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Happy Deathday (2017) Kritik

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Happy Deathday (2017) Frontbild

Happy Death Day, USA 2017 • 96 Min • Regie: Christopher Landon • Drehbuch: Scott Lobdell • Mit: Jessica Rothe, Israel Broussard, Ruby Modine, Charles Aitken, Laura Clifton, Rachel Matthews • Kamera: Toby Oliver • Musik: Bear McCreary • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 16.11.2017 • Deutsche Website

Sie metzelten sich durch „Black Christmas“, „Halloween“, „Blutiger Valentinstag“ und den „Muttertag“ – und auf das letzte Kapitel von „Freitag der 13.“ folgte rasch ein neuer Anfang: Der gerne auf populäre Feiertage terminierte Slasher-Film gehört neben unzähligen Zombie-Schockern zweifellos zu den untotesten Subgenres des Horrorkinos. Dass nun ausgerechnet aus dieser mit reichlich Schundware vollgestellten, dunklen Ecke mit „Happy Deathday“ ein sympathisch leichtfüßiger und beherzter Vertreter auf das lethargische Publikum losstürmt, ist eine willkommene Überraschung. Regisseur des Low-Budget-Spaßes aus dem Hause Blumhouse (u.a. „Sinister“, „Split“, „Get Out“) ist Christopher Landon, der zuvor an diversen Sequels der „Paranormal Activity“-Reihe mitgewirkt hat und hier eine frische Duftmarke mit diesem Maskenmann-Thriller mit Murmeltier-Twist setzt. Denn genau wie Bill Murray in Harold Ramis' beliebter Komödie „…und täglich grüßt das Murmeltier“ muss Jessica Rothe („La La Land“) als zickige College-Studentin denselben Tag immer und immer wieder durchleben – und sterben.

Happy Deathday (2017) Bild 1

Mit fiesem Kater und Filmriss nach einer offensichtlich feucht-fröhlichen Party erwacht Tree Gelbman (Rothe) an ihrem Geburtstag im Bett eines Kommilitonen. Reichlich kühl fertigt sie den ihr angeblich unbekannten Carter (Israel Broussard) ab und stürmt aus dem Wohnheim. Bevor sie am späten Abend von einem mit Baby-Maske vermummten Angreifer erstochen wird, trifft sie auf diverse potentielle Verdächtige – beispielsweise auf ein vernachlässigtes Date, ihre empathische Mitbewohnerin, eine geheime Affäre und eine penetrante Umwelt-Aktivistin. Da Tree nach der tödlichen Attacke nicht ins Nirwana übergleitet, sondern am selben Morgen an derselben Stelle zu sich kommt, denkt sie zunächst an einen besonders lebendigen Albtraum. Als sich dann aber die Ereignisse des Tages exakt wiederholen und sie nach der erneuten Attacke des Killers schon wieder durch das Szenario muss, gerät sie langsam in Panik. Wie kommt sie aus dieser mysteriösen Zeitschleife raus und auf wessen Todesliste steht sie ganz oben? Durch ihren ignoranten Blick hat Tree womöglich lange übersehen, dass da jemand einen besonderen Groll gegen sie hegt – oder ist ihr Mörder vielleicht jemand ganz anderes?

Happy Deathday (2017) Bild 2

Auch wenn „Happy Deathday“ vor allem eine jüngere Zielgruppe ansprechen und mit seinem PG-13-Rating (entspricht hierzulande etwa einer FSK-Freigabe ab zwischen 12 und 16 Jahren) blutlechzende Horrorfreunde kaum zufriedenstellen dürfte, gelingt Regisseur Landon hier ein unerwartet treffsicheres Kinovergnügen zwischen Witz und Wahnsinn, das obendrein als perfekter Date-Film taugt. Abgesehen von ein paar zu überzogenen Gags und einem Mangel an Originalität in den Slasher-Sequenzen, imponiert das Werk besonders durch die wunderbare Performance seiner Hauptdarstellerin. So mag Jessica Rothes Tree zu Beginn alle Klischees der blonden Oberzicke erfüllen, nur um im Verlauf zu einer überaus coolen Heldin mit dem Herz am rechten Fleck zu mutieren. Mit dieser Entwicklung steht der Film im krassen Gegensatz zu all den stumpfen Genre-Vertretern, die mit ihren flach gezeichneten Figuren lediglich kreischende Killer-Beute servierten und vom Kritiker Roger Ebert seinerzeit passend als „Dead-Teenager-Movies“ tituliert wurden. „Happy Deathday“ stellt in seiner Spanne zwischen Comedy und Horror weniger die Jagd auf einen Irren mit Messer in den Vordergrund, als vielmehr die erzwungene Selbstreflexion seiner Protagonistin. Zu behaupten, man würde hier Zeuge einer unglaublich tiefen Charakterstudie werden, wäre natürlich deutlich übertrieben – doch in der Tat entlässt einen die zwar nicht übermäßig innovative, aber dennoch effektive, Produktion ausnahmsweise nicht mit einem blutigen Ende voller Zynismus, sondern mit einer positiven Aufbruchsstimmung nach einer Tortur, die selbst Sisyphos verzweifelt im Dreieck hätte springen lassen.

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In seiner Funktion als Slasher-Vertreter bleibt „Happy Deathday“ ansonsten grundsolide und präsentiert brav einen vermummten Bösewicht, der erwartungsgemäß unerwartet aus dem Nichts auftaucht. Es gibt keine sonderlich spektakulären Morde zu begutachten und der Kunstblutverbrauch beläuft sich auf das Minimum. Trotzdem gelingt es Christopher Landon, die Spannung in seinem eher zahmen Schocker auf einem angenehmen Level zu halten und nicht durch die gelegentlichen Albernheiten einstürzen zu lassen. Tatsächlich hat mich die letztliche Enthüllung des Schurken nach einer kleinen Wendung sogar überrascht. Dass „Happy Deathday“ dabei einem Meilenstein wie „Scream – Schrei!“ – dem letzten wirklich originellen Subgenre-Beitrag – nicht das Wasser reichen kann, sollte jedem im Vorfeld klar sein. Dennoch ist der Vergleich angebracht, denn während die Charaktere in Wes Cravens Meta-Film ihr Überleben der Kenntnis anderer Horrorstreifen verdankten, muss die geplagte Tree versuchen, die Details ihres eigenen Todestages zu analysieren und dadurch Schlüsse zu ziehen.

Happy Deathday (2017) Bild 4

Während es bei Bill Murray lediglich das Murmeltier war, grüßt bei Jessica Rothe täglich der Sensenmann – in einer durchweg unterhaltsamen und empfehlenswerten Genre-Überraschung.


Trailer

"Stranger Things 2": Finaler Trailer verspricht ein episches Abenteuer!

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Quelle: Netflix

Ab dem 27. Oktober ist es endlich soweit und Netflix' Serienhit "Stranger Things" geht in die zweite Runde. Der atmosphärische Mix aus Spielberg´schem Science-Fiction-Abenteuer und Stephen-King-Horror kommt nach dem Riesenhype (und Erfolg) von Andy Muschiettis Es-Adaption (die wiederum sehr offensichtlich von der ersten Staffel beeinflusst worden ist) genau zur richtigen Zeit und darf obendrein passend zu Halloween in das gemütliche Heimkino gestreamt werden.

Die Vorfreude der Fans auf ein Wiedersehen mit den jungen Helden dürfte bereits enorm sein, weshalb Netflix mit dem brandneuen, finalen Trailer noch ein Brikett in das ohnehin lodernde Feuer nachschiebt. Dieser verspricht ein noch epischeres Abenteuer mit einigen beklemmend-düsteren Tönen. Doch seht selbst:

https://youtu.be/cWM13CLGrt8

Wie bereits das stimmungsvolle Poster, das Sheriff Jim Hopper (David Harbour) auf Spurensuche in einem nächtlichen Kürbisfeld zeigt, versprühen die Bilder ein gruseliges Halloween-Feeling. Und auch inhaltlich scheint der Stoff sowohl Süßes als auch Saures für seine Protagonisten bereitzuhalten, die sich neben dem Rollenspiel als Ghostbusters erneut mit einer intergalaktischen Gefahr herumschlagen müssen.

Stranger Things 2 Trailer Poster

Wieder unter der Regie der Duffer-Brüder, werden selbstverständlich die Freunde Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo), Lucas (Caleb McLaughlin) und der letztlich aus den Fängen des unheimlichen Demogorgons gerettete Will (Noah Schnapp) in das neue Grauen um die Kleinstadt Hawkins hineingezogen. Unterstützung erhalten die Kids von dem bereits genannten Sheriff, Wills Mutter Joyce (Winona Ryder) und seinem Bruder Jonathan (Charlie Heaton) sowie der zurückkehrenden, mysteriösen "Elf" (Millie Bobby Brown). Da sich der Schrecken diesmal allerdings noch größer und bedrohlicher präsentiert, gibt es mit u.a. Herr-der-Ringe-Star Sean Astin und den Newcomern Sadie Sink und Dacre Montgomery ein paar tatkräftige Neuzugänge.

Man darf nun gespannt sein, wie es mit dem kinotauglichen Retro-Vergnügen weitergeht und die letzten Tage bis zur Veröffentlichung zählen.

Wer freut sich noch alles auf "Stranger Things 2"?

Box-Office USA: Blade Runner 2049 enttäuscht, Es knackt $300 Mio

Blade Runner 2049 Box Office

Links: Blade Runner 2049 © 2017 Sony Pictures Germany
Rechts: Es 2017 © Warner Bros. Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Das Auf und Ab an den nordamerikanischen Kinokassen geht weiter. Auf den einspielschwächsten Sommer seit über zehn Jahren folgte der umsatzstärkste September aller Zeiten. Der Oktober legte zwar nicht gänzlich schlecht los, doch ein weiterer rekordträchtiger Monat ist nach dem enttäuschenden Abschneiden von Blade Runner 2049 ausgeschlossen. Die Top 12 spielte vergangenes Wochenende $99,1 Mio ein, 20% mehr als vor einer Woche. Gegenüber dem Vorjahr, als Girl on the Train auf Platz 1 startete, gab es einen Zuwachs von 4%. Jedoch gelang es nur zwei Filmen, mehr als $10 Mio von Freitag bis Sonntag einzunehmen. Auffällig ist, dass zum neunten Mal in Folge ein Film mit einem R-Rating die Spitze der nordamerikanischen Charts belegte.

Blade Runner 2049 eroberte zum Start mühelos den ersten Platz der Kinocharts in den USA und in Kanada, doch sehr glücklich kann Warner Bros. über den Start nicht sein. Das Sequel zum Sci-Fi-Kultfilm von Ridley Scott nahm $32,8 Mio von 4058 Kinos ein und erreichte einen Schnitt von $8071 pro Spielstätte. Das mag auf den ersten Blick nach einem ordentlichen Start für die Fortsetzung zu einem Film aussehen, der selbst nie ein Blockbuster war, doch da Warner $150 Mio in Blade Runner 2049 investierte, hoffte das Studio sicherlich auf ein deutlich besseres Ergebnis. Im Vorfeld deutete auch Vieles darauf hin, dass der Streifen sehr gut anlaufen würde. Im Vorverkauf zog er an Oktober-Sci-Fi-Hits Gravity und Der Marsianer vorbei, die beide mit mehr als $50 Mio aus den Startlöchern kamen. Die Rezensionen zum Film sind sehr positiv ausgefallen und er erhielt den drittbreitesten Start aller Zeiten für einen R-rated-Film, nach Es und Logan – The Wolverine. Noch am Freitag sah es vielversprechend aus, als Blade Runner $4 Mio mit den Donnerstagspreviews erwirtschaftete. Doch die Previews machten überraschenderweise fast einen Drittel des Starttags des Films aus.

Geschichte wiederholt sich im Falle von Blade Runner 2049. Auch der Vorgänger lief vor 35 Jahren mit hohen Erwartungen an. Harrison Ford war dank Star Wars und Indiana Jones ein Star, Ridley Scott inszenierte zuvor den sehr erfolgreichen Alien. Doch Blade Runner lief 1982 mit nur $6,2 Mio an (was auch damals nicht sehr viel war) und erreichte insgesamt nur $27,6 Mio während seiner Erstaufführung. Sogar inflationsbereinigt wären das heutzutage keine sonderlich spektakuläre $83,4 Mio, sodass die Frage aufkommt, weshalb Warner bereit war, $150 Mio in ein Sequel zu stecken. Das Vorbild waren dafür vermutlich zwei Sequels, die trotz geringerer Erfolge ihrer kultigen Vorgänger, zu großen Hits wurden: Mad Max: Fury Road ($154,1 Mio) und TRON: Legacy ($172,1 Mio). Offensichtlich hatte Blade Runner jedoch deutlich geringeres Potenzial, jenseits der Fans des Originals Zuschauer aus dem Mainstream-Publikum in die Kinos zu locken. Etwa 86% der Zuschauer am Startwochenende waren über 25 und 71% waren Männer, was für ein sehr eingeschränktes Zielpublikum spricht und keine großen Hoffnungen auf gutes Durchhaltevermögen des Films macht. Immerhin war die Resonanz überwiegend positiv und die Zuschauer vergaben im Schnitt einen "A-"-CinemaScore (äquivalent einer "1-").

Positiv könnte man sagen, dass Blade Runner 2049 das erfolgreichste Startwochenende in den Karrieren des Regisseurs Denis Villeneuve und des Hauptdarstellers Ryan Gosling hatte, doch das ist wirklich schwaches Lob. Es wird von den internationalen Zahlen abhängen, ob der Film sein Budget überhaupt wieder einspielen werden wird. In Nordamerika wird er bei etwa $85-100 Mio landen.

Platz 2 ging an das Survival-Drama Zwischen zwei Leben – The Mountain Between Us mit Idris Elba und Kate Winslet. Der Streifen kam mit $10,6 Mio von 3088 Lichtspielhäusern aus den Startlöchern (im Schnitt $3417 pro Kino). Der Film lockte hauptsächlich ältere Frauen in die Kinos, denn 81% der Kinogänger waren über 25 und 58% waren weiblich. Positive Mundpropaganda ("A-"-CinemaScore, äquivalent einer "1-") und wenig direkte Konkurrenz in den nächsten Wochen sollten für ein Gesamteinspiel von $30-35 Mio sorgen.

Der Horror-Blockbuster Es fiel in der fünften Woche um einen Platz auf Rang 3 und spielte knapp $10 Mio ein. Damit brachte er sein Gesamteinspiel auf $305,3 Mio und wurde zu ersten Horrorfilm in der Box-Office-Geschichte, der diese Marke erreichte. Außerdem ist Es erst der vierte Film mit einem R-Rating überhaupt, der mehr als $300 Mio in Nordamerika eingenommen hat. Mit einem Produktionsbudget von nur $35 Mio ist die Stephen-King-Verfilmung ein phänomenaler Erfolg und wird insgesamt $325-335 Mio einspielen, bevor sie die Kinos verlässt. Gerade zu Halloween sollte sie Aufwind bekommen.

Auf Seite 2 erfahrt Ihr, wie My Little Pony gestartet ist und wie es für das Kingsman-Sequel und das Flatliners-Remake an den Kinokassen läuft.

Fantasy Filmfest Tagebuch 2017 – Tag 3

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Fantasy Filmfest Tagebuch 2017 - Tag 3

Am dritten Tag beim Fantasy Filmfest 2017 in Köln habe ich es wieder etwas ruhiger angehen lassen und mir im Laufe des Tages tatsächlich sogar eine Weinberg-Wanderung gegönnt. Sonnenlicht wird in den nächsten, deutlich volleren Tagen nämlich Mangelware sein und durch den Schein des Kinoprojektors ersetzt werden.

Leider hat mich keiner der beiden Filme, für die ich dann zum Tagesabschluss nach Köln angereist bin, umgehauen. Doch während das australische Entführungs- und Vergewaltigungsdrama Hounds of Love an sich ein ordentlicher Beitrag war, der lediglich seinen Vorschusslorbeeren nicht ganz gerecht wurde, war The Night of the Virgin ein filmisches Desaster, bei dem ich es mehrfach ernsthaft in Erwägung gezogen habe, den Saal zu verlassen. Weitere Details findet Ihr in aller Ausführlichkeit unten:

Tag 3

Hounds of Love

Fantasy Filmfst Tagebuch 2017 Hounds of LoveNicht alle Serienkiller sind Einzeltäter. In der grausigen Geschichte von gestörten Mördern findet man immer wieder Fälle von Pärchen vor, die ihre Opfer gemeinsam suchen, entführen, misshandeln und umbringen. Ein bekanntes Beispiel sind Paul Bernardo und Karla Homolka, ein Ehepaar aus Kanada, das für den Tod von mindestens drei jungen Mädchen verantwortlich war. Eine solche Geschichte erzählt auch Ben Youngs beklemmendes, aber auch redundantes Regiedebüt Hounds of Love. Zwar ist dessen Serienkiller-Paar John und Evelyn White fiktiv, es ist jedoch zweifellos an David und Catherine Birnie angelehnt, die in der gleichen westaustralischen Stadt und im etwa gleichen Zeitraum (Perth, Ende der Achtziger) wie im Film ihre Verbrechen begingen.

Als ihr neustes Opfer haben die beiden die 17-jährige Vicki (Ashleigh Cummings) auserkoren, die ihrer zerrütteten Familie durch Partys mit ihrem Freund entflieht. Nach einer solchen Partys wird sie von John (Stephen Curry) und Evelyn (Emma Booth) aufgelesen und mit dem Versprechen von mehr Gras und Alkohol zu den beiden nach Hause gelockt. Dort wird sie unter Drogen gesetzt und ans Bett gefesselt, während die Whites in der einprägsamsten Szene des Films zu Moody Blues' "Nights in White Satin" vor Vickys benebelten Augen leidenschaftlich miteinander tanzen und rummachen. Was darauf folgt, sind sexuelle Misshandlung und Folter des Mädchens, vermischt mit gelegentlichen Fluchtversuchen, der parallelen Suche der (geschiedenen) Eltern nach ihrer Tochter und der steigenden Anspannung zwischen den Entführern, da Evelyn glaubt, John interessiere sich mehr für Vicki als für sie selbst.

In der Eröffnungsszene des Films folgt die Kamera in Zeitlupe jungen Volleyball-Spielerinnen. Es sind Johns lüsterne Augen, durch die die Zuschauer die jungen, verschwitzten Körper sehen. Es ist eine unangenehme Szene, da wir bereits wissen, was mit einem dieser Mädchen später geschehen wird. Doch die dann aufkommende Befürchtung einer voyeuristischen Darstellung der sexuellen Gewalt, bestätigt sich zum Glück nicht. Erstlingsregisseur Ben Young verzichtet auf Geschmacklosigkeiten bei der Inszenierung von Vickis Tortur in den Händen der Whites und überlässt die Gräueltaten weitgehend der Fantasie der Zuschauer. Wir hören Schreie, wir sehen, wie Evelyn später blutige Taschentücher aufsammelt und mehrfach verweilt die Kamera auf einem Dildo in einer Box, doch explizite Darstellungen bleiben uns erspart und das ist auch gut so. Hounds of Love ist nicht I Spit on Your Grave oder Last House on the Left, sondern ein bodenständiges Psychodrama, das sich ebenso sehr mit dem Opfer beschäftigt wie auch mit den Tätern, wobei vor allem Emma Booth als hingebungsvolle und von Unsicherheiten zerrissene Evelyn die beste Performance des Films abliefert.

Das Problem ist, dass Hounds of Love zur Thematik nichts hinzufügt, was wir nicht bereits aus Filmen wie Karla, der einst ebenfalls beim Fantasy Filmfest gezeigt wurde, oder Mum & Dad kennen, sodass sich die Frage stellt, ob wir wirklich einen weiteren bedrückenden Film über ein sadistisches Ehepaar brauchen, das junge Mädchen entführt und foltert. Inszenatorisch zeigt Young Talent und neben Moody Blues sorgen auch gut eingesetzte Songs von Cat Stevens und Joy Division für eine besondere Atmosphäre in dem Film. Die geschmackvolle, zurückhaltende Darstellung von Vickis Qualen ist löblich, doch der Film versucht gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten zu tanzen und Themen wie Mutterschaft und Familie unterzubringen, was nur bedingt funktioniert. De Szenenwechsel zu Vickis Eltern und deren verzweifelten Bemühungen, die Polizei davon zu überzeugen, dass ihrer Tochter etwas Schlimmes widerfahren haben muss, rauben der Hauptgeschichte ihren Fluss und ihre Kraft. Letztlich bleibt Hounds of Love ein gut gespielter, gelegentlich unangenehmer und stilbewusst inszenierter Film, der einen emotional jedoch kalt lässt, u.a. weil man das Gefühl hat, diese Geschichte schon etliche Male gesehen zu haben. 3/5

The Night of the Virgin

Fantasy Filmfst Tagebuch 2017 The Night of the VirginEs ist Silvesternacht in Bilbao und der eher unansehnliche Mittzwanziger Nico (Javier Bódalo) versucht in einer Disco unbeholfen, eine Frau zu finden, die ihn von seinem jungfräulichen Dasein erlöst. Die jungen Dinger wollen vom schlaksigen Kerl mit Überbiss nichts wissen, doch die deutlich ältere, mysteriöse Medea (Miríam Martin) umgarnt ihn stattdessen und schleppt ihn in ihre Wohnung ab. In der Hoffnung auf Sex lässt sich Nico auch nicht von der fragwürdigen Hygiene der Wohnung stören, in der es vor Kakerlaken nur so wimmelt. Schon bald wird das Ungeziefer zu Nicos geringsten Problem, denn seine reife Verführerin hat besondere Pläne für ihn.

Im ersten Drittel des spanischen Beitrags The Night of the Virgin gibt es zwei Szenen, die bezeichnend für den Film und seinen "Genuss" sind. In der ersten betritt unser jungfräulicher Protagonist ein extrem versifftes Badezimmer, wo er einen Kelch mit roter Flüssigkeit vorfindet, die nach Blut aussieht, und tunkt daraufhin ein benutztes (!) Wattestäbchen in die Flüssigkeit, um ihren Geschmack zu untersuchen. Einige Zeit später findet der sexuell frustrierte Nico ein altes Fotoalbum mit nackten Bildern seiner Gastgeberin und fängt prompt an zu masturbieren, nur um versehentlich auf die Babyfotos im Album zu ejakulieren. Entsprechen solche Momente Eurem Humorverständnis, dann verschwendet keine Zeit, wenn The Night of the Virgin am 17. November hierzulande von Pierrot le Fou auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wird. Ich bezweifle auch nicht, dass der Film seine Anhänger finden wird, schließlich bemüht er sich auch sehr darum, möglichst herauszustechen. Alle anderen sind besser damit beraten, zwei Stunden ihrer Lebenszeit anders zu verbringen.

Damit komme ich gleich zu einem weiteren Problem des Films, denn Regiedebütant Robert San Sebastián begeht die Kardinalsünde, nicht zu wissen, wann es wirklich genug ist. Getreu dem Motto "mehr ist mehr", ist The Night of the Virgin eine filmgewordene Kotztüte, deren Körperflüssigkeiten-Orgie sich geschlagene 116 Minuten lang über die Leinwand ergießt (einschließlich einer Abspannszene). Ich habe nichts gegen Filme, die gerne provozieren und auch nicht gegen Filme, die Ekel in den Zuschauern hervorrufen wollen (Peter Jacksons Braindead ist einer meiner Favoriten), doch wenn Provokation durch endlos lange Ekel-Exzesse zum Selbstzweck verkommt, dann verliert mich der Film recht schnell. The Night of the Virgin mag irgendwo eine Aussage über Geschlechterverhältnisse und schwanzgesteuerte Männer beinhalten, die bei der Aussicht auf Sex jegliche Vernunft über Bord werfen, doch diese wird in einem abstumpfenden Ozean aus Kotze, Sperma, Blut und Fäkalien ertränkt, sodass der Streifen seine erwünschte Wirkung verfehlt. Erstmals seit dem unerträglichen Rachefilm Revenge for Jolly! beim Fantasy Filmfest vor vier Jahren habe ich mehrfach ernsthaft in Erwägung gezogen, den Kinosaal vorzeitig zu verlassen. 0,5/5

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Nach einer doch recht schwachen Ausbeute am dritten Tag setze ich große Hoffnungen in die vier Filme, die am nächsten Tag anstehen, darunter das diesjährige melancholische Centerpiece Sicilian Ghost Story, der Ozploitation-Backwoods-Shocker Killing Ground und der Hongkonger Actionreißer Shock Wave mit Andy Lau. Schaut wieder rein.

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Es, The Mermaid)
Tag 2 (Trench 11, The Autopsy of Jane Doe, Raw, Rendel)

Blade Runner 2049 (2017) Kritik

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Blade Runner 2049 (2017) Filmkritik

Blade Runner 2049, GB/USA/CAN 2017 • 163 Min • Regie: Denis Villeneuve • Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green • Mit: Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Jared Leto, Sylvia Hoeks, Dave Bautista • Kamera: Roger Deakins • Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 5.10.2017 • Deutsche Website

Als Ridley Scott seinen Science-Fiction-Thriller „Blade Runner“ 1982 in die Kinos brachte, war die Filmwelt offensichtlich noch nicht bereit für das bahnbrechend-visionäre Werk: Ein nicht unerheblicher Teil der namhaften Kritiker verblieb mit lauwarmen Rezensionen und auch der große Ansturm auf die Lichtspielhäuser von Seiten der Zuschauer war nicht zu vermelden. Über die bis heute unzählige Genre-Beiträge prägende Gestaltung eines futuristischen Los Angeles herrschte Konsens, während sich andere an der emotionalen Kälte der Geschichte störten oder vom aufringlichen Voice-Over des Protagonisten Deckard irritiert waren. Zugegeben, in seiner ursprünglichen Kinoversion war der Film zwar schon damals ein audiovisueller Meilenstein, doch den Feinschliff erhielt „Blade Runner“ erst in seiner nachträglich erstellten, finalen Schnittfassung, die sich der vom Studio verordneten Off-Kommentation des Geschehens und des unpassend idyllischen Endes wieder entledigte. Seiner Zeit meilenweit voraus, reifte die intelligente Zukunftsvision über die Jahre zum Kultfilm und dem vielleicht relevantesten Genre-Werk überhaupt. Mit Themen wie dem Technologischen Fortschritt, der revolutionären Gentechnik und der zunehmenden Macht von Großkonzernen ist der Inhalt heute sogar aktueller als zur Zeit der Erstaufführung. 35 Jahre später macht sich nun der kanadische Regisseur Denis Villeneuve („Sicario“) auf, in die Fußstapfen Scotts zu treten und in „Blade Runner 2049“ die Ursprungsgeschichte zugleich fortzusetzen und dieser ein modernes Update zu verpassen.

Blade Runner 2049 (2017) Bild1

Vor Beginn der besuchten Pressevorführung bittet der Regisseur die Journalisten in einer Kurzmitteilung darum, auf inhaltliche Details des Films in den Besprechungen zu verzichten – und selbstverständlich möchte auch ich dieser Bitte nachkommen. Wer sich bereits im Vorfeld optimal auf das Werk einstellen will, dem sei übrigens die Sichtung der drei veröffentlichten Kurzfilme „2036: Nexus Dawn“, „2048: Nowhere to Run“ und vor allem des die Zwischenhandlung erklärenden Animes „Blade Runner Black Out 2022“ empfohlen, die das auch so schlüssige Werk zusätzlich ausfüttern. Nachdem infolge eines blutigen Aufstands Replikanten verboten und durch eine verheerende Magnetwelle die Daten der alten Nexus-Generation aus der Datenbank gelöscht wurden, geht auch der Tyrell-Konzern unter, der aber letztlich von dem brillanten Entwickler Niander Wallace (ein Jared Leto mit einem sicher nicht zufällig diabolischen Anlitz) beerbt wird. Wallace gelingt es, einen verbesserten und legalen Replikanten-Typ auf dem Markt zu etablieren, der sich völlig dem Willen seiner Herrscher unterordnet. Im Zentrum des Films steht erneut ein Blade Runner: K (Ryan Gosling), ein Replikant neuen Modells, macht bei einem Auftrag einen beunruhigenden Fund. Unter dem Grundstück des gejagten Sapper Morton (Dave Bautista) liegt eine Kiste begraben, deren Inhalt bedeutende Fragen aufwirft und die bestehende Ordnung ins Chaos stürzen könnte …

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In einer Zeit, in der 3D-Drucker, Künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos nicht mehr einer grenzenlosen Fantasie entspringen, sondern sich infolge der Digitalisierung immer stärker in das Leben der Menschen drängen, inszeniert Denis Villeneuve mit „Blade Runner 2049“ weit mehr als einen futuristisch angehauchten Blockbuster. Wie schon in Ridley Scotts Vorgänger wird hier das Grundgerüst von einer melancholischen Noir-Atmosphäre bestimmt und der ambitionierte Plot in Form einer klassischen Detektivgeschichte präsentiert. Allerdings sollte man nicht den Fehler begehen und lediglich auf die Entwicklung der Handlung schauen. Allein die sagenhaften Bilder von Kameramann Roger Deakins („Skyfall“) vermitteln noch eine ganz andere Ebene. So beispielsweise, wenn das nächtliche Los Angeles wie eine flache und allein dem Zweck dienende Platine erscheint, in deren Schluchten das Aufleuchten von Neon-Reklame Lebensfunken signalisiert und lediglich die Firmensitze wie finstere Türme in den Himmel ragen. Die Stadt symbolisiert die westliche Welt und in dieser Welt sind selbst menschliche Freuden nur noch digitaler Natur. Der einsame K etwa findet seinen privaten Ausgleich bei dem intelligenten und mit emotionalen Ausprägungen ausgestatteten Hologramm Joi (Ana de Armas). Es ist ein Trugbild, mit dem sich der Replikant ein winziges Stück Glück gönnt und das von seiner Perspektive einer wahren Liebe gleicht, ähnlich wie auch die in Spike Jonzes großartiger Sci-Fi-Romanze „Her“ von Scarlett Johansson gesprochene Samatha. In einer wunderbar sinnlich gestalteten Szene wird ein intimer Wunsch Ks kurz gar physische Realität.

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In dem auf dem Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ von Genre-Guru Philip K. Dick basierenden Original spielten Träume und das Unterbewusstsein eine tragende Rolle. Um seinen Geschöpfen menschliche Eigenschaften zu verleihen, musste der gottgleiche Tyrell diese mit Erinnerungen füttern, deren Kenntnis zugleich ihrer Detektion nützen konnte. „Blade Runner 2049“ lädt die Zuschauer nun zu einer Reise zu den Ursprüngen dieser Träume und Erinnerungen ein, die auch eine Reise zu den Wurzeln der Menschlichkeit ist. Sind es lediglich Aminosäuresequenzen, die einen Bio-Menschen von einem Individuum aus dem Labor trennen, oder ist es womöglich das Vorhandensein einer Seele? Doch wenn es eine Seele gibt, wo sitzt sie und woher kommt sie? Mit diesen spannenden Fragen und mehr sieht man sich konfrontiert, wenn man sich das bildgewaltige und sorgfältig erzählte Werk im Kino anschaut. Wer dagegen nur ein retromanisches Treffen der Generationen (ja, das gibt es auch) mit spektakulären Effekten und Daueraction erwartet, wird sich während der 163-minütigen Laufzeit vermutlich unbefriedigt den Hintern plattsitzen. Freilich kommt es auch in „Blade Runner 2049“ zu brutalen Kämpfen und adrenalinhaltigen Höhepunkten. Allerdings sind diese Momente nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern ergeben sich homogen aus der epischen Geschichte.

Blade Runner 2049 (2017) Bild4

Denis Villeneuve vollbringt mit seinem nicht minder betörenden Sequel zwar nicht das eigentlich ohnehin unmögliche Kunststück, Ridley Scotts zeitlosen Klassiker in den Schatten zu stellen, doch seine enorm starke und passionierte Vision verbeugt sich einerseits ergeben vor seinem Schöpfer und schreitet andererseits selbstbewusst dessen in eine düstere Zukunft gerichteten Pfad weiter. Am Ende bleibt ein Licht der Hoffnung. Und einer der besten Filme eines insgesamt famosen Kinojahres.


Trailer


Hounds of Love (2016) Kritik

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Hounds of Love, AUS 2016 • 108 Min • Regie & Drehbuch: Ben Young • Mit: Emma Booth, Stephen Curry, Ashleigh Cummings, Susie Porter, Damian de Montemas, Harrison Gilbertson • Kamera: Michael McDermott • Musik: Dan Luscombe • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Indeed Film • Heimkinostart: 20.10.2017 • Offizielle Website

Es ist ein unbehaglich-voyeuristischer Blick, der anfangs in hypnotischer Zeitlupe über die Körper von Teenager-Mädchen gleitet: In seinem Spielfilmdebüt „Hounds of Love“ verlegt der Regisseur Ben Young den australischen Horror aus dem Outback in die oberflächlich betrachtet ruhige Vorstadt. Wie schon sein Landsmann-Kollege Justin Kurzel bei seiner schockierenden True-Crime-Aufarbeitung „Die Morde von Snowtown“, setzt auch Young bei seinem Werk auf ein realistisches Grauen, das ohne exploitative Exzesse nur umso intensiver unter die Haut geht und noch lange nachwirkt. Die Geschichte über ein sadistisches Serienmörder-Paar, das im Perth der Achtziger Jahre junge Frauen entführt und in ihrem Haus quält und tötet, basiert laut dem Newcomer auf keinem spezifischen Vorfall, doch erinnert das erschütternde Geschehen deutlich an die sogenannten Moorhouse-Morde, die im etwa gleichen Zeitraum von David und Catherine Birnie begangen wurden.

Hounds of Love (2016) Bild1

In „Hounds of Love“ ist es das Ehepaar John (Stephen Curry) und Evelyn White (Emma Booth), das auf den Straßen gemeinsam auf Opfersuche geht. Gleich zu Beginn wird den Zuschauern das verstörende Bild nach einer ihrer Taten vor Augen geführt: Die Frau muss Blut, Fäkalien und Folterwerkzeuge entsorgen, während ihr Mann die Leiche in einem Waldstück verscharrt. Es folgt der Schwenk zu der jungen Schülerin Vicki Maloney (Ashleigh Cummings), die nach der traumatischen Trennung ihrer Eltern zwischen dem Leben bei ihrem wohlhabenden Vater Trevor (Damian de Montemas) und dem bei ihrer kämpferischen Mutter Maggie (Susie Porter) pendeln muss. Ein Streit und die Einladung zu einer Party treiben Vicki nachts aus dem Haus und mitten in die Arme der todbringenden Liebenden. Unter einem Vorwand wird sie in deren unscheinbaren Anwesen unter Drogen gesetzt und schließlich gewaltvoll ans Bett gekettet. Schnell wird dem verängstigten Mädchen klar, dass es hier nicht um Lösegeld geht, sondern die unheimlichen Entführer viel schlimmeres mit ihr vorhaben. Um zu überleben, muss sie eine Schwachstelle in der obsessiven Beziehung der Whites finden …

Hounds of Love (2016) Bild2

„Hounds of Love“ ist ganz sicher keiner dieser Filme, bei denen den Zuschauern vor der Sichtung ein flottes „Viel Spaß!“ mit auf den Weg gegeben werden sollte. Mit einem Gefühlsspektrum zwischen ernsthafter Beklemmung und tiefer Wut wird man sich – ähnlich wie die Protagonistin Vicki – vor der Leinwand gefesselt finden, ohne den Blick von dem erschütternden Szenario abwenden zu können. Ben Young inszeniert seinen Genre-Paukenschlag mit einer ähnlich ätzenden Spannung wie seinerzeit Tobe Hooper seinen Klassiker „Texas Chainsaw Massacre“. Der Ekel ist physisch spürbar, der Terror viszeral. Dabei entscheidet sich der Autor und Regisseur – genau wie der kürzlich verstorbene Horror-Meister – dafür, seinem Publikum die direkte Darstellung der Gewalt vorzuenthalten. Entweder zeigen die Aufnahmen einen anderen Ausschnitt der Szene oder die Kamera fährt während der Tat aus dem Raum und nur die Geräusche und verzweifelten Schreie sind zu vernehmen. Vor allem letztere sind an einer besonders eindringlichen Stelle kaum erträglich und man windet sich im Sessel, während Young einem buchstäblich die Tür vor der Nase zuschlägt. Das ist auch richtig so, denn mehr als die abgrundtief widerwärtigen Bilder sexuell motivierter Grausamkeit vor dem geistigen Auge sollte wirklich niemand in einem Film sehen!

Hounds of Love (2016) Bild3

Doch warum sollte man sich einem derart niederschmetternden Brocken überhaupt aussetzen? Einerseits besteht für einige Zuschauer sicherlich das niedrige Bedürfnis, nur mal aus dem behüteten Leben einen Blick in menschliche Abgründe zu werfen, um danach wieder befreit in die heile Welt zurückzukehren. Andererseits unterstreicht nicht zuletzt das starke Ende nachdrücklich, worum es hier im Kern geht: Unter all den Dämonen, Schlitzern und Kettensägen-Schwingern im Genre-Kino verleiht „Hounds of Love“ dem leider hochaktuellen Thema „Gewalt gegenüber Frauen“ eine überaus hässliche Fratze zum Hassen und Fürchten. Im Gegensatz zu stumpfen Vertretern der Rape-and-Revenge-Gattung geht Youngs Film mit der nötigen Zurückhaltung und Ernsthaftigkeit vor. In den Rollen des Killer-Paares verkörpern Emma Booth und Stephen Curry nicht etwa comichaft überzeichnete Antagonisten, sondern gefährliche Psychopathen mit wahrhaft scheußlichen Neigungen, die zu keinem Moment relativiert werden. Durch die Augen ihres von Ashleigh Cummings ergreifend gespielten Opfers durchlebt man ein unfassbares Martyrium, in dem das schwache Licht der Hoffnung mit jeder Minute zu schwinden scheint.

Hounds of Love (2016) Bild4

Keine Frage, für „Hounds of Love“ braucht man ein extrem starkes Nervenkorsett: Das Grauen aus der Nachbarschaft beschäftigt einen wesentlich nachhaltiger als Freddy, Jason und Co.


Trailer


Fantasy Filmfest Tagebuch 2017 – Tag 2

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Fantasy Filmfest 2017

Auch wenn ich mich immer wieder gerne von der Stimmung der Eröffnungsnacht beim Fantasy Filmfest mitreißen lasse, braucht es in der Regel etwas länger, bis ich in den Alltagstrott des Festivals (kurze Nächte, noch kürzere Essenspausen und sehr viel Zeit vor der Leinwand) hineinkomme. Am ersten Tag erscheint die Vorstellung, den Großteil meiner Wachzeit über die nächsten zehn Tage im Kino zu verbringen, noch irgendwie abstrakt. Erst mit der Zeit setzt das Festival-Gefühl wirklich ein. Dieses Jahr war es schon am zweiten Tag so weit, was nicht zuletzt einer im Schnitt recht guten Filmauswahl zu verdanken ist. Nach einem wirklich gelungenen Auftakt mit Es und The Mermaid, hatte auch Tag 2 einige sehenswerte Filme zu bieten. Das ganz große Highlight ist mir zwar noch nicht untergekommen, aber auch noch keine Gurke und jedem der vier sehr unterschiedlichen Filme vom zweiten Tag konnte ich das Eine oder Andere abgewinnen.

Auf dem Programm standen hübsche junge Kannibalinnen, Weltkriegshorror, eine sehr mysteriöse Leiche und der erste finnische Superheld der Filmgeschichte. Zwei der Filme – The Autopsy of Jane Doe und Raw – spielten vor einem ausverkauften Saal, was wieder einmal für die sehr ansprechende Programm dieses Jahr spricht. Weiter geht’s also mit meinen Eindrücken vom FFF 2017:

Tag 2

Trench 11

Trench 11 Fantasy Filmfest 2017 Tagebuch Tag 2Jeder Krieg ist bekanntlich Horror. Apocalypse Now verbalisierte sogar diese unumstrittene Wahrheit. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass es ein Subgenre von Horrorfilmen gibt, die zu Kriegszeiten spielen. Es bietet sich einfach an, realen Horror mit übernatürlichem zu vermischen und im Idealfall ist die Mischung ein fruchtbarer Boden für Allegorien und Symbolik. Oder zumindest für einen atmosphärischen, düsteren Horrorfilm. Ganz beliebt als Setting ist natürlich der Zweite Weltkrieg, mit Filmen wie The Bunker, Below, The Devil’s Rock, Frankenstein’s Army oder Michael Manns Die unheimliche Macht. Wie schon der Geisterhorror Deathwatch spielt jedoch Trench 11 vor dem Hintergrund des filmisch etwas unterrepräsentierten Ersten Weltkriegs und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Produktionen. Auch Trench 11 spielt in einem komplexen System deutscher Schützengräben, in dem sich das Böse herumtreibt.

Wir schreiben die letzten Tage des Ersten Weltkriegs im November 1918. Ein Stoßtrupp aus US-amerikanischen und britischen Soldaten sowie einem kanadischen Tunnelgräber (Rossif Sutherland) erhält den Auftrag, eine riesige unterirdische Bunkeranlage der Deutschen zu erkunden. In dieser hat der deutsche Truppenführer Reiner (Robert Stadlober), auch als "Prophet" bekannt, angeblich an einer neuen hochgefährlichen Waffe gearbeitet. Zeitgleich wird ein deutscher Trupp, darunter Reiner höchstpersönlich, abkommandiert, um alle Spuren seiner ethisch fragwürdigen Forschung zu beseitigen. Das Alliierten-Kommando trifft zuerst am titelgebenden Schützengraben 11 ein. Tief unter der Erde werden sie von wildgewordenen Deutschen angegriffen, deren Verhalten mehr an Tiere als an Menschen erinnert…

Trench 11 ist im Prinzip nichts Anderes als eine kurzweilige Variation des Zombies-/Infizierten-Horrors mit einem zusätzlichen Ekelfaktor, was den Ursprung der Infektion angeht. Der Film möchte das Rad nicht neu erfinden, sondern begnügt sich mit altbekannten Versatzstücken, was aber dennoch überraschend gut funktioniert. Der Blood-’n'-Gore-Anteil ist ordentlich und sobald die Bunkeranlagen betreten sind, bewegt sich die Handlung recht flott. Durch das unterirdische Setting fällt das geringe Budget des Films nicht so sehr ins Gewicht. Leider setzt Trench 11 seine Kulisse kaum dazu ein, um Klaustrophobie beim Zuschauer zu erzeugen.

Die meisten Charaktere sind sehr eindimensional gezeichnet, es gibt allerdings nette kleine Elemente, die man in Weltkriegsfilmen selten sieht, wie beispielsweise den Einsatz von Kokain unter Soldaten. Rossif Sutherland (Kiefer Sutherlands Halb-Bruder!) ist ein sympathischer, wenn auch unterentwickelter Protagonist. Schauspielerisch fällt vor allem Robert Stadlober durch shamloses Overacting auf. Als klischeehafter Oberbösewicht scheint er vergessen zu haben, in welchem Weltkrieg er sich gerade befindet, hatte aber sichtlich großen Spaß an der Rolle und bringt Leben in den dritten Akt des Films. 3/5

The Autopsy of Jane Doe

The Autopsy of Jane Doe Fantasy Filmfest 2017 Tagebuch Tag 2Ein Haus in einer Kleinstadt wird zum Schauplatz grausiger Morde, doch das größte Rätsel stellt für Sheriff Burke ("Game of Thrones"-Star Michael McElhatton) eine am Tatort gefundene, halb vergrabene und äußerlich völlig unversehrte nackte Frauenleiche, die nicht ins Bild des ansonsten sehr blutigen Verbrechens passt. Das Gerichtsmediziner-Duo Tommy (Brian Cox) und Austin Tilden (Emile Hirsch) soll bis zum Morgengrauen die Todesursache der Jane Doe getauften Verblichenen feststellen. Um seinen kürzlich verwitweten Vater nicht alleine zu lassen, versetzt Austin sogar seine Freundin Emma (Ophelia Lovibond). Während draußen ein großer Sturm tobt, geht das Vater-Sohn-Gespann routiniert und methodisch seiner Arbeit nach. Doch je mehr sie vom toten Körper freilegen, desto geheimnisvoller wirken die Umstände von Jane Does Tod und unerklärliche Vorkommnisse häufen sich in der Leichenhalle.

Das englischsprachige Debüt des norwegischen Regisseurs André Øvredal, dessen Mockumentary Trollhunter vor einigen Jahren bei den Fantasy Filmfest Nights lief, erreicht das Fantasy Filmfest mit vielen Vorschusslorbeeren von diversen Festivals. Diese sind weitgehend gerechtfertigt. The Autopsy of Jane Doe ist nicht so gruselig, wie er sein möchte oder wie er von diversen Rezensionen angepriesen wird (die Langkritik meines Kollegen findet Ihr hier), doch er baut bedächtig eine unheimliche Atmosphäre auf und sorgt im letzten Drittel durchgehend für wohlige Gänsehaut. Geschickt lässt Øvredal seine Protagonisten mit jeder neuen Stufe der Autopsie tiefer in das Geheimnis der Leiche vordringen. Auch wenn die meisten Zuschauer die große Enthüllung noch vor den Hauptcharakteren erahnen können werden, ist es ein erfrischender Ansatz im angestaubten Genre.

Die Filmmusik von Danny Bensi und Saunder Jurriaans hilft dabei, die Spannungsschraube anzuziehen. Großes Lob gebührt auch den beiden Hauptdarstellern, die als Vater und Sohn sehr glaubwürdig sind. Gerade Brian Cox hat man schon länger nicht mehr so gut gesehen. Er bringt Würde, Trauer und augenzwinkernden Humor in die Rolle mit. Die Spannung funktioniert in einem Horrorfilm bekanntlich immer nur zu dem Maß, in dem wir mit den Figuren mitfiebern. Auch wenn die Geschichte gegen Ende immer vorhersehbarere Pfade Wege einschlägt, hält Øvredals starke Inszenierung die Spannung aufrecht. Noch nie war das klingeln eines Glöckchens beunruhigender als in diesem Film! 4/5

Raw

Raw Fantasy Filmfest 2017 Tagebuch Tag 2The Autopsy of Jane Doe war nicht der einzige Film des Tages, auf den Fantasy-Filmfest-Besucher schon lange heiß sind. Als letztes Jahr Ohnmachtsanfälle vom Screening des frankobelgischen Kannibalismus-Dramas Raw bei den Filmfestspielen von Cannes berichtet wurden, schoss der Film umgehend auf die Must-See-Listen vieler Genrefans. Dass die Meinungen der FFF-Besucher zum Film sehr polarisierend sind und die Stimmung im Saal gemischt, liegt nicht zuletzt an der völlig falschen Vorstellung, die viele von dem Film im Vorfeld hatten. Wer mit Raw einen weiteren Vertreter der ultrabrutalen französischen Horrorwelle der Marke Inside oder High Tension erwartet, ist hier wirklich fehl am Platz. Es ist, als würde man in Denis Villeneuves Arrival reingehen und Alien-Invasionsbombast á la Independence Day erwarten. Ja, es gibt einige blutige und mitunter eklige Momente in Raw, doch von angeblicher Grenzüberschreitung und Tabubruch kann hier nicht die Rede sein. Es ist nicht Cannibal Holocaust und das ist völlig okay so.

Raw handelt von Justine (Garance Marillier), einer Erstsemester-Medizinstudentin und überzeugten Vegetarierin (wie auch der Rest ihrer Familie). Erstmals weg von Zuhause, stellt sie fest, dass solche Ideale an der Uni nicht lange Bestand halten. Im Rahmen eines Aufnahmerituals für Neuankömmlinge wird sie durch Gruppendruck – darunter seitens ihrer älteren Schwester Alexia (Ella Rumpf) – dazu gezwungen, rohes Fleisch zu konsumieren. Justine kommt auf den Geschmack, doch schon bald reicht ihr totes Tierfleisch nicht mehr aus.

Raw ist eine sensibel erzählte Coming-of-Age-Geschichte, die dem Ruf eines ultraheftigen Horrorschockers weder gerecht wird noch tut dieser ihr einen Gefallen, denn er lenkt davon ab, worum es hier eigentlich geht. Im Grunde ist Raw nichts anderes als Ginger Snaps mit einem Schuss von Black Swan. Wurde im kanadischen Horrorfilm das sexuelle Erwachen und die Selbstfindung einer jungen Frau durch die Verwandlung in einen Werwolf symbolisiert, sind es hier kannibalistische Gelüste. Auch die Dynamik der beiden Schwestern – eine ausgelassen, wild und herrisch, die andere zurückhaltend und schüchtern – erinnert sehr an das Zusammenspiel von Katharine Isabelle und Emily Perkins aus Ginger Snaps. Weil Ginger Snaps die Alegorie bereits so gut abgehandelt hat, hat man bei Raw trotz guter Umsetzung durch die Regisseurin Julia Ducournau das Gefühl, es alles irgendwie schon zu kennen. Die beiden fantastischen Hauptdarstellerinnen (Garance Marillier war bei den Dreharbeiten erst 17!) heben den Film jedoch deutlich über den Durchschnitt und wirken sehr glaubwürdig als gegensätzliche und einander doch sehr verbundene Schwestern. Eine noch positivere Rezension findet Ihr von meinem Kollegen hier. 3,5/5

Rendel

Rendel Fantasy Filmfest 2017 Tagebuch Tag 2Rentiere, Saunas, Schnee, Nordlichter und der Weihnachtsmann. Das bringt man mit Finnland in Verbindung. Ein actionreicher Superheldenfilm? Nicht wirklich. Rendel ist der erste seiner Art und als erster finnischer Superheldenfilm ist er ein Herzensprojekt des Regisseurs Jesse Haaja, der auch das Drehbuch schrieb und den titelgebenden Helden noch zu Schulzeiten erfunden hat. Das teilte der Macher in einer sympathischen Videobotschaft vor Filmbeginn mit. Es ist angesichts des etwas rauen Klimas in Finnland irgendwie auch natürlich, dass der maskierte Kämpfer für die Gerechtigkeit kein strahlender Superman ist, sondern vielmehr dem Punisher ähnelt. Für seine Gegner zeigt Rendel (Kris Gummerus) wenig Gnade und geht nicht gerade zimperlich vor (FSK18 wurde bereits erteilt). Im Visier hat er VALA, ein kriminelles Medizin-Unternehmen, das gefährlichen Impfstoff in Entwicklungsländer exportiert.

Jesse Haaja war bei dem Film offensichtlich mit viel Herz- und Filmblut bei der Sache und großer Liebe für seine Vorbilder. Technisch kann sich die Umsetzung der Actionsequenzen sehen lassen und wer seine Superheldengeschichten etwas brutaler mag, wird hier auf seine Kosten kommen. Abgesehen davon, dass es der erste finnische Superheld ist, ist bei Rendel jedoch wenig originell. Was die düstere Hintergrundgeschichte und das Modus Operandi seines Titelhelden angeht, schneidet der Film eine große Scheibe bei Marvels Punisher und Sam Raimis Quasi-Superheldenfilm Darkman ab. Dabei leidet der Film jedoch unter Logiklöchern, die so groß sind, dass Hulk hindurchspringen könnte. So können die Handlanger der Schurken noch weniger treffsicher schießen als die Stormtrooper bei Star Wars. Vor allem wird aber nie erklärt (Spoilerwarnung!) wie aus einem Bürohengst, der eine Gesichtsmassage mit einem mit Nägeln bespickten Baseballschläger verpasst bekommen hat, plötzlich sofort ein effektiver Nahkampf-Experte wird. Ich bin normalerweise der letzte, der bei einem Superheldenfilm den Mangel an Logik anprangert, doch wenn deren Missachtung so offenkundig ist, fällt es schwer, darüber zu schweigen.

Spaßig bleibt es allerdings meist dennoch, insbesondere wenn ein Trupp tödlicher, eigenwilliger Söldner ins Spiel kommt, um Rendel das Handwerk zu legen, darunter auch Wyrmwood-Darstellerin Bianca Bradley. Leider ist es auch der Segment, in dem jegliche Plausibilität endgültig flöten geht. Ein Gag, der an eine gewisse Szene aus dem ersten Indiana Jones erinnert, ist dennoch klasse. Bei aller Kritik wünsche ich mir, das deutsche Kino würde sich auch mal an einen solchen Film herantrauen. 2,5/5

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Ein durchaus zufriedenstellender, aber auch langer Tag beim Fantasy Filmfest ging zu Ende und am dritten Tag wird es wieder ein wenig ruhiger zugehen, mit 2-3 Filmen. Auf jeden Fall erwartet Euch meine Meinung zum im Vorfeld viel gepriesenen Entführungsdrama Hounds of Love und zur filmgewordenen Kotztüte The Night of the Virgin.

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Es, The Mermaid)

Fantasy Filmfest Tagebuch 2017 – Tag 1

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Fantasy Filmfest 2017 Tagebuch Tag 1

Mit etwas Verspätung beginne ich mit meiner alljährlichen Berichterstattung vom Fantasy Filmfest 2017 in Köln. Es ist bereits die 31. Ausgabe des größten deutschen Genre-Filmfestivals (immer leicht für mich zu merken, denn das Festival und ich sind aus dem selben Jahrgang) und laut Veranstalter Stefan Rainer hat das FFF dieses Jahr die beste Filmauswahl in der Geschichte des Festivals. Leerer Hype oder wahre Worte? Natürlich sind solche Behauptungen immer subjektiv und ich habe auch nicht die vorherigen 30 Jahre des FFF ausführlich studiert, doch ein Blick auf die diesjährigen Filme verrät, dass es dieses Jahr einige wirklich hochkarätige, in Vorfeld schon mit viel Hype beladene Filme ins Programm geschafft haben. Allen voran ist natürlich der Eröffnungsfilm Es zu nennen, der vermutlich "größte" Streifen, der es je ins Programm des Fantasy Filmfests geschafft hat, zumindest was die Begeisterung im Vorfeld betrifft. Innerhalb von nur 15 Minuten nach Vorverkaufsbeginn war die Vorstellung in Köln restlos ausverkauft, sodass das Residenz-Kino einen zweiten Saal bereitstellte, für den die Tickets ebenfalls wie heiße Semmeln weggingen. Nicht umsonst bricht die Stephen-King-Verfilmung in den USA aktuell alle Rekorde für Horrorfilme.

Doch auch weitere Highlights hat das Festival über seine 11 Tage zu bieten. Der franko-belgische Kannibalen-Schocker Raw, der bei seiner Premiere in Cannes letztes Jahr angeblich für Ohnmachtsanfälle im Publikum sorgte, wird von vielen Zuschauern heiß erwartet. Der Australier Greg McLean, der mit den beiden Wolf-Creek-Filmen und dem Workplace-Horrorthriller The Belko Experiment FFF-Besucher begeisterte, ist zurück mit dem Abenteuerfilm Jungle mit Daniel Radcliffe ein Jahr nach dem FFF-Doppeleinsatz des Harry-Potter-Stars  in Swiss Army Man und Imperium. Frontier(s)-Regisseur Xavier Gens probiert sich mit The Crucifixion am beliebten Genre des Exorzismus-Horrors. 47 Meters Down, der bereits in den USA ein Überraschungshit an den Kinokassen war, bringt die tödlichen Haie ins Kino zurück. Takashi Miike ist nicht nur mit dem 100. Film seiner Karriere, dem ultrablutigen Blade of the Immortal, auf dem Festival vertreten, sondern bekommt auch eine Double-Feature-Retrospektive mit Audition und Lesson of the Evil. Darüber hinaus erwarten die Zuschauer Beiträge aus Finnland, Israel, Island, Italien, Polen, Dänemark und diesmal sogar zwei deutschsprachige Filme.

Der verhältnismäßig späte Beginn des einst sommerlichen Festivals im September ist darin begründet, dass das Fantasy Filmfest dieses Jahr zeitgleich mit dem Toronto International Film Festival (TIFF) losgeht. Auf diese Weise konnten Filme ins Programm aufgenommen werden, die beim TIFF ihre Weltpremiere feiern. Das TIFF hat gegenüber dem FFF häufig Vorrang, sodass die hiesigen Zuschauer nicht selten bis zu den nächsten Nights warten mussten, um die neuen Genre-Knaller zu sehen, die in Toronto bereits gelaufen sind. Durch die parallele Austragung der Festivals konnte das TIFF das Privileg der Weltpremiere behalten und die entsprechenden Filme durften dennoch beim Fantasy Filmferst direkt gezeigt werden, nur eben einige Tage später. Das ist natürlich eine echt gute Sache, führt jedoch gerade in Köln zur unglücklichen Verkettung, dass sich  die letzten Tage des Fantasy Filmfests dieses Jahr mit dem Beginn des Cologne Film Festivals (ehemals Cologne Conference) überschneiden, von dem ich ebenfalls im Anschluss berichten werde. Das werden lange zwei Wochen in den Kölner Kinos sein.

Also schnallt Euch an, denn in den nächsten Tagen findet Ihr bei uns Kurzkritiken zu mehr als 35 Filmen vom Fantasy Filmfest 2017. Es bleibt beim gleichen Format der Tagebücher, wie in den letzten Jahren, wobei ausgewählte Filme später noch für längere Rezensionen ausgekoppelt werden. Ich bin bereits bestens ausgerüstet mit Energy-Drinks gegen Schlafmangel, Lesestoff für die tägliche Pendelei zwischen Bonn und Köln und einer riesigen Vorfreude auf mein 14. Fantasy Filmfest!

Tag 1

Es (2017)

Es Fantasy Filmfest 2017 Tag 1 KritikSeit 2005 habe ich keinen einzigen Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests verpasst und das sollte sich auch dieses Jahr nicht ändern, obwohl ich Andy Muschiettis Es bereits zweimal zuvor gesehen habe. Es spricht aber natürlich auch für den Film, dass ich ihn bereitwillig zum dritten Mal innerhalb von nur drei Wochen gesehen habe. In einem ausverkauften Saal und mit einem Publikum von Gleichgesinnten, die den Film sehnlichst erwartet haben, ist das Erlebnis alleine schon Grund genug. Der Film selbst hielt auch der dritten Sichtung stand, ohne sich sonderlich abzunutzen. Die Stärken waren wieder einmal sehr deutlich, aber auch der Mangel an wirklich gruseligen Momenten. Zwar behält der Film weiterhin seine unheimliche Geisterbahn-Atmosphäre, doch die wenigen Szenen, die ich beim ersten Mal noch aufrichtig furchteinflössend fand, haben ihre Wirkung mittlerweile verloren.

Das ist jedoch nicht weiter schlimm, denn wie schon beim ersten Viewing, funktioniert Es immer noch am besten als einfühlsamer Coming-Of-Age-Film mit einer fantastisch aufeinander eingespielten Besetzung aus sehr talentierten Jungdarstellern, allen voran die Entdeckung Sophia Lillis als Beverly, die hoffentlich noch eine lange Karriere vor sich hat. Die Verfilmung von Stephen Kings Roman über eine Gruppe Kinder, die in ihrer Kleinstadt Derry von einem böswilligen Wesen terrorisiert werden, das häufig die Form eines Clowns (Bill Skarsgård) oder der Urängste seiner Opfer annimmt, verlagert die Handlung ins Jahr 1989 (anstelle des Fünfziger-Settings des Romans). Anstatt zu sehr auf der Achtziger-Nostalgieschiene zu fahren, wirkt die Geschichte über die Freundschaft und das Erwachsenwerden zeitlos. Skarsgård macht seine Sache als böser Clown unheimlich gut, hinterlässt aber keinen so bleibenden Eindruck wie einst Tim Curry in der Rolle, was hauptsächlich an seiner begrenzten Screentime liegt. Dieser Film gehört vor allem den Kindern und das ist auch gut so. Wer es ausführlicher wissen möchte, findet meine Langkritik zum Film hier. Es ist nicht der beste Fantasy-Filmfest-Eröffnungsfilm, den ich in meiner Zeit beim Festival gesehen habe (diesen Titel würde ich an den letztjährigen Swiss Army Man vergeben), doch er spielt auf jeden Fall in der oberen Liga mit und ist die perfekte Wahl, um Festivalbesucher auf die darauffolgenden zehn Tage einzustimmen. 4/5

The Mermaid

The Mermaid Fantasy Filmfest 2017 Tag 1 KritikBevor Wolf Warrior 2 ihn dieses Jahr ablöste, war Stephen Chows Öko-Märchen The Mermaid der erfolgreichste Film aller Zeiten in China, und im Gegensatz zum Propaganda-Actionfilm ist The Mermaid keine hurrapatriotische Glorifizierung des Reichs der Mitte, sondern enthält vielmehr mal mehr mal weniger subtile Sticheleien gegen die Oberflächlichkeit und Ignoranz der Neureichen des Landes und die Zerstörung der Umwelt. Alles beginnt, als der Industrielle Liu Xuan (Deng Chao) zum horrenden Preis das Naturschutzgebiet Green Gulf erwirbt. Um die Delfine aus dem Golf zu verjagen, um dann die Erlaubnis zu bekommen, die idyllische Gegend zu bebauen, setzt er Sonar-Technologie ein. Was Xuan jedoch nicht weiß, ist, dass Delfine nicht die einzigen Bewohner des Golfs sind. Auch zahlreiche Meerjungfrauen leben dort schon lange, verborgen vor den Augen der Menschen. Das Sonar ist für sie tödlich, sodass sie sich auf engem Raum in einem alten Schiffwrack verstecken müssen. Schnell erstellt Octopus (Show Luo) – halb Mensch, halb Oktopus (Überraschung!) – einen todsicheren Plan: die bildhübsche Meerjungfrau Arielle Shan (Jelly Lin) soll an Land gehen, Xuan verführen und töten. Zu doof, dass Xuan keinerlei Interesse an ihr zeigt und sie für eine Prostituierte hält. Ihr Glück wendet sich jedoch, als Xuan auf ihre Avancen angeht, lediglich um seine sexy Geschäftspartnerin Ruolan (Zhang Yuqi), die ihm vorgeworfen hat, oberflächlich zu sein, eifersüchtig zu machen. Doch bevor er sich versieht, entdeckt Xuan durch Shan neue, schöne Seiten des Lebens und auch Shan fällt es nicht mehr leicht, ihren Auftrag durchzuführen. Weder Octopus noch Ruolan passt allerdings die neue Entwicklung.

Hiesige Filmfans kennen The-Mermaid-Regisseur und Multitalent Stephen Chow vermutlich am besten durch seine Martial-Arts-Gangsterkomödie Kung Fu Hustle und wer diesen Film kennt, kann erahnen, was einen bei The Mermaid erwartet. Chows Stärken sind nicht Subtilität oder clevere Dialoge, sondern visuelle Gags. Mal ausgelassen und unverschämt albern, mal herrlich absurd, hat The Mermaid viele Momente, die das Zwerchfell der Zuschauer anstrengen. Die Szene, in der Shan versucht, einen Anschlag auf Xuan zu verüben, ist eine schnelle, sich steigernde Aneinanderreihung von perfekt inszenierten, urkomischen Fehlschlägen und eine der lustigsten Sequenzen, die ich dieses Jahr gesehen habe. Sein Talent für durchchoreografierten Humor bewies Chow bereits mit Shaolin Kickers und Kung Fu Hustle und er funktioniert hier auch ohne Chow selbst vor der Kamera, der diesmal strikt hinter der Kamera geblieben ist.

The Mermaid ist jedoch nicht nur ein Naturschutz-Plädoyer und eine durchgeknallte Fantasy-Komödie, sondern auch eine süße Romanze. Die Chemie zwischen Deng Chao und Jenny Lin überwindet die dünn geschriebenen Charaktere. Gerade die junge Newcomerin Lin, die aus über 100.000 Bewerberinnen für die Rolle von Shan ausgewählt wurde und zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nur 18 Jahre alt war, ist ein absoluter Volltreffer. Wenn sie sich unbeholfen auf ihren Schwanzflossen auf Land bewegt (und skatet!), strahlt die Unschuld und Naivität einer Person aus, die eine neue Welt für sich entdeckt. Mit ihrer kindlichen Begeisterung angesichts einfacher Dinge wie Brathähnchen verzaubert sie nicht nur Xuan, sondern auch die zynischsten Zuschauer, sodass das (überraschend gewalttätige) Finale auch eine starke emotionale Komponente gewinnt. Da sieht man auch gerne über die fragwürdigen Greenscreen-Effekte auf Neunziger-Niveau und den Vorschlaghammer-Charakter der Message hinweg. Deren Einfachheit macht auch irgendwie den liebenswerten Charme des Films aus.

Wenn man sich auf diesen wilden Genremix einlässt, ist The Mermaid ein Riesenspaß, so unschuldig und manchmal naiv wie seine Titelheldin. Voller unbändiger Energie und Elan inszenierte Stephen Chow seinen besten Film seit Kung Fu Hustle. 4/5

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In der nächsten Ausgabe meines Fantasy-Filmfest-Tagebuchs 2017 geht es gleich mit zwei potenziellen Genre-Highlights des Jahres weiter, die mit Sicherheit für volle Säle sorgen werden: dem französischen Kannibalismus-Schocker Raw und dem auf Festivals gefeierten und angeblich sehr gruseligen The Autopsy of Jane Doe mit Brian Cox und Emile Hirsch. Darüber hinaus gibt es Horror aus dem Ersten Weltkrieg in Trench 11 und den ersten finnischen Superhelden in Rendel. Schaut rein!

Box-Office USA: Es bleibt gigantisch, mother! floppt

mother! Es Einspiel

Links: Es © 2017 Warner Bros. Pictures
Rechts: mother! © 2017 Paramount Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Nach dem umsatzschwächsten Sommer in Nordamerika seit über zehn Jahren, steuern die Einspielergebnisse diesen Monat dank dem Megahit Es auf einen möglichen neuen Rekord zu. Vergangenes Wochenende setzte die Top 12 insgesamt $103,6 Mio um. Das war zwar 33% weniger als in der Vorwoche, jedoch 38% mehr als am gleichen Wochenende vor einem Jahr, als Clint Eastwoods Sully zum zweiten Mal in Folge die Charts anführte. Die beiden Newcomer in den Kinos haben keinen großen Eindruck hinterlassen, doch Es herrschte wieder einmal mit phänomenalen Zahlen. Die meisten Filme hielten sich am Wochenende außerordentlich gut, insbesondere Familienfilme und Filme mit der jugendfreien PG-13-Freigabe. Dies liegt am aktuellen Überangebot von Filmen mit einem R-Rating. Schaut man sich die Charts an, merkt man, dass sechs der sieben oberen Filme R-rated sind. Der Markt dürstet nach massentauglicheren Streifen.

Die Stephen-King-Verfilmung Es erfreute sich weiterhin enormer Beliebtheit und die positive Mundpropaganda wirkt jetzt schon Wunder. Nach einem gigantischen Start, der den bisherigen September-Rekord zerschmetterte, ging es in der zweiten Woche um lediglich 51,3% hinab auf $60,1 Mio. Für einen so groß gestarteten Horrorfilm ist es ein sehr guter Drop. Allein das zweite Wochenende des Films hätte für einen neuen September-Startrekord ausgereicht, den Hotel Transsilvanien 2 bis zu diesem Jahr mit $48,5 Mio hielt. Es war das drittbeste zweite Wochenendergebnis des Jahres, lediglich hinter Die Schöne und das Biest ($90,4 Mio) und Guardians of the Galaxy Vol. 2 ($65,3 Mio) und vor Megahits wie Wonder Woman ($58,5 Mio) und Spider-Man: Homecoming ($44,2 Mio). Dass ein Horrorfilm auf dem Level dieser Comic-Blockbuster läuft bzw. gar darüber, ist schier unfassbar. Es war natürlich auch das größte zweite Wochenende aller Zeiten für einen Horrorfilm. Sogar Horrorhits wie Conjuring oder Paranormal Activity 3 spielten an ihrem ersten Wochenende weniger ein als Es an seinem zweiten.

Nach zehn Tagen hat Es bislang $218,8 Mio eingenommen und brach damit mehrere weitere Rekorde. Es ist die mit Abstand erfolgreichste Stephen-King-Verfilmung aller Zeiten (zuvor war es The Green Mile mit $136,8 Mio) und der erste Film, der im September in die Kinos kam und mehr als $200 Mio in den USA und in Kanada einspielte. Sogar inflationsbereinigt liegt Es bereits auf Platz 4 unter den erfolgreichsten Filmen, die je im September veröffentlicht wurden. Außerdem zog Es mit Deadpool gleich, als schnellster R-rated-Film, der $200 Mio in Nordamerika erreichte. Beide benötigten dazu nur neun Tage. Es liegt bereits auf Platz 12 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten mit einem R-Rating in den USA und wird auf lange Sicht als vierter R-rated-Film (nach Die Passion Christi, Deadpool und American Sniper) die $300-Mio-Marke überschreiten. Einem Horrorfilm ist dies noch nie gelungen (inflationsbereinigt liegt Der Exorzist aber natürlich weit darüber). Mit Unfriend, Flatliners und Jigsaw nächsten Monat erwartet den Film durchaus einiges an direkter Konkurrenz, doch da er mittlerweile den Status eines Eventfilms und eines Must-Sees erreichte, werden ihm diese Filme auch wenig ausmachen. Aktuell gehe ich von gigantischen $330-340 Mio für das Gesamteinspiel des Horrorfilms aus, dessen Budget lediglich $35 Mio betrug.

Platz 2 ging an den Neueinsteiger American Assassin. Der Actionthriller mit Michael Keton und Dylan O’Brien spielte $14,8 Mio von 3154 Kinos ein und erzielte dabei einen Schnitt von $4707 pro Spielstätte. Von den Kritikern wurde der Film weitgehend verrissen, die Zuschauer waren deutlich besser auf ihn zu sprechen und vergaben im Schnitt einen soliden "B+"-CinemaScore (äquivalent einer "2+"). Die Haupt-Zielgruppe waren ältere Männer, denn 71% der Gesamtzuschauer am Startwochenende waren älter als 35 und 55% waren männlich. In diesem Zuschauersegment wird der Film in den kommenden Wochen direkte Konkurrenz von Kingsman: The Golden Circle und Barry Seal: Only in America bekommen. Daher sollte er nicht mehr als $38-43 Mio einspielen. Bei einem Budget von nur $33 Mio (ohne Marketingkosten) hat er jedoch gute Chancen, international die Ausgaben wieder einzunehmen und sogar ein wenig Profit zu machen.

Platz 3 belegte der Flop der Woche, Darren Aronofskys bizarres Filmexperiment mother! Trotz seiner Starbesetzung aus Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Michelle Pfeiffer und Ed Harris spielte der Film nur $7,5 Mio von 2368 Lichtspielhäusern ein und schrieb einen Schnitt von $3182 pro Kino. Es ist der schwächste breite Start in der bisherigen Karriere der Oscargewinnerin Lawrence. Viel erschreckender ist jedoch, wie negativ die Zuschauer auf den Film reagierten. Alle Zuschauergruppen vergaben dem Film im Schnitt den niedrigsten "F"-CinemaScore, äquivalent einer "6". mother! ist erst der 12. Film in der langen CinemaScore-Geschichte, der diese Wertung erhalten hat. Gerade extrem polarisierende Filme sind von einer solchen Wertung gelegentlich betroffen. Weitere Beispiele sind Richard Kellys The Box und Steven Soderberghs Solaris. In jedem Fall bedeutet eine solche Wertung natürlich extrem negative Mundpropaganda, sodass mother! an den Kinokassen sehr schnell zusammenbrechen und maximal $15-17 Mio erreichen wird. Da Paramount $30 Mio (Marketingausgaben ausgeschlossen) für den Film springen ließ, kann das Studio mit dem Ergebnis kaum zufrieden sein.

Auf Seite 2 geht es um die neusten Einspielergebnisse älterer Filme wie Wind River, Annabelle 2, Spider-Man: Homecoming und Wonder Woman.

Wind River (2017) Kritik

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Wind River (2017) Filmkritik

Wind River, GB/CAN/USA 2017 • 107 Min • Regie & Drehbuch: Taylor Sheridan • Mit: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Graham Greene, Gil Birmingham, Kelsey Asbille, Jon Bernthal • Kamera: Ben Richardson • Musik: Nick Cave, Warren Ellis • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Wild Bunch • Kinostart: 8.02.2018 • Facebook

Eine junge Frau läuft im kalten Mondlicht durch eine karge Schneelandschaft. Sie ist barfuß, blutet und wimmert. Doch auch ohne einen erkennbaren Zufluchtsort gibt sie nicht auf. Mit dieser erbarmungslosen Szene eröffnet „Sons of Anarchy“-Star und Drehbuchautor Taylor Sheridan („Sicario“, „Hell or High Water“) sein Regiedebüt „Wind River“. Der mit atmosphärischen Landschaftsbildern und einem undefinierbaren Gefühl der Bedrohung operierende Thriller hat seinem Schöpfer auf dem Cannes Filmfestival in der Sektion „Un Certain Regard“ den Preis für die „Beste Regie“ eingebracht – zu Recht. Wie die großen Meister des Spannungsfachs versteht auch Sheridan, dass ein gutes Genrewerk nicht durch den Dauereinsatz von Kunstblut und Pyrotechnik aus dem Einheitsbrei herausragt, sondern vor allem von einer packenden Story mit sorgfältig ausgearbeiteten Figuren getragen werden sollte. Sein Film erfindet das Rad ganz sicher nicht neu, doch mit seinem konzentrierten Fokus und der enorm dichten Inszenierung hinterlässt „Wind River“ einen bleibenden Eindruck.

Wind River (2017) Filmbild 1

Im Wind-River-Indianerreservat entdeckt der Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) in der eisigen Einöde eine Frauenleiche. Wie er sofort erkennt, handelt es sich bei der Toten um die 18-jährige Ureinwohnerin Natalie Hanson (Kelsey Asbille), die Zeichen eines stumpfen Traumas und sexueller Gewalt aufweist. Wie dies bei einem Mord üblich wäre, wird das FBI für weitere Ermittlungen hinzugezogen. Die Autopsie bestätigt einen Angriff auf die Teenagerin, doch die tatsächliche Todesursache wird auf die Einwirkungen der extremen Kälte zurückgeführt. Obwohl die zuständige Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) unter diesen Umständen nicht auf weitere Unterstützung durch ihrer Behörde hoffen kann, zeigt sie sich von dem Fall erschüttert und beschließt, zusammen mit Lambert und der örtlichen Polizei dem Täter auf die Spur zu kommen. Während der Nachforschungen wird klar, dass Lambert mit der Aufklärung des grausamen Verbrechens nicht nur Gerechtigkeit für das Opfer schaffen, sondern zugleich mit seiner eigenen Vergangenheit aufräumen will …

Wind River (2017) Filmbild 2

Wer an die USA denkt, wird vermutlich zuerst die gängigen Urlaubsziele vor Augen haben – New York, Los Angeles, San Francisco und Co. Dass zu dem Land auch so raue und wenig einladende Gebiete wie in „Wind River“ gehören, mögen die meisten Touristen einfach ausblenden. Mehr als andere Produktionen rückt der Autor und Regisseur hier die Ursprungsgeschichte der Vereinigten Staaten ins Zentrum eines Mystery-Stoffes, der auf sehr eigenwillige Weise auch Elemente des Noir- und Western-Kinos in sich aufnimmt. So schildert der auf einer wahren Begebenheit basierende Film (eine Texttafel informiert uns zu Beginn über dieses Detail) nicht bloß die Prozeduren der Ermittlung, sondern wirft außerdem einen interessanten Blick auf einen isolierten Fleck des Landes, der noch nicht völlig von der Industrie aufgesaugt wurde und einer Reise zu den bitteren Anfängen gleichkommt. Wenn am Ende ein indianischer Protagonist Kriegsbemalung auflegt und einer anderen Figur klagend mitteilt, dass bald niemand mehr diese Tradition weitervermitteln kann, wird jedoch deutlich, dass auch hier das langsame Aussterben eines Volkes stattfindet.

Wind River (2017) Filmbild 3

Im Gegensatz zu vielen aktuellen Thrillern verweigert sich „Wind River“ auch in der Zeichnung seiner Charaktere den üblichen Klischees. Es wäre leicht gewesen, dem erfahrenen Lambert reichlich plump das Greenhorn Banner unterzuordnen und so eine eindeutige Hierarchie herzustellen. Doch die Performances von sowohl Jeremy Renner („Tödliches Kommando – The Hurt Locker“) als auch Elizabeth Olsen („Martha Marcy May Marlene“) sind derart nuanciert ausgefallen, dass vor allem die intimen Momente des Films nachhaltig imponieren: In einer Szene äußert sich der Jäger unvermutet offen zu einem tragischen Lebensereignis, das einerseits seine persönliche Bindung an den Fall illustriert und andererseits das emotionale Band zwischen ihm und der idealistischen Agentin verstärkt. Ohne Kitsch oder Pathos bleiben die Gesten zwischen ihnen subtil aber dennoch glasklar. Die herausragenden Leistungen der Schauspieler bis in die Nebenrollen (hier sei auch der nur kurz auftauchende Jon Bernthal hervorgehoben) sind das, was sich nach dem Kinobesuch am mächtigsten in das Gedächtnis der Zuschauer einbrennen wird.

Wind River (2017) Filmbild 4

Mit einem mystischen Soundtrack von Nick Cave und Warren Ellis unterlegt, endet Taylor Sheridans beeindruckender und durchweg fesselnder Regie-Einstand nach einer plötzlichen Gewalteruption mit einer trostlosen und melancholischen Note. Das Verbrechen ist aufgeklärt, der Gerechtigkeit Genüge getan – doch die Schwachen werden in diesem gnadenlosen Umfeld weiterhin die Opfer bleiben.


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