Sisu (2022) Kritik

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Sisu (2023) Kritik

Sisu, FIN/USA 2022 • 91 Min • Regie & Drehbuch: Jalmari Helander • Mit: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila, Arttu Kapulainen, Tatu Sinisalo • Kamera: Kjell Lagerroos • Musik: Juri Seppä, Tuomas Wäinölä • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 11.05.2023 • Deutsche Website

„Sisu“, der Titel von Jalmari Helanders blutigem Mix aus Exploitation-Action, Neo-Western, nordischer Heldensage und Kriegsapokalypse, lässt sich nicht exakt übersetzen. In etwa steht das finnische Wort für Willensstärke, Ausdauer und dafür, rational im Angesicht eines Unglücks zu handeln. Im Film wird damit der wortkarge Winterkriegs-Veteran Aatami Korpi (Jorma Tommila) beschrieben. Passender haben ihn die russischen Gegner den „Unsterblichen“ getauft. Absolut tödlich und wie eine unaufhaltsame Urgewalt agierend, hat er auf dem Schlachtfeld für Angst und Schrecken gesorgt. Und noch immer wird über ihn als Volkslegende gesprochen.

Sisu (2023) 1

1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, erleben wir Aatami als Einzelgänger, der in der kargen Natur Lapplands nach Gold gräbt. Die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe, die über ihn hinwegfliegen, interessieren ihn in etwa so wie ein aufkommendes Unwetter. Aatami ist durch mit dem Krieg und dem Kämpfen. Er möchte Reichtum anhäufen und dann endlich sein Leben führen. An einer Stelle macht er einen gewaltigen Fund und begibt sich mit dem wertvollen Rohstoff und seinem übrigen Hab und Gut – einem Hund, einem Pferd und einem Ring an seinem Finger – auf den Weg zurück zur nächsten Stadt. Ein Zug der Wehrmacht unter dem Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie) wird auf Aatami aufmerksam, doch lässt den vermeintlichen Kauz weiterziehen.

Blöd, dass ein paar weiter zurückliegende Nazis es dem Befehlshaber nicht gleichtun und stattdessen Aatami durchsuchen. Natürlich wollen die Männer dem in der Heimat als Held gefeierten Ausgedienten nun die Goldstücke streitig machen, doch sie haben keinesfalls damit gerechnet, dass ihr Gegenüber noch so auf Zack ist. Seine wohlverdiente Ruhe muss Aatami noch verschieben, denn nachdem er in Selbstverteidigung ein Blutbad angerichtet hat, jagen ihn nun auch Helldorf und seine Truppe. Ihnen ist zunächst nicht bewusst, mit wem sie sich hier angelegt haben …

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Darf man sich während nicht weit entfernt in Europa ein realer, fürchterlicher Angriffskrieg tobt zur Unterhaltung ein derart brutales Kinoabenteuer mit Soldaten als zentrale Figuren ansehen? Sicher ist „Sisu“ weit entfernt von einem Musterplädoyer für Pazifismus – mindestens ebensoweit entfernt ist er jedoch glücklicherweise auch von einem bellizistischen Manifest. Interessant an dem Werk und seinen Charakteren ist, dass von den behandelten drei Parteien jede einzelne letzlich ihre Eigeninteressen verfolgt, die eben nicht Vaterlandsliebe heißen.

Da wäre natürlich zunächst Aatami, der einzig und allein sein Gold vor Augen hat und am liebsten gar nicht erst in den Schlamassel reingeraten wäre. Außerdem befindet sich in einem Transporter der Nazis eine Gruppe Frauen rund um Aino (Mimosa Willamo), die von der Wehrmacht entführt und sexuell mißbraucht worden sind. Deren Ziel ist es selbstverständlich, aus den Klauen der Peiniger zu entkommen – wenn nötig mit Gewalt. Bei den Antagonisten handelt es sich schließlich um zwar weiterhin widerliche und sadistische Verbrecher, die jedoch ihre Lage in Hinblick auf den Ausgang des Krieges durchaus realistisch einschätzen und Aatamis Schatz nutzen wollen, um sich vor dem sicheren Galgen zu retten. Wenn sich der Rauch der großen Gefechte gelegt hat, bleiben am Ende ganz niedere Beweggründe und der reine Selbsterhalt übrig. „Sisu“ zeichnet ausdrücklich kein Bild von glorreichen Schlachten, in denen viel gewonnen werden kann.

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Das Genre des Kriegsfilms ist überhaupt die falsche Kategorie, um das Werk vernünftig einzuordnen. Anbieten würde sich vor allem der Spaghetti-Western, der ja ebenfalls nicht gerade redselige aber in brenzligen Situationen recht tatkräftige Figuren ins Zentrum rückt. Der erste Part des in Kapitel unterteilten Films bildet den Protagonisten etwa ganz allein im Goldrausch ab – in einem italienischen Klassiker würde man nun hinter dem nächsten Hügel eine Horde Revolverhelden auf Pferden vermuten. In „Sisu“ rollen halt alternativ Nazis mit Panzern und weiteren Fahrzeugen an.

Während die Titelgestaltung und die zuvor genannten Kapitel natürlich zuerst an Oscar-Preisträger Quentin Tarantino und dessen besondere Affinität zu absurder Grindhouse-Kost denken lassen, geht Helanders („Rare Exports“) Drehbuch der Suspense und clevere Wortwitz eines „Inglourious Basterds“ jedoch ab. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass das Werk eher ein Augenmerk auf die sich in heftigen Splattereinlagen entladende Action und den lediglich mit Mimik, Grummeln und Stöhnen operierenden Jorma Tommila als stummen Todesengel hat. Ob aus Aatamis Mund im Verlauf doch noch ein paar Sätze fallen werden, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zumindest erinnert der Charakter mit seiner mythologischen Aura durchaus an den von Mads Mikkelsen verkörperten, geheimnisvollen „Einauge“ aus Nicolas Winding Refns „Walhalla Rising“. Und würde Winding Refn, wie bei seinem Neo-Noir-Meisterwerk „Drive“, in Sachen bemühter Sperrigkeit mal wieder einen Gang zurückschalten, so hätte man sich den Dänen in weiten Teilen gar auf dem Regiestuhl dieses Films vorstellen können.

Sisu (2023) 4

Beim Thema Filmgewalt muss für sensible Gemüter durchaus eine Warnung ausgesprochen werden: Hier werden Messer und Spitzhacken durch Schädel getrieben, Landminen als Wurfgeschosse verwendet und es wird mit großen Kalibern aus allen Rohren geballert. Diese Szenen sind dann trotz der meist ins Komische abdriftenden Darstellung nicht ohne, jedoch auch kein Vergleich zur erbarmungslosen Gore-Granate, die Sylvester Stallone im letzten Drittel von „John Rambo“ (von dieser Action-Ikone hat Helander ebenfalls eine dicke Scheibe abgeschnitten) gezündet hat. Wenn man mag, kann man übrigens darin, dass Aatami bei seinen Attacken oft die Waffen der Nazis gegen sie selbst wendet, sogar auch einen bissigen Kommentar zu möglichen Risiken von Kriegsgerät-Exporten sehen.

Später, wenn sich der Protagonist unter der Überschrift „Kill 'em All“ (das klingt etwas martialischer, als es letztlich ausfällt – tatsächlich verschont der Film sogar einige Schurken gnädig) im Finale mit den Frauen zusammentut und es zum Vehikelkampf in der von den Kriegszerstörungen postapokalyptisch anmutenden Landschaft kommt, bekommt man sogar noch eine Miniausgabe von „Mad Max – Fury Road“ geboten.

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Ärgerlich ist ein wenig der obligatorische Endkampf der ansonsten packend inszenierten und vor allem mit Aksel Hennie („Headhunters“) als kaltblütiger Obernazi toll besetzten Arbeit: In einem mit CGI nicht sehr überzeugend getricksten Flugzeug darf der ohnehin schon deutlich Larger-than-Life angelegte Aatami ein letztes Mal alles geben. Das ist dann so viel, dass „John Wick: Kapitel 4“ im direkten Vergleich einem bodenständigen Drama gleichkommt. Natürlich, so viel Eskapismus muss im Kino erlaubt sein. Es hätte aber vielleicht auch mit etwas weniger funktioniert.

Dennoch: Wer hier nicht zu ernst an die Sache rangeht und blutige Bilder verträgt, dürfte an „Sisu“ Gefallen finden.


Trailer