Timothée Chalamet blutverschmiert nach einer Mahlzeit in Bones and All © 2022 Warner Bros. Pictures
Passend zum Kinostart von Luca Guadagninos Bones and All (von mir mit 5 Sternen in meiner Kritik ausgezeichnet) wollen wir Euch mit einem kleinen Special beglücken, das einen Blick auf fünf essenzielle (in den Augen des Autoren) Kannibalenfilme werfen wird. Neben Nekrophilie zählt der Verzehr von Menschenfleisch zu den größten Tabus unserer Gesellschaft und damit auch des Genre-Kinos.
Das schon vorweg: Auch Titel auf dieser Liste werden teils kontrovers und hitzig aufgrund ihres Inhalts und/oder Entstehung diskutiert. Obwohl es zumindest auch ein Hollywood-Klassiker unter die Top 5 geschafft hat, sind vor allem Grindhouse-Werke und auch Arthouse-Vertreter hier aufzufinden.
Kurz zur Auswahl und warum es einige Filme nicht geschafft haben: Zunächst ist selbstverständlich erneut der persönliche Geschmack des Autoren zu nennen. So ist beispielsweise S. Craig Zahlers relativ neuer und unter Fans sehr beliebter Horror-Western Bone Tomahawk ebensowenig vertreten wie die auf Festivals gefeierte schwarze Komödie Fresh oder Julia Ducournaus beeindruckendes Spielfilmdebüt Raw. Letzteres hätte es fast geschafft und ich habe beim letzten Platz mit mir ringen müssen, wie auch um Antonia Birds unterschätzten und nicht gelisteten Ravenous! Der Elefant im Raum mag sein, warum Jonathan Demmes Meisterwerk Das Schweigen der Lämmer fehlt, obwohl darin doch der menschenfressende Psychiater Hannibal Lecter eine große Rolle spielt – ganz einfach: Das Thema Kannibalismus soll in den vertretenen Filmen im Fokus stehen, bzw. der/die Haupt-Antagonist/in/en sollen dieser Neigung zentral nachgehen. Demzufolge bleibt Das Schweigen der Lämmer immer noch vor allem die Jagd auf den Frauenmörder Buffalo Bill trotz kurzem Hannibal-Dinner.
Bevor es losgeht, möchte ich Leseratten noch zwei neuere Genre-Bücher zu dem Thema ans Herz legen, die es mir zuletzt angetan haben: "The Hunger", Alma Katsus packende fiktive Aufarbeitung der Donner Party, und das ultra-explizite, gesellschaftskritische "Tender is the Flesh" (deutscher Titel: "Wie die Schweine") von der Argentinierin Agustina Bazterrica. Selbstverständlich muss ich für beide Romane vorab eine Trigger-Warnung an sanfte Gemüter aussprechen!
Jetzt aber buchstäblich ran ans Eingemachte:
5. Hotel zur Hölle (Motel Hell)
"It takes all kinds of critters to make Farmer Vincent’s fritters" – Wer hat behauptet, dass diese Liste komplett bierernst werden muss? Kevin Connors humorvoller Motel Hell von 1980 mag vielleicht nicht jedem etwas sagen, doch der Film gehört zweifellos zu den gutmütigsten Vertretern des Grindhouse-Kinos. Selbst der verstorbene US-Kritiker Roger Ebert hat trotz seiner Aversion gegenüber Slashern seinerzeit warme Worte für die Geschichte eines Farmer-Geschwisterpaares übergehabt, das Reisende entführt, um sie zu ihren regional berühmten Delikatessen zu verarbeiten. Yummy! Und der Kampf gegen einen Gegner mit Kettensäge und Schweinsmaske ist legendär.
4. Wir sind was wir sind (Somos lo que hay)
Mit Jorge Michel Graus mexikanischem Vertreter kommt etwas Arthouse-Sensibilität ins Spiel. Nach dem Tod ihres Vaters muss sich eine in Armut lebende Kannibalen-Familie neu sortieren und zunächst herausfinden, wer von den beiden Söhnen nun buchstäblich das Essen auf den Tisch schaffen soll. Während der ältere Alfredo eher ruhiger Natur ist, entwickelt sich der jüngere Julian schnell zum gewalttätigen Hitzkopf. Seitdem ich den Film erstmals auf dem Fantasy Filmfest gesehen habe, ist er über die Jahre bei mir hängengeblieben und hat sich im Kopf festgebrannt. Denn natürlich ist er oberflächlich betrachtet blutiger Horror, doch steckt darunter vor allem der verzweifelte Versuch von Individuen, gegen ihre Determination anzukämpfen und der Rolle im Patriarchat zu entfliehen. Das etwas andere US-Remake von 2013 ist übrigens auch nicht übel.
3. Soylent Green
Hier nun der versprochene Klassiker, dessen Vorhandensein auf der Liste eigentlich einen Spoiler darstellt – nur können wir eben nicht auf jeden Rücksicht nehmen, der Richard Fleischers Schock-Dystopie seit 1973 verschlafen hat. Wie es aktueller kaum sein könnte, kommt in dem 2022 (!) angesiedelten Werk Charlton Heston als NYC-Detektiv bei einer Mordermittlung etwas Großem auf die Spur. In dieser Story ist die Welt bereits mehr von der globalen Erwärmung und Überpopulation gebeutelt als wir es heute sind. Eine Lösung, den Menschen genügend Nahrung bereitzustellen, besteht in der Herstellung einer mysteriösen Waffel namens Soylent Green. Nun, woraus könnte Soylent Green wohl bestehen, wenn es zu viele Menschen und zu wenig natürliche Lebensmittel gibt? Richard Fleischer spart sich die zynische wie raffinierte Antwort für den bitterbösen Klimax auf.
2. Blutgericht in Texas (The Texas Chain Saw Massacre)
Ein weiterer Grindhouse-Vertreter, der im Laufe der Zeit zum Genre-Meilenstein gereift ist, folgt auf Platz 2 mit Tobe Hoopers phänomenalem Terror-Original von 1974. Gerne dem Slasherfilm zugeordnet, fallen das Kettensägenmassaker und sein ikonisches Aushängeschild Leatherface doch ziemlich aus dem Rahmen, wenn man es mit den Werken rund um Freddy, Jason oder Michael vergleicht. Die Schaudermär von einer psychotischen Sippe, welche im texanischen Hinterland Durchreisende zu Blutwurst verarbeitet, ist so dreckig, hysterisch, roh und unangenehm, dass die Erstsichtung zu einem echten Erlebnis wird. Das Finale mit einer kreischenden Marilyn Burns, die vom scheintoten Opa mit einem Schlachterhammer gequält wird, wird man nie vergessen. Entstanden ist das Werk während der Gegenbewegung zum Vietnamkrieg und implizit kann man den Konflikt der progressiven Jugend mit dem barbarischen Angriff der USA in dem Überlebenskampf der Protagonisten gegen die, nun, arg konservative Südstaaten-Familie herauslesen. Fun Fact: Dies war ein Lieblingsfilm von 2001-Meisterregisseur Stanley Kubrick!
1. Nackt und zerfleischt (Cannibal Holocaust)
Jetzt kommt der Moment, an welchem ich mich sicherlich bei einigen Lesern komplett diskreditiere. Ja, Ruggero Deodatos berüchtigter Cannibal Holocaust gehört nicht ohne Grund zu den kontroversesten Filmen überhaupt. Als ich die VHS zum ersten Mal in die Finger bekam, ist mir von Tiersnuff-Szenen im Vorfeld nichts bekannt gewesen (es war die Prä-Internet-Zeit!) und mir kam an den betreffenden Stellen ohne Übertreibung das Essen hoch! Um das klarzustellen: Echte Gewalt für die Produktion eines Films lässt sich durch nichts rechtfertigen und solche Taten sind zur Zeit der Entstehung von Cannibal Holocaust keine Seltenheit gewesen – der Fehler ist nun schlichtweg gemacht. Selbst Deodato schämt sich inzwischen für die damaligen Entscheidungen, weshalb er nun eine Tiersnuff-freie Version für die neuen Auswertungen angefertigt hat. Diese hat es selbstverständlich weiter in sich, nämlich dann, wenn es um die Thematik dieses Artikel geht.
Inhaltlich geht es um einen Professor, der am Amazonas das Filmmaterial einer verschwundenen Doku-Crew auffinden soll und während seiner erfolgreichen Mission sowohl Kontakt mit einem Kannibalenstamm knüpfen als auch die Filmrollen aus den verzehrten Überresten der Schöpfer reißen kann. Was er bei der Sichtung des Materials im Sender miterleben muss, lässt bei ihm – und uns – am Ende des Werkes die Frage aufkommen, wer hier die wahren Wilden sind. Cannibal Holocaust zählt bekanntermaßen auch zu den Pionieren im Found-Footage-Subgenre, welches in der zweiten Hälfte extrem effektiv genutzt wird um uns hautnah auf körnigsten 16mm-Bildern unvorstellbare Gräueltaten vor Augen zu führen. Mit seiner Botschaft zur non-existenten Ethik in der Sensationspresse und der Gier von kapitalistischen Konzernen (hier in Gestalt des TV-Senders) schleicht sich Deodato nicht sanft an – er schüttelt uns, wirft uns zu Boden und tritt nach. Ein starker Film, den man aber nicht ohne Vorbehalt empfehlen kann.
Fun Fact: Nach Erstveröffentlichung hat man den Regisseur wegen Mordes vor Gericht gestellt, da ihm nicht geglaubt worden ist, dass die Kannibalismus-Szenen gestellt sind. Zum Glück konnte er sich auf die Aussagen seiner Darsteller verlassen …
So viel an dieser Stelle!
Wie ist es bei Euch – könnt Ihr etwas mit dem Kannibalenkino anfangen? Wenn ja, mit welchen Filmen?








Es ist kein Geheimnis, dass die zentralen Themen des Sequels und sein schwermütiger Ton aus einer traurigen Notwendigkeit heraus geboren wurden. Als erste Comicverfilmung, die bei den Oscars als "Bester Film" nominiert wurde, schrieb der erste
Es ist nachvollziehbar, dass Marvel aus Respekt Bosemans Charakter so kurz nach seinem Tod nicht neu besetzen wollte, doch die Charisma-Lücke, die sein Fehlen im Film hinterlassen hat, kann niemand wirklich füllen. Um das zu kompensieren, wurden die Rollen des restlichen Wakanda-Casts ausgebaut,
So gut die DarstellerInnen auch sind, niemand hat Bosemans majestätische Ausstrahlung oder körperliche Präsenz aus dem Originalfilm. Am nächsten kommt Franchise-Neuzugang Tenoch Huerta als Namor dran, einer der ältesten Marvel-Antihelden überhaupt, der in dem Film endlich sein Realdebüt feiert. Huerta wechselt als Namor mühelos zwischen einem gewitzten, charmanten, begeisterungsfähigen Herrscher und einer erbitterten, wütenden Naturgewalt, die es schafft, dass sogar seine comicgetreuen Mini-Flügel an den Fußknöcheln nicht lächerlich wirken. Die von der Vorlage abweichende Neuinterpretation des Charakters, der in den Comics über Atlantis herrscht, und seines Volks ist inspiriert von der aztekischen Kultur und verleiht ihnen exotischen und dennoch real wirkenden Flair. Auch wenn er nicht ganz die feurige Performance von Michael B. Jordans Killmonger aus dem ersten Film erreicht, gehört Namor definitiv zu den besseren und komplexeren MCU-Antagonisten.
Es steckt wieder einiges unter der Oberfläche bei Wakanda Forever. Dass die Gier der Industriewelt ausgerechnet zwei indigene Völker, die nur ihre Ruhe haben wollen, in blutigen Konflikt miteinander stürzt, anstatt dass sie sich verbünden, ist eine von Coogler mit Sicherheit beabsichtigte Spiegelung unserer realen Welt. Ging es im ersten Film noch um Verantwortung und die Bürde eines Vermächtnisses, spielen diesmal Wertvorstellungen, die Konsequenzen unserer Entscheidungen und die Fähigkeit, mit der traurigen Vergangenheit abzuschließen, um optimistisch nach vorne zu schauen, zentrale Rollen.









Während Iron Man und Captain America drei Solo-Auftritte im Kino gebraucht haben, um am Ziel ihrer Entwicklung anzukommen, Scarlett Johansson erst nach dem Tod ihrer Figur endlich einen
Zugegeben, Waititis hochenergische Inszenierung mit ihren unbestrittenen Albernheiten, von denen manche mehr (schreiende Ziegen!) und andere weniger (Sturmbrechers Eifersucht auf Mjönir) funktionieren, wirkt nicht mehr ganz so überraschend und neu wie beim ersten Mal. Es wäre wohl auch zu viel, das zu erwarten. Dafür hat Love and Thunder einen etwas ernsteren und vor allem emotionaleren Unterbau als der dritte Thor-Film, ohne Waititis typische Markenzeichen dabei einzubüßen. Es wäre nämlich trotz seiner irrwitzigen und abgedrehten Ideen ein Trugschluss zu glauben, Waititi würde seine Figuren, ihre Gefühle und Probleme nicht ernst nehmen. Wie er es u. a. bei seinem oscarprämierten Geniestreich Jojo Rabbit gezeigt hat, ist der Filmemacher ein Meister darin, sehr ernste und tragische Themen unter einem humorvollen Gewand zu verbergen.
Portman, die im Fitnessstudio fleißig Gewichte stemmte, um als The Mighty Thor eine gute Figur zu machen, hat sichtlich Spaß an der Rolle und diesen werden auch die Zuschauer an ihrer Performance mehr denn je haben. Es ist leicht nachvollziehbar, wie Waititis es geschafft hat, sie zum Franchise zurückzulocken, nachdem sie diesem desillusioniert den Rücken gekehrt hatte. Jane ist endlich nicht auf die Rolle des Love Interests oder der "Jungfrau in Nöten" reduziert, sondern darf auch kämpfen, alberne Sprüche klopfen und Witze reißen, um ihre eigentlich schlimme Situation zu verbergen. Nachdem das Offscreen-Ende von Thors und Janes Beziehung zuvor mit einem Satz lieblos abgehandelt wurde, wird es in Love and Thunder mit Flashbacks gebührend aufgearbeitet und so wird eine erzählerische Lücke im Franchise endlich zufriedenstellend gefüllt.
Das gilt auch für Christian Bales Figur Gorr der Götterschlächter. Die besten Bösewichte sind häufig diejenigen, deren Motivation man nachvollziehen und mit denen man sogar mitfühlen kann. Deswegen gehören Michael B. Jordans Kilmonger, Daniel Brühls Zemo und sogar Josh Brolins Thanos zu den interessantesten Schurken des MCU und nach Love and Thunder wird Gorr seinen Platz an ihrer Seite einnehmen. Waititi verschwendet keine Zeit, den neuen Bösewicht einzuführen und seine Beweggründe zu verdeutlichen. In der allerersten Szene des Films, die als Cold Open noch vor dem Marvel-Logo zu sehen ist, erfahren die Zuschauer, weshalb Gorr einen Groll gegen alle Götter hegt und man kann es ihm schwer verübeln. Seine Antipathie findet in einer späteren Szene weitere Berechtigung, als Götteranführer Zeus, wundervoll theatralisch gespielt von Russell Crowe, die Selbstsucht der Götter und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der anderen unberührt zur Schau stellt.
Gorr ist verbittert, wütend und hasserfüllt, und Bale spielt die Rolle mit vollster Hingabe, die man vom wandlungsfähigen Method Actor erwarten würde. Er macht keine halben Sachen, ob er nun Batman verkörpert oder einen intergalaktischen Bösewicht, der wie eine Kreuzung aus Onkel Fester, Voldemort und dem Tod aus Bill & Ted aussieht. Sein ausgezehrter, sehniger, mit Narben übersäter Körper zeugt von den Spuren, die der Besitz des Nekroschwerts auf ihm hinterlassen hat. Die Waffe vergiftet seine Seele und seinen Körper, sodass er bei seinem Kreuzzug gegen die Götter ohne Rücksicht auf Kollateralschäden vorgeht und mit seinen Opfern gerne sadistische Spielchen treibt. Dabei ergibt sich eine interessante Parallele zu Janes Nutzung des Mjölnir, denn beide magische Waffen verleihen ihren Trägern Superkräfte, während sie sie langsam auch zugrunde richten. Große Macht fordert ihren Tribut.
Last, but not least ist Thor: Love and Thunder aber natürlich auch die Fortsetzung von Thors Reise zur Selbsterkenntnis, wobei sich seine ersten Szenen in dem Film, in denen er sich neben den Guardians übermütig, unbedacht und ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzt, fast schon wie ein Rückschritt für den Charakter anfühlen. Doch Thor Wiedersehen mit seiner Ex, die Konfrontation mit seinen schlummernden Gefühlen, die Angst, sie wieder zu verlieren und die augenöffnende Begegnung mit Zeus und den anderen Göttern lassen Thor weiter wachsen und reifen. Hemsworth hat die selbstironische, gänzlich uneitle Darstellung des Charakters inzwischen perfektioniert und man merkt, dass er den Part seit
Waititi packt viel, vielleicht sogar zu viel, in die nach Blockbuster- und Marvel-Maßstäben sehr knackige 119-minütige Laufzeit des Films, schafft es aber dennoch, zwischen den atemlosen Action- und Humorsequenzen Atempausen für seine Hauptfiguren und ihre Entwicklung zu finden. Das gelingt, indem er den Fokus ganz auf die Charaktere der Thor-Reihe hält, ohne jegliche Multiversum-Spielereien oder besondere Anknüpfungen an das erweitere Marvel-Kino- und Serienuniversums, abgesehen von den Gastauftritten der Guardians im ersten Akt. Im Gegensatz zu seinem MCU-Vorgänger 
Unterwegs bekommt Raimi, der seit neun Jahren keinen Film mehr inszeniert hat, die Gelegenheit, sich richtig auszutoben. Mit seinen ersten beiden Spider-Man-Filmen hat er zwei der besten Comicbuchverfilmungen überhaupt erschaffen. Diesen Rang läuft Doctor Strange in the Multiverse of Madness ihnen nicht ab, bietet Raimi aber mit Hexen, Dämonen, Zauberern und sogar einem waschechten Untoten die perfekte Vorlage, seine Markenzeichen und stilistischen Kunstgriffe als Horrorregisseur richtig auszukosten. Nein, In the Multiverse of Madness ist nicht Marvels erster Horrorfilm, wie einige besonders reißerische Schlagzeilen einen im Vorfeld vielleicht glauben ließen, doch er ist definitiv eine Spur unheimlicher, abgefahrener, böser und brutaler als man es von den MCU-Kinofilmen gewohnt ist.
Dass in einer gut geölten, hochgradig durchstrukturierten Maschine wie dem Marvel Cinematic Universe Filmemacher wie James Gunn, Ryan Coogler und nun Sam Raimi dennoch die Gelegenheit bekommen, ihren Vorlieben freien Lauf zu lassen, ist höchst bemerkenswert. Zugleich ist es auch ein Zeugnis dafür, wie "kugelsicher" und souverän geführt das Universum ist, in dem solche stilistischen Ausbrüche dennoch zu einem großen Ganzen verschmelzen.
Das lässt sich jedoch leicht verschmerzen, denn im Kontext des MCU macht der Film dennoch neue Türen auf und zeigt abermals, dass Doctor Strange das visuell beeindruckendste unter allen Solo-Franchises des Filmuniversums ist. Wer auf CGI-Spektakel allergisch reagiert, wird auch hier sicherlich die Nase rümpfen, doch die digitalen Effekte sind wieder einmal – mit einigen wenigen Ausnahmen – herausragend. Das stets hohe Tempo des Films, der nie auf die Bremse drückt und mit knapp über zwei Stunden Laufzeit nach modernen Blockbuster-Maßstäben schon kurz und knackig daherkommt, sorgt auf dafür, dass man über manche Ungereimtheiten oder verpasste Gelegenheiten hinwegsehen kann.
Der unumstrittene Star des Films ist Elizabeth Olsen als Wanda, die mehr denn je endlich zu der Scarlet Witch wird, auf die Comicfans schon lange gewartet haben. Wut, Schmerz, Verzweiflung und Entschlossenheit vermischen sich bei ihr zu einer komplexen, facettenreichen und emotionalen Performance, mit der sie nahtlos an die Disney+-Miniserie "WandaVision" anknüpft. Darin liegt auch die Krux der Sache. Habe ich im letzten Absatz
Eingefleischte Marvel-Fans werden jedoch sehr auf ihre Kosten kommen, denn auf sie warten grandiose Überraschungen und Gastauftritte, bis in die Abspannszene hinein. Das Marketing zum Film hat sich nicht viel in die Karten blicken lassen und auch diese Kritik lässt bewusst viel vage. In the Multiverse of Madness profitiert davon, dass man möglichst wenig über den Film im Vorfeld weiß. Im Gegensatz zu No Way Home hat die Produktion es diesmal sogar geschafft, dass einige wirklich große Knüller, die vermutlich noch Auswirkungen auf die Zukunft des MCU haben werden, nicht schon lange im Vorfeld geleakt sind.
Doch diese enge Verknüpfung mit einem sehr spezifischen, eingegrenzten Zeitraum im Marvel-Kinouniversum ist nicht der einzige Grund, weshalb sich der Film so vertraut anfühlt. Sowohl stilistisch als auch thematisch hat er viel The Return of the First Avenger zu verdanken, dem zweiten und für viele besten Captain-America-Einsatz. Das ist kein Manko per se, doch man sollte auch nicht viel Neues erwarten. Der Film nimmt einen für Marvel verhältnismäßig ernsten Ton an und fährt den üblichen Humor zugunsten einer actionreichen Geschichte, aufgepeppt mit Empowerment- und Familien-Elementen, zurück. Ganz auf die Lacher müssen wir dank David Harbours tragikomischem Auftritt jedoch nicht verzichten. Als Alexei Shostakov alias Red Guardian, Sowjetunions Antwort auf Captain America, ist er ein abgehalfteter, egozentrischer Superheld, der sich nach seinen glorreichen, längst vergangenen Tagen zurücksehnt und nur schwer zugeben kann, dass er sein wahres Glück vielleicht woanders gefunden hat. Ob die Rückkehr des Red Guardian im MCU geplant ist, ist noch nicht bekannt, doch ich würde mich über ein Wiedersehen mit Harbour in der Rolle freuen, der darin eine deutlich bessere Figur macht als bei seinem Hellboy-Auftritt.














