren Zorn zunächst an harmlosen Tieren auslässt. Es ist die Diskrepanz zwischen Pearls farbenfroher Innenwelt – die auf der Leinwand stets ihre Entsprechung findet – und der tristen Wirklichkeit, die sie aufgrund der äußeren Umstände nicht überwinden kann und sie schließlich die letzte Grenze überschreitend zu Mistgabel, Axt und anderen Mordinstrumenten greifen lässt.

Wenn man über „Pearl“ spricht, muss an oberster Stelle die absolut herausragende Performance von Mia Goth (in „Infinity Pool“ ebenfalls bald in unseren Kinos zu sehen) genannt werden. Horror war ja leider nie ein Genre, auf das die Academy besonders gut zu sprechen gewesen ist, doch ihre fulminante Darstellung der zugleich selbstbewussten wie auch gequälten Psychopathin hätte Goth gerechterweise eine Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ in einem zugegeben unkonventionellen Werk einbringen müssen.

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Während Interviews wirkt die gebürtige Britin vor der Kamera häufig etwas schüchtern oder reserviert, doch in Rollen wie nun „Pearl“ kann die neben ihrem „X“-Co-Star Jenna Ortega („Scream VI“) oft als neue Genre-Queen gehandelte 29-Jährige jede einzelne Szene in beeindruckender Weise dominieren. Ob sie nun in einem Tagtraum mit einer Vogelscheuche im Feld tanzt (der Film besitzt visuell und inhaltlich viele Referenzen zum Klassiker „Der Zauberer von Oz“ von 1939), bei ihrem Casting in ihre eigene kleine Welt versinkt, im Monolog mit ihrer Schwägerin minutenlang eine schmerzhafte Beichte direkt in die Kamera ablegt oder während des Anspanns so lange ein regungsloses Grinsen absolviert bis die Tränen kommen – Goth ist hier in jeder Situation eine schauspielerische Urgewalt.

Zwischen den Geschehnissen von „Pearl“ und „X“ liegen etliche Dekaden und nach Sichtung dieses Films wird sehr deutlich, welche gesellschaftlichen Umstände die Figur damals doch auf ihren Howard haben warten und an seiner Seite bleiben lassen. Die beiden Werke zeigen im Vergleich riesige historische Unterschiede auf, die sich über die Generationen entwickelt haben. Die nicht nur körperliche Freiheit der Siebziger wäre in diesem noch von Härte und Zwängen bestimmten Zeitalter nahezu undenkbar gewesen. Eine Szene, in der der namenlose Filmvorführer Pearl heimlich den ersten kurzen US-Sexstreifen „A Free Ride“ zeigt, ist einerseits ein wunderbarer filmgeschichtlicher Moment – der natürlich ebenso einen Bogen zu „X“ spannt -, wie auch ein Bild dafür, dass heute ganz gewöhnliche Dinge früher noch echte Verwunderung oder gar Skandale auslösen konnten. West und Goth präsentieren die Antagonistin zwar angemessen als grausame Täterin, doch porträtieren sie sie auch als zerbrochene Romantikerin und finden ihr pechschwarzes Herz schließlich unter all dem Blut und Gore.

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Nicht nur darstellerisch, auch erzählerisch und inszenatorisch ist Ti Wests intensiver wie intimer „Pearl“ eine echte Perle unter den aktuellen Horrorproduktionen. Das mit einer wunderschönen Farbpalette gemalte Prequel ist weit mehr als eine Ergänzung zu „X“ und kann als qualitativ mindestens ebenbürtiges Werk losgelöst für sich stehen.


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Sisu (2022) Kritik

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Sisu (2023) Kritik

Sisu, FIN/USA 2022 • 91 Min • Regie & Drehbuch: Jalmari Helander • Mit: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila, Arttu Kapulainen, Tatu Sinisalo • Kamera: Kjell Lagerroos • Musik: Juri Seppä, Tuomas Wäinölä • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

„Sisu“, der Titel von Jalmari Helanders blutigem Mix aus Exploitation-Action, Neo-Western, nordischer Heldensage und Kriegsapokalypse, lässt sich nicht exakt übersetzen. In etwa steht das finnische Wort für Willensstärke, Ausdauer und dafür, rational im Angesicht eines Unglücks zu handeln. Im Film wird damit der wortkarge Winterkriegs-Veteran Aatami Korpi (Jorma Tommila) beschrieben. Passender haben ihn die russischen Gegner den „Unsterblichen“ getauft. Absolut tödlich und wie eine unaufhaltsame Urgewalt agierend, hat er auf dem Schlachtfeld für Angst und Schrecken gesorgt. Und noch immer wird über ihn als Volkslegende gesprochen.

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1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, erleben wir Aatami als Einzelgänger, der in der kargen Natur Lapplands nach Gold gräbt. Die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe, die über ihn hinwegfliegen, interessieren ihn in etwa so wie ein aufkommendes Unwetter. Aatami ist durch mit dem Krieg und dem Kämpfen. Er möchte Reichtum anhäufen und dann endlich sein Leben führen. An einer Stelle macht er einen gewaltigen Fund und begibt sich mit dem wertvollen Rohstoff und seinem übrigen Hab und Gut – einem Hund, einem Pferd und einem Ring an seinem Finger – auf den Weg zurück zur nächsten Stadt. Ein Zug der Wehrmacht unter dem Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie) wird auf Aatami aufmerksam, doch lässt den vermeintlichen Kauz weiterziehen.

Blöd, dass ein paar weiter zurückliegende Nazis es dem Befehlshaber nicht gleichtun und stattdessen Aatami durchsuchen. Natürlich wollen die Männer dem in der Heimat als Held gefeierten Ausgedienten nun die Goldstücke streitig machen, doch sie haben keinesfalls damit gerechnet, dass ihr Gegenüber noch so auf Zack ist. Seine wohlverdiente Ruhe muss Aatami noch verschieben, denn nachdem er in Selbstverteidigung ein Blutbad angerichtet hat, jagen ihn nun auch Helldorf und seine Truppe. Ihnen ist zunächst nicht bewusst, mit wem sie sich hier angelegt haben …

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Darf man sich während nicht weit entfernt in Europa ein realer, fürchterlicher Angriffskrieg tobt zur Unterhaltung ein derart brutales Kinoabenteuer mit Soldaten als zentrale Figuren ansehen? Sicher ist „Sisu“ weit entfernt von einem Musterplädoyer für Pazifismus – mindestens ebensoweit entfernt ist er jedoch glücklicherweise auch von einem bellizistischen Manifest. Interessant an dem Werk und seinen Charakteren ist, dass von den behandelten drei Parteien jede einzelne letzlich ihre Eigeninteressen verfolgt, die eben nicht Vaterlandsliebe heißen.

Da wäre natürlich zunächst Aatami, der einzig und allein sein Gold vor Augen hat und am liebsten gar nicht erst in den Schlamassel reingeraten wäre. Außerdem befindet sich in einem Transporter der Nazis eine Gruppe Frauen rund um Aino (Mimosa Willamo), die von der Wehrmacht entführt und sexuell mißbraucht worden sind. Deren Ziel ist es selbstverständlich, aus den Klauen der Peiniger zu entkommen – wenn nötig mit Gewalt. Bei den Antagonisten handelt es sich schließlich um zwar weiterhin widerliche und sadistische Verbrecher, die jedoch ihre Lage in Hinblick auf den Ausgang des Krieges durchaus realistisch einschätzen und Aatamis Schatz nutzen wollen, um sich vor dem sicheren Galgen zu retten. Wenn sich der Rauch der großen Gefechte gelegt hat, bleiben am Ende ganz niedere Beweggründe und der reine Selbsterhalt übrig. „Sisu“ zeichnet ausdrücklich kein Bild von glorreichen Schlachten, in denen viel gewonnen werden kann.

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Das Genre des Kriegsfilms ist überhaupt die falsche Kategorie, um das Werk vernünftig einzuordnen. Anbieten würde sich vor allem der Spaghetti-Western, der ja ebenfalls nicht gerade redselige aber in brenzligen Situationen recht tatkräftige Figuren ins Zentrum rückt. Der erste Part des in Kapitel unterteilten Films bildet den Protagonisten etwa ganz allein im Goldrausch ab – in einem italienischen Klassiker würde man nun hinter dem nächsten Hügel eine Horde Revolverhelden auf Pferden vermuten. In „Sisu“ rollen halt alternativ Nazis mit Panzern und weiteren Fahrzeugen an.

Während die Titelgestaltung und die zuvor genannten Kapitel natürlich zuerst an Oscar-Preisträger Quentin Tarantino und dessen besondere Affinität zu absurder Grindhouse-Kost denken lassen, geht Helanders („Rare Exports“) Drehbuch der Suspense und clevere Wortwitz eines „Inglourious Basterds“ jedoch ab. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass das Werk eher ein Augenmerk auf die sich in heftigen Splattereinlagen entladende Action und den lediglich mit Mimik, Grummeln und Stöhnen operierenden Jorma Tommila als stummen Todesengel hat. Ob aus Aatamis Mund im Verlauf doch noch ein paar Sätze fallen werden, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zumindest erinnert der Charakter mit seiner mythologischen Aura durchaus an den von Mads Mikkelsen verkörperten, geheimnisvollen „Einauge“ aus Nicolas Winding Refns „Walhalla Rising“. Und würde Winding Refn, wie bei seinem Neo-Noir-Meisterwerk „Drive“, in Sachen bemühter Sperrigkeit mal wieder einen Gang zurückschalten, so hätte man sich den Dänen in weiten Teilen gar auf dem Regiestuhl dieses Films vorstellen können.

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Beim Thema Filmgewalt muss für sensible Gemüter durchaus eine Warnung ausgesprochen werden: Hier werden Messer und Spitzhacken durch Schädel getrieben, Landminen als Wurfgeschosse verwendet und es wird mit großen Kalibern aus allen Rohren geballert. Diese Szenen sind dann trotz der meist ins Komische abdriftenden Darstellung nicht ohne, jedoch auch kein Vergleich zur erbarmungslosen Gore-Granate, die Sylvester Stallone im letzten Drittel von „John Rambo“ (von dieser Action-Ikone hat Helander ebenfalls eine dicke Scheibe abgeschnitten) gezündet hat. Wenn man mag, kann man übrigens darin, dass Aatami bei seinen Attacken oft die Waffen der Nazis gegen sie selbst wendet, sogar auch einen bissigen Kommentar zu möglichen Risiken von Kriegsgerät-Exporten sehen.

Später, wenn sich der Protagonist unter der Überschrift „Kill 'em All“ (das klingt etwas martialischer, als es letztlich ausfällt – tatsächlich verschont der Film sogar einige Schurken gnädig) im Finale mit den Frauen zusammentut und es zum Vehikelkampf in der von den Kriegszerstörungen postapokalyptisch anmutenden Landschaft kommt, bekommt man sogar noch eine Miniausgabe von „Mad Max – Fury Road“ geboten.

Sisu (2023) 5

Ärgerlich ist ein wenig der obligatorische Endkampf der ansonsten packend inszenierten und vor allem mit Aksel Hennie („Headhunters“) als kaltblütiger Obernazi toll besetzten Arbeit: In einem mit CGI nicht sehr überzeugend getricksten Flugzeug darf der ohnehin schon deutlich Larger-than-Life angelegte Aatami ein letztes Mal alles geben. Das ist dann so viel, dass „John Wick: Kapitel 4“ im direkten Vergleich einem bodenständigen Drama gleichkommt. Natürlich, so viel Eskapismus muss im Kino erlaubt sein. Es hätte aber vielleicht auch mit etwas weniger funktioniert.

Dennoch: Wer hier nicht zu ernst an die Sache rangeht und blutige Bilder verträgt, dürfte an „Sisu“ Gefallen finden.


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Beau is Afraid (2023) Kritik

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Beau is Afraid (2023) Filmkritik

Beau is Afraid, USA 2023 • 179 Min • Regie & Drehbuch: Ari Aster • Mit: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Patti LuPone, Zoe Lister-Jones, Stephen McKinley Henderson, Parker Posey, Hayley Squires, Denis Ménochet • Kamera: Pawel Pogorzelski • Musik: Bobby Krlic • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Leonine • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

Mit seinem neuen Werk „Beau is Afraid“ zementiert Ari Aster erneut seinen Ruf als einer der spannendsten Filmemacher der Gegenwart. Wer jedoch lediglich dessen vorherige Spielfilme „Hereditary“ und „Midsommar“ zur Einstimmung auf die vom Regisseur und Autor selbst als „Albtraum-Komödie“ beschriebene und mit großer Sicherheit maximal polarisierende Arbeit heranzieht, könnte von dem unmittelbar hereinbrechenden Hurricane an bizarren und von pechschwarzem Humor getränkten Szenen aus dem Kinosessel gefegt werden. Thematisch steht „Beau is Afraid“ in einer Reihe mit Asters Horror-Vorgängern, erinnert aber in seiner bitterbösen Ausführung noch mehr an seine früheren Kurzfilme „The Strange Thing About the Johnsons“ und „Munchausen“.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 1

Zu Beginn lernen wir die Titelfigur Beau (Joaquin Phoenix) kennen. Der Mann mittleren Alters bereitet sich mit seinem Psychotherapeuten (Stephen McKinley Henderson) auf ein bevorstehendes Ereignis vor: Er besucht seine Mutter. Was für die meisten Menschen wohl einen ganz harmlosen Kurztrip bedeutet, stellt den unter massiven Angststörungen leidenden Beau vor eine äußerst unangenehme Riesenherausforderung. Da ist etwas in der Beziehung zu seiner Mutter, ein Trauma tief in seiner Vergangenheit, das ihn nicht loslässt und quält – mehr noch: Sein Innenleben zunehmend in ein apokalyptischen Höllenszenario verwandelt.

Es muss klar sein, dass wir als Zuschauer den wüsten Film durch die Augen des verstörten Protagonisten erleben und so manch monströse Manifestation nur in seiner Wahrnehmung ihre Proportionen erhält oder möglicherweise auch nur dort existiert. So wie der dämonische Verfolger, vor dem sich Beau in einem halsbrecherischen Wettlauf in den Hauseingang retten muss. Oder die verschwörerische Nachbarschaft, die den Haustürschlüssel zu seinem heruntergekommenen Apartment stiehlt, um dort eine exzessive Party zu veranstalten. Die ganze Welt scheint sich gegen ihn gewandt zu haben und erst recht seine Mutter macht Beau versteckt Vorwürfe, weil er es aufgrund der verfangenen Situation doch nicht heim schaffen wird. Die Nachricht von ihrem plötzlichen Tod – ein Kronleuchter hat ihren Kopf zerschmettert, wie ein Paketkurier am Telefon mitteilt – und die Attacke eines messerstechenden Nudisten (!) sowie ein darauffolgender Autounfall bedeuten für den ungewöhnlichen Helden den Auftakt einer beschwerlichen Odyssee zur anstehenden Totenwache …

Beau is Afraid (2023) Filmbild 2

Das knapp dreistündige Epos „Beau is Afraid“ ist trotz seiner Inszenierung als komödiantisches Schauderstück der bislang verstörendste und alarmierendste Film des jungen Regisseurs. Auch wenn man keine detailierten Einblicke in dessen eigene Biografie besitzt, bereitet sein bisheriges Gesamtwerk Anlass zur Sorge. „Beau is Afraid“ ist ein schmerzerfüllter Hilfeschrei, der sich hinter einer teuflisch grinsenden Fratze verbirgt. Die weit aufgerissene Wunde eines visionären Künstlers, der die Konfrontation mit seinem Publikum nicht scheut. Während viele überforderte Zuschauer die Arbeit wohl einfach als großes „WTF“ sehen werden, könnten andere die geschilderten Mommy Issues sogar als banal abtun. Fest steht, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen unterschiedlich stark mit dem Film und dem Charakter Beaus identifizieren werden können.

Aster bedient sich ausgiebig beim Vater des Psychoanalyse, Sigmund Freud, wenn er Beau als Gepeinigten sowohl seines bedrohlich empfundenen Umfelds, seiner gewählten Jungfräulichkeit aufgrund einer vermeintlichen Erbkrankeit (die Männer versterben scheinbar stets beim Geschlechtsakt) als auch seiner als grausam richtendes Über-Ich dargestellten Mutter (gespielt von Zoe Lister-Jones bzw. Patti LuPone) zeichnet. Wichtig ist, dass es sich hier um einen trotz seiner Störungen sympathischen und sensiblen Protagonisten handelt, der sich nicht als Opfer einer angeblich toxischen feministischen Bewegung sieht und voller Hass und Verbitterung steckt – Stichwort „Incel-Subkultur“. Beau hat sich als Jugendlicher (Armen Nahapetian) im Urlaub der gleichaltrigen Elaine (Julia Antonelli) versprochen und hofft mit einem alten Polaroid in der Hand noch immer auf ein Wiedersehen, während der Zahn der Zeit an ihm nagt.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 3

Dass seine Mutter wohl ein manipulatives menschliches Ungeheuer war, wird infolge von Rückblenden sehr deutlich. Die einflussreiche Frau scheint ein Spinnennetz um Beaus Leben gespannt zu haben, das jeden freien Schritt direkt unterbindet. Und wie ein haariger, giftiger Achtbeiner scheint sie auch nach ihrem Ableben noch das Versagen ihres Sohnes zu kontrollieren und darüber höhnisch zu lachen. Ohne Mutti gelingt eben nichts.

Was der Regisseur den Zuschauern hier alles um die Ohren haut, um den Zustand des psychisch ständig in die Enge getriebenen und unter Halluzinationen leidenden (Medikamente und andere Substanzen spielen im Film eine Rolle) Beau zu veranschaulichen, kann man tatsächlich unmöglich in einer kurzen Inhaltsangabe vermitteln – man muss es selbst sehen. Eigentlich harmonische Momente, wie die herzliche Aufnahme des Charakters von einem fürsorglichen Paar (Amy Ryan und Nathan Lane), verwandeln sich urplötzlich wieder in einen reißerischen Überlebenskampf, wenn die Tabletten-schluckende Teenager-Tochter (Kylie Rogers) einen Groll gegen Beau hegt und schließlich gar der von PTSD betroffene und auf dem Grundstück campierende Kriegsveteran (Denis Ménochet) auf ihn gehetzt wird. Wem das jetzt schon zu viel ist, sollte besser einen großen Bogen um das Werk machen. Wer allerdings von einer solch einmaligen cineastischen Tour de Force – wie ich – angezogen wird, dem sei ausdrücklich versichert: Es wird im Verlauf noch deutlich bizarrer und wilder!

Beau is Afraid (2023) Filmbild 4

Bevor „Beau is Afraid“ in einen düster-paranoiden Psychohorror mit einer der wohl absonderlichsten Creature-Feature-Szenen überhaupt kippt und mit einem bedrückenden Schauprozess im Geiste Franz Kafkas endet, besuchen wir mit Beau eine Theatergruppe tief im Wald. Das aufgeführte Stück entführt ihn in eine bunte und einfache Welt. Fast meinte man, er würde unerwartet doch noch Frieden und Glück finden. Doch Aster wäre nicht Aster, wenn der ewige Fluch die Figur nicht auch auf der Gedankenflucht einholen würde.

Als Titelheld liefert Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix („Joker“) wieder mal eine außergewöhnlich starke Performance ab, die allein die Eintrittskarte wert ist. Doch es ist Ari Asters unglaublich gewaltige (und vereinzelt auch durchaus gewalttätige) Umsetzung eines heutzutage völlig konkurrenzlosen Leinwandabenteuers (der Regisseur arbeitet hier nach dem Vorgänger erneut erfolgreich mit seinem Kameramann Pawel Pogorzelski und Komponisten Bobby Krlic zusammen), die als besonders spektakulär im Gedächtnis hängenbleiben wird. Ich habe in jeder Sekunde an jedem Bild des Werkes geklebt, auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass etliche Zuschauer dieses als Tortur empfinden und sich danach womöglich wie Beau selbst fühlen werden.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 5

„Beau is Afraid“ ist alles andere als ein einfacher Filmspaß. Er ist trotz des überwiegend schwarzhumorigen Tons letztlich ein Bild von Leid ohne Ausweg. Und während der Schluss von „Midsommar“ als böse-feierliches Happy End daherkam, fühlt man sich nach der Sichtung hier, als ob man einer eiskalten Exekution beigesessen hat. Man wird gelacht und gestaunt haben, bis die Falle zuschnappt und man still aus dem Saal entlassen wird.

Ari Asters neue Arbeit ist erneut grandioses Kino wie man es vielleicht noch nie gesehen hat. Aber sie ist eben auch, im Gegensatz zur Titelfigur, furcht- und schrankenlos.


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Hellraiser: Das Schloss zur Hölle (2022) Kritik

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Hellraiser: Das Schloss zur Hölle (2022) Kritik

Hellraiser, USA 2022 • 120 Min • Regie: David Bruckner • Drehbuch: Ben Collins, Luke Piotrowski • Mit: Odessa A’zion, Jamie Clayton, Adam Faison, Drew Starkey, Brandon Flynn, Aoife Hinds, Goran Višnjić, Hiam Abbass • Kamera: Eli Born • Musik: Ben Lovett • FSK: n.n.b. • Verleih: Paramount+ • Deutscher Streamingstart: 15.04.2023 • Website

Bis Regisseur David Bruckner („The Ritual“) endlich seine Vision von „Hellraiser“ (in Deutschland unter dem etwas dämlichen Titel „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ erhältlich) verwirklichen konnte, musste das beliebte Horror-Franchise erstmal Ewigkeiten durch die buchstäbliche Hölle billigst produzierter Direct-to-Video-Sequels wandern. Diese wurden letztlich nur dazu in Auftrag gegeben, um dem Genre-Studio Dimension Films weiterhin die Rechte an der Reihe zu sichern. Sicher waren nicht alle dieser Beiträge gänzlich uninteressant oder grottig, doch die Budget- und Zeitrestriktionen merkte man qualitativ deutlich auch den besseren Vertretern von Scott Derrickson („Hellraiser: Inferno“) und Make-Up-Künstler/„Hellraiser“-Urgestein Gary J. Tunnicliffe („Hellraiser: Judgment“) an.

Hellraiser (2022) Filmbild 4

Nach endlosem, gescheitertem Hin und Her mit Regisseuren wie Pascal Laugier („Martyrs“) oder Patrick Lussier („My Bloody Valentine 3D“) ist die Wahl für einen aufwändigen Neustart schließlich auf Bruckner und das Autorenduo Ben Collins/Luke Piotrowski gefallen, die zusammen mit „The House at Night“ den wohl besten Schocker des Jahres 2020 vorgelegt haben. Ihrem Vorgänger und „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ ist nun leider der Umstand gemein, dass beide Filme hierzulande ausschließlich über Streamingdienste abrufbar sind. Dabei wäre ein Kinorelease in beiden Fällen schon aufgrund von David Bruckners großem Gespür für dichte Atmosphäre geboten gewesen.

Wer sich nun fragt, ob dieser „Hellraiser“ nun ein Remake, Reboot oder Sequel von Clive Barkers düsterer Story ist, dem kann man salopp antworten: Alles und nichts davon. Selbstverständlich handelt auch diese Version von der mysteriösen Puzzlebox, mit der man den Höllenpriester Pinhead (erstmals verkörpert von der Schauspielerin Jamie Clayton) und die sadistischen Zenobiten heraufbeschwören kann. Ansonsten gibt es aber keinerlei Verweise zu früheren Charakteren oder Handlungssträngen aus der Reihe oder der Novellen-Vorlage.

Hellraiser (2022) Filmbild 3

Die Geschichte beginnt in Belgrad mit der Übergabe einer Holzkiste gegen eine beträchtliche Summe Geld. Auf einer Party in einem luxuriösen Anwesen in Massachusetts erfahren wir schließlich, welches Objekt bei dem Treffen erworben wurde – selbstverständlich der bereits erwähnte, unter dem Namen Lament-Konfiguration bekannte, mechanische Würfel. Ein junger Gast wird von dem geheimnisvollen Millionär Roland Voight (Goran Višnjić) dazu ermuntert, das Objekt zu testen. Einige Handgriffe und eine Verletzung an einer herausspringenden Klinge später, wird der unglückliche Besucher von Ketten in Stücke gerissen, während sich für den erfreuten Voight ein Portal öffnet.

Im Mittelpunkt steht allerdings die sich von ihrer Drogensucht rehabilitierende Riley (Odessa A’zion), die mit ihrem Bruder Matt (Brandon Flynn) und dessen Partner Colin (Adam Faison) in einer WG lebt. Zwischen den Geschwistern herrscht dicke Luft und nach einer weiteren Auseinandersetzung wirft Matt Riley schließlich aus der Wohnung. Seit einem Einbruch in eine Lagerhalle besitzt die junge Frau die Lament-Konfiguration, die sie in ihrer misslichen Lage öffnet, dabei allerdings unwillentlich ihren Bruder den Zenobiten als Opfer serviert. Um Matt zurückzubekommen, recherchiert Riley zu den Hintergründen der Box und stößt letztlich auf den Fall des scheinbar vom Erdboden verschluckten Roland Voight …

Hellraiser (2022) Filmbild 2

Allein handwerklich ist Bruckners „Hellraiser“ meilenweit von der meist nur schnell runtergekurbelten Billigware entfernt und besticht durch die finsteren und oft in Primärfarben getränkten Bilder von Kameramann Eli Born. Die ursprünglich von der SM-Szene geprägten Höllenwesen muten in dieser Variante nicht weniger grotesk an, nur lässt der Regisseur deren immer noch ziemlich heftige Gore-Exzesse meist nur in sehr kurzen Augenblicken aufblitzen. Diese reichen jedoch völlig aus, wenn man das Franchise nicht lediglich als Splatter-Maschine betrachtet.

Puristen dürften sich eher daran stören, dass Bruckner und seine Autoren die sexuellen Perversionen des Originals nicht wirklich verfolgen und stattdessen einen anderen Ansatz wählen. Die Mythologie der Puzzlebox wird hier auf interessante Weise weiter ausgebaut und wir erfahren, dass diese je nach Verlangen des Besitzers unterschiedliche Formen annehmen kann, wie etwa die Lazarus-Konfiguration für Wiedergeburt und mehr. Besonders spannend und clever ist jedoch, dass in diesem Film die Privilegierten auch andere Personen missbrauchen können, damit sich diese für deren Streben nach mehr Macht letztlich aufopfern. Das hat doch sogar ein bisschen was von manchen Zuständen in unserer Gesellschaft …

Hellraiser (2022) Filmbild 1

Schauspielerisch darf vermeldet werden, dass – sofern man sich dem Werk offen nähert und nicht verbohrter Doug-Bradley-Anhänger ist – in Jamie Clayton einen großartigen Pinhead-Ersatz mit ganz eigenen, unheimlichen Qualitäten gefunden hat. Sollte man Clive Barkers offiziellen Fortsetzungs-Roman „The Scarlet Gospels“ also irgendwann mal verfilmen wollen, müsste man für die Rolle des/der Antagonistin/en nicht wieder extra suchen müssen.

Was Odessa A’zion („Grand Army“) als Riley angeht, so gibt sie eine trotz ihres Makels sympathische Heldin ab, steht aber vor allem im Dienst des von Mystery getriebenen Plots. Die von Geheimgängen durchdrungene Villa Voights, in der sie und ihre Mitstreiter im Finale in bester „Die Nacht der lebenden Toten“-Manier Schutz vor den Dämonen suchen, ist übrigens derart interessant in Szene gesetzt, dass sie fast zum eigenen Charakter wird.

Etwas zu gut gemeint hat man es dagegen mit der Laufzeit von zwei Stunden. Es ist nicht so, dass der Film an diversen Stellen störend langweilig wird und ein gemächliches Tempo ist im Horror durchaus willkommen. Ein gewisses Gefühl von Repetition bekommt man in der zweiten Hälfte dennoch und ein paar Blödheiten von Figuren aus offensichtlich dramaturgischen Gründen lassen einen gegen Ende schon etwas aufstöhnen.

Hellraiser (2022) 5

Diese Neuauflage bzw. Weiterführung der „Hellraiser“-Saga ist gewiss kein bahnbrechendes Meisterwerk, aber nach Barkers eigener Kult-Adaption sicherlich der inhaltlich frischeste und inszenatorisch stärkste Eintrag. Ja, noch vor Tony Randels effektlastigem „Hellbound: Hellraiser II“.


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The Pope’s Exorcist (2023) Kritik

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The Pope's Exorcist (2023) Kritik

The Pope’s Exorcist, USA 2023 • 105 Min • Regie: Julius Avery • Drehbuch: Michael Petroni, Evan Spiliotopoulos • Mit: Russell Crowe, Daniel Zovatto, Alex Essoe, Peter DeSouza-Feighoney, Laurel Marsden, Franco Nero, Ralph Ineson • Kamera: Khalid Mohtaseb • Musik: Jed Kurzel • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 06.04.2023 • Deutsche Website

Eigentlich gibt es im Horror-Subgenre des Exorzismus-Films nur zwei Kategorien: Es gibt William Friedkins legendäres Meisterwerk „Der Exorzist“ und es gibt den Rest. Zwischen unterster Exploitation-Grütze und durchaus ambitionierten A-Produktionen, die jedoch nie die thematische Tiefe des Originals erreichen, rangiert Julius Averys „The Pope’s Exorcist“ dabei irgendwo im breiten Mittelfeld.

The Pope's Exorcist (2023) 1

Das von Michael Petroni und Evan Spiliotopoulos verfasste Werk basiert auf den Memoiren des realen römischen Hauptexorzisten Pater Gabriele Amorth, dem sich Friedkin bereits in seiner Doku „The Devil and Father Amorth“ gewidmet hat. Es bestand also durchaus die Möglichkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Wirken des 2016 verstorbenen Geistlichen. Doch nach Sichtung des effektlastigen und überraschend amüsanten Schockers lässt sich vermuten, dass Avery und sein Team das Drehbuch einfach aus dem Fenster geworfen haben, frei nach dem Motto: „Scheiß' auf den Schmarrn, lasst uns einfach Spaß haben!“ Und so klärt einen ein Text am Ende darüber auf, dass Amorth viele Schriften verfasst hat und fügt augenzwinkernd ein „Die Bücher sind gut“ hinzu – ganz so, als ob dem Film klar ist, dass er das nicht ist und es wohl auch nie sein wollte. Die gute Nachricht ist jedoch, dass „The Pope’s Exorcist“ zwar teils haarsträubender Edel-Trash ist, dieses Ziel aber zumindest hingebungsvoll ansteuert und nur sehr selten langweilt. Der Story nach zu urteilen, hat der Titelheld ganz schön wüste Abenteuer erlebt. Den Wahrheitsgehalt hier zweifle ich persönlich jedoch ausdrücklich an.

Im Film wird Amorth (Russell Crowe) vom Papst (Italo-Legende Franco Nero) zu einem abgelegenen spanischen Anwesen, das einst als Abtei gedient hat, entsandt. Das Grundstück hat die verwitwete Mutter Julia (Alex Essoe) geerbt und möchte es zusammen mit ihren Kindern Amy (Laurel Marsden) und Henry (Peter DeSouza-Feighoney) renovieren und verkaufen, bevor sie in die USA zurückkehren. Doch der vom Unfalltod des Vaters traumatisierte und seitdem stumme Henry ist nach der Entdeckung eines vermauerten Siegels im Keller – nun ja – nicht mehr der Alte. Plötzlich flucht er mit dämonischer Stimme, leidet offenbar an mehr als an einer schlimmen Bindehautentzündung und verfügt sogar über übermenschliche Kräfte. Der örtliche Priester Pater Esquibel (Daniel Zovatto) ist mit der Situation völlig überfordert und wendet sich beim Vatikan um Hilfe. Mit einer eindringlichen Warnung vor dem Ort, nehmen sich Amorth und Esquibel des Falles an und stoßen schließlich auf ein altes und wahrlich finsteres Geheimnis …

The Pope's Exorcist (2023) 2

Qualitativ liegt „The Pope’s Exorcist“ ein gutes Stück hinter Daniel Stamms unterschätztem Found-Footage-Beitrag „Der letzte Exorzismus“, kann sich aber aufgrund seiner soliden Inszenierung und der schalkhaften Darstellung des Hauptprotagonisten ebenso von nahezu unerträglichen Outputs der Marke „Devil Inside“ oder „The Exorcism of Molly Hartley“ absetzen. Die Aufnahmen von Kameramann Khalid Mohtaseb („Stunde der Angst“) sind stimmungsvoll und sogar richtig schick ausgefallen und der Score von Jed Kurzel („Der Babadook“) wabert passend creepy durch die Boxen.

Seit seinem adrenalinhaltigen Zombie/Nazi-Schlachtfetzen „Operation: Overlord“ ist Julius Avery in Sachen studiofinanzierter B-Movies bereits erprobt. Auch in „The Pope’s Exorcist“ liefert der Regisseur wieder exakt das ab, was ein Mainstream-Publikum wohl von einem unterhaltsamen aber auch reichlich substanzfreien Horror-Abend im Kino erwartet. Augen leuchten in allen höllischen Farben, Charaktere krabbeln wie Spinnen an der Zimmerdecke, besessene Körper platzen in bester Splattermanier nach Berührung mit einem Kruzifix und anstelle von Erbsensuppe wird direkt Blut auf das Gegenüber erbrochen. Und wer seinen Grusel gern kombiniert mit Pyrotechnik mag und von grottigen CGI-Effekten nicht abgeschreckt wird, bekommt auch das geboten. Worum es letztlich inhaltlich geht, geht in dem Spektakel allerdings zunehmend unter.

The Pope's Exorcist (2023) 3

Während Oscar-Preisträger Russell Crowe hier die Tage seiner größten Erfolge „Gladiator“ und „A Beautiful Mind“ weit hinter sich lässt und ähnlich seinem Hollywood-Kollegen Nicolas Cage mutmaßlich ein Comeback durch gnadenloses Overacting anstrebt (das hat bereits im Amok-Thriller „Unhinged“ ganz passabel funktioniert), welches im Duell in furchtbar schlechtem italienischen bzw. spanischen Akzent mit seinem Co-Star Daniel Zovatto („Don’t Breathe“) besonders gut zur Geltung kommt, rücken leider alle anderen Figuren in den Hintergrund. Alex Essoe ist eine gute Schauspielerin und seit der Indieproduktion „Starry Eyes“ ein Liebling bei Genrefans. Als besorgte Mutter bekommt sie diesmal leider nur die Gelegenheit zum blassen 08/15-Standardprogramm. Freude scheint zumindest der junge Peter DeSouza-Feighoney am wilden Grimassieren zu haben, während ihm „The Witch“-Star Ralph Ineson feuflisch obszöne Sprüche auf die Lippen legt.

Im Gegensatz zu hochwertigen Subgenre-Vertretern wie „Der Exorzismus von Emily Rose“ ist einem das Schicksal der Familie leider irgendwann ziemlich egal. Schlimmer noch, man vergisst nahezu dass diese einen entsetzlichen Kampf im Kinderzimmer austrägt, während das dynamische Priester-Duo entspannt das dunkle Gewölbe erkundet. Dramaturgisch ist das nicht sonderlich klug. Durch eine spätere Enthüllung bildet die obligatorische Vers-Weihwasser-Vers-Konfrontation zumindest nicht das eigentliche Finale, welches dann ungleich spektakulärer – und bizarrer – ausfällt. Auf was genau Amorth und Esquibel in der Dunkelheit stoßen, soll natürlich nicht verraten werden. Beide müssen sich letztlich ihren Sünden und ihrer Schuld stellen. Hier fällt in Bezug auf Amorths Vergangenheit dann auch der einzige Spruch im Film, der (zumindest mir) wirklich Kopfschmerzen bereitet: „Im Krieg zu fallen ist heldenhaft, den Krieg überlebt zu haben ist schwierig.“ Nun ja, jedem das Seine …

The Pope's Exorcist (2023) 4

Problematisch in „The Pope’s Exorcist“ ist außerdem die Tatsache, dass ein Gefühl von echter Angst oder Bedrohung nie aufkommt. Der Roller-fahrende, Beichten nicht allzu ernst nehmende und um lockere Sprüche nicht verlegene Amorth (der in seinem wahren Leben übrigens „Harry Potter“ als satanisch eingestuft hat) wirkt in seiner Präsenz derart robust und selbstsicher, dass man ihm schon nach seiner ersten Szene ein Scheitern nicht abkaufen würde. Und so ist es dann wohl auch kein Wunder, dass dieser spleenigen Figur und ihrem Sidekick zum Schluss vorsorglich ein Sequel oder gar eine ganze Reihe nach „Conjuring“-Vorbild in Aussicht gestellt wird. Wir erinnern uns: Amorth schrieb viele Bücher.

„The Pope’s Exorcist“ ist inhaltlich ziemlich leerer aber extrem kurzweiliger und charmant gespielter Trash groteskem Ausmaßes. Ist er gut? Hell, no. Aber ich hatte meinen Spaß.


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John Wick: Kapitel 4 (2023) Kritik

John Wick Kapitel 4 (2022) Filmkritik

John Wick: Chapter 4, USA 2023 • 169 Min • Regie: Chad Stahelski • Mit: Keanu Reeves, Donnie Yen, Ian McShane, Shamier Anderson, Bill Skarsgård, Hiroyuki Sanada, Rina Sawayama, Scott Adkins, Clancy Brown, Marko Zaror • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 23.03.2023 • Deutsche Website

Handlung

John Wick (Keanu Reeves) kümmert sich wieder mit einem unerschöpflichen Waffenarsenal im Alleingang um das Problem der Überbevölkerung.

Kritik

Eine Faustregel unter Filmfans besagt, dass Fortsetzungen meist nicht so gut sind wie die Originale. Natürlich gibt es berühmte Ausnahmen, doch es gibt auch einen nachvollziehbaren Grund, weshalb Sequels und Prequels es nicht leicht haben. Colin Firth hat das mir gegenüber in einem Interview zum ersten Kingsman-Film gut auf den Punkt gebracht: Die Fans wollen bei einer Fortsetzung einerseits wieder das erleben, was sie am ersten Film mochten, und andererseits wollen sie nicht dessen exakte Kopie sehen. Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Innovation und Originaltreue für die Filmemacher.

Letztlich funktionieren Franchises nach einer bewährten Formel. Denn bei aller Kritik an mangelnder Originalität haben viele Fans konkrete Erwartungen, wenn sie den neusten Star-Wars-, James-Bond-, Scream– oder Marvel-Film sehen. Weichen Filmemacher zu sehr von dieser Formel ab, riskieren sie es, die unbändige Wut der eingefleischten Fans auf sich zu ziehen, wie David Gordon Green mit Halloween Ends und Rian Johnson mit Star Wars – Die letzten Jedi erlebt haben.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 1Manche Franchises finden ihr Erfolgsrezept nicht schon mit dem ersten Film, sondern mit einer der Fortsetzungen. Fast & Furious ist ein Paradebeispiel dafür, denn niemand hat den ersten Teil gesehen und dabei gedacht, dass die aufgemotzten Autos irgendwann in den Weltraum fliegen würden, und doch scheint dies ab dem fünften Teil eine durchaus natürliche Weiterentwicklung zu sein. Auch die John-Wick-Reihe mit Keanu Reeves funktioniert nach einer Formel, die erst mit dem zweiten Film wirklich finalisiert wurde. War der erste Film noch die simple Geschichte eines Profikillers im Ruhestand, der 77 Menschen tötet, um den Mord an dem Hund seiner verstorbenen Ehefrau zu rächen, handelt die Reihe ab ihrem zweiten Kapitel von Johns Konflikt mit dem geheimnisvollen und allmächtigen Verbrechersyndikat Hohe Kammer, dessen heilige Regeln er bricht und dafür regelrechte Armeen von Profikillern effizient und gelegentlich auch kreativ aus dem Weg räumen muss.

Um sich auf das Universum von John Wick einzulassen, muss man als Zuschauer akzeptieren, dass diese Filme, wie auch die neuen Fast-&-Furious-Teile, in einer Parallelwelt existieren, in der eigene Gesetze der Physik und der Widerstandsfähigkeit des menschlichen Körpers herrschen. Große Faszination übt die John-Wick-Reihe auch durch ihr Worldbuilding aus, das eine massive kriminelle Unterwelt mit eigenen Regeln, Mechanismen, kuriosen Begriffen und alten Traditionen entwirft, die von Film zu Film komplexer wird. Im Mittelpunkt des Ganzen steht Keanu Reeves. Reeves wird vermutlich nie einen Oscar gewinnen, doch als stoischer Actionstar sucht der 58-Jährige Seinesgleichen. Als souveräne Killermaschine John Wick, die keinen anderen Weg vorwärts mehr sieht, als alle und jeden, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten, wurde Reeves vielleicht die Rolle seines Lebens auf den Leib geschrieben, die inzwischen so synonym mit einer unaufhaltsamen Actionikone geworden ist wie Rambo es in den Achtzigern war.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 2Weil Kritiker und Zuschauer die bisherige Formel der zunehmend erfolgreicheren Filme lieben, wird von dieser nicht abgewichen. Stattdessen bedient sich Regisseur Chad Stahelski der anderen inoffiziellen Hollywood-Regel, die besagt, dass Sequels in jeder Hinsicht größer als ihre Vorgänger ein müssen. Das ist der Grund, weshalb Fortsetzungen heutzutage immer ausschweifendere Laufzeiten haben und in diesen Trend fügt sich John Wick: Kapitel 4 nahtlos ein. Über fast drei Stunden dezimiert John Wick wieder Horden meist gesichtsloser und austauschbarer Gegner, häufig mit präzisen Kopfschüssen in bester Egoshooter-Manier, aber auch mit Messern, Nunchakus und bloßen Fäusten. Auch ein Bleistift hat wieder einen Gastauftritt als Waffe, wird zur Abwechslung jedoch nicht von John Wick verwendet.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 3Neu ist der Einsatz fahrender Autos als Waffen, gegen die Gegner geworfen werden. Das sieht einerseits verdammt cool aus, andererseits hat der Zusammenstoß eines menschlichen Körpers mit einem schnell fahrenden Auto zumindest für größere Figuren des Films die Wirkung eines lästigen Mückenstichs oder bestenfalls eines gestoßenen Knöchels. Dasselbe gilt auch, wenn man mehrere Stockwerke tief stürzt und gegen einen Müllcontainer prallt oder eine sehr lange Steintreppe herunterpurzelt. Mit der realen Welt hat die Action von John Wick: Kapitel 4 längst nichts mehr zu tun. Ob in der japanischen Version des Continental-Hotels, in den dunklen Gassen von Paris oder zu Pferd mitten in der Wüste ist John Wick immer adrett mit einem maßgeschneiderten und maximal kugelsicheren Anzug bekleidet, auf den seine Gegner auch immer brav zielen, jedoch nie auf seinen Kopf. Überhaupt lässt die Treffsicherheit der vermeintlichen Superkiller sogar aus nächster Nähe zu wünschen übrig, wenn es dem Drehbuch gerade passt.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 4Doch man geht nicht in John Wick, um bodenständige, realistische Action zu sehen. Man will virtuose Choreografie, stylische Inszenierung und immer wieder neue, kreative Wege, wie John Wick seine Widersacher erledigt und auch brenzligsten Situationen verletzt, aber lebend davonkommt. Kapitel 4 ist sehr darum bemüht, all das zu bieten und neue Maßstäbe der Reihe in puncto Action zu setzen. Gerade anfangs sind die Szenen wirklich atemberaubend. Doch in seinen epischen Ambitionen überstrapaziert der Film die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer bei ausgedehnten Nonstop-Actionsequenzen und wenn John Wick dann seinem 80. Gegner in 15 Minuten mehrfach in den Kopf schießt, ist das irgendwann ermüdend und abstumpfend. Hatten die letzten Filme noch genau das richtige Maß an Over-the-Top-Action, treibt es das vierte Kapitel etwas zu weit, um auf Teufel komm raus ein Magnum Opus des Genres zu sein.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 5Es sind jedoch nicht nur die Actionszenen in John Wick: Kapitel 4, die bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern auch einige der neuen Charaktere, allen voran Donnie Yen als blinder Profikiller Caine, der von Bill Skarsgårds herrlich unangenehmem, arrogantem Antagonisten Marquis de Gramont mit einer Drohung gegen seine Tochter dazu erpresst wird, seinen alten Freund John zu jagen. Der Konflikt zwischen Wick und Caine ist einer der interessantesten Aspekte des Films, denn erstmals steht John nicht nur einem wirklich ebenbürtigen Gegner gegenüber, sondern auch jemandem, dessen Versagen tödliche Konsequenzen für eine unschuldige Person haben. Yen stiehlt in allen seinen Szenen mühelos die Show und beweist auch mit fast 60 Jahren, dass er vermutlich der größte Martial-Arts-Star seiner Generation ist. Der Film findet kreative Wege zu zeigen, wie Caine seine Sehbehinderung im Kampf ausgleichen oder sogar zum Vorteil nutzen kann, sodass man wirklich das Gefühl bekommt, dass John Wick diesmal einen würdigen Widersacher hat.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 6Erwartet man von Donnie Yen als Genrekenner von vornherein einen starken Auftritt, überrascht inmitten des großen Ensembles ausgerechnet Newcomerin Rina Sawayama als Akira, Tochter des Managers (Hiroyuki Sanada) des Osaka Continental. In ihrer allerersten Filmrolle ist die Sängerin eine wahre Naturgewalt, die in Actionszenen sehr überzeugend ist, John Wick aber auch mit Verbitterung daran erinnert, welche gravierenden Konsequenzen seine Entscheidungen für seine wenigen Freunde und Verbündeten nach sich ziehen. Mit dieser Wahrheit wird John Wick wiederholt im Laufe des Films konfrontiert. Auf diese Weise rechnet Kapitel 4 mit den Ereignissen seiner Vorgänger ab und führt die bisherige zentrale Handlung der Reihe zu einem konsequenten, versöhnlichen Abschluss. Wüsste man nicht, dass John Wick 5 mehr oder weniger offiziell angekündigt wurde, könnte man Kapitel 4 auch als großes, versöhnliches Finale der Reihe betrachten, das Keanu Reeves als John Wick endgültig in das Pantheon der ganz großen Actionhelden erhebt.

Fazit

John Wick: Kapitel 4 setzt alles daran, um das Vermächtnis der Reihe als eins der spektakulärsten Action-Franchises aller Zeiten mit einem fast dreistündigen Magnum Opus zu zementieren. Dabei entfernt sich der Film noch weiter von jeglichem Anschein einer realen Welt und macht keinen Hehl daraus, absurder und unterhaltsamer FSK-18-Action-Slapstick zu sein. Keanu Reeves ist in Topform als Stehaufmännchen John Wick, während Donnie Yen als blinder Killer die Show stiehlt und Newcomerin Rina Sawayama sich als Naturgewalt entpuppt, von der man nicht genug bekommen kann. Die ausgedehnten, virtuosen Actionsequenzen des Films sind kreativ, sehr stylisch inszeniert, strapazieren jedoch unweigerlich die Sinne und die Geduld und wirken ermüdend. Immerhin nutzt der Film seine ausufernde Laufzeit auch dazu, die Handlungsstränge der ersten drei Filme zu einem konsequenten, versöhnlichen (und vorläufigen?) Abschluss zu führen und Reeves als John Wick endgültig ein Denkmal zu setzen.

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https://youtu.be/I04tlU7CRPA

Oscars 2023: Unsere finalen Tipps und Gedanken

Oscars 2023 Tipps

Heute Nacht werden in Los Angeles zum 95. Mal die Oscars verliehen und ich werde sie natürlich wieder live im Fernsehen mitverfolgen. Schließlich habe ich seit 2000 keine Verleihung mehr verpasst und nachdem die Corona-Flaute, die mir 2020/2021 jeglichen Spaß an den Oscars geraubt hat, überwunden war, freue ich mich wieder aufrichtig, die magische Nacht (ja, ja, Ihr Zyniker, bei aller Kritik an den Oscars ist sie das für mich immer noch) wieder mitzuerleben.

Abschließend noch meine finalen Tipps in allen 24 Kategorien sowie meine persönlichen Favoriten, die ich jedoch nur angegeben habe, wenn ich mindestens drei Nominees aus der Kategorie gesehen habe:

Bester Film

In den 29 Jahren, in denen die Produzentengewerkschaft, die Regiegewerkschaft DGA, die Autorengewerkschaft WGA und die Schauspielergewerkschaft SAG jährlich ihre Preise verleihen, haben nur fünf Filme bei allen vier großen Industrie-Gewerkschaften, deren Mitglieder einen großen Anteil der Oscarwähler bilden, gewonnen. Vier davon (American Beauty, No Country for Old Men, Slumdog Millionär und Argo) haben auch den "Bester Film"-Oscar gewonnen. Der fünfte ist Everything Everywhere All at Once, der wie eine Dampfwalze die Konkurrenz der diesjährigen Oscar-Saison plattgemacht und kürzlich Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs als meistprämierten Film in der Geschichte Hollywoods abgelöst hat. Sicherer kann ein Oscarsieg eigentlich nicht sein.

Und doch… Es besteht eine winzig kleine Chance, dass die Academy, deren Altersschnitt immer noch recht hoch ist, mit dem innovativen, durchgeknallten Trip des Daniels-Regieduos nicht so viel anfangen kann und zugleich mit der Auszeichnung für Im Westen nichts Neues ein Zeichen gegen den Ukraine-Krieg setzen wird. Bei den BAFTAs, den britischen Oscars, wurde Im Westen nichts Neues siebenmal ausgezeichnet, darunter als "Bester Film". Das gibt zu denken. Doch letztlich bleibt die Chance marginal und ohne Nominierungen für die Regie, den Schnitt und die Darsteller ist Im Westen nichts Neues in keiner guten Position. Eine Niederlage für Everything Everywhere All at Once wäre nach seinen unzähligen Siegen bei allen erdenklichen Industriepreisen historisch und das ist nicht die Art Geschichte, die die Academy schreiben will. Mich persönlich freut es sehr, dass ein Film, in dem Leute auf Buttplugs springen und der eine Ratatouille-Parodie mit einem Waschbären enthält, überhaupt zum Favoritenstatus gekommen ist.

Wird gewinnen: Everything Everywhere All at Once
Sollte gewinnen: Everything Everywhere All at Once

Beste Regie

Zu Beginn der Oscar-Saison sah es noch danach aus, als könnte Steven Spielberg mit seinem autobiografischen Film Die Fabelmans seinen dritten Regie-Oscar gewinnen, insbesondere nachdem die Golden Globes ihn ausgezeichnet haben. Doch das Duo Daniel Scheinert und Daniel Kwan haben in den letzten Wochen mit Siegen bei der Regiegewerkschaft, den Critics Choice Awards und den Independent Spirit Awards ihren Favoritenstatus zementiert. Ein Hoch auf Originalität!

Werden gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)
Sollten gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)

Bester Hauptdarsteller

In drei der vier Schauspielerkategorien ist das Rennen sehr knapp und es ist wirklich erfrischend, dass die Kategorien noch so offen sind und die Spannung bleibt. Colin Farrell und Austin Butler gewannen die Golden Globes in den Kategorien Komödie bzw. Drama und Butler überraschte mit einem Sieg bei den BAFTAs gegen britische und irische Konkurrenten, die Heimvorteil hatten. Doch Brendan Fraser hat mit The Whale bei den Critics Choice Awards und vor allem bei der Schauspielergewerkschaft SAG gewonnen und hat definitiv die meisten Sympathiepunkte dieses Jahr dank seiner Comeback-Story gesammelt. Sein Film wird häufig mit Darren Aronofskys The Wrestler verglichen, dessen Star Mickey Rourke trotz ähnlicher Comeback-Geschichte gegen Sean Penn (Milk) verloren hat. Gegen Fraser spricht, dass sein Film im Gegensatz zu Farrells und Butlers nicht als "Bester Film" nominiert ist. Seit 2010 hat kein Schauspieler den Hauptdarsteller-Oscar gewonnen, wenn sein Film nicht auch nominiert war. Weil die Academy gerne Darsteller aus Musiker-Biopics auszeichnet (siehe Jamie Foxx oder Rami Malek), könnte Butler die Nase vorn haben, doch sein junges Alter könnte ihm im Weg stehen, während Fraser mit seinen ergreifenden Reden immer wieder zu Tränen rührte.

Wird gewinnen: Brendan Fraser (The Whale)
Sollte gewinnen: Colin Farrell (The Banshees of Inisherin)

Beste Hauptdarstellerin

Seit sie bei den Filmfestspielen von Venedig für ihre monumentale Performance in Tár prämiert wurde, war Cate Blanchett lange Zeit die haushohe Favoritin im Oscar-Rennen. Sie gewann den Globe, den BAFTA und den Critics Choice Award. In nahezu jedem anderen Jahr hätte sie gewonnen. Doch das Blatt wendet sich zu Gunsten von Michelle Yeoh seit sie überraschend den Preis der Schauspielergewerkschaft gewonnen hat. Wird die Academy in einem Jahr, in dem 16 der 20 Schauspielerinnen und Schauspieler erstmals nominiert sind, Blanchett ihren dritten Oscar geben oder Yeoh auszeichnen und mit dem ersten Hauptdarstellerin-Oscar für eine asiatische Schauspielerin sowie dem zweiten Hauptdarstellerin-Oscar überhaupt für eine Woman of Color Geschichte schreiben? Ich kenne meine Antwort darauf.

Wird gewinnen: Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)

Bester Nebendarsteller

Wir machen das kurz, denn in dieser Kategorie gab es die ganze Zeit nur einen Favoriten, der, bis auf den BAFTA, jeden erdenklichen Preis gewonnen hat und ebenfalls eine rührende Comeback-Geschichte vorzuweisen hat.

Wird gewinnen: Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)

Beste Nebendarstellerin

In dieser Kategorie ist das Rennen hingegen sehr offen. Angela Bassett wurde für Black Panther: Wakanda Forever mit dem Golden Globe und dem Critics Choice Award ausgezeichnet und als erste Marvel-Darstellerin überhaupt für einen Oscar nominiert. Es wäre eine tolle Gelegenheit, die Schauspielveteranin für ihr Lebenswerk auszuzeichnen, doch die Globes und die Critics Choice Awards sind letztlich Kritikerpreise ohne Überschneidungen mit den Oscars. Als es dann ans Eingemachte ging, hat Kerry Condon mit The Banshees of Inisherin bei den BAFTAs gewonnen und Jamie Lee Curtis mit Everything Everywhere All at Once bei der SAG. Alle drei haben gute Chancen, doch ich denke nicht, dass The Banshees of Inisherin ganz leer ausgehen wird und in dieser Kategorie hat er vermutlich die besten Chancen.

Wird gewinnen: Kerry Condon (The Banshees of Inisherin)
Sollte gewinnen: Kerry Condon (The Banshees of Inisherin)

Bestes Originaldrehbuch

Die Daniels haben den WGA Award der Autorengewerkschaft gewonnen, doch Martin McDonaghs The Banshees of Inisherin war für eine Nominierung unzulässig und deshalb konkurrierten sie auch nicht gegeneinander. Bei den Oscars tun sie es und es ist ein knappes Rennen. Wie gesagt, ich gehe nicht davon aus, dass The Banshees of Inisherin komplett leer ausgehen wird. Wenn er den Nebendarstellerin-Oscar nicht bekommen wird, dann wird er für sein Drehbuch gewinnen. Aktuell geben ich aber Everything knapp den Vorzug.

Wird gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)
Sollte gewinnen: Daniel Kwan und Daniel Scheinert (Everything Everywhere All at Once)

Bestes adaptiertes Drehbuch

Sarah Polleys Die Aussprache hat den WGA Award und den USC Scripter Award gewonnen, zwei gute Prädiktoren dieses Oscars, doch Im Westen nichts Neues, der den BAFTA gewonnen hat, wurde, wie auch Banshees, von der WGA wegen Unzulässigkeit ausgeschlossen. Wenn die Academy den Kriegsfilm wirklich liebt, könnte er hier gewinnen, doch Polleys Drehbuch zu Die Aussprache ist genau die Art dialogreiches Drehbuch, das die Academy gerne prämiert.

Wird gewinnen: Sarah Polley (Die Aussprache)
Sollte gewinnen: Sarah Polley (Die Aussprache)

Bester internationaler Film

Trotz einer starken Auswahl an Filmen ist Netflix' Im Westen nichts Neues, der in acht weiteren Kategorien nominiert hier, konkurrenzloser Favorit und wird Deutschland den ersten Oscar seit 16 Jahren einbringen.

Wird gewinnen: Im Westen nichts Neues
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Dokumentarfilm

Hier wird es spannend, denn Laura Poitras All the Beauty and the Bloodshed hat den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen und Poitras hat zuvor mit CitizenFour schon den Doku-Oscar gewonnen, doch Fire of Love ist deutlich zugänglicher, während Nawalny politisch einfach die naheliegende Wahl in der aktuellen Zeit ist und den Zeitgeist trifft.

Wird gewinnen: Nawalny
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Animationsfilm

Pixar hat in der Kategorie normalerweise die Nase vorn und ist diesmal mit Rot mit dabei, doch Guillermo del Toros Pinocchio ist der eindeutige Favorit und hat die meisten Animationsfilm-Preise im Vorfeld abgeräumt

Wird gewinnen: Guillermo del Toros Pinocchio
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester animierter Kurzfilm

Wird gewinnen: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Dokumentar-Kurzfilm

Wird gewinnen: Stranger at the Gate
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Bester Kurzfilm

Wird gewinnen: An Irish Goodbye
Sollte gewinnen: Keine Angabe

Beste visuelle Effekte

Wie hieß es so schön in Highlander? Es kann nur einen geben!

Wird gewinnen: Avatar: The Way of Water
Sollte gewinnen: Avatar: The Way of Water

Beste Kamera

Wenn wir ehrlich sind, wurde die beste Kameraarbeit 2022 gar nicht nominiert. Das wäre nämlich Claudio Miranda mit Top Gun: Maverick. Roger Deakins ist mit Empire of Light zum zigsten Mal dabei, doch er wird seinen Oscar nicht für einen Film gewinnen, den niemand gesehen hat. Mandy Walker hat mit ihrem Sieg beim Verband der Kameraleute ASC als erste Frau Geschichte geschrieben und könnte es bei den Oscars wiederholen, doch es gilt zu bedenken, dass auf den Wahlzetteln nur Filmtitel und keine Namen stehen. Im Westen nichts Neues wurde von der ASC nicht einmal nominiert, hat aber den BAFTA gewonnen und scheint genau die Art Film zu sein, die die Academy in der Kategorie vorzieht.

Wird gewinnen: James Friend (Im Westen nichts Neues)
Sollte gewinnen: James Friend (Im Westen nichts Neues)

Bester Schnitt

Hier ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Everything Everywhere All at Once und Top Gun: Maverick. Beide haben beim Cutter-Verband ACE gewonnen und Everything holte seinen einzigen BAFTA in der Schnitt-Kategorie. Doch ich habe das Gefühl, dass die Academy Maverick einige technische Preise geben wird, insbesondere nachdem er für seine Kamera schockierenderweise nicht einmal nominiert wurde.

Wird gewinnen: Top Gun: Maverick
Sollte gewinnen: Everything Everywhere All at Once

Bester Ton

Blockbuster haben immer besonders gute Chancen in der Kategorie, erst Recht, wenn sie auch als "Bester Film" nominiert sind. Normalerweise haben Kriegsfilme einen Vorteil hier, doch Maverick sollte unschlagbar sein,. Überraschen könnte jedoch Elvis.

Wird gewinnen: Top Gun: Maverick
Sollte gewinnen: Top Gun: Maverick

Beste Kostüme

Hier ist das Rennen offen. Everything Everywhere All at Once und Elvis wurden von der Gewerkschaft der Kostümbildner CDG ausgezeichnet, Elvis auch von der BAFTA. Black Panther: Wakanda Forever hat tolle Kostüme und der Vorgänger hat auch schon gewonnen und in Mrs. Harris und das Kleid von Dior geht es primär um Mode, doch den Film haben vermutlich nicht genug WählerInnen gesehen. Letztlich sollte man Baz Luhrmanns Filme in der Kategorie nie unterschätzen, denn auch Moulin Rouge und Der große Gatsby haben darin gewonnen.

Wird gewinnen: Elvis
Sollte gewinnen: Mrs. Harris und das Kleid von Dior

Bestes Szenenbild

Das ist die Kategorie, in der Babylon wirklich glänzen kann und hat nicht umsonst schon den BAFTA und den Preis der Szenenbildner-Gewerkschaft gewonnen.

Wird gewinnen: Babylon – Rausch der Ekstase
Sollte gewinnen: Babylon – Rausch der Ekstase

Beste Filmmusik

John Williams ist mit Die Fabelmans zum 53. (!) Mal nominiert, gewonnen hat er jedoch seit fast 30 Jahren nicht mehr. Das wäre die perfekte Gelegenheit, ihn und Die Fabelmans zu ehren. Doch Volker Bertelmann alias Hauschka hat einen gewaltigen Score zu Im Westen nichts Neues beigesteuert, der viel von der bedrückenden Stimmung des Films ausmacht. Mein persönlicher Favorit ist jedoch Justin Hurwitz' Komposition für Babylon, die ihm immerhin den Golden Globe eingebracht hat.

Wird gewinnen: John Williams (Die Fabelmans)
Sollte gewinnen: Justin Hurwitz (Babylon – Rausch der Ekstase)

Bestes Filmlied

Diane Warren hat bereits einen Grammy, einen Emmy und zwei Golden Globes gewonnen, jedoch keinen Oscar trotz 13 Nominierungen in Vergangenheit. Auch mit ihrer 14. Nominierung wird sie nicht gewinnen, nicht für einen Film, den kein Mensch gesehen hat. Außerdem wurde sie kürzlich erst mit dem Oscar für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Mit Lady Gaga ("Hold My Hand") und Rihanna ("Lift Me Up") sind zwei Musik-Superstars dabei, doch die Sympathien gehören dieses Jahr eindeutig "Naatu Naatu" aus dem indischen Megahit RRR.

Wird gewinnen: "Naatu Naatu" (RRR)
Sollte gewinnen: "Hold My Hand" (Top Gun: Maverick)

Bestes Make-up

Elvis gewann den BAFTA und zwei Auszeichnungen vom Verband der Maskenbildner, doch auch The Whale wurde von dem Verband ausgezeichnet und könnte das Rennen machen. Es ist wirklich 50/50 zwischen den beiden, doch mein persönlicher Favorit ist ein ganz anderer.

Wird gewinnen: Elvis
Sollte gewinnen: The Batman

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Stimmt Ihr mit uns überein oder sehen Eure Tipps anders aus?

Scream VI (2023) Kritik

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Scream VI (2023) Filmkritik

Scream VI, USA 2023 • 123 Min • Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett • Drehbuch: James Vanderbilt, Guy Busick • Mit: Melissa Barrera, Jenna Ortega, Jasmin Savoy Brown, Mason Gooding, Courteney Cox, Hayden Panettiere, Samara Weaving, Dermot Mulroney, Liana Liberato, Henry Czerny, Jack Champion • Kamera: Brett Jutkiewicz • Musik: Brian Tyler, Sven Faulconer • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 09.03.2023 • Deutsche Website

Im Fall von „Scream VI“ wäre es bereits eine Schande, Details aus der Eröffnungsszene zu verraten. Es ist der beste Beginn aus der beliebten Slasher-Reihe seit Drew Barrymore in Teil eins unerwartet früh ihren Filmtod gefunden hat. Anders, unvorhersehbar und schockierend – der Auftakt setzt geschickt den Ton des neuen Films, der erneut von dem Radio-Silence-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett („Ready or Not“) inszeniert und von James Vanderbilt („Zodiac“) sowie Guy Busick (u.a. „Castle Rock“) verfasst worden ist. Die Kreativerben der verstorbenen Horror-Legende Wes Craven und Original-Autor Kevin Williamson wissen genau um den Geist des Franchises, vermögen es diesmal aber noch mehr als in ihrem bereits sehr gelungenen fünften Ableger, diesem auch ganz frische Akzente hinzuzufügen.

Scream VI (2023) Filmbild 6

Im Vorgänger mahnte Neve Campbell als leiderprobtes Final Girl Sidney Prescott die Neuzugänge Sam (Melissa Barrera) und Tara Carpenter (Jenna Ortega), dass es keinen Sinn macht, vor dem Schrecken davonzulaufen, da dieser einen letztlich sowieso einholen wird. Nach den blutigen Ereignissen ist Sidney diesmal in weiter Ferne, da sowohl die Geschwister, als auch ihre Freunde Mindy (Jasmin Savoy Brown) und Chad (Mason Gooding) sich dafür entschieden haben, das Trauma in Woodsboro zu lassen und in New York City einen Neuanfang zu wagen.

Während Tara, Mindy und Chad dort das College besuchen, knabbert Sam an ihrer Vergangenheit als Tochter des Serienkillers Billy Loomis und hält ihre kleine Schwester schützend an einer sehr kurzen Leine. Nicht völlig grundlos, wie sich bald herausstellt: Ein bestialischer Mord mit einer Spur zu Sam führt den Ermittler Bailey (Dermot Mulroney) zu der eingeschworenen Clique. Sogar das FBI ist schließlich in den Fall involviert und möchte in Gestalt einer alten Bekannten, Agentin Kirby Reed (Hayden Panettiere), dem neuen Ghostface ein für allemal das Handwerk legen. Bis die Beteiligten dem Täter (oder den Tätern?) auf die Spur kommen, soll selbstverständlich noch mehr Blut fließen …

Scream VI (2023) Filmbild 5

Anders als jede vergleichbare Horrorreihe, haben die „Scream“-Filme stets von gut gezeichneten und sympathischen Protagonisten gelebt. „Scream VI“ macht da keine Ausnahme, selbst wenn außer Courteney Cox als unverbesserliche Reporterin Gale Weathers und der bereits genannten Kirby aus Teil vier lediglich die ganz frische Generation sowie einige Neuzugänge (u.a. Liana Liberato als Quinn, die WG-Mitbewohnerin der Carpenters, Jack Champion als Chads Studentenverbindungskumpel Ethan und Devyn Nekoda als Mindys Geliebte Anika) die Handlung vorantreiben.

Sowohl die Schöpfer der Geschichte als auch die Jungstars haben inzwischen so viel Vertrauen in die Charaktere, dass das Werk letztlich auch komplett ohne Legacy-Cast funktioniert hätte. So sind es neben den intensiven Slasher-Attacken vor allem die zwischenmenschlichen Momente, die sich später im Gedächtnis festbrennen werden. Selten hat man in einem Subgenre-Beitrag eine derartige Chemie zwischen den Figuren gespürt. Dass die gemeinsamen Erlebnisse das Quartett geprägt und fest zusammengeschweißt haben, wird in diesen intimen Szenen überdeutlich. Das hier sind Freunde, die für das Leben des anderen sogar ins offene Messer springen würden.

Scream VI (2023) Filmbild 4

In den Teilen eins bis drei hat der getötete Filmnerd Randy Meeks seine Verbündeten bekanntlich stets über die überlebenswichtigen Spielregeln der jeweiligen Story – ob Slasher, Sequel oder Trilogie – aufgeklärt. Seit dem letztjährigen Vorgänger übernimmt diesen Part dessen Nichte Mindy, die den fünften Teil bereits als Requel identifiziert hat und sich infolge der neuen Mordserie in einem Franchise verortet sieht. Wer der Täter ist, beziehungsweise lebt oder stirbt, sei nun völlig offen – alte Hasen nicht ausgeschlossen. Zusätzlich spielen Easter Eggs diesmal eine wesentliche Rolle, die in „Scream VI“ besonders in Form eines mysteriösen Ghostface-Schreins eine echte Bedeutung bekommen und nicht, wie so oft, als reiner Fanservice im leeren Raum stehen. Da gerade dieser Film viele Bezüge zu seinen Vorgängern aufweist – insbesondere zu „Scream 2“ – ist eine erneute Sichtung der gesamten Reihe vor dem Kinobesuch lohnenswert.

Horror- und Thriller-Freunde werden allerdings auch außerhalb des „Scream“– oder internen „Stab“-Universums etliche Referenzen zu älteren Werken entdecken. Zumal diese Story nicht nur im urbanen Big Apple angesiedelt ist, sondern zugleich in der Halloween-Zeit spielt, gibt es für den Täter reichlich Gelegenheit, sich unter anderen Maskierten zu verstecken, die neben weiteren Ghostface-Kostümen eben auch die gesamte Grusel-Bandbreite abdecken. Beklemmend wird das, wenn die Freunde an einer Subway-Station getrennt werden und in ihrem jeweiligen Zug angespannt Ausschau nach dem Täter halten müssen.

Scream VI (2023) Filmbild 3

„Scream VI“ enthält erstmals auch Elemente eines klassischen Polizei-Thrillers sowie Zitate aus dem Krimi- und Giallo-Feld. Neben einem T-Shirt zu Dario Argentos „Vier Fliegen auf grauem Samt“ gibt es auch inhaltlich klare Anspielungen auf den italienischen Spannungs-Meister, wenn zum Beispiel ein Charakter, wie in dessen Meisterwerk „Deep Red“, aus der Ferne einen Mord beobachtet, ihm in der aufgeladenen Situation aber wichtige Einzelheiten entgehen. Dass hier auf die eine oder andere Weise auch der einzige Film-Ausflug von Slasher-Ikone Jason Voorhees nach NYC auftaucht, sollte man dagegen gar nicht extra erwähnen müssen.

New York mit seinen dunklen Gassen ist als neuer Hintergrund übrigens nicht bloß eine willkommene atmosphärische Abwechslung zu (abgesehen von Teil drei) dem Dauer-Tatort Woodsboro. Dass die Protagonisten selbst in dieser Metropole nicht vor weiteren Ghostface-Angriffen sicher sind, zeigt, dass das Kleinstadt-Drama durch die populäre Verwertung in Buch und Film bis weit über die vertrauten Grenzen Anhänger und Schaulustige gefunden hat und Sidney mit ihrer zuvor genannten Prognose Recht behält. Ein weiteres Grauen kann überall lauern und jederzeit zuschlagen. Eine Flucht ist unmöglich. Dass man sich deshalb aber noch lange keiner vermeintlichen Vorbestimmung hingeben muss, zeigt eine wunderbare Szene zum Schluss.

Scream VI (2023) Filmbild 2

Wie es um die Auflösung von „Scream VI“ oder das Ghostface-Motiv steht, wird an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten. Nur so viel: Auch dieses adrenalinhaltige Finale steht ganz in der Tradition der Reihe und man kann als erfahrener Zuschauer durchaus erraten, wer unter der vertrauten Maske steckt. Woran sich einige zartbesaitete Zuschauer allerdings stören könnten – und was wiederum andere freuen wird -, ist dass dieser sechste Eintrag deutlich brachialer und blutiger zur Sache geht als die Prequels.

Die Spannungsschraube ist seit dem grandiosen Beginn kräftig angedreht und Gefangene werden nicht gemacht. Dieses Mal springt Ghostface während einer Konversation auf offener Straßer auf seine Opfer zu, greift zu Schusswaffen und verschwindet nicht einfach, wenn Türen verschlossen sind. Doch während der oder die Täter so kompromisslos Terror verbreiten, wappnen sich auch die Helden zur Gegenwehr und gehen dabei keinesfalls zimperlicher vor.

Scream VI (2023) 6

Als Verarbeitung von Opfer-Traumata ist „Scream VI“ kämpferisch, als Bild von Zusammenhalt und Freundschaft rührend und als Meta-Schocker zugleich clever und äußerst intensiv. Es ist der beste Teil der Reihe seit dem Original, neben Ti Wests „X“ der beste Slasher seit Wes Cravens Megahit und eines der besten Horror-Sequels überhaupt. Man kann nur hoffen, dass Radio Silence als Regie-Team bei weiteren Fortsetzungen erhalten bleiben und man das Franchise auf diesem Niveau weiterführt.

So und nicht anders bitte.


Trailer

The City That Never Sleeps: 6 Slasherfilme aus dem Big Apple

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Slasher New York

Links: Angie Dickinson in Dressed to Kill © 1980 Filmways Pictures
Mitte: Freitag der 13. – Todesfalle Manhattan © 1988 Paramount Pictures
Rechts: Joe Spinell in Maniac © 1980 Magnum Motion Pictures Inc.

Diese Woche wird uns mit Scream VI eine populäre Slasher-Reihe erstmals in den Big Apple entführen und unter dem Motto "New York, New Rules" frischen Wind in das Franchise blasen. Zwar ist bereits Teil 3 in Hollywood angesiedelt gewesen, spielte allerdings gefühlt lediglich in einer künstlichen Studio-Ausgabe der fiktiven Kleinstadt Woodsboro.

Kritische Fan-Stimmen wurden im Vorfeld des neuen Films laut, die die Verlegung in eine US-Metropole als Bruch mit der Atmosphäre des Scream-Universums und generell als unvereinbar mit dem Horror-Subgenre halten. Zumindest letztere Behauptung möchten wir mit diesem kleinen Spezial anlässlich des Kinostarts von Teil 6 entkräften, in welchem wir Euch sechs mehr oder weniger bekannte – und qualitativ sehr diverse! – Vertreter des Slasher- oder späten Giallo-Kinos präsentieren, deren Handlungen ebenfalls in New York City spielen.

Packen wir es direkt an:

6. Freitag der 13. – Todesfalle Manhattan (Friday the 13th Part VIII – Jason Takes Manhattan)

Slasher New York 1

An letzter Stelle befindet sich ganz obligatorisch das achte Blutbad des Hockeymasken-Killers Jason Vorhees, welches übrigens nicht daran krankt, dass es in New York spielt, sondern daran, dass es eindeutig zu lange braucht, bis es dort angelangt ist. Crystal Lake hin oder her – als Anhänger der Reihe kam man sich doch veräppelt vor, ein cooles Marketing mit "I Love NY"-Postern präsentiert zu bekommen und dann letztlich für die meiste Zeit beobachten zu müssen, wie der Antagonist dumme High-School-Absolventen auf einem Schiff dezimiert. Sicher, auch mit diesem Beitrag kann man sich 90 Minuten stumpf die Zeit vertreiben. Man kann dies aber auch mit besseren Filmen tun …

5. American Killing (The Clairvoyant, alternativ: The Killing Hour)

Slasher New York 2

… wie zum Beispiel mit dem soliden und hierzulande lediglich auf VHS veröffentlichten American Killing. Das von Armand Mastroianni (Panische Angst) inszenierte Werk handelt von einem Serienkiller, der seine Opfer relativ originell (aber blutleer) mit Hilfe von Handschellen tötet – das funktioniert im Film übrigens deutlich besser, als es hier im Text klingt. Von seinen Taten ist eine telepathisch begabte Studentin an der New Yorker Kunstakademie (Elizabeth Kemp) inspiriert, die sich aufgrund ihrer Bilder natürlich ins Visier des Täters begibt. Ganz sicher alles andere als ein Genre-Meilenstein, aber ein netter Hybrid, der sich für den spannenden Thriller-Abend eignet.

4. Der nackte Wahnsinn (Too Scared to Scream)

New York Slasher 3

Tony Lo Biancos Psychothriller zeigt Deadwood– und John-Wick-Star Ian McShane als eitlen Nachtportier eines edlen New Yorker Apartmentkomlexes, der nach dem Mord an einer Bewohnerin unter dringenden Tatverdacht gerät. Mike Connors und Anne Archer ermitteln in einem zwar vereinzelt blutigen und mit Nacktszenen ausgestatteten, aber ansonsten vergleichsweise altmodischen Whodunit-Slasher, der ausnahmsweise eher die schicken Seiten der Stadt zeigt. Auch hier sollte man lediglich eine solide Genre-Rarität mit Unterhaltungswert erwarten, die zwar tonal etwas uneben und teilweise sehr albern geraten ist aber letztlich mit einem schrillen Finale endet.

3. Maniac

Slasher New York 4

Vor allem infolge der britischen Video-Nasty-Hysterie in den Achtzigern genießt William Lustigs Maniac Berühmtheit auf dem Horror-Sektor und war auch in Deutschland für viele Jahre beschlagnahmt. Aus den Augen (wenn auch nicht ganz so wörtlich wie im gelungenen Remake) des Frauenmörders Frank Zito erleben wir dessen bestialische Taten im Big Apple aber auch seine innere Zerrissenheit hautnah mit. Hauptdarsteller Joe Spinell gelingt ein beängstigend intensives Psychogramm einer gequälten Seele und Tom Savinis spektakuläre Gore-Effekte (einer mit Tierinnereien gefüllten Puppe wurde mit einer echten Shotgun der Kopf weggeschossen) steuern eine Menge zu der schmutzig-schmuddeligen Atmosphäre des Kultschockers bei.

2. Der New York Ripper (Lo Squartatore di New York)

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Mit Lucio Fulcis stilistisch eher dem Slasher zugehörigen Giallo folgt das definitiv sadistischste und kontroverseste Werk auf der Liste. Dem Titel entsprechend meuchelt sich auch hier ein irrer Killer durch die Großstadt und richtet dabei Frauen in endlos grausamen Szenen übel zu. Dass er während der Taten mit Donald-Duck-Stimme quakt, macht das Geschehen nur noch unbehaglicher. Der New York Ripper ist ein zynischer und äußerst expliziter Exploitation-Albtraum, der selbst für Fulcis Verhältnisse manchmal deutlich über die Stränge schlägt und deshalb nur sehr hartgesottenen Zuschauern empfohlen werden kann. Bemerkenswert ist, wie dekadent der Italiener die Metropole und deren Bewohner hier zeigt – als ob es sich hierbei um einen weiteren Teil seiner Gates-of-Hell-Trilogie handelt und sich unter der 42nd Street buchstäblich der Schlund zur Hölle auftun würde. Die heftige Wirkung des Films kann man eigentlich nur bewundern oder zutiefst verabscheuen.

1. Dressed to Kill

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Brian De Palmas US-Giallo-Meisterwerk und Psycho-Hommage landet ganz klar auf Platz 1 der New Yorker Killer-Thriller. Ein schockierender Rasiermesser-Mord in einem Fahrstuhl bildet den Auftakt zu einer packenden und cleveren Jagd nach dem Täter, die von der Callgirl-Zeugin (Nancy Allen) und dem smarten Sohn des Opfers (Keith Gordon) ausgeht. De Palma nutzt geschickt Tricks wie den Split-Screen, um die Zuschauer bei der eigentlich offensichtlichen Auflösung an der Nase herumzuführen. Dabei hintergeht der psychosexuelle Dressed to Kill die Intelligenz seines Publikums jedoch nicht, sondern – im Gegenteil – fordert es zu einer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums auf. Ein absolutes Muss!

Das war’s erstmal mit dieser Liste.

Mit welchen der genannten Werke könnt Ihr etwas anfangen und fallen Euch noch weitere NYC-Slasher ein?

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