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The Marvels (2023) Kritik

The Marvels (2023) Filmkritik

The Marvels, USA 2023 • 105 Min • Regie: Nia DaCosta • Mit: Brie Larson, Iman Vellani, Teyonah Parris, Samuel L. Jackson, Zawe Ashton • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 8.11.2023 • Deutsche Website

Handlung

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) hat es sicherlich gut gemeint, als sie die Oberste Intelligenz zerstört hat, um das Volk der Kree von ihrem Joch zu befreien. Doch der Plan ging nach hinten los und brachte Carol unter den Kree den Namen "Die Vernichterin" ein, denn ohne die Führung der Obersten Intelligenz wurde ihre Gesellschaft durch Bürgerkriege zerrissen. Erst Dar-Benn (Zawe Ashton) konnte nach Ronans (Lee Pace) Tod ihr Volk wieder zusammenbringen, jedoch nicht bevor der sein Heimatplanet Hala infolge der Kriege sämtliche Ressourcen verloren hat und nahezu unbewohnbar wurde. Um Hala wiederherzustellen, zapft Dar-Benn natürliche Ressourcen anderer Planeten wie Wasser und Luft ohne Rücksicht auf Verluste ab. Dafür setzt sie ein Quantum Band ein, ein uraltes Artefakt. Um seine volle Macht nutzen zu können, fehlt ihr jedoch das zweite Quantum Band. Das befindet sich ausgerechnet am Handgelenk von Captain Marvels größtem Fangirl Kamala Khan (Iman Vellani) aus New Jersey, die selbst kürzlich erst ihre Superkräfte entdeckt und sich Ms. Marvel getauft hat. Dar-Benns Nutzung des Quantum Bands hat zur Folge, dass die lichtbasierten Kräfte von Kamala, Carol und Monica Rambeau (Teyonah Parris), der erwachsenen Tochter von Carols bester Freundin Maria (Lashana Lynch), miteinander verknüpft werden, sodass jedes Mal, wenn eine von ihnen sie einsetzt, sie unwillkürlich die Plätze tauschen. Das Trio muss lernen, mit dieser Komplikation umzugehen und sie zu einer Stärke zu machen, um Dar-Benn aufzuhalten, bevor sie unabsichtlich das gesamte Raum-Zeit-Kontinuum zerstört.

Kritik

"Höher, schneller, weiter." So lautet das Motto von Carol Danvers und prangt mit dem Zusatz „Gemeinsam“ auch auf dem Plakat ihres zweiten Nicht-mehr-Solo-Abenteuers The Marvels, das viereinhalb Jahre nach ihrem MCU-Einstand Captain Marvel in die Kinos kommt. Es könnte aber auch der Schlachtruf von Marvel Studios sein, denn wenn es der größten Blockbuster-Fabrik Hollywoods an etwas nicht mangelt, dann an großen Ambitionen. Mehr als zehn Jahre lang dominierte Disney mit Marvel das Mainstream-Kino und die weltweiten Kinocharts. Der Erfolg gipfelte 2019 nach 22 Filmen mit Avengers: Endgame, dem etwas gelungen war, woran Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers und die letzte Staffel von "Game of Thrones" im selben Jahr noch gescheitert sind: Ein mitreißendes Finale, das die meisten Fans begeisterte und kaum Wünsche offen ließ. Der Lohn dafür war der umsatzstärkste Film aller Zeiten (bis die Wiederaufführung von James Camerons Avatar in China ihn wieder von der Spitze gestoßen hat).

The Marvels (2023) Filmbild 1Natürlich gab es auch in den ersten drei Marvel-Phasen einige Höhen und Tiefen, letztere bewegten sich jedoch immer noch auf einem hohen Niveau. Doch als Marvel nach der Corona-Zwangspause zurückgekehrt ist, zeigte sich erste Risse in der perfekten Hülle. Eternals wurde zum ersten MCU-Film mit bestenfalls gemischten Kritiken. Ein Overkill an Marvel-Serien bei Disney+, die zu Pflichtaufgaben wurden, um weiter am Ball zu bleiben, machte das Marvel-Erlebnis für viele anstrengend und nach einer ziellosen Phase Vier fehlte der Durchblick, wo es eigentlich hingeht. Ant-Man and the Wasp: Quantumania sollte es richten, doch stattdessen wurde der heiß erwartete Auftakt zu Phase Fünf zu MCUs erstem richtigem Flop an den Kinokassen und in der Kritik. Auch die rechtlichen Probleme des Kang-Darstellers Jonathan Majors, den das Studio als neuen Oberbösewicht für die Multiverse Saga aufbauen wollte, bringen Marvel in eine Zwickmühle.

The Marvels (2023) Filmbild 2Mit Guardians of the Galaxy Vol. 3 feierte Marvel im Sommer wieder einen großen Erfolg, für das Gesamt-MCU ist er als ein in sich weitgehend abgeschlossener Film und Abschied von bisherigen Guardians nicht von so großer Bedeutung. Hingegen ist The Marvels eine wichtige Feuerprobe: Erstmals sollen in Marvel-Serien eingeführte Heldinnen als Hauptfiguren den Sprung auf die große Leinwand machen. Um sich abzusichern, bekommen Kamala Khan und Monica Rambeau natürlich Captain Marvel an ihre Seite, deren erster Film zu einem Milliardenhit wurde. Doch die Vorzeichen sind seit einigen Wochen alarmierend: Die Vorverkaufszahlen sind schwach und weit unter allen MCU-Filmen der letzten Jahre. Es hilft auch nicht, dass die Stars wegen des aktuellen Schauspielerstreiks für ihren Film nicht werben dürfen. Berichte von Konflikten am Set, mehrfache Startverschiebungen, die überraschend kurze Laufzeit und allgemein sinkendes Vertrauen in die einst sichere Marvel-Qualität lassen viele Zuschauer erst einmal zögern, bevor sie ihr Ticket holen.

The Marvels (2023) Filmbild 3Während es immer noch zu früh ist, um etwas zu den kommerziellen Aussichten des Films sagen zu können, ist die Skepsis hinsichtlich der Qualität des Films bedingt gerechtfertigt. The Marvels ist keine Vollkatastrophe, die einige befürchten (bzw. sich erhoffen), doch es ist einer der unbedeutendsten MCU-Filme. Natürlich wird nach 33 Filmen das Rad nicht neu erfunden und nicht jeder Streifen wird ein Feuerwerk an Originalität und Innovation sein, doch selten fühlte sich ein Film aus dem Marvel Cinematic Universe so redundant an wie The Marvels. Wieder einmal verfolgt eine Schurkin ein hehres Ziel ohne Rücksicht auf Verluste und Kollateralschäden und bedroht das gesamte Universum. Ja, das kennt man. Eine Bedrohung dieses Ausmaßes ist aber schwer ernst zu nehmen, wenn zugleich Kamalas Eltern in einer Szene Kree-Krieger mit Wischmopp bekämpfen. Der Grat zwischen lustig und lächerlich ist sehr schmal.

Das Konzept, dass die Heldinnen unfreiwillig Plätze tauschen, wenn sie ihre Kräfte einsetzen, ist zunächst interessant und sorgt für einige kreative Actionsequenzen, bis man merkt, dass es keinerlei interne Konsistenz gibt, wann das passiert und wann nicht. Natürlich erhebe ich nicht den Anspruch, dass diese Filme realistisch sind, sehr wohl aber, dass sie die Regeln befolgen, die sie selbst aufstellen. Stattdessen bleibt der Plätzetausch-Effekt arbiträr.

The Marvels (2023) Filmbild 4Zawe Ashton – im echten Leben übrigens die Partnerin von Loki-Darsteller Tom Hiddleston – ist sicherlich eine gute Schauspielerin, doch die abgedroschene Rolle tut ihr keinen Gefallen. Erstaunlich blass ist diesmal auch die ansonsten meist herausragende Oscarpreisträgerin Brie Larson. Im ersten Film noch voller Elan und Energie, wirkt sie trotz des dramatischen Potenzials ihrer Rolle durch die Schuld und die Verantwortung, die Carol auf sich geladen hat, geradezu lustlos und lethargisch. Ähnlich unauffällig bleibt auch Teyonah Parris als Monica. Spürbare Chemie zwischen den drei Hauptdarstellerinnen sucht man leider vergeblich. Vom Wow-Moment, wenn die drei endlich zusammen kämpfen, den Kevin Feige einst schwärmend mit der ersten gemeinsamen Aufstellung der Avengers in New York verglichen hat, ist auch keine Spur.

The Marvels (2023) Filmbild 5Der strahlende Lichtblick im Cast ist Iman Vellani, die dieselbe ansteckende liebenswerte Fangirl-Energie, mit der sie bereits in Ms. Marvel Herzen eroberte, auch auf die Leinwand verbreitet. Sie ist der eigentliche Star der Show und verdient einen besseren Film als The Marvels. Hoffentlich wird sie dennoch eine lange Zukunft im MCU haben.

Es ist nichts richtig schlecht an The Marvels, aber auch wenig so richtig gut. Ein kurioser Ausflug zu einem Planeten, dessen Einwohner offenbar in einer Bollywood-Welt leben und nur durch Gesang und Tanz kommunizieren, ist eine erfrischende Abwechslung aus der Monotonie, endet jedoch abrupt und ohne jegliches Nachspiel. Das süße Flerken Goose ist wieder einmal ein Highlight und sorgt mit einer Szene, die auf ein bestimmtes Musical (oder dessen groteske Verfilmung) anspielt, für den größten Lacher des Films.

The Marvels (2023) Filmbild 6Wer mit niedrigen Erwartungen reingeht und von einem Marvel-Film nicht mehr als ein paar Gags und nette Action erwartet, wird genau das bekommen. Die Effekte sind immerhin deutlich polierter und runder als beim dritten Ant-Man-Film und die ungewöhnlich kurze Laufzeit (der Abspann beginnt nach 95 Minuten!) sorgt für ein angenehm flottes Tempo ohne jegliche Hänger. Es ist aber kein Film, der lange in Erinnerung bleiben wird. Für Gesprächsstoff und Vorfreude werden sicherlich die allerletzte Szene und die (einzige) Abspannszene sorgen, die für die Haupthandlung des Films jedoch unerheblich sind.

Fazit

Das Experiment, die Kino- und Serienwelten des MCU miteinander zu verbinden, ist nur zum Teil gelungen. Mit der gleichen ansteckenden Fangirl-Energie wie in ihrer eigenen Disney+-Serie stiehlt Iman Vellani als Kamala Khan in The Marvels ihren beiden älteren Co-Stars die Show, während die sonst herausragende Brie Larson trotz des dramatischen Potenzials ihrer Rolle über weite Strecken steif und desinteressiert wirkt. Ansonsten erwartet die Fans kurzweilige (und erfrischend kurze) Unterhaltung nach Schema F, die sich anfühlt, als sei man mittendrin in eine überlange Folge einer schon lange laufenden und etwas redundanten Fernsehserie eingestiegen. Es ist bezeichnend, dass die beiden Szenen, über die in nächster Zeit vermutlich am meisten geredet werden wird, kaum etwas mit der Haupthandlung zu tun haben.

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Der Exorzist: Bekenntnis (2023) Kritik

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Der Exorzist Bekenntnis (2023) Filmkritik

The Exorcist: Believer, USA 2023 • 121 Min • Regie: David Gordon Green • Drehbuch: Peter Sattler, David Gordon Green • Mit: Leslie Odom Jr., Lidya Jewett, Olivia Marcum, Ann Dowd, Jennifer Nettles, Norbert Leo Butz, Ellen Burstyn • Kamera: Michael Simmonds • Musik: David Wingo, Amman Abbasi • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 05.10.2023 • Deutsche Website

Als 2018 David Gordon Greens Legacy Sequel zu John Carpenters Grusel-Meisterwerk „Halloween“ auf dem Release-Plan stand, war man zumindest noch gespannt auf die Back-to-the-Roots-Vision, die uns der „Ananas Express“-Regisseur auftischen wollte. Zwei Sequels nach dem bereits nicht geglückten Auftakt, blickt man nun deutlich ernüchtert auf eine Pseudo-Trilogie zurück, die sich trotz eines interessanten Ansatzes (in „Halloween Kills“) letztlich nicht von den schwachen Einzel-Vertretern der Reihe abhob.

Der Exorzist Bekenntnis (2023) Filmbild 1

Da sich die genannten Werke unterm Strich dennoch als sehr profitabel herausgestellt haben und Geld bekanntlich die Welt regiert, haben Green und sein Kreativpartner Danny McBride unmittelbar das Angebot bekommen, das Publikum mit der Rückkalibrierung eines weiteren Horror-Meilensteins zu beglücken: Mit „Der Exorzist: Bekenntnis“ nehmen sich die beiden den ultimativen Klassiker des in diesem Jahr verstorbenen Oscar-Preisträgers William Friedkin zur Brust. Was der streitbare Friedkin zu dem Resultat gesagt hätte, lässt sich jetzt nur noch mutmaßen. Glücklich wäre er mit Greens Hokuspokus-Gottesdienst ganz sicher nicht gewesen. Dabei steigt der Film eigentlich unerwartet packend, gestalterisch solide und schauspielerisch ambitioniert in seine Story ein.

Diese entführt die Zuschauer nach einem auditiven Schock-Start zunächst nach Haiti, wo sich der Fotograf Victor (Leslie Odom Jr.) mit seiner hochschwangeren Frau aufhält. Ein verheerendes Erdbeben stellt ihn urplötzlich vor die bittere Entscheidung, ob er seine schwerverletzte Frau oder seine noch ungeborene Tochter retten will. Er entscheidet sich für das Kind, was uns dann in eine Kleinstadt im US-Bundesstaat Georgia dreizehn Jahre später leitet. Auch dorthin soll den Protagonisten das Unglück – oder womöglich eine dämonische Macht – verfolgen, denn eines Tages verschwindet sein inzwischen im Teenager-Alter angekommener Nachwuchs Angela (Lidya Jewett) zusammen mit der Klassenkameradin Katherine (Olivia Marcum) in den Wäldern.

Der Exorzist Bekenntnis (2023) Filmbild 2

Erst drei Tage später werden die Mädchen mit Amnesie und Verbrennungen aufgefunden. Außerdem scheint etwas Unerklärliches von den beiden Besitz ergriffen zu haben, das sie zu abscheulichen Taten zwingt und nicht durch medizinische Eingriffe zu behandeln ist. Zusammen mit Katherines streng religiösen Eltern (Jennifer Nettles, Norbert Leo Butz) und einigen übereifrigen Nachbarn sieht sich der Atheist Victor plötzlich ungewöhnliche Hilfe bei der Bestsellerautorin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) suchen, die eine verdächtig ähnliche Geschichte mit ihrer Tochter Regan durchlebt hat und diese erst durch einen Exorzismus retten konnte …

„Der Exorzist: Bekenntnis“ ist ein Film, der – soweit man den übermächtigen Schatten des Originals ausblenden kann – in der ersten Hälfte wie eine zwar nicht wirklich eigenständige aber brauchbare Mixtur moderner Ableger von Friedkins Werk funktioniert. Am ehesten erinnert die Arbeit mit ihrem anfangs ruhigen Aufbau und Fokus auf Drama- und Mystery-Elemente (abgesehen von einer recht nervigen Jump-Scare-Frequenz) vielleicht an Scott Derricksons „Der Exorzismus von Emily Rose“ von 2005. Spätestens wenn dann allerdings der schrille Dämonen-Terror einsetzt und Ellen Burstyn in einem lächerlichen Redeschwall von dem Bösen schwadroniert und für die große Zusammenkunft der guten Menschen trommelt, entgleist Greens eigentlich stimmig komponiertes Schauderstück unnötig und rast mit voller Wucht gegen die Wand.

Der Exorzist Bekenntnis (2023) Filmbild 3

Wie schon in seinen „Halloween“-Filmen, möchte der Regisseur und Co-Autor hier von der Gemeinschaft erzählen, die vielleicht nicht immer harmonisch gelingt („Halloween Kills“), aber zum Triumph über den Schrecken doch noch feierlich zusammenfindet („Halloween Ends“). Während das in den angeführten Arbeiten allerdings lediglich dösig-naiv angemutet hat, enthält „Der Exorzist: Bekenntnis“ eine unangehme und aufdringliche pro-religiöse bis gar pro-kirchliche Note. Die Mittel der Wissenschaft werden – im Gegensatz zur Friedkins Werk – peinlich kurz abgefrühstückt, ganz so als ob nur der Weg zurück ins Mittelalter und zu Praktiken weit davor die Lösung bietet. Nach M. Night Shyamalans zugegeben weit schlimmerem „Knock at the Cabin“ ist „Der Exorzist: Bekenntnis“ nun schon das zweite Stück religiösen Schwurbel-Kinos von 2023, und nimmt man noch Julius Averys sympathisch trashigen, aber auch bedenklich unkritischen „The Pope’s Exorcist“ dazu, lässt sich vielleicht eine ungute Tendenz erkennen.

Sehr viel mehr Interessantes lässt sich über dieses zitatreiche (das Unheil startet hier in Haiti anstelle von Irak und die unangenehme Angiographie-Szene aus dem Ursprungsfilm wird durch eine gynäkologische Untersuchung der Mädchen ersetzt), aber abermals gänzlich überflüssige Requel kaum sagen. Ein trauriger Blick streift den Cast (allen voran Leslie Odom Jr. sowie Lidya Jewett und Olivia Marcum), dem man in Anbetracht der Leistungen einen besseren Film auch nach der Halbzeit gegönnt hätte. Abgesehen davon gibt es ab einem gewissen Punkt dann nur noch den erwartbaren und reichlich öden Budenzauber aus dämonischen Fratzen, blutigen Botschaften auf der Haut, Kotze (diesmal wird offenbar gar ins Weltall gegöbelt) und beschwörerischem Getummel (Ann Dowd sorgt für einen femininen Twist). Für Fans gibt es odendrauf Mike Oldfields „Tubular Bells“ und womöglich Linda Blair.

Der Exorzist Bekenntnis (2023) Filmbild 4

Irgendwie soll „Der Exorzist: Bekenntnis“ dann auf bedrückende Weise enden und zu den bereits angekündigen Sequels leiten. Mich hat das alles leider nicht mehr erreicht und ehrlich gesagt lobe ich mir da eher John Boormans trippigen „Exorzist II – Der Ketzer“. Da gab’s zumindest James Earl Jones im Heuschrecken-Kostüm zu bewundern.


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Cobweb (2023) Kritik

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Cobweb (2023) Kritik

Cobweb, USA 2023 • 88 Min • Regie: Samuel Bodin • Drehbuch: Chris Thomas Devlin • Mit: Lizzy Caplan, Woody Norman, Antony Starr, Cleopatra Coleman, Luke Busey • Kamera: Philip Lozano • Musik: Drum & Lace • FSK: n.n.b. • Verleih: n.n.b. • Kinostart: n.n.b. • Website

Samuel Bodins „Cobweb“ präsentiert sich schon zu Beginn als sehr klassischer Kleinstadthorror in der Tradition eines Stephen King. Da ist der schüchterne Außenseiter Peter (Woody Norman), der von seinen Mitschülern übel drangsaliert wird und seine Pause lieber im Klassenzimmer mit der verständnisvollen Vertretungslehrerin Miss Devine (Cleopatra Coleman) als auf dem Schulhof verbringt. Da ist ein beunruhigender Vorfall in der Orts-Vergangenheit und ein finsteres Geheimnis, das der kleine Protagonist herausfinden muss. Vor allem sind da aber Peters auffällige Eltern Carol (Lizzy Caplan) und Mark (Antony Starr), die sich ihrem Sohn gegenüber seltsam distanziert verhalten und ihm eigentlich ganz normale Freuden verwehren.

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Bodin, der zuvor die französische Gruselserie „Marianne“ für Netflix inszeniert hat und deren Erfolg sein Ticket in die Traumfabrik verdankt, bietet in seinem Spielfilmdebüt inhaltlich ganz gewiss nichts bahnbrechend Neues. Das Drehbuch von Chris Thomas Devlin (Netflix' Legacy-Sequel „Texas Chainsaw Massacre“) verrührt Elemente aus Kings Romanen „Carrie“ und „Shining“ mit offensichtlichen Bausteinen aus Wes Cravens „Das Haus der Vergessenen“, Henry Selicks „Coraline“ und sogar William Friedkins „Der Exorzist“.

Die große Stärke von „Cobweb“ liegt jedoch darin, diese allzu bekannten Zutaten atmosphärisch dicht aufzubereiten. Hervorzuheben ist hier die unheilvolle Kameraarbeit von Philip Lozano, die auf Dunkelheit und überwiegend gedeckte Farben setzt. Als ebenfalls sehr effektiv erweist sich die wohlüberlegte Beleuchtung – etwa die spärlichen Strahlen, die durch Peters achteckiges Kinderzimmerfenster dringen und den Fokus exakt auf den Platz legen, an welchem das Kind nachts eine mysteriöse Stimme vernimmt.

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Diese Stimme ist es, die die Ereignisse in „Cobweb“ schließlich in Gang setzt. Zuvor bekommen wir durch die gedrückte Stimmung und das Verhalten schon ein gutes Gefühl dafür, dass mit Peters Erzeugern etwas nicht mit rechten Dingen zugehen muss und diese womöglich nicht bloß etwas vor ihm verbergen, sondern buchstäblich Leichen im Keller haben. Wie schon bei Mason Thames in Scott Derricksons Hit „The Black Phone“, bekommt auch Woody Normans (aktuell in „Die letzte Fahrt der Demeter“ zu sehen) Peter von einem scheinbar übernatürlichen Phänomen Tipps, wie er sich aus der bedrohlichen Situation retten kann.

Dass seine Eltern in Wahrheit böse seien, muss der Junge so erfahren. Und diese Information deckt sich mit dem, was wir durch seine Augen zuvor erlebt haben. Nach einem Vorfall in der Schule bekommt Peter etwa nicht gewöhnlichen Stubenarrest aufgebrummt, sondern wird im Keller, dessen Tür von dem Kühlschrank versperrt ist, an Ketten gelegt. Da täuscht dann auch das Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip von Carol und Mark mit anschließenden liebevollen Gesten nicht mehr über die insgesamte Beklemmung hinweg.

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Als menschlicher Schutzengel schreckt Cleopatra Colemans („Infinity Pool“) Miss Devine nicht davor zurück, sich trotz Verbot und Drohung der Eltern weiter um Peters Wohlergehen zu sorgen. Selbst wenn diese Figur etwas unterentwickelt bleibt, ist sie dennoch als externer Blick auf die Geschehnisse im quasi Spukhaus wichtig. Sie ist auch der einzige Anker, den der junge Protagonist in der Außenwelt hat und der ihn im Notfall aus den Händen des Grauens befreien könnte.

Auch wenn sich das Geheimnis in „Cobweb“ für Genre-Kenner als letztlich nicht allzu große Überraschung herausstellen sollte, können neben Woody Norman besonders Lizzy Caplan (zuletzt in der Serie „Eine verhängnisvolle Affäre“ auf Paramount+) und Antony Starr („The Boys“) als beunruhigendes und zunehmend beängstigendes Elternpaar überzeugen. Während man als Zuschauer beschäftigt ist, alle Hinweise für die Auflösung zu bedenken (etwa: Wie war das mit dem verschwundenen Kind in der Nachbarschaft?), liefern die beiden exzellent undurchsichtige Performances mit gelegentlich dämonischem Touch ab. Weshalb benehmen sie sich Peter gegenüber so und was haben sie mit ihm im Sinn? Obwohl einige die zugedeckten Karten längst durchschaut haben, gelingt es Caplan und Starr, das Unbehagen bis zum Ende aufrecht zu halten. Wenn die Kamera schließlich länger auf die Finsternis hinter einer geöffneten Tür hält, greift man auch als Horror-Veteran aufgrund der Intensität dieser Szene in die Kinosessellehne.

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Eine kleine Warnung vorab an Teile des Publikums: Was der Titel „Cobweb“ ja bereits andeutet, ist Programm und man bekommt so einige Achtbeiner in Großaufnahme vor Augen geführt. Dabei handelt es sich um gewöhnliche Hausspinnen und nicht die größeren Kaliber. Doch wer das Thema rund um Arachniden so gar nicht verträgt, sollte dann doch darauf gefasst sein, ab und zu die Hände vors Gesicht halten zu müssen. Ohne jetzt weiter in Spoilerterritorium zu gelangen, aber dieser Film ist im wahrsten Sinne creepy und belohnt nach seinem langsamen Aufbau mit einem reichlich wilden und dezent blutigen Finale.

Bodins Arbeit mag mit ihrer unterm Strich ziemlich generischen Story keine absolut dringende Empfehlung für Horrorfans darstellen. Doch in Anbetracht der versierten Umsetzung, dem Gespür für Atmosphäre und der guten Leistungen des Haupt-Casts, ist das sympathisch knackige Werk absolut keine schlechte Wahl für die anstehende Spooky Season. An den US-Kinokassen ist „Cobweb“ unverständlicherweise schlimm gefloppt. Vielleicht hätte man dort eine Geschichte, die so augenfällig auf die Halloween-Zeit abzielt, nicht im Sommer in die Lichtspielhäuser schicken sollen.

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„Cobweb“ ist ein perfekt geeigneter Gruselstoff für den 31. Oktober, nachdem man mit den jüngeren Geschwistern oder Kindern mit dem Süßes-oder-Saures-Gang durch die Nachbarschaft fertig ist. Vielleicht als Double Feature mit Alexandre Bustillos und Julien Maurys unterschätztem Vampir-Märchen „Livid“.


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Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Kritik

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Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Filmkritik

The Last Voyage of the Demeter, USA 2023 • 119 Min • Regie: André Øvredal • Drehbuch: Bragi Schut Jr., Zak Olkewicz • Mit: Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, David Dastmalchian, Woody Norman, Javier Botet • Kamera: Roman Osin, Tom Stern • Musik: Bear McCreary • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 17.08.2023 • Deutsche Website

Blutdurst auf hoher See: Der Horrorfilm „Die letzte Fahrt der Demeter“ nimmt sich das Kapitel „Logbuch des Kapitäns“ aus Bram Stokers berühmtem Klassiker „Dracula“ vor. Was jedoch vorab in Making-ofs vollmundig als „Alien“-auf-einem-Schiff-Schocker angepriesen worden ist, entpuppt sich leider rasch als müder Sturm im Wasserglas.

Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Filmbild 1

Das Projekt, welches rund zwanzig Jahre durch die Traumfabrik gegeistert und zwischendurch an Genre-Hoffnungen wie Robert Schwentke („Tattoo“), Marcus Nispel (das Remake von „Texas Chainsaw Massacre“), Stefan Ruzowitzky („Anatomie“), David Slade („30 Days of Night“) oder Neil Marshall („The Descent“) herangetragen worden ist, landete schließlich bei dem Norweger André Øvredal. Dieser hatte zuerst mit der spaßigen Dark-Fantasy-Mockumentary „Trollhunter“ auf sich aufmerksam gemacht, mit der US-Produktion „The Autopsy of Jane Doe“ einen der gruseligsten Filme der letzten Dekade erschaffen und mit der Alvin-Schwartz-Adaption „Scary Stories to Tell in the Dark“ ein Händchen für jugendfreie Mainstream-Gänsehaut bewiesen. Und das kurz vorweg: An Øvredals Regie liegt es nicht, dass einem von der knapp zweistündigen Laufzeit kaum mehr als ein schmerzender Po in Erinnerung bleibt.

In Zusammenarbeit mit Clint Eastwoods oscarnominiertem Stammkameramann Tom Stern („Der fremde Sohn“) sowie DP Roman Osin gelingen dem Regisseur zwar insgesamt schicke bis düstere Aufnahmen, das ganz große Problem ist allerdings, dass dieses so bestimmt auf dem Pfad von Ridley Scotts Weltall-Grauen wandelnde Werk es einerseits versäumt, seinen Antagonisten (laut Credits von Horror-Performer Javier Botet verkörpert, aber unter all dem CGI kaum von einem x-beliebigen Videospiel-Ghul zu unterscheiden) als wirklich bedrohliche Präsenz einzuführen und – noch viel ärgerlicher – die Demeter so gar keinen Wiedererkennungswert besitzt. Und das bei einem Schiff, das in der Horrorliteratur legendär ist und dessen Name sogar im Titel geführt wird.

Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Filmbild 2

Kehren wir doch nochmal zu „Alien“ zurück – einfach weil es die Verantwortlichen doch selbst unbedingt so wollen. Was hat diesen Film einst so besonders gemacht und ihn über die Jahrzehnte nur noch bei Genre-Enthusiasten weiter wachsen lassen? Sicher, da war die zunächst nur angedeutete Albtraum-Kreatur, die völlig unberechenbar die Crew dezimiert hat. Da war auch ein motivierter Cast, der zugegebenermaßen auch in Øvredals Arbeit alles gibt, aber hier mehr gegen eindimensionale Figuren als gegen den Blutsauger selbst kämpfen muss. Vor allem war da aber dieser totenstille, dunkle Ort mit seinen verwinkelten Gängen, in dem alles und nichts zu jedem Zeitpunkt passieren konnte. Im Fall der Demeter bekommt man im Gegensatz ein überschaubares Deck, zwei bis drei Quartiere und einen Gang geboten. Sicher huscht auch hier der Graf in den Ecken herum und sorgt für sporadische Jump Scares. Wahre Kino-Angst geht allerdings ganz anders und ein richtiger Spannungsborgen will sich erst recht nicht ausbilden. So verkommt diese Schreckensodyssee zur öden Horror-Butterfahrt.

„Die letzte Fahrt der Demeter“ ist unterm Strich klischeegetränkter Stoff aus der Schock-Mottenkiste. 08/15-Ware at best. Ein Film, den man als mittelmäßige Amazon– oder Netflix-Produktion anmachen würde, beim Kochen nebenher weiterlaufen lässt und beim Abspann schon wieder vergessen hat. Den Preis einer Kinokarte rechtfertigt er definitiv nicht.

Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Filmbild 3

Ach ja, die Story. Zunächst grob das, was wir von der Stoker-Story ja längst kennen: Die Demeter war ein Handelsschiff, das sich im Jahr 1897 von Transsilvanien aus auf den Weg nach England gemacht hat. An Bord geschmuggelt befand sich auch der untote Graf Dracula, der an der Crew seinen Blutdurst stillte und die Demeter als Geisterschiff am Zielhafen einlaufen ließ. Von den mysteriösen Ereignissen erzählten im Roman lediglich die Logbucheinträge des Kapitäns Elliot, der im Film solide von Liam Cunningham gespielt wird.

Bei der Anwerbung um neue Crew-Mitglieder – die meisten Einheimischen flüchten wohlwissend um Draculas Präsenz aus dem Hafen – landet auch der schwarze Arzt Clemens (Corey Hawkins) auf der Demeter. Dieser macht sich außer bei Elliot und dessen jungem Sohn (Woody Norman) rasch unbeliebt bei der restlichen Besatzung (u.a. David Dastmalchian als erster Maat Wojchek), die nur pünktlich am Ziel ankommen und einen Bonus einfahren möchte. Doch die Entdeckung der verletzten und an einer seltsamen Blutinfektion leidenden Anna (Aisling Franciosi) im Frachtraum lässt eine Reihe beunruhigender Ereignisse folgen. Denn wie wir ja längst wissen: Anna ist nicht der einzige blinde Passagier auf der Demeter …

Die letzte Fahrt der Demeter (2023) Filmbild 4

Wie schon zuvor angeführt: Dem Schauspielkern von „Die letzte Fahrt der Demeter“ lässt sich kein großer Vorwurf machen. Es sind deren flache Figuren aus der Feder der Autoren Bragi Schut Jr. und Zak Olkewicz, die keinen Raum für wenigstens eine bemerkenswerte Leistung lassen. Sicher, Corey Hawkins („Straight Outta Compton“) ist fein als idealistischer und von Rassismus schwer getroffener Arzt, der eigentlich nur verstehen möchte, was die Welt im Inneren zusammenhält, doch auf seinem Abenteuer vom Dr. Faust zum Dr. van Helsing wechseln muss. Neben ihm besitzt Aisling Franciosi („The Nightingale“) als von Dracula, ja, körperlich missbrauchte Anna die meiste Strahlkraft in der Besetzungsriege und zumindest bei den Leidensgeschichten dieser zwei Figuren lässt sich ein kleiner Subtext herauslesen, der aber längst nicht über die deutlich überwiegenden Mängel des Films hinweghelfen kann.

In einem Jahr voller sehr gelungener Horrorproduktionen, in welchem sogar Grütze der Marke „The Pope’s Exorcist“ noch niederschwellig Freude bereitet hat, musste ja früher oder später noch eine herbe Genre-Enttäuschung kommen. Dass es ausgerechnet das neue Werk des eigentlich sehr fähigen André Øvredal sein musste, ist schade. Vermutlich ist ihm ein deutlich effektiverer Grusel bei der Planung im Kopf herumgespukt. Vielleicht hat die Intervention von Produzenten das Projekt erst zu einem spannungsarmen, vor sich rumdümpelnden Brei verkommen lassen. Vielleicht hätte der Regisseur auch einfach einen großen Bogen um das Drehbuch machen sollen. Wir wissen es nicht.

Wir haben aktuell nur das Resultat. Und dieses ist schlicht nicht geglückt.


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Oppenheimer (2023) Kritik

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Oppenheimer (2023) Filmkritik

Oppenheimer, USA/GB 2023 • 180 Min • Regie & Drehbuch: Christopher Nolan • Mit: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Casey Affleck, Rami Malek, Kenneth Branagh • Kamera: Hoyte van Hoytema • Musik: Ludwig Göransson • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 20.07.2023 • Deutsche Website

Als Christopher Nolan mit der Planung seines neuen Spielfilms „Oppenheimer“ begann, konnte er noch nicht ahnen, dass sein Biopic-Thriller über den gleichnamigen „Vater der Atombombe“ zu den thematisch brisantesten Werken des Kinojahres 2023 zählen würde. Denn anders als es der hier von Cillian Murphy („28 Days Later“) eindringlich verkörperte Physiker vermutet hat, sollte die Einführung dieser verheerenden Waffe mit dem damit verbundenen Wettrüsten der Weltmächte letztlich nicht das Ende aller Kriege bedeuten. Als der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den grausamen Angriff auf die Ukraine befahl, wurde plötzlich das bittere Realität, was sich die meisten Menschen damals wohl nicht einmal als schlimmsten Albtraum ausmalen konnten: Ein erneuter blutiger Krieg mitten in Europa.

Oppenheimer (2023) Filmbild 7

Anders als NATO-Mitglieder, wie etwa Deutschland, genießt die nuklear abgerüstete Ukraine nicht den Schutz eines mächtigen Bündnisses, weshalb der Überfall dann auch ohne unmittelbare Einmischung eines Drittlandes stattfinden konnte. Waffen wurden vor allem vom Westen geliefert mit der vehementen Bitte um noch mehr und noch weitreichendere Formate. Doch hier kommt nun J. Robert Oppenheimer und seine Atombombe ins Spiel, die heute doch eigentlich nur noch die Rolle einer Abschreckungswaffe erfüllen sollte: Wenn der Westen sich nun doch in den Augen Russlands zu stark mit Kriegsmaterial hervorwagt, ab wann wird er als echte Kriegspartei wahrgenommen und könnte daraus womöglich gar der reale Einsatz einer Nuklearwaffe gegen einen der Bündnispartner resultieren? Allein der Gedanke daran ist erschreckend. Oder wie Matt Damon als Leslie Groves, Direktor des geheimen Manhattan-Projekts, auf Oppenheimers Berechnung – es bestünde eine Chance von etwas über null Prozent, dass die Zündung der Bombe die gesamte Welt auslöschen könnte – erwidert: „Null Prozent wären akzeptabel.“

Oppenheimer (2023) Filmbild 6

Nolans Adaption der Biografie „American Prometheus“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin beginnt relativ konventionell mit dem kometenhaften Aufstieg des Studenten Oppenheimer, erzählt von dessen kommunistischer Neigung, seinen Beziehungen zu anderen Forschern und schließlich, wie er die Quantenphysik in die USA brachte. Mit etwas Romantik und Sex erinnert dieser Start an Ron Howards Oscargewinner „A Beautiful Mind“, wenn es dann auch noch Komponist Ludwig Göransson manchmal zu gut mit der Untermalung von Emotionen meint. Doch der britische Starregisseur und Drehbuchautor zieht nach der vielleicht zu lang geratenen Vorstellung der wesentlichen Beteiligten glücklicherweise die (Polit-)Thrillerschraube an und spätestens wenn es an die Vorbereitung und letztlich Durchführung des berühmten Trinity-Tests – der ersten Kernwaffenexplosion – in der Wüste New Mexicos geht, befinden sich der von praktischen Effekten besessene Nolan und sein IMAX-erprobter Kameramann Hoyte van Hoytema in ihrem Element. Selten wurde eine zerstörerische Kraft von so hypnotischer Schönheit auf Film gebannt, um dann mit tosendem Lärm das Publikum aus den Sitzen zu fegen.

Oppenheimer (2023) Filmbild 5

Ganz sicher ist der Trinity-Test das spektakuläre Herzstück von „Oppenheimer“, zumal der Film abgesehen von dieser Szene auf weiteren Bombast – für Nolans neueres Kino sehr ungewöhnlich – gänzlich verzichtet und sich voll seinem Cast hingibt. So wird etwa auch die Zerstörung Hiroshimas durch die US-Bombe zwar thematisiert, doch wird auf explizite Bilder des Schreckens verzichtet, damit sich dieser nur im Gesicht des grandiosen Cillian Murphy manifestieren kann. Neben Oppenheimer stellt der von Robert Downey Jr. gespielte Politiker Lewis Strauss eine Schlüsselfigur in der Geschichte dar, deren in monochromen Aufnahmen (ein Novum im IMAX-Format) eingefangener Blickwinkel intermittierend mit dem des Wissenschaftlers verläuft.

Oppenheimer (2023) Filmbild 4

Dass Oppenheimer nicht als glänzender Held missverstanden werden soll, macht bereits eine knappe Zusammenfassung der Prometheus-Mythologie ganz am Anfang deutlich: Wie der griechische Titan dem Menschen das Feuer brachte und zur Strafe an einen Felsen gekettet wurde, soll auch J. Robert Oppenheimer für die Kreation und Weitergabe seiner fürchterlichen Waffe büßen – in doppelter Hinsicht. Vor allem hat er sich in seiner Einschätzung getäuscht, dass diese eine Lösung und nicht etwa ein neues Problem in die Welt bringen würde. Seine innere Zerrissenheit und die damit einhergehenden Horrorvisionen sind wie die Vögel, die täglich Prometheus' Leber zerpflücken. Doch auch in wissenschaftlicher Tätigkeit soll Oppenheimer in einer von Strauss initiierten, berüchtigten Anhörung die Beraterrolle in der US-Atomenergie-Kommission und damit die Möglichkeit, weitere Katastrophen wie die Wasserstoffbombe zu verhindern, entzogen werden. Als Argument gegen Oppenheimer wird vor allem seine Verbindung zu kommunistischen Kreisen herangezogen – der neue US-Gegner nach Nazi-Deutschland.

Oppenheimer (2023) Filmbild 3

Um Macht und nichts anderes geht es schließlich in Nolans packender Aufbereitung einer alten Geschichte, die aber offensichtlich nie an Aktualität verloren hat und in der über die Jahrzehnte lediglich die Feindbilder gewechselt haben. Betrachtet man es ganz nüchtern, reicht der Knopfdruck eines irren Kriegsherren, um die ganze Menschheit auszulöschen. Deshalb wird die Welt nach der Erfindung der Atombombe nie wieder sein wie die zuvor. Die Guten scheinen nur gesiegt zu haben, denn so satirisch überzeichnet hat man US-Flaggen lange nicht mehr in einer großen Hollywood-Produktion gesehen. Zusammen mit Gary Oldmans derart diabolisch verkörpertem Präsidenten Harry S. Truman, dem nur Hörner und Schwanz für den wahrhaftigen Beelzebub fehlen.

Oppenheimer (2023) Filmbild 2

„Oppenheimer“ ist ein Film, der satt macht und mit seinen drei Stunden Laufzeit vermutlich auch etwas übersättigt. Das erste Drittel kommt etwas träge als Leinwand-Geschichtsstunde daher, nach welchem Nolan seinen Groove aber mit diesem für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Stoff findet und mit einem sehr pointierten Ende abschließt. Eindeutig zu satt geraten ist übrigens noch der bis in kleinste Nebenrollen mit A-Namen besetzte Cast: Cillian Murphy sticht in jeder Szene heraus und wird mit seiner Performance ein starker Oscar-Anwärter sein. Auch Robert Downey Jr. wird als quasi Bösewicht hängenbleiben, so wie Matt Damon als etwas offensichtlicher Mahner für das Publikum und die beiden weiblichen Begleiterinnen Oppenheimers in Gestalt von Emily Blunt als Katherine Oppenheimer und Florence Pugh (die Nolan hier mit ihren Nacktszenen das erste R-Rating seit „Insomnia“ eingebracht hat) als Jean Tatlock. Doch während man Stars wie Kenneth Branagh („Tenet“), Rami Malek („Bohemian Rhapsody“) oder Casey Affleck („A Ghost Story“) noch irgendwie wahrnimmt, tummeln sich viele Gesichter wie David Dastmalchian („The Boogeyman“), Jack Quaid („The Boys“) oder Alex Wolff („Hereditary“) irgendwo im Hintergrund. Und die Liste der Nichtgenannten ist nochmal mehr als doppelt so lang.

Oppenheimer (2023) Filmbild 1

Im Vergleich mit Christopher Nolans vorherigen Arbeiten will „Oppenheimer“ etwas zu viel mit seiner Mischung aus Charakterstudie und Historienthriller und schweift gelegentlich zu weit aus oder wiederholt sich. Es ist ein guter Nolan, aber sicher nicht das beste Werk des visionären Regisseurs, der hier immer dann Stärke zeigt, wenn er auf den Punkt kommt und Ballast beiseite lässt.

Im Kern ist das Dilemma in „Oppenheimer“ so simpel wie niederschmetternd: Prometheus brachte dem Menschen das Feuer. Doch wie wird der Mensch das Feuer wieder los?


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Barbie (2023) Kritik

Barbie (2023) Filmkritik

Barbie, USA 2023 • 114 Min • Regie: Greta Gerwig • Mit: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrera, Will Ferrell, Ariana Greenblatt, Simu Liu, Kate McKinnon, Alexandra Shipp, Kingsley Ben-Adir, Issa Rae, Emma Mackey, Nicola Coughlan, Michael Cera, Dua Lipa, John Cena • FSK: ab 6 Jahren • Kinostart: 20.07.2023 • Deutsche Website

Handlung

Barbie (Margot Robbie) führt das perfekte Leben in Barbieland. Das Wetter ist jeden Tag perfekt, ebenso wie die Frühstückswaffeln und die Wassertemperatur in der Dusche. Die Füße stehen immer auf Zehenspitzen, ins Auto schwebt man einfach vom Balkon des Hauses sanft herunter und jeder Abend ist Mädelsabend mit Barbie-Freundinnen (u. a. Alexandra Shipp, Hari Nef, Issa Rae und Emma Mackey). Etwas weniger aufregend ist der Alltag von Ken (Ryan Gosling), dessen einziger Lebenssinn darin besteht, mit anderen Kens (u. a. Simu Liu, Kingsley Ben-Adir und Ncuti Gatwa) um Barbies Aufmerksamkeit zu buhlen. Doch die heile Welt bekommt Risse, als Barbie wiederholt von aufdringlichen Gedanken an den Tod heimgesucht wird. Das Wasser in der Dusche ist plötzlich kalt, die Frühstückswaffeln sind verbrannt und das Schlimmste ist: sie bekommt Plattfüße und Cellulite! Um zu ihrem unbeschwerten Dasein zurückzukehren, sucht sie die als Außenseiterin lebende "komische Barbie" (Kate McKinnon) auf, die sie darüber aufklärt, dass die Lösung für ihr Problem in der realen Welt liegt. Sie muss das Mädchen finden, das mit ihrer Barbie spielt und dessen traurige Gedanken und Gefühle sich auf sie übertragen haben. Ken überzeugt Barbie, sie mitzunehmen und gemeinsam machen sie sich in die reale Welt auf, in der beide erstaunliche Erkenntnisse über die Machtstrukturen und Geschlechterrollen machen, die nicht nur sie nachhaltig verändern, sondern auch ganz Barbieland.

Kritik

Es ist bezeichnend, dass zwei der voraussichtlich kommerziell erfolgreichsten Filme dieses Jahr auf Figuren basieren, die mehrere Generationen von Kindern geprägt haben und zuvor nie bzw. nie angemessen fürs Kino umgesetzt wurden. Doch damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten von Super Mario Bros. und Barbie, denn während der Animationsfilm aus der Schmiede der Minions-Schöpfer in jeglicher Hinsicht auf Nummer sicher ging, um den Fans zu gefallen, und entsprechend von der ersten bis zur letzten Minute durchkalkuliert und formelhaft war, um Kinder und Nostalgiker abzuholen, wagt der Barbie-Film, über Mattels Kultpuppe hinaus auf ihren ambivalenten Einfluss auf die Gesellschaft und stereotype Frauen- und Männerrollen zu schauen. Ihm gelingt die bewundernswerte Balance zwischen der Anerkennung der Kritik an den unrealistischen Idealen und dem naiven Weltbild, das die Barbie-Puppe vermittelt, und der Huldigung ihres Vermächtnisses, ihrer Geschichte und ihres Beitrags zur Entwicklung und Entfaltung von Millionen Mädchen.

Barbie Film Bild 1Obwohl die Barbie-Puppe 1959 erstmals auf den Markt kam und ihre Beliebtheit nie merklich nachgelassen hat, hat Mattel erst 2001 angefangen, animierte Barbie-Filme direkt fürs Heimkino zu produzieren. Das Potenzial einer Realverfilmung erkannte der Spielwarenhersteller bereits 2009, es vergingen jedoch mehr als zehn Jahre, bis jemand den richtigen Ansatz gefunden hat. In der Zeit durchlief der Barbie-Realfilm mehrere Studios (Universal, Sony), Regisseurinnen (Alethea Jones, Patty Jenkins), Autorinnen (Lindsey Beer, Jenny Bicks, Olivia Milch, Diablo Cody) und Hauptdarstellerinnen (Anne Hathaway, Amy Schumer), bis er bei Warner Bros. und in den Händen der oscarnominierten Filmemacherin Greta Gerwig, ihres Partners Noah Baumbach und der Hauptdarstellerin und Produzentin Margot Robbie gelandet ist. Die Rückschläge haben sich jedoch gelohnt: Ich kann guten Gewissens sagen, dass man sich für diesen Film vermutlich keine bessere Kombination des Talents vor und hinter der Kamera vorstellen könnte.

Barbie Film Bild 2Nach ihren ersten beiden als "Bester Film" bei den Oscars nominierten Regiearbeiten Lady Bird und Little Women zementiert Barbie Gerwig als eine der besten neuen Regisseurinnen und Erzählerinnen starker Frauengeschichten Hollywoods. Barbie ist ihre bislang größte Herausforderung. Wie überwindet man die Skepsis und die Häme über die Ankündigung eines Barbie-Realfilms und wird zugleich den Erwartungen an den ersten Kinofilm über eins der berühmtesten Spielzeuge aller Zeiten gerecht? Gerwig zeigt wie. Das Drehbuch, das sie gemeinsam mit Baumbach verfasst hat, enthält zahlreiche Seitenhiebe auf Barbies und Kens zum Teil bizarre Geschichte (es gab einen Sugar Daddy Ken?!), reichlich Kritik an den absurden und zum Teil paradoxen gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Konsumkritik, ist aber keine Moralpredigt. Außerdem macht sich der Film weder über Barbie selbst oder noch über die Leute, die mit ihr aufgewachsen sind, lustig. Gelegentlich trägt Gerwig etwas dick auf, doch ich bin sicher, dass diverse Szenen, insbesondere America Ferreras wütender Monolog im dritten Akt, vielen Zuschauerinnen aus der Seele spricht.

Barbie Film Bild 3Gerwigs Barbie-Welt mag pink sein, doch ihre Figuren haben viele Schattierungen. Barbie ist eine Emanzipationsgeschichte, doch nicht nur von Barbie selbst, sondern vor allem von Ken. Wie viele andere junge Männer, die nie lernten, mit ihren Emotionen umzugehen, kanalisiert er den Frust, die Wut, vor allem aber tief verborgene Verletzlichkeit über mangelnde Beachtung in stupides Machotum, bevor er endlich aus dem Schatten (und der Friendzone) seiner Dauerfreundin heraustreten und sich selbst finden kann. Ryan Gosling liefert in der Rolle eine der besten Performances seiner gesamten Karriere ab und wäre die Academy gegenüber Comedyrollen nicht voreingenommen, wäre er jetzt schon ein sicherer Kandidat für mindestens eine Oscarnominierung. Als Ken traut er sich, albern und lächerlich zu sein, bevor er eine komplexe Entwicklung durchmacht. Seine Powerballade "I’m just Ken" ist jetzt schon ein Klassiker und dürfte einer der eingängigsten Filmsongs des Jahres bleiben. Nach der Sichtung des Films bleiben jedenfalls keinerlei Zweifel übrig, weshalb ein für seine komplexen Indie-Rollen bekannter Schauspieler als Barbies nichtssagender Freund besetzt wurde.

Barbie Film Bild 4Während Gosling als Ken vermutlich die größte Überraschung des Films ist, lässt sich Margot Robbie von ihrem Leinwandpartner nie überschatten. Gab es an Goslings Besetzung als Ken noch einige Zweifel im Vorfeld, wirkte Robbie von Anfang an perfekt als ultimative Barbie aus Fleisch und Blut und der Eindruck täuschte nicht. Wie gut sie der Rolle der makellosen Blondine optisch entspricht, wird in einer Szene sogar selbst zum kleinen Meta-Gag, eingeworfen von Helen Mirrens Erzählerin aus dem Off. Doch natürlich wurde Robbie nicht (nur) wegen ihres Aussehens in der Rolle besetzt und ihre Barbie erlebt auch ein Wechselbad der Gefühle, bis sie lernt, was es heißt, eine echte Frau zu sein.

Barbie Film Bild 5Aus der riesigen Nebenbesetzung sind vor allem America Ferrera als überforderte Mutter und Mattel-Angestellte, Kate McKinnon als aufgeklärte komische Barbie, Michael Cera als Kens verzweifelter bester Freund Allan und natürlich Will Ferrell als profitorientierter Mattel-CEO, der aufrichtig an vermeintliche Gleichberechtigung in seinem offensichtlich männerdominierten Unternehmen glaubt, hervorzuheben. Hut ab an Mattel, dass sie diese (und etliche andere) Gags auf eigene Kosten durchgewunken haben.

Barbie hat viel zu sagen – sowohl die Figur in dem Film als auch der Film selbst – und die Leute sollten zuhören. Doch auch wenn sie nicht interessiert, was in dem Film unter der Oberfläche vor sich geht, werden sie ihren Spaß daran haben. Nicht jeder Gag sitzt, doch bei der hohen visuellen und verbalen Gagdichte bleibt der Film durchweg witzig.

Fazit

Die Werbung lügt nicht: Es ist ein Film für alle, die Barbie lieben, und für alle, die sie hassen. Mit zwei großartigen Hauptdarstellern und einem cleveren, satirischen, aber auch einfühlsamen Drehbuch unterwandert Greta Gerwigs Barbie erfolgreich die Erwartungen und ist der dritte Volltreffer in Folge für die Regisseurin.

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Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins (2023) Kritik

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmkritik

Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One, USA 2023 • 164 Min • Regie: Christopher McQuarrie • Mit: Tom Cruise, Hayley Atwell, Esai Morales, Simon Pegg, Rebecca Ferguson, Ving Rhames, Pom Klementieff, Vanessa Kirby, Henry Czerny, Shea Whigham, Cary Elwes • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 13.07.2023 • Deutsche Website

Handlung

Die neuste Mission von Ethan Hunt (Tom Cruise) scheint wirklich unmöglich zu sein, denn sein Gegner ist kein größenwahnsinniger Terrorist oder ehemaliger IMF-Agent, sondern eine hochentwickelte künstliche Intelligenz, die sich verselbstständigt hat und in der Lage ist, in jedes Computersystem der Welt einzudringen und es zu manipulieren. Wo die meisten Menschen mit gesundem Menschenverstand die ultimative Bedrohung sehen würden, wittern die Regierungen dieser Welt eine Chance. Wer die Entität unter seine Kontrolle bringen kann, besitzt nämlich die ultimative Waffe. Der Schlüssel zu ihrer Kontrolle ist buchstäblich ein zweiteiliger Schlüssel und ausgerechnet ehemalige MI6-Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) ist in Besitz einer Schlüsselhälfte gekommen, was sie zur meistgesuchten Person auf der Welt macht. Sein ehemaliger IMF-Vorgesetzter Eugene Kittridge (Henry Czerny) setzt Ethan auf seine Freundin und Verbündete an. Sich der Gefahr durch die Entität bewusst, beschließt Ethan, die Schlüsselhälfte nicht an seine Regierung auszuliefern, sondern wieder einmal abtrünnig zu werden und gemeinsam mit seinem treuen Team (Ving Rhames, Simon Pegg) die zweite Hälfte ausfindig zu machen und herauszufinden, was der Schlüssel aufschließt. Doch nicht nur sie haben es darauf abgesehen, sondern auch Profidiebin Grace (Hayley Atwell), mit der sie sich wohl oder übel verbünden müssen. Gemeinsam befinden sie sich nicht nur in einem Wettlauf gegen die Geheimdienste dieser Welt, sondern auch gegen einen kaltblütigen, fanatischen Killer (Esai Morales) aus Ethans Vergangenheit, der im Dienst der Entität steht.

Kritik

Es ist nicht überraschend oder ungewöhnlich, wenn eine Filmreihe, die beinahe 30 Jahre und sieben Teile auf dem Buckel hat, Ermüdungserscheinungen zeigt. Viel erstaunlicher ist es eigentlich, wenn sie es nicht tut und das kann ich von Mission: Impossible behaupten. Ich würde sogar so weit gehen, die Reihe als bestes Action-Franchise der letzten Jahrzehnte zu bezeichnen, dessen Qualitätsniveau deutlich konstanter ist als das Auf und Ab der britischen 007-Konkurrenz. Meine Rezension zu Mission: Impossible – Fallout begann vor fünf Jahren mit einem "Wow". Dass die Fortsetzung nicht auf Anhieb die gleiche uneingeschränkte Begeisterung bei mir hervorgerufen hat, liegt weniger an ihren Mängeln und vielmehr an der extrem hohen Messlatte, die die Reihe und insbesondere der nahezu makellose sechste Teil gelegt haben. Denn auch wenn Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins nicht ganz die luftigen Höhen seines Vorgängers – eines der besten modernen Actionfilme überhaupt – erreicht und nach kontinuierlicher Steigerung über mehrere Filme hinweg die Messlatte diesmal nicht spürbar höher legt, gibt es dennoch viel an diesem mitreißenden Spektakel zu bewundern, dessen 164-minütige Laufzeit wie im Flug vergeht.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 1Nachdem die ersten vier Missionen ihre Macher und einen Großteil ihrer Besetzungen von Film zu Film wechselten, schlug die Reihe ab dem fünften Teil unter der Ägide von Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie einen neuen Kurs ein. McQuarrie, der als Regisseur, Autor oder Produzent an nahezu allen Tom-Cruise-Filmen der letzten 15 Jahre beteiligt war und bereits das Drehbuch zu Phantom Protokoll überarbeitet hatte, perfektionierte in enger Zusammenarbeit mit seinem Star die M:I-Formel aus irrsinnigen, lebensgefährlichen Stunts, einem verstärkten Fokus auf Teamarbeit, ungezwungenem Humor und einer halbwegs fortlaufenden Geschichte mit immer mehr wiederkehrenden Figuren. Mit seinem dritten Mission: Impossible-Film baut McQuarrie weiter auf diese Stärken, besinnt sich aber auch auf die Anfänge der Reihe und huldigt Brian De Palmas Regiestil sowohl mit mehreren visuellen Referenzen als auch mit seinem packenden Zug-Finale. Auch erinnert der verschachtelte Plot des Films mit mehreren konkurrierenden Parteien und wechselnden Loyalitäten an De Palmas Originalfilm, ganz zu schweigen von Henry Czernys Rückkehr als Ethans zwielichtiger alter Boss.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 2Nachdem Fallout erstmals in die Psyche von Ethan Hunt eingetaucht ist, gibt Dead Reckoning Teil eins erstmals Hinweise auf sein Leben vor seiner Zeit als IMF-Agent und deutet eine tragische Vorgeschichte an, die hoffentlich im zweiten Teil noch weiter ausgeführt werden wird. Eine Schlüsselrolle dabei spielt der von Esai Morales ("Titans") verkörperte Schurke Gabriel, gegen den Ethan aus gutem Grund Groll hegt. Gabriel wirkt weder so genial und überlegen wie der von Sean Harris gespielte Solomon Lane aus den letzten beiden Filmen noch wie eine Kampfmaschine à la Henry Cavill aus Fallout, doch mit seiner sadistischen, nihilistischen Ader geht er unter die Haut und präsentiert sich als würdiger, ernstzunehmender Gegner von Ethan und seinem Team. Auch Marvel-Star Pom Klementieff als seine wortkarge, aber dafür wunderbar mimikreiche, tödliche Handlangerin Paris hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 3Letztlich sind die beiden jedoch auch nur Instrumente des eigentlichen, körperlosen Antagonisten. Über McQuarries Entscheidung, eine KI zum Bösweicht des neuen Films zu machen, kann man sich streiten. Einerseits legt er seinen Finger damit mehr auf den Puls der Zeit, als er beim Schreiben des Drehbuchs vor über drei Jahren vermuten konnte, andererseits ist eine KI als Gegner zwar übermächtig, aber nicht so packend wie ein Fiesling aus Fleisch und Blut, auch wenn McQuarrie sie wie eine digitale Version von Saurons Auge zu personifizieren versucht. Aber zum Glück gibt es ja noch Morales.

Der mit Abstand beste Franchise-Neuzugang ist jedoch "Agent Carter"-Star Hayley Atwell. Als clevere, auf eigenes Wohl bedachte Diebin erinnert ihre Einführung an Rebecca Fergusons ersten Auftritt als Ilsa Faust in Rogue Nation. Atwells Figur durchlebt eine emotionale Achterbahn in dem Film und hat stets eine angenehm authentische Reaktion auf die haarsträubenden Situationen, in die sie gerät, auf Lager. Atwell ist ein echter Star mit unglaublicher Leinwand-Präsenz und diese konnte sie im Kino noch nie besser unter Beweis stellen als in diesem Film. Mit Cruise hat sie nicht nur auf Anhieb lockere Chemie, sondern stiehlt ihrem Co-Star sogar wiederholt die Show.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 4Der bedauerliche Nebeneffekt von Atwells toller neuer Figur ist jedoch, dass Rebecca Fergusons Rolle gegenüber dem Vorgänger noch weiter reduziert wurde. Es scheint, als würde das Franchise nur eine starke zentrale Frauenfigur auf einmal vertragen. In ihren wenigen Szenen erinnert Ferguson jedoch auch daran, weshalb sie neben McQuarrie das Beste war, was der Reihe seit Teil 5 passiert ist.

Die meisten Zuschauer gehen natürlich in einen Mission: Impossible-Film in Erwartung von spektakulären Actionsequenzen und irrsinnigen Stunts rein und auch an dieser Front erfüllt Dead Reckoning Teil eins die Erwartungen. Leider wurde der berühmt-berüchtigte Motorradsprung von der Klippe im Vorfeld schon so viel beworben und seine Aufnahme bei den Dreharbeiten so ausführlich gezeigt, dass er etwas von seiner Wirkung in dem eigentlichen Film verliert. Das kann man jedoch nicht dem Film selbst zu Lasten legen, denn die Szene ist an sich immer noch atemberaubend, sondern der Marketingabteilung. Zum Glück wurde von der besten Actionsequenz des Films an Bord des Orient-Express-mäßigen Zugs noch nicht so viel verraten und sie alleine ist den IMAX-Eintrittspreis wert.

Mission Impossible Dead Reckoning Teil eins (2023) Filmbild 5Der größte Verdienst des Films ist jedoch, wie durchgehend temporeich er während seiner mehr als zweieinhalbstündigen Laufzeit bleibt. Entsprechend dem Trend immer längerer Blockbuster-Sequels ist Dead Reckoning Teil eins auch der längste Teil seiner Reihe, doch im Gegensatz zu John Wick: Kapitel 4 oder Indiana Jones und das Rad des Schicksals hat er sich seine Laufzeit redlich verdient und hat keinerlei Längen. Nichts an dem Film ist überflüssig, alles ist für den maximalen Genuss kalkuliert. Obwohl er nur sechs Minuten kürzer ist als die vierte John-Wick-Ballerorgie, fühlt sich letztere gut eine Stunde länger an.

Wenn der erste Dead Reckoning an etwas kränkelt, dann an der inhärenten Natur als eine Hälfte eines ambitionierten Zweiteilers. Auch wenn er darum bemüht ist, eine möglichst eigenständige Geschichte zu präsentieren, wird man den Film dennoch vermutlich am besten beurteilen können, wenn der zweite Teil nächstes Jahr erschienen ist, denn abgeschlossen ist der Plot des Films an seinem Ende definitiv nicht, macht aber sehr große Lust darauf, zu erfahren, wie es weitergeht. Trotz etlicher Höhepunkte auf dem Weg zu einem wahrlich spektakulären Finale bleibt das Gefühl, dass der ganz große Showdown uns noch bevorsteht. Ich kann kaum abwarten, ihn zu sehen!

Fazit

Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie und sein Star und Produzent Tom Cruise bleiben ihrem Ruf als Dream Team des Actionkinos treu und liefern mit Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins ein emotional und visuell mitreißendes Spektakel ab, dessen 164-minütige Laufzeit wie im Flug vergeht. Aufgrund seiner inhärent unvollständigen Natur als eine Hälfte eines Zweiteilers ist der Streifen nicht ganz so rund wie sein Vorgänger Fallout und legt auch die Messlatte der besten Actionreihe der letzten Jahrzehnte nicht noch höher, kann sie aber halten und macht sehr große Lust auf den zweiten Teil.

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Talk to Me (2022) Kritik

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Talk to Me (2022) Filmkritik

Talk to Me, AUS 2022 • 94 Min • Regie: Danny Philippou, Michael Philippou • Drehbuch: Danny Philippou, Bill Hinzman • Mit: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird, Otis Dhanji, Miranda Otto • Kamera: Aaron McLisky • Musik: Cornel Wilczek • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Capelight • Kinostart: 27.07.2023 • Deutsche Website

Oberflächlich lässt sich der australische Schocker „Talk to Me“ neben US-Produktionen wie der „Insidious“-Reihe oder den „Ouija“-Filmen verorten. Tatsächlich bereiten einen die genannten Beispiele allerdings kaum auf den morbiden Sog des ziemlich hippen und teils finster schwarzhumorigen Regiedebüts der Brüder Danny und Michael Philippou (unter dem Namen RackaRacka durch ihren YouTube-Kanal bekannt) vor.

Talk to Me (2022) 01

Nach gefeierten Einsätzen auf diversen Festivals wird das Genre-Werk nun auch einen regulären Kinostart hierzulande erfahren. Und das sollte ein weiterer Grund zur Freude für die aktuell reichlich verwöhnten Horror-Fans sein: „Talk to Me“ ist eine beachtlich effektive und wirklich unter die Haut kriechende Portion Albtraum-Kino, die trotz bewährter Vorbilder in frischem Glanz erstrahlt. Bemerkenswert ist zudem, dass man vielleicht Referenzen zu Joel Schumachers „Flatliners“, Sam Raimis „Tanz der Teufel“ oder Mary Lamberts Stephen-King-Adaption „Friedhof der Kuscheltiere“ ausmachen kann, aber dennoch lange Zeit über den Verlauf der Geschichte im Dunkeln bleibt.

Schon die Einstiegsszene macht dem Publikum überdeutlich, dass hier kein sanfter übernatürlicher Grusel, sondern durchaus deftige Gewaltspitzen zu erwarten sind. Ein besorgter junger Mann betritt eine Party, um seinen scheinbar verwirrten Bruder abzuholen. Die Situation eskaliert und Blut fließt. Besonders schockierend ist dabei die Tatsache, dass sich die angeheiterten Gäste gar nicht um den Zustand ihres Freundes scheren, sondern stattdessen ihre Smartphones zücken um Videos von dem Ereignis anzufertigen.

Was es mit dem wilden Auftakt auf sich hat erfahren wir, nachdem wir die Schülerin Mia (Sophie Wilde) kennengelernt haben. Nach dem traumatischem Tod ihrer Mutter sucht diese überwiegend bei der Familie ihrer Freundin Jade (Alexandra Jensen) Unterschlupf. Die Frage, ob eine versehentliche Tabletten-Überdosis oder Selbstmord Ursache für den Verlust des geliebten Elternteils gewesen ist, nagt an der Teenagerin und soll die verstörenden Vorfälle letztlich in Gang setzen.

Talk to Me (2022) 02

Zusammen mit Jade und deren jüngerem Bruder Riley (Joe Bird) besucht Mia eine Party, auf welcher der Vorfall vom Anfang thematisiert wird und Aufnahmen von vermeintlicher Dämonen-Besessenheit kursieren. Ein Keramikarm, unter welchem sich die einbalsamierte Extremität eines Okkultisten befinden soll, wird auf einem Tisch aufgebaut und Mia meldet sich freiwillig für die folgende Mutprobe: Mit einer erleuchteten Kerze soll die Tür zum Reich der Toten geöffnet werden, die sich durch Auspusten wieder schließt. Nach Kontakt mit dem Arm hat die Probandin dazwischen exakt neunzig Sekunden Zeit, um mit den Worten „Sprich mit mir“ die Geister anzurufen und diese durch ein „Ich lass dich rein“ zur Übernahme des Körpers zu befähigen. Was Mia nun erlebt, schockiert sie und die Anwesenden, doch verleitet die anderen wie im Wahn, es selbst auch auszuprobieren. Ohne zu wissen, um wen genau es sich bei den ghulischen Gestalten auf der anderen Seite handelt, erkennt sie hier die Chance, das Mysterium um ihre Mutter zu lüften und ignoriert dafür später eine der Regeln. Mit fatalen Konsequenzen …

Wer auf spannende und oftmals raue Horrorkost steht, kommt um Beiträge aus Down Under kaum herum. Richard Franklins „Patrick“, Tony Williams' „Next of Kin“ (VHS-Titel: „Montclare – Erbe des Grauens“) und Russell Mulcahys „Razorback“ sind Vorreiter einer Ozploitation-Welle gewesen, die sich über das Millenium mit Werken wie Greg McLeans „Wolf Creek“, Sean Byrnes „The Loved Ones“, Ben Youngs „Hounds of Love“ oder zuletzt Hannah Barlows und Kane Senes' „Sissy“ vielversprechend und abwechsungsreich fortgepflanzt hat (Interessenten sei dringend die Dokumentation „Not Quite Hollywood: The Wild, Untold Story of Ozploitation!“ ans Herz gelegt). Auf australischen Schrecken ist regelmäßig Verlass, wie nun auch „Talk to Me“ wieder eindrucksvoll belegt.

Auch wenn die Philippou-Brüder zuvor Horrorset-Luft als Crew-Mitglieder bei Jennifer Kents preisgekröntem „Der Babadook“ schnuppern durften, umgibt ihren Spielfilm-Einstand ein Gefühl aus jugendlicher Unverbrauchtheit und Experimentierfreude ohne Angst oder Scham vor Sprüngen in pure Gross-Out-Situationen. Was hier aufgeboten wird, ist wahrlich krass – und das nicht nur in Bezug auf die erwähnten Splatter-Eruptionen. Im Gegensatz zu eher braven US-Filmen muten die dargestellten Partys mit ihrem creepigen Höhepunkt wirklich hemmungslos und reichlich asozial an. So werden nicht bloß jedes Mal abfeiernd die Smartphones gezückt, wenn wieder eine Figur die Selbstkontrolle an einen Dämon abgibt – was sicher nicht zufällig an einen Drogen-Rausch erinnert. Die Teilnehmer werden außerdem lachend bei ihrer Grenzerfahrung gepusht und sogar die Interaktion mit einem schlabbernden Hund wird dankbar aufgezeichnet, um mit dem Content im Netz zu punkten. „Talk to Me“ wirft mit seinem Konzept einen kritischen Blick auf die „Generation TikTok“, ohne jedoch plump mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Untermalt wird das Ganze sehr passend von einem groovigen HipHop-Soundtrack.

Talk to Me (2022) 03

Abgesehen von Miranda Otto („Homeland“) als alleinerziehende Mutter von Jade und Riley sind die Teenager-Charaktere hier zwar in ihrem unreflektierten Handeln recht authentisch gezeichnet (man erinnere sich einmal zurück, wie man sich selbst in deren Alter aufgeführt hat), aber keine sympathischen Darlings, wie man sie sonst im Kino gewohnt ist. Mias persönliche Motivation steht konträr zur reinen Schaulust ihrer Clique im Mittelpunkt. Man fasst sich bei ihrer folgenschweren Entscheidung im späteren Verlauf sicher an den Kopf und versichert sich, dass man nie so dumm gewesen wäre. Doch kann man sich da in Anbetracht der präsentierten Möglichkeit wirklich so sicher sein?

Die Regisseure zeigen ihr paranormales Grauen schon früh in kurzen aber sehr prägnanten Einstellungen. Unter der lauten Partystimmung schwingt deshalb immer ein deutliches Unbehagen mit. Die Form und der Zeitpunkt, zu dem die Philippous ihrem Publikum jedoch endgültig den Boden unter den Füßen wegziehen, kommt unerwartet und erschütternd. Dies ist keiner dieser Filme, in denen während einer ersten Seance etwas schief geht und daraufhin alles nach Schema F abläuft. Ähnlich wie James Wans „Insidious“ ist „Talk to Me“ heimtückisch – aber eben noch einige Stufen bösartiger und brachialer.

Das Werk ist so versiert inszeniert und schick eingefangen wie eine Studio-Produktion, doch schreckt es nicht davor zurück, mit sehr blutigen Szenen (Stichwort Auge) und grotesk gestalteten Kreaturen ein Mainstream-Publikum wahrlich zu verstören. Nicht umsonst hat sich der auf außergewöhnliche Genre-Filme spezialisierte Verleih A24 („Midsommar“) die US-Rechte gesichert.

Talk to Me (2022) 04

Auch wenn der Ausgang von „Talk to Me“ nicht wirklich neu ist und einige Charaktere ein wenig mehr Ausarbeitung vertragen hätten, ist dies zweifellos eines der überraschendsten und ernsthaft gruseligsten Horror-Highlights des Jahres. Mit ihrer Betrachtung von Social-Media-Trends treffen Danny und Michael Philippou obendrein voll ins Schwarze und fügen ihrem konsequenten Höllen-Trip eine sehr aktuelle Note bei.


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The Boogeyman (2023) Kritik

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The Boogeyman (2023) Filmkritik

The Boogeyman, USA 2023 • 98 Min • Regie: Rob Savage • Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman • Mit: Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair, Marin Ireland, David Dastmalchian, Madison Hu, LisaGay Hamilton • Kamera: Eli Born • Musik: Patrick Jonsson • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: 20th Century Studios • Kinostart: 01.06.2023 • Website

Rob Savages „The Boogeyman“ ist weder ein Remake des gleichnamigen Ulli-Lommel-Streifens von 1980, noch hat er etwas mit der gurkigen Sam-Raimi-Produktion von 2005 zu tun. Der Schocker des britischen Newcomers basiert auf der beliebten, 1973 veröffentlichten Kurzgeschichte „Das Schreckgespenst“ von Horror-Meister Stephen King, welche in dessen Sammelband „Nachtschicht“ enthalten ist. In dieser Schauermär erzählt der aufgelöste Patient Lester Billings dem Psychiater Dr. Harper von dem Grauen, das in Wahrheit seine drei Kinder getötet hat.

The Boogeyman (2023) Filmbild 1

Während der 1982er Kurzfilm von Jeff C. Schiro noch recht treu Kings Vorlage adaptiert hat, bietet Savages Version nach einem Drehbuch von Scott Beck und Bryan Woods („A Quiet Place“) sowie Mark Heyman („Black Swan“) eine Variation der Story. So treibt hier der von David Dastmalchian („Dune“) gespielte Lester die Geschehnisse erst an, als er Will Harper (Chris Messina) seine verstörende Familientragödie aufdrängt. In diesem Film werden nach einem unheimlichen Intro die Harpers Opfer des mörderischen Wesens, das es vor allem auf die jüngere Tochter Sawyer (Vivien Lyra Blair) abgesehen hat. Nach dem traumatischen Unfalltod der Mutter kümmert sich die selbst trauernde Teenager-Schwester Sadie (Sophie Thatcher) um das sich vor Monstern im Wandschrank fürchtende Mädchen. Vater Will ist mit der Kümmerer-Rolle sichtlich überfordert und vergräbt sich stattdessen in seine Arbeit.

Der Umgang mit der Trauer und dem Verlust ist ein großes Thema in „The Boogeyman“ noch bevor der Spuk wirklich einsetzt. Wenn dann die lange in der Dunkelheit gehaltene und eher durch Stimmen und Geräusche angedeutete Kreatur nach dem Leben der Kinder giert, setzt diese damit wieder Kräfte in der zerbrochenen Familie frei, die lange unter der schweren Decke aus Schmerz und Schuldgefühlen erdrückt wurden. Wie genau das Schattenwesen seinen Weg zu den Harpers gefunden hat, wird hier nicht vollständig erklärt. Es hat nach Lesters Ausführungen etwas mit väterlicher Unaufmerksamkeit zu tun – allerdings offensichtlich auch etwas mit dem Besuch des Patienten selbst, der den Fluch mit seinen Ausführungen quasi auf die Protagonisten übertragen hat.

The Boogeyman (2023) Filmbild 2

In einem Notizbuch Lesters sehen wir den Boogeyman auch erstmals visualisiert. Wie mit fast allen Kino-Monstern, lautet auch in diesem Film die Devise: Das, was sich die Zuschauer im eigenen Kopf ausmalen, ist in der Regel wesentlich effektiver als das, was CGI-Künstler letztlich aufwändig auf die Leinwand zaubern können. Auch wenn in der actionreicheren zweiten Hälfte der Unhold durchaus fantasievoll gestaltet daherkommt, ist das laute Finale mit Schießerei und Pyrotechnik schon eine Schwachstelle im Vergleich zu dem sich bedrohlich steigernden vorherigen Part. Das ist etwas schade, zerstört den insgesamt soliden Gesamteindruck aber nicht.

Neben den Box-Office-Hits „Smile“ und „Evil Dead Rise“ gehört „The Boogeyman“ außerdem zu den ursprünglich für einen Streaming-Service produzierten Werken, denen ein äußerst positives Ergebnis bei Test-Screenings doch noch zu einem Kinostart verholfen hat. Auch bei Savages Arbeit würde ich in Anbetracht der straffen und packenden Inszenierung einen Kassenerfolg prognostizieren. Der erst 31-jährige Regisseur hat während der Covid-Pandemie mit seinem Screenlife-Debüt „Host“ für Aufsehen gesorgt und mit dem brachialen Twitch-Splatter „Dashcam“ ein polarisierendes Zweitwerk nachgelegt. Ich habe durchaus Gefallen an den amüsanten Genre-Spielereien mit modernen Online-Plattformen gefunden, doch bei der Ankündigung von „The Boogeyman“ durfte man gespannt sein, ob Savage auch eine Gruselgeschichte im klassischen Gewand umsetzen kann. Die Antwort lautet jetzt klar: Ja.

The Boogeyman (2023) Filmbild 3

Zusammen mit seinem Kameramann Eli Born gelingt es ihm besonders anfangs den dunklen Ecken des Hauses eine Gänsehaut erzeugende Aura zu verleihen und diese Urangst mit dem zusätzlichen Sounddesign zu triggern. Das Ergebnis ist deutlich furchteinflößender als das von ähnlich gelagerten Filmen wie „Don’t Be Afraid of the Dark“ oder „Lights Out“, auch wenn neuere Indie-Games der Marke „Visage“ oder „MADiSON“ in Sachen Terror-Feeling in der Finsternis zugegeben noch deutlich mehr auftrumpfen können. Dem Regisseur scheint außerdem klar gewesen zu sein, dass seine Story neben der unangenehmen Atmosphäre auch Figuren verlangt, um die sich das Publikum sorgt und mit ihnen fühlt. Die Performances in „The Boogeyman“ sind wirklich hervorragend – und das bis in die Nebenrollen.

LisaGay Hamilton („The Practice“) als Therapeutin der Harper-Geschwister bekommt neben dem bereits erwähnten David Dastmalchian ebenso ihren Einsatz wie auch Madison Hu („Bizaardvark“) als Sadies einzige empathische Freundin oder Marin Ireland („The Dark and the Wicked“) als Lesters mysteriöse Ehefrau. Besonders sticht natürlich „Yellowjackets“-Star Sophie Thatcher hervor, deren Sadie sich trotz ihrer eigenen Probleme aufopferungsvoll um ihre kleine Schwester sorgt. Wenn sie zu Beginn des Films das Kleid ihrer verstorbenen Mutter anzieht, schlüpft sie nicht nur äußerlich in diese Position, sondern verkörpert über die gesamte Geschichte eine pflichtbewusste Erwachsene im Körper einer Teenagerin.

The Boogeyman (2023) Filmbild 4

Als bemühter aber nach dem Verlust deutlich distanzierter Vater zeigt Chris Messina („Devil“) das oft so unverwundbar und tapfer gezeichnete „starke Geschlecht“ von seiner hilflosen und überforderten Seite. Wenn sein Will während einer Therapiesitzung über seine Angst vor dem Vatersein spricht und seine tote Frau als den damals rettenden Anker erkennt, ist dies ein kleiner aber sehr emotionaler Moment im Schocker. Weniger tief aber dafür sehr sympathisch füllt Vivien Lyra Blair („Bird Box“) ihre Sawyer mit Leben, auf die als Schützling alle Augen gerichtet sind.

Stephen Kings Originalgeschichte ist bei den Fans extrem populär, nicht zuletzt aufgrund ihrer bitterbösen Schlusspointe. Wer mit dieser vertraut ist und diesmal die gleiche Richtung erwartet, dürfte am Ende enttäuscht werden. Sicher finden sich viele Elemente der Vorlage im Film wieder, die aber hier oft anders zusammengesetzt sind. Dieser „The Boogeyman“ ist ein stimmungsvoll gestalteter, unblutiger Mainstream-Grusler mit toll gezeichneten Charakteren, der seine Zuschauer aber eher mit einer dezenten Gänsehaut als mit einem deftigen Schock aus den Kinosesseln entlässt.

The Boogeyman (2023) Filmbild 5

Wer hier also nicht die nächste Horror-Sensation oder einen unangenehmen Tabubrecher erwartet und sich stattdessen auf einen milden aber involvierenden Aufstand der Nackenhaare einstellt, wird von „The Boogeyman“ sehr ordentlich bedient.


Trailer

Renfield (2023) Kritik

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Renfield, USA 2023 • 93 Min • Regie: Chris McKay • Drehbuch: Ryan Ridley • Mit: Nicholas Hoult, Nicolas Cage, Awkwafina, Ben Schwartz, Adrian Martinez, Shohreh Aghdashloo • Kamera: Mitchell Amundsen • Musik: Marco Beltrami • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 25.05.2023 • Deutsche Website

Ein besonderer Wunsch von Oscar-Preisträger Nicolas Cage ist es stets gewesen, einmal den Vampir-Grafen Dracula verkörpern zu dürfen. In Chris McKays Horror-Komödie „Renfield“ geht dieser Wunsch nun in Erfüllung, auch wenn Bram Stokers berühmter Antagonist hier inhaltlich eher die zweite Geige spielt. Im Mittelpunkt steht nämlich dessen titelgebender und von Nicholas Hoult („The Menu“) gespielter Diener, Robert Montague Renfield. Auch findet man uralte Gemäuer und Gothic-Stimmung lediglich im kurzen Prolog wieder, bevor uns das Werk neun Dekaden später ins heutige New Orleans katapultiert.

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Dort schleppt der treue Renfield seinem Meister zwar noch immer brav frische Leichen in den Keller eines heruntergekommenen Krankenhauses ran, doch zeigt sich der Blutsauger zunehmend unzufrieden mit der Beute. Dem Untergebenen macht dessen grausames und herrisches Gebaren langsam zu schaffen, weshalb er inzwischen heimlich eine Selbsthilfegruppe für Co-Abhängigkeit in Beziehungen besucht. Tatsächlich versucht Renfield dort, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem er einerseits an einem neuen Lebensweg arbeitet und andererseits Draculas Blutdurst zukünftig mit den toxischen Partnern der Mitglieder stillen will.

Bei diesem Plan gerät der nach Käfer-Snacks zu übermenschlichen Kräften fähige Melancholiker jedoch ins Visier einer kriminellen Origanisation, nachdem er unwissend den Gangster-Prinzen Teddy Lobo (Ben Schwartz) attackiert hat. Bei einem Anschlag auf die idealistische Polizistin Rebecca (Awkwafina) dezimiert Renfield schließlich noch erfolgreich Teddys Handlanger und gefällt sich in dem anschließenden Glanz eines Helden. Doch nicht nur Dracula tobt vor Wut, auch Lobo-Oberhaupt Bellafrancesca (Shohreh Aghdashloo) fordert Vergeltung für ihre Gefolgschaft und geht letztlich eine unheilige Allianz mit dem Grafen ein …

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Wie man am geschilderten Inhalt bereits erkennen kann, erwartet das Publikum in „Renfield“ alles andere als ein klassischer Vampir-Grusel. Regisseur Chris McKay („The Lego Batman Movie“) und sein Kameramann Mitchell Amundsen („Premium Rush“) tauchen den teils reichlich expliziten Splatter-Spaß in derart grelle Farben, dass man sich fast in einem EC-Comic verortet fühlt. Die Gestaltung des Films ist in der Tat ein kleiner Pop-Art-Augenschmaus, den man in einer solch actionorientierten Produktion wohl gar nicht erwartet hätte.

Obwohl mächtig Gliedmaßen abgerissen werden, ganze Körper platzen und Blut und Schleim aus allen Himmelsrichtungen spritzt (trotz FSK-Freigabe ab 16 Jahren ist der Film kaum harmloser als etwa Robert Rodriguez' einst indizierter „From Dusk Till Dawn“), geraten die Darsteller glücklicherweise nie ganz in den Hintergrund. Tatsächlich erinnert „Renfield“ (und das angenehm ohne Retro-Referenzen) an saftige Kultfilme der Achtziger, wie etwa John Landis' „American Werewolf“, Sam Raimis „Tanz der Teufel II“ oder Stuart Gordons „Re-Animator“. Qualitativ muss McKays Arbeit im Vergleich zwar schon zurückstecken, doch zumindest der Ansatz mit einer wilden Story und heftigen Gore-Effekten aber auch prägnanten Pro- wie Antagonisten ist sehr ähnlich.

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Dominieren – nicht nur inhaltlich über seinen Diener – tut selbstverständlich Nicolas Cage jede Szene, in der er zu sehen ist, und kombiniert in seiner Interpretation Draculas die legendären Vorgänger Bela Lugosi, Christopher Lee, Klaus Kinski oder Gary Oldman mit seinem ganz eigenen Overacting-Genie. Dass er großen Gefallen an dieser Rolle hat, merkt man der Performance tatsächlich in jeder Sekunde an. Mit seinem herrlich bizarren Abbild eines vermeintlichen Vampirs in Robert Biermans grandioser Yuppie-Parodie „Vampire’s Kiss“ hat diese Figur im Feld zwischen grotesker Kreatur und vornehmem Adeligen allerdings wenig zu tun. Trotz der modernen Inszenierung und Handlung geht zumindest der Charakter Draculas weitgehend zu den traditionellen Ursprüngen zurück.

Als neurotischer Renfield hat Nicholas Hoult natürlich ein dickes Brett zu bohren, um neben seinem schillernden Co-Star bestehen zu können. Auch wenn Cage definitiv die Hauptattraktion des Werkes bleibt, gelingt es dem jungen Mimen, seiner Rolle genügend Spleens zuzufügen, um deren Transformation vom verklemmten Lakaien zum immer noch schrulligen Helden interessant und sympathisch zu gestalten. Der Emo-Faktor wird zum Glück nicht nervig, sondern mit einem deutlichen Augenzwinkern dargeboten. So wie auch die federleichte Erlösung durch Psycho-Ratgeber oder positive Selbstwert-Sprüche.

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An dieser Stelle verpasst das amüsante Werk allerdings leider eine fette Chance, etwas über das ausbeuterische Verhältnis zwischen vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der heutigen Zeit zu sagen. Übertragen auf diesen Aspekt treiben ja nicht gerade wenige Blutsauger auf den Rücken unzähliger Angestellter ihr gieriges Unwesen und lassen diese mit einem kaum ausreichenden Gehalt dahinsiechen, während sie sich die dicken Scheine selbst in die Taschen stecken. Die Gründe für Renfields ausgelaugtes und unzufriedenes Dasein stehen zu wenig im Zentrum und der Befreiungsschlag verliert schließlich im Genre-Tumult seine allegorische Kraft.

Das Drehbuch von Ryan Ridley (basierend auf einer Story von „The Walking Dead“-Schöpfer Robert Kirkman) hätte ein kleines aber bissiges Statement zum aktuellen Arbeitskampf sein können, wollte aber wohl lediglich rund 90 minütige Midnight-Movie-Madness sein. Das ist etwas schade, doch zumindest seinen so auferlegten Zweck erfüllt „Renfield“ trotz kleiner Makel durchaus. Mit Rapperin Awkwafina als selbstbewusste Polizistin Rebecca verfügt der Film zudem noch über eine starke weibliche Co-Heldin – wobei man ihr Schurkinnen-Pendant in Form von Shohreh Aghdashloos sadistischer Bellafrancesca nicht unterschlagen darf.

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Seltsam ist es schon, dass der relativ runde Kinospaß „Renfield“ an den US-Kinokassen bereits böse gefloppt ist. Ob das Werk hierzulande oder auf anderen Märkten mehr Zuschauer in die Lichtspielhäuser locken kann, wird sich zeigen. Einem genreaffinen Publikum bietet der Film zumindest eine visuell absolut ansprechende, flott erzählte und schauspielerisch mitreißende Flucht aus dem grauen Alltag und hinein in einen poppig-bunten Mix aus Ghuls und Gangstern. Cult-Following nicht ausgeschlossen.


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