Wir haben die heiße Phase des Oscar-Rennens erreicht. Die meisten Kritikerpreise sind verliehen und wir haben ein ganz gutes Bild davon, welche Filme und Performances aus dem letzten Jahr besonders angesagt sind. Doch jetzt geht es ans Eingemachte, denn letzten Endes gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Kritikerpreisen, zu denen letztlich auch die Golden Globes zählen, und den Oscars, denn über diese stimmen nicht Filmjournalisten ab, sondern Vertreter der Filmindustrie selbst. Aus diesem Grund sind die im Vorfeld der Oscars verliehenen Industriepreise der verschiedenen Berufsverbände und Gewerkschaften Hollywoods noch aussagekräftiger darüber, was in der Oscarnacht gute Chancen hat, denn zwischen diesen Wähler:innen und den Mitgliedern der Academy, die über die Oscars abstimmen, gibt es wiederum eine nicht unbeträchtliche Überschneidung.
Die vier wichtigsten Industriepreise werden von den vier großen US-Gewerkschaften verliehen: der Autorengewerkschaft Writers Guild of America (WGA), der Produzentengewerkschaft Producers Guild of America (PGA), der Regiegewerkschaft Directors Guild of America und der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists (SAG-AFTRA). Letztere ist mit fast 120.000 Mitgliedern die mit Abstand größte Hollywood-Gewerkschaft, die ihre eigenen Preise verleiht. Ihre Auszeichnungen, die sogenannten SAG Awards, sind die jüngsten unter den Preisen der vier großen Gewerkschaften und werden dieses Jahr zum 31. Mal verliehen. Abgestimmt wird bei den SAG Awards in zwei Phasen. In der ersten stimmen 2500 jedes Jahr zufällig ausgewählte SAG-AFTRA-Mitglieder über die Nominierungen ab. Sobald diese feststehen, dürfen alle Gewerkschaftsmitglieder an der Abstimmung über die Sieger teilnehmen.
Die SAG Awards gehören zu den wichtigsten Prädiktoren der Oscars, nicht nur in den Schauspielkategorien, sondern auch in der Kategorie "Bester Film". Das liegt daran, dass Schauspielerinnen und Schauspieler den größten Anteil der Oscar-Wähler:innen ausmachen. Die Nominierungen der SAG Awards in den einzelnen Kategorien sind ein guter Indikator für spätere Oscarnominierungen und insbesondere die SAG-Kategorie "Bestes Ensemble" hängt häufig mit der Oscarkategorie "Bester Film" zusammen. Vier der letzten fünf Ensemble-Sieger der SAG Awards gewannen später auch den Hauptpreis bei den Oscars. Braveheart, Shape of Water, Nomadland und Green Book sind die einzigen vier Filme aus den letzten 30 Jahren, die den "Bester Film"-Oscar ohne eine vorige Ensemble-Nominierung bei den SAG Awards gewinnen konnten.
Was die Vorhersagekraft der SAG Awards hinsichtlich Oscarnominierungen in den Schauspielkategorien angeht, so spricht die Statistik für sich. In den letzten zehn Jahren wurden 44 der 50 von der SAG nominierten Hauptdarsteller später auch für den Oscar für dieselbe Rolle nominiert. Bei Nebendarstellerinnen waren es 37 von 50 und bei Hauptdarstellerinnen und Nebendarstellern jeweils 35 von 50. In den letzten drei Jahren gab es nur eine einzige Abweichung zwischen den Siegern der Screen Actors Guild Awards und den Oscars, als Emma Stone letztes Jahr den Oscar für Poor Things gegen Lily Gladstone (Killers of the Flower Moon) gewonnen hat, nachdem Gladstone von der SAG ausgezeichnet worden war. Die anderen elf Siegerinnen und Sieger stimmten überein.
Bei den Nominierungen für die diesjährigen Screen Actors Guild Awards gab es einen klaren Favoriten. Das Fantasy-Musical Wicked wurde zum sechsten Film in der Geschichte der SAG Awards, der fünf Nominierungen einheimsen konnte. Zuvor gelang das nur Chicago, The Banshees of Inisherin, Everything Everywhere All at Once, Glaubensfrage und Shakespeare in Love. Besonders überraschend ist Jonathan Baileys Nebendarsteller-Nominierung für den Film, nachdem er zuvor bei keinen Kritikerpreisen erwähnt wurde.
Sehr stark abgeschnitten hat aber auch James Mangolds Bob-Dylan-Biopic Like a Complete Unknown, das viermal nominiert wurde, darunter auch für das beste Ensemble. Diese Nominierungen zementieren den Film als einen sicheren Oscarkandidaten. Auch Fans von Sean Bakers Cannes-Sieger Anora könne nicht klagen. Die Indie-Tragikomödie wurde dreimal nominiert, darunter für ihre Schauspielensemble, und zählt weiterhin zu den Favoriten im diesjährigen Oscar-Rennen. Positiv hervorzuheben sind auch die Nominierungen für Pamela Anderson und Jamie Lee Curtis für The Last Showgirl, einen Film, der recht spät zum Oscar-Rennen hinzukam, inzwischen aber Fahrt aufnimmt.
Wenn es einen klaren Verlierer bei den SAG Awards-Nominierungen gibt, dann Brady Corbets dreieinhalbstündiges Epos Der Brutalist. Der Film, der drei Golden Globes gewonnen hat, muss sich mit einer einzigen SAG-Nominierung für Hauptdarsteller Adrien Brody begnügen. Weder Guy Pearce noch Felicity Jones wurden in ihren Kategorien nominiert und auch die Ensemble-Nominierung wurde dem Film verwehrt, was ihn im Oscar-Rennen definitiv zurückwirft.
Unten findet Ihr alle Nominierungen für die diesjährigen SAG Awards in den Filmkategorien:
Bester Hauptdarsteller
Timothée Chalamet (Like a Complete Unknown)
Adrien Brody (Der Brutalist)
Daniel Craig (Queer)
Colman Domingo (Sing Sing)
Ralph Fiennes (Konklave)
Beste Hauptdarstellerin
Cynthia Erivo (Wicked)
Karla Sofía Gascón (Emilia Pérez)
Pamela Anderson (The Last Showgirl)
Mikey Madison (Anora)
Demi Moore (The Substance)
Bester Nebendarsteller
Jonathan Bailey (Wicked)
Yura Borisov (Anora)
Kieran Culkin (A Real Pain)
Jeremy Strong (The Apprentice – The Trump Story)
Edward Norton (Like a Complete Unknown)
Beste Nebendarstellerin
Ariana Grande (Wicked)
Danielle Deadwyler (The Piano Lesson)
Zoe Saldaña (Emilia Pérez)
Monica Barbaro (Like a Complete Unknown)
Jamie Lee Curtis (The Last Showgirl)
Bestes Ensemble
Konklave
Emilia Pérez
Wicked
Like a Complete Unknown
Anora
Bestes Stunt-Team
Deadpool & Wolverine
The Fall Guy
Dune: Part Two
Gladiator II
Wicked
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Bei den Serien-Nominierungen ist, wie schon bei den Emmys, "Shōgun" der Spitzenreiter mit fünf Nennungen, darunter drei für einzelne Darsteller, eine für das Ensemble und eine für die Stunts. "The Bear", "The Penguin" und "Diplomatische Beziehungen" folgen mit jeweils drei Nominierungen. Hier sind alle SAG-Nominierungen in den TV-Kategorien auf einen Blick:
Bester Darsteller einer Dramaserie
Tadanobu Asano ("Shōgun")
Hiroyuki Sanada ("Shōgun")
Eddie Redmayne ("The Day of the Jackal")
Gary Oldman ("Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb")
Jeff Bridges ("The Old Man")
Beste Darstellerin einer Dramaserie
Kathy Bates ("Matlock")
Nichola Coughlan ("Bridgerton")
Allison Janney ("Diplomatische Beziehungen)
Keri Russell ("Diplomatische Beziehungen")
Anna Sawai ("Shōgun")
Bestes Ensemble einer Dramaserie
"Shōgun"
"Diplomatische Beziehungen"
"Bridgerton"
"The Day of the Jackal"
"Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb"
Bester Darsteller einer Comedyserie
Harrison Ford ("Shrinking")
Ted Danson ("Undercover im Seniorenheim")
Adam Brody ("Nobody Wants This")
Martin Short ("Only Murders in the Building")
Jeremy Allen White ("The Bear – King of the Kitchen")
Beste Darstellerin einer Comedyserie
Kristen Bell ("Nobody Wants This")
Liza Colón-Zayas ("The Bear – King of the Kitchen”)
Quinta Brunson ("Abbott Elementary")
Ayo Edibiri ("The Bear – King of the Kitchen)
Jean Smart ("Hacks")
Bestes Ensemble einer Comedyserie
"Abbott Elementary"
"Shrinking"
"The Bear – King of the Kitchen"
"Hacks"
"Only Murders in the Building"
Bester Darsteller in einer Miniserie oder einem TV-Film
Javier Bardem ("Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez")
Colin Farrell ("The Penguin)
Kevin Kline ("Disclaimer")
Richard Gadd ("Rentierbaby")
Andrew Scott ("Ripley")
Beste Darstellerin in einer Miniserie oder einem TV-Film
Kathy Bates (The Great Lillian Hall)
Jodie Foster ("True Detective: Night Country")
Lily Gladstone ("Under the Bridge")
Jessica Gunning ("Rentierbaby")
Cate Blanchett ("Disclaimer")
Cristin Milioti ("The Penguin")
Bestes Stunt-Team
"Shōgun"
"The Boys"
"Fallout"
"House of the Dragon"
"The Penguin"
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Am 23. Februar werden die 31. Screen Actors Guild Awards in Los Angeles verliehen und dann werden wir erfahren, welche Schauspilerinnen und Schauspieler dieses Jahr die besten Oscarchancen haben.
Quelle: Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists