mother! (2017) Kritik

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mother!, USA 2017 • 122 Min • Regie & Drehbuch: Darren Aronofsky • Mit: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Domhnall Gleeson, Stephen McHattie • Kamera: Matthew Libatique • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 14.09.2017 • Deutsche Website

Es gibt einen Moment in „mother!“, in dem sich der anonyme Dichter seiner ebenfalls anonymen Frau zuwendet, um ihr die nächtliche Menschenansammlung vor ihrem Haus zu erklären: „Sie alle lieben mein Werk, aber jeder erkennt darin etwas anderes!“ Diese Äußerung ließe sich reflexiv auch auf Darren Aronofskys („Black Swan“) nunmehr siebten Spielfilm beziehen. Mit dem Unterschied, dass die symbollastige Arbeit wohl kaum von jedem Kinogänger positiv aufgenommen werden wird – so bitterböse, unangenehm und radikal wie diese auf groteske Weise poetische Schreckensvision war schon lange kein Filmtrip mehr! „mother!“ ist krass, doch mit diesem dünnen Adjektiv kann man keinen Zuschauer wirklich auf das vorbereiten, was der Regisseur und Drehbuchautor während der zweistündigen Laufzeit auf der Leinwand zelebriert. Dabei fängt alles relativ übersichtlich, wenn auch deutlich skurril, an.

Mother (2017) Filmbild 1

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Zunächst erscheint da das Bild einer Frau in Flammen. Ein völlig abgebranntes Haus, das plötzlich wieder Gestalt annimmt. Ein üppiger Diamant, der wieder zurück an seinen Platz gestellt wird. In dem zuvor verwüsteten Schlafzimmer erwacht eine andere Frau (Jennifer Lawrence). Ihr Mann (Javier Bardem) leidet an einer Blockade, Ihm fehlt die Inspiration für ein neues Gedicht. Während Sie liebevoll das idyllische Anwesen wiederherrichtet, bleibt Ihm nicht mehr, als das harmonische Leben um sich herum zu beobachten. Bis es eines Tages an der Tür klopft und ein Fremder (Ed Harris) um Einlass bittet. Dass Er diesen nicht bloß in ihr gemeinsames Reich treten lässt, sondern dem aufdringlichen Gast auch noch ein Zimmer anbietet, schockiert Sie. Es kommt noch bunter, als am nächsten Tag die Ehefrau des neuen Bewohners (Michelle Pfeiffer) auf der Matte steht und sich ebenfalls im Haus einquartiert. Wie sich bald herausstellt, ist der Fremde ein todkranker Verehrer Seiner Werke. Ebenso wie seine forsche Frau, nimmt dieser sich unter dem Dach der Gastgeber Freiheiten heraus, die Sie in die Verzweiflung treiben, Ihn aber trotz des dreisten Benehmens nicht zum Handeln bewegen. Doch nach drei Ereignissen – einem blutgetränkten Todesfall, einer Schwangerschaft und einem Erfolgsdurchbruch – fällt schließlich das personifizierte Chaos in die anfangs vielversprechende Ruhe ein …

Mother (2017) Filmbild 2

Jeder Mensch hat eine natürliche Belastungsschwelle. In seinem neuen Werk schubst Regisseur Aronofsky nicht nur die von Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence („Silver Linings“) verkörperte Figur mit diabolischer Genialität über diese hinweg, sondern wird auch viele Zuschauer an die individuelle Grenze des Erträglichen führen. „mother!“ ist zweifellos der (bisher) provokanteste und polarisierendste Film des Kinojahres – das ist zugleich als Versprechen und als Warnung zu verstehen! Dass unter dem Banner eines großen Hollywood-Studios (Paramount Pictures) und mit namhaften Stars gespickt ein solch radikaler Tabubrecher in einer Zeit der Remakes, Reboots und bunten Superhelden möglich ist, grenzt schon fast an ein Wunder. Was dabei wichtig ist: Es handelt sich hier keinesfalls um einen stumpfen Exploitation-Reißer, sondern um einen bemerkenswerten cineastischen Bastard aus Arthouse-Progressivität und Grindhouse-Absurdität. Wer glaubt, nach der Hälfte der Spielzeit bereits alles gesehen zu haben, irrt gewaltig. Aronofsky navigiert schwere Geschütze, die zwar oft von einer Truppe pechschwarzen Humors gezogen werden, aber letztlich mit voller Wucht in der Magengegend einschlagen und die Eingeweide zerfetzen. Das ist audiovisueller Terror, den man eigentlich nur lieben oder hassen kann, der aber sicherlich niemanden kalt lässt. Als eine Inspirationsquelle für diese Tour de Force nennt der Regisseur Roman Polanskis okkultes Meisterwerk „Rosemary’s Baby“. Und in der Tat lassen sich inhaltliche und (zumindest zu Beginn) stilistische Verweise ausmachen. Sehr viel näher steht „mother!“ allerdings Andrzej Zulawskis ungezügeltem Kultfilm „Possession“, in dem sich auf ähnlich hypnotische Weise das bittere Familendrama und die hässliche Fratze des Wahnsinns in der Metapher begegnen.

Mother (2017) Filmbild 3

Wenn der Abspann des auf körnigem 16mm-Material gefilmten Horrorszenarios über die Leinwand flimmert, wird man sich entscheiden müssen, von was um Himmels Willen man da soeben Zeuge geworden ist. Vielleicht erinnert man sich an das eingangs genannte Zitat. Mancher Zuschauer mag wahlweise nur abstrakten oder prätentiösen Unsinn erkennen. Für mich ist „mother!“ das Bild eines stagnierten Künstlers, der bereit ist, für die Anerkennung seines Werkes sein komplettes intimes Leben über Bord zu werfen. Und es ist das Bild einer Frau, die ein glückliches und sicheres Nest für eine Familie erschaffen möchte, welches jedoch die aufflammenden Ambitionen ihres Partners einengt. Schöpfung, die zerstört und Zerstörung, die erschafft. Man könnte natürlich auch allgemein behaupten: Es geht um eine Beziehung, die offensichtlich irgendwann funktioniert hat, aber ab einem spezifischen Punkt zu bröckeln beginnt. Klischee, kalter Kaffee, abgedroschen? Das wird niemand behaupten, der die anarchistische Urkraft des Films erlebt hat – manche Dinge muss man einfach sehen und spüren. So wie „mother!“. Mit Bestperformances von mindestens vier Darstellern und einer frontalen Inszenierung, die von einer sanften Brise zu einem tödlichen Sturm heranwächst, legt Darren Aronofsky hier seine definitiv intensivste Arbeit seit seinem Meisterwerk „Requiem for a Dream“ vor.

Mother (2017) Filmbild 4

Es gibt im wahren Leben Grenzen, die nicht überschritten werden sollen, nicht überschritten werden dürfen. Im Kino kann und darf man dies – und im Angesicht dieser aufregenden und in Mark, Herz und Hirn ziehenden Großtat wünscht man sich, mehr Filmschaffende würden heutzutage ein solches Experiment im Mainstream-Format wagen. Nach der Sichtung fühlt man sich vielleicht schmerzerfüllt am Boden liegen, geprügelt und getreten. Aber man fühlt sich auch seltsam befreit und lebendig.


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