Beau is Afraid (2023) Kritik

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Beau is Afraid, USA 2023 • 179 Min • Regie & Drehbuch: Ari Aster • Mit: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Patti LuPone, Zoe Lister-Jones, Stephen McKinley Henderson, Parker Posey, Hayley Squires, Denis Ménochet • Kamera: Pawel Pogorzelski • Musik: Bobby Krlic • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Leonine • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

Mit seinem neuen Werk „Beau is Afraid“ zementiert Ari Aster erneut seinen Ruf als einer der spannendsten Filmemacher der Gegenwart. Wer jedoch lediglich dessen vorherige Spielfilme „Hereditary“ und „Midsommar“ zur Einstimmung auf die vom Regisseur und Autor selbst als „Albtraum-Komödie“ beschriebene und mit großer Sicherheit maximal polarisierende Arbeit heranzieht, könnte von dem unmittelbar hereinbrechenden Hurricane an bizarren und von pechschwarzem Humor getränkten Szenen aus dem Kinosessel gefegt werden. Thematisch steht „Beau is Afraid“ in einer Reihe mit Asters Horror-Vorgängern, erinnert aber in seiner bitterbösen Ausführung noch mehr an seine früheren Kurzfilme „The Strange Thing About the Johnsons“ und „Munchausen“.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 1

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Zu Beginn lernen wir die Titelfigur Beau (Joaquin Phoenix) kennen. Der Mann mittleren Alters bereitet sich mit seinem Psychotherapeuten (Stephen McKinley Henderson) auf ein bevorstehendes Ereignis vor: Er besucht seine Mutter. Was für die meisten Menschen wohl einen ganz harmlosen Kurztrip bedeutet, stellt den unter massiven Angststörungen leidenden Beau vor eine äußerst unangenehme Riesenherausforderung. Da ist etwas in der Beziehung zu seiner Mutter, ein Trauma tief in seiner Vergangenheit, das ihn nicht loslässt und quält – mehr noch: Sein Innenleben zunehmend in ein apokalyptischen Höllenszenario verwandelt.

Es muss klar sein, dass wir als Zuschauer den wüsten Film durch die Augen des verstörten Protagonisten erleben und so manch monströse Manifestation nur in seiner Wahrnehmung ihre Proportionen erhält oder möglicherweise auch nur dort existiert. So wie der dämonische Verfolger, vor dem sich Beau in einem halsbrecherischen Wettlauf in den Hauseingang retten muss. Oder die verschwörerische Nachbarschaft, die den Haustürschlüssel zu seinem heruntergekommenen Apartment stiehlt, um dort eine exzessive Party zu veranstalten. Die ganze Welt scheint sich gegen ihn gewandt zu haben und erst recht seine Mutter macht Beau versteckt Vorwürfe, weil er es aufgrund der verfangenen Situation doch nicht heim schaffen wird. Die Nachricht von ihrem plötzlichen Tod – ein Kronleuchter hat ihren Kopf zerschmettert, wie ein Paketkurier am Telefon mitteilt – und die Attacke eines messerstechenden Nudisten (!) sowie ein darauffolgender Autounfall bedeuten für den ungewöhnlichen Helden den Auftakt einer beschwerlichen Odyssee zur anstehenden Totenwache …

Beau is Afraid (2023) Filmbild 2

Das knapp dreistündige Epos „Beau is Afraid“ ist trotz seiner Inszenierung als komödiantisches Schauderstück der bislang verstörendste und alarmierendste Film des jungen Regisseurs. Auch wenn man keine detailierten Einblicke in dessen eigene Biografie besitzt, bereitet sein bisheriges Gesamtwerk Anlass zur Sorge. „Beau is Afraid“ ist ein schmerzerfüllter Hilfeschrei, der sich hinter einer teuflisch grinsenden Fratze verbirgt. Die weit aufgerissene Wunde eines visionären Künstlers, der die Konfrontation mit seinem Publikum nicht scheut. Während viele überforderte Zuschauer die Arbeit wohl einfach als großes „WTF“ sehen werden, könnten andere die geschilderten Mommy Issues sogar als banal abtun. Fest steht, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen unterschiedlich stark mit dem Film und dem Charakter Beaus identifizieren werden können.

Aster bedient sich ausgiebig beim Vater des Psychoanalyse, Sigmund Freud, wenn er Beau als Gepeinigten sowohl seines bedrohlich empfundenen Umfelds, seiner gewählten Jungfräulichkeit aufgrund einer vermeintlichen Erbkrankeit (die Männer versterben scheinbar stets beim Geschlechtsakt) als auch seiner als grausam richtendes Über-Ich dargestellten Mutter (gespielt von Zoe Lister-Jones bzw. Patti LuPone) zeichnet. Wichtig ist, dass es sich hier um einen trotz seiner Störungen sympathischen und sensiblen Protagonisten handelt, der sich nicht als Opfer einer angeblich toxischen feministischen Bewegung sieht und voller Hass und Verbitterung steckt – Stichwort „Incel-Subkultur“. Beau hat sich als Jugendlicher (Armen Nahapetian) im Urlaub der gleichaltrigen Elaine (Julia Antonelli) versprochen und hofft mit einem alten Polaroid in der Hand noch immer auf ein Wiedersehen, während der Zahn der Zeit an ihm nagt.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 3

Dass seine Mutter wohl ein manipulatives menschliches Ungeheuer war, wird infolge von Rückblenden sehr deutlich. Die einflussreiche Frau scheint ein Spinnennetz um Beaus Leben gespannt zu haben, das jeden freien Schritt direkt unterbindet. Und wie ein haariger, giftiger Achtbeiner scheint sie auch nach ihrem Ableben noch das Versagen ihres Sohnes zu kontrollieren und darüber höhnisch zu lachen. Ohne Mutti gelingt eben nichts.

Was der Regisseur den Zuschauern hier alles um die Ohren haut, um den Zustand des psychisch ständig in die Enge getriebenen und unter Halluzinationen leidenden (Medikamente und andere Substanzen spielen im Film eine Rolle) Beau zu veranschaulichen, kann man tatsächlich unmöglich in einer kurzen Inhaltsangabe vermitteln – man muss es selbst sehen. Eigentlich harmonische Momente, wie die herzliche Aufnahme des Charakters von einem fürsorglichen Paar (Amy Ryan und Nathan Lane), verwandeln sich urplötzlich wieder in einen reißerischen Überlebenskampf, wenn die Tabletten-schluckende Teenager-Tochter (Kylie Rogers) einen Groll gegen Beau hegt und schließlich gar der von PTSD betroffene und auf dem Grundstück campierende Kriegsveteran (Denis Ménochet) auf ihn gehetzt wird. Wem das jetzt schon zu viel ist, sollte besser einen großen Bogen um das Werk machen. Wer allerdings von einer solch einmaligen cineastischen Tour de Force – wie ich – angezogen wird, dem sei ausdrücklich versichert: Es wird im Verlauf noch deutlich bizarrer und wilder!

Beau is Afraid (2023) Filmbild 4

Bevor „Beau is Afraid“ in einen düster-paranoiden Psychohorror mit einer der wohl absonderlichsten Creature-Feature-Szenen überhaupt kippt und mit einem bedrückenden Schauprozess im Geiste Franz Kafkas endet, besuchen wir mit Beau eine Theatergruppe tief im Wald. Das aufgeführte Stück entführt ihn in eine bunte und einfache Welt. Fast meinte man, er würde unerwartet doch noch Frieden und Glück finden. Doch Aster wäre nicht Aster, wenn der ewige Fluch die Figur nicht auch auf der Gedankenflucht einholen würde.

Als Titelheld liefert Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix („Joker“) wieder mal eine außergewöhnlich starke Performance ab, die allein die Eintrittskarte wert ist. Doch es ist Ari Asters unglaublich gewaltige (und vereinzelt auch durchaus gewalttätige) Umsetzung eines heutzutage völlig konkurrenzlosen Leinwandabenteuers (der Regisseur arbeitet hier nach dem Vorgänger erneut erfolgreich mit seinem Kameramann Pawel Pogorzelski und Komponisten Bobby Krlic zusammen), die als besonders spektakulär im Gedächtnis hängenbleiben wird. Ich habe in jeder Sekunde an jedem Bild des Werkes geklebt, auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass etliche Zuschauer dieses als Tortur empfinden und sich danach womöglich wie Beau selbst fühlen werden.

Beau is Afraid (2023) Filmbild 5

„Beau is Afraid“ ist alles andere als ein einfacher Filmspaß. Er ist trotz des überwiegend schwarzhumorigen Tons letztlich ein Bild von Leid ohne Ausweg. Und während der Schluss von „Midsommar“ als böse-feierliches Happy End daherkam, fühlt man sich nach der Sichtung hier, als ob man einer eiskalten Exekution beigesessen hat. Man wird gelacht und gestaunt haben, bis die Falle zuschnappt und man still aus dem Saal entlassen wird.

Ari Asters neue Arbeit ist erneut grandioses Kino wie man es vielleicht noch nie gesehen hat. Aber sie ist eben auch, im Gegensatz zur Titelfigur, furcht- und schrankenlos.


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