"Marvel’s The Defenders" (2017) Kritik

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The Defenders Kritik

Die Kritik ist auf der Basis der ersten vier zur Vergügung gestellten Episoden entstanden.

Die Idee hinter den Marvel-Serien von Netflix war von Anfang an, dass jede Staffel wie ein langer Film ist. Keine der Folgen ist eigenständig, die Geschichte entwickelt sich fortlaufend. Dieser Ansatz war in keiner der bisherigen Serien so deutlich wie bei "The Defenders". Die für die Presse zur Sichtung bereitgestellte erste Staffelhälfte ist eben genau das – die Hälfte eines Ganzen. Sie legt das notwendige, stabile Fundament für einen vielversprechenden und hoffentlich deutlich flotteren finalen Akt. Seit vor fast vier Jahren die Pläne für die vier Solo-Serien, gefolgt von der Ensemble-Miniserie, angekündigt wurden, warten die Fans auf die Zusammenkunft von Daredevil, Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist, um in bester Avengers-Manier gegen einen gemeinsamen Gegner anzutreten. Doch Showrunner Marco Ramirez hat es nicht eilig, das Super-Quartett zusammenzubringen. Tatsächlich vergeht die erste Folge, ohne dass auch nur ein einziger der vier Hauptcharaktere den anderen trifft. Und das ist auch gut so. Wie schon Joss Whedon bei The Avengers, wissen auch Ramirez und sein Co-Autor Doug Petrie, dass ein Zusammenschluss von sehr unterschiedlichen Charakteren nicht erzwungen werden kann, sondern natürlich entstehen muss. Im Gegensatz zu Whedon, der in weniger als zweieinhalb Stunden sein Super-Team zusammenbringen und gegen Loki und seine Chitauri-Armee kämpfen lassen musste, standen den Machern hier mehr als fünf Stunden zur Verfügung und diesen Umstand nutzen sie auch entsprechen aus. Wer also schon fand, dass die letzten Marvel/Serien nur langsam in Fahrt kamen und hoffte, dass durch die kürzere Staffel-Laufzeit (8 statt 13 Episoden), die Defenders bereits von Anfang an die Ärsche der The-Hand-Ninjas versohlen, sollte sich auf einen langsamen, charakterbetonten Einstieg einstellen.

"The Defenders" (2017) Bild 1Es gilt zunächst einmal, die vier Hauptfiguren dort abzuholen, wo sie in ihren Leben zuletzt waren. Matt (Charlie Cox) leidet immer noch unter dem Tod von Elektra (Élodie Yung), engagiert sich als Pro-Bono-Rechtsanwalt und lässt trotz tagtäglicher Versuchungen sein Daredevil-Kostüm im Schrank (wo er auch für den Rest der ersten vier Folgen bleibt). Stattdessen nähert er sich wieder behutsam Karen (Deborah Ann Woll) und seinem ehemaligen Partner Foggy (Elden Henson) wieder an. Jessica Jones (Krysten Ritter) ist nach ihrem Sieg über Kilgrave stadtbekannt und das bringt der immer noch sehr trinkfesten Privatdetektivin unerwünschte Aufmerksamkeit ein. Luke Cage wird nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis als Held von Harlem gefeiert und zelebriert seine Freiheit gleich in horizontaler Lage mit Claire (Rosario Dawson). Doch als Misty (Simone Missick) ihn aufsucht und von einer Reihe toter Jugendlicher aus dem Viertel erzählt, stellt er Nachforschungen an, die ihn auf die Spur einer mächtigen kriminellen Organisation bringen. Längst mittendrin im Kampf gegen The Hand sind Danny Rand alias Iron Fist (Finn Jones) und seine Partnerin/Freundin Colleen (Jessica Henwick).

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"Iron Fist" war die letzte Marvel-Serie von Netflix und mit Iron Fist und Colleen beginnt auch "The Defenders". Gerade die nicht wenigen Zuschauer, die von der Serie um den milliardenschweren jungen Mann mit der glühenden Faust enttäuscht waren, werden es nicht gerne lesen, doch Danny ist eine Schlüsselfigur für die Handlung von "The Defenders". Möglicherweise um die ansonsten recht ruhigen ersten zwei Episoden auszubalancieren, eröffnet "The Defenders" mit einer Actionszene, in der Danny und Colleen in der Kanalisation in Kambodscha (!) gegen eine verhüllte und unglaublich starke Assassine von The Hand kämpfen. Ironischerweise ist gerade diese Sequenz eine der schwächsten der ersten Staffelhälfte. Es ist ein holpriger, etwas wirrer Auftakt und die schlechte Ausleuchtung sowie mäßige Kampfchoreografie wecken Erinnerungen die "Iron Fist"-Serie. Zwar war jene bei Weitem nicht so schlimm, wie die vernichtenden Kritiken einen vielleicht glauben ließen, doch diverse Vorwürfe, wie zum Beispiel der uninspirierten Actionsequenzen, hatten ihre Berechtigung. Im Prinzip hätte man die Eröffnungsszene aus "The Defenders" weglassen können und hätte nicht viel dabei verloren.

Aber kein Grund zur verfrühten Panik, denn sobald wir wieder in New York sind, geht es aufwärts. Die Serie schaltet einen Gang runter und die jeweiligen Szenen mit Matt Murdock, Jessica Jones und Luke Cage fühlen sich ein wie ein willkommenes Wiedersehen mit alten Freunden an. Die meisten Nebendarsteller aus ihren jeweiligen Serien sind zurück, darunter Eka Darville als Malcolm, Rachael Taylor als Trish, Carrie-Anne Moss als Hogarth, Elden Henson als Foggy und Deborah Ann Woll als Karen, doch man sollte sich nicht zu viel von ihren Auftritten erhoffen. Sie tauchen hauptsächlich in den ersten zwei Folgen auf und bleiben nur so lange wichtig, bis die Pfade der künftigen Defenders konvergieren. Was an den jeweiligen Szenen auffällt, ist, dass sie alle die jeweils sehr unterschiedlichen Stile der drei Serien einfangen. Die Serie meistert das Kunststück, diese individuellen Atmosphären behutsam zusammenzubringen und allmählich in einen einheitlichen Ton hinübergleiten zu lassen. Keine der Hauptfiguren wird bevorzugt behandelt und es fühlt sich nie an, als seien drei der Hauptcharaktere bloß Beiwerk eines vierten.

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Die Kehrseite der Medaille ist, dass die Serie keinen besonders ausgeprägten eigenen Charakter mehr hat. Gerade dieser spezifische Ton zeichnete jeweils die erste "Daredevil"-Staffel (harte Gangsterserie), "Jessica Jones" (Noir-Feeling) und "Luke Cage" (urbane Harlem-Atmosphäre mit Blaxploitation-Wurzeln) aus. "The Defenders" wirkt mit der Zeit neutral und ähnelt in dieser Hinsicht vor allem "Iron Fist" und der zweiten Hälfte der zweiten "Daredevil"-Season. Mit The Hand als Haupt-Antagonist ist dieser Vergleich auch naheliegend und sobald die zentrale Handlung losgeht, knüpft "The Defenders" eben an diese beiden Serien an. Doch das Fehlen einer hervorstechenden eigenen Identität wird der Serie nicht zum Nachteil, denn im Gegensatz zu den beiden genannten Beispielen, kann sie es durch das Zusammenspiel der vier Hauptcharaktere ausgleichen und es macht einfach einen großen Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Zwar kommt es schon in der zweiten Folge zu vereinzelten Interaktionen (das erste Treffen von Luke Cage und Danny ist super), es ist jedoch nicht vor den letzten Minuten der dritten Folge, dass sie endlich alle aufeinander treffen. Die Geduld wird gleich mit einer gemeinsamen Flur-Kampfszene gegen The-Hand-Handlanger belohnt. Die Choreografie ist klasse, auch wenn die Szene nicht ganz an den unglaublichen One-Take-Flurkampf aus der ersten "Daredevil"-Season heranreicht. Die Szene spiegelt auch gekonnt wider, dass die Charaktere sich gegenseitig und die jeweiligen Kampfstile noch nicht kennen. Sie prügeln sich effizient durch die Horden der Gegner, doch es ist noch keine elegante Teamarbeit. Das wird sich vermutlich noch ändern.

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Die Highlights liegen jedoch nicht in der gemeinsamen Action, sondern im verbalen Austausch. Nach dem furiosen Einstand als Team, das noch keins ist, wird das Tempo wieder runtergedreht. Obwohl fast eine gesamte Folge in einem chinesischen Restaurant spielt, wird es nie langweilig. Es wird deutlich, dass den Machern mehr daran liegt, eine glaubhafte Beziehung zwischen den Figuren zu etablieren, als sie von einer Actionszene zur nächsten zu schicken. Das funktioniert. Zuzusehen, wie Luke Cage den naiven Danny belehrt, zurechtweist und abwechselnd mit Jessica ungläubige oder bissig-abfällige Bemerkungen über seinen Chi oder seinen Lieblingsspruch "I am the immortal Iron Fist" macht, ist eine reine Freude. Die größte Überraschung ist, dass Finn Jones als der bis dato unsympathischste der vier Einzelhelden (vermutlich mein größtes Problem bei seiner Solo-Serie) im Ensemble aufgeht und sogar Sinn für Humor zeigt. Schockierend, ich weiß. Auch bei Luke Cage zeigt sich wieder, dass er im Team neben anderen noch besser funktioniert als alleine. Colters Darstellung des rechtschaffenen aber widerwilligen Helden ist perfekt und seine Lebenserfahrung bildet einen tollen Kontrast zu Dannys Naivität und dessen Schwarz/Weiß-Denken. Beide Darsteller bringen das Beste in ihrem Gegenüber hervor.

Ritter und Cox bleiben jedoch unschlagbar. Jessicas Fuck-It-Attitüde hat sich seit ihrer eigenen Serie zum Glück kein bisschen verändert und der trockene Humor, die bissigen Kommentaren ("Am I the only one left who doesn’t know karate?") und ihr typisches Augenrollen erinnern einen daran, wie perfekt die Besetzung ist. Cox’ beste Momente zeigen ihn im inneren Kampf gegen den Instinkt, wieder auf die Straßen zu gehen und Kriminelle zu verprügeln. Er ist wie ein trockener Alkoholiker, für den die symbolische Schnapsflasche immer in greifbarer Nähe steht.

Was die Serie schnell klar macht, ist, wie wenig diese vier Gesellschafts-Außenseiter zusammenpassen und daraus zieht sie ihren Reiz. Nach dem ersten gemeinsamen Kampf wollen sie nämlich nichts voneinander wissen, würden am liebsten sofort getrennte Wege gehen und erst gar nicht das T–Wort (Team) hören – natürlich mit der Ausnahme des optimistischen Gutmenschen Danny. Im Gegensatz zu den  (meisten) Avengers, die von vornherein zusammenkamen, um eine große Gefahr für die Welt abzuwenden, sind die Defenders aus sehr unterschiedlichen Beweggründen aneinandergeraten. Bühne frei für Stick (Scott Glenn), der ihnen weiszumachen versucht, dass sie der einzige Schutzwall dieser Stadt vor den skrupellosen Machenschaften von The Hand sind. Matt, Luke und Jessica sind skeptisch (letztere noch mehr als die anderen), doch erste zaghafte Annäherung findet nach und nach statt. Auch hier wird nichts erzwungen, es geschieht langsam und organisch.

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Die Defenders sollten sich jedoch nicht zu viel Zeit lassen, denn die neue Schurkin Alexandra (Sigourney Weaver) hat es auf jeden Fall eilig, ihren nebulösen, aber mit Sicherheit für die Einwohner von New York gefährlichen Plan umzusetzen. Weavers Ausstrahlung durchdringt natürlich jede ihrer Szenen. Der Charakter nicht so ambivalent und komplex wie Fisk oder so verdammt creepy wie Kilgrave. Dadurch, dass die Drehbücher sie in eine geheimnisvolle Aura umhüllen und nur kleine Informationskrümel über sie preisgeben, ist es nicht so sehr die Figur, die begeistert, sondern die Schauspielerin, die sie spielt. Ihre besten Momente gehören den Interaktionen mit der wiederbelebten und gedächtnislosen Elektra. Bislang reicht die subtile Bedrohlichkeit, die sie verströmt, aus, doch um unter die besten MCU-Bösewichte aufzusteigen, sollte sie in den verbleibenden Episoden etwas mehr Tiefe bekommen und tatkräftiger werden. Dass es dazu noch kommen könnte, wird bereits angedeutet. Élodie Yung hat wiederum einen sehr interessanten Part zu spielen, insofern sie den Charakter von Elektra nach dem kompletten Gedächtnisverlust neu erfinden kann und das Zusammenspiel ihrer fast schon kindlichen Manier und der tödlichen Effizienz als The Hands Superwaffe Black Sky macht sie jetzt schon interessanter, als sie es in "Daredevil" je war. Etwas unklar bleibt jedoch, was genau sie zu einer so wertvollen, angeblich unbesiegbaren Kriegerin für The Hand macht.

"The Defenders" ist zumindest in ihrer ersten Hälfte nicht so tiefgründig, komplex und stilsicher wie "Daredevil" (Staffel 1) und "Jessica Jones" (in meinen Augen das beste Werk, das aus dem gesamten MCU hervorgegangen ist), doch die gelungene Zusammenführung der Helden schafft eine gute Basis für eine Ensembleserie. Vor allem erreicht sie aber das Hauptziel, dass man nach der fantastischen letzten Szene der vierten Folge unbedingt mehr sehen möchte.

Die komplette "Marvel’s The Defenders"-Staffel wird am 18. August bei Netflix veröffentlicht werden.

https://youtu.be/yYaaYoMe62E