Hardcore Henry, USA/RU 2015 • 90 Min • Regie: Ilya Naishuller • Mit: Sharlto Copley, Haley Bennett, Danila Kozlovsky, Tim Roth • FSK: n.n.b. • Kinostart: 14.04.2016 • Deutsche Website
Handlung
Henrys Tag fängt denkbar beschissen an. Ohne jegliche Erinnerungen, die Fähigkeit zu sprechen und mit zwei fehlenden Gliedmaßen wacht er in einem Hi-Tech-Labor auf und wird von einer bildschönen Frau (Haley Bennett) begrüßt. Sie stellt sich als Estelle vor, seine Ehefrau, und schraubt ihm prompt ein kybernetisches Bein und einen ebensolchen Arm an. Henry ist jetzt mehr Maschine als Mensch, aber immerhin lebt er. Von da an geht es abwärts – auch im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn schwerbewaffnete Spezialeinheiten, angeführt vom telekinetisch begabten Oberfiesling Akan (Danila Kozlovsky) das Labor stürmen und Henry offenbar an den Kragen wollen, können Estelle und er sich in letzter Sekunde retten, indem sie sich mittels einer Rettungskapsel aus dem hoch über den Wolken schwebenden (?) Labor absetzen. Doch am Boden angelangt, werden sie schon erwartet. Akans Söldner entführen Estelle und Henry kann nur mit knapper Not entkommen. Dabei merkt er jedoch, dass sein neuer Körper ihn mit Fähigkeiten ausstattet, von denen sogar Liam Neeson in der Taken-Reihe nur träumen könnte. Henry setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um seine Frau zu retten und erhält dabei Hilfe vom mysteriösen, wandlungsfähigen und sehr todesresistenten Jimmy (Sharlto Copley).
Kritik
Gute Videospielverfilmungen sind so schwer zu finden wie eine gute Nicholas-Sparks-Adaption. Erstlingsregisseur Ilya Naishuller zeigt mit Hardcore, dass man gar keine Spielvorlage braucht, um einen nahezu perfekten Ego-Shooter-Film abzuliefern. Es ist in der Tat die mit Abstand beste Videospielverfilmung, die auf keinem Videospiel basiert und mehr muss man über den Film eigentlich auch nicht wissen. Die Erste-Person-Perspektive, bei der die gesamte Handlung sich durch die Augen der Hauptfigur entfaltet, wird von der ersten bis zur letzten Sekunde des Films konsequent durchgezogen und mit viel Einfallsreichtum ausgereizt. Dadurch, dass unser Protagonist im Gegensatz zu Elijah Wood im Maniac-Remake keine Stimme hat, wird er im Prinzip zu einem Avatar für den Zuschauer reduziert. Lediglich einige sehr spärlich eingesetzte (und offen gesagt überflüssige) Erinnerungsfetzen erinnern den Zuschauer daran, dass er nicht selbst mitten im Actiongeschehen steckt. Ansonsten funktioniert die Perspektivenübernahme fantastisch und noch nie hat ein Film so sehr darum gebettelt, durch das Oculus Rift erlebt zu werden.
Machen wir uns nichts vor, die Ego-Shooter-Perspektive alleine erfindet das Actiongenre nicht neu. Es ist ein Gimmick, genau so wie 3D oder "Found Footage". Doch in diesem Fall ergänzt sich das Gimmick bestens mit der hyperaktiven Natur des Films. Wem das Tempo von The Raid oder John Wick etwas zu gemächlich war, wird hier nicht enttäuscht. Bereits im Vorfeld wurden Vergleiche zwischen Crank und Hardcore gezogen und diese sind nicht verkehrt. Hardcore ist Crank versetzt mit einem Cocktail aus Ritalin, Koks und LSD und steigert sich ebenfalls in puncto Absurdität von Szene zu Szene, ohne jedoch die eigene Albernheit zu vergessen. Sobald die Action im Film nach fünf Minuten einsetzt, stellen sich hauptsächlich zwei Fragen: wie viel Schaden kann Henrys Körper vertragen und wie viel Schaden kann er seinen Gegnern zufügen? Die Antwort auf diese beiden Fragen ist gleich: viel! Bereits beim Vorspann des Films werden den FSK-Zensoren dicke Schweißtropfen über die Stirn laufen, im weiteren Verlauf wird es noch viel heiterer. Köpfe explodieren, Gliedmaßen werden abgehackt, Knochen gebrochen, Körper geschreddert, Hände zerrissen und Henrys unaufhaltsame Ein-Mann-Armee lässt Chuck Norris in Ehrfurcht erstarren.
Hardcore ist mit Sicherheit kein Film für Jedermann. Wer von seinen Filmen mehr als das absolute Knochengerüst von einer Handlung und mehrdimensionale Charaktere erwartet, sollte um Hardcore einen weiten Bogen mache, ebenso wie jeder, bei dem schon gewöhnliche wackelige Kamera Übelkeit auslöst. Die ADHS-Action und die Ego-Shooter-Perspektive werden auf Manche mit Sicherheit schnell ermüdend wirken, insbesondere da der Film mit seinen Verschnaufpausen nicht sehr großzügig umgeht. Wer jedoch einen auf die reinste Essenz reduzierten Actionfilm sucht, sollte bei Hardcore voll auf seine Kosten kommen. Das Moskauer Setting setzt den Look des Films von anderen Actionstreifen deutlich ab (so wie einst Johannesburg bei District 9, der hier sowieso als Vorbild diente) und wer der russischen Sprache mächtig ist, wird den einen oder anderen lustigen Moment erwischen, der allen andere vermutlich entgeht. Dafür, dass die knochenbrecherische Action nicht zu eintönig wird, sorgen pechschwarze Humorspritzen. Für einen Großteil davon ist Sharlto Copley verantwortlich, der einige nennenswerte Darsteller des Films, der dafür zur Höchstform aufläuft. Ob als britischer Old-School-Soldat, kiffender Hippie, koksender Freier, Obdachloser oder schüchterner Wissenschaftler (ja, es macht im Kontext des Films alles irgendwie Sinn), ist die Begeisterung, mit der er seine Rolle(n) spielt, beinahe ansteckend, und erinnert uns daran, dass eigentlich jeder Film durch den Einsatz des südafrikanischen Schauspielers nur verbessert werden kann. Für die restliche überbordende Absurdität sorgen Nutten mit Katanas, Actionszenen mit Panzern und Feuerwerfern und Danila Kozlovsky als ein Over-Over-the-Top Antagonist, der ein vergessener Sprössling der Targaryen-Familie aus "Game of Thrones" sein könnte.
Fazit
So abgenutzt dieser Satz auch klingen mag: bei Hardcore ist der Titel auch Programm. Wer sich an der Videospielästhetik, der aufs nötigste Minimum reduzierten Handlung, fehlender Charakterentwicklung und einer gehörigen Portion Shaky Cam nicht stört und auf ultrabrutale, zum Teil sehr einfallsreiche Action ohne Verschnaufpausen steht, wird hier vom Vorspann bis zum Abspann bestens bedient. Die Ego-Shooter-Perspektive wird auf manche Zuschauer auf Dauer ermüdend wirken, doch die unbändige Energie der Macher ist jederzeit zu spüren und bitterböser bis absurder Humor sowie ein grandios aufspielender Sharlto Copley sorgen für ausreichenden Ausgleich.



„I am the last guy in the world that you wanna fuck with.“ – Wer mit Frank Geschäfte machen will, sollte sich auf klare Regeln gefasst machen. Frank ist der Hauptprotagonist in Michael Manns Spielfilmdebüt „Thief – Der Einzelgänger“ und wird von einem James Caan verkörpert, der in seiner gesamten Karriere wohl nie besser gewesen ist. Caan spielt nicht nur, er lebt und leidet seine Figur, die nach jahrelanger Haft eine bessere Existenz aus dem Stand erschaffen will. Das führt dann direkt zu der wohl intensivsten Szene in einem gänzlich meisterhaften Werk. Natürlich, es geht darin um Kriminalität und Gewalt – aber eben auch um Gefühle und einen brennenden Ehrgeiz. Denn Frank will die Kellnerin Jessie (Tuesday Weld). Er möchte sie nicht, er will sie. So kommt es schließlich, dass er sie nach einem unglücklich gelaufenen Date in seinen Wagen zerrt und verbal attackiert. Normalerweise dürfte solch ein brutales Verhalten das Entstehen jeder Beziehung sofort im Keim ersticken. Doch Frank schafft es – und dieser Moment in einem kleinen Diner ist pure Kinomagie. Nicht etwa weil er in besonders schöne Bilder getaucht worden ist, sondern weil man diese eigentlich absurde Situation tatsächlich abkauft. Das liegt auch an Michael Manns Drehbuch, vor allem aber am wirklich großen Schauspiel.
Ein paar Schritte zurück: Frank betreibt einen Gebrauchtwagenladen, doch die wahre Gabe des Ex-Sträflings liegt im Knacken von Safes. Gelernt hat er das im Gefängnis von seinem Leidensgefährten Okla (gespielt von Country-Legende Willie Nelson), der für ihn so etwas wie einen großer Bruder darstellt. Während Okla seine Strafe noch absitzen muss, arbeitet Frank an der Verwirklichung seines persönlichen American Dream. Dieser schließt Erfolg, Reichtum und eine eigene kleine Familie ein. Fixiert hat Frank seine präzisen Vorstellungen auf einem Foto, auf dem auch das Bild seines inzwischen sterbenskranken Mentors prangt. Er will Okla aus dem Knast holen und gleichzeitig mit der unfruchtbaren Jessie eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Um beide Ziele möglichst schell zu erreichen, geht der eigentlich strikt selbstständige Dieb einen Pakt mit dem Teufel ein: Eine Handvoll krimineller Projekte erhält er von dem Gangsterboss Leo (Robert Prosky) zugewiesen. Als Gegenleistung wird Okla vorzeitig auf freien Fuß entlassen und dem frischen Paar winken Geld und ein Adoptivsohn. Doch der Deal mit dem organisierten Verbrechen verläuft nicht wirklich wie geplant – und Frank sieht endgültig rot …
„Thief“ ist ein frühes Projekt des heutzutage besonders mit teurem Krawall-Kino assoziierten Megaproduzenten Jerry Bruckheimer (u.a. „Top Gun“, „The Rock“). Und ein Gespür für aufregende Newcomer mit einem individuellen Stil hat dieser bereits in seinen Anfangstagen bewiesen. Manns Film ist jedoch weit mehr als nur ein schick ausschauender Heist-Thriller: Der spätere Regisseur solcher Meilensteine wie „Heat“ (1995), „Insider“ (1999) oder „Collateral“ (2004) legt Wert auf eine möglichst authentische Schilderung des kriminellen Metiers und hat hier auf die Beratung des realen Juwelendiebs und Autoren der Buchvorlage „The Home Invaders“, John Seybold, zurückgreifen können. So gestalten sich die Einbrüche auch nicht als flink abgehandelte Actionszenarios, sondern als sorgfältig und detailliert inszenierte Coups. Dieser hautnahe Blick aus der Perspektive der Unterwelt ist hochinteressant und spannend. Der Nervenkitzel erwächst nicht etwa aus inflationären Schießereien oder Verfolgungsjagden, sondern aus der starken Bindung an die charismatische Titelfigur und der Frage, ob diese ihr ambitioniertes Ziel letztlich erreichen wird.
Nicht zuletzt ist „Thief“ auch die starke Charakterstudie eines Mannes, der verlorene Zeit wiedergutzumachen versucht. So steht der Thriller ganz in der Tradition nahezu aller Arbeiten Michael Manns: Der „Miami Vice“-Schöpfer konzentriert sich nie bloß auf einen blanken Plot, sondern führt auch vor Augen, wie das Kernthema das Leben der Protagonisten auch außerhalb ihrer Profession beeinflusst. Wenn „Heat“ das große Epos des Crime-Genres darstellt, so darf man „Thief“ als dessen pure Essenz betrachten – hier rückt der Regisseur lediglich weniger Figuren in den Mittelpunkt. Frank ist ein ambivalenter Sympathieträger; gerade seine unbedingte Zielstrebigkeit löst eine ungeheure Faszination aus. Vielleicht weil er sich als Prototyp der Do-it-yourself-Mentalität manifestiert und mit seinen starren Ansichten offensichtlich nicht nur Erfolge in der Geschäftswelt erzielen kann, sondern auf seine individuelle Weise sogar zwischenmenschliche Konflikte zu lösen vermag. Wer nicht durch Worte zu überzeugen ist, wird eben mit Gewalt zum Umlenken gezwungen. Für Kompromisse gibt es in seinem Traumgerüst keinen Platz, und der ursprüngliche deutsche Kinotitel „Der Einzelgänger“ ist mehr als zutreffend. Trotz seines Freundes Okla und seiner lang ersehnten Kleinfamilie gilt für Frank weiterhin: Er gegen den Rest der Welt. Alles oder nichts. Und der sehr blutige Showdown zieht dann einen klaren Schlussstrich.
• Director’s Cut-Fassung




Wir schreiben die 1950er Jahre, Amerika ist weiterhin das Symbol für einen Neuanfang mit Zukunft. Der Mittelpunkt, wie schon in der Hochzeit der Immigration Jahre zuvor: New York. Mit dem Schiff vorbei an der Freiheitsstatue und mit etwas Glück auch durch die Immigrantenschleuse hinein in das neue Leben. So begibt sich auch Eilis (Saoirse Ronan) aus dem heimatlichen aber doch sehr eingefahrenen Irland, das ihr keine Alternativen und vor allem keine Zukunft bietet, über den Ozean und lässt dabei ihre Mutter und Schwester zurück. Ohne dabei großartig den Zeigefinger auf die Probleme der Immigranten zu richten, zeichnet Brooklyn ein sehr nüchternes, glaubhaftes Bild, mit einer immer vorsichtig nostalgischen Note.
Die Entwicklung Eilis' trägt Saorise Ronan (
Ein offenes Ende hätte ihn wohl am besten beschlossen, aber ohne etwas Hollywood-Schmalz kommt man in der Oscar-Saison dann doch nicht aus und der Romanvorlage ist es wohl auch geschuldet. Dafür kommt der Film in seinem überaus altmodischen Stil wenigsten die meiste Zeit ohne den großen Kitsch aus und setzt stimmungsmäßig eher auf lockere Wortgefechte, bei denen vor allem Julie "Mrs. Weasley" Walters (Harry-Potter-Reihe) toll austeilt. Am meisten punkten kann Brooklyn aber mit seinem Setting, das er oft stimmig in Szene zu setzen weiß, ohne sich dabei überschwänglich aufzudrängen. Es ist klassisch und schick, wird aber auch etwas zu wenig erforscht – das Hauptaugenmerk liegt eben ununterbrochen auf dem Konflikt der Hauptfigur.

Erschütternde Wahrheit behandelt eine extrem wichtige Thematik, die viel zu lange totgeschwiegen und geheim gehalten wurde. Den wenigsten wird sie ein Begriff sein, und noch weniger werden glauben, wie jung sie eigentlich noch ist. Das Ziel, diese Angelegenheit durch den Film weiter an die Öffentlichkeit zu rücken, ist bemerkenswert und sollte unterstützt werden. Auch deswegen fühlt sich der Film nicht wirklich an, als wollte er seinen Fokus darauf setzen seine Geschichte erzählenswert wiederzugeben, sondern eher wie ein Aufruf, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Viele dokumentarische Aspekte fließen ein und lassen ihn noch authentischer wirken.
Smiths Performance an sich ist gut, wenn auch etwas überanstrengt. Es fühlt sich wenig natürlich an, und mehr so, als wolle er es endlich wieder allen beweisen, was ihm teilweise ja auch gelingt. Der Cast wird von Albert Brooks und Alec Baldwin sehr gut ausgefüllt. Doch die weibliche Nebenrolle, dargestellt von Gugu Mbatha-Raw, ist nichts weiter als ein eindimensionales Abziehbild einer uninspirierten Klischeefigur. Wenn sich unser Protagonist mal wieder nicht wohl in seiner Haut fühlt und an seinen Taten, an seinen Plänen zweifelt, sieht sie im kurz in die Augen, sagt ihm, dass alles gut wird, und hat somit ihren Zweck im Film erfüllt.
John Hillcoat interessiert sich für die Entwicklung von Zivilisationen. In seinem grimmigen Aussie-Western "The Proposition" (2005) betrachtete der Regisseur die Entstehung einer solchen, während er in der bedrückenden Cormac McCarthy-Adaption "The Road" (2009) die Endzeit heraufbeschwor. Seine jüngsten Arbeiten, das Prohibitions-Drama "Lawless" und aktuell "Triple 9", widmen sich Zeiträumen zwischen diesen zwei Zuständen. Es geht um Gesellschaften, in denen auf dem Papier zwar klare Regeln herrschen, die sich aber dennoch nicht sauber in weiss und schwarz oder gut und böse einteilen lassen. Die Schwarzbrenner-Brüder in „Lawless“ verstoßen selbstverständlich gegen bestehende Gesetze, stellen sich jedoch als moralisch gefestigter als der sadistische Deputy heraus. Auch in "Triple 9" liegen Chaos und Ordnung nah beieinander, wenn Cops für das Recht einstehen und zugleich schwere Straftaten begehen.
Es ist der erste Einsatz für den Gesetzeshüter Chris Allen (Casey Affleck) in einem der gefährlichsten Bezirke Atlantas. Abgehackte Köpfe und ständige Bandenkriege stehen auf der Tagesordnung. Der idealistische Frischling wird dem mürrischen Marcus Belmont (Anthony Mackie) als Partner aufgedrückt – ohne dass Chris etwas von der sinistren Nebentätigkeit seines neuen Anleiters ahnt: Zusammen mit einer Gruppe weiterer Cops begeht Marcus im Auftrag der russischen Mafiabraut Irina Vlaslov (so hat man Oscar-Preisträgerin Kate Winslet noch nie gesehen) riskante Banküberfälle. Erst als der Crew als Ablenkungsmanöver bei einem besonders brenzligen Raubzug die Begehung eines "999" – in den USA der Code für einen Polizistenmord – vorschwebt, soll sich der korrupte Untergrund frontal mit den sauberen Dienstmarken kreuzen. Ein Opfer wird gefordert, und lediglich Polizeisergeant und Chris' Onkel Jeffrey Allen (Woody Harrelson) kommt dem teuflischen Plan auf die Schliche. Doch nicht nur die unbefleckten Cops geraten unter Feuer – auch zwischen dem organisierten Verbrechen und seinen Handlangern kommt es zu Spannungen mit tödlichen Folgen. Wem kann man noch vertrauen?
In nur knapp zweistündiger Laufzeit entwirft John Hillcoat hier ein bemerkenswert komplexes Gerüst, das nicht nur einen primären Crimeplot beinhaltet, sondern auch eine Vielzahl an Figuren mit zum Teil weitreichenden Beziehungskonstellationen vorstellt. So vollführt der von Oscar-Nominee Chiwetel Ejiofor verkörperte Kopf der kriminellen Cops sein schmutziges Handwerk nicht etwa, weil ihm die Mafia ein Vermögen anbietet, sondern weil er familiär an die Organisation gebunden ist und sich sein kleiner Sohn in deren Fängen befindet. Deshalb mag man als Zuschauer seine Entscheidungen zunächst noch nachvollziehen können, bis mit der Ausarbeitung des titelgebenden "999" eine abscheuliche Grenzüberschreitung stattfindet. Der Gesetzes-Kompass wird lediglich von Chris und dessen Onkel Jeffrey gehalten. Letzterer wirkt dann wie die abgewrackte und verbrauchte Version seines noch von frischem Tatendrang erfüllten Neffen – auch der aufrechte Weg fordert scheinbar seinen Tribut. Obwohl die toughe Action und nervenzerrende Spannung von Beginn an auf einem hohen Niveau gehalten werden, lässt sich Hillcoat genügend Zeit für eine soziale Bestandaufnahme der Charaktere und ein Kurzportrait des brutalen Milieus: Die Großstadt ist ein Dschungel, und wenn man an den falschen Ecken nicht vorsichtig ist, kann jeder Tag der letzte sein.
"Triple 9" ist John Hillcoats bislang modernster Blick in die Abgründe unserer Gesellschaft. Der tatsächlich weitgehend unvorhersehbare und atmosphärisch dicht inszenierte Thriller mag zunächst wie ein Mix aus zwei Dekaden Genrekost anmuten. Doch irgendwo zwischen Michael Manns Heist-Epos "Heat" (1995), dem South-Central-Straßentrip "Training Day" (2001) und Martin Scorseses oscarprämierten Undercover-Thriller "Departed – Unter Feinden" (2006) findet der Regisseur die richtige Ballance und fügt der eigentlich altvertrauten Ballade von guten und schlechten Cops interessante Akzente hinzu. Seine Vision ist düster, dreckig und absolut kompromisslos. Für Erholung sorgen dagegen einige überraschend skurrile Zutaten (Stichwort: La Koscher Nostra), die den zynisch-brutalen Schlag in die Magengrube erträglicher machen. So ist "Triple 9" sicher keine x-beliebige Kost für den entspannten Actionabend, doch die Eintrittskarte lohnt sich. Auch wenn am Ende doch wieder etwas stoisch Standards abgehandelt werden.







