Barbarian (2022) Kritik

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Barbarian, USA 2022 • 102 Min • Regie & Drehbuch: Zach Cregger • Mit: Georgina Campbell, Bill Skarsgård, Justin Long, Richard Brake, Matthew Patrick Davis, Jaymes Butler • Kamera: Zach Kuperstein • Musik: Anna Drubich • FSK: n.n.b. • Verleih: Disney+ • Deutscher Streamingstart: 28.12.2022 • Website

In Zach Creggers Horror-Überraschungshit „Barbarian“ soll der erste Eindruck täuschen: Die junge Tess (Georgina Campbell) trifft in einer regnerischen Nacht vor einem Detroiter Airbnb ein. Zunächst ist kein Hausschlüssel in dem Schließfach. Und dann wäre da noch die Tatsache, dass sich bereits ein Mann in dem kleinen Vorort-Häuschen befindet, der verdächtig dem Killerclown Pennywise aus der Stephen-King-Adaption „Es“ ähnelt …

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Selbstverständlich hat der Regisseur und Drehbuchautor den Newcomer Bill Skarsgård nicht zufällig für die Rolle des freundlichen aber etwas zu zuvorkommenden Unbekannten Keith ausgewählt – es ist ein Trick, den Suspense-Meister Alfred Hitchcock bereits in seinem Genre-Klassiker „Psycho“ angewandt hat, nur eben in quasi umgedrehter Absicht. Während Anthony Perkins als höflich-unscheinbarer Motel-Besitzer Norman Bates die Zuschauer mit seinem jungenhaften Anlitz eingelullt und sich erst im berühmten Schockmoment als mordender Transvestit entpuppt hat, besitzt Skarsgård zwar einerseits eine physische Attraktivität, aber anderseits auch die Reputation aus seiner unheimlichen Vor-Rolle.

Pennywises Aura umgibt Keith – doch nicht nur deshalb misstrauen wir, wie auch Tess, dem charmanten Gentleman. Wie bald geklärt wird, haben beide Protagonisten das Haus tatsächlich für die selbe Nacht über unterschiedliche Anbieter gebucht und Keiths Anwesenheit ist legitim. Doch es sind dessen vermeintlich gut gemeinten, aber in der unangenehmen Situation durchaus creepy anmutenden Andeutungen, die Tess zusätzlich stutzig machen. Die Bemerkung etwa, dass er eine Flasche Wein erst vor ihren Augen öffnen wolle, damit sie nicht denkt, er würde K.o.-Tropfen hineingeben. Der Beginn des Films wimmelt von Red Flags, wegen welchen wir Tess zunächst zurufen wollen: Hau bloß da ab!

Tatsächlich präsentiert sich „Barbarian“ als Horrorwerk auf der Höhe einer Zeit, in der Themen wie Machtmißbrauch und sexuelle Übergriffigkeit durch den Hashtag #MeToo ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Doch Zach Creggers Grusel-Patriarchat soll sich ganz anders entwickeln, als wir es anhand des ersten Drittels vermuten. Es ist zunächst nur die Fassade des unscheinbaren Hauses in einer ganz und gar nicht unscheinbaren Nachbarschaft – in den modrigen Keller und das Gewölbe seiner Story dringt der Regisseur nach zwei abrupten Sprüngen stetig weiter vor, bis wir uns zivilisatorisch nicht mehr im modernen Amerika, sondern in einer Steinzeit-Höhle wiederfinden.

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Neben dem möglicherweise fatalen Aufeinandertreffen von Tess und Keith, lernen wir in einem anderen Handlungsstrang außerdem den erfolgreichen Hollywood-Regisseur AJ (Justin Long) kennen, der an einem sonnigen Tag erfahren muss, dass ihn eine Darstellerin öffentlich der Vergewaltigung bezichtigt hat und damit seine Karriere am seidenen Faden hängt. Zwar beteuert AJ nachdrücklich seine Unschuld, doch wie schon Keith betrachten wir auch ihn zunächst mit Argwohn – oder: Mit Harvey Weinstein im Hinterkopf.

Wie die Geschichten von Tess, Keith, AJ und einem weiteren Charakter letztlich verwoben sind, soll an dieser Stelle allerdings nicht verraten werden. Strukturell erinnert „Barbarian" dabei an Pascal Laugiers kontroversen Schocker „Martyrs“, der ebenfalls mit ungeahnten Wendungen einer Abwärtsspirale des Grauens folgte. Mit einem Mini-Budget und limitiertem Cast, aber außerordentlich clever ausgearbeitetem und hintergründigem Skript, ist dem aus dem Comedy-Umfeld stammenden Cregger („The Whitest Kids U’Know“) hier eine extrem effektive Genrearbeit gelungen, die dank der präzisen schauspielerischen Leistungen, der atmosphärischen Inszenierung und dem gekonnten Jonglieren mit Schrecken und Humor zum besten gehört, was der Horror anno 2022 hervorgebracht hat.

„Barbarian“ verpackt seinen Subtext übrigens nicht bemüht „elevated“, sondern in Form eines grotesken und vereinzelt recht blutigen Mainstream-Schockers. Dieser mag am Ende den Horror nicht neu erfinden, aber mit u.a. Takashi Miikes bissigem „Audition“, Wes Cravens sozialkritischem „Das Haus der Vergessenen“ oder Fede Alvarez' klaustrophobischem „Don’t Breathe“ steht der Film in Nachbarschaft einiger hochkarätiger Referenzwerke. Dass im Verlauf die eine oder andere Logikfrage aufkommt und auch mal genretypisch Gesetze der Physik missachtet werden, ist absolut zu verzeihen.

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Wer „Barbarian“ gern auf der großen Leinwand erleben möchte, muss übrigens leider in ein Nachbarland wie die Niederlande ausweichen – hier wird der Film im Dezember ausschließlich über Disney+ zu sehen sein. Das ist ziemlich schade.


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