Der Unsichtbare (2020) Kritik

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Der Unsichtbare (2020) Filmkritik

The Invisible Man, AUS/USA 2020 • 124 Min • Regie & Drehbuch: Leigh Whannell • Mit: Elisabeth Moss, Harriet Dyer, Aldis Hodge, Michael Dorman, Storm Reid, Oliver Jackson-Cohen • Kamera: Stefan Duscio • Musik: Benjamin Wallfisch • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 27.02.2020 • Deutsche Website

Leigh Whannells gleichnamige Neuinterpretation des Universal-Klassikers „Der Unsichtbare“ beginnt mit Bildern, die an vergangene Gothic-Horror-Stoffe erinnern: Wellen, die im Mondschein gegen eine Klippe schlagen. Am Rande des Abhangs ein dunkles Anwesen. Kein Schloss, wie wir es etwa aus frühen Roger-Corman-Werken kennen, sondern eine spartanisch-kalte, hochmoderne Villa. In dieser wagt eine junge Frau die Flucht aus den Klauen eines nur zu reales Biestes. Whannell, der Autor der erfolgreichen Genre-Franchises „Saw“ und „Insidious“, schraubt in seiner dritten Regiearbeit den physischen Schrecken lange Zeit zurück, um dem psychologischen Terror gegenüber seiner Protagonistin den Vorzug zu geben. Dabei funktioniert „Der Unsichtbare“ wie ein mit Angst und Paranoia operierender Giallo mit Noir-Touch und High-Tech-Twist.

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Wie wir bald erfahren, handelt es sich bei der Frau vom Beginn um Cecilia (Elisabeth Moss), die nur äußerst knapp ihrem soziopathischen Kontrollfreak-Partner Adrian (Oliver Jackson-Cohen) entkommen kann. Um vor dem brillanten Wissenschaftler sämtliche Spuren zu verwischen, taucht sie bei ihrem Polizisten-Freund James (Aldis Hodge) und dessen Tochter Sydney (Storm Reid) unter und vermeidet zur Sicherheit auch den Kontakt zu ihrer Schwester Alice (Harriet Dyer). Die nervenzehrende Furcht vor dem scheinbar omnipräsenten Adrian löst sich urplötzlich, als Cecilia schließlich von der Nachricht von dessen Selbstmord überrascht wird. Das Leben scheint wieder seinen normalen Lauf nehmen zu können. Doch schon bald kommt es zu mysteriösen Ereignissen, die sich langsam bedrohlich steigern: Verlorene Objekte tauchen aus dem Nichts wieder auf, Herdplatten sind auf höchste Stufe aufgedreht und verschlossen geglaubte Türen stehen offen. Ist Adrian womöglich gar nicht tot oder steckt etwas ganz anderes hinter den Vorfällen?

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Nach dem verheerenden Fehlstart des geplanten Dark Universe in Form des Tom-Cruise-Stampfers „Die Mumie“, hat Universal mit „Der Unsichtbare“ einen Schritt in die richtige Richtung unternommen und sich erneut mit dem Erfolgsunternehmen Blumhouse Productions (u.a. „Get Out“, „Happy Deathday“) zusammen getan. Und so erwartet den passionierten Grusel-Fan bei dieser Aufbereitung der berühmten Monster-Vorlage kein weiterer CGI-geladener High-Budget-Brei, sondern ein angenehm zurückhaltender Thriller, der erst relativ spät Blut und Action in sein Gerüst integriert. Der Film setzt vor allem auf seine verletzliche und anfangs bemerkenswert distanzierte Heldin, die von der aufstrebenden Elisabeth Moss („The Handmaid’s Tale“) herausragend verkörpert wird. Mit einer erfrischenden und authentischen Entscheidung gegen den üblichen Beauty-Wahn auf der Leinwand, verleiht Moss der sichtlich verstörten Cecilia ein ungeschminktes Anlitz. Es ist ihr Spiel am Rande des Nervenzusammenbruchs, und nicht etwa ausschweifende Rückblenden, die das erschreckende Verhältnis der Frau zu dem grausamen Adrian vermittelt.

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Inhaltlich ist der von Leigh Whannell geschriebene und inszenierte Schocker wohl nicht zufällig ein Produkt des Post-Harvey-Weinstein-Zeitalters: Der Kampf der Protagonistin gegen den übermächtigen und einflussreichen Feind wird durch die Tatsache verstärkt, dass dessen Taten für die übrigen Charaktere buchstäblich nicht sichtbar sind und Cecilia damit zu einem unglaubwürdigen Opfer degradiert wird. Ganz neu ist dieser Ansatz jedoch nicht, erinnert der Film doch teilweise sehr an Eric Reds Geisterhorror „100 Feet“, in dem Famke Janssen ebenfalls von ihrem übergriffigen Ex-Mann heimgesucht wird.

„Der Unsichtbare“ funktioniert während seiner zweistündigen Laufzeit besonders gut als beklemmendes und atmosphärisch dichtes Psychospiel, das jedoch infolge seiner späteren Action-Horror-Einschübe etwas an Kraft einbüßt und zusätzlich an einigen logischen Ungereimtheiten krankt. Whannell ist ein cleverer Autor, der sich nicht nur bestens im Genre auskennt, sondern auch immer wieder gekonnt Überraschungen in vermeintlich vorhersehbare Geschichten einzubauen versteht. Hier scheint er ab der zweiten Hälfte leider etwas zu bemüht gewesen zu sein, Versätze seiner großartigen Sci-Fi-Arbeit „Upgrade“ in das eigentlich stimmige Konzept einzufügen, wobei die schleichende Spannung durch die Gewalteruptionen eher gestört als ergänzt wird. Weniger wäre hier mehr gewesen.

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Trotz dieser Kritikpunkte bleibt „Der Unsichtbare“ eine lohnenswerte Erneuerung des klassischen Stoffes, die mit viel Stil und einem antiklimatischen, noirlastigen Finale einen weiteren Schritt nach vorn für Leigh Whannell als Regisseur bedeutet.


Trailer