Liebe Filmfutter-Fans,
kommenden Donnerstag wird die Academy of Motion Picture Arts and Sciences die Nominierungen für die 88. Oscarverleihung bekanntgeben, die am 28. Februar im Dolby Theatre in Los Angeles stattfinden wird. Wer unsere Berichterstattung über die laufende Oscar-Saison seit Dezember mitverfolgt hat, hat vermutlich schon ein ungefähres Bild davon, welche Filme bei den Oscars eine Rolle spielen werden, doch wie jedes Jahr erwarten uns sicherlich auch einige überraschende Nominierungen und ebenso überraschende Auslassungen. Welche Aussagekraft die Oscars für einen selbst besitzen, muss jeder für sich entscheiden, fest steht jedoch, dass es in der Filmwelt kaum eine andere Auszeichnung gibt, die Schauspieler, Regisseure, Produzenten oder andere Filmschaffende lieber im Regal stehen haben würden. Ein Oscargewinn bedeutet für viele einen Karrieresprung und öffnet Türen für neue Projekte. Man kann von den Oscars persönlich also halten, was man will, aber sie sind immer noch eine bestimmende Größe innerhalb der Filmindustrie und formen Karrieren und die Filmlandschaft.
Der ganze Spaß beim genauen Verfolgen des Oscar-Rennens – etwas ,was ich bereits seit 15 Jahren mache – besteht darin, Trends zu erkennen und so mögliche Überraschungen seitens der Academy vorauszuahnen. Natürlich gibt es dabei auch immer wieder welche, die man schlichtweg nicht erahnen kann, zum Beispiel als 2013 weder Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty) noch Ben Affleck (Argo) für den Regie-Oscar nominiert wurden, obwohl im Vorfeld wirklich alles dafür sprach.
Wie schon in den letzten drei Jahren werde ich mich auch diesmal mit den Oscarnominierungen in Form einer ausführlichen Vorschau zu den acht Hauptkategorien (Drehbücher, Schauspieler, Regie und Film) befassen. Dabei betrachten ich die wichtigen Prädiktoren wie die BAFTA-Nominierungen und die Nominierungen verschiedener Industrieverbände, aber auch das allgemeine Stimmungsbild, das sich an den Kritikerpreisen wie den BFCA Awards und den Golden Globes erkennen lässt.
Im ersten Teil der dreiteiligen Serie wende ich mich den beiden Drehbuchkategorien zu. Hier sind für die Vorhersagen primär zwei Vorläufer relevant. Einerseits sind es die Nominierungen der US-Gewerkschaft von Drehbuchautoren Writers Guild of America, weil deren Mitglieder auch über die Oscars abstimmen. Diese fielen dieses Jahr so aus:
Bestes Originaldrehbuch
Bridge of Spies – Der Unterhändler
Dating Queen
Sicario
Straight Outta Compton
Spotlight
Bestes adaptiertes Drehbuch
The Big Short
Carol
Der Marsianer
Steve Jobs
Trumbo
Allerdings muss man bei den Preisen der WGA auch beachten, dass die Gewerkschaft jedes Jahr diverse Drehbücher als unzulässig für eine Nominierung erklärt, weil sie nicht von den Mitgliedern der WAGA verfasst wurden oder auf andere Weise nicht unter die Regularien der Gewerkschaft fallen. Diese Filme haben dann immer noch gute Chancen bei den Oscars. Dazu gehören dieses Jahr u. a. die Drehbücher zu Filmen wie The Hateful 8, Alles steht Kopf, Raum, Brooklyn und Ex Machina.
Deshalb ist auch ein zweiter Prädiktor wichtig: die BAFTAs, auch als "britische Oscars" bekannt. Wer sowohl von der WGA als auch von der BAFTA nominiert ist, hat zwar immer noch keinen Freifahrtschein – siehe Gone Girl und The Master, die trotz einer solchen Situation von den Oscars links liegen gelassen wurden – jedoch erheblich verbesserte Chancen.
Schauen wir uns die beiden Drehbuchkategorien im Einzelnen an.
Bestes Originaldrehbuch
Ist ein Film ein starker Kandidat in der Kategorie "Bester Film", so ist sein Drehbuch meist auch an vorderster Front im Rennen. Gerade deshalb ist aber das Feld der potenziellen Nominees für das "Beste Originaldrehbuch" dieses Jahr weniger klar als in den letzten beiden Jahren. Nur ein einziger Film unter den Anwärtern hier ist ein absolut sicherer Kandidat für die Königsklasse. Es gibt zwar weitere Anwärter, doch die stärkeren Oscarkandidaten gehören dieses Jahr in die Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch".
Sichere Kandidaten
Tom McCarthy & Josh Singer (Spotlight) – Das Duo McCarthy und Singer hat nicht nur die eindeutig besten Chancen auf eine Nominierung in der Kategorie, sondern ist auch der unumstrittene Favorit für den Sieg. Das liegt einerseits daran, dass die Konkurrenz in der Kategorie nicht so stark ist, andererseits aber auch am wirklich starken Drehbuch und der Tatsache, dass Spotlight selbst als einer der großen Favoriten für den Hauptpreis gilt und seine größten Stärken eben im Ensemble und dem Drehbuch liegen. Neben den Drehbuchnominierungen von der BAFTA, der Autorengewerkschaft WGA, der BFCA und den Golden Globes, wurde Spotlight auch schon von einem Großteil der Filmkritikerverbände für sein Skript ausgezeichnet. U. a. wählten es die Kritiker von Los Angeles, Boston, St. Louis, Phoenix, Chicago, Las Vegas und viele andere zum besten Originaldrehbuch des letzten Jahres. Auch wenn Spotlight an anderen Fronten versagen sollte, eine Drehbuchnominierung ist dem Film absolut sicher.
Meg LeFauve, Josh Cooley & Pete Docter (Alles steht Kopf) – Als Animationsfilm konnte Alles steht Kopf von der WGA nicht nominiert werden, doch Pixar kann bereits auf eine lange Geschichte von Oscarnominierungen für die Drehbücher der eigenen Filme zurückblicken und das wird bei einem der größten Hits der Animationsschmiede nicht anders sein. Toy Story 3, Oben, WALL-E, Ratatouille, Die Unglaublichen, Findet Nemo und Toy Story wurden allesamt von der Academy für ihre Drehbücher nominiert, was zeigt, dass die Oscar-Wähler den Drehbüchern von Animationsfilmen keineswegs abgeneigt sind. Insgesamt wurden 7 der 14 Pixar-Animationsfilme vor Alle steht Kopf für ihre Drehbücher nominiert. Nach Oben und Toy Story 3 hat Alles steht Kopf wieder die Chance, auch als "Bester Film" im Oscar-Rennen mitzumischen, doch während diese Nennung leider keineswegs sicher ist, wird das Drehbuch mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit auf der Liste der Nominees auftauchen. Bei den BAFTAs wurde es bereits nominiert, ebenso wie von der BFCA und den meisten nennenswerten Kritikerverbänden. Neben Spotlight ist der Film die größte Konstante dieses Jahr im Rennen um das "Beste Originaldrehbuch".
Wahrscheinliche Kandidaten
Quentin Tarantino (The Hateful 8) – Laut Prädiktoren sollte Quentin Tarantino für The Hateful 8 eigentlich mit seiner vierten Oscarnominierung rechnen. Schließlich wurde er sowohl von der BFCA als auch von den Golden Globes und der BAFTA für seine Arbeit an dem Film nominiert, obwohl der Film selbst bei allen drei nicht nominiert wurde. Die Stärken des Drehbuchs werden also allgemein anerkannt. Besondere Bedeutung hat in dieser Hinsicht die Drehbuchnominierung bei den Golden Globes, da die Globes insgesamt nur fünf Drehbücher nominieren und nicht zwischen Originaldrehbuch und adaptiertem Drehbuch unterscheiden, wodurch die Konkurrenz eigentlich noch größer wird. Trotzdem setzte sich The Hateful 8 gegen diese Konkurrenz durch. Von der WGA erhielt das Drehbuch keine Nominierung, weil Tarantino kein Mitglied der Gewerkschaft ist, aber das hinderte die Oscars auch nicht daran, ihn zuvor dreimal zu nominieren und zweimal auszuzeichnen. Die National Board of Review zeichnete The Hateful 8 ganz zu Beginn der Oscar-Saison für sein Drehbuch aus. Ein ganz sicheres Ding ist das Drehbuch trotzdem nicht, denn der Film selbst geht im Oscar-Rennen ein wenig unter und hat deutlich weniger Oscar-Hype als die anderen drei Tarantino-Filme, deren Drehbücher nominiert wurden – Pulp Fiction, Inglourious Basterds und Django Unchained. Eine Nominierung würde der für Paul Thomas Andersons Drehbuch zu Inherent Vice vergangenes Jahr ähneln und wäre eine Anerkennung für Tarantino als meisterhafter Autor. Ob er diesen Status innerhalb der Academy genießt, werden wir bald erfahren.
Matt Charman, Ethan & Joel Coen (Bridge of Spies – Der Unterhändler) – Ethan und Joel Coen wurden im Laufe ihrer Karrieren fünfmal für einen Drehbuch-Oscar nominiert – sowohl in dieser Kategorie als auch für adaptierte Drehbücher, und sie gewannen zweimal (für Fargo und No Country for Old Men). Jedoch waren alle fünf Nominierungen auch für Filme, die sie selbst inszeniert haben und ihr Drehbuch für Steven Spielbergs Bridge of Spies ist zwar absolut solide, jedoch auch konventioneller als die Werke, für die sie in Vergangenheit nominiert wurden. Die WGA, die BAFTAs und die BFCA nominierten Bridge of Spies für sein Drehbuch, jedoch nicht die Golden Globes. Insgesamt erhielt das Drehbuch seitens der Kritikerverbände weniger Zuspruch als die oben genannte Konkurrenz, was jedoch keine direkte Auswirkung auf die Oscars haben wird. Bridge of Spies ist definitiv kein Film, der durch sein Drehbuch heraussticht. Ob er trotzdem eine Nominierung erhalten wird, wird davon abhängen, wie gut der Film insgesamt bei der Academy ankommen wird. Wird er wie bei den BAFTAs zahlreiche Nominierungen erhalten und zu einem der großen Kandidaten werden oder wie bei den Globes fast vollständig übergangen werden? Momentan deutet mehr auf das erste Szenario hin, weshalb ich eine Nominierung für das Drehbuch für wahrscheinlich, aber noch nicht sicher halte.
Weitere Anwärter
Alex Garland (Ex Machina) – Allein den Vorläufer-Nominierungen nach zu urteilen, sollte Ex Machina gute Chancen haben. Sowohl die BFCA als auch die BAFTA haben Alex Garlands kluges Drehbuch nominiert, aber auch die Kritikerverbände von Washington, Phoenix, Chicago, San Diego und San Francisco. Auch insgesamt nimmt der Film seit seiner Nominierung seitens der Produzentengewerkschaft an Fahrt auf, doch leider hat die Academy in vergangenen Jahren deutliche Vorurteile gegenüber intelligenten Drehbüchern zu Science-Fiction-Filmen zur Schau gestellt. So wurden das Drehbuch zu Looper, das im Vorfeld zahlreiche Preise abgeräumt hat, von den Oscar-Wählern ignoriert und mich beschleicht das Gefühl, dass es bei Ex Machina nicht anders sein wird.
Taylor Sheridan (Sicario) – Taylor Sheridans Erstlingswerk Sicario sorgte für viel Aufsehen und wurde auch von der Autorengewerkschaft als "Bestes Originaldrehbuch" nominiert. Ansonsten erhielt es nur Nennungen von einigen Kritikerverbänden (u. a. von Seattle, San Francisco und Austin). Alles in allem sind es keine sehr bedeutenden Prädiktoren, mit der Ausnahme der WGA, doch der Film selbst wird nach den Nominierungen von der Produzentengewerkschaft und mehreren Nominierungen von weiteren Industrieverbänden immer stärker. Sollte Sicario es tatsächlich ins Rennen um den "Besten Film" schaffen, werden sich die Chancen seines Drehbuchs erheblich verbessern und aktuell rechne ich mit diesem Szenario.
Jonathan Herman & Andrea Berloff (Straight Outta Compton) – Wie Sicario und Ex Machina ist auch Straight Outta Compton ein Film, von dem man im Oscar-Rennen mehr hört, als man ursprünglich vielleicht erwartet hätte, der aber weiterhin zu den Außenseitern gehört. Die Schauspielergewerkschaft nominierte den Film für sein Ensemble und die Produzentengewerkschaft als "Besten Film" von 2015. Die Stärken des Films liegen weniger in seinem Drehbuch, doch falls er es in keiner anderen Kategorie schafft und die Academy den Film trotzdem anerkennen will, ist die Kategorie offen genug, dass er hier reinrutschen könnte.
Außenseitertipp
Amy Schumer (Dating Queen) – Die Academy hat in Vergangenheit schon die Drehbücher von sehr populären Mainstream-Komödien nominiert – siehe Brautalarm, My Big Fat Greek Wedding oder Crocodile Dundee. Amy Schumers Dating Queen hat leider nicht den Status eines Box-Office-Phänomens erreicht wie diese drei Filme, was die Chancen des Drehbuchs leider etwas schwächt, aber immerhin wurde es von der Autorengewerkschaft nominiert. Dies ist zwar vermutlich darauf zurückzuführen, dass Kandidaten wie Ex Machina und Alles steht Kopf unzulässig waren und die Konkurrenz deshalb schwächer, doch ganz verachten sollte man den Film nicht, der auch von den Golden Globes als "Bester Film (Komödie/Musical)" nominiert wurde und zu den bestrezensierten Komödien des Jahres gehört. Eine Nominierung für Schumer wäre eine große Überraschung, doch nicht ohne Präzedenz.
Vorhersage:
Alles steht Kopf
Bridge of Spies – Der Unterhändler
The Hateful 8
Sicario
Spotlight
Auf Seite 2 geht es weiter mit den Tipps zu der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch".




"Wieder so ein Neowestern, die sehen doch alle gleich aus!", mag sich vielleicht der etwas cowboyfeindliche Kinogänger denken, nachdem er erste Bilder aus S. Craig Zahlers Regiedebüt Bone Tomahawk zu Gesicht bekommen hat. Doch der Film ist weitaus mehr als ein Western und allein schon der Fakt, dass er es schaffte, der große Publikumsliebling der
Zugegeben, perfekt ist der Film nicht, und mit einer Laufzeit von 132 Minuten auch etwas zu lang geraten, dafür, dass man nicht gerade viele Schauplätze und Charaktere zu sehen bekommt. Doch trotz des geringen Budgets und des ziemlich langsam voranschreitenden Tempos wird eine meisterhafte Spannung erzeugt, die sich sehr selten entlädt, aber dann wie ein Beil aus dem nichts angeflogen kommt. Alle Gewaltausbrüche und Schusswechsel wirken wahnsinnig intensiv auf den Zuschauer.
Zwar wurde die Handlung bewusst auf den Kern der Reise reduziert, auf Gespräche am Lagerfeuer, auf Probleme, die auf dem Weg aufkommen, doch trotzdem wäre es interessant gewesen, noch mehr über den finalen Schauplatz zu erfahren. Es bleibt nachvollziehbar, warum man es einfach hinnehmen und als Fakt der Filmwelt akzeptieren soll, doch dann hätte man wohl den ganzen Film etwas straffer inszenieren sollen anstatt einer über zwei Stunden langen Odyssee. Trotzdem will man sich nicht beschweren, denn worin Bone Tomahawk so gut ist, ist Innovation und das Hervorbringen frischer und trotzdem stimmiger Dialoge, und wie viele Filme trauen sich heutzutage schon so viel und schaffen es gleichzeitig den Ansprüchen auch derart gerecht zu werden? Eins, zwei, drei… Richtig, gar nicht mal so viele.
„The Hateful 8“ ist nach dem überaus erfolgreichen „Django Unchained“ Quentin Tarantinos zweite Regiearbeit, die sich zunächst dem Westerngenre zuordnen lässt. Doch das aktuelle Werk des zweifachen Drehbuch-Oscarpreisträgers schreitet – wie alle Filme Tarantinos zuvor – bewusst über eine steife Kategorisierung hinweg und entwickelt sich bereits nach kurzer Spielzeit zu einem kammerspielartigen Mysterium, in welchem die Zuschauer (wie auch die meisten Charaktere) über den späteren Verlauf im Dunkeln tappen. Die klaustrophobisch-paranoide Stimmung hat sich der Regisseur bei John Carpenters Horrorklassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“ (aus dessen Soundtrack einige unverwendete Klänge zum Einsatz kommen) abgeschaut, während der mit makabrem Humor unterfütterte, clevere Spannungsaufbau sogar Assoziationen mit Suspensegroßmeister Alfred Hitchcock erlaubt. Etwas an dieser Geschichte stimmt nicht, und das Publikum darf sich hier gleich auf acht finstere Figuren einlassen, die allesamt ordentlich Dreck am Stecken haben könnten.
Nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges will der Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) die Gesetzlose Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) dem Galgen von Red Rock zuführen. Verloren in einem schlimmen Schneesturm, suchen die beiden schließlich Schutz in einem abgelegenen Gasthaus – umgeben von sechs weiteren Gestalten. Wie etwa Ruths Berufskollegen Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) und dem zweifelhaften Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins), die sich bereits vor ihrer Ankunft knurrig beschnüffelt haben. Doch auch die übrigen Individuen im Inneren der Hütte hinterlassen vorerst keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Am geselligsten gibt sich noch der Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth), während die wortkargen Joe Gage (Michael Madsen) und Bob (Demian Bichir) erst einmal kritisch unter die Lupe genommen werden müssen. Von dem General Sandy Smithers (Bruce Dern), der bald folgenschwer an den Major gerät, ganz zu schweigen. Und dann wäre da noch dieser fürchterliche Kaffee …
Quentin Tarantino reift mit jedem seiner Filme spürbar, und vor allem als Schreiber hat er mit „The Hateful 8“ ein wahres Prachtstück vorgelegt. Die gewohnt markanten Dialoge werden in der ätzend-beklemmenden Atmosphäre genüsslich langsam ausgespielt – wie Karten an einem Pokertisch, unter welchem bedrohlich eine Bombe tickt. Das Szenario erinnert an die Eröffnungsszene aus „Inglourious Basterds“ (2009), in welcher der von Christoph Waltz verkörperte „Judenjäger“ Hans Landa sein Gegenüber nur scheinbar befragt und ihm in Wahrheit auf perfide Weise ein Geständnis abverlangt. Nur dass „The Hateful 8“ ein solches Spiel auf knapp drei Stunden ausdehnt und erst in seiner zweiten Hälfte die Vorhänge deutlich lüftet, wenn Tarantino als allwissender Erzähler höchstselbst aus dem Off zu hören ist.
Auch hier wird das Geschehen in verschiedene Kapitel unterteilt, doch im Gegensatz zu Vorgängern wie „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“ wechseln Setting und Zeit hier nur selten. Die eingeführten acht Charaktere bilden einen Mikrokosmos, in dem jeder ein rein egoistisches Ziel zu verfolgen scheint. Wird letztlich ein Kampf um das Kopfgeld entflammen oder geht es um mehr? Und weshalb nimmt die Verurteilte ihr elendes Schicksal so auffallend gelassen hin? Die Auflösung erwischt Filmkenner zwar sicher nicht so überraschend wie ein Güterzug, doch das sehr blutige Finale ist mit spürbar diabolischer Freude vorbereitet worden. „The Hateful 8“ und seine Figuren machen Spaß – auch wenn sich besonders während einer quälenden Szene den Zuschauern buchstäblich der Hals zuschnüren dürfte. Dieser Stoff hätte ebensogut auf einer Theaterbühne umgesetzt werden können, und in der Tat hatte dessen Schöpfer nach einer illegalen Veröffentlichung des Skripts im Internet die Filmpläne vorerst auf Eis gelegt und die Geschichte mit seinem Cast im United Artists Theater in Los Angeles öffentlich vorgetragen.
Glücklich über die nun entstandene Kinoumsetzung kann man schon allein deshalb sein, da Tarantino nicht nur ein Meister des geschriebenen Wortes und des Umgangs mit seinen stets sorgfältig ausgewählten Darstellern ist, sondern auch ein extrem sicheres Auge für die Kameraarbeit besitzt. Auch wenn der bei „Death Proof“ schon selbst als DP tätig gewordene Auteur das Zepter hier abermals Oscarpreisträger Robert Richardson (
Ein weiteres Novum stellt der Originalsoundtrack aus der Feder der italienischen Legende Ennio Morricone (u.a. Sergio Leones Dollar-Trilogie) dar. Zwar hat Tarantino bereits bei „Kill Bill“ mit Wu Tang Clan-Mastermind RZA zusammengearbeitet, doch diese Kooperation verleiht dem Projekt einen echten Ritterschlag. Wer nun allerdings einen klassischen Westernscore erwartet, sieht – oder besser: hört – sich getäuscht. Die Klänge bleiben vermehrt Low Key und unterstreichen damit perfekt die angespannte Stimmung auf der Leinwand. Dazu gibt es noch den David Hess-Song „Now You’re All Alone“ aus Wes Cravens „Das letzte Haus links“ (1972) auf die Ohren. Selbstverständlich während einer nicht gerade harmonischen Szene.


Basierend auf dem gleichnamigen Buch des Autors Eric Nylund, wird die Entstehungsgeschichte des sogenannten SPARTAN-Programms erzählt. Für alle, die sich nicht bis ins kleinste Detail mit dem Halo-Universum auskennen, eine kurze Einführung. Im Jahr 2517 hat die Menschheit die Reise mit Überlichtgeschwindigkeit gemeistert und Hunderte von Kolonien auf fremden Planeten errichtet. Kontrolliert wird das verstreute Menschen-Imperium durch das straff geführte United Nations Space Command (UNSC). Das passt so manchen Siedlern gar nicht, und es kommt in einigen Teilen des Universums zu einer offenen Rebellion. Um den Aufständischen effektiv Paroli zu bieten, legen die Militärstrategen der UNSC ein Supersoldaten-Programm auf, das aus Kindern genetisch modifizierte Kämpfer macht. Nicht sonderlich moralisch integer, aber halt ein guter Stoff für Actionfilme und Ballerspiele. Zumal nicht nur aufsässige Kolonisten, sondern mit den Covenant, einer technologisch überlegenen Alien-Koalition, eine weitere Gefahr auf die UNSC zukommt.
Die mit insgesamt gerade mal 65 Minuten Laufzeit straff erzählte Animations-Miniserie zeigt, wie aus dem Versuchsobjekt John 117 der ikonischen Held Master Chief wurde. Wir sehen die Entführung der jungen, nicht wirklich freiwilligen Rekruten, Szenen des Trainings, den erste Einsatz, der knapp an einem Fiasko vorbeischrammt, den Kampf gegen Aufständische und schlussendlich den erste Kontakt mit den Covenant. Viel Stoff, die der kanadische Regisseur Ian Kirby mit einem narrativen Kniff in die geringe Laufzeit presst. Da die Hauptfigur John eher der schweigsame Typ ist und auch ansonsten keine allzu differenzierten Charaktereigenschaften vorweisen kann, übernehmen seine Mit-Rekruten aus dem Off die Erzählung. Das sorgt für eine verständliche inhaltliche Überleitung zwischen den Kapiteln, und verleiht dem oftmals hurrapatriotischen Inhalt ein wenig Tiefe und Emotionen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Universal Soldier-Gedanken und den abscheulichen Experimenten an Kindern, findet sich nicht. Dafür gibt es Action und Aliens. Fans wird’s gefallen.

Alejandro González Iñárritus „The Revenant“ könnte den bisher blutrünstigsten Oscaranwärter in der Geschichte der Academy Awards darstellen. Noch sind die Nominierungen für die Saison zwar nicht veröffentlicht, doch Nennungen in diversen Jahresbestenlisten deuten bereits auf einen sicheren Kandidaten hin. Im krassen Gegensatz zu Iñárritus vorherigen Werken, erfindet sich der Regisseur hier wieder neu und kehrt einerseits seiner Schuld-und-Sühne-Reihe um „Amores Perros“, „21 Gramm“, „Babel“ und „Biutiful“ weitgehend den Rücken, um andererseits ebenso dem etwas zu penetrant auf seine eigene Cleverness verweisenden
Doch weshalb der hohe Blutzoll? Basieren soll das alles zunächst mal wieder auf einer wahren Begebenheit, doch da ich mir nicht sicher bin, wie real der unbeschadete Fall des Helden von einem Abhang, nur abgefangen von einer Tanne, wirklich ist, enthalte ich mich zu diesem Punkt. Es ist die Geschichte des Trappers Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), der in den amerikanischen Wäldern des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts nach einer Bärenattacke schwer verletzt wird. Sein Trupp glaubt nicht mehr an seine Genesung, weshalb drei Männer gegen Bezahlung zurückgelassen werden, um Glass nach seinem Tod würdevoll zu bestatten: Sein eigener Halbblutsohn Hawk (Forrest Goodluck), der junge Bridger (Will Poulter) und der aggressive Fitzgerald (Tom Hardy). Für Fitzgerald ist die Sache schon von Beginn an klar – er will den Verletzten möglichst schnell unter die Erde bringen und seinen Lohn kassieren. Wenn es sein muss auch durch aktive Beschleunigung. Als Hawk ihn bei seinem Vorhaben ertappt, wird er von Fitzgerald kurzerhand aus dem Weg geräumt. Doch der Mörder hat seine Rechnung ohne den schließlich lebend verscharrten Glass gemacht, der wie durch ein Wunder wieder auf die Beine kommt und nur noch eins will: Fitzgerald aufspüren und Rache für seinen Jungen nehmen …
„The Revenant“ ist nach George Millers „Mad Max: Fury Road“ nun der zweite Film in diesem Jahr, der Kino als schnörkellosen Kick serviert. Nur in einem gänzlich anderen Ton. Auch Iñárritus atmosphärisch dichte, bitterernste Arbeit will erlebt und nicht bloß angeschaut und verstanden werden – die Zuschauer werden förmlich mit durch Dreck und Blut gezogen. Selbst die wunderschönste Landschaftseinstellung vermittelt immer noch ein Gefühl von Isolation, Kälte und Elend. An vorderster Front steht Leonardo DiCaprio, der sich hier mal wieder gewohnt die Seele aus dem Leib spielt. Mit einer physisch derart eindrucksvollen Präsenz hat man den Mimen zuvor allerdings noch nie gesehen. Über weite Strecken muss er ohne seine Stimme agieren und sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod durch meterhohen Schnee schleppen. Vincent Gallo hat in Jerzy Skolimowskis „Essential Killing“ (2010) eine bemerkenswert ähnliche Performance vorgelegt und bei den Dreharbeiten strikt darauf bestanden, alle unangenehmen Szenen selbst in die Hand zu nehmen. Ob dies auch für den Megastar DiCaprio oberstes Gebot gewesen ist, ist mir nicht bekannt. Zumindest der Angriff eines ausgewachsenen Grizzlybären ist offensichtlich nur mit Hilfe modernster Digitaltricks realisierbar gewesen.
Auch wenn DiCaprio und die hypnotische Arbeit von Kameramann Lubezki sicherlich am meisten Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sollte man trotzdem nicht den ein wenig in den Hintergrund gerückten Tom Hardy vergessen, der als Fitzgerald die messerscharfe Darbietung eines rücksichtslosen, eiskalten Pragmatikers gibt. In einer eindringlichen Szene berichtet er davon, wie sein ungläubiger Vater zu Gott fand: Kurz vor dem Verhungern offenbarte sich ihm dieser in Form eines Eichhörnchens – welches er schlachtete und aß. Im Vergleich zu früheren Filmen Iñárritus spielt der Glaube an Erlösung zwar immer noch eine Rolle, nur werden die geisterhaft-friedvollen Visionen entweder wie ein Fiebertraum jäh unterbrochen oder rasch durch die schiere Wut, die in Glass lodert, vertrieben. Gerechtigkeit dürfe nur vom Schöpfer selbst eingefordert werden, lehrt ein Indianer den Racheengel. Und dennoch …








