
Liebe Filmfutter-Fans,
kommenden Donnerstag wird die Academy of Motion Picture Arts and Sciences die Nominierungen für die 88. Oscarverleihung bekanntgeben, die am 28. Februar im Dolby Theatre in Los Angeles stattfinden wird. Wer unsere Berichterstattung über die laufende Oscar-Saison seit Dezember mitverfolgt hat, hat vermutlich schon ein ungefähres Bild davon, welche Filme bei den Oscars eine Rolle spielen werden, doch wie jedes Jahr erwarten uns sicherlich auch einige überraschende Nominierungen und ebenso überraschende Auslassungen. Welche Aussagekraft die Oscars für einen selbst besitzen, muss jeder für sich entscheiden, fest steht jedoch, dass es in der Filmwelt kaum eine andere Auszeichnung gibt, die Schauspieler, Regisseure, Produzenten oder andere Filmschaffende lieber im Regal stehen haben würden. Ein Oscargewinn bedeutet für viele einen Karrieresprung und öffnet Türen für neue Projekte. Man kann von den Oscars persönlich also halten, was man will, aber sie sind immer noch eine bestimmende Größe innerhalb der Filmindustrie und formen Karrieren und die Filmlandschaft.
Der ganze Spaß beim genauen Verfolgen des Oscar-Rennens – etwas ,was ich bereits seit 15 Jahren mache – besteht darin, Trends zu erkennen und so mögliche Überraschungen seitens der Academy vorauszuahnen. Natürlich gibt es dabei auch immer wieder welche, die man schlichtweg nicht erahnen kann, zum Beispiel als 2013 weder Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty) noch Ben Affleck (Argo) für den Regie-Oscar nominiert wurden, obwohl im Vorfeld wirklich alles dafür sprach.
Wie schon in den letzten drei Jahren werde ich mich auch diesmal mit den Oscarnominierungen in Form einer ausführlichen Vorschau zu den acht Hauptkategorien (Drehbücher, Schauspieler, Regie und Film) befassen. Dabei betrachten ich die wichtigen Prädiktoren wie die BAFTA-Nominierungen und die Nominierungen verschiedener Industrieverbände, aber auch das allgemeine Stimmungsbild, das sich an den Kritikerpreisen wie den BFCA Awards und den Golden Globes erkennen lässt.
Im ersten Teil der dreiteiligen Serie wende ich mich den beiden Drehbuchkategorien zu. Hier sind für die Vorhersagen primär zwei Vorläufer relevant. Einerseits sind es die Nominierungen der US-Gewerkschaft von Drehbuchautoren Writers Guild of America, weil deren Mitglieder auch über die Oscars abstimmen. Diese fielen dieses Jahr so aus:
Bestes Originaldrehbuch
Bridge of Spies – Der Unterhändler
Dating Queen
Sicario
Straight Outta Compton
Spotlight
Bestes adaptiertes Drehbuch
The Big Short
Carol
Der Marsianer
Steve Jobs
Trumbo
Allerdings muss man bei den Preisen der WGA auch beachten, dass die Gewerkschaft jedes Jahr diverse Drehbücher als unzulässig für eine Nominierung erklärt, weil sie nicht von den Mitgliedern der WAGA verfasst wurden oder auf andere Weise nicht unter die Regularien der Gewerkschaft fallen. Diese Filme haben dann immer noch gute Chancen bei den Oscars. Dazu gehören dieses Jahr u. a. die Drehbücher zu Filmen wie The Hateful 8, Alles steht Kopf, Raum, Brooklyn und Ex Machina.
Deshalb ist auch ein zweiter Prädiktor wichtig: die BAFTAs, auch als "britische Oscars" bekannt. Wer sowohl von der WGA als auch von der BAFTA nominiert ist, hat zwar immer noch keinen Freifahrtschein – siehe Gone Girl und The Master, die trotz einer solchen Situation von den Oscars links liegen gelassen wurden – jedoch erheblich verbesserte Chancen.
Schauen wir uns die beiden Drehbuchkategorien im Einzelnen an.
Bestes Originaldrehbuch
Ist ein Film ein starker Kandidat in der Kategorie "Bester Film", so ist sein Drehbuch meist auch an vorderster Front im Rennen. Gerade deshalb ist aber das Feld der potenziellen Nominees für das "Beste Originaldrehbuch" dieses Jahr weniger klar als in den letzten beiden Jahren. Nur ein einziger Film unter den Anwärtern hier ist ein absolut sicherer Kandidat für die Königsklasse. Es gibt zwar weitere Anwärter, doch die stärkeren Oscarkandidaten gehören dieses Jahr in die Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch".
Sichere Kandidaten


Wahrscheinliche Kandidaten
Quentin Tarantino (The Hateful 8) – Laut Prädiktoren sollte Quentin Tarantino für The Hateful 8 eigentlich mit seiner vierten Oscarnominierung rechnen. Schließlich wurde er sowohl von der BFCA als auch von den Golden Globes und der BAFTA für seine Arbeit an dem Film nominiert, obwohl der Film selbst bei allen drei nicht nominiert wurde. Die Stärken des Drehbuchs werden also allgemein anerkannt. Besondere Bedeutung hat in dieser Hinsicht die Drehbuchnominierung bei den Golden Globes, da die Globes insgesamt nur fünf Drehbücher nominieren und nicht zwischen Originaldrehbuch und adaptiertem Drehbuch unterscheiden, wodurch die Konkurrenz eigentlich noch größer wird. Trotzdem setzte sich The Hateful 8 gegen diese Konkurrenz durch. Von der WGA erhielt das Drehbuch keine Nominierung, weil Tarantino kein Mitglied der Gewerkschaft ist, aber das hinderte die Oscars auch nicht daran, ihn zuvor dreimal zu nominieren und zweimal auszuzeichnen. Die National Board of Review zeichnete The Hateful 8 ganz zu Beginn der Oscar-Saison für sein Drehbuch aus. Ein ganz sicheres Ding ist das Drehbuch trotzdem nicht, denn der Film selbst geht im Oscar-Rennen ein wenig unter und hat deutlich weniger Oscar-Hype als die anderen drei Tarantino-Filme, deren Drehbücher nominiert wurden – Pulp Fiction, Inglourious Basterds und Django Unchained. Eine Nominierung würde der für Paul Thomas Andersons Drehbuch zu Inherent Vice vergangenes Jahr ähneln und wäre eine Anerkennung für Tarantino als meisterhafter Autor. Ob er diesen Status innerhalb der Academy genießt, werden wir bald erfahren.

Weitere Anwärter
Alex Garland (Ex Machina) – Allein den Vorläufer-Nominierungen nach zu urteilen, sollte Ex Machina gute Chancen haben. Sowohl die BFCA als auch die BAFTA haben Alex Garlands kluges Drehbuch nominiert, aber auch die Kritikerverbände von Washington, Phoenix, Chicago, San Diego und San Francisco. Auch insgesamt nimmt der Film seit seiner Nominierung seitens der Produzentengewerkschaft an Fahrt auf, doch leider hat die Academy in vergangenen Jahren deutliche Vorurteile gegenüber intelligenten Drehbüchern zu Science-Fiction-Filmen zur Schau gestellt. So wurden das Drehbuch zu Looper, das im Vorfeld zahlreiche Preise abgeräumt hat, von den Oscar-Wählern ignoriert und mich beschleicht das Gefühl, dass es bei Ex Machina nicht anders sein wird.
Taylor Sheridan (Sicario) – Taylor Sheridans Erstlingswerk Sicario sorgte für viel Aufsehen und wurde auch von der Autorengewerkschaft als "Bestes Originaldrehbuch" nominiert. Ansonsten erhielt es nur Nennungen von einigen Kritikerverbänden (u. a. von Seattle, San Francisco und Austin). Alles in allem sind es keine sehr bedeutenden Prädiktoren, mit der Ausnahme der WGA, doch der Film selbst wird nach den Nominierungen von der Produzentengewerkschaft und mehreren Nominierungen von weiteren Industrieverbänden immer stärker. Sollte Sicario es tatsächlich ins Rennen um den "Besten Film" schaffen, werden sich die Chancen seines Drehbuchs erheblich verbessern und aktuell rechne ich mit diesem Szenario.
Jonathan Herman & Andrea Berloff (Straight Outta Compton) – Wie Sicario und Ex Machina ist auch Straight Outta Compton ein Film, von dem man im Oscar-Rennen mehr hört, als man ursprünglich vielleicht erwartet hätte, der aber weiterhin zu den Außenseitern gehört. Die Schauspielergewerkschaft nominierte den Film für sein Ensemble und die Produzentengewerkschaft als "Besten Film" von 2015. Die Stärken des Films liegen weniger in seinem Drehbuch, doch falls er es in keiner anderen Kategorie schafft und die Academy den Film trotzdem anerkennen will, ist die Kategorie offen genug, dass er hier reinrutschen könnte.
Außenseitertipp

Vorhersage:
Alles steht Kopf
Bridge of Spies – Der Unterhändler
The Hateful 8
Sicario
Spotlight
Auf Seite 2 geht es weiter mit den Tipps zu der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch".








