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A Ghost Story (2017) Kritik

A Ghost Story (2017) Filmkritik

A Ghost Story, USA 2017 • 92 Min • Regie: David Lowery • Drehbuch: David Lowery • Mit: Casey Affleck, Rooney Mara, Will Oldham • Kamera: Andrew Droz Palermo • Musik: Daniel Hart • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 7.12.2017 • Deutsche Website

"Dieser Film ist ein ausdrücklicher Versuch, mit dem Zeitvergehen umzugehen. Die Uhr dreht sich weiter, ob ich es nun mag oder nicht", kommentiert Regisseur David Lowery (The Saints – Sie kannten kein Gesetz) seine dritte Regiearbeit. Wie Recht er damit hat…

Obwohl A Ghost Story eine Spielzeit von nur 92 Minuten hat, war ich nach einer morgendlichen Filmvorführung erstaunt darüber, dass es draußen noch nicht dunkel geworden war. Das ist nun insofern negativ, als der Film sich viel zu viel Zeit nimmt, um seine Wirkung zu entfalten. Andererseits hat mich dieser zähe Stoff im letzten Augenblick emotional doch noch erwischt. Ohne Zeitgefühl reflektierte ich während des Abspanns über mein eigenes begrenztes Dasein auf dieser Welt.

A Ghost Story (2017) Filmbild 1

Ein zweischneidiges Schwert also, das sein Ziel wohl verfehlen würde, wenn es eines hätte. Denn es bleibt ein "Versuch", sich mit der Zeit, dem Tod und der Frage nach der Sinnhaftigkeit unserer Existenz auseinanderzusetzen. Welche Spuren hinterlassen wir nach unserem Ableben für die Nachwelt und welche Bedeutung könnten sie haben? Nach einem Autounfall versucht der verstorbene C (Casey Affleck) als Geist, seiner trauernden Frau M (Rooney Mara) beizustehen und diese Fragen zu beantworten. Im Limbus gefangen, begreift er, dass er nur zusehen kann, wie das Leben ohne ihn weitergeht. A Ghost Story ist ein melancholischer und sehr persönlicher Essay, der sich als solcher durchaus behaupten könnte, wenn er nur halb so lang wäre. Anders als man zunächst vermuten könnte, ist nämlich nicht das anfänglich noch unfreiwillig komische Umherirren des in Bettlaken gehüllten Casey Affleck das Problem. Diese naive Metapher funktioniert erstaunlicherweise sehr gut. Lowery verzichtet weitestgehend auf Gespensterklischees und lässt nur selten aber sehr gezielt etwa Geschirr durch scheinbar unsichtbare Hände umherwerfen. Bis auf solche gelegentlichen Aktionen unternimmt die Hauptfigur nichts. Sie ist stiller Beobachter in einem sehr begrenzten Raum, der sich unaufhörlich verändert – oder auch nicht. Womit wir zum eigentlichen Problem kommen.

A Ghost Story (2017) Filmbild 2Fast so tragisch wie die Situation des Geistes ist hier die Tatsache, dass der Zuschauer zwar mitfühlt, das Kernthema Zeit jedoch zum unerträglichen Störfaktor für ebendiesen wird. Das perfekte Beispiel dafür ist die jetzt schon berüchtigte Kuchenszene. Nachdem die trauernde M einen Kuchen ihrer Freundin auf dem Esstisch findet, hockt sie sich auf den Boden und beginnt ihn unter Tränen hinunterzuwürgen. Was als bewegende Szene beginnt, wird "schnell" zur Geduldsprobe. In Echtzeit darf man Rooney Mara nämlich dabei zusehen, wie sie fast den ganzen Kuchen aufisst, während ihr verstorbener Partner danebensteht. Kein Schnitt und keine Besonderheiten im restlichen Bild erlösen den Zuschauer für mehrere Minuten! Es ist wie in vergleichbaren Szenen aus "Family Guy", nur dass die gefühlte Unendlichkeit dieser Szene hier den Film um nichts weiter bereichert als Zeit. Wenn wir als Zuschauer genau das fühlen sollten, dann hat es Regisseur Lowery geschafft. Wir leiden im Kinosaal wie der Geist auf der Leinwand und fragen nach dem Sinn und Zweck des Ganzen. Das wäre aber definitiv auch ohne solche Tricksereien machbar.

A Ghost Story (2017) Filmbild 3Dass es auch schöner geht, beweisen Zeitraffer, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Es geht mitunter wirklich ans Herz, wenn man C dabei zusieht, wie alles um ihn herum seinen Lauf nimmt. Unaufhörlich und grausam, weil er nichts dagegen tun kann und ihn über erschreckend viele Jahre hinweg die Hoffnung auf Frieden quält. Allerdings spart der Film an derartigen Mitteln seines Formats und reiht immerzu Kuchenmäßiges aneinander, womit er sich auch inhaltlich wiederholt. Dieselbe Botschaft wird in schönen, aber eben auch ermüdenden Bildern gebetsmühlenartig verkündet: Du kannst eigentlich nichts tun. Wenn du Glück hast, hinterlässt du etwas, das für jemand anderen von Bedeutung sein könnte. Aber selbst wenn du das tust, was bringt es dir? Ein pseudophilosophischer und minutenlanger Monolog eines Partygastes im letzten Drittel des Films trägt diese Erkenntnis nochmal zum Mitschreiben vor. Da muss man schon heftig mit der Stirn runzeln. Denn am Ende bekommt C tatsächlich eine Antwort auf die erwähnte Frage und der Moment, in dem das geschieht, berührt. Ist der Monolog zuvor also der dramaturgische Höhepunkt auf der Reise des nun desillusionierten und verzweifelten Helden? Wohl kaum, denn die Bildersprache von A Ghost Story reichte bereits vollkommen aus. Dieser Film ist sich leider selbst im Weg. Ein nie enden wollender Weg.

Die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller ist top, die Chemie zwischen Oscar-Preisträger Affleck (Manchester by the Sea) und der Oscar-nominierten Mara (Carol) perfekt. Es ist beinahe unangenehm, ihnen im Bett beim Kuscheln zuzusehen. Denn nicht zuletzt aufgrund der Ewigkeit, die sich Lowery auch dafür nimmt, bekommt man das Gefühl, als wäre man besser vor der Schlafzimmertür geblieben, um dieses liebevolle Paar nicht zu stören. Dessen wenige gemeinsame Szenen reichen aus, um die nötige emotionale Verbindung zu den Figuren herzustellen.

Fazit

A Ghost Story ist sehr ambitioniert, originell und zum großen Teil schön gefilmt. Doch insgesamt ist es leider auch eine Geistergeschichte im wörtlichen Sinne: Sie fühlt sich über weite Strecken leer an und will einfach nicht enden. Zu oft wiederholen sich Metaphern und zu viel Zeit wird vergeudet. Ich wage die These, dass David Lowerys Vision in einem Kurzfilm deutlich besser zur Geltung gekommen wäre. Um vor Langeweile nicht selbst wie ein Geist im Kinosaal umherzuwandeln, kann ich einen Gang dorthin nicht empfehlen. Ich komme aber auch nicht umhin zu betonen, wie gut der Film in seiner zweiten Hälfte noch die Kurve kriegt. Vielleicht probiert man ihn im Heimkino bei entsprechender Gemütslage aus?


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Flatliners (2017) Kritik

Flatliners (2017) Filmkritik

Flatliners, USA/CA 2017 • 110 Min • Regie: Niels Arden Oplev • Mit: Ellen Page, Nina Dobrev, Diego Luna, Kiersey Clemons, James Norton • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 30.11.2017 • Deutsche Website

Handlung

Die strebsame Medizinstudentin Courtney (Ellen Page) ist besessen davon, herauszufinden, was die Menschen nach dem Tod erwartet. Um dieser Frage nachzugehen, baut sie in leerstehenden Notfallräumen unter dem Universitätskrankenhaus ein gefährliches Experiment auf. Zu diesem Zweck rekrutiert sie zwei zunächst widerwillige Kommilitonen, den privilegierten Player Jamie (James Norton) und die am Studium verzweifelnde Sophia (Kiersey Clemons). Sie sollen Courtneys Herz per Defibrillator anhalten und ihre Hirnaktivität mittels eines CT-Scanners während des todesähnlichen Zustands aufzeichnen. Nach einer Minute sollen dann die lebensrettenden Maßnahmen eingeleitet und Courtney aus dem Totenreich zurückgeholt werden. Schon beim ersten Versuch geht die Wiederbelebung schief und Courtney wird vom herbeigerufenen Medizin-Genie Ray (Diego Luna) in letzter Sekunde gerettet. Die ambitionierte Studentin Marlo (Nina Dobrev) folgt ihm und kommt dem Experiment auch auf die Schliche. Als Courtney dann nach ihrem Nulllinien-Ausflug plötzlich über unbändige Energie verfügt und sich an alles erinnern kann, was sie je gelernt oder gelesen hat, unterziehen sich die anfangs von der Vorstellung entsetzten Sophia, James und Marlo ebenfalls dem Experiment. Lediglich der besonnene Ray verzichtet. Für die übrigen Versuchskaninchen ist das sogenannte "Flatlining" zunächst ebenfalls eine bereichernde Erfahrung, einhergehend mit Euphorie, erhöhtem Selbstbewusstsein und gesteigertem sexuellen Appetit. Doch alles hat seinen Pries und schon bald wird das Quartett von unheimlichen, intensiven Visionen heimgesucht, die untrennbar mit ihrer Vergangenheit verknüpft sind.

Kritik

Das Leben nach dem Tod. Es ist das größte Mysterium der Menschheitsgeschichte und die Basis für unzählige, religiös motivierte Konflikte, die Millionen von Opfern forderten und die Welt nachhaltig veränderten. Also ist es natürlich nur logisch, dass ausgerechnet fünf blutjunge, arrogante Medizinstunden die Antworten auf die Fragen herausfinden, die die Menschen seit jeher beschäftigen. Indem sie sich gegenseitig quasi umbringen und sich dann mit ihrem medizinischen Fachwissen wieder zurückholen. Das war die Prämisse von Joel Schumachers Flatliners von 1990, der mit Kiefer Sutherland, Julia Roberts und Kevin Bacon einige der heißesten Jungstars der damaligen Zeit vereinte. Durchwachsenen Kritiken zum Trotz machte die Mischung aus attraktiven Rising Stars und einer aufregenden, wenn auch nicht ganz durchdachten Idee den Film zum Hit.

Flatliners (2017) Filmbild 127 Jahre später dachte sich Sony, dass Flatliners für ein Remake reif sei. Inszeniert vom dänischen Regisseur Niels Arden Oplev und geschrieben vom Source-Code-Autor Ben Ripley, wartet der neue Flatliners mit der gleichen weitgehend logikfreien, aber dennoch spannenden Grundidee auf. Das grobe Konstrukt des Films bleibt gleich, die Charaktere, deren persönliche Traumata und der Verlauf der Ereignisse nach dem Flatlining wurden jedoch verändert, damit die Kenner des Originals nicht jede Wendung bereits kommen sehen.

Auch visuell schafft es das Remake, sich vom Originalfilm abzugrenzen. Oplev, der bereits der schwedischen Version von Verblendung, dem Colin-Farrell-Thriller Dead Man Down und der Pilotfolge von "Mr. Robot" seinen unterkühlten, polierten Stil mit gelegentlichen markanten Ausbrüchen injizierte, bringt diesen auch bei Flatliners gut zur Geltung. So sieht der Film also zumindest ziemlich gut aus, wodurch er jedoch nur bedingt seine Ambitions- und Inhaltslosigkeit überspielen kann.

Leider ist nämlich die zweitgrößte Gemeinsamkeit zwischen dem Originalfilm und dem Remake, nach dem Grundriss der Geschichte, das Desinteresse beider Filme, näher auf die Implikationen dessen einzugehen, was die wagemutigen (lies: dummen) Studenten im Jenseits erleben. Als Courtney versucht, Jamie und Sophia davon zu überzeugen, ihr bei ihrem Experiment zu helfen, begründet sie es noch mit der Möglichkeit zur größten Entdeckung in der Menschheitsgeschichte. Doch sehr schnell sind alle Beteiligten viel mehr daran interessiert, ihre Noten durchs Flatlining aufzubessern und einen drogenähnlichen Rausch zu erleben, als zu verarbeiten, dass sie möglicherweise eine gigantische Entdeckung gemacht haben. Die Frage nach dem Leben nach dem Tod machte schon immer den größten Reiz bei Flatliners aus und ist leider der Aspekt, der für Macher offenbar nachrangig war. Gerade in diesem Punkt hätte die Neuverfilmung Verbesserungspotenzial gegenüber dem Vorgänger gehabt und anfangs macht er auch den Eindruck, als würde sie das Ganze deutlich wissenschaftlicher angehen.

Flatliners (2017) Filmbild 2Doch nach diesem vielversprechenden Auftakt verwirft Flatliners diesen Ansatz recht schnell und zeigt uns stattdessen erst, wie geil sich die Versuchskaninchen nach ihrem Experiment erst fühlen, bevor sich der Streifen in seiner zweiten Hälfte zum durchschnittlichen Geisterhorror wandelt, bei dem gruselige Gestalten im Halbdunkeln erscheinen, Schatten hinter dem Duschvorhang lauern und Charaktere eine dumme Entscheidung nach der anderen treffen. Zugegeben, Vernunft scheint bei diesen angeblich hochintelligenten angehenden Medizinern keine große Rolle zu spielen. Vielleicht war man als Zuschauer in den Neunzigern noch nachsichtiger, doch es fällt heutzutage wirklich schwer zu glauben, dass sogar die arrogantesten Medizinstudenten, die sich bereits für Götter in Weiß halten, sich freiwillig und ohne großartige Recherche, das Herz anhalten lassen würden. "Es ist keine Wissenschaft, sondern Pseudowissenschaft", wirft Nina Dobrev as Marlo berechtigt vor, bevor sie sich kurze Zeit später bereitwillig in den CT-Scan legt.

Flatliners (2017) Filmbild 3Wenn der Film dann seine moralischen, philosophischen und wissenschaftlichen Fragen hinter sich lässt und zu einer reinen Horror-Achterbahn wird (die zugegebenermaßen die visuellen Stärken in einigen Visionen gut zur Geltung bringt), hat er leider keine Charaktere, mit denen man als Zuschauer mitfiebern möchte. Die Figuren bleiben schemenhaft, bestenfalls definiert durch die Visionen ihrer Vergangenheit, die durch das Flatlining ausgelöst wurden. Deshalb hat Diego Luna als Ray, mit der Ausnahme eines einzigen Satzes über seine Vergangenheit bei der Feuerwehr, keinerlei definierende Charakteristika, weil ihn keine Visionen heimsuchen. James Norton ist als sorgloses Kind reicher Eltern und notorischer Aufreißer durchgehend unsympathisch, und wenn er und andere Charaktere versuchen, für ihre Verfehlungen Abbitte zu leisten, wirkt es nie so, als würden sie ihre Taten aufrichtig bereuen, sondern als würden sie lediglich versuchen, ihre eigene Haut zu retten. Wenn wir dann das fulminante Finale der Erlösung erreichen, ist mein Interesse auch an einer Nulllinie angelangt.

Es ist schade um das durchaus gegebene Potenzial, insbesondere angesichts des sehr kompetenten Regisseurs. Gänzlich überflüssig ist übrigens der Gastauftritt des Originalfilm-Stars Kiefer Sutherland als Dr.-House-Verschnitt mit kurioser Perücke.

Fazit

Niels Arden Oplev erschuf mit Flatliners ein optisch ansprechendes, aber letztlich seelenloses Remake, das es nach einem interessanten Auftakt vorzieht, den Zuschauern abgedroschende "Buh!"-Effekte um die Ohren zu jagen, anstatt sich der zwar logikfreien, aber dennoch spannenden Prämisse zu widmen. Wie schon sein Vorgänger, scheint der Film nicht besonders daran interessiert zu sein, sein Potenzial auszuschöpfen, und begnügt sich mit zahmer Horrorunterhaltung.

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"Marvel’s The Punisher": Unsere Kritik zu Staffel 1

The Punisher Staffel 1 Kritik

Marvel’s The Punisher, USA 2017 • Laufzeit: 13 Folgen à 48-56 Min • Regie: Andy Goddard, Kevin Hooks u. a. • Mit: Jon Bernthal, Ben Barnes, Ebon Moss-Bachrach, Amber Rose Revah, Deborah Ann Woll, Jason R. Moore, Paul Schulze, Jaime Ray Newman • Anbieter: Netflix • Veröffentlichungstermin: 17.11.2017

Es war eine wirklich vernünftige Entscheidung von Netflix, den Kritikern nicht, wie üblich, nur eine Hälfte der Staffel von "Marvel’s The Punisher" zur Vorabsichtung bereitzustellen, sondern alle 13 Folgen. Hätte das Urteil über die heiß erwartete fünfte Solo-Serie aus der Marvel/Netflix-Zusammenarbeit lediglich anhand der ersten sechs Episoden gefällt werden müssen, wäre es sicherlich nicht zugunsten von Marvels kontroverestem Antihelden ausgefallen.

Vermutlich als Nebenwirkung des Staffel-als-Film-Konzepts, war eine etwas zähe Erzählweise ein Symptom von allen bisherigen Marvel-Serien bei Netflix. Während ansonsten exzellente Vertreter wie "Daredevil" und "Jessica Jones" dieses eine Manko mit starken Helden, Bösewichten, Nebenfiguren und einer fantastischen Inszenierung noch überdecken konnten, fiel es bei "Luke Cage" gerade in der zweiten Staffelhälfte besonders stark ins Gewicht. Bei "The Punisher" verdichtet sich der Leerlauf in der gesamten, kaugummiartigen Staffelmitte, in der man es keinem Zuschauer übel nehmen kann, wenn er zwischenzeitlich vergisst, was für eine Serie er überhaupt schaut. Denn mit dem echtem Punisher, wie wir ihn noch in seinen ersten Folgen in der zweiten "Daredevil"-Staffel gesehen haben, hat die eigene Serie des Bestrafers nur noch herzlich wenig zu tun.

The Punisher Staffel 1 Bild 1Dabei ist die vielversprechende erste Folge sehr irreführend. Der Serienauftakt feuert schon in den ersten Minuten aus allen Rohren, wenn wir Frank Castle (Jon Bernthal) dabei zusehen, wie er im bester Punisher-Manier die Rache für die Ermordung seiner Familie an Bikern und Kartell-Mitgliedern gnadenlos und blutig zu Ende führt. Nachdem sein Handwerk verrichtet ist und Frank plötzlich kein Ziel mehr im Leben hat, dafür aber genau so wie vorher von seinen traumatischen Erlebnissen heimgesucht wird, vertreibt er sich die Zeit an einer Baustelle. Dort klopft er stundenlang mit einem Hammer Mauern zu Schutt und Staub klopft. Eigentlich hat er sein gewalttätiges Leben hinter sich gelassen, doch die Bekanntschaft mit einem sympathischen, jungen und leicht aufdringlichen Kollegen, der plötzlich in Bedrängnis gerät, führt dazu, dass Frank eine neue Verwendung für seinen Hammer findet und seine düsterste Seite wieder zum Vorschein kommt. Noch am Ende der ersten Folge ist der Punisher also zurück!

Moment, nein, ist er nicht. Nach seinem spontanen Einsatz taucht der bärtige Frank wieder unter, doch seine blutige Aktion macht einen Superhacker namens Micro alias David Liebermann (Ebon Moss-Bachrach) auf ihn aufmerksam. Er stellt schnell fest, dass der totgeglaubte Frank Castle quicklebendig ist und nimmt Kontakt zu ihm auf. Der ehemalige Nachrichtendienstoffizier David gilt selbst offiziell als tot, nachdem er Menschenrechtsverbrechen in Afghanistan seitens einer Eliteeinheit der US-Armee auf die Schliche gekommen ist und versucht hat, diese öffentlich zu machen. Die Verantwortlichen in hohen Positionen machten daraufhin Jagd auf ihn, und um sich und seine Familie zu schützen, musste er untertauchen. Mit Frank, der eben jener Eliteeinheit selbst angehörte, wittert er seine Chance, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Natürlich ist der misstrauische Einzelgänger Frank zunächst nicht davon begeistert, dass ihn jemand enttarnte und auch noch in seiner Vergangenheit herumstochert. Die erste Begegnung mit David von Angesicht zu Angesicht verläuft für beide ungemütlich, doch als Frank bewusst wird, dass die Verschwörung, die David aufzudecken versucht, möglicherweise auch etwas mit dem Tod seiner Familie zu tun hat, lässt er sich widerwillig auf die Partnerschaft ein.

The Punisher Staffel 1 Bild 2

Was darauf folgt, sind etwa sieben Episoden, die, mit der Ausnahme von zwei brutalen, kraftvoll inszenierten Actionszenen, so zäh sind und die meiste Zeit so unerträglich auf der Stelle treten, dass sie alle ineinander verschwimmen. Anstatt, wie seine Fans vermutlich hoffen, den bösen Buben ohne Rücksicht und Skrupel den Garaus zu machen, verbringen Frank und David gefühlt etwa die Hälfte der Laufzeit in einer verlassenen Lagerhalle. Es hilft ein wenig, dass Moss-Bachrach als David, den "Girls"-Fans als Desi aus der HBO-Serie kennen, ein sympathisch bemitleidenswerter Charakter ist, dessen Ideale und Prinzipien im Kontrast zum verrohten Frank stehen. Beide Darsteller haben eine gute Chemie miteinander und die Entwicklung von deren Beziehung ist glaubwürdig umgesetzt.

Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass "The Punisher" einfach wenig zu erzählen hat. Der Plot, der u. a. an Mark Wahlbergs Actionstreifen Shooter erinnert, ist recht simpel, und es ist etwas frustrierend, wenn man als Zuschauer alle großen Twists erkennt, lange bevor sie enthüllt werden, und noch länger, bevor sie den Schlüsselcharakteren dämmern. Man muss kein Comickenner sein, um zu wissen, wer hier eigentlich böse ist. Als Zuschauer ist man den Protagonisten meist mehrere Episoden voraus, sodass es ein langwieriges Vergnügen ist, ihnen dabei zuzuschauen, wie auch sie die offensichtliche Wahrheit für sich entdecken. Was über die meiste Laufzeit der Staffel nämlich nicht passiert, ist, dass Frank alias The Punisher das tut, was die meisten Fans von ihm sehen wollen: Bösewichte hinrichten.

The Punisher Staffel 1 Bild 3Wenn wir nicht gerade im Batcave für Arme mit David und Frank sind, besucht Frank Davids Familie, die ihn ebenfalls für tot hält und knüpft zarte Bande mit seiner Frau und Kindern. Oder wir folgen der zielstrebigen Homeland-Security-Agentin Dinah Madani (Amber Rose Revah) und ihrem in Ungnade gefallenen Partner Sam Stein (Michael Nathason), die versuchen, den Mord an Madanis Partner aus Kandahar aufzuklären, der offenbar auch mit der Hauptverschwörung zu tun hat. Oder aber werden wir Zeugen der Geschichte des schwer traumatisierten jungen Armeeveteranen Lewis (Daniel Webber), der sich nicht zurück in die Gesellschaft assimilieren kann und zu drastischen Mitteln greift.  Letzterer Nebenplot verläuft über einen Großteil der Staffel parallel zur Haupthandlung, ohne sich mit ihr zu überschneiden und wirkt vor allem als Zeitfüller und das Mittel der Macher, sich dem eigentlichen Thema der Serie zu widmen.

Dieses ist nämlich nicht Franks Selbstjustiz, sondern der Umgang der US-Armee mit seinen Veteranen, die nach den Schrecken des Krieges in die Heimat zurückkehren und dort von der Regierung fallengelassen werden. Sie müssen ohne jegliche Unterstützung und meist unter schwerer PTSD leidend ins normale Leben zurückfinden. Auch Frank leidet unter seinen früheren Erlebnissen, die ihn zu dem Mann gemacht haben, der er ist. Der Tod seiner Familie hat den Punisher erschaffen, doch er setzte nur etwas frei, was in ihm bereits steckte.

The Punisher Staffel 1 Bild 4Es ist ein Markenzeichen der Marvel/Netflix-Serien, dass sie sehr ernste, wichtige Themen vor dem Hintergrund einer Superheldengeschichte behandeln. "Jessica Jones" beschäftigte sich mit Vergewaltigungsopfern und daraus resultierenden Traumata; in "Daredevil" ging es u. a. darum, wie aus guten Intentionen böse Taten entstehen können; "Luke Cage" handelte von einer Emanzipation von Afroamerikanern; "Iron Fist" beschäftigte sich mit, ähm, dem Leiden eines privilegierten, reichen, weißen Milliardärserben mit wenig Realitätssinn? Okay lassen wir "Iron Fist" vielleicht da raus. Das Anliegen von "The Punisher" ist auch deutlich und nobel, doch leider schaffen die Macher es nicht, die Thematik organisch in die Hauptgeschichte einzubinden, ohne dass der Erzählfluss dadurch immer wieder ins Stocken gerät.

Immerhin mündet die Geschichte von Lewis in die beste Episode der gesamten Staffel, eine im Stil von 8 Blickwinkel erzählte Folge, die ein befriedigendes Pay-Off ist für die Geduld, die die Zuschauer vorher aufbringen müssen. Allerdings handelt es sich dabei um die 10. Episode der Serie, sodass man über wirklich ausgeprägten Belohnungsaufschub verfügen muss.

Trotz ihres Titels ist dies nicht die Serie über den Punisher. Es ist primär eine Serie über Frank Castle, den Menschen hinter dem Antihelden-Alter-Ego. Wenn Frank in der ersten Folge sein Shirt mit dem Totenschädel-Bild verbrennt, steht das sinnbildlich für die restliche Staffel. Auch wenn die Serie endlich aufhört auf der Stelle zu treten und endlich mit der knallharten Action aufwartet, auf die die Fans hofften, wird es immer noch nicht zu einer Punisher-Serie, wie man sie nach der ersten Episode vielleicht erwarten würde.

The Punisher Staffel 1 Bild 5Es ist in seinem letzten Drittel, dass "The Punisher" rasant Fahrt aufnimmt. Viele psychologische Studien haben ergeben, dass man sich bei einer Geschichte meist an den Anfang und an das Ende erinnert und dieser Effekt wirkt sich ganz klar zum Vorteil von "The Punisher" aus. Sie legt stark los und sie endet mit einem Knall. Gerade in den letzten zwei Folgen richtet Frank ein richtiges Blutbad an. Es war keine Lüge, dass "The Punisher" die bislang mit Abstand düsterste und erwachsenste Marvel-Serie ist. Es ist außerdem auch die nackteste, denn die Sexszenen, wenn auch immer noch nippelscheu, sind bei weitem die explizitesten und zahlreichsten aus dem Marvel Cinematic Universe. Doch das Hauptaugenmerk liegt auf der Action, die sich ganz anders anfühlt als die Martial-Arts-Kämpfe aus "Daredevil" oder "Iron Fist" oder die simplen Straßenkämpfe aus "Jessica Jones" oder "Daredevil". Auch wenn es nicht gerade ein Kriegs-Flashback ist, erinnert die Action immer an Kriegsszenen. Die Charaktere, guten wie bösen, töten brutal, präzise und mit kalter, schonungsloser Effizienz. Frank selbst muss während der Staffel so viel einstecken, dass er zweimal dem Tod nahe ist, aber schon bald wie ein Stehaufmännchen direkt weitermacht. Bei solchen Ungereimtheiten drückt man aber hier gerne mal ein Auge zu, denn man ist schon froh, wenn überhaupt was passiert.

Jon Berthal geht in der Titelrolle voll auf. In den Actionszenen besitzt er eine enorme körperliche Präsenz. In ruhigeren Momenten verkörpert er überzeugend einen sehr kaputten Mann, der zaghaft versucht, ins normale Leben zurückzufinden, dabei aber immer wieder auf seine alten Pfade zurückgezogen wird. Ben Barnes macht als geschniegelter Billy Russo einen soliden Eindruck als Actiondarsteller, doch die Serie geht leider zu wenig auf seine dunklen Abgründe ein, die lediglich in einer eindrucksvollen Szene aufgezeigt werden. Ein interessanter Charakter ist Revahs Agentin Madani, die es als Frau mit muslimischem Hintergrund doppelt so schwer in einer männerdominierten Welt hat. Leider geht die Serie kaum darauf ein. Erfreulich sind die zu seltenen Auftritte von Deborah Ann Woll als Karen Page, die allerdingsgegen Ende eine eher fragwürdige Position hinsichtlich der Waffendebatte einnimmt, was gerade im aktuellen Klima einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Neben Karen gibt es noch einige weitere Nebenfiguren aus dem erweiterten Marvel-Universum, die hier kurz auftauchen, aber ansonsten fühlt sich die deprimierend bodenständige Serie Welten entfernt von allen anderen MCU-Beiträgen an.

"The Punisher" wäre eine tolle Miniserie aus sechs bis sieben Folgen gewesen, doch der Durchhänger in den ersten zwei Akten ist einfach viel zu lang, um ihn irgendwie zu rechtfertigen. Wenn man es bis zum Schluss durchhält, wird man aber mit einem fulminanten, actionreichen und dem Charakter angemessen blutigen Finale belohnt, das eine hoffentlich temporeichere zweite Staffel in Aussicht stellt.

https://youtu.be/MIwKE2clsJc

Justice League (2017) Kritik

Justice League (2017) Filmkritik

Justice League, USA 2017 • 121 Min • Regie: Zack Snyder • Mit: Ben Affleck, Gal Gadot, Ezra Miller, Jason Momoa, Ray Fisher, Henry Cavill, Amy Adams, Ciarán Hinds • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 16.11.2017 • Deutsche Website

Handlung

Die Welt trauert um Superman. Missgunst, Hoffnungslosigkeit und Chaos breiten sich langsam aus. Doch Supermans einstiger Gegner und Last-Minute-Kampfgefährte Batman (Ben Affleck) weiß, dass sein Opfer die außerirdische Bedrohung zwar verzögert, jedoch nicht endgültig gebannt hat. Ohne den Sohn Kryptons ist die Erde Angriffen aus dem Weltall augenscheinlich schutzlos ausgeliefert. Nach einer Begegnung mit einem monströsen, käferähnlichen Wesen, erkennt Batman diesen aus einer seiner Visionen als Vorboten einer großen Gefahr. Also beschließt der notorische Einzelgänger, ein Team aus Superhelden zu rekrutieren. Dazu greift er auf Informationen aus den Dateien zurück, die ihm Diana Prince alias Wonder Woman (Gal Gadot) zugespielt hat. Während sich jedoch der blitzschnelle Barry Allen alias The Flash (Ezra Miller) ihm sofort anschließt, haben Aquaman (Jason Momoa) und der nach einem Unfalltod als Cyborg wiederhergestellte Victor Stone (Ray Fisher) ihre Bedenken. Erst als Steppenwolf (Ciarán Hinds), eine Art intergalaktischer Dschingis Khan, mit seiner Armee aus Parademons die Erde erreicht und zunächst den Amazonen und dann den Atlanten mächtige Energiewürfel, auch Motherboxes genannt, entwendet und ihm nur noch eine fehlt, um die Erde nach seinen Vorstellungen zu unterjochen, begreifen sie den Ernst der Lage. Jedoch auch zu fünft scheinen sie Steppenwolf und seinen Schergen unterlegen zu sein…

Kritik

Es gibt eine Szene im langen finalen Showdown in Marvel’s The Avengers, in der alle sechs Helden kampfbereit im Kreis stehen. Dieser eine Moment, in dem die gesamte Vorarbeit der vorherigen fünf MCU-Filme gipfelte, ließ die Herzen aller Fans höher schlagen und zauberte ihnen ein breites Grinsen in ihre Gesichter. Justice League hat einen solchen Moment nicht und das ist ein Problem. Es ist nicht der größte Makel des Films, doch er ist symbolisch dafür, weshalb der Film nur bedingt funktioniert.

Natürlich können an dieser Stelle einige Leser nicht ganz zu Unrecht vorwerfen, dass man den Film für sich und unabhängig von jeglichen Marvel-Vergleichen betrachten sollte, doch wenn die Ähnlichkeiten zwischen zwei Projekten so sehr auf der Hand liegen, kommt man nur schwer umhin. In beiden Filmen kommen einige der größten Helden der jeweiligen Comicuniversen erstmals zusammen und stellen sich einem außerirdischen Invasoren und seiner Armee aus austauschbaren, fliegenden Aliens. Die Vergleiche werden erst recht dadurch verstärkt, dass durch eine private Tragödie bei Zack Snyder die umfangreichen Nachdrehs der DC-Verfilmung ausgerechnet dem Avengers-Regisseur Joss Whedon übertragen wurden. So ähnlich die Projekte jedoch auf Papier sind, so unterschiedlich ist das Endergebnis.

Justice League (2017) Filmbild 1Als die Helden in The Avengers endlich zusammenkamen, hatte man die meisten von ihnen als Zuschauer bereits in ihren eigenen Abenteuern kennengelernt. Sie hatten eine Basis, auf der der Film sorgfältig aufbauen konnte und jeder der Figuren Momente gab, in denen sie glänzen durften. Obwohl das DC-Universum vor seinem großen Ensemblefilm nur einen Film weniger als die Marvel-Konkurrenz produziert hat, sind Batman, Wonder Woman und Superman die einzigen Charaktere, mit denen die Kinogänger (in diesem Filmuniversum) bereits vertraut sind. Dadurch, dass man diese drei Giganten der DC Comics bereits in Batman v Superman Seite an Seite kämpfen lassen hat, nimmt es der größeren Zusammenkunft der Helden in Justice League etwas von dem Wow-Effekt vorweg, den sie hätte vielleicht haben können. Hinzu kommt, dass die drei Neuzugänge überwiegend zweckmäßig eingesetzt werden.

Justice League (2017) Filmbild 2Der Film versucht einen unmöglichen Spagat zu schlagen. Einerseits soll das Tempo stets hoch bleiben und die Helden möglichst schnell zusammenkommen und kämpfen. Andererseits sollen die neuen Helden auch auf die Schnelle eine eigene Vorgeschichte bekommen. Barry hat einen zu Unrecht inhaftierten Vater, gespielt von Billy Crudup, und hat es schwer, Fuß in der Gesellschaft zu fassen. Aquaman hegt Groll gegen seine verstorbene Mutter, die ihn im Stich gelassen hat. Victor ist sauer auf seinen Vater, weil er ihn als Maschine aus dem Tod zurückgeholt hat. Bei einer Laufzeit von 121 Minuten (einschließlich Abspann) ist es nicht überraschend, dass diese Bemühungen halbherzig und zweckdienlich, denn einfühlsam wirken. Immerhin lernen wir in Aquamans kleiner Privatszene Amber Heards coole Mera kennen, die Lust auf mehr im eigenen Aquaman-Film macht. Ansonsten kommt aber eigentlich nur Ezra Miller als Barry halbwegs gut davon. Das ist einerseits seiner grundsympathischen Performance zu verdanken und andererseits seinen humorvollen Sprüchen, die zumindest zum Teil auf Whedons Konto gehen dürften. Aquaman und Cyborg bleiben hingegen bis zum Schluss schablonenhaft und sind lediglich dazu da, in gewissen Szenen ihre Kräfte zum Einsatz zu bringen. Mit Surfer-Dude-Ausrufen wie "My man!", "Oh yeah!" oder "Right on!" tut man dem charismatischen Momoa leider keinen großen Gefallen, aber immerhin ist er für einen der überraschend lustigsten Momente des Films verantwortlich.

Justice League (2017) Filmbild 3Die Kritik an den Helden ist jedoch keine Kritik an den Darstellern, die alle ihr Bestes aus dem zerfahrenen Drehbuch machen, mit dem sie arbeiten müssen. Leider wirken ihre große Zusammenkunft und ihr Kampf weitgehend beliebig. Beliebig ist ein gutes Stichwort für den gesamten Film, denn obwohl ich mich nie wirklich gelangweilt habe – dafür sorgt schon das hohe Tempo des Films – konnte mich auch nichts an der beliebigen (ja, schon wieder dieses Wort) Geschichte mitreißen. Das gilt vor allem für Steppenwolf, den generischsten und eindimensionalsten aller 08/15-Bösewichte. Eine charismafreie CGI-Kreatur, die die Welt erobern will und nach eigenen Vorstellungen transformieren will, weil…Punkt! Das würde nicht ganz so schwer ins Gewicht fallen, wenn zumindest die Zeit, die wir mit den Helden verbringen, besonders cool wäre.

Auch die Actionsequenzen sind zwar allesamt ganz kompetent umgesetzt, doch keine erreicht die Wucht von Wonder Womans Lauf durch das Niemandsland in ihrem eigenen Film oder sogar von Batmans Kampf gegen Superman. Danny Elfmans Filmmusik kombiniert gekonnt die Melodien einzelner Helden (sogar Elfmans Original-Batman-Score ist kurz zu hören), kommt jedoch nicht an Hans Zimmers wuchtige Klänge aus Man of Steel oder Batman v Superman heran.

Justice League (2017) Filmbild 4Gal Gadot, die in ihrem Solo-Auftritt im Sommer richtig glänzte, ist auch hier wieder das strahlende Highlight des Films und man freut sich auf jede ihrer Szenen. Ihr erster Auftritt in dem Film führt dann auch gleich zu der vermutlich besten Actionszene des Films. Affleck macht als Bruce Wayne und Batman wieder eine solide Figur, jedoch wurden die Aspekte, die den Charakter in Batman v Superman faszinierend für die einen, kontrovers für die anderen gemacht haben – seine wütende und desillusionierte Haltung – deutlich heruntergefahren.

Justice League ist definitiv ein kohärenterer, geradlinigerer Film als Batman v Superman, jedoch auch ein viel weniger ambitionierter. Man of Steel und Batman v Superman hatten viele Probleme, doch man merkte ihnen Snyders Ehrgeiz an, etwas Episches zu erschaffen. Es ist offensichtlich, dass Warner Justice League im Hinblick auf die negativen Reaktionen auf die ersten drei DC-Filme so lange adjustiert hat, bis ein möglichst massenkompatibler Film aus dem gedrehten Material entstehen konnte. Massenkompatibel ist an sich keineswegs ein Kritikpunkt, dass sind die meisten tollen Comicverfilmungen ja auch. Das Problem ist hier, dass am Ende ein etwas seltsamer Hybrid entstand. Es ist ein Film mit Snyders klassischer Ästhetik, bei dem aber die düsteren und ambitionierten Elemente deutlich heruntergefahren wurden. Stattdessen wurde der Film mit Whedons Humor und flotten Sprüchen aufgepeppt, die Justice League zu bislang humorvollsten Film aus dem DCeU machen und auf jeden Fall ein positiver Einfluss sind, sich jedoch stellenweise wie in einem falschen Film anfühlen. Es ist gut, dass Warner aus bisherigen Fehlern lernt, doch vielleicht war es in diesem Fall einfach schon zu spät in dem Entstehungsprozess.

Ohne eine epische Laufzeit und erdrückende Depri-Stimmung ist Justice League eine passable Wahl für einen Popcorn-Filmabend, da er auch wenig fundamental falsch macht. Comicfans dürfte es besonders freuen, dass eine ewige Streitfrage im Film mehrfach ziemlich cool adressiert wird. Letztlich ist das größte Vergehen von Justice League, dass der Film absolut unaufregend ist und das sollte das Zusammentreffen von sechs großen DC-Helden einfach nicht sein.

Fazit

In einem Jahr voll mit guten bis sehr guten Comicverfilmungen ist Justice League leider das Schlusslicht. Obwohl der Film das bislang größte DC-Superheldenensemble auf der Leinwand zusammenbringt, ist es bemerkenswert, wie unbedeutend und unambitioniert er letztlich wirkt. Auch einige spaßige Momente dank Joss Whedons positivem Einfluss können ihn nicht über das Mittelmaß heben.

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Killing Ground (2016) Kritik

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Killing Ground (2016) Titelbild

Killing Ground, AUS 2016 • 88 Min • Regie & Drehbuch: Damien Power • Mit: Harriet Dyer, Ian Meadows, Stephen Hunter, Aaron Pedersen, Tiarnie Coupland, Maya Stange, Aaaron Glenane • Kamera: Simon Chapman • Musik: Leah Curtis • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Busch Media • Heimkinostart: 10.11.2017

Mit großer Vehemenz versucht das australische Genre-Kino, lästige Touristen abzuschrecken – diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man einen Blick auf vergangene und aktuelle Ozploitation-Werke wirft: Neben gefräßigen Killeralligatoren und angriffslustigen Riesenwildschweinen sollte man sich im Urlaub vor allem vor einem in Acht nehmen … vor Australiern. Regelmäßig – und nicht erst seit Greg McLeans Hit „Wolf Creek“ – sind es primitive Einheimische, die sich mit Messer oder Gewehr auf die Jagd nach unvorsichtigen Besuchern begeben. Keine Ausnahme bildet da Damien Powers überaus rauer Beitrag „Killing Ground“, in dem sich ein friedliches Pärchen in den abgelegenen Wäldern mit einer mörderischen Gefahr konfrontiert sieht.

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Es sollte nur ein idyllischer Camping-Ausflug werden: Das junge Paar Sam (Harriet Dyer) und Ian (Ian Meadows) möchte den Start ins neue Jahr in trauter Zweisamkeit genießen und sieht sein Vorhaben schon vor dem Aufschlagen des Zeltes scheitern, denn auf der Zufahrt zu dem entlegenen Naturpark kündigt bereits ein anderes Fahrzeug weitere Besucher an. Doch das Lager vor Ort ist verlassen und soll es auch während der totenstillen Nacht bleiben. Erst am nächsten Tag, nach einem Blick in den verwüsteten Überbau der unbekannten Nachbarn, graut den Verliebten, dass an dem trügerisch ruhigen Bild womöglich etwas nicht stimmt. Als sie schließlich noch im Gebüsch auf ein völlig entkräftetes Baby stoßen, schrillen bei beiden wirklich die Alarmglocken. In Panik wollen sie Hilfe holen. Doch da ist es bereits zu spät …

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Zugegeben, rein inhaltlich ragt „Killing Ground“ keinen Millimeter aus dem Gros ähnlich gelagerter Wald-und-Wiesen-Terrorfilme heraus, die seit den Genre-Meilensteinen „Beim Sterben ist jeder der Erste“ und „Texas Chainsaw Massacre“ bis heute regelmäßig in Produktion gehen. Doch mit seinem geerdeten Ansatz, glaubwürdigen Protagonisten und dem Verzicht auf allzu hochfrequente Gewaltspitzen setzt sich das Werk angenehm von den lediglich auf Schockeffekte abzielenden Arbeiten ab. Mehr noch: Der Newcomer Power (der Name ist Programm und man sollte mit ihm wohl auch in Zukunft rechnen dürfen) treibt die Spannung in seinem Slow-Burner mit drei clever ineinander verschachtelten Handlungssträngen voran, die den vollständigen Horror erst kurz vor der Eine-Stunde-Marke – aber dafür umso wirksamer – vor dem Publikum ausbreiten. Den Start macht das sympathisch gezeichnete Paar, das schon auf seinem Weg zufällig auf den zwielichtigen Ansässigen German (Aaron Pedersen) trifft. Die Geschichte von German und seinem nicht minder verrohten Buddy Chook (Aaron Glenane) bildet die zweite Säule des Films, der letztlich von einer Rückblende über den Verbleib der anderen Camper abgerundet wird. Dabei verzettelt sich der Regisseur und Drehbuchautor zum Glück nicht in abgehackten Sprüngen zwischen den Ebenen, sondern sorgt dafür, dass die Informationen der einzelnen Szenen harmonisch ineinandergleiten und auf einen nervenzerrenden Klimax zusteuern.

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Eine bedeutende Rolle in „Killing Ground“ kommt außerdem der wunderbaren Naturkulisse zu, die sich in dem bitterbösen Urlaubsalbtraum freilich zu einer isolierten und undurchsichtigen Todesfalle entwickeln soll. Hier geht ein dicker Punkt an Kameramann Simon Chapman („The Loved Ones“), der es perfekt versteht, das knackige Dickicht in eine für die Figuren und Zuschauer verständliche Geographie zu fassen. So passiv Büsche und Unterholz im Grunde auch sein mögen – auf der Jagd können selbst ein leises Rascheln oder Knacken ein Schicksal besiegeln. Erst recht auf der Menschenjagd. Selten war in jüngeren Genre-Werken die Stille und das angespannte Verharren an einem Ort bedrückender als hier. Leider gelingt es dem Film nicht ganz, seinen schleichenden Nervenkitzel bis zum bitteren Schluss aufrecht zu halten und verliert sich im Finale ein wenig zu sehr in ausgelutschten Klischees, in denen auch der letztlich aufgebrachte moralische Konflikt zwischen den Protagonisten unterzugehen droht. Das ist zwar nicht nachhaltig tragisch, aber in Anbetracht der bemerkenswerten Vorarbeit etwas schade.

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Unterm Strich ist Damien Powers Spielfilm-Debüt ein kraftvoller Aussie-Thriller mit unangenehmen Ecken und Kanten, der es nicht ganz mit seinem großartigen Zeit- und Artgenossen „Hounds of Love“ aufnehmen kann, aber sich erfrischend von der inflationären Exploitation-Ware abhebt und eigene Akzente zu setzen vermag.


Information zur Heimkinoveröffentlichung

Ab dem 10. November 2017 ist Killing Ground im Verleih von Busch Media in deutscher und englischer Sprachfassung (mit wahlweise deutschen Untertiteln) als DVD und Blu-ray erhältlich.

Neben dem Hauptfilm liegen der DVD- und Blu-ray-Veröffentlichung folgende Extras vor:

Killing Ground (2016) Blu-ray
• Weitere Trailer aus dem Programm
• Wendecover
 
 
 
 

(Cover © Busch Media)


Trailer


Box-Office USA: Jigsaw enttäuscht, George Clooneys Suburbicon floppt

Suburbicon Jigsaw Box Office

Links: Jigsaw © 2017 Lionsgate
Rechts: Suburbicon © 2017 Paramount Pictures

Quelle: Boxofficemojo

Das Wochenende direkt vor Halloween ist selten eins, an dem die Kinos in Nordamerika proppenvoll sind. Da am ersten November-Wochenende traditionell ein großer Blockbuster startet (dieses Jahr ist es Thor – Tag der Entscheidung) halten alle potenziell größeren Filme Abstand, sodass sich am Ende von Oktober meist ein trauriger Anblick bietet, wenn man sich die US-Kinocharts anschaut. Lediglich überraschend erfolgreiche Horrorfilme haben in einigen Jahren das Gesamtbild etwas verbessert, doch die Rückkehr der Saw-Reihe in die Kinos war kassentechnisch eine unspektakuläre Angelegenheit. Nur zwei Filme spielten in den USA und in Kanada mehr als $10 Mio von Freitag bis Sonntag ein, sodass der Gesamtumsatz der Top 12 um 25% auf $61,3 Mio sank. Gegenüber dem Vorjahr, als Tyler Perrys Boo! A Madea Halloween zum zweiten Mal in Folge die Charts anführte, verzeichneten die Zahlen ein Minus von 21%.

Jigsaw hatte angesichts nicht vorhandener Konkurrenz keine Schwierigkeiten, die Chartspitze zum Start zu erobern. Mit $16,6 Mio von 2941 Kinos erzielte das Horror-Sequel einen Schnitt von $5568 pro Spielstätte. Damit sind sechs der bisherigen acht Saw-Filme auf Platz 1 der US-Charts angelaufen (lediglich der erste und der sechste Film scheiterten daran). Doch obwohl Lionsgate angesichts des niedrigen $10-Mio-Produktionsbudgets über den Start nicht unglücklich sein sollte, hat Jigsaw es nicht geschafft, die Begeisterung für das Franchise wieder zu entfachen. Einspieltechnisch war es nämlich der zweitschwächste Start eines Saw-Teils. Nur Saw VI lief mit $14,1 Mio noch schlechter an. Man darf nicht vergessen, dass Mitte der 2000er kein anderes Horror-Franchise Saw in puncto Kassenerfolg etwas vormachen konnte. Saw II bis Saw V starteten alle mit jeweils mehr als $30 Mio am ersten Wochenende. Der 3D-Bonus – damals noch eine Neuheit – und das Versprechen eines Abschlusses verhalfen dem siebten Film zu besseren Einnahmen als der gefloppte sechste. Saw 3D – Vollendung lief mit $22,5 Mio an und spielte insgesamt $45,7 Mio ein. Die ersten fünf Saw-Filme spielten alle mehr als $55 Mio in Nordamerika ein. Jigsaw wird diese Marke weit verfehlen.

Ab dem vierten Saw-Film spielten alle Teile der Reihe etwa die Hälfte ihrer Gesamteinnahmen bereits am Startwochenende ein, was für sehr hohe Frontlastigkeit der Filme spricht. Im Falle von Jigsaw würde das ein Endergebnis in Höhe von $33 Mio bedeuten. Allerdings zeigte Jigsaw zum Start geringere Anzeichen von Frontlastigkeit als seine unmittelbaren Vorgänger. So fiel er von Freitag auf Samstag "nur" um 21,2% während Saw V beispielsweise um 29,5% und Saw VI um 32,3% nachgaben. Außerdem ist die Mundpropaganda recht positiv. Die Zuschauer vergaben dem Film im Schnitt einen "B"-CinemaScore, äquivalent einer "2". Das ist sowohl für einen Horrorfilm im Allgemeinen als auch für diese Reihe im Speziellen recht gut. Nur Saw II hatte mit "B+" einen (knapp) besseren CinemaScore. Deshalb traue ich es Jigsaw zu, $35-38 Mio in Nordamerika einzunehmen. Damit wird er immer noch deutlich unter fast allen Teilen der Reihe landen. Es ist kein schlechtes Einspiel per se, doch in einem Jahr mit Horrorhits wie Es, Annabelle 2, Happy Deathday und Get Out erscheint es doch recht niedrig.

Platz 2 ging an Tyler Perrys Boo 2! A Madea Halloween, der sich deutlich schlechter hielt als sein Vorgänger vor einem Jahr. An ihrem zweiten Wochenende spielte die Horrorkomödie $10,1 Mio ein, 52,6% weniger als zum Start vor einer Woche. Nach zehn Tagen hat der Streifen $35,6 Mio eingenommen, liegt aber 32% hinter dem ersten Film im selben Zeitraum. Boo! A Madea Halloween war einer der größten Überraschungserfolge vergangenen Herbst und spielte $73,2 Mio in den USA und in Kanada ein. Ein Sequel wurde schnell produziert und kostete mit $25 Mio $5 Mio mehr als Teil 1. Doch der Erfolg des ersten teils übertrug sich nicht auf das Sequel. Boo 2! steuert auf $49 Mio in Nordamerika zu und wird damit zum umsatzschwächsten Fim aus Tyler Perrys Madea-Reihe werden.

Der Katastrophenfilm Geostorm mit Gerard Butler verbuchte den steilsten Drop in der gesamten Top 12 und fiel um 26,9% auf $5.9 Mio. Dabei rutschte der Film um einen Platz runter auf Rang 3. Nach zehn Tagen steht Dean Devlins Regiedebüt bei $23,8 Mio und wird nicht mehr als $33 Mio in den nordamerikanischen Kinos einnehmen, was bei Produktionskosten von $120 Mio sehr schlecht ist. Überraschend ist es allerdings nicht angesichts der problematischen Produktionsgeschichte, der umfassenden Nachdrehs und der zahlreichen Startterminverschiebungen nicht.

Auf Seite 2 gehen wir auf die Einspielergebnisse der Horrorhits Happy Deathday und Es sowie von George Clooneys neuster Regiearbeit Suburbicon mit Matt Damon ein.

Jigsaw (2017) Kritik

Jigsaw (2017) Filmkritik

Jigsaw, USA 2017 • 92 Min • Regie: Peter und Michael Spierig • Mit: Matt Passmore, Laura Vandervoort, Tobin Bell, Callum Keith Rennie, Clé Bennett • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 26.10.2017 • Website

Handlung

Fünf Fremde wachen mit Eimern auf ihren Köpfen in einem karg beleuchteten Raum auf. Eine Stimme aus dem Lautsprecher ertönt und verkündet, dass sie alle auf die Probe gestellt werden, damit sie ihre schlimmsten Sünden gestehen. Nur die Wahrheit kann sie befreien. Noch bevor die benommenen Opfer wissen, wie es um sie geschieht, drehen sich schon Kreissägen an der Wand, auf die sie durch Ketten, die an den Eimern befestigt sind, hingezogen werden. Ein Blutopfer muss erbracht werden, um mit dem Leben davonzukommen. Das ist erst der Anfang eines perfiden Spiels, zu dem ihr Entführer sie zwingt. Derweil tauchen in der Stadt verstümmelte Leichen auf und alle Spuren deuten auf einen berüchtigten, aber unmöglichen Täter hin – John Kramer alias Jigsaw (Tobin Bell), der seit zehn Jahren tot ist. Doch ist er das wirklich? Für die Polizei beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, um das blutige Treiben von Jigsaw oder seinen Anhängern zu stoppen, bevor es weitere Opfer fordert.

Kritik

Als sich James Wan und Leigh Whannell den ersten Saw-Film erdachten, haben sie sicherlich nicht damit gerechnet, dass es der Auftakt zu einem der erfolgreichsten Horror-Franchises der Kinogeschichte werden würde. Hätten sie das geahnt, hätten sie ihren Antagonisten Jigsaw vermutlich nicht als unheilbar Krebskranken geschrieben. Natürlich ist es gerade dieser Umstand, der (zumindest im ersten Film noch) Jigsaws Plan in Gang setzte, nachdem er lernte, das Leben zu schätzen, doch mit diesem Kniff schossen die Macher der Zukunft der Reihe ins Bein. Sie sind vermutlich auch nicht davon ausgegangen, dass Jigsaw so schnell in die Hall of Fame von Horror-Schurken aufsteigen und für viele Genrefans im gleichen Atemzug mit Freddy oder Jason genannt werden würde. Es sind nicht nur seine ausgeklügelten, perfiden Fallen, die Jigsaw zu einem Favoriten vieler Horrorfans machte, sondern auch seine pseudointellektuellen Ausführungen zu Schuld, Sühne und dem wahren Wert des Lebens, den man offenbar nur verstehen kann, wenn man furchtbar verstümmelt wird. Im ersten Saw verbrachte der Charakter noch nahezu die gesamte Laufzeit als angebliche Leiche. Erst im zweiten und dritten Film konnte Tobin Bell sein diabolisches Spiel wirklich zur Geltung bringen.

Jigsaw (2017) Filmbild 1In Saw III ist die Uhr dann für Jigsaw abgelaufen, nicht durch seinen Tumor, sondern durch die Hand eines seiner Opfer. Was macht man also, wenn der Haupt-Antagonist einer sehr erfolgreichen Filmreihe aus dem Leben scheidet und man nicht die übernatürlichen Gefilde betreten möchte, um ihn zurückzubringen? Man verpasst ihm einen ähnlich wahnsinnigen Lehrling, spielt mit Zeitebenen und baut unzählige Flashbacks rein, um Jigsaws Vorgeschichte unnötig zu beleuchten. Jigsaw wurde zum Tupac des Horrorkinos, mit mehr Auftritten nach seinem Filmtod als davor. Mit jedem neuen Film wurde es jedoch problematischer, Jigsaw irgendwie in die Handlung reinzuzwängen und sein Screentime wurde immer kürzer.

Jigsaw (2017) Filmbild 2Sieben Saw-Filme erschienen zwischen 2004 und 2010 im Jahres-Rhythmus, bis das Franchise den Ermüdungserscheinungen erlag. Jetzt kommt nach einer siebenjährigen Pause ein neuer Film in die Kinos und dass er das Erbe der Reihe stolz zur Schau trägt, zeigt schon sein Titel: Jigsaw. Natürlich darf Tobin Bell auch im neuen Film nicht fehlen. Die Umstände, unter denen er hier zurückkehrt, werden an dieser Stelle natürlich nicht verraten, doch sein Auftritt wirkt diesmal tatsächlich weniger forciert und passender als in den letzten Filmen der Reihe. Von Anfang an ist Jigsaw eine Präsenz in dem Film, doch bis sie Bell endlich zu sehen bekommen, müssen die Zuschauer etwas Geduld aufbringen. Zum Glück vertreibt der Film einem bis dahin die Zeit mit dem, was die Saw-Reihe am besten kann: brutale Tode durch unrealistisch komplexe Fallen. Wie erstmals in Saw II, ist es wieder eine Gruppe von Opfern, die sich durch Jigsaws krankes Escape-Room-Szenario durchschlagen müssen. Wie in den meisten Saw-Sequels sind die Opfer-Charaktere (u. a. gespielt von "Bitten"-Star Laura Vandervoort) allesamt recht langweilig. Sie sind weder sympathisch genug, um mit ihnen mitzufiebern, noch böse genug, um sie zu hassen. Sie sind Kanonenfutter für Jigsaws Maschinen des Todes. Die neuen Regisseure Michael und Peter Spierig erklärten zwar im Vorfeld, ihr Film sei nicht ganz so grausam wie die Vorgänger, doch eins ist gewiss: Gore-Fans werden hier voll auf ihre Kosten kommen und der Film hat sich seine FSK-Freigabe ab 18 redlich verdient. Wie spätestens ab Saw III, dient die übertriebene Gewaltdarstellung hier wieder dem Selbstzweck und keine Szene in der gesamten Reihe kommt für mich immer noch an das Fuß-Absägen aus Teil 1 heran, als Gewalt noch vor allem psychologisch anstatt explizit eingesetzt wurde. Den Maskenbildnern gebührt aber für ihre Arbeit an Jigsaw auf jeden Fall Respekt, denn in puncto Blood ’n' Gore braucht sich der Film hinter seinen Vorgängern nicht zu verstecken. Gelegentlich kommt bei den Fallen-Szenen sogar echte Spannung auf, die spätere Sequels der Reihe vermissen ließen.

Jigsaw (2017) Filmbild 3Deutlich uninteressanter wird es immer, wenn die Handlung von den Spielen zu den Ermittlungen im Fall von Jigsaws neuer Mordserie wechselt, denn die klischeehaften Polizisten und Pathologen sind genau so uninteressant und austauschbar wie die Opfer des Serientäters, nur dass sie nicht den Bonus haben, in regelmäßigen Abständen zersägt, aufgespießt oder zerrissen zu werden. Um der klassischen Saw-Blaupause treu zu bleiben, beinhaltet Jigsaw neben einfallsreichen Fallen und solider Härte auch diverse Twists, die sich natürlich zuspitzen, wenn die beiden Handlungsstränge gegen Ende zusammenlaufen. Wer mit der Reihe vertraut ist und weiß, wie die Filme funktionieren, wird die meisten dieser Wendungen vom Weiten kommen sehen.

Seinen Höhepunkt erreicht Jigsaw jedoch, wenn Tobin Bell endlich die Bühne betritt und binnen weniger Sätze die Zuschauer daran erinnert, dass er immer noch das (schwarze) Herz der Reihe. Da er sein Gesicht im Gegensatz zu vielen Horror-Schurken nicht hinter einer Maske oder unter viel Makeup versteckt, ist er schauspielerisch gefordert und schafft es wieder einmal durch Ruhe, Bedrohlichkeit auszustrahlen.

Jigsaw (2017) Filmbild 4Die Spierig-Brüder, die u.a. für ihren Vampirfilm Daybreakers und den cleveren Zeitreisethriller Predestination bekannt sind, haben mit Jigsaw die Reihe nicht neu erfunden, sondern vielmehr einen Film inszeniert, der ganz im Geiste seiner Vorgänger steht. Wer nicht nur den ersten Film, sondern v.a. die gesamte Reihe mochte, wird hier auf seine Kosten kommen. Doch Jigsaw ist trotz diverser Querverweise und Hommagen an die früheren Filme so ausgelegt, dass auch Neueinsteiger sich problemlos zurechtfinden könnten. Die Macher befreiten sich weitgehend von der Last der Franchise-Mythologie, die vor allem ab Teil 2 immer verschachtelter wurde, und steuerten stattdessen ein eigenes Puzzlestück zu diesem bei. Was soll’s, dass einige rückwirkende Ergänzungen der Vorgeschichte geradezu haarsträubend sind. Auch wenn die Saw-Reihe sich auf eine drollige Art und Weise todernst nimmt, sollte man es als Zuschauer lieber nicht tun. Jigsaw ist so gut, wie man es vom achten Saw überhaupt erwarten kann.

Fazit

Ausgeklügelte Fallen, ultrafiese Tode, viele Twists, eindimensionale Kanonenfutter-Charaktere und ein charismatischer Tobin Bell. Der neue Saw-Film ist ein alter Hut, doch nach einer siebenjährigen Pause macht Wiedersehen doch irgendwie Freude und es ist schon skurril-sympathisch, wie ernst der Film sich und seine haarsträubende Mythologie nimmt.

Trailer

Fünf Serienkiller-Thriller, die nicht jeder kennt

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Serienkiller-Filme Titelbild

Seit diesem Donnerstag läuft die Jo-Nesbø-Verfilmung „Schneemann“ in unseren Kinos. Auch wenn der Film international von Kritikern ziemlich in die Mangel genommen wurde und auch in meiner Kritik nicht besonders gut abschneidet, könnte dessen sehr stimmungsvoller Trailer bei vielen Zuschauern wieder das Interesse an einem Genre geweckt haben, das vor allem in den Neunzigern nach Meisterwerken wie Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ und David Finchers „Sieben“ extrem angesagt war und mit mal gelungenen und mal missratenen Beiträgen Zuschauer in die Kinos zog: Der Serienkiller-Thriller.

Nun sollte jeder ernsthafte Filmfreund die beiden genannten Meilensteine natürlich bereits kennen, doch gibt es auch sehenswerte Werke dieser Gattung, die im Strom untergegangen sind oder dem Boom zeitlich voraus waren. An dieser Stelle möchte ich euch kurz fünf Vertreter vorstellen, die ich neben den üblichen Verdächtigen persönlich empfehlen und euch vielleicht für den einen oder anderen spannenden Filmabend ans Herz legen kann. Los geht´s:

Jennifer 8 (1993)

„Withnail & I“-Regisseur Bruce Robinson war mit der problematischen Entstehung seines Thrillers alles andere als zufrieden und auch von Seiten der Presse hagelte es wenig Lob. Eigentlich unverständlich, da die Geschichte über einen Killer, der blinden Frauen nachstellt, zwar nicht mit ausgeprägter Originalität punkten kann und die Auflösung etwas zu sehr aus dem Hut gezogen kommt, aber dafür mit einer beklemmenden Atmosphäre besticht und tolle Darsteller wie Andy Garcia, Uma Thurman und John Malkovich mit überzeugenden Performances an Bord hat. Ebenfalls sehr effektiv: Der Score von Christopher Young („Hellraiser“).

The Ripper (1988)

Das in den USA unter dem deutlich besseren Titel „Jack´s Back“ veröffentlichte Regiedebüt von Rowdy Herrington („Road House“) zeigt den blutjungen James Spader in gleich zwei Rollen: Als sensiblen Medizinstudenten, der scheinbar einem Serienmörder, der 100 Jahre nach Jack the Ripper dessen Taten imitiert, auf die Spur kommt, und als dessen rüpelhaften Zwillingsbruder, der von beunruhigenden Visionen geplagt wird. Mit einem klasse 80er-Soundtrack und stylischen Bildern ausgestattet, mag einen die finale Enthüllung nicht zwingend aus der Reserve locken, doch das flotte Tempo und hohe Spannungslevel sorgen dafür, dass man das Werk immer gern aus der Kiste der Vergangenheit kramt.

Knight Moves (1992)

Christopher Lambert spielt Schach gegen einen Wahnsinnigen, der es auf Frauen abgesehen hat – nein, das ist keine moderne Variation von Ingmar Bergmans „Das siebente Siegel“, sondern ein clever konstruierter Neo-Giallo von dem inzwischen verstorbenen Schweizer Carl Schenkel. In einem finsteren Schwarz-Weiss-Intro lernen wir den Killer bereits als psychotisches Kind kennen. Was dann folgt ist ein sehr packender Whodunnit und ein tödliches Spiel zwischen Meister und Herausforderer. Die gruselig eingefangenen Stalker-Szenen gehen ebenfalls unter die Haut.

Die Augen der Laura Mars (1978)

Mit dieser Killer-Hatz im Model-Milieu hat sich Irvin Kershner für den Regie-Posten beim zweiten Star-Wars-Abenteuer „Das Imperium schlägt zurück“ empfohlen. Entgegen des späteren Blockbusters geht es in dieser Arbeit weniger actiongeladen, aber dafür ausgesprochen nervenaufreibend zur Sache. Als berühmte Fotografin erlebt Faye Dunaway durch die Augen des Täters sein blutiges Werk hautnah mit und begibt sich in Lebensgefahr. Ist es jemand aus ihrem näheren Umfeld? Tommy Lee Jones steht der verunsicherten Frau als schützender Detektiv zur Seite und in weiteren Rollen sind Brad Dourif und Raul Julia zu sehen. Das Drehbuch stammt übrigens aus der Feder des damals noch relativ unbekannten John Carpenter, dessen Karriere im Folgejahr mit „Halloween“ richtig durchstarten soll.

Memories of Murder (2003)

Eigentlich ein regelrechtes Meisterwerk seines Genres und ein quasi Vorläufer zu David Finchers akribischer True-Crime-Aufarbeitung „Zodiac“. Unter der Regie von Joon-ho Bong („Snowpiercer“) beschäftigen sich ein fauler Ermittler und sein Partner lieber damit, eine Mordwelle im Jahr 1986 mit linken Methoden ad acta zu legen, anstatt dem Mörder das Handwerk zu legen. Als sich ein smarten Detektiv aus der Großstadt ankündigt und beginnt, alte Fälle mit den Taten in Verbindung zu bringen, gibt es böses Blut zwischen den Lagern. Mit schrägen Zwischentönen, wie man sie aus dem koreanischen Kino kennt, könnte der Film dem breiten Massengeschmack etwas zu sehr aus dem Ruder laufen, aber wer sich offen an das ruhig erzählte Werk tastet, wird definitiv belohnt. Das Ende ist frustrierend und unbefriedigend – und genau deshalb so brillant!

Das wäre nun meine sehr kleine Auswahl an vergessenen Perlen. Natürlich definiert das Wort „vergessen“ jeder anders und mancher vermisst seinen eigenen Favoriten in der Liste.

Also was sind eure Lieblings-Killerthriller, die möglicherweise kaum jemand kennt?

Thor – Tag der Entscheidung (2017) Kritik

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmkritik

Thor: Ragnarok, USA 2017 • 130 Min • Regie: Taika Waititi • Mit: Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Tom Hiddleston, Cate Blanchett, Tessa Thompson, Jeff Goldblum, Karl Urban, Idris Elba, Antony Hopkins • FSK: n.n.b. • Kinostart: 31.10.2017 • Website

Handlung

Nach einer langen Odyssee durchs Weltall kehrt Thor (Chris Hemsworth) nach Asgard zurück, doch seine Heimat hat sich in seiner Abwesenheit stark verändert. Sein Adoptivbruder Loki (Tom Hiddleston), getarnt als Odin (Anthony Hopkins), lässt sich als großen Helden feiern und Anarchie in Asgard regieren. Thor durchschaut die List sofort und schnappt sich Loki, um ihren Vater von der Erde, wo der Oberschwindler ihn zurückließ, zurückzubringen. Mit ein wenig magischer Hilfe von Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) finden die beiden Odin. Doch die glückliche Wiedervereinigung von Vater und Sohn wird durch Odins Ankündigung getrübt, dass Hela (Cate Blanchett), die Göttin des Todes, auf dem Vormarsch ist, um Asgard und alle anderen Welten zu unterjochen. Die Dame lässt nicht lange auf sich warten und zeigt Thor im Kampf schnell, wo der Hammer hängt, indem sie seinen zerstört. Geschlagen wird Thor durch die Welten geschleudert und landet auf dem Müllplaneten Sakaar. Dort herrscht der extravagante Grandmaster (Jeff Goldblum)und veranstaltet zu seiner Belustigung brutale Gladiatorenkämpfe. Ohne Hammer und sein langes Haar muss auch Thor in die Arena, wo er auf Grandmasters ungeschlagenen Champion trifft – seinen Avengers-Kollegen Hulk (Mark Ruffalo). Um Asgard von Helas Diktatur zu befreien, wird Thor jedoch nicht nur Hulks Unterstützung benötigen, sondern auch die seines verlogenen Bruders und der desillusionierten asgardischen Kriegerin Valkyrie (Tessa Thompson).

Kritik

Immer wenn sich ein Film etwas Neues traut und damit großen Erfolg hat, lassen Nachahmer nicht lange auf sich warten. Als Christopher Nolan mit Batman Begins und The Dark Knight das Genre des Superheldenkinos erdete, wollten Blockbuster im Allgemeinen und Comicverfilmungen im Speziellen plötzlich düsterer und bodenständiger sein. Nachdem Disney mit seinem Marvel Cinematic Universe cineastisches Neuland betrat, wollte plötzlich jedes Studio ein eigenes, vernetztes Filmuniversum haben. Doch Disney ruhte sich nicht auf den Lorbeeren aus und verließ sich nicht auf eine starre Erfolgsformel, sondern experimentierte und perfektionierte sie weiter. Eine weitere Wende kam 2014 mit Guardians of the Galaxy. Viele prophezeiten im Vorfeld den ersten Marvel-Flop. Wer kennt schon die obskuren Titelcharaktere? Regisseur und Drehbuchautor James Gunn strafte Kritiker Lügen und machte einen schießwütigen Waschbären und einen einsilbigen, lebenden Baum zu zwei der beliebtesten Blockbuster-Helden der letzten Jahre. Mit seinem groovy Soundtrack, seiner Respektlosigkeit und seinen liebenswürdigen Figuren wurde Guardians of the Galaxy wegweisend für moderne Blockbuster. Bei keinem anderen Film war der Einfluss des Guardians-Erfolgs so offensichtlich wie bei Thor – Tag der Entscheidung. Die gute Nachricht ist: es funktioniert fabelhaft!

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmbild 1Wie schon James Gunn, kommt auch der neuseeländische Thor-3-Regisseur Taika Waititi, hierzulande vermutlich am besten für seine Vampir-Mockumentary 5 Zimmer Küche Sarg bekannt, aus dem Low-Budget-Bereich, in dem man immer wieder versuchen muss, aus begrenzten Mitteln möglichst viel zu machen. Not macht bekanntlich erfinderisch und fördert kreative Ideen. Dadurch drücken solche Filmschaffende später auch einem Projekt der Marvel’schen Größenordnung ihren eigenen Stempel auf, der sich in der Regel anders anfühlt, als bei Filmemachern, die seit Jahrzehnten Blockbuster am Fließband produzieren. Waititi schneidet bei seinem Big-Budget-Debüt zwar eine große Scheibe von Guardians of the Galaxy ab, jedoch ohne Gunns Stil schamlos zu kopieren. Vielmehr erfindet er die bereits nach zwei Solo-Filmen etwas angestaubte Thor-Reihe als einen idiosynkratischen Beitrag des Marvel-Universums neu, der sich stilistisch nicht nur von seinen Vorgängern, sondern auch von den restlichen MCU-Filmen abhebt. Mit der Ausnahme des perfekten Einsatzes von Led Zeppelins "Immigrant Song" in zwei Gänsehaut-Szenen (wieso kam niemand früher auf die Idee?!), erwartet die Zuschauer hier kein Awesome Mix Vol. 3 mit den hippsten Songs der Siebziger, sondern herrliche Synthie-Musik mit viel Retro-Charme eines Achtziger-Videospiels. Und obwohl Thor sich ein Team zusammenstellt, bleiben der Donnergott und seine Selbstfindung stets klar im Fokus des Films.

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmbild 2Im Gegensatz zu den Guardians of the Galaxy, die vor ihrem Film noch nie im Kino zu sehen waren und deshalb von Anfang an einen eigenen Stil als Blaupause etablieren konnten, ist es bereits der dritte Solo-Auftritt von Thor. Dass eine längere Vorgeschichte neuen Ideen und Ansätzen nicht im Weg stehen muss, zeigte dieses Jahr schon Logan. Der Tonwechsel ist bei Thor – Tag der Entscheidung bei weitem nicht so radikal, doch damit sich die Reihe wieder frisch anfühlt, muss sie zunächst einmal viel Ballast loswerden. Das machen Taika Waititi und seine drei Drehbuchautoren im ersten Filmdrittel ziemlich gnadenlos. Doch keine Sorge, Waititi schafft keine komplette Tabula Rasa. Er zollt der bisherigen Geschichte Respekt und behält Elemente bei, die in den Vorgängern sehr gut funktionierten. Dazu gehört vor allem die Hassliebe zwischen Thor und Loki. Die Shakespeare’schen Einflüsse in Kenneth Branaghs erstem Thor werden wieder aufgegriffen und durch eine weitere dramatische Entwicklung ergänzt, die des englischen Bühnenautors würdig ist.

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmbild 3Der Film entledigt sich diverser Nebenfiguren – mal auf der Leinwand, mal abseits und manche werden einfach nicht mehr erwähnt. Die Abwesenheit von Natalie Portmans Jane Foster wird mit einem Satz beiläufig erklärt und da die Schauspielerin im letzten Film schon den Eindruck machte, als wäre sie überall lieber gewesen als am Set des Films, kann man es leicht verschmerzen. Etwas schade ist das Fehlen von Jaimie Alexanders Lady Sif, deren Potenzial als Charakter nie ausgeschöpft wurde, doch dafür führt der Film mit Tessa Thompsons Valkyrie die bislang beste weibliche Figur der gesamten Thor-Reihe ein. Als desillusionierte, opportunistische und sehr trinkfeste Kriegerin, deren alles-egal-Auftreten ein tief sitzendes Trauma verbirgt, begeistert Thompson von ihrer allerersten Szene an, in der sie betrunken und gar nicht ladylike von ihrem Schiff heruntertaumelt. Später behauptet sie sich auch in den Actionszenen mit Bravour. Zum Glück macht der Film auch nicht den verlockenden Fehler, Valkyrie gleich zu einem Love Interest für den Donnergott zu machen. Auch wenn es der letzte Thor-Film sein sollte, hoffe ich, noch viel mehr von Valkyrie in Zukunft zu sehen.

Die andere starke, aber deutlich feindlicher gesinnte Figur im Film ist Cate Blanchetts tödliche Hela. Der Charakter ist leider etwas zu dünn geschrieben, um unter die besten Marvel-Bösewichte aufzusteigen, doch man merkt Blanchett den Riesenspaß beim Spielen an, der Gothic-Look sitzt perfekt und Thor bekommt es erstmals mit einer Bedrohung zu tun, die glaubwürdig mächtiger ist als er.

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmbild 4Waititi knüpft in gewisser Weise an die Ideen aus dem ersten Thor-Film an, indem er die Rivalität der beiden Brüder mehr in den Mittelpunkt rückt und Thor auf eine weitere Reise der Selbstfindung schickt. Versklavt und ohne Hammer, Haare oder Freundin, wird der mitunter gerne arrogante und überhebliche Thor auf den Boden der Tatsachen gebracht und muss sich erst einmal wieder hocharbeiten. Der Film demontiert seine Hauptfigur bis auf ihren Kern und spiegelt damit auch das wider, was Waititi mit dem Franchise selbst macht. Die leicht maroden Mauern werden abgerissen und auf dem stabilen Fundament wird ein neues, prächtigeres Schloss gebaut. Dadurch wirkt Hemsworth als Thor auch noch eine ganze Spur sympathischer als bei allen seinen bisherigen Auftritten und auch wenn er manchmal immer noch zur Hitzköpfigkeit neigt, verfügt dieser Thor über deutlich mehr Selbsteinsicht und ist viel vorausschauender, als man ihn vorher kannte.

Was den Spaß (nahezu) perfekt macht, ist eine tolle Ansammlung von Nebencharakteren, wie Jeff Goldblums wundervoll schräger, farbenfroher Grandmaster, Karl Urban als Scourge, ein prahlerischer Wichtigtuer mit schlummerndem Gewissen, und der von Waititi selbst verkörperte höfliche Alien Korg, der mit seinen unwissend trockenen Sprüchen jede seiner Szenen stiehlt. Allein er ist ein guter Grund, den Film in seiner englischen Originalfassung zu sehen! Sehr willkommen sind der kurze Auftritt von Benedict Cumberbatch als Doctor Strange, der mittlerweile noch souveräner in seiner Rolle als Oberster Magier agiert, als das letzte Mal, dass wir ihn gesehen haben, sowie das vielleicht genialste Star-Cameo im gesamten MCU. Wer sich vor allem auf den großen Kampf zwischen Hulk und Thor freut, wird auch nicht enttäuscht sein. Die Fans werden zwar vermutlich nie den erhofften Planet-Hulk-Film zu sehen bekommen, doch sein Auftritt hier in voller Gladiatoren-Montur und viel gesprächiger, als man ihn bislang je erlebt hat, lässt keine Wünsche offen.

Thor Tag der Entscheidung (2017) Filmbild 5Visuell ist Thor – Tag der Entscheidung ein Fest. Der Film profitiert sehr davon, dass sich nahezu die gesamte Handlung nicht auf der Erde abspielt und der Planet Sakaar – im Prinzip eine riesige galaktische Müllhalde – ist großartig in Szene gesetzt. Hier vermischen sich bunte Farben mit Dreck und alles scheint irgendwie aus Abfall zusammengeschustert worden zu sein. Und dann gibt es dort noch so ein Ding mit dem Namen "Devil’s Anus"…

Thor – Tag der Entscheidung kommt nicht ohne einige kleine Makel daher, von denen viele bereits zur DNA der Marvel-Filme gehören. So hätten die meisten neuen Figuren, insbesondere Valkyrie, Hela und Scourge, von etwas mehr Tiefe profitiert. Alle drei haben mehr Potenzial für innere Konflikte und komplexere Motivationen, doch der Film hält sich damit nicht lange auf. Das Finale ist ein wenig chaotisch, punktet jedoch damit, dass es dann doch etwas anders kommt als man vielleicht erwarten würde. Pingeligen Zuschauern wird die eine oder andere Inkonsistenz auffallen, doch nichts davon stört den Gesamteindruck, dass dies der bislang beste Thor-Film und neben Guardians of the Galaxy Vol. 2 die spaßigste Comicverfilmung dieses Jahr ist.

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Schneemann (2017) Kritik

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Schneemann (2017) Frontbild

The Snowman, GB/S/USA 2017 • 119 Min • Regie: Tomas Alfredson • Drehbuch: Hossein Amini, Peter Straughan, Søren Sveistrup • Mit: Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, J.K. Simmons, Charlotte Gainsbourg, Jonas Karlsson, David Dencik, Val Kilmer, Chloë Sevigny • Kamera: Dion Beebe • Musik: Marco Beltrami • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 19.10.2017 • Deutsche Website

Erinnert sich noch jemand an die Band Hot Butter und deren Hit „Popcorn“ von 1972? In Tomas Alfredsons Jo-Nesbø-Adaption „Schneemann“ gibt es das markante Synthie-Stück gleich zweimal auf die Ohren – man achte in diesem Zusammenhang bitte einmal genau auf den Verlauf der zweiten Szene, in der die Klänge ertönen. Zumindest ich musste an dieser Stelle breit grinsen. Es ist nicht der einzige Moment in der eiskalten Serienkiller-Hatz, in der der preisgekrönte Regisseur von „So finster die Nacht“ und „Dame König As Spion“ mit subtilem bis pechschwarzem Humor kokettiert. Doch leider kann dieser sympathisch-absurde Ansatz nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass ihm das Werk letztlich leider ziemlich aus der erzählerischen Bahn geglitten ist. Der siebte Fall des populären Romanhelden Harry Hole (den Kalauer mit dessen Namen spare ich mir an dieser Stelle) sollte als packender Auftakt für den smarten Ermittler im Kinoformat herhalten, wobei die Story durchaus spannend anmutet und das erste Drittel des Films auch noch recht vielversprechend umgesetzt ist. Im Verlauf häufen sich allerdings die Probleme massiv und es wird ziemlich deutlich, dass diese Produktion irgendwann in arge Turbulenzen geraten sein muss.

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Die Geschichte beginnt in der Vergangenheit, in einem abgelegenen Haus inmitten einer verschneiten Landschaft. Die Bewohner sind eine Frau und ihr Sohn, die unerwartet Besuch von einem sogenannten „Onkel“ bekommen. Dieser benimmt sich dem Kind gegenüber wie ein autoritärer Vater, indem er es hart mit Wissensfragen löchert – für jede falsche Antwort bekommt die Mutter einen brutalen Schlag ins Gesicht verpasst. Als der Junge die beiden schließlich beim Sex beobachtet, erfährt er, dass der vermeintliche „Onkel“ in Wahrheit sein leiblicher Erzeuger ist. Die Situation eskaliert und mündet in einer Tragödie. Wir verlassen das Szenario und lernen im gegenwärtigen Oslo Harry Hole (Michael Fassbender) kennen, der den akuten Mangel an neuen Mordfällen mit gründlichen Ermittlungen am Boden seiner Wodka-Flasche überbrückt. Doch Hole hat Glück, denn zeitgleich mit dem Eintreffen der neuen Kollegin Katrine Bratt (Rebecca Ferguson) kommt es zu dem mysteriösen Verschwinden einer Mutter, zu deren Fall sich in kürzester Zeit ein weiterer gesellt. Der abgetrennte Kopf der einen Frau wird schließlich auf dem Körper eines Schneemanns aufgefunden. Bratt konfrontiert ihr geniales Gegenüber, das unlängst offenbar von dem Täter schriftlich kontaktiert worden ist, mit einigen früheren Fällen, die sich im nahen Bergen zugetragen haben und ebenfalls mit vermissten Müttern, verstümmelten Leichen und Schneemännern am Tatort zu tun haben …

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„Schneemann“, der vorab mit seinem enorm dichten Trailer großes Interesse geweckt hat, entpuppt sich rasch als reichlich zerfahrene Angelegenheit. Hölzerne Charaktere, diverse Subplots, die sich nie wirklich homogen in das Bild einfügen wollen, und ein zackiger Schnitt von Oscar-Preisträgerin Thelma Schoonmaker („Departed – Unter Feinden“), der mit aller Mühe versucht, offensichtliche Story-Lücken zu kaschieren, dominieren den Gruselthriller. Inzwischen hat sich der Regisseur nach den vernichtenden Kritiken gegenüber dem NRK (dem Norwegischen Rundfunk) zu Wort gemeldet und das Hauptproblem auf den Tisch gelegt: Etwa 10 bis 15 Prozent des Skripts von Peter Straughan, Hossein Amini und Søren Sveistrup konnten aus Zeitgründen nicht abgedreht werden, was recht nachvollziehbar das irritierende Resultat erklärt. Entschuldigen sollte das aber nicht die Tatsache, dass man den Zuschauern hier ein deutlich unfertiges Produkt als stargespicktes Event-Kino verkaufen will. Warum man nicht einfach weitere Nachdrehs angeordnet hat und weshalb verschiedene Szenen aus dem Trailer im Film nicht zu finden sind, bleibt ein Rätsel. Somit liegt ein bitter enttäuschendes Ergebnis vor, das aber trotz – oder möglicherweise wegen – seiner Sprunghaftigkeit (die unklaren Zeitebenen sorgen für ordentlich Konfusion) auch nie wirklich langweilt. Das Interesse an der Identität des Täters geht in dem Durcheinander jedoch letztlich verloren und der angedachte Klimax entpuppt sich als unfreiwillig komischer Antiklimax in bester Slasher-Tradition.

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In der Rolle des abgewrackten Detektivs Hole macht Oscar-Nominee Michael Fassbender, der hier nach „Assassin’s Creed“ und „Alien: Covenant“ schon seinen dritten Projekt-Missgriff in Folge getätigt hat, zumindest eine solide Figur. Ich kenne zwar keine der Roman-Vorlagen, aber im Kontext des vorliegenden Pulp-Thrillers funktioniert sein Mix aus desillusioniertem Trinker, sensibler Privatperson und einzelgängerischer Spürnase ganz ordentlich. Eher blass bleiben jedoch seine prominenten Co-Stars, die zum Teil in kurzen Cameo-Auftritten (Chloë Sevigny, Toby Jones) völlig verheizt werden. Etwas steif, aber wenigstens noch in das Kerngeschehen aktiv involviert, ist Rebecca Ferguson, deren Katrine Bratt vom ersten Moment ein persönliches Geheimnis umgibt. Als macht- und sexgeiler Mogul Arve Stop spielt J.K. Simmons dagegen, als sei er auf einem anderen Stern gelandet, und den grotesk entstellten Val Kilmer wird man nach seinem kuriosen Auftritt so schnell nicht wieder vergessen. Die stimmungsvollen Aufnahmen Norwegens durch Kameramann Dion Beebe („Die Geisha“) und der effektive Score von Marco Beltrami („Logan“) halten die Aufmerksamkeit auch dann aufrecht, wenn man gerade mal wieder inhaltlich den Faden verloren hat – und nein, als dickes Kompliment für den Film soll das nun nicht verstanden werden.

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Irgendwo in „Schneemann“ steckt noch eine Geschichte über verlassene Mütter und abtrünnige Väter, die mit ihren schwachen Verknüpfungspunkten jedoch nie ihre wohl gewünschte Durchschlagskraft entfaltet. Ohne Zweifel wäre hier unter den richtigen Voraussetzungen auch ein gutes oder zumindest überzeugendes Werk drin gewesen – doch am Ende zählen natürlich nicht Spekulationen, sondern allein das Resultat. Für einen albtraumhaften Reißer mit Giallo-Elementen (ein Kindheitstrauma, ein Phantom mit schwarzen Handschuhen, ein morbides Mordwerkzeug, das direkt aus Dario Argentos „Trauma“ stammt) ist Alfredsons Krimi zu zahm und sauber geraten; für einen anspruchsvollen Thriller mit komplexen Strukturen mangelt es an der nötigen Kohärenz. „Schneemann“ ist ganz sicher nicht die einzige Produktion in jüngster Vergangenheit, die Opfer ihrer Entstehungsumstände geworden ist. Besonders traurig ist es in diesem Fall jedoch in Anbetracht der sonst so hochgradig talentierten Beteiligten. Für normale Filmfreunde dürfte der Kinobesuch einem kurzweiligen WTF-Erlebnis gleichkommen, während eingefleischte Nesbø-Jünger ernsthaft erbost sein könnten.

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Als persönliches Guilty Pleasure lasse ich den arg verunfallten „Schneemann“ gerne durchgehen, eine echte Empfehlung kann ich für den Film allerdings beim besten Willen nicht aussprechen.


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