Blade Runner 2049 (2017) Kritik

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Blade Runner 2049 (2017) Filmkritik

Blade Runner 2049, GB/USA/CAN 2017 • 163 Min • Regie: Denis Villeneuve • Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green • Mit: Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Jared Leto, Sylvia Hoeks, Dave Bautista • Kamera: Roger Deakins • Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 5.10.2017 • Deutsche Website

Als Ridley Scott seinen Science-Fiction-Thriller „Blade Runner“ 1982 in die Kinos brachte, war die Filmwelt offensichtlich noch nicht bereit für das bahnbrechend-visionäre Werk: Ein nicht unerheblicher Teil der namhaften Kritiker verblieb mit lauwarmen Rezensionen und auch der große Ansturm auf die Lichtspielhäuser von Seiten der Zuschauer war nicht zu vermelden. Über die bis heute unzählige Genre-Beiträge prägende Gestaltung eines futuristischen Los Angeles herrschte Konsens, während sich andere an der emotionalen Kälte der Geschichte störten oder vom aufringlichen Voice-Over des Protagonisten Deckard irritiert waren. Zugegeben, in seiner ursprünglichen Kinoversion war der Film zwar schon damals ein audiovisueller Meilenstein, doch den Feinschliff erhielt „Blade Runner“ erst in seiner nachträglich erstellten, finalen Schnittfassung, die sich der vom Studio verordneten Off-Kommentation des Geschehens und des unpassend idyllischen Endes wieder entledigte. Seiner Zeit meilenweit voraus, reifte die intelligente Zukunftsvision über die Jahre zum Kultfilm und dem vielleicht relevantesten Genre-Werk überhaupt. Mit Themen wie dem Technologischen Fortschritt, der revolutionären Gentechnik und der zunehmenden Macht von Großkonzernen ist der Inhalt heute sogar aktueller als zur Zeit der Erstaufführung. 35 Jahre später macht sich nun der kanadische Regisseur Denis Villeneuve („Sicario“) auf, in die Fußstapfen Scotts zu treten und in „Blade Runner 2049“ die Ursprungsgeschichte zugleich fortzusetzen und dieser ein modernes Update zu verpassen.

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Vor Beginn der besuchten Pressevorführung bittet der Regisseur die Journalisten in einer Kurzmitteilung darum, auf inhaltliche Details des Films in den Besprechungen zu verzichten – und selbstverständlich möchte auch ich dieser Bitte nachkommen. Wer sich bereits im Vorfeld optimal auf das Werk einstellen will, dem sei übrigens die Sichtung der drei veröffentlichten Kurzfilme „2036: Nexus Dawn“, „2048: Nowhere to Run“ und vor allem des die Zwischenhandlung erklärenden Animes „Blade Runner Black Out 2022“ empfohlen, die das auch so schlüssige Werk zusätzlich ausfüttern. Nachdem infolge eines blutigen Aufstands Replikanten verboten und durch eine verheerende Magnetwelle die Daten der alten Nexus-Generation aus der Datenbank gelöscht wurden, geht auch der Tyrell-Konzern unter, der aber letztlich von dem brillanten Entwickler Niander Wallace (ein Jared Leto mit einem sicher nicht zufällig diabolischen Anlitz) beerbt wird. Wallace gelingt es, einen verbesserten und legalen Replikanten-Typ auf dem Markt zu etablieren, der sich völlig dem Willen seiner Herrscher unterordnet. Im Zentrum des Films steht erneut ein Blade Runner: K (Ryan Gosling), ein Replikant neuen Modells, macht bei einem Auftrag einen beunruhigenden Fund. Unter dem Grundstück des gejagten Sapper Morton (Dave Bautista) liegt eine Kiste begraben, deren Inhalt bedeutende Fragen aufwirft und die bestehende Ordnung ins Chaos stürzen könnte …

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In einer Zeit, in der 3D-Drucker, Künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos nicht mehr einer grenzenlosen Fantasie entspringen, sondern sich infolge der Digitalisierung immer stärker in das Leben der Menschen drängen, inszeniert Denis Villeneuve mit „Blade Runner 2049“ weit mehr als einen futuristisch angehauchten Blockbuster. Wie schon in Ridley Scotts Vorgänger wird hier das Grundgerüst von einer melancholischen Noir-Atmosphäre bestimmt und der ambitionierte Plot in Form einer klassischen Detektivgeschichte präsentiert. Allerdings sollte man nicht den Fehler begehen und lediglich auf die Entwicklung der Handlung schauen. Allein die sagenhaften Bilder von Kameramann Roger Deakins („Skyfall“) vermitteln noch eine ganz andere Ebene. So beispielsweise, wenn das nächtliche Los Angeles wie eine flache und allein dem Zweck dienende Platine erscheint, in deren Schluchten das Aufleuchten von Neon-Reklame Lebensfunken signalisiert und lediglich die Firmensitze wie finstere Türme in den Himmel ragen. Die Stadt symbolisiert die westliche Welt und in dieser Welt sind selbst menschliche Freuden nur noch digitaler Natur. Der einsame K etwa findet seinen privaten Ausgleich bei dem intelligenten und mit emotionalen Ausprägungen ausgestatteten Hologramm Joi (Ana de Armas). Es ist ein Trugbild, mit dem sich der Replikant ein winziges Stück Glück gönnt und das von seiner Perspektive einer wahren Liebe gleicht, ähnlich wie auch die in Spike Jonzes großartiger Sci-Fi-Romanze „Her“ von Scarlett Johansson gesprochene Samatha. In einer wunderbar sinnlich gestalteten Szene wird ein intimer Wunsch Ks kurz gar physische Realität.

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In dem auf dem Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ von Genre-Guru Philip K. Dick basierenden Original spielten Träume und das Unterbewusstsein eine tragende Rolle. Um seinen Geschöpfen menschliche Eigenschaften zu verleihen, musste der gottgleiche Tyrell diese mit Erinnerungen füttern, deren Kenntnis zugleich ihrer Detektion nützen konnte. „Blade Runner 2049“ lädt die Zuschauer nun zu einer Reise zu den Ursprüngen dieser Träume und Erinnerungen ein, die auch eine Reise zu den Wurzeln der Menschlichkeit ist. Sind es lediglich Aminosäuresequenzen, die einen Bio-Menschen von einem Individuum aus dem Labor trennen, oder ist es womöglich das Vorhandensein einer Seele? Doch wenn es eine Seele gibt, wo sitzt sie und woher kommt sie? Mit diesen spannenden Fragen und mehr sieht man sich konfrontiert, wenn man sich das bildgewaltige und sorgfältig erzählte Werk im Kino anschaut. Wer dagegen nur ein retromanisches Treffen der Generationen (ja, das gibt es auch) mit spektakulären Effekten und Daueraction erwartet, wird sich während der 163-minütigen Laufzeit vermutlich unbefriedigt den Hintern plattsitzen. Freilich kommt es auch in „Blade Runner 2049“ zu brutalen Kämpfen und adrenalinhaltigen Höhepunkten. Allerdings sind diese Momente nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern ergeben sich homogen aus der epischen Geschichte.

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Denis Villeneuve vollbringt mit seinem nicht minder betörenden Sequel zwar nicht das eigentlich ohnehin unmögliche Kunststück, Ridley Scotts zeitlosen Klassiker in den Schatten zu stellen, doch seine enorm starke und passionierte Vision verbeugt sich einerseits ergeben vor seinem Schöpfer und schreitet andererseits selbstbewusst dessen in eine düstere Zukunft gerichteten Pfad weiter. Am Ende bleibt ein Licht der Hoffnung. Und einer der besten Filme eines insgesamt famosen Kinojahres.


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