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mother! (2017) Kritik

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Mother (2017) Filmkritik

mother!, USA 2017 • 122 Min • Regie & Drehbuch: Darren Aronofsky • Mit: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Domhnall Gleeson, Stephen McHattie • Kamera: Matthew Libatique • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 14.09.2017 • Deutsche Website

Es gibt einen Moment in „mother!“, in dem sich der anonyme Dichter seiner ebenfalls anonymen Frau zuwendet, um ihr die nächtliche Menschenansammlung vor ihrem Haus zu erklären: „Sie alle lieben mein Werk, aber jeder erkennt darin etwas anderes!“ Diese Äußerung ließe sich reflexiv auch auf Darren Aronofskys („Black Swan“) nunmehr siebten Spielfilm beziehen. Mit dem Unterschied, dass die symbollastige Arbeit wohl kaum von jedem Kinogänger positiv aufgenommen werden wird – so bitterböse, unangenehm und radikal wie diese auf groteske Weise poetische Schreckensvision war schon lange kein Filmtrip mehr! „mother!“ ist krass, doch mit diesem dünnen Adjektiv kann man keinen Zuschauer wirklich auf das vorbereiten, was der Regisseur und Drehbuchautor während der zweistündigen Laufzeit auf der Leinwand zelebriert. Dabei fängt alles relativ übersichtlich, wenn auch deutlich skurril, an.

Mother (2017) Filmbild 1

Zunächst erscheint da das Bild einer Frau in Flammen. Ein völlig abgebranntes Haus, das plötzlich wieder Gestalt annimmt. Ein üppiger Diamant, der wieder zurück an seinen Platz gestellt wird. In dem zuvor verwüsteten Schlafzimmer erwacht eine andere Frau (Jennifer Lawrence). Ihr Mann (Javier Bardem) leidet an einer Blockade, Ihm fehlt die Inspiration für ein neues Gedicht. Während Sie liebevoll das idyllische Anwesen wiederherrichtet, bleibt Ihm nicht mehr, als das harmonische Leben um sich herum zu beobachten. Bis es eines Tages an der Tür klopft und ein Fremder (Ed Harris) um Einlass bittet. Dass Er diesen nicht bloß in ihr gemeinsames Reich treten lässt, sondern dem aufdringlichen Gast auch noch ein Zimmer anbietet, schockiert Sie. Es kommt noch bunter, als am nächsten Tag die Ehefrau des neuen Bewohners (Michelle Pfeiffer) auf der Matte steht und sich ebenfalls im Haus einquartiert. Wie sich bald herausstellt, ist der Fremde ein todkranker Verehrer Seiner Werke. Ebenso wie seine forsche Frau, nimmt dieser sich unter dem Dach der Gastgeber Freiheiten heraus, die Sie in die Verzweiflung treiben, Ihn aber trotz des dreisten Benehmens nicht zum Handeln bewegen. Doch nach drei Ereignissen – einem blutgetränkten Todesfall, einer Schwangerschaft und einem Erfolgsdurchbruch – fällt schließlich das personifizierte Chaos in die anfangs vielversprechende Ruhe ein …

Mother (2017) Filmbild 2

Jeder Mensch hat eine natürliche Belastungsschwelle. In seinem neuen Werk schubst Regisseur Aronofsky nicht nur die von Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence („Silver Linings“) verkörperte Figur mit diabolischer Genialität über diese hinweg, sondern wird auch viele Zuschauer an die individuelle Grenze des Erträglichen führen. „mother!“ ist zweifellos der (bisher) provokanteste und polarisierendste Film des Kinojahres – das ist zugleich als Versprechen und als Warnung zu verstehen! Dass unter dem Banner eines großen Hollywood-Studios (Paramount Pictures) und mit namhaften Stars gespickt ein solch radikaler Tabubrecher in einer Zeit der Remakes, Reboots und bunten Superhelden möglich ist, grenzt schon fast an ein Wunder. Was dabei wichtig ist: Es handelt sich hier keinesfalls um einen stumpfen Exploitation-Reißer, sondern um einen bemerkenswerten cineastischen Bastard aus Arthouse-Progressivität und Grindhouse-Absurdität. Wer glaubt, nach der Hälfte der Spielzeit bereits alles gesehen zu haben, irrt gewaltig. Aronofsky navigiert schwere Geschütze, die zwar oft von einer Truppe pechschwarzen Humors gezogen werden, aber letztlich mit voller Wucht in der Magengegend einschlagen und die Eingeweide zerfetzen. Das ist audiovisueller Terror, den man eigentlich nur lieben oder hassen kann, der aber sicherlich niemanden kalt lässt. Als eine Inspirationsquelle für diese Tour de Force nennt der Regisseur Roman Polanskis okkultes Meisterwerk „Rosemary’s Baby“. Und in der Tat lassen sich inhaltliche und (zumindest zu Beginn) stilistische Verweise ausmachen. Sehr viel näher steht „mother!“ allerdings Andrzej Zulawskis ungezügeltem Kultfilm „Possession“, in dem sich auf ähnlich hypnotische Weise das bittere Familendrama und die hässliche Fratze des Wahnsinns in der Metapher begegnen.

Mother (2017) Filmbild 3

Wenn der Abspann des auf körnigem 16mm-Material gefilmten Horrorszenarios über die Leinwand flimmert, wird man sich entscheiden müssen, von was um Himmels Willen man da soeben Zeuge geworden ist. Vielleicht erinnert man sich an das eingangs genannte Zitat. Mancher Zuschauer mag wahlweise nur abstrakten oder prätentiösen Unsinn erkennen. Für mich ist „mother!“ das Bild eines stagnierten Künstlers, der bereit ist, für die Anerkennung seines Werkes sein komplettes intimes Leben über Bord zu werfen. Und es ist das Bild einer Frau, die ein glückliches und sicheres Nest für eine Familie erschaffen möchte, welches jedoch die aufflammenden Ambitionen ihres Partners einengt. Schöpfung, die zerstört und Zerstörung, die erschafft. Man könnte natürlich auch allgemein behaupten: Es geht um eine Beziehung, die offensichtlich irgendwann funktioniert hat, aber ab einem spezifischen Punkt zu bröckeln beginnt. Klischee, kalter Kaffee, abgedroschen? Das wird niemand behaupten, der die anarchistische Urkraft des Films erlebt hat – manche Dinge muss man einfach sehen und spüren. So wie „mother!“. Mit Bestperformances von mindestens vier Darstellern und einer frontalen Inszenierung, die von einer sanften Brise zu einem tödlichen Sturm heranwächst, legt Darren Aronofsky hier seine definitiv intensivste Arbeit seit seinem Meisterwerk „Requiem for a Dream“ vor.

Mother (2017) Filmbild 4

Es gibt im wahren Leben Grenzen, die nicht überschritten werden sollen, nicht überschritten werden dürfen. Im Kino kann und darf man dies – und im Angesicht dieser aufregenden und in Mark, Herz und Hirn ziehenden Großtat wünscht man sich, mehr Filmschaffende würden heutzutage ein solches Experiment im Mainstream-Format wagen. Nach der Sichtung fühlt man sich vielleicht schmerzerfüllt am Boden liegen, geprügelt und getreten. Aber man fühlt sich auch seltsam befreit und lebendig.


Trailer


Alien – Wie eine Filmikone ihre Richtung verlor

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Alien Covenant Directors Cut

Filmkritiker und Fans sind sich einig, dass die ersten beiden Filme der Alien-Reihe mit zu dem besten gehört, was die beiden Genrevertreter zu bieten haben. Während Ridley Scott mit Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (1979) einen klaustrophobischen Horrorfilm erschaffen hat, der an Perfektion grenzt, hat James Cameron mit dem Nachfolger Aliens – Die Rückkehr (1986) ein konsequentes und herausragendes Sequel auf die Leinwand gebracht, was sich aber genretechnisch vom Horror entfernt und einen starken Actioneinschlag nimmt.

Doch mit dem dritten Teil fangen auch die Probleme der weltberühmten Filmreihe an. Regisseur David Fincher hatte zuvor noch nie einen abendfüllenden Spielfilm gedreht und wurde mit der Regie bei Alien 3 (1992) einer regelrechten Feuertaufe unterzogen. Doch zahlreiche Drehbuchunstimmigkeiten führten zu einem sehr negativ behafteten Echo und leider konnte der darauffolgende Alien: Resurrection (1997) des renommierten französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet das Franchise auch nicht mehr auf den richtigen Kurs bringen. Auch die vermeidliche Wiederauferstehung des Aliens wurde kritikertechnisch schlecht aufgenommen und somit wurde es ruhig um das einst bahnbrechende Weltraumspektakel.

Erst 2012 trat das Universum um die furchteinflößenden Aliens wieder in die Filmlandschaft, diesmal jedoch mit einem etwas anderen Ansatz. Prometheus – Dunkle Zeichen (2012) wollte seine Handlung zwar im Alien-Universum ansiedeln, zugleich wollte es sich aber von den vorherigen Filmen abgrenzen. Scott nahm für diesen Film wieder Platz im Regiestuhl und mit dem Altmeister hinter der Kamera waren die Erwartungen natürlich hoch. Zwar konnte Prometheus – Dunkle Zeichen diese nicht vollends erfüllen, doch waren die Kritikerreaktionen positiv gefärbt. Die Fans hingegen spalteten sich durch den Film jedoch in zwei Lager auf. Es gab das derjenigen, die den Film für seine Optik und Handlung hochhielten, während die Gegenpartei Kritik am Plot übten und dem Film seine Alienanleihen ankreideten, da diese nicht nötig gewesen wären. Der sechste und zugleich neuste Teil des Alien-Franchise ist Alien: Covenant (2017) und wurde im Schnitt etwas schlechter aufgenommen als sein Vorgänger Prometheus – Dunkle Zeichen. Auch hier polarisierte der Film wieder seine Fangemeinde und sorgte für Diskussionen zwischen beiden Lagern.

Doch wie kommt es dazu, dass sich eine Filmreihe über die Jahre so sehr verändert wie es diese tut? Wie kann die Qualität in sechs Filmen so variieren, wie es bei der Alien-Reihe der Fall ist und wieso spalten die beiden neueren Filme ihre Zuschauer so sehr, dass sich manche von der Reihe abwenden? In den folgenden Zeilen möchte ich solche Fragen näher beleuchten, auch wenn meine Sichtweise zugegebenermaßen nicht vollkommen objektiv ist.

1974 wurde das Projekt ins Leben gerufen, Frank Herberts epische Dune-Saga zu verfilmen. Für die Regie war der chilenische Künstler und Filmemacher Alejandro Jodorowsky vorgesehen, der bereits mit seiner Regiearbeit in El Topo (1970) und Montana Sacre – Der Heilige Berg (1973) bewiesen hat, dass sein Ruf als Künstler gerechtfertigt war. 14 Stunden lang sollte das Epos werden, mit Größen wie Salvador Dali und Orson Welles, doch das Projekt war weit entfernt von jeglicher realistischer Umsetzung und verendete in der Produktionshölle. Die Doku Jodorowsky‘s Dune (2013) zeigt einen detaillierten Blick auf dieses wahnsinnige Projekt und nimmt auch Bezug auf den schweizerischen Maler Hans Ruedi Giger alias H.R. Giger. Dieser sollte für Dune Konzeptzeichnungen entwerfen, doch als sich das Projekt auflöste, fand er sich bei Ridley Scotts neuster Produktion namens Alien- Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt wieder.

Das Alien im Film, auch Xenomorph genannt, besitzt ein Design, welches in der Filmgeschichte einmalig ist und eine furchteinflößende und grausige Aura ausstrahlt. Die Bewegungen des Monsters sind unnatürlich schnell und es agiert in den Filmen mit einer tödlichen Präzision, die an ein Skalpell erinnert. Das Wesen wird als perfekter Organismus bezeichnet, das das Ende der Nahrungskette markiert und intelligent agiert. Das Design Gigers ist das prägnanteste Merkmale der Alien-Reihe und zugleich ein großer Beitrag für das Medium, da ein Künstler seine statische Kunst in dem bewegten Medium des Films ausleben kann. In einer Diskussion um die größten Filmbösewichte, bzw. Monster würde sich der Xenomorph sicherlich auf den vordersten Plätzen wiederfinden.

Doch Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt lebt natürlich noch von mehr als dem grandiosen Design seine Antagonisten. Der Film ist die nahezu perfekte Definition von Spannung, hinzu kommt eine interessante Geschichte über die Wesen im All, mit existenziellen Fragen, gepaart mit einer starken Performance des gesamten Cast. Optisch ist Scotts Horrorfilm über jeden Zweifel erhaben und während Prometheus – Dunkle Zeichen, als auch Alien: Covenant wieder seine optische Linie aufweisen, bleibt der Grundstein der Reihe bildtechnisch unerreicht.

Auch heute ist die Reihe um das außerirdische Wesen noch relevant, nicht zuletzt weil der erste Film in einer Zeit der männlichen und muskelbepackten Actionstars eine weibliche Heldin etablierte, die sich mit dem Flammenwerfer gegen das tödliche Wesen behaupten muss. Ellen Ripley, von Sigourney Weaver verkörpert, ist bis heute eine, wenn nicht sogar die größte weibliche Actionikone und sorgt, damals wie heute, für eine emanzipiertere Filmlandschaft.
Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt ist ein reinrassiger Horrorfilm, der sich mit den Größen des Genres wie The Shining (1980), Der Exorzist (1973) und Der weiße Hai (1975) auf Augenhöhe befindet. Bricht man den Plot des Films herunter, ist man zwar beim klassischen Prinzip des Slashers, da eine Person nach der Anderen von dem Killer, in diesem Falle das Alien, getötet wird. Doch das Design, die Schauspieler und das titelgebende Monster machen Ridley Scott Science-Fiction Horrorfilm zu dem wohl außergewöhnlichsten Slasher, der bisher auf der Leinwand zu sehen war.

Zudem hat der erste Alien-Film Momente, die zu den ikonischsten der Filmgeschichte zählen, allen voran der Chestburster, der sich in einer Essensszene blutig und schreiend aus dem Bauch eines Crewmitglieds befreit. Auch die Facehugger, die sich um das Gesicht ihres Opfers schlingen und einen Alienembryo in seinem Körper platzieren, sind mittlerweile Kultfiguren und tauchen in den Nachfolgern auf. Ridley Scott hat mit seiner erst zweiten Regiearbeit einen der besten Horrorfilme erschaffen, dessen Einfluss bis heute existiert und zugleich eines der ikonischsten Filmmonster auf die Leinwand gebracht. Aus einer objektiven und kritischen Sicht lässt sich am ersten Vertreter der Alien-Reihe nichts bemängeln und auch das Sequel erreicht die qualitativ enorm hoch angelegte Messlatte.

Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009)-Schöpfer James Cameron ist bekannt für opulente CGI-Effekte und technische Revolutionen. Titanic (1997), Terminator 2 – Tag der Abrechnung (1991), True Lies – Wahre Lügen (1994), die Liste an Meilensteinen, die Cameron erschuf, abgesehen von seinem Debüt Fliegende Killer – Piranha II (1981), scheint nicht enden zu wollen. Seine dritte Regiearbeit sollte das erste Alien-Sequel sein und im Gegensatz zu seinen späteren Werken setzte er dort noch auf eine Bandbreite an praktischen Effekten.

Aliens – Die Rückkehr nimmt tonal jedoch eine andere Richtung als das Original und ist deutlich actionlastiger. Feuergefechte mit großen Spezialwaffen und Turmgeschützen anstatt atmosphärischer Horror und während im ersten Film nur ein einziger Xenomorph das Schiff unsicher machte, bekommen es die Charaktere nun mit der kompletten Sippe des Wesens zu tun. Die Heldin des zweiten Teils ist natürlich wieder die Protagonistin Ripley, die zu Beginn des Films aus einem Kälteschlaf erwacht, in den sie am Ende von Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt hineinversetzt wurde. Entdeckte die Crew im ersten Teil auf einem Planeten noch die Eier, in denen die Aliens ausgebrütet worden sind, hat die Firma Weyland-Yutani auf diesem Planeten nun eine Kolonie errichtet. Als der Kontakt zu dieser verloren geht, liegt es an Ripley und einer Truppe an Marines, die Sache zu untersuchen. Während der Film ruhig anfängt, eine plausible Verbindung zum ersten Teil aufbaut und seine Charaktere etabliert,  entwickelt sich Aliens – Die Rückkehr in seinem weiteren Verlauf immer mehr zu einem erstklassigen Actionfilm.

Suspense spielt in Camerons Sequel zwar eine untergeordnete Rolle, aber auch diese findet man in den Feuergefechten. Besonders wenn Ripley mit den Marines die Einrichtungen untersucht, knistert die Luft förmlich. Und wenn sich die Atmosphäre in einer Schießerei mit den Aliens entlädt, sind die Gefechte jedes Mal wuchtig inszeniert und lässt das Herz eines jeden Actionliebhabers höher schlagen. Cameron hält sich mit dem Einsatz von CGI im Hintergrund und setzt auf die altbewährten praktischen Effekte, was man in den Auseinandersetzungen auch deutlich erkennen kann. Die Xenomorphe, dieses Mal in der Mehrzahl, sehen allesamt grandios aus, sowohl in Bewegung, als auch wenn sie von den Marines in alle Himmelsrichtungen verteilt werden. Auch wenn die Gewaltschraube in Aliens – Die Rückkehr ein wenig angezogen wird, wirkt die Brutalität der Auseinandersetzungen zwischen Mensch und Alien nie aufgesetzt oder gar plakativ, sondern dient hauptsächlich dazu, die gnadenlose Vorgehensweise der Aliens zu zeigen.

Natürlich darf die Heldin Ripley auch wieder Hand anlegen und sich gegen die Aliens bewähren. Dieses Mal wird ihre Beschützer-, bzw. Mutterrolle nochmals verstärkt, da sie sich während dem Film um die kleine Newt kümmern muss. Der Kampf gegen die Alienkönigin, die im dritten Akt des Films auftaucht, zählt mit zu den Höhepunkten und sorgt nicht nur für ein spannendes Duell der Beiden, sondern erweitert das Universum der Xenomorphe um den interessanten Faktor eines Oberhaupts. James Cameron hat mit seiner dritten Regiearbeit einen Actionfilm geschaffen, der zu dem besten zählt, was das Genre zu bieten hat. Zwar mag sich das Sequel tonal vom Original unterscheiden, doch in ihrem jeweiligen Genre zählen beide Filme zu den besten Genrevertretern.

Nach dem bisherigen Erfolg der Alien-Reihe sollte Alien 3 natürlich auch daran anknüpfen, was jedoch leider nicht gelang. David Fincher kann in seiner Filmographie mittlerweile große Titel aufweisen wie Fight Club (1999), Gone Girl – das perfekte Opfer (2014) und Verblendung (2011), doch 1992, zum Zeitpunkt des Release von Alien 3, war dieser Film sein Erstlingswerk. Aufgenommen wurde sein Debüt jedoch schlecht, aufgrund zahlreicher Drehbuchschwächen und vielen Entscheidungen, die den Fans bitter aufstießen. Zu Beginn befindet sich Ripley noch auf einem Schiff der Marines, doch als dort ein Feuer ausbricht, werden Ripley, Newt, der beschädigte Android Bishop und Corporal Hicks im Kälteschlaf in einer Notkapsel evakuiert und landen auf dem Gefängnisplaneten Fiorina 161. Nachdem Ripley erwacht, wird ihr mitgeteilt, dass sie die einzige Überlebende sei. Demnach wird gleich zu Beginn die kleine Newt im Drehbuch gestrichen, was vielen Fans nicht zu Unrecht missfiel. Da man das kleine Mädchen erst im zweiten Teil eingeführt hatte, wäre genügend Potential vorhanden, um den Charakter  auszubauen und weiterzuentwickeln, doch das Alien 3 Drehbuch hatte offensichtlich kein Interesse an ihr.

Im weiteren Verlaufe des Films treten selbstverständlich auch die titelgebenden Monster auf den Plan, doch auch diese können Finchers Regiedebüt nicht besser werden lassen.
Alien 3 wirkt leb- und lieblos, gerade so, als ob man den nächstbesten Drehbuchentwurf genommen und verfilmt hätte. Kritiker standen dem Film sehr negativ gegenüber und trotz eines immer noch passablen Einspielergebnis waren die Fans der Reihe ebenfalls alles andere als angetan von Finchers Versuch, der Alien-Reihe einen würdigen dritten Teil zu geben.
Auch wenn es sich so anhören mag, Alien 3 ist kein kompletter Totalausfall und auch kein katastrophal schlechter Film. Ja, er hat Schwächen, sogar sehr viele, doch das größte Problem des Films sind seine Vorgänger, da durch deren enorme Qualität und Kultstatus das Gefälle zum dritten Teil der Reihe natürlich umso deutlicher auffällt.

200 Jahre später. Alien: Resurrection erscheint 1997 und setzt die Handlung um Ripley und Xenomorphe im Jahre 2379 an, wo Militärforscher einen Ripley-Klon aus Blutproben erschaffen, die von der originalen Ripley vor ihrem Tod genommen wurden. Im Finale von Alien 3 stürzt sich Ripley in ein Lavabecken, um den in ihr heranwachsenden Embryo einer Alienkönigin abzutöten. Doch die Militärforscher haben nun die DNA des Aliens von ihrer getrennt und benutzen sie für ihre Zwecke. Durch die Vermischung der verschiedenen DNA-Typen besitzt der Ripley-Klon wie die Aliens ein ätzendes Blut, erhöhte Stärke und eine Art telekinetische Verbindung zu den Xenomorphen.

Der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet ist nicht unbedingt die erste Wahl, wenn man an einen Film über furchteinflößende Aliens denkt, schließlich ist er für gefühlvolle Filme wie Die fabelhafte Welt der Amelie (2001) und Mathilde – Eine große Liebe (2004) bekannt. Nichtsdestotrotz ist Alien: Resurrection ein besserer Film als noch Finchers Vorgänger, obwohl das angesichts der Qualität von Alien 3 nicht allzu viel Aussagekraft hat.
Trotz der gestiegenen Qualität waren viele Kritiker nicht von Jeunets Film überzeugt und Roger Ebert, der größte Filmkritiker aller Zeiten, zerriss den Film sogar, indem er ihn als einen der schlechtesten Filme des Jahres bezeichnete. Die Fangemeinde des Alien-Franchise ist bis heute gespalten, ob nun Alien 3 oder doch Alien: Resurrection der bessere Teil ist und nicht selten werden darüber hitzige Streitgespräche in Foren geführt.

Was jedoch noch ein weitaus größerer Streitpunkt ist als die Rivalität der dritten und vierten Alien-Instanz ist, sind Prometheus – Dunkle Zeichen und Alien: Covenant, die mit ihrem Plot versucht haben das Universum rund um die Aliens auszudehnen, was in meinen Augen jedoch auf allen Ebenen misslungen ist. Doch fangen wir chronologisch an und betrachten erst einmal Prometheus – Dunkle Zeichen, der 2012 die Kinosäle fühlte.

Dreiunddreißig Jahre nachdem Scott mit Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt den Grundstein für dieses Filmuniversum legte, kehrte er nun mit Prometheus – Dunkle Zeichen in dieses zurück. Bezeichnend ist, dass dieser Teil der erste ist, der nicht das ehemals namensgebende Alien im Titel stehen hat. Auch inhaltlich konzentriert sich Scotts Science-Fiction Film nicht primär auf die außerirdische Rasse und zu Beginn sogar erstmalst auf Geschehnisse auf der Erde. 2089 entdeckten Forscher eine Sternenkarte, die identisch mit Karten aus anderen Kulturen ist, was sie als eine Einladung einer anderen Rasse auf dem Mond LV-223 interpretieren. Daraufhin startet das Expeditionsschiff Prometheus ins All und 2093 erreicht die Crew ihr Ziel.  Auf dem Mond gelandet, entdecken sie schnell Zeichen, die auf eine andere Zivilisation und deren Verschwinden hindeuten.

Was man Prometheus – Dunkle Zeichen in jeder Minute zugutehalten muss, ist die herausstechende Optik, was wieder einmal Altmeister Scott zu verdanken ist. Auch die schauspielerischen Leistungen von den Hauptdarstellern, allen voran Noomi Rapace und Michael Fassbender als Android,  wissen zu überzeugen und gewisse Szenen bleiben nachhaltig in Erinnerung. Der Kaiserschnitt mittels eines Operationsroboters ist zwar schmerzhaft mit anzusehen, inszenatorisch jedoch in jeder Hinsicht gelungen. Das Problem, welches Prometheus – Dunkle Zeichen mit sich zieht, findet sich nicht bei den Schauspielern oder den Bildern, sonder im Plot und in den Verbindungen, die zu der Alien-Reihe versucht werden aufzubauen. Während die einen glauben eine tiefgründige und hochphilosophische Geschichte zu erkennen, ist die andere Seite wiederum davon überzeugt, dass die Handlung aus pseudointelektuellen Einfällen besteht, die auf zig religiösen Metaebenen spielen will und letzten Endes daran scheitert.

Wie man auch zu Prometheus – Dunkle Zeichen stehen mag, eine gewisse Problematik im Zusammenhang mit dem Plot lässt sich nicht von der Hand weisen. Scotts Rückkehr in sein eigenes Universum wirft handlungstechnisch sehr viele Fragen auf, von denen jedoch keine bis wenige beantwortet werden und nicht selten wirken die Dialoge arg hölzern und zu konstruiert. Trotz mancher Kritikpunkte wurde Scotts Prequel zu seinem Ursprungsfilm vom Presseecho überwiegend positiv aufgenommen, doch wie schon Alien 3 und Alien: Resurrection, spaltete auch Prometheus – Dunkle Zeichen sein Publikum. Die aufgeworfenen und unbeantworteten Fragen sollten im darauffolgenden Alien: Covenant (2017) eine Auflösung erhalten, doch sollte diese alles andere als befriedigend sein.

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Es (2017) Kritik

Es 2017 Filmkritik

It, USA 2017 • 135 Min • Regie: Andy Muschietti • Mit: Jaeden Lieberher, Sophia Lillis, Bill Skarsgård, Finn Wolfhard, Jeremy Ray Taylor, Chosen Jacobs, Jack Dylan Grazer, Wyatt Oleff • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 28.09.2017 • Website

Handlung

Auf den ersten Blick ist Derry, Maine eine beschauliche US-amerikanische Kleinstadt wie jede andere. Es ist das Ende der achtziger Jahre und die Kinder verbringen ihre Sommerferien noch nicht vor der PlayStation, sondern draußen in der Natur und erleben Abenteuer. Doch der Schein trügt, denn etwas Grauenvolles lauert hinter der heilen Fassade von Derry. Mehrere Kinder verschwinden spurlos. Eins von ihnen ist George, der kleine Bruder von Bill (Jaeden Lieberher). Gemeinsam mit seinen Schulfreunden, dem großmäuligen Richie (Finn Wolfhard), dem hypochondrischen Eddie (Jack Dylan Grazer) und dem skeptischen Stan (Wyatt Oleff) erforscht Bill abgelegene Orte rund um Derry, in der Hoffnung, George wiederzufinden. Neuankömmling Ben (Jeremy Ray Taylor), der daheim unterrichtete Vollwaise Mike (Chosen Jacobs) und die trotz gnadenlosen Mobbings selbstbewusste Beverly (Sophia Lillis) schließen sich der Gruppe an. Als selbsternannter Club der Verlierer finden die sieben Kinder untereinander den Halt, den ihre entweder gleichgültigen oder überfürsorglichen oder gar missbräuchlichen Eltern nicht bieten können. Zusammen bieten sie auch dem soziopathischen Schulhofschläger Henry Bowers (Nicholas Hamilton) und seiner Gang die Stirn. Die größte Gefahr für die sieben geht jedoch nicht von Henry aus. Sie werden von verstörenden Visionen eines unheimlichen Wesens heimgesucht, das häufig die Form eines gruseligen Clowns (Bill Skarsgård) annimmt. Schnell wird ihnen klar, dass dieses Monster für das Verschwinden der Kinder verantwortlich ist. Wenn sie nicht selbst die nächsten Opfer des Bösen werden wollen, müssen sie sich ihm gemeinsam stellen.

Kritik

Mit über 50 veröffentlichten Romane und unzähligen Kurzgeschichten ist Stephen King nicht nur einer der bekanntesten und meistverkauften, sondern auch einer der produktivsten Horror-Schriftsteller unserer Zeit. Er ist auch einer der meistverfilmten. Seine IMDb-Seite zählt insgesamt über 200 Einträge von Spielfilmen, Kurzfilmen und TV-Serien und –Miniserien. Sucht man jedoch nach wirklich guten Umsetzungen von Kings Vorlagen, wird die Liste deutlich kürzer. Allein dieses Jahr erlebten wir schon zwei zu unterschiedlichen Graden misslungene King-Verfilmungen. Nur ins Heimkino schaffte es der grotesk schlechte Puls mit John Cusack und Samuel L. Jackson, während der erschreckend unambitionierte Der dunkle Turm aktuell noch in unseren Kinos läuft. Es ist erfreulich, dass Andy Muschiettis Es im Kontrast zu diesen Rohrkrepierern steht und den Geist und die Themen von Kings Romanvorlage so gut einfängt, wie keine andere seiner Verfilmungen in den letzten Jahren.

Was Es noch seltener macht, ist, dass es auch noch eine gelungene Adaption von einem von Kings Horrorromanen ist. Die Mehrheit der wirklich guten Verfilmungen seiner Werke, wie Die Verurteilten, The Green Mile, Stand by Me oder Misery, hatten keine oder nur nebensächliche übernatürliche Elemente. Muschietti und die Drehbuchautoren Chase Palmer, Cary Fukunaga und Gary Dauberman haben begriffen, dass der Erfolg jener Filme in deren Fokus auf die Charaktere begründet war. Stephen King mag in seinen Büchern unvorstellbare Monster heraufbeschwört haben, doch sein Interesse galt immer primär den Menschen, guten, bösen und ambivalenten.

Es 2017 Filmbild 1So ist Es auch kein Film über ein mörderisches Clown-Monster, sondern über sieben von ihrer Umwelt vernachlässigte Kinder, deren Freundschaft ihnen dabei hilft, Herausforderungen zu meistern. Nur dass in ihrem Fall eine dieser Herausforderungen eben ein mächtiges, bösartiges Wesen ist, das Kinder gerne terrorisiert und verspeist. Es ist aber dennoch primär ein Film über die Magie, aber auch über die Tücken des Erwachsenwerdens und die Feststellung, dass die Erwachsenen einen nicht immer beschützen werden. Die Kinder aus dem Club der Verlierer sind Außenseiter und tragen alle Ballast. Bills Eltern nehmen ihren Sohn nach dem Verlust von George vor lauter Trauer kaum wahr; Ben ist übergewichtig und findet als neues Kind in der Stadt keinen Anschluss; Mike hat seine Eltern bei einem Brand verloren und wird wegen seiner Hauptfarbe gemobbt; Eddie leidet unter seiner krankhaft überfürsorglichen Mutter. Das schwerste Los hat Beverly gezogen, die zu Hause von ihrem Vater sexuell missbraucht und in der Schule schikaniert und als Schlampe in Verruf gebracht wird. Diese Kinder haben es nicht einfach, doch gemeinsam fühlen sie sich stark.

Es 2017 Filmbild 2Im Vorfeld lag sowohl in den Medien als auch bei den Fans der Vorlage und der (schlecht gealterten) Miniserien-Adaption von 1990 der Fokus auf der Besetzung des Clowns Pennywise, der durch Tim Currys grandiose Performance zu einer Horrorikone und dem Sinnbild eines Horror-Clowns wurde. Doch wenn man den Film sieht, merkt man schnell, wie viel wichtiger die Besetzung der Kinder war als die von Pennywise, und zum Glück ist diese ausnahmslos gelungen. Bereits nach wenigen Minuten, in denen wir Bill gemeinsam mit Eddie, Richie und Stan erleben, nimmt man den vier sofort ihre Freundschaft ab, und die anderen drei fügen sich nahtlos ein. Keins der Kinder wirkt überflüssig in der Gruppe, jedes hat eine eigene Rolle im Geschehen zu spielen und alle jungen Darsteller wirken ausgesprochen natürlich in ihren Rollen. Jeder Filmfan weiß, dass gute Kinderdarsteller nicht selbstverständlich sind und eine alte Weisheit des US-Komikers W.C. Fields besagt, man solle nie mit Kindern oder Tieren arbeiten. Umso beeindruckender ist es, dass hier der komplette Film von sieben Kindern getragen wird, ohne einen einzigen Ausfall. Nicht nur haben sie wunderbare Chemie und lässigen Umgang miteinander, sodass ihre feste Freundschaftsbande und die "einer für alle, alle für einen"-Einstellung sehr authentisch wirken, sie verhalten sich auch realistisch im Angesicht  der unbeschreiblichen Schrecken, die ihnen begegnen. Sie haben spürbare Angst und sie stellen sich dem Monster widerwillig, weil sie wissen, dass ihnen sonst niemand helfen wird. Es ist erfrischend, wenn Richie die Gruppe wiederholt ermahnt, dass sie nur Kinder sind, die im Sommer draußen Spaß haben sollten, anstatt in der Kanalisation oder heruntergekommenen Häusern einem Monster hinterherzujagen.

Es 2017 Filmbild 3Obwohl alle Kinder wirklich gut besetzt sind, bleibt die Figurenzeichnung bei den meisten alleine schon aus Zeitgründen eher oberflächlich, mit der Ausnahme von Bill und Beverly. Die Darstellerin der letzteren ist besonders hervorzuheben. Newcomerin Sophia Lillis ist eine schauspielerische Wucht, die jede ihrer Szenen an sich reißt und am Ende noch deutlich mehr in Erinnerung bleibt als Pennywise und seine Trickkiste. Nach außen hin mutig und beherzt, versteckt sie tief sitzende Wunden, die ihr durch ihren Vater zugefügt wurden. Der Kampf gegen Es ist für sie zugleich auch die Emanzipation von einem noch größeren und ihr deutlich näheren Ungeheuer. Lillis erinnert an eine junge Amy Adams mit entsprechend ausgeprägtem Talent (ironischerweise wird sie demnächst in der HBO-Miniserie "Sharp Objects" sogar eine junge Version von Adams spielen) und wenn die Academy Genrefilme nicht ignorieren würde, wäre sie eine klare Kandidatin für eine Nebendarstellerin-Oscarnominierung. Ja, sie ist so gut!

Man kommt natürlich nicht umhin, auch die Performance von Skarsgård als Pennywise anzusprechen. Angelegt als eine Mischung aus  Heath Ledgers Joker (der goldene Standard für Bösewichte heutzutage, wie es scheint) und Robert Englunds Freddy Krueger, ist sein Pennywise weniger aufrichtig gruselig, sondern viel eher unheimlich und, aus Mangel an einem besseren Ausdruck, fucked up. Dieser Pennywise spielt mit seinen Opfern, verhöhnt sie und schickt sie, ähnlich zu Freddy, in ihre ganz eigenen Albtraum-Szenarien. Die Makeup- und Effektekünstler holen sehr viel aus Pennywise heraus. Im Gegensatz zur alten Miniserie, ist das Monster hier noch viel weniger auf eine bestimmte Form festgelegt, sodass Pennywise gar nicht so viele Auftritte hat, wie man vielleicht vermuten würde. Vielmehr machte sich Muschietti die formwandelnden Eigenschaften des Monsters aus dem Roman zunutze und ließ seiner Vorstellungskraft freien Lauf, was insbesondere beim großen Showdown zu einigen echt spektakulären visuellen Eindrücken führt (insbesondere in einem IMAX-Kino, in dem ich den Film sah), die im Gedächtnis haften bleiben.

Es 2017 Filmbild 4Es ist nicht besonders gruselig oder furchteinflössend, wie es sich bestimmt viele Zuschauer, denen die Miniserie als Kinder und Jugendliche eine Heidenangst eingejagt hat, erhoffen. Es gibt im Film zwei wirklich gruselige Momente, einer davon unter Einbeziehung eines Dia-Projektors, doch ansonsten wirkt der Horror wie eine wirklich gute Geisterbahn. Schaurig, manchmal intensiv, einfallsreich, aber selten wirklich erschreckend. Es zeigt sich doch immer wieder, dass große Effekthascherei, sei es denn mit CGI oder handgemachten Effekten (beides kommt hier im großen Stil zum Einsatz) echtem Grusel entgegenwirkt, doch der Film verdient Pluspunkte für einige optisch wirklich ausgefallene Einfälle, die in den Trailern zum Glück nicht verraten werden. Fast noch unheimlicher als Pennywise ist in dem Film übrigens das Bild der Erwachsenen aus Derry, von denen kein einziges positives Beispiel gezeigt wird. Entweder werden die Kinder vernachlässigt oder missbraucht oder einfach in ihrer Not ignoriert.

Nichts alles in dem Film ist zum Glück düster. Es gibt etliche entspannte, gar humorvolle Momente (Stichwort: New Kids on the Block) mit den Kindern, die die ansonsten bedrückende Atmosphäre auflockern. Und Richie  sagt auch wirklich gerne "Fuck", dem R-Rating sei dank.

Es 2017 Filmbild 5Was Andy Muschietti in Es nicht schafft, ist es, dem Film einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Wie schon bei seinem Regiedebüt Mama, zeigt er wieder, dass er ein solider, sicherer Horror-Regisseur ist, dessen Stärken aber mehr bei den Charakteren und weniger bei der Atmosphäre liegen. Muschietti ist (noch) kein Visionär und bei den Gruselszenarien seines Films bedient er sich freilich bei Vorbildern wie Guillermo del Toro, Wes Craven und sogar Nicolas Roeg, dessen Klassiker Wenn die Goldeln Trauer tragen in einer Szene ganz spezifisch zitiert wird. Er imitiert gut, ohne große Patzer (von seiner Vorliebe für Effekte vielleicht abgesehen), doch es fehlt das letzte Bisschen der eigenen Vision und Originalität zum Meisterwerk-Status. Lob gebührt jedoch definitiv dafür, dass das Gefühl, das Stephen King in seinem Roman erzeugt, sehr gut getroffen wird. Erfreulich ist auch, dass Muschietti der Versuchung widersteht, auf den Erfolgszug von "Stranger Things" aufzuspringen und sich in der Achtziger-Nostalgie zu suhlen. Das Setting ist schon klar definiert (Lethal Weapon 2 und Batman spielen im Kino, Richie zockt "Street Fighter"), die Geschichte wirkt aber zeitlos.

Als Zuschauer werden viele für den Clown kommen, doch mit dem Gefühl gehen, Zeuge einer glaubwürdigen, magischen Freundschaft aus einem Lebensabschnitt geworden zu sein, in dem das Leben nach außen hin noch einfach erscheint, doch auf die direkt Beteiligten ungleich komplizierter und verwirrender wirkt. Stephen King sagte einst, dass Stand by Me die erste wirklich gute Adaption von einem seiner Werke war und es ist jener Film mehr als jeder andere, mit dem sich Es zu messen versucht. Den Vergleich besteht Es blendend.

Fazit

So wie der äußerlich idyllische Schein von Derry im Film, täuscht auch die Fassade von Andy Muschiettis Es. Die gelungene Stephen-King-Adaption ist kein reines Horror-Eventkino über einen gruseligen Killer-Clown, sondern vor allem eine einfühlsame, scharfsinnige Coming-of-Age-Geschichte mit fantastischen Kinderdarstellern (besonderes Lob an Newcomerin Sophia Lillis), aufgepeppt mit originellen, intensiven, wenn auch nur gelegentlich gruseligen Geisterbahn-Effekten. Hier hält sich der Alltags-Horror mit dem übernatürlichen Grauen die Waage, sodass Pennywise fast schon zur (verstörenden) Nebensache wird.

Trailer

Box-Office USA: Killer’s Bodyguard souverän an der Spitze

Killers Bodyguard Box Office

© 2017 20th Century Fox Deutschland

Quelle: Boxofficemojo

Ein weiteres Mal wurde es leerer in den nordamerikanischen Kinosälen am Wochenende. Das Gesamteinspiel der Top 12 gab diesmal um 20% gegenüber der Vorwoche nach und erreichte nur schwache $81,2 Mio, was nur knapp über dem schwächsten Wochenende des Jahres (3.-5. Februar mit $80,8 Mio) liegt. Verglichen zum gleichen Wochenende vor einem Jahr, als Suicide Squad zum dritten Mal in Folge den Spitzenplatz belegte, ging es um 32% runter. Angesichts des wirklich erbärmlichen Angebots an Neustarts in den nächsten zwei Wochen, wird es bis zum Start von Es am 8. September kontinuierlich bergab gehen. Die Studios haben sich auf jeden Fall verkalkuliert, denn diverse Filme, die zuvor in der Konkurrenz untergegangen sind, hätten jetzt deutlich bessere Chancen in einem leeren Markt gehabt. Filme wie Power Rangers oder Ghost in the Shell wären vermutlich auch mit einem August-Start keine Riesenhits geworden, hätten jedoch mehr eingespielt, als gequetscht in einen Monat mit Logan, Kong: Skull Island und Die Schöne und das Biest.

Die Actionkomödie Killer’s Bodyguard konnte zum Start von dieser Situation profitieren und belegte mit $21,4 Mio mühelos Platz 1 der nordamerikanischen Kinocharts. In 3377 Kinos erzielte der Film einen Schnitt von $6332 pro Spielstätte. Dabei trotze der Film mittelprächtigen Rezensionen und punktete mit seiner Starbesetzung. Mit Sicherheit profitierte Killer’s Bodyguard auch davon, dass es Ryan Reynolds' erste Hauptrolle nach dem Megahit Deadpool war (nach Nebenrollen in Das Jerico Projekt und Life). Der derbe R-rated-Humor von Killer’s Bodyguard schlägt in eine ähnlich ironisch-böse Kerbe wie der von Deadpool. Auch Samuel L. Jackson ist zwar nicht immer ein Zugpferd an den Kinokassen, kann aber in einer maßgeschneiderten Rolle wie diesen auf jeden Fall auch zusätzliches Interesse an dem Film wecken. Die Kinogänger waren dem Streifen mehr zugetan als die Kritiker und bewerteten ihn mit einem "B+"-CinemaScore (äquivalent einer "2+"). Bei einem Budget von nur $29 Mio erwartet Lionsgate am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit ein solider Profit.

Das Studio konnte einen Hit wie diesen wirklich gebrauchen. Zwar hat es mit La La Land ($151,1 Mio) und John Wick: Kapitel 2 ($92 Mio) zuletzt zwei Hits gehabt, doch insgesamt geht es dem Studio nach dem Ende von Die Tribute von Panem und dem kläglichen Versagen der Divergent-Reihe eher schlecht als Recht. Power Rangers floppte dieses Jahr und begrub jegliche Franchise-Hoffnungen, All Eyez On Me blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück und weder Deepwater Horizon noch Boston (beide von Peter Berg und mit Mark Wahlberg) spielten ihre Ausgaben wieder ein. Killer’s Bodyguard sollte sich allein schon aufgrund nicht vorhandener Konkurrenz gut halten und die nächsten beiden Wochenenden auf Platz 1 verweilen. Insgesamt wird der Streifen etwa $60-70 Mio in Nordamerika einspielen.

Platz 2 ging an den Vorwochensieger Annabelle 2, der um 55,4% zurückging und $15,6 Mio von Freitag bis Sonntag einspielte. Das Horror-Prequel hielt sich an seinem zweiten Wochenende besser als der ersten Annabelle (-57,3%) und Conjuring 2 (-63,2%). Nach zehn Tagen steht der Film mit $64,2 Mio bereits 4% vor seinem Vorgänger und nur 10% hinter Conjuring 2, was ein sehr beachtliches Zwischenergebnis ist. Letztes Jahr haben wir im August erlebt, wie gut ein Horrorthriller (Don’t Breathe) laufen kann, wenn er keine Konkurrenz und gute Mundpropaganda hat. Es sieht ganz danach aus, dass Annabelle 2 nicht nur den ersten Film an den Kinokassen übertreffen wird, sondern sogar die Chance hat, Conjuring 2 hinter sich zu lassen. Bis Es startet, wird der Streifen keinerlei direkte Konkurrenz haben und sogar vom großen Start von Es könnte er durch Double Features profitieren, da beide Filme von Warner Bros. sind. Annabelle 2 steuert in Nordamerika auf fantastische $95-105 Mio zu, bei einem Budget von nur $15 Mio. Weltweit hat der Film schon mehr als $160 Mio eingenommen und könnte mit etwas Glück zum dritten Film im Conjuring-Universum werden, der $300 Mio weltweit toppen wird.

Logan Lucky, Steven Soderberghs erste Regiearbeit seit seinem angekündigten Ruhestand vor vier Jahren, eröffnete mit $7,6 Mio von 3031 (im Schnitt $2507 pro Kino) auf Rang 3. Wie Killer’s Bodyguard kostete auch Logan Lucky $29 Mio, erhielt jedoch insgesamt deutlich bessere Rezensionen. An den Kinokassen hat es wenig gebracht, denn der Film legte das schwächste Startwochenende für einen breit gestarteten Soderbergh-Film seit Solaris vor 15 Jahren hin. Der Film hatte mit Channing Tatum, Adam Driver, Katherine Waterston, Daniel Craig, Seth MacFarlane und Katie Holmes eine namhafte Besetzung, doch keiner der Darsteller ist ein Kassenmagnet und das NASCAR-Thema des Films sprach vor allem die Zuschauer im Süden und im Mittleren Westen der USA an, nicht jedoch an den bevölkerungsreichen Küsten. Der CinemaScore ist mit einer "B"-Wertung (äquivalent einer "2") auch nur okay ausgefallen, sodass der Film nicht mehr als $24-27 Mio in Nordamerika einnehmen wird.

Dunkirk fiel um zwei Plätze auf Rang 4 und verlor dabei 39,2% gegenüber der Vorwoche. Nach einem $6,6-Mio-Wochenende steht Christopher Nolans Kriegsfilm bei soliden $165,4 Mio in Nordamerika und ist bereits der vierterfolgreichste Film in den USA und in Kanada, der im Zweiten Weltkrieg spielt. Konkurrenzmangel hilft dem Durchhaltevermögen des Films, doch die schwärmenden Rezensionen ließen ursprünglich eine noch bessere Performance vermuten. Wie es aussieht, wird Dunkirk etwa $195-200 Mio einspielen, bevor er die Kinos verlässt. Eine sehr wahrscheinliche Wiederaufführung der 70mm-Fassung während der Oscar-Saison könnte den Film jedoch knapp über $200 Mio hinaus pushen.

Das animierte Sequel The Nut Job 2: Nutty by Nature, das vor allem durch seine bloße Existenz erstaunt, ging um 39% auf $5,1 Mio zurück. Nach zehn Tagen steht der Film bei $17,7 Mio. Da er $40 Mio kostete (ohne Marketingkosten), wird er es schwer haben, auf schwarze Zahlen zu kommen. In Nordamerika winken dem Film etwa $31 Mio.

Auf Seite 2 geben wir Euch u. a. Updates zu den Einspielergebnissen von Spider-Man: Homecoming, Ich – Einfach unverbesserlich 3 und Wonder Woman.

Box-Office USA: Annabelle 2 stark an der Spitze, Wonder Woman knackt $400 Mio

Wonder Woman Annabelle 2 Box Office

Links: Annabelle 2 © 2017 Warner Bros. Pictures
Rechts: Wonder Woman © 2017 Warner Bros. Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Warner Bros. hatte vergangenes Wochenende wirklich jeden Grund zum Feiern. Die beiden umsatzstärksten Filme an den nordamerikanischen Kinocharts gehörten dem Studio und ein älterer Blockbuster zog an einem enormen Meilenstein vorbei. Doch obwohl der Nummer-1-Film Annabelle 2 sehr stark eröffnete, konnte er nicht abwenden, dass die Umsätze der Top 12 zum dritten Mal in Folge zurückgingen, diesmal um 8% auf $102 Mio. Gegenüber dem gleichen Wochenende im Vorjahr, als Suicide Squad weiterhin die Charts beherrschte, ging es um satte 36% runter. Angesichts des bevorstehenden Ödlands im Hinblick auf neue Filme, wird sich das Box-Office gegenüber dem Vorjahr nicht vor September erholen. Es ist wirklich bemerkenswert, wie schlecht die Studios den diesjährigen August belegt und stattdessen den März vollgestopft haben.

Annabelle 2 eröffnete mit fantastischen $35 Mio von 3502 Kinos und erzielte im Schnitt $9996 pro Spielstätte. Es war der breiteste Start aller Zeiten für einen reinrassigen R-rated-Horrorfilm. Das Startwochenende ist wirklich in jeder Hinsicht fabelhaft. Jeder der bisherigen vier Filme aus dem Conjuring-Universum ging mit mehr als $35 Mio am ersten Wochenende an den Start. Eine solche Konsistenz zeigte bislang noch kein anderes Horror-Franchise. Zwar startete Annabelle 2 6% unter dem ersten Film, der vor drei Jahren mit $37,1 Mio anlief, doch man muss bedenken, dass der erste Teil noch vom guten Willen gegenüber dem ersten Conjuring profitierte, während das neue Prequel stattdessen mit der deutlich negativeren Rezeption seines Vorgängers zu kämpfen hatte. Dass Annabelle 2 dennoch fast genau so gut anlief, wie Teil 1, ist einerseits dem absolut leeren Markt zu verdanken (nur ein weiterer Film erreichte mehr als $10 Mio am Wochenende), andererseits aber auch entschieden besseren Rezensionen als für den ersten Film. Allerdings half letzteres vergangenes Jahr Ouija: Ursprung des Bösen auch nicht, der trotz deutlich besserer Kritiken fast 30% unter dem ersten Film eröffnete.

Annabelle 2 war zudem der erste echte Horrorfilm seit dem schwachen Wish Upon vor einem Monat. Des Weiteren nehme ich an, dass der gelungene Conjuring 2 den guten Willen gegenüber der Filmreihe ein wenig wiederhergestellt hat. Auf jeden Fall kann man feststellen, dass Conjuring und seine Ableger zu einer sehr erfolgsträchtigen Marke mit Wiedererkennungswert geworden sind. Annabelle 2 kostete (ohne Marketingausgaben) nur $15 Mio und spielte außerhalb von Nordamerika bereits weitere $53,6 Mio ein. Damit ist der Film jetzt schon ein todsicherer Riesenhit. Der erste Annabelle brach nach seinem guten Start schnell zusammen und spielte insgesamt $84,3 Mio ein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der zweite Film ihn allein schon dank stärkeren Einspielergebnissen an Wochentagen im Sommer übertreffen wird. Die Mundpropaganda ist, für einen Horrorfilm, durchaus positiv. Die Zuschauer vergaben Annabelle 2 im Schnitt einen "B"-CinemaScore (äquivalent einer "2"). Ernstzunehmende Konkurrenz wird der Film erst in knapp einem Monat durch Stephen Kings Es bekommen. Bis dahin hat er mehr oder weniger freie Bahn. Das sollte ein Gesamteinspiel von etwa $85-95 Mio ermöglichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Warner Annabelle 3 ankündigen wird.

Christopher Nolans Dunkirk hielt sich auf Rang 2 mit $10,9 Mio (-36,5%) und brachte sein vorläufiges Einspiel auf $153,2 Mio. Hinzu kommen weitere $218,1 Mio, die der $100 teure Film international eingenommen hat. Anfangs hielt sich Dunkirk nicht ganz so gut, wie angesichts der schwärmenden Rezensionen zu hoffen war. Der Film kommt in der Kritik zwar sehr gut an, ist aber kein Crowd Pleaser à la Inception. Mittlerweile hat er sich jedoch stabilisiert, u. a. dank seinem Einsatz in den IMAX-Kinos. Dunkirk bleibt der Film mit dem größten Event-Status aktuell und das wird ihm dabei helfen, für den Rest des Monats gut zu laufen, bis er im September seine IMAX-Leinwände einbüßt. Ob er $200 Mio erreichen wird, ist noch schwer zu sagen. Es wird auf jeden Fall eine knappe Sache werden, doch eine IMAX-Wiederaufführung während der Oscar-Saison könnte ihm dabei helfen. Momentan sieht es nach insgesamt $195-205 Mio aus. Auf jeden Fall wird Dunkirk spätestens nächsten Monat Nolans Interstellar ($188 Mio) in Nordamerika überholen. Mit etwas Glück wird er zum zweiterfolgreichsten Film überhaupt in den USA und in Kanada über den Zweiten Weltkrieg werden (hinter Spielbergs Der Soldat James Ryan, der 1998 unglaubliche $216,5 Mio eingenommen hatte).

Rang 3 der US-Kinocharts ging an The Nut Job 2: Nutty by Nature, ein Animations-Sequel, um den wirklich niemand gebeten hat (der Originalfilm erschien hierzulande nicht einmal im Kino). Wirklich sehr kurios ist, dass der Verleih Open Road Film den Streifen in 4003 Kinos startete. In diesen nahm er jämmerliche $8,3 Mio ein und erreichte einen Schnitt von $2084. Erst dieses Jahr stellte Die Mumie mit $31,7 Mio in den ersten drei Tagen den Negativrekord für das schwächste Startwochenende in mehr als 4000 Kinos. The Nut Job 2 hat diesen natürlich zerschmettert und wird während seiner gesamten Laufzeit nicht einmal so viel einspielen. Der "B+"-CinemaScore (äquivalent einer "2+") ist zwar solide, doch der Film wird angesichts seines schlechten Schnitts sehr schnell aus den Kinos verschwinden und maximal $23-26 Mio einnehmen. Der Vorgänger startete vor dreieinhalb Jahren mit $19,4 Mio und spielte $64,3 Mio ein. Er war ein kleiner Überraschungserfolg, doch niemand verlangte ernsthaft nach einem Sequel. Was kommt als nächstes? Free Birds 2?

Stephen-King-Adaption Der dunkle Turm stürzte in der zweiten Woche von der Spitze auf Rang 4 und verlor dabei 59,2% ihrer Zuschauer von der Vorwoche. Mit nur $7,8 Mio von Freitag bis Sonntag brachte der Streifen sein vorläufiges Einspiel auf $34,3 Mio nach zehn Tagen. Sogar bei seinem schmalen $60-Mio-Budget (Marketingkosten ausgeschlossen) läuft es für den Film wirklich nicht gut. Die Mundpropaganda ist bestenfalls gemischt, die Kritiken überwiegend negativ und der Film hat einfach nicht den erhofften Must-See-Faktor. Insgesamt wird er etwa $52 Mio in den USA und in Kanada erreichen, bevor der den Charts Adieu sagt.

Auf Seite 2 findet Ihr die neusten Einspielergebnisse von Spider-Man: Homecoming und Planet der Affen: Survival und erfahrt, welche Meilensteine Baby Driver und die DC-Verfilmung Wonder Woman am Wochenende erreichten.

"Marvel’s The Defenders" (2017) Kritik

The Defenders Kritik

Die Kritik ist auf der Basis der ersten vier zur Vergügung gestellten Episoden entstanden.

Die Idee hinter den Marvel-Serien von Netflix war von Anfang an, dass jede Staffel wie ein langer Film ist. Keine der Folgen ist eigenständig, die Geschichte entwickelt sich fortlaufend. Dieser Ansatz war in keiner der bisherigen Serien so deutlich wie bei "The Defenders". Die für die Presse zur Sichtung bereitgestellte erste Staffelhälfte ist eben genau das – die Hälfte eines Ganzen. Sie legt das notwendige, stabile Fundament für einen vielversprechenden und hoffentlich deutlich flotteren finalen Akt. Seit vor fast vier Jahren die Pläne für die vier Solo-Serien, gefolgt von der Ensemble-Miniserie, angekündigt wurden, warten die Fans auf die Zusammenkunft von Daredevil, Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist, um in bester Avengers-Manier gegen einen gemeinsamen Gegner anzutreten. Doch Showrunner Marco Ramirez hat es nicht eilig, das Super-Quartett zusammenzubringen. Tatsächlich vergeht die erste Folge, ohne dass auch nur ein einziger der vier Hauptcharaktere den anderen trifft. Und das ist auch gut so. Wie schon Joss Whedon bei The Avengers, wissen auch Ramirez und sein Co-Autor Doug Petrie, dass ein Zusammenschluss von sehr unterschiedlichen Charakteren nicht erzwungen werden kann, sondern natürlich entstehen muss. Im Gegensatz zu Whedon, der in weniger als zweieinhalb Stunden sein Super-Team zusammenbringen und gegen Loki und seine Chitauri-Armee kämpfen lassen musste, standen den Machern hier mehr als fünf Stunden zur Verfügung und diesen Umstand nutzen sie auch entsprechen aus. Wer also schon fand, dass die letzten Marvel/Serien nur langsam in Fahrt kamen und hoffte, dass durch die kürzere Staffel-Laufzeit (8 statt 13 Episoden), die Defenders bereits von Anfang an die Ärsche der The-Hand-Ninjas versohlen, sollte sich auf einen langsamen, charakterbetonten Einstieg einstellen.

"The Defenders" (2017) Bild 1Es gilt zunächst einmal, die vier Hauptfiguren dort abzuholen, wo sie in ihren Leben zuletzt waren. Matt (Charlie Cox) leidet immer noch unter dem Tod von Elektra (Élodie Yung), engagiert sich als Pro-Bono-Rechtsanwalt und lässt trotz tagtäglicher Versuchungen sein Daredevil-Kostüm im Schrank (wo er auch für den Rest der ersten vier Folgen bleibt). Stattdessen nähert er sich wieder behutsam Karen (Deborah Ann Woll) und seinem ehemaligen Partner Foggy (Elden Henson) wieder an. Jessica Jones (Krysten Ritter) ist nach ihrem Sieg über Kilgrave stadtbekannt und das bringt der immer noch sehr trinkfesten Privatdetektivin unerwünschte Aufmerksamkeit ein. Luke Cage wird nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis als Held von Harlem gefeiert und zelebriert seine Freiheit gleich in horizontaler Lage mit Claire (Rosario Dawson). Doch als Misty (Simone Missick) ihn aufsucht und von einer Reihe toter Jugendlicher aus dem Viertel erzählt, stellt er Nachforschungen an, die ihn auf die Spur einer mächtigen kriminellen Organisation bringen. Längst mittendrin im Kampf gegen The Hand sind Danny Rand alias Iron Fist (Finn Jones) und seine Partnerin/Freundin Colleen (Jessica Henwick).

"The Defenders" (2017) Bild 2

"Iron Fist" war die letzte Marvel-Serie von Netflix und mit Iron Fist und Colleen beginnt auch "The Defenders". Gerade die nicht wenigen Zuschauer, die von der Serie um den milliardenschweren jungen Mann mit der glühenden Faust enttäuscht waren, werden es nicht gerne lesen, doch Danny ist eine Schlüsselfigur für die Handlung von "The Defenders". Möglicherweise um die ansonsten recht ruhigen ersten zwei Episoden auszubalancieren, eröffnet "The Defenders" mit einer Actionszene, in der Danny und Colleen in der Kanalisation in Kambodscha (!) gegen eine verhüllte und unglaublich starke Assassine von The Hand kämpfen. Ironischerweise ist gerade diese Sequenz eine der schwächsten der ersten Staffelhälfte. Es ist ein holpriger, etwas wirrer Auftakt und die schlechte Ausleuchtung sowie mäßige Kampfchoreografie wecken Erinnerungen die "Iron Fist"-Serie. Zwar war jene bei Weitem nicht so schlimm, wie die vernichtenden Kritiken einen vielleicht glauben ließen, doch diverse Vorwürfe, wie zum Beispiel der uninspirierten Actionsequenzen, hatten ihre Berechtigung. Im Prinzip hätte man die Eröffnungsszene aus "The Defenders" weglassen können und hätte nicht viel dabei verloren.

Aber kein Grund zur verfrühten Panik, denn sobald wir wieder in New York sind, geht es aufwärts. Die Serie schaltet einen Gang runter und die jeweiligen Szenen mit Matt Murdock, Jessica Jones und Luke Cage fühlen sich ein wie ein willkommenes Wiedersehen mit alten Freunden an. Die meisten Nebendarsteller aus ihren jeweiligen Serien sind zurück, darunter Eka Darville als Malcolm, Rachael Taylor als Trish, Carrie-Anne Moss als Hogarth, Elden Henson als Foggy und Deborah Ann Woll als Karen, doch man sollte sich nicht zu viel von ihren Auftritten erhoffen. Sie tauchen hauptsächlich in den ersten zwei Folgen auf und bleiben nur so lange wichtig, bis die Pfade der künftigen Defenders konvergieren. Was an den jeweiligen Szenen auffällt, ist, dass sie alle die jeweils sehr unterschiedlichen Stile der drei Serien einfangen. Die Serie meistert das Kunststück, diese individuellen Atmosphären behutsam zusammenzubringen und allmählich in einen einheitlichen Ton hinübergleiten zu lassen. Keine der Hauptfiguren wird bevorzugt behandelt und es fühlt sich nie an, als seien drei der Hauptcharaktere bloß Beiwerk eines vierten.

"The Defenders" (2017) Bild 3

Die Kehrseite der Medaille ist, dass die Serie keinen besonders ausgeprägten eigenen Charakter mehr hat. Gerade dieser spezifische Ton zeichnete jeweils die erste "Daredevil"-Staffel (harte Gangsterserie), "Jessica Jones" (Noir-Feeling) und "Luke Cage" (urbane Harlem-Atmosphäre mit Blaxploitation-Wurzeln) aus. "The Defenders" wirkt mit der Zeit neutral und ähnelt in dieser Hinsicht vor allem "Iron Fist" und der zweiten Hälfte der zweiten "Daredevil"-Season. Mit The Hand als Haupt-Antagonist ist dieser Vergleich auch naheliegend und sobald die zentrale Handlung losgeht, knüpft "The Defenders" eben an diese beiden Serien an. Doch das Fehlen einer hervorstechenden eigenen Identität wird der Serie nicht zum Nachteil, denn im Gegensatz zu den beiden genannten Beispielen, kann sie es durch das Zusammenspiel der vier Hauptcharaktere ausgleichen und es macht einfach einen großen Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Zwar kommt es schon in der zweiten Folge zu vereinzelten Interaktionen (das erste Treffen von Luke Cage und Danny ist super), es ist jedoch nicht vor den letzten Minuten der dritten Folge, dass sie endlich alle aufeinander treffen. Die Geduld wird gleich mit einer gemeinsamen Flur-Kampfszene gegen The-Hand-Handlanger belohnt. Die Choreografie ist klasse, auch wenn die Szene nicht ganz an den unglaublichen One-Take-Flurkampf aus der ersten "Daredevil"-Season heranreicht. Die Szene spiegelt auch gekonnt wider, dass die Charaktere sich gegenseitig und die jeweiligen Kampfstile noch nicht kennen. Sie prügeln sich effizient durch die Horden der Gegner, doch es ist noch keine elegante Teamarbeit. Das wird sich vermutlich noch ändern.

"The Defenders" (2017) Bild 4

Die Highlights liegen jedoch nicht in der gemeinsamen Action, sondern im verbalen Austausch. Nach dem furiosen Einstand als Team, das noch keins ist, wird das Tempo wieder runtergedreht. Obwohl fast eine gesamte Folge in einem chinesischen Restaurant spielt, wird es nie langweilig. Es wird deutlich, dass den Machern mehr daran liegt, eine glaubhafte Beziehung zwischen den Figuren zu etablieren, als sie von einer Actionszene zur nächsten zu schicken. Das funktioniert. Zuzusehen, wie Luke Cage den naiven Danny belehrt, zurechtweist und abwechselnd mit Jessica ungläubige oder bissig-abfällige Bemerkungen über seinen Chi oder seinen Lieblingsspruch "I am the immortal Iron Fist" macht, ist eine reine Freude. Die größte Überraschung ist, dass Finn Jones als der bis dato unsympathischste der vier Einzelhelden (vermutlich mein größtes Problem bei seiner Solo-Serie) im Ensemble aufgeht und sogar Sinn für Humor zeigt. Schockierend, ich weiß. Auch bei Luke Cage zeigt sich wieder, dass er im Team neben anderen noch besser funktioniert als alleine. Colters Darstellung des rechtschaffenen aber widerwilligen Helden ist perfekt und seine Lebenserfahrung bildet einen tollen Kontrast zu Dannys Naivität und dessen Schwarz/Weiß-Denken. Beide Darsteller bringen das Beste in ihrem Gegenüber hervor.

Ritter und Cox bleiben jedoch unschlagbar. Jessicas Fuck-It-Attitüde hat sich seit ihrer eigenen Serie zum Glück kein bisschen verändert und der trockene Humor, die bissigen Kommentaren ("Am I the only one left who doesn’t know karate?") und ihr typisches Augenrollen erinnern einen daran, wie perfekt die Besetzung ist. Cox’ beste Momente zeigen ihn im inneren Kampf gegen den Instinkt, wieder auf die Straßen zu gehen und Kriminelle zu verprügeln. Er ist wie ein trockener Alkoholiker, für den die symbolische Schnapsflasche immer in greifbarer Nähe steht.

Was die Serie schnell klar macht, ist, wie wenig diese vier Gesellschafts-Außenseiter zusammenpassen und daraus zieht sie ihren Reiz. Nach dem ersten gemeinsamen Kampf wollen sie nämlich nichts voneinander wissen, würden am liebsten sofort getrennte Wege gehen und erst gar nicht das T–Wort (Team) hören – natürlich mit der Ausnahme des optimistischen Gutmenschen Danny. Im Gegensatz zu den  (meisten) Avengers, die von vornherein zusammenkamen, um eine große Gefahr für die Welt abzuwenden, sind die Defenders aus sehr unterschiedlichen Beweggründen aneinandergeraten. Bühne frei für Stick (Scott Glenn), der ihnen weiszumachen versucht, dass sie der einzige Schutzwall dieser Stadt vor den skrupellosen Machenschaften von The Hand sind. Matt, Luke und Jessica sind skeptisch (letztere noch mehr als die anderen), doch erste zaghafte Annäherung findet nach und nach statt. Auch hier wird nichts erzwungen, es geschieht langsam und organisch.

"The Defenders" (2017) Bild 5

Die Defenders sollten sich jedoch nicht zu viel Zeit lassen, denn die neue Schurkin Alexandra (Sigourney Weaver) hat es auf jeden Fall eilig, ihren nebulösen, aber mit Sicherheit für die Einwohner von New York gefährlichen Plan umzusetzen. Weavers Ausstrahlung durchdringt natürlich jede ihrer Szenen. Der Charakter nicht so ambivalent und komplex wie Fisk oder so verdammt creepy wie Kilgrave. Dadurch, dass die Drehbücher sie in eine geheimnisvolle Aura umhüllen und nur kleine Informationskrümel über sie preisgeben, ist es nicht so sehr die Figur, die begeistert, sondern die Schauspielerin, die sie spielt. Ihre besten Momente gehören den Interaktionen mit der wiederbelebten und gedächtnislosen Elektra. Bislang reicht die subtile Bedrohlichkeit, die sie verströmt, aus, doch um unter die besten MCU-Bösewichte aufzusteigen, sollte sie in den verbleibenden Episoden etwas mehr Tiefe bekommen und tatkräftiger werden. Dass es dazu noch kommen könnte, wird bereits angedeutet. Élodie Yung hat wiederum einen sehr interessanten Part zu spielen, insofern sie den Charakter von Elektra nach dem kompletten Gedächtnisverlust neu erfinden kann und das Zusammenspiel ihrer fast schon kindlichen Manier und der tödlichen Effizienz als The Hands Superwaffe Black Sky macht sie jetzt schon interessanter, als sie es in "Daredevil" je war. Etwas unklar bleibt jedoch, was genau sie zu einer so wertvollen, angeblich unbesiegbaren Kriegerin für The Hand macht.

"The Defenders" ist zumindest in ihrer ersten Hälfte nicht so tiefgründig, komplex und stilsicher wie "Daredevil" (Staffel 1) und "Jessica Jones" (in meinen Augen das beste Werk, das aus dem gesamten MCU hervorgegangen ist), doch die gelungene Zusammenführung der Helden schafft eine gute Basis für eine Ensembleserie. Vor allem erreicht sie aber das Hauptziel, dass man nach der fantastischen letzten Szene der vierten Folge unbedingt mehr sehen möchte.

Die komplette "Marvel’s The Defenders"-Staffel wird am 18. August bei Netflix veröffentlicht werden.

https://youtu.be/yYaaYoMe62E

Annabelle 2 (2017) Kritik

Annabelle 2 (2017) Filmkritik

Annabele: Creation, USA 2017 • 109 Min • Regie: David F. Sandberg • Mit: Talitha Bateman, Lulu Wilson, Anthony LaPaglia, Miranda Otto, Stephanie Sigman • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 24.08.2017 • Website

Handlung

Wir schreiben das Jahr 1945. Samuel Mullins (Anthony LaPaglia), ein begnadeter Puppenmacher, seine Frau Esther (Miranda Otto) und ihre siebenjährige Tochter Annabelle (Samara Lee) sind eine glückliche Familie. Die kleine Idylle auf dem Land zerbricht, als das Mädchen bei einem Autounfall stirbt. Zwölf Jahre später nehmen die Mullins sechs Waisenmädchen und ihre Aufseherin, Schwester Charlotte (Stephanie Sigman), bei sich auf, nachdem deren Waisenhaus geschlossen wurde. Die Mädchen sind von der geräumigen Bleibe begeistert und lassen sich nicht davon stören, dass Mr. Mullins recht wortkarg ist und Mrs. Mullins nach einem schweren Unfall ihr Zimmer nie verlässt. Janice (Talitha Bateman), die nach einer Polio-Erkrankung eine Beinschiene trägt, und ihre Freundin Linda (Lulu Wilson), das jüngste Kind im Haus, sind die Außenseiterinnen der Gruppe und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Janice ist es auch, die als erste eine unheimliche Präsenz im Haus bemerkt. Diese scheint von einer Puppe auszugehen, die sie in einem Schrank im Zimmer der verstorbenen Tochter der Mullins findet. Nachdem Janice immer mehr von geisterhaften Erscheinungen heimgesucht wird, ist sie davon überzeugt, dass ein böses Wesen nach ihrer Seele trachtet. Doch niemand, außer Linda, die selbst Zeugin paranormaler Aktivitäten wird, schenkt ihr zunächst Glauben.

Kritik

Als Faustregel für viele Filmfans gilt, dass Fortsetzungen grundsätzlich schlechter als Originalfilme sind. Natürlich kann man einwenden, dass es auch Gegenbeispiele wie Das Imperium schlägt zurück oder Der Zorn des Khan gibt, doch dagegen lässt sich argumentieren, dass gerade solche seltenen Ausnahmen die Regel bestätigen. Wie sieht es aber eigentlich mit Prequels aus? Und das auch noch zu Filmen, die von vornherein die Messlatte niedrig anlegten? Dieses Rezept scheint in letzter Zeit im Horrorgenre Wunder zu wirken. Annabelle 2 ist der vierte Film im schnell wachsenden Conjuring-Filmuniversum, das in den nächsten Jahren durch die Spin-Offs The Nun und The Crooked Man und natürlich Conjuring 3 ergänzt werden wird. Doch der Film, mit dem Annabelle 2 vermutlich am häufigsten verglichen werden wird, ist keiner der bisherigen Conjuring-Streifen oder sogar sein direkter Vorgänger, sondern der letztjährige Ouija: Ursprung des Bösen. Das liegt nicht nur an der jungen Darstellerin Lulu Wilson, die in beiden Filmen mitspielt (und zusammen mit ihrer Beteiligung in Erlöse uns von dem Bösen bereits eine beachtliche Karriere im Horrorgenre hinter sich hat). In beiden Fällen handelt es sich um Horror-Prequels, jeweils mit zwei jungen Mädchen in den Hauptrollen. Die größte Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass sowohl Ouija 2 als auch Annabelle 2 nach einem Regiewechsel ihre durchwachsenen Vorgänger locker in den Schatten stellen.

Annabelle 2 (2017) Filmbild 1Ein Prequel zu einem schlechten Prequel über eine Puppe, die wenige Minuten lang im ersten Conjuring-Film auftaucht, liest sich nicht wie ein vielversprechendes Rezept für einen guten Horrorfilm. John R. Leonetti, der Kameramann, der Conjuring und Insidious in atmosphärische Bilder tauchte, hat sich als Regisseur von Annabelle nicht mit Ruhm bekleckert. Dass es kein Ausrutscher war, zeigt aktuell auch sein miserabler neuer Film Wish Upon, der in harte Konkurrenz zu Rings als schlechtester Horrorfilm 2017 tritt. Die entscheidende Zutat, die das Spin-Off-Schiff vom Kentern abbringt, ist David F. Sandberg. Der schwedische Filmemacher feierte letztes Jahr mit der von James Wan produzierten Adaption seines Kurzfilms Lights Out sein Langfilm-Debüt. Im Gegensatz zum rasanten Lights Out, der sein simples wie cleveres Konzept nutzte, um möglichst viele einfallsreiche Jump Scares in seiner knackigen 80-minütigen Laufzeit unterzubringen, nimmt sich Sandberg bei Annabelle 2 reichlich Zeit, um das Setting und die Charaktere einzuführen. Sandberg hat hauptsächlich die richtigen Schlüsse aus den Fehlern von Annabelle gezogen, dessen Aneinanderreihung von "Buh!"-Momenten letztlich nur heiße Luft war, weil die Charaktere in dem Film so mehrdimensional waren wie die titelgebende Puppe. Die beiden Conjuring-Filme funktionierten unter anderem so gut, weil einen das Schicksal des Geisterjäger-Ehepaares und der heimgesuchten Familien interessierte und weil sich die Settings der Filme real anfühlten. Also huldigt Sandberg zumindest in den ersten zwei Dritteln seines Films der Maxime "weniger ist mehr" und lässt verschwommene Silhouetten im Hintergrund auftauchen, Türen knarren und Lichter geheimnisvoll an- und ausgehen. Die Spannung wird aufgebaut und wenn sie sich dann in einem wohligen Gruselmoment entlädt, hat sich der Film das auch redlich verdient. Das gilt auch für das R-Rating des Streifens, der mit einigen überraschend fiesen Einlagen aufwartet.

Annabelle 2 (2017) Filmbild 2Zu verdanken ist das auch den beiden jungen Darstellerinnen Lulu Wilson und Talitha Bateman. Die 11-jährige Wilson spielt die verängstigte, aber resolute Linda mit einer unglaublichen Routine für ihr Alter. Es ist jedoch Bateman (übrigens die perfekte Besetzung, falls Filmemacher demnächst eine jüngere Ausgabe von Jennifer Lawrence suchen), die eine besonders herausfordernde Rolle hat, denn ihre Janice leidet nicht nur unter dämonischen Angriffen, sondern auch unter der Einsicht, dass ihre Chancen, eine Familie zu finden, durch ihre Gehbehinderung sinken. Sie macht eine sehr sympathische Figur und ihre quasi-geschwisterliche Beziehung zu Wilsons Linda fühlt sich sehr natürlich an. Man leidet und fiebert mit den beiden mit. Wenn Janice in die Fänge des Bösen zu entgleiten droht, wird auch Lindas Sorge spürbar, ihre einzige Bezugsperson zu verlieren. Bateman und Wilson spielen ihre erwachsenen Co-Stars und die anderen Mädchen an die Wand. Anthony LaPaglia und Miranda Otto haben ihre Momente, jedoch nicht viel Screentime. Ihre Figuren mögen zwar den ganzen Gruselzirkus in den Gang gesetzt haben, doch Annabelle 2 ist nicht ihre Geschichte.

Annabelle 2 (2017) Filmbild 3Wie schon bei Ouija: Ursprung des Bösen sollte auch bei Annabelle 2 der große Qualitätskontrast zum Vorgänger nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das Prequel unter eigenen Fehlgriffen leidet. Sandberg ist ein Regisseur mit Potenzial und sicherlich eine gute zweite Wahl, wenn James Wan gerade nicht verfügbar ist, doch seinen Bemühungen und einer vergleichbar altmodischen Herangehensweise zum Trotz, schafft er es nicht, eine ähnlich dichte, permanente Gänsehaut-Atmosphäre heraufzubeschwören, wie die beiden Conjuring-Teile. Die Probleme kommen, wie so häufig bei Horrorfilmen, vor allem im letzten Akt zum Tragen. Die Zurückhaltung wird darin über Bord geworfen und es zeigt sich wieder einmal, dass wenn das Böse die körperliche Form eines gehörnten Dämons einnimmt (den wir bereits in Annabelle kennenlernen durften), der Gruselfaktor flöten geht. Gefahren, deren Aussehen man in keiner Weise in der realen Welt verorten kann, wirken einfach nicht so bedrohlich. Deshalb ist die Annabelle-Puppe selbst auch von einer unheimlichen Aura umgeben, weil sie eben nicht ihren Opfern durch Flure hinterher rennt. Es sind minimale Veränderungen oder kaum sichtbare Bewegungen, die ihren Gruselfaktor ausmachen. In seinem lauten Finale setzt der Film vornehmlich auf Jump Scares, von denen jedoch nur manche zünden.

Wer einen angenehm gruseligen Abend im Kino sucht, kann mit Sicherheit eine schlechtere Wahl als Annabelle 2 treffen. Obwohl der Film übrigens die Probleme seines Vorläufers vermeidet, ignoriert er dessen Handlung keineswegs, sondern schließt gekonnt die Lücke zwischen den beiden Filmen, wie ein passendes Puzzlestück im Conjuring Cinematic Universe. Darüber hinaus bereitet er sogar unaufdringlich den nächsten Spin-Off-Film vor, in dem der gruselige Nonnen-Dämon aus Conjuring 2 ins Rampenlicht rücken wird. Solange die Qualität zumindest auf dem Niveau von Annabelle 2 bleibt, bin ich für alles offen, was uns dieses neue Kinouniversum noch bescheren wird.

Fazit

Annabelle 2 ist ein für Horrorfans sehenswerter Beitrag zum Conjuring-Franchise, der durch altmodischen Grusel und zwei tolle junge Hauptdarstellerinnen den bitteren Nachgeschmack seines missratenen Vorgängers erfolgreich vergessen lässt. Allerdings kann auch Regisseur David F. Sandberg nicht alle dessen Fehler vermeiden und die Klasse der James-Wan-Filme erreichen.

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Der dunkle Turm (2017) Kritik

Der dunkle Turm (2017) Filmkritik

The Dark Tower, USA 2017 • 95 Min • Regie: Nikolaj Arcel • Mit: Idris Elba, Matthew McConaughey, Tom Taylor, Abbey Lee, Kathryn Winnick, Jackie Earle Haley, Frank Kranz • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 10.08.2017 • Deutsche Website

Handlung

Der dunkle Turm, ein hoch in den Himmel hinaufragendes, mystisches Bauwerk, ist der Nexus aller Welten, und so lange er steht, beschützt er sie vor den Dämonen, die in der unendlichen Dunkelheit außerhalb des Universums lauern. Der mächtige Zauberer Walter Paddick alias Der Mann in Schwarz (Matthew McConaughey) versucht schon lange, den Turm zu stürzen und der Finsternis den Weg in unsere und andere Welten zu ebnen. Dazu benötigt er telepathisch begabte Kinder, mit deren Hilfe der Turm zum Einsturz gebracht werden kann. Seine Lakaien, humanoide Wesen mit Tierköpfen, die ihre wahre Natur unter Masken aus menschlicher Haut verbergen, entführen für ihn solche Kinder aus verschiedenen Welten, doch der Turm hält den Angriffen stand. Die Schlüssel könnte der 11-jährige Jake Chambers (Tom Taylor) aus New York sein, dessen "Shine" besonders ausgeprägt ist und der seit geraumer Zeit von Visionen des Turms, des Mannes in Schwarz und seines Widersachers, des Revolvermannes, geplagt wird. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern durchquert Jake ein Portal in eine andere Welt, wo er auf den Revolvermann aus seinen Träumen trifft. Roland Deschain (Idris Elba) ist der letzte aus einer langen Linie von Revolvermännern, treffsicheren Kriegern und Beschützern des Turms. Doch Roland wird bei seiner Suche nach dem Mann in Schwarz nicht von edlen Motiven angetrieben, sondern von Rachegelüsten, denn Walter tötete einst seinen Vater. Mithilfe von Jakes Visionen hofft er, herauszufinden, wo sich Walters Unterschlupf befindet.

Kritik

Stellt Euch vor, es gibt ein weltberühmtes Kochbuch, voll mit exquisiten, außergewöhnlichen Rezepten aus ungewöhnlichen Zutaten. Nach diesem Buch, das seit Jahrzehnten bekannt ist, kann man ein ganzes Festessen kochen, mit Vorspeisen, Hauptspeisen und Desserts, die jedem Gourmet das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen würden. Doch die Rezepte sind so kompliziert, dass die Köche sich jahrelang nicht an sie herantrauen. Mehrere Restaurants nehmen sich das Kochbuch vor und über ein Jahrzehnt wechselt es die Hände von einigen der berühmtesten Köche der Welt, die Euch versprechen, aus der umfangreichen Auswahl der Vorlage, ein Menü zusammenzustellen. Irgendwann, nachdem Ihr die Hoffnung fast schon aufgegeben habt, ist es endlich so weit. Die Köche kündigen eine Weiterentwicklung der Rezepte aus dem Buch an. Ihr kommt erwartungsvoll ins Restaurant und der Kellner bringt das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen an den Tisch. Es ist ein Schnitzel mit Pommes. Das Schnitzel ist ein wenig trocken, den Pommes fehlt das Salz. Es ist alles noch essbar, füllt auch den Magen, doch habt Ihr die ganze Zeit wirklich darauf gewartet?

So in etwa lässt sich das Kinoerlebnis bei Der dunkle Turm beschreiben. Die lange erwartete Adaption des ultrakomplexen, genreübergreifenden achtteiligen Roman-Zyklus von Stephen King ist nicht der schlechteste Film des Jahres, aber angesichts seines durch die Vorlage gegebenen Potenzials definitiv der enttäuschendste. Es war schon immer klar, dass jegliche Verfilmung dieses Mammutwerks vor einer gigantischen Herausforderung stehen würde. Der dunkle Turm in den Romanen ist nicht nur das Objekt von Roland Obsession und die Schnittstelle aller Welten, sondern steht auch symbolisch für den Dreh- und Angelpunkt von Stephen Kings gesamtem Lebenswerk. Fast alle Romane in Kings langer Karriere sind auf die eine oder andere Weise mit der "Turm"-Reihe verbunden. Diese Verbindungen reichen von beiläufigen Bemerkungen und kleinen Querweisen bis hin zu Charakteren aus anderen Romanen, die bei "Der dunkle Turm" ebenfalls eine Rolle spielen. Sogar sich selbst hat Stephen King als Figur in dem Zyklus verewigt. Wenn man vor so einer detailliert ausgearbeiteten Meta-Welt steht, in der sogar die Fans manchmal den Überblick verlieren, wo fängt man bei einer Adaption überhaupt an, um sowohl die Kenner der Vorlage zufriedenzustellen als auch Nicht-Eingeweihten einen Zugang zur Materie zu ermöglichen?

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 1Es ist die ewige Frage nach der Vorlagentreue auf der einen und Kompromissen für die cineastische Umsetzung auf der anderen Seite. Zum Glück bot sich dem dänischen Regisseur Nikolaj Arcel (Die Königin und ihr Leibarzt), der mit dem Film sein englischsprachiges Debüt feiert, ein durch die Natur des Roman-Zyklus gegebenes Schlupfloch (wer die Romane gelesen hat, weiß, was damit gemeint ist) – der Film wurde kurzerhand als eine Fortsetzungsgeschichte der Romane deklariert, die zugleich aber auch viele Elemente aus der Vorlage adaptieren konnte, ohne sich dabei strikt an die chronologische Abfolge halten zu müssen. Dieser Ansatz wurde für die Macher zu ihrer eigenen "Du kommst aus dem Gefängnis frei"-Karte, um jede beliebige Veränderung, Anpassung oder Auslassung zu rechtfertigen. Doch die Ausrede einer Fortsetzung rechtfertigt kein Drehbuch, das sich anfühlt, als hätte man die Geschichte durch den Schredder gejagt und danach hastig wieder zusammengeklebt, und sie entschuldigt auch nicht eine willkürliche Veränderung des Grundtons der Romane (die staubtrockene Western-Atmosphäre sucht man vergeblich) und der Motive der Charaktere.

Roland Deschain ist in den Romanen ein komplexer, über weite Strecken durchaus unsympathischer Antiheld, der von seiner Besessenheit angetrieben wird, den dunklen Turm zu erreichen. Er sollte ein überlebensgroßer, beinahe mythischer Charakter sein, nicht bloß ein Revolverheld, der schnell ziehen, schießen und nachladen kann. Im Film ist sein Hauptmotiv lediglich Rache, eine Idee, die für viele Zuschauer vielleicht leichter nachvollziehbar ist, die die Figur aber ihrer Besonderheit beraubt. Idris Elba ist adäquat besetzt. Er hat die Ausstrahlung und das Charisma eines innerlich gequälten, äußerlich stoischen einsamen Wolfs und spielt im Prinzip wieder seine Paraderolle John Luther im Gewand eines Westernhelds. Das Skript lässt Elba jedoch trotz seiner besten Bemühungen im Stich. Die Bande, die Roland mit Jake knüpft, soll das Herzstück des Films darstellen, doch das geschieht so sprunghaft und beliebig, dass sie sich einfach nicht natürlich anfühlt. In einem Moment will er von dem Jungen nichts wissen, im nächsten setzt er alles daran, um ihn zu beschützen. Immerhin sorgen Elbas Szenen in New York für amüsante fish-out-of-water-Momente, wenn er einen Hotdog isst oder Bus fährt.

Auch Matthew McConaughey ist als Rolands Erzfeind gut getroffen, bleibt als Charakter jedoch extrem eindimensional. Doch das scheint den Oscarpreisträger wenig zu stören. McConaughey spielt lässig, affektiert, genüsslich böswillig, mit Darth-Vader-esken Kräften und absoluter Gleichgültigkeit gegenüber allem, was um ihn herum geschieht, als würde er in einem anderen Film auftreten als der Rest der Besetzung. Man hat den Eindruck, als ginge ihm die gesamte Mythologie am Allerwertesten vorbei und er tauchte nur auf, weil er Lust hatte, mal so richtig böse zu spielen. Erinnerungen an seine genial schmierige Performance in Killer Joe werden spätestens dann wach, wenn sich Walter mal eben Hähnchenfleisch brät, während er auf seine nächsten Opfer wartet.

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 2Der Löwenanteil der kurzen Laufzeit des Films gehört allerdings keinem der beiden gestandenen Darsteller, sondern dem Newcomer Tom Taylor als Jake. Er spielt seinen Part glaubwürdig und engagiert, doch diese weitere in einer langen Reihe von Fehlentscheidungen degradiert Roland und Walter beinahe zu Randfiguren und grenzt deren bereits engen Entfaltungsspielraum weiter ein. Die eigentlichen Nebencharaktere, die aus diversen Teilen der Romanreihe hier zusammengebracht werden, bleiben völlig bedeutungslos, deren Besetzung durch namhafte Darsteller wie Dennis Haysbert, Fran Kranz oder Jackie Earle Haley komplett vergeudet.

Woran der Film jedoch hauptsächlich scheitert, ist der Versuch, Stephen Kings komplexes Universum in dem Film nachzubauen. Egal wie abgefahren, absurd oder fantastisch die gezeigte Welt ist, der Zuschauer muss sie als in sich schlüssig und innerhalb des Films glaubwürdig wahrnehmen. Wenn man Peter Jacksons Der-Herr-der-Ringe-Filme anschaut, wird man jeweils für drei Stunden nach Mittelerde entführt. Sieht man die Star-Wars-Reihe, taucht man in die weit, weit entfernten Galaxis ein. Das nennt man Worldbuilding und während seiner atemlosen Hatz zwischen den Welten, vergisst der Film, dass dies das A und O des Fundaments eines jeden Franchises ist. Ein Schriftzug klärt uns zu Filmbeginn darüber auf, dass der dunkle Turm alle Welten zusammenhält und nur der Verstand eines Kindes ihn zum Einsturz bringen kann. Es wird davon ausgegangen, dass diese trocken mitgeteilte Information einfach als solche angenommen und nicht hinterfragt wird. Warum genau der Mann in Schwarz die Dunkelheit über die Welt hereinbrechen lassen will, bleibt vage. Irrelevant ist für die Macher auch die Frage, wer Walters Handlanger sind und was sie davon haben, dass der Turm gestürzt wird. Das ist nicht etwas, was sich durch "warte bis zum nächsten Film" wegerklären lässt.

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 3In einer Zeit von aufgeblähten Blockbustern spricht nichts gegen einen kurzen und knackigen Film ohne unnötigen Ballast und man muss Der dunkle Turm lassen, dass der Streifen durch sein sehr flottes Tempo keine Langeweile aufkommen lässt. Die Filmlänge bestimmt an sich nicht die Filmqualität, doch wenn jemand Tolstois "Krieg und Frieden" als 90-Minüter verfilmt, sollte man mit Fug und Recht skeptisch sein. Die Welt, die hier erschaffen wird, hat keine Luft zum Atmen. Wenn ein Film dieses Jahr von einer zusätzlichen halben Stunde profitiert hätte, dann dieser. Das hätte nicht alle Probleme des Films geglättet, doch es wäre zumindest der Grundstein, auf dem man später aufbauen könnte. Alles hier ist furchtbar routiniert, zweckmäßig und flüchtig. Symbolisch für diese augenscheinliche Lieblosigkeit ist der große Showdown des Films, der in einem absolut nichtssagenden Lagerhaus stattfindet und optisch so wirkt, als handle es sich dabei um eine nicht verwendete Szene aus einem Underworld– oder Resident-Evil-Sequel (es ist kein Zufall, dass beide ebenfalls Sony-Produktionen sind). Kompetent inszeniert, aber auch austauschbar. Neben anderen Mängeln wird anhand dieser Szenen auch das begrenzte Budget des Films recht offensichtlich, doch andere Regisseure haben auch aus geringeren Mitteln mehr gemacht.

Um die Fans zu beschwichtigen, warten auf sie in dem Film an jeder Ecke Referenzen und Anspielungen auf andere King-Werke, wie "Shining", "Es", "Zimmer 1408" oder "Brennen muss Salem". Auch der wahre Antagonist des Roman-Zyklus, der scharlachrote König, bekommt mittels eines Schriftzugs und eines bekannten Symbols eine Erwähnung. Der mittlerweile legendäre Eröffnungssatz des ersten Romans wird weitgehend zusammenhangslos in den Raum geworfen. Es ist, als ob die Filmemacher erwarten, dass jeder Fan in Freude ausbricht, wenn er die zahlreich verstreuten Easter Eggs bemerkt. Doch solche Querverweise bedeuten wenig, wenn ihnen keine weitere Bedeutung zukommt. Für alle, die die Bücher nicht kennen, bleiben sie bestenfalls belanglos, schlimmstenfalls verwirrend.

Völlig von seiner Vorlage losgelöst, ist Der dunkle Turm ein passabler, anspruchsloser und sehr generischer Science-Fantasy-Actionstreifen mit guten Darstellern, einem unausgegorenen Drehbuch und einer routinierten, aber leidenschaftslosen Regie. Kann man schauen, muss man nicht, und wenn man es tut, wird man das meiste schnell vergessen. Das hätte nicht so kommen müssen. Man traut sich kaum noch, das in heutiger Zeit zu hoffen, aber wie wäre es mit einem Reboot mit gleichen Darstellern, aber etwas größeren Ambitionen?

Fazit

Die Simplifizierung der Themen von Stephen Kings opulenter Saga zu einem austauschbaren, 90-minütigen, leidlich unterhaltsamen 08/15-Actionfeuerwerk tut niemandem einen Gefallen und verschwendet die beiden gut besetzten Hauptdarsteller. Für die Kenner der Vorlage ist Der dunkle Turm ein Affront, der sein mangelndes Verständnis von dem, was die Romane ausmacht, durch lose zusammengewürfelte Versatzstücke aus mehreren Teilen der Reihe und Querverweisen zu anderen Stephen-King-Werken zu kaschieren versucht. Für alle anderen ist das rasante, sprunghafte Worldbuilding einfach nur wirr.

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Box-Office USA: Dunkirk startet sehr erfolgreich auf Platz 1

Dunkirk Box Office

© 2017 Warner Bros. Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Dank zwei starken Neustarts ging es vergangenes Wochenende wieder hinauf an den nordamerikanischen Kinocharts. Die Top 12 setzte insgesamt $176 Mio um – 11% mehr als in der Vorwoche, jedoch 4% weniger als am gleichen Wochenende im Vorjahr, als Star Trek Beyond auf Platz 1 eröffnete. In den nächsten Wochen wird das US-Box-Office mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutliche Rückgänge gegenüber 2016 verzeichnen, da in den verbleibenden Sommerwochen keine Filme anlaufen, die mit Jason Bourne ($162,4 Mio) oder Suicide Squad ($325,1 Mio) aus dem letzten Jahr mithalten können werden.

Christopher Nolan hat erneut bewiesen, dass kaum ein anderer Regisseur heutzutage alleine schon mit seinem Namen die Zuschauer so wirkungsvoll in die Kinos ziehen kann wie er. Sein spannungsgeladenes Kriegsepos Dunkirk verbuchte $50,5 Mio von 3720 Spielstätten und erzielte einen Schnitt von $13579 pro Kino. Davon entfielen unglaubliche $11,7 Mio (23% des Gesamteinspiels) auf IMAX-Vorstellungen in nur 402 Kinos. Dunkirk ist der sechste Nummer-1-Start in Nolans Karriere und sein vierterfolgreichstes Startwochenende, nach The Dark Knight Rises ($160,9 Mio), The Dark Knight ($158,4 Mio) und Inception ($62,8 Mio). Wichtig anzumerken ist auch, dass Dunkirk trotz seiner beeindruckenden Maßstäbe Nolans kostengünstigster Film seit The Prestige – Meister der Magie war und "nur" knapp $100 Mio Produktionsbudget hatte. Zum Vergleich: Interstellar kostete rund $165 Mio und Inception $160 Mio. Besonders bemerkenswert ist auch, dass Dunkirk wie ein Sommerblockbuster an den Kinokassen angelaufen ist. Nur ein einziger regulärer Kriegsfilm hatte ein noch größeres Startwochenende – Pearl Harbor mit $59,1 Mio. Dunkirk gelang der Riesenstart jedoch ohne jegliche zugkräftige Stars im Marketing und ohne eine US-amerikanische Perspektive im Film. Mit Der Soldat James Ryan gab es natürlich einen weiteren im Sommer gestarteten, sehr erfolgreichen Film über den Zweiten Weltkrieg. Steven Spielbergs Streifen lief 1998 mit $30,6 Mio an und spielte insgesamt $216,5 Mio ein. Inflationsbereinigt beläuft sich sein Startwochenende sogar auf knapp $58 Mio. Doch Der Soldat James Ryan hatte mehrere Vorteile gegenüber Dunkirk – die Kombination aus dem damals erfolgreichsten Regisseur der Welt mit dem erfolgreichsten Hollywood-Star der Welt und eine sehr US-amerikanische Sicht auf den Krieg. Dunkirk war nicht ganz so leicht zu vermarkten und es ist hauptsächlich Nolans aufgebautem Ruf als meisterhafter Geschichtenerzähler und den überwältigend positiven Rezensionen zu verdanken, dass er so erfolgreich anlief.

Nach dem gelungenen Start, richtet sich jetzt der Blick in die Zukunft. Wie weit wird Dunkirk an den Kinokassen kommen? Die Vorzeichen für eine lange Laufzeit sind da. Nolans letzten beiden Originalfilme zeichneten sich durch sehr stabiles Durchhaltevermögen an den Kinokassen aus. Wenn sich Dunkirk so hält wie Interstellar, wird er knapp $200 Mio in Nordamerika erreichen, wenn es eher wie bei Inception zugeht, werden es $235 Mio sein. Nicht nur Kritiker, sondern auch Kinogänger liebten den Film und bewerteten ihn im Schnitt mit einem "A-"-CinemaScore (äquivalent einer "1-"). Das ist besser als die Zuschauerwertung von Inception und Interstellar, die jeweils eine "B+" (äquivalent einer "2+") erhielten. Das überwiegend ältere Zielpublikum des Films (76% über 25) ist ebenfalls ein Zeichen dafür, dass der Film sich lange in den Charts halten sollte, weil diese Kinogänger in der Regel nicht alle am Startwochenende die Kinos stürmen. Darüber hinaus ist der August relativ konkurrenzfrei. Dunkirk wird außerdem davon profitieren, die IMAX-Leinwände bis September für sich zu haben. Andererseits ist der Film durch seine grimmige Intensität und nichtlineare Erzählstruktur weniger unterhaltsam als Inception, was der Mundpropaganda ein wenig schaden könnte. Ein Gesamteinspiel von mehr als $200 Mio in Nordamerika sollte aber auf jeden Fall möglich sein. Während der Oscar-Saison könnte der Film außerdem einen zweiten Wind bekommen. Dunkirk sollte insgesamt etwa $210-225 Mio einspielen und hat damit das Potenzial, zum umsatzstärksten Film über den Zweiten Weltkrieg zu werden.

Ein noch größerer Überraschungserfolg war am Wochenende jedoch die Mädels-Komödie Girls Trip, die mit $31,2 Mio von nur 2591 Kinos (im Schnitt $12042 pro Kino) auf Rang 2 angelaufen ist. Der hauptsächlich an ein afroamerikanisches, weibliches Publikum gerichtete Ensemble-Film mit Jada Pinkett Smith, Queen Latifah und Regina King kostete lediglich $19 Mio und erhielt von den Zuschauern den seltenen "A+"-CinemaScore (äquivalent eienr "1"), der nur ganz wenigen, besonders beliebten Filmen vorbehalten ist. Der Film hat sein Publikum zielgenau getroffen – die Zuschauer am Starttag waren zu 59% afroamerikanisch und zu 79% weiblich. Regisseur Malcolm D. Lee ist damit schon der dritte Comedyhit in Folge gelungen, nach Barbershop: The Next Cut ($54 Mio) und The Best Man Holiday ($70,5 Mio). Normalerweise würde eine so positive Zuschauerwertung bei einer Komödie eine sehr lange Laufzeit an den Kinokassen vorhersagen. Ein guter Vergleich wäre Bad Moms aus dem letzten Jahr, der mit $23,8 Mio startete und insgesamt $113,3 Mio einspielte. Allerdings sind afroamerikanisch-ausgerichtete Komödien tendenziell auch bei positiver Mundpropaganda eher frontlastig. Denk wie ein Mann lief vor fünf Jahren mit $33,6 Mio an und erhielt einen "A"-CinemaScore, schaffte es aber nicht bis $100 Mio und beendete seine Box-Office-Performance mit $91,5 Mio. Girls Trip dürfte sich angesichts der sehr positiver Kritiken und mangels Comedy-Konkurrenz in den nächsten Wochen besser halten und $95-110 Mio erreichen, was auf jeden Fall genug für ein Sequel ist.

Spider-Man: Homecoming fiel um einen Platz runter auf Rang 3 und verlor fast die Hälfte seiner Zuschauer von der Vorwoche. Der Superheldenfilm baute 49,9% ab und Schuld daran war nicht nur die Konkurrenz von Dunkirk und, vor allem, Valerian, sondern auch der Verlust der IMAX-Leinwände an Christopher Nolans Film. Mit $22,2 Mio von Freitag bis Sonntag brachte der Streifen sein vorläufiges Gesamteinspiel auf $251,9 Mio und steht nur knapp $10 Mio davon entfernt, The Amazing Spider-Man ($262 Mio) zu überholen. Sam Raimis Spider-Man-Filme, die alle jeweils zwischen $336,5 Mio und $403,7 Mio einspielten, wird Spider-Man: Homecoming nicht mehr einholen. Dafür hat er sich an seinem zweiten und dritten Wochenende trotz positiver Mundpropaganda einfach nicht gut genug gehalten. Dennoch ist der Erfolg des Films ein weiterer Triumph für das Marvel Cinematic Universe. Im Laufe des nächsten Monats wird Homecoming als neunten MCU-Film die $300-Mio-Marke in den USA und in Kanada überschreiten. Insgesamt winken dem Film etwa $310-320 Mio, was definitiv ein guter Start für das neue Spider-Man-Franchise ist, insbesondere nachdem die letzten beiden Spidey-Filme nicht einmal in die Nähe von $300 Mio kamen. Weltweit hat der Film bereits mehr als $550 Mio nach drei Wochen eingenommen und steuert auf mehr als $800 Mio zu.

Auf Seite 2 findet Ihr Informationen zum enttäuschenden Start von Luc Bessons Valerian und die neusten Einspielergebnisse von Wonder Woman und Ich – Einfach unverbesserlich 3.

Dunkirk (2017) Kritik

Dunkirk (2017) Filmkritik

Dunkirk, USA/GB/NL/FR 2017 • 106 Min • Regie: Christopher Nolan • Mit: Fionn Whitehead, Mark Rylance, Cillian Murphy, Tom Hardy, Aneurin Barnard, Kenneth Branagh, James D’Arcy, Harry Styles • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 27.07.2017 • Deutsche Website

Handlung

Im Mai 1940 scheint Hitlers Plan zur Eroberung Europas aufzugehen. Die Wehrmacht drängt die alliierten Streitkräfte aus Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Kanada an die französische Küste des Ärmelkanals zurück. Eingekesselt vom übermächtigen Feind, der in regelmäßigen Abständen Bomben auf sie herabregnen lässt, warten etwa 400.000 demoralisierte Alliierte an den Stränden von Dünkirchen auf ein Wunder. Die rettende britische Küste ist nur 26 Meilen entfernt, doch Evakuierungsversuche werden von deutschen Fliegern und U-Booten erschwert, die die britischen Schiffe versenken. An Land versucht der traumatisierte junge Soldat Tommy (Fionn Whitehead) verzweifelt in die Heimat zu entkommen. Auf der See macht sich Mr. Dawson (Mark Rylance) gemeinsam mit seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) und dessen Schulkameraden George (Barry Keoghan) mit seiner kleinen Yacht nach Dünkirchen auf, um bei der Rettungsaktion zu helfen. In der Luft muss RAF-Pilot Farrier (Tom Hardy) in seiner Spitfire für die sichere Überfahrt der Schiffe über den Ärmelkanal sorgen und Luftkämpfe mit der deutschen Luftwaffe austragen. Die Zeit rennt allen davon und vom Erfolg von Operation Dynamo, wie die Evakuierung genannt wurde, hängen nicht nur Hunderttausende Soldatenleben ab, sondern auch die Zukunft Westeuropas.

Kritik

"Wir haben nur überlebt."
"Das ist genug."

Dunkirk (2017) Filmbild 1Dieser Austausch, der am Ende von Dunkirk zwischen einem heimgekehrten britischen Soldaten und einem alten Mann, der ihn am Hafen empfängt, stattfindet, fasst den Kern von Christopher Nolans zehntem Film zusammen. Es gibt keine großen Siege, aufwühlenden Reden oder jeglichen Pathos in dem Film. Auch wenn die Evakuierung von Dünkirchen, in deren Verlauf knapp 340.000 Soldaten nach Großbritannien gerettet werden konnten und damit der Gefangennahme entgingen, ein logistischer Triumph war, geht es in dem Film vordergründig nicht darum. Hier geht es um das nackte Überleben. Es sind die kleinen Dinge, die hier zählen. Natürlich stand damals sehr viel auf dem Spiel. Wären die Streitkräfte nicht rechtzeitig evakuiert und stattdessen von der Wehrmacht überrannt worden, wären die Auswirkungen für den weiteren Kriegsverlauf verheerend und wir würden möglicherweise heute in einer anderen Welt leben. Doch die traumatisierten und offenbar schlecht vorbereiteten Soldaten, die am kargen Strand von Dünkirchen auf ihre Rettung oder den Tod warten, haben keinen Kopf für das große Ganze. In ihren zermürbten, apathischen Gesichtern, in ihren über die Niederlage beschämten Blicken, spiegelt sich nur Ungewissheit darüber wider, was sie in absehbarer Zeit erwartet. An die nächsten Monate und Jahre ist nicht zu denken, wenn man nicht weiß, ob man die nächsten Stunden überstehen wird. Überleben ist die größte Leistung, die die jungen Männer in ihrer augenscheinlich ausweglosen Situation erbringen können.

Dunkirk (2017) Filmbild 2Als Christopher Nolan Dunkirk als seinen nächstes Projekt auserkoren hat, breitete sich unter einigen seiner Fans die Sorge aus, dies könnte das Zugeständnis des Meisterregisseurs an die Erwartungen der Academy sein, um endlich die längst verdiente Oscarnominierung als Regisseur zu ergattern. Es gibt schließlich kaum ein Filmgenre, das so Oscar-freundlich ist, wie der Kriegsfilm. Der Gedanke, dass der idiosynkratische Filmemacher, der das Superheldenkino revolutionierte und einige der besten Science-Fiction-Filme der letzten Jahrzehnte erschuf, dem phantastischen Kino zugunsten eines Historienfilms den Rücken kehren würde, stimmte so einige missmutig. Spätestens nach Quentin Tarantinos Geschichtsrevision Inglourious Basterds schien nichts mehr aus dem Zweiten Weltkrieg zu holen zu sein, was nicht irgendwie schon ausgelutscht war. Dunkirk beweist jedoch, dass es nicht auf das Thema ankommt, sondern auf die Person, die es umsetzt. Der Film spielt im Krieg, doch er ist kein klassischer Kriegsfilm. Genau genommen ist Dunkirk ein Kriegsfilm, wie es ihn zuvor noch nie gegeben hat. Christopher Nolan mag sich vielleicht ein bekanntes Thema ausgewählt haben und verfilmte erstmals reale Ereignisse, doch Dunkirk ist kein typischer Oscar-Hoffnungsträger, sondern ein Nolan-Film durch und durch. Man könnte sogar sagen, dass durch die Verdichtung der Handlung auf knackige 106 Minuten, Nolans Fingerabdruck noch mehr zum Vorschein kommt, als in allen seinen bisherigen Filmen.

Dunkirk (2017) Filmbild 3Ob in Memento, Inception oder Interstellar – die Zeit und ihr Ablauf haben Nolan schon häufig in seinen Filmen beschäftigt und fasziniert. Diese Faszination übertrug er auch auf sein neustes Szenario. Anstatt einer klassischen Geschichte mit drei Akten, ist Dunkirk ein Film von drei Zeitebenen. Während für die Soldaten an Land eine Woche vergeht, verbringt der Hobby-Segler Mr. Dawson einen Tag auf See und Tom Hardys Kriegspilot lediglich eine Stunde in der Luft. In der nichtlinearen Erzählstruktur des Films, in der diese drei Zeitebenen miteinander konvergieren und dann wieder auseinanderdriften, zerfließt und verschwindet jegliches Zeitgefühl. Man stelle sich Memento als Kriegsfilm vor, nur dass die Zeit nicht rückwärts fließt, sondern in wechselnder Geschwindigkeit. Wir treffen auf die gleichen Charaktere zu unterschiedlichen Zeitpunkten und sehen einige Ereignisse aus mehreren Blickwinkeln, wobei sich mit jedem neuen Blick weitere Details eröffnen, bis sich alles zu einem stimmigen Bild zusammenfügt.

Es ist eine sehr ambitionierte Herangehensweise, die zum wiederholten Anschauen des Films anregt (man wird den Film beim zweiten Mal sicherlich mit anderen Augen sehen als beim ersten). Dass die einzelnen Erzählstränge nahtlos ineinander übergehen und der Film trotz seiner Triptychon-Struktur wie aus einem Guss wirkt, ist der gut durchdachten Vision von Christopher Nolan zu verdanken. Es ist vielleicht noch zu früh, Dunkirk als Nolans besten Film zu erklären, doch handwerklich war der Regisseur noch nie besser als hier. Er ist der Komponist dieser Symphonie von einem Film und als Dirigent hat er sein Orchester fest im Griff. Wie in einem perfekt abgestimmten Uhrwerk greift jedes Rädchen hier ins andere und der komplexe Mechanismus funktioniert einwandfrei. Und wenn Ihr an dieser Stelle die Nase von pseudointellektuellen Metaphern voll habt – es ist ein verdammt gut gemachter Film und ein weiterer Beleg dafür, dass Nolan ein visionärer Regisseur ist, der in die Filmgeschichte eingehen wird. In Inception sprachen die Charaktere von Paradoxen, mit Dunkirk hat Nolan einen Film erschaffen, der in sich ein Paradox ist. Es ist ein Film von unglaublichen, großen Bildern, die die gigantischen Ausmaße der Lage hervorheben. Zugleich ist es in Essenz auch Nolans kleinster Film seit Memento, indem er spezifische Aspekte aus dieser großen Geschichte herauspickt und diese intensiv betrachtet.

Dunkirk (2017) Filmbild 5Die visuelle Kraft, die Dunkirk auf der Leinwand entfaltet, sucht ihresgleichen. Nolans Ideen sind zwar stets alles andere als gewöhnlich, doch handwerklich versteht er sich als Traditionalist. Das bedeutet, dass auf Computereffekte zugunsten von echten Flugzeugen, Schiffen, Explosionen und Statisten weitgehend verzichtet wurde. Auch wenn digitale Effekte sicherlich hier und da zum Einsatz kamen, ist in keiner einzigen Szene des Films CGI erkennbar zu sehen. Die spektakulären Luftkämpfe im Film wurden mit echten, restaurierten Flugzeugen aus der Ära gedreht und das sieht man dem Film auch an. Die sparsam eingesetzte Action wird dadurch umso effektiver, greifbarer und mitreißender. Hoyte van Hoytema, der den ganzen Streifen auf großformatigen 65mm-Film gebannt hat, kann schon anfangen, seine Oscarrede zu schreiben, denn man wird dieses Jahr vermutlich keine Aufnahmen im Kino sehen, die so atemberaubend sind wie seine. Das gilt gleichermaßen für die actionreichen wie auch die ruhigen Momente des Films. Beim Anblick riesiger träger Menschenmassen vor rauer See, die die Trostlosigkeit und die Isolation spürbar einfangen, des langsamen Sinkflugs eines Kampffliegers im Sonnenlicht, oder der unendlichen Weite der See, kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Dunkirk (2017) Filmbild 4Doch Dunkirk ist nicht nur ein Spektakel, der Film ist auch eine Lehrstunde in meisterhafter Spannungserzeugung mit simplen Mitteln. Diese beginnt bereits in der allerersten Szene, in der erschöpfte, durstige Soldaten durch die malerischen Straßen von Dünkirchen irren und plötzlich von deutschen Kugeln nacheinander erwischt werden, während sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Es ist eins von Nolans vielen Talenten, die Zuschauer bereits mit der ersten Szene seiner Filme mitten ins Geschehen zu katapultieren – man denke an den spektakulären Bankraub in The Dark Knight oder den Gedankenraub in Inception – und das gelingt ihm auch in Dunkirk, ohne dass er dafür diesmal aufwendige Effekte oder große Action benötigt. Nur einige verängstigte Männer und Kugeln, die von einem unsichtbaren Feind kommen. Überhaupt sind die Deutschen in dem Film, bis auf Silhouetten in einer einzigen Szene, nie zu sehen. Dennoch sind sie omnipräsent. Ihre Bomben vom Himmel, ihre Torpedos im Wasser und ihre Kugeln an Land repräsentieren eine unüberwindbare, unaufhaltsame Gefahr, der die meisten Charaktere hier nichts entgegenzusetzen haben. Die Entscheidung, auf jegliche Darstellung des Feindes zu verzichten, wirkt sich zum großen Vorteil aus, denn die Bedrohung, die man nicht sieht, ist viel unheimlicher als Schergen in Nazi-Uniformen. Die ständige Angst und Sorge der Soldaten zeigen sich in einer Szene, in der ein britischer Soldatentrupp ein Rettungsschiff besteigt und einer von ihnen dieses sofort nach möglichen Fluchtwegen absucht, sollte ein Torpedo das Schiff versenken.

Nolan zieht die Spannungsschraube während des Films gnadenlos an, bis an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus. Insbesondere eine Szene, die sich im dunklen Inneren eines Kutters abspielt, ist so nervenzerreißend, dass man als Zuschauer bei jedem Knall zusammenzuckt. Ein großes Lob gebührt an dieser Stelle auch de oscarreifen Tontechnikern und Nolans Stamm-Cutter Lee Smith. Der Film mag eine PG-13-Freigabe tragen und verzichtet auf explizite Gewaltdarstellungen à la Hacksaw Ridge und doch ist er weit intensiver und nervenaufreibender als alle Filme, die dieses oder letztes Jahr im Kino liefen.  Einen großen Teil trägt dazu auch Hans Zimmers pulsierende Musik bei, die große Dringlichkeit vermittelt, indem sie fast die gesamte Zeit über mit einer im Hintergrund tickenden Uhr hinterlegt wird. Man kann es als einen Trick bezeichnen, gar einen Gimmick, aber mein Gott, funktioniert dieser Trick gut! Irgendwann empfindet man die Musik selbst in dem Film als den Feind und das Ticken bekommt man noch lange nach der Sichtung nicht aus dem Kopf. Nicht seit dem Indie-Horrorhit It Follows hat der Score so sehr den Spannungslevel eines Films bestimmt, und passenderweise hat mich auch kein anderer Film seit It Follows so sehr an die Grenzen meiner Nerven gebracht wie Dunkirk.

Dunkirk (2017) Filmbild 6Viel wurde aus der überraschend kurzen Laufzeit des Films gemacht, die ganz untypisch für große Kriegsfilme, aber auch für Nolans Filmografie ist. Nur sein Regiedebüt Following war noch kürzer. Auch hier zeigt sich, dass nicht die Dauer entscheidend ist, sondern was man aus ihr macht. In diesem Film ist alles präzise kalibriert und durchdacht. Kein Gramm Fett ist überschüssig, keine Einstellung, keine Szene verschwendet. Es ist ein sehr zielgerichteter, sparsamer Film, der das Wesentliche nie aus den Augen verliert. Wem The Revenant schon zu dialoglastig war, ist in Dunkirk gut aufgehoben, denn gesprochen wird hier nur, wenn es unbedingt sein muss. Kein Charakter hat Zeit oder Lust auf längere Gespräche, die Dialoge sind stets zweckdienlich. Auch Charakterentwicklung oder Vorgeschichten von Figuren sucht man hier vergebens. Von manchen Figuren erfahren wir nie die Namen, wie beispielsweise von Cillian Murphys traumatisiertem Soldaten, dessen Blick in seiner ersten Szene schon alles verrät, was man wissen muss. Die Zuschauer werden nicht dazu ermuntert, sich mit einer Figur besonders zu identifizieren, sondern sie werden durch die authentische Darstellung in die Gesamtsituation hineinversetzt.

Das soll jedoch nicht bedeuten, dass die schauspielerischen Leistungen schwach sind. Wie auch jedes andere Element bei diesem Film, erfüllt jeder Schauspieler seine Aufgabe, damit Nolans Gesamtvision funktioniert. Niemand stiehlt hier jemandem die Show und die frischen Newcomer wie Fionn Whitehead oder One-Direction-Sänger Harry Styles sind ebenso glaubwürdig in ihren Rollen, wie bekanntere Darsteller wie Tom Hardy, Mark Rylance oder Kenneth Branagh. Wenn überhaupt, dann ist Oscarpreisträger Rylance hervorzuheben, als ein Mann der leisen Töne aber großen Entschlossenheit. Als Musterbeispiel für Zivilcourage, macht sein Charakter bei der Rettungsaktion nicht mit, weil er sich als Held fühlt oder besonders mutig ist, sondern weil es einfach jemand tun muss. In einem einzelnen Satz wird seine Motivation später im Film um eine weitere Facette erweitert, was ihn schon zum vielschichtigsten Charakter des Films macht.

Nolan versucht nicht, Geschichte neu zu schreiben und die Evakuierung selbst als Sieg darzustellen. "Wir müssen vorsichtig vermeiden, diese Befreiung als Sieg zu feiern; Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen", liest ein Soldat im Film die berühmte "We shall fight on the beaches"-Rede von Churchill vor. Was in Dunkirk gewonnen wird, ist nicht kein Krieg und keine Schlacht, sondern ein Hoffungsschimmer und nach der Tour de Force, die Zuschauer gemeinsam mit den Charakteren durchmachen müssen, ist dieser Hoffnungsschimmer auch verdient.

Fazit

Mit unvergleichlich spektakulären Bildern, nervenaufreibender Musik, raffiniertem Schnitt und überzeugenden Darsteller erweckt Christopher Nolan seine einzigartige Vision zum Leben und erschafft den spannendsten Kriegsfilm aller Zeiten, der gleichzeitig episch und intim ist. Dunkirk ist mehr als die Summe seiner Teile: Die einzelnen Elemente harmonieren perfekt miteinander und bringen ein Meisterwerk für die Ewigkeit hervor.

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