The Revenant – Der Rückkehrer (2015) Kritik

1
The Revenant - Der Rückkehrer (2015) Filmkritik

The Revenant, USA 2015 • 156 Min • Regie: Alejandro González Iñárritu • Drehbuch: Mark L. Smith, Alejandro González Iñárritu • Mit: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Will Poulter, Domhnall Gleeson, Forrest Goodluck, Paul Anderson • Kamera: Emmanuel Lubezki • Musik: Ryûichi Sakamoto, Alva Noto, Bryce Dessner • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: 20th Century Fox • Kinostart: 6.01.2016 • Deutsche Website

The Revenant - Der Rückkehrer (2015) Filmbild 1Alejandro González Iñárritus „The Revenant“ könnte den bisher blutrünstigsten Oscaranwärter in der Geschichte der Academy Awards darstellen. Noch sind die Nominierungen für die Saison zwar nicht veröffentlicht, doch Nennungen in diversen Jahresbestenlisten deuten bereits auf einen sicheren Kandidaten hin. Im krassen Gegensatz zu Iñárritus vorherigen Werken, erfindet sich der Regisseur hier wieder neu und kehrt einerseits seiner Schuld-und-Sühne-Reihe um „Amores Perros“, „21 Gramm“, „Babel“ und „Biutiful“ weitgehend den Rücken, um andererseits ebenso dem etwas zu penetrant auf seine eigene Cleverness verweisenden „Birdman“ (2014) eine frontale und rohe Absage zu erteilen. „The Revenant“ ist ein geradliniges Survivaldrama mit Rachemotiv, in dem lediglich einige symbolisch aufgeladene Szenen an die Anfänge des gebürtigen Mexikaners erinnern – ungeschliffene Action im Arthousegewand dominiert das Geschehen. Unter der hautnahen Kameraführung von Emmanuel Lubezki wird hier gelitten, gemeuchelt und gestorben. Protagonisten werden von Pfeilen durchbohrt, Kehlen werden durchgeschnitten, Leiber ausgeweidet und Extremitäten sowie Genitalien abgetrennt. Wer sich in diesem Zusammenhang ein wenig an Mel Gibsons ungezügeltes Meisterwerk „Apocalypto“ (2006) erinnert fühlt, liegt nicht daneben.

The Revenant - Der Rückkehrer (2015) Filmbild 2Doch weshalb der hohe Blutzoll? Basieren soll das alles zunächst mal wieder auf einer wahren Begebenheit, doch da ich mir nicht sicher bin, wie real der unbeschadete Fall des Helden von einem Abhang, nur abgefangen von einer Tanne, wirklich ist, enthalte ich mich zu diesem Punkt. Es ist die Geschichte des Trappers Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), der in den amerikanischen Wäldern des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts nach einer Bärenattacke schwer verletzt wird. Sein Trupp glaubt nicht mehr an seine Genesung, weshalb drei Männer gegen Bezahlung zurückgelassen werden, um Glass nach seinem Tod würdevoll zu bestatten: Sein eigener Halbblutsohn Hawk (Forrest Goodluck), der junge Bridger (Will Poulter) und der aggressive Fitzgerald (Tom Hardy). Für Fitzgerald ist die Sache schon von Beginn an klar – er will den Verletzten möglichst schnell unter die Erde bringen und seinen Lohn kassieren. Wenn es sein muss auch durch aktive Beschleunigung. Als Hawk ihn bei seinem Vorhaben ertappt, wird er von Fitzgerald kurzerhand aus dem Weg geräumt. Doch der Mörder hat seine Rechnung ohne den schließlich lebend verscharrten Glass gemacht, der wie durch ein Wunder wieder auf die Beine kommt und nur noch eins will: Fitzgerald aufspüren und Rache für seinen Jungen nehmen …

The Revenant - Der Rückkehrer (2015) Filmbild 3„The Revenant“ ist nach George Millers „Mad Max: Fury Road“ nun der zweite Film in diesem Jahr, der Kino als schnörkellosen Kick serviert. Nur in einem gänzlich anderen Ton. Auch Iñárritus atmosphärisch dichte, bitterernste Arbeit will erlebt und nicht bloß angeschaut und verstanden werden – die Zuschauer werden förmlich mit durch Dreck und Blut gezogen. Selbst die wunderschönste Landschaftseinstellung vermittelt immer noch ein Gefühl von Isolation, Kälte und Elend. An vorderster Front steht Leonardo DiCaprio, der sich hier mal wieder gewohnt die Seele aus dem Leib spielt. Mit einer physisch derart eindrucksvollen Präsenz hat man den Mimen zuvor allerdings noch nie gesehen. Über weite Strecken muss er ohne seine Stimme agieren und sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod durch meterhohen Schnee schleppen. Vincent Gallo hat in Jerzy Skolimowskis „Essential Killing“ (2010) eine bemerkenswert ähnliche Performance vorgelegt und bei den Dreharbeiten strikt darauf bestanden, alle unangenehmen Szenen selbst in die Hand zu nehmen. Ob dies auch für den Megastar DiCaprio oberstes Gebot gewesen ist, ist mir nicht bekannt. Zumindest der Angriff eines ausgewachsenen Grizzlybären ist offensichtlich nur mit Hilfe modernster Digitaltricks realisierbar gewesen.

The Revenant - Der Rückkehrer (2015) Filmbild 4Auch wenn DiCaprio und die hypnotische Arbeit von Kameramann Lubezki sicherlich am meisten Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sollte man trotzdem nicht den ein wenig in den Hintergrund gerückten Tom Hardy vergessen, der als Fitzgerald die messerscharfe Darbietung eines rücksichtslosen, eiskalten Pragmatikers gibt. In einer eindringlichen Szene berichtet er davon, wie sein ungläubiger Vater zu Gott fand: Kurz vor dem Verhungern offenbarte sich ihm dieser in Form eines Eichhörnchens – welches er schlachtete und aß. Im Vergleich zu früheren Filmen Iñárritus spielt der Glaube an Erlösung zwar immer noch eine Rolle, nur werden die geisterhaft-friedvollen Visionen entweder wie ein Fiebertraum jäh unterbrochen oder rasch durch die schiere Wut, die in Glass lodert, vertrieben. Gerechtigkeit dürfe nur vom Schöpfer selbst eingefordert werden, lehrt ein Indianer den Racheengel. Und dennoch …

„The Revenant“ ist ein ein ungemein involvierender und in Anbetracht seiner kompromisslosen Brutalität durchaus unangenehmer Leinwandtrip. Und er ist Alejandro González Iñárritus bislang beste und befreiteste Leistung.


Trailer