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Rio 2 – Dschungelfieber (2014) Kritik

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Rio 2 - Dschungelfieber (2014) Filmkritik

Rio 2, USA 2016 • 101 Min • Regie: Carlos Saldanha • Mit den Originalstimmen von: Jesse Eisenberg, Anne Hathaway, Jemaine Clement, Andy Garcia, Jamie Foxx, Leslie Mann • FSK: ab 0 Jahren • Kinostart: 3.04.2014Deutsche Website

Handlung

Blu (Jesse Eisenberg), der Ara mit dem blauen Federkleid, hat in Jewel (Anne Hathaway) die Liebe seines Lebens gefunden. Gemeinsam leben sie in Rio de Janeiro mit ihren drei Kindern und versuchen sich in Erziehungsfragen zu einigen. Denn Blu kann und will seine menschlichen Eigenschaften nicht verbergen, während Jewel den Kindern beibringen möchte, wie man auch ohne technische Hilfsmittel überleben kann. Als die Familie dann im Fernsehen sieht, wie Blus altes Frauchen (Leslie Mann) über weitere Artgenossen berichtet, macht sich die Familienbande auf den Weg zum Amazonas. Dort angekommen treffen sie tatsächlich auf weitere Blau-Aras, die ausgerechnet von Jewels Vater Eduardo (Andy Garcia) angeführt werden. So muss sich Blu nicht nur mit seinem störrischen Schwiegervater auseinandersetzen, sondern auch noch gegen die anrückenden Menschen zur Wehr setzen, die den gesamten Wald abholzen wollen.

Kritik

Bei dem großen Erfolg von Rio war es mehr als klar, dass eine Fortsetzung nicht lange auf sich warten lassen wird. Wie so oft haben sich die Macher von Rio 2 – Dschungelfieber bei dem Sequel leider auf eine simple Formel verlassen: Mehr. Alles ist größer, bunter und lauter als im ersten Teil. Dadurch leidet die Qualität der Fortsetzung ungemein.

Rio 2 - Dschungelfieber (2014) Filmbild 1Ein Fehler der Autoren ist ganz klar, dass zu viele Handlungsstränge in die Laufzeit des Films gepresst wurden. Blu und Jewel ziehen ihre Kinder groß, während sie ihren ersten gemeinsamen Familienurlaub in Angriff nehmen. Blus Erzfeind Nigel mit verliebtem Giftfrosch am Hals und Ameisenbär als universal einsetzbares Reittier trachtet nach seinem Leben. Blus Freunde suchen im Amazonas nach neuen Popstars und die Papageienfamilie trifft auf Jewels Vater Eduardo und seinen naturverbundenen Schwarm Blau-Aras, in dem auch der eingebildete Schönling Roberto lebt, der Jewel für sich gewinnen will. Dann gibt es da noch den Schwarm der roten Papageien, die sozusagen „nebenan“ im Wald wohnen und derzeit nur einen nach klaren Richtlinien definierten Nicht-Angriffspakt mit Eduardos Vögeln einhalten. Hinzu kommt noch, dass Blus ehemaliges Frauchen Linda mitsamt ihrem Gatten in die Hände skrupelloser Ökö-Verbrecher gerät, die zufälligerweise genau den Wald abholzen wollen, in dem sich Blu gerade gegenüber seinem Schwiegervater beweisen möchte.

Allein diese kurze Zusammenfassung der Handlungsstränge wirkt schon einigermaßen verwirrend. Ein Zustand, der sich in der visuellen Umsetzung des Ganzen leider nicht ändert. Gerade für Kinder wird es schwierig werden, den gesamten Umfang der Geschichte zu erfassen und verstehen. Denn hier und da wird natürlich auch der moralische Flügel geschwungen, zum Beispiel bei der Kritik an der heutigen Sucht nach technischen Hilfsmitteln oder dem bewussten Umgang mit der Natur. Eine detailliertere Ausarbeitung dieser Themen hätte dem Film wesentlich besser getan als die enorme Flut an bunten Bildern, die viel zeigen ohne viel zu sagen.

Rio 2 - Dschungelfieber (2014) Filmbild 2Animationstechnisch kann man dem Film keinerlei Vorwürfe machen, alles ist zeitgerecht und sieht verdammt gut aus. Nur leider passiert eben in den meisten Szenen zu viel, um sich auf schöne Details zu konzentrieren. Eine im positiven Sinne herausstechende Szene ist der große Kampf zwischen blauen und roten Papageien, der sich nach anfänglichen Vermutungen als eine Art Fußballspiel in der Luft herausstellt. Auch dieses ist zwar hektisch, aber trotzdem ist die Idee gut umgesetzt worden. Ebenso toll, weil sehr witzig, stellt sich die Amazonas-Castingshow von Pedro und Nico heraus. Hier werden in kurzen Szenen viele Dschungelbewohner gezeigt, die ihr musikalisches Talent zum Besten geben, mit den Capoeira-Schildkröten als besonders lustiges Highlight.

Wo wir gerade bei Lachern sind: trotz der hohen Gagdichte des Films, verpuffen viele dieser Witze im Nichts, da sie einfach nicht aufgehen wollen. Nichtsdestotrotz hat man hier und da etwas zu lachen, so dass Rio 2 keineswegs zu einem Trauerspiel verkommt.

Die Charaktere sind allesamt klischeebeladen und sorgen auf keiner Ebene für Überraschungen. Gleichermaßen verhält es sich mit der Geschichte, die im Großen und Ganzen vorhersehbar vor sich hin dümpelt. Selbst die Musik kann den Film nicht sonderlich nach oben heben. Die entsprechenden musikalischen Szenen wirken nicht wie aus einem Guss, sondern eher wie einzeln erarbeitet und dann einfach zusammengeschmissen. Hier und da gibt es eine Ausnahme, aber von den ganzen Liedern bleibt eigentlich keines so richtig im Ohr.

Fazit

Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen. Rio 2 wirkt in fast allen Belangen überladen und büßt daher viele Punkte in Sachen Story und Charakterzeichnung ein. Kinder werden zwar ihren Spaß an den bunten, toll animierten Bildern und lustigen Charakteren haben, doch im Gedächtnis werden davon nur die wenigsten bleiben.

Trailer

Fantasy Filmfest Tagebuch 2016 – Tag 5

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Fantasy Filmfest 2016 Tag 5

Es geht los! Am 5. Tag des Fantasy Filmfests 2016 in Köln standen fünf Filme für mich auf dem Programm und fünf weitere werden morgen folgen. Der Auftakt des 2-Tage-10-Filme-Marathons war auf jeden Fall sehr gelungen. Bis auf den Totalausfall in der Spätschiene war ich mit der Filmauswahl sehr zufrieden und würde den Tag sogar als den bislang besten beim Fantasy Filmfest dieses Jahr bezeichnen. Hoffentlich geht es am nächsten Tag genau so weiter. Bis dahin habe ich fünf weitere Kurzkritiken für Euch, darunter zum schwarzweißen, verstörenden Beitrag The Eyes of My Mother und dem höllisch guten neuen Film des The-Loved-Ones-Regisseurs Sean Byrne.

Tag 5

Kidnap Capital

Fantasy Filmfest 2016 Tag 5 Kidnap CapitalManche Menschen haben bekanntlich Leichen im Keller. Bei anderen sind es illegale Immigranten, die nach ihrer Einreise in das "Land der Freiheit" von ihrem Schmugglern verschleppt und, bis auf die Unterwäsche entblößt, im engen, schmutzigen Keller eines Familienhauses in einer Vorstadtsiedlung von Phoenix, Arizona zusammengepfercht werden. War schon die illegale Grenzüberquerung vermutlich kein Zuckerschlecken, so beginnt nun für die armen Seelen der wahre Albtraum. Ihre Freiheit müssen sie sich erkaufen, mit $2800 pro Nase. Für Manolo (Johnathan Sousa) und seine schwangere Ehefrau (Michelle Arvizu) eine unvorstellbare Summe, haben sie doch ihr ganzes Geld für die Grenzüberquerung ausgegeben. Demütigung, Prügel und Folter stehen für die Immigranten an der Tagesordnung, bis sie das Lösegeld für sich irgendwie auftreiben können.

Kidnap Capital ist vermutlich der ultimative Feel-Bad-Film des Festivals und zugleich auch die erste richtige Überraschung, die ich dieses Jahr gesehen habe. Dass Filme mit dem Mythos der USA als Paradies und Land der unbegrenzten Möglichkeiten ordentlich aufräumen, ist heutzutage natürlich nichts Neues, doch die Perspektive der illegalen Einwanderer, die bereit sind, alles aufzugeben, ihr Leben hinter sich zu lassen, um in eine ungewisse, aber hoffentlich bessere Zukunft zu ziehen, nehmen Filme immer noch nicht häufig an und gerade in unserer Zeit (und auch hier in Europa) ist das Thema aktueller denn je. Doch der Film beschäftigt sich weniger mit den gesamtpolitischen Fragen der Flüchtlingsthematik und bleibt stattdessen nah an seinen leidgeplagten Protagonisten und dem Phänomen der "Drop Houses" – Häusern, in denen die illegalen Immigranten festgehalten werden, bis ihre Verwandten oder Freunde sie freikaufen können. Es ist ein besonders perfides Geschäft, denn die Opfer sind verzweifelte Menschen in einem fremden Land, das sie nicht willkommen heißt. "Ich könnte dich töten, deine Leiche auf die Straße werfen und niemand würde je erfahren, wer du bist", droht einer der Entführer Manolo und erfasst damit die schreckliche Sachlage. Eine Texteinblendung zu Filmbeginn informiert uns, dass etwa 1000 solcher nach außen hin unscheinbarer Häuser in Phoenix in Betrieb sind, was der Stadt den titelgebenden Beinamen Kidnap Capital einbrachte. Hier geht es um hohe Geldsummen und für die Entführer sind ihre Opfer bloß Ware. Wenn man sie nicht verkaufen kann, dann wird sie eben entsorgt.

Falls es noch nicht klar ist: Kidnap Capital ist harter Tobak und obwohl man nur wenig über die Protagonisten erfährt, fühlt man dennoch sehr mit ihnen mit, wenn man sieht, wie ihre Träume von einem besseren Leben in diesem Keller endgültig zerbrechen. Kontrastiert werden die Szenen im Haus gelegentlich mit denen der perfekten Suburbia, wo die All-American Nachbarn des Hausbesitzers und Haupt-Entführers ihn und seine Frau zum Barbecue einladen, ohne zu ahnen, welche Schrecken sich nur wenige Meter von ihnen entfernt abspielen. Schade ist nur, dass die Entführer in dem Film sehr eindimensional dargestellt werden, womit man die Gelegenheit verpasst, der Komplexität der gesamten Situation gerecht zu werden, denn vermutlich ist diese Beschäftigung auch nicht für jeden der Täter der Traumberuf schlechthin. Dennoch ist Kidnap Capital ein sehr sehenswerter und wichtiger Film, der bis zum Schluss schonungslos und fesselnd bleibt. 4/5

 

Happy Birthday

Fantasy Filmfest 2016 Tag 5 Happy BirthdayAm Morgen seines Geburtstags erfährt Brady (Matt Bush), dass seine Freundin ihn betrogen hat. Okay, der Tag fängt beschissen an, doch ab jetzt kann es eigentlich nur noch aufwärts gehen, oder? Dafür sorgt schon Bradys bester Kumpel Tommy (Riley Litman), der ihn zu einem wilden Trip nach Mexiko überredet, um sich die Sorgen aus dem Kopf zu trinken und zu vögeln. Sie fahren nach Mexicali, lernen dort zwei süße Mädels kennen und heuern eher unfreiwillig zwei Begleiter an (Erik Palladino und der hünenhafte Matthew Willig), die ihnen das "wahre" Mexiko zeigen sollen. Gemeint sind damit illegale Hahnenkämpfe und Drogenorgien, veranstaltet von einem zugedröhnten Schamanen. Die beiden Jungs feiern die Party ihres Lebens, bis sie sich plötzlich in ihrem Rausch an Betten gefesselt wiederfinden und erfahren, dass sie in die Hände des berüchtigten Kidnappers El Gato geraten sind, der sich auf wohlhabende junge US-Amerikaner spezialisiert hat. Und plötzlich wird aus Hangover Hostel

Es gibt wenig Originalität in Casey Tebos Regiedebüt, doch das ganze Unterfangen macht dennoch eine ganze Weile lang viel Spaß. Obwohl die beiden Protagonisten als privilegierte, leicht herablassende Amerikaner eigentlich dazu prädestiniert zu sein, schnell auf die Nerven zu gehen, schaffen es ihre Darsteller dennoch irgendwie, dass man als Zuschauer auf deren Seite bleibt, was insbesondere für den ruhigeren Brady gilt, während Tommy eben der klassische, abgedrehte und unverfrorene beste Freund ist, mit dem niemand im echten Leben vermutlich lange befreundet bleiben würde, weil er einen ständig in die Scheiße reitet. Letztlich ist es durchaus eine Leistung, dass die beiden Charaktere bei so einem Film nicht allzu unsympathisch werden (im Gegensatz beispielsweise zu den meisten jungen Protagonisten in den Filmen von Eli Roth). Amüsant ist auch der Auftritt des "Aerosmith"-Frontmanns Steven Tyler, dem Casey Tebo seine Karriere als Musikfilmer zu verdanken hat.

Gelegentlich hält sich der Film für cooler, hipper und innovativer als er ist, doch obwohl einer seiner Twists direkt von einem anderen bekannten (und besseren) Film abgekupfert ist, kam er für mich dennoch relativ überraschend. Ärgerlich wird es aber, wenn der Film kurze Zeit später versucht, dem Zuschauer den gleichen Twist noch einmal unterzujubeln. Wenn man aber davon absieht und über die latent rassistische Darstellung von Mexiko hinwegsehen kann, ist Happy Birthday ein durchaus spaßiger Geburtstagstrip, den man sich am besten mit seinen besten Freunden und ein paar kühlen Bierchen anschauen kann. 3/5

 

The Devil’s Candy

Fantasy Filmfest 2016 Tag 5 The Devil's CandyMit seinem beeindruckenden, schwarzhumorigen Regiedebüt The Loved Ones sorgte der Australier Sean Byrne vor sieben Jahren für Furore in den Genre-Fankreisen und stieß auch als Fresh-Blood-Beitrag 2010 bei vielen Besuchern des Fantasy Filmfests auf begeisterte Reaktionen. Umso überraschender ist es, wie lange die Zuschauer auf den zweiten Film des Regisseurs warten mussten, doch bei The Devil’s Candy hat sich die Wartezeit immerhin gelohnt. Das US-Debüt von Byrne ist ein deutlich konventionellerer Film als The Loved Ones, ist aber mit so viel Freude an der Sache und Liebe zum Genre und zu Heavy Metal inszeniert, dass man sich von dieser Amityville-Horror-Variante gerne mitreißen lässt.

Wer schon mal auf der Suche nach einem Eigenheim war, weiß, dass richtige Schnäppchen nicht um jede Ecke auf einen warten. Und wenn dann plötzlich ein Haus deutlich unter seinem Marktwert verkauft wird, dann sieht man auch mal darüber hinweg, dass die beiden Vorbesitzer unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind. So auch die bezeichnend benannte Hellman-Familie. Kurz nach dem Einzug hört Papa Jesse (Ethan Embry) kryptisches Gemurmel, das bereits Ray (Pruitt Taylor Vince), den Sohn der früheren Besitzer, in den Wahnsinn getrieben hat, wie wir in der Eröffnungsszene des Films erfahren. Den offensichtlich T-Shirt-allergischen, durchtrainierten Metalhead und Künstler Jesse scheinen die Stimmen allerdings weniger zu Gewaltausbrüchen zu inspirieren, sondern zu verstörenden und möglicherweise hellseherischen Malereien, die er wie in einer Trance anfertigt und die endlich das Interesse der Kunstgalerie wecken, die sein Portfolio zuvor abgelehnt hat. Eigentlich ganz gut, wären dann nicht die immer bedrohlicher wirkenden Besuche von Ray, der mit einer schnittigen, roten Flying-V-Gitarre ebenfalls der Leidenschaft für Heavy Metal frönt, allerdings hauptsächlich um die satanischen Stimmen in seinem Kopf zu übertönen.

The Devil’s Candy ist ein altmodischer Grusler, der seine Atmosphäre behutsam aufbaut und diese in wohldosierten Momenten gewaltig entladen lässt. Gleichzeitig ist der Film aber auch  eine Liebeserklärung an die Musik, die nicht nur Familienvater Jesse, sondern auch Töchterchen Zooey (fabelhaft: Kiara Glasco) vergöttert. Filme mit Heavy Metal als essentielle Zutat haben eine gute Vorgeschichte beim Fantasy Filmfest, sei es der sensibel umgesetzte Publikumsliebling Metalhead oder der letztjährige Splatter-Kracher Deathgasm. The Devil’s Candy setzt die Tradition fort und punktet mit einem Soundtrack von Metallica, Slayer und Sunn O))). Es ist schön zu sehen, wie ein Film wieder einmal mit Vorurteilen gegen Metal-Liebhaber aufräumt und eine eigentlich sehr angepasste Familie zeigt, in der Vater und Tochter eben leidenschaftliche Metalheads sind, während die von Shiri Appleby gespielte Mutter den Geschmack zwar nicht teilt, was aber dennoch die Chemie zwischen ihr und Embry keineswegs stört. Am meisten wird den Zuschauern aber vermutlich Pruitt Taylor Vince in Erinnerung bleiben, der allein schon durch seine Physis eine unglaubliche Präsenz hat und gekonnt zwischen der Kindlichkeit und der Grausamkeit des Charakters wechselt.

Wenn der Film ein klares Manko hat, dann ist es sein höllisches Over-the-Top-Finale, bei dem schließlich jede Logik und Glaubwürdigkeit baden gehen. Das hinterlässt zwar leider einen leicht faden Beigeschmack, doch alles, was davor kam, kann man in der heutigen Horror-Landschaft eigentlich kaum genug loben. Sean Byrne ist definitiv kein One-Hit-Wonder und hoffentlich werden nicht weitere sieben Jahre bis zu seinem nächsten Film vergehen. 4/5

 

The Eyes of My Mother

Fantasy Filmfest 2016 Tag 5 The Eyes of My MotherThe Eyes of My Mother war das dritte von den vier Regiedebüts, die ich an dem Tag gesehen habe, und dürfte wohl zu den am schwersten verdaulichen Filmen des Festivals gehören, was in seinem Fall jedoch ein Kompliment ist. Unheimlich, beklemmend und lyrisch, erzählt The Eyes of Mother über drei zunehmend verstörende Kapitel die Geschichte von Francisca (als Kind Olivia Bond, später Kika Magalhaes), einer einsamen, verlorenen Seele, die als Tochter einer Chirurgin aus Portugal und eines schweigsamen, abweisenden US-amerikanischen Bauern auf einer abgeschiedenen Farm aufwächst. Bereits die Grundvoraussetzungen dieses Lebens sind für ein junges Mädchen nicht optimal, doch es ist letztlich ein schreckliches Ereignis, das Francisca eines Tages unwiederbringlich auf den Pfad zum Wahnsinn führt.

Ähnlich wie beim transgressivem französischen Schocker Martyrs vor acht Jahren, wäre es auch bei The Eyes of My Mother eine Schande, noch mehr über die Geschichte des Films zu verraten, die sich über die kompakte 77-minütige  Laufzeit mit mehreren unerwarteten Entwicklungen entfaltet. Die Anleihen des Films bewegen sich von Almodóvar, Miike und Lynch bis Polanski und Bergman, verschmelzen jedoch dank der fokussierten Vision des Regisseurs Nicolas Pesce gelungen zu etwas Eigenständigem. Und trotz aller Grausamkeit und Szenen, die bestimmt so einige weniger hartgesottene Zuschauer den Blick abwenden lassen werden, besticht der Film auch durch seine Schönheit und gotische Eleganz. Das Herzstück bildet dabei Kika Magalhes' furchtlose Performance als Francisca, die sich nach Zuneigung und Zweisamkeit sehnt. Schade, dass der Film nur so kurz läuft und wir nicht mehr Zeit mit dieser faszinierenden und zugleich abstoßenden Figur verbringen dürfen.

The Eyes of My Mother ist eine sehr makabre Fabel und wird definitiv nicht Jedermanns Geschmack treffen. Genau genommen, wird der Streifen es besonders schwierig haben, sein Publikum zu finden, weil allein schon die Schwarzweiß-Optik viele Genrefans abschrecken wird, während er für die Arthouse-Zuschauer vermutlich eine Spur zu brutal und verstörend sein wird. Wer sich jedoch auf diesen Film einlässt, wird mit einer kleinen, mutigen Perle belohnt. 4/5

 

Follow

Fantasy Filmfest 2016 Tag 5 FollowFollow ist das Langfilmdebüt von Regisseur und Drehbuchautor Owen Egerton und eine Adaption von seinem gleichnamigen Kurzfilm, der wiederum auf zwei Kurzgeschichten von Egerton beruht. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass der Film von Anfang bis Ende die Vision seines Machers ist. Was nun genau diese Vision darstellen und warum der Zuschauer Interesse an ihr oder ihren halbgaren Figuren haben soll, bleibt allerdings bis zum Schluss schleierhaft.

Festival-Stammgast Noah Segan (u. a. Brick, Deadgirl, Cabin Fever 2, Starry Eyes) spielt den aufstrebenden Künstler Quinn, der davon träumt, seiner kleinen Heimatstadt zu entkommen und von einer prestigeträchtigen Uni angenommen zu werden. Seine in ihn vernarrte Freundin Thana (Olivia Grace Applegate) soll ihm folgen, doch es kommt alles anders als geplant. Nachdem er während eines bizarren Sexspielchens in den Schlaf wegdriftet, wacht er am nächsten Morgen auf und stellt Folgendes fest: seine Freundin liegt mit Loch im Kopf tot auf dem Boden und er hält eine Pistole in der Hand. Während er verzweifelt versucht, mit der Situation irgendwie klarzukommen, steht seine ihn umschwärmende Arbeitskollegin Viv (Haley Lu Richardson) vor der Haustür. Da Quinn nicht weiß, wie er ihr die Situation erklären soll, sperrt er sie kurzerhand in den Keller ein. Das ist erst der Beginn seiner Abwärtsspirale in den Wahnsinn, die aber zugleich neue künstlerische Talente in ihm freisetzt.

Es gibt einen guten Grund, weshalb Noah Segan so häufig in Genrefilmen anzutreffen ist. Er strahlt eine gewisse Unberechenbarkeit aus, die ihn in jeder Sekunde vom netten Kerl von Nebenan zum Psycho umschwenken lassen kann. Follow ist da keine Ausnahme und der Verfall von Quinns Verstand ist überzeugend dargestellt. Leider bleibt Quinn dennoch ein blasser Charakter und zu keinem Zeitpunkt ist es schlüssig, wieso sich Thana und Viv Hals über Kopf in ihn verknallen würden. Doch während Quinn zumindest irgendeine Entwicklung in dem Film durchmacht – auch wenn diese gänzlich aus der Luft gegriffen zu sein scheint und durch die kurz angeschnittene Hintergrundgeschichte der Figur auch nicht interessanter wird, bleiben alle Figuren um ihn herum lediglich Mittel zum Zweck, um die Handlung in Gang zu setzen und voranzutreiben. Thanas (der Name als unsubtile Anspielung auf den griechischen Todesgott Thanatos) Entwicklung von der liebenden zur durchgeknallten Freundin mit seltsamen Vorstellungen wird einfach als Tatsache hingestellt, ebenso wie Quinns Wandlung zum Psychopathen, der von dem Tod seiner großen Liebe gar nicht so erschüttert zu sein scheint.

So manche werden Follow mit dem FFF-Beitrag The Voices vergleichen. Am ehesten zeigt jedoch die schwarze Psycho-Komödie mit Ryan Reynolds all das auf, was Follow falsch macht. Während The Voices lustig, innovativ und sehr energisch inszeniert war, ist Follow amateurhaft umgesetzt, uninspiriert und trotz seiner 74-minütigen Laufzeit verdammt träge. Auch verweigert sich der Film jedem Anflug von schwarzem Humor und spielt sich wie eine todernste Version von Immer Ärger mit Bernie ab, was ihm nicht gut bekommt. Am Ende wirkt Follow einfach gemein, unangenehm und hohl – ein wenig wie seine Hauptfigur. Meine Damen und Herren, hier haben wir den ersten Kandidaten auf den Titel der "Gurke" des Festivals! 1/5

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Mit Hilfe von Energy-Drinks und dank guten Filmen ist der erste volle Tag gut überstanden und morgen geht es dann weiter mit andalusischen Gangstern, einer Horror-Version von "Punk’d" und Jeffrey Dean Morgan, der Jagd auf illegale Immigranten in der Wüste macht.

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Swiss Army Man, Carnage Park)
Tag 2 (The Ones Below, Deep in the Wood, Abattoir, Yoga Hosers, Trash Fire)
Tag 3 (Psycho Raman, The Girl with all the Gifts)
Tag 4 (Antibirth, Here Alone, Imperium)

Fantasy Filmfest Tagebuch 2016 – Tag 4

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Fantasy Filmfest 2016 Tag 4

Auch nach vier Tagen beim Fantasy Filmfest 2016 bleibt es vorerst bei einer recht mageren Ausbeute an wirklich guten Filmen. Vermutlich wirkt auch noch meine überwältigende Begeisterung für den Eröffnungsfilm Swiss Army Man nach, doch was bislang vor allem auffällt, ist das Fehlen von richtigen Überraschungen. Sicher, es gab schon gute Filme – über einen davon könnt Ihr unten lesen – doch bei allen Filmen, die mich bislang wirklich überzeugt haben, habe ich es im Vorfeld auch so erwartet. Während der eine oder andere Film enttäuscht hat, mangelt es noch an positiven Überraschungen. Mit mehr als 20 Filmen vor mir, wird das Festival dazu allerdings noch mehr als genug Gelegenheiten haben. Immerhin muss ich wohl auch dafür dankbar sein, dass es bislang keine komplette Nullnummern wie Revenge for Jolly! oder Some Kind of Hate aus den letzten Jahren zu sehen gab.

Von den drei Filmen am vierten Tag ist nur einer wirklich sehenswert gewesen. Von den beiden anderen war einer ein gut gemeinter Langweiler und der andere hat immerhin etwas gewagt, scheiterte jedoch an lauter Experimentierfreude.

Tag 4

Antibirth

Fantasy Filmfest 2016 Tag 4 AntibirthFür Armee-Veteranin Lou (Natasha Lyonne) ist das Leben nur noch eine Party. Alkohol, Kippen, Pillen und die stets präsente Bong bestimmen ihren Alltag in einem tristen Kaff in Michigan. Sie wohnt in einem abgeranzten Wohnwagen am Stadtrand und kommt mit ihrem Job als Motel-Putzfrau mit knapper Not über die Runden. Ihrer Umwelt begegnet sie mit einer Scheißegal-Attitüde und diese ändert sich auch nicht, als sie nach einer durchzechten Nacht bei sich die Anzeichen einer Schwangerschaft entdeckt. Drogen und Alkohol werden weiterhin fleißig konsumiert und auf einen Arztbesuch wird verzichtet (schließlich hat sie ja auch keine Versicherung). Aus Gleichgültigkeit wird jedoch schnell Selbstverleugnung, nachdem es Lou langsam dämmert, dass das, was in ihrem Bauch heranwächst, möglicherweise gar nicht menschlichen Ursprungs ist.

Mit seinem Spielfilm-Debüt Antibirth hat Experimentalregisseur Danny Perez einen wilden Genremix abgeliefert, der sich irgendwo zwischen der Surrealität eines bunteren David Lynchs, der Trash-Note von Gregg Araki und dem Body Horror von David Cronenberg bewegt. Erinnerungen werden insbesondere an Cronenbergs Die Brut wach und ähnlich wie schon der Cronenberg-Verschnitt Bite letztes Jahr, enthält auch Antibirth eine ordentliche Dosis ekliger Momente, wenn Lou eine überdimensionale Blase an ihrem Fuß aufschneidet, sich Hautfetzen vom Hals abzieht oder einen Zahn aus dem Mund zieht. Das Problem des Films besteht darin, dass er die zahlreichen Verweise auf seine Vorbilder recht ziellos einsetzt. Antibirth ist wie ein halluzinogener Drogentrip, jedoch kein besonders guter oder schlechter. Man erlebt weder ein wirklich unter die Haut gehendes Horrorszenario, noch die Ekstase von einem Rausch, sondern der Film dümpelt kryptisch durch einen dunstigen Plot-Nebel vor sich hin, wirft hier und da Fragen auf, greift einige Handlungsstränge auf und lässt sie wieder fallen, und kulminiert schließlich in einem brutalen Over-the-Top-Finale, bei dem sich zumindest die Makeup-Künstler ordentlich austoben durften. Letztlich ist der Film aber zu sehr damit beschäftigt, sich weder auf ein Genre noch auf eine Geschichte noch auf einen durchgehenden Stil festzulegen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer wirklich zu fesseln.

Es wäre gelogen zu behaupten, dass der Film nicht auch seine Reize hätte. Diese gehen hauptsächlich von Natasha Lyonne aus. Die "Orange is the New Black"-Darstellerin, die man nur selten in Hauptrollen sieht, fasziniert ungemein als Lou, die ihrem selbstdestruktiven Lebensstil auf Teufel komm raus frönt. Der Charakter bemüht sich nie um die Sympathie der Zuschauer, durchlebt auch keine mirakulöse Wandlung während des Films, sondern lässt sich durch ihr verrücktes und eigentlich schon längst aufgegebenes Leben treiben. Es ist, wie einem Autounfall in Zeitlupe zuzusehen: schrecklich, aber kann die Augen nicht abwenden. Deutlich blasser erscheint neben ihr die für gewöhnlich zuverlässige Chloë Sevigny als Lous ambivalente Freundin Sadie. Meg Tilly – in ihrer ersten Filmrolle seit über 20 Jahren – ist als Kriegsveteranin und mögliches Opfer einer wirren Verschwörung eine warme Präsenz, die wie ein positiver Fremdkörper aus der toxischen Atmosphäre des Films herausragt. 2/5

Here Alone

Fantasy Filmfest 2016 Tag 4 Here AloneNach The Girl with all the Gifts am Vorabend gab es mit Here Alone gleich das nächste Zombiedrama beim Fantasy Filmfest. Das Subgenre ist schließlich, wie seine Monster, einfach nicht totzukriegen. Die Untoten stehen allerdings nicht im Vordergrund des Survival-Drama, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Bedauern von Fehlern, die man nicht wiedergutmachen kann. Wir folgen Ann (Lucy Walters aus der Serie "Power"), die ihrem Alltag in einer Welt nach dem Untergang der Gesellschaft routiniert nachgeht. Sie lebt in einem Zelt im Wald und tagein tagaus schmiert sie sich Exkremente über den Körper, um ihren Geruch zu überdecken, und begibt sich auf die andere Seite des (endlosen?) Zauns, wo es vor den blutrünstigen Untoten nur so wimmelt, um nah gelegene Häuser nach Vorräten zu plündern. Wenn sie sich nicht gerade auf einen ihrer gefährlichen Ausflüge begibt, schwelgt sie in Erinnerungen an eine glücklichere Vergangenheit mit Mann (Shane West) und Baby. Nun ja, so glücklich diese eben zu Beginn des Ausbruchs der Zombieseuche sein kann. Die Routine wird durch die Ankunft des verletzten Chris (Adam David Thompson) und seiner Stieftochter (Gina Piersanti) unterbrochen. Ann pflegt Chris gesund und schöpft tatsächlich wieder so etwas wie einen Funken Freunde in ihrem monotonen Leben, doch die Vergangenheit lässt sie nicht los.

Zombies spielen in Here Alone eine nebensächliche Rolle, auch wenn die Seuche dennoch die Dramatik der ganzen Geschichte bestimmt. Vielmehr geht es hier um zwischenmenschliche Konflikte und schwierige Entscheidungen. Das mag an sich durchaus interessant klingen (als Abwechslung zum klassischen Zombie-Splatter ja auch ganz nett), doch in Wahrheit schleppt sich der Film nur vor sich hin und hat einfach nicht genug Geschichte, um seine gesamte Laufzeit auszufüllen. Flashbacks zu Anns Vergangenheit mit ihrer Familie machen gefühlt mindestens ein Drittel der gesamten Laufzeit aus, nur um letztlich zu dem Schluss zu kommen, den jeder Zuschauer schon lange im Voraus erahnt hat. Der Film nimmt sich unnötig viel Zeit, um eine sehr simple Pointe rüberzubringen, anstatt an den Charakteren in der Gegenwart zu arbeiten, die, bis auf Ann, blass und uninteressant bleiben. In seinem behäbigen Erzähltempo erinnert Here Alone an The Survivalist, der bei den Fantasy Filmfest White Nights lief, lässt jedoch dessen Intensität und interessante Charakterbögen vermissen. Lucy Waters' starke Performance kann auch nur begrenzt dafür entschädigen, dass der Film um sie herum langweilt und ins Leere verläuft. Als knackiger Kurzfilm hätte Here Alone vermutlich gut funktioniert, seine 90-minütige Laufzeit hat er aber nicht verdient. 2/5

Imperium

Fantasy Filmfest 2016 Tag 4 ImperiumKonventionell muss nicht zwingend ein negatives Qualitätsmerkmal sein. Imperium, das Langfilmdebüt des Regisseurs Daniel Ragussis, war mit Sicherheit der gewöhnlichste der drei Filme, die ich am Tag gesehen habe, doch er war auch mit Abstand der beste. Nach Swiss Army Man beweist Daniel Radcliffe hier wieder seine große Wandlungsfähigkeit. Vielleicht wird er den Ruf von Harry Potter nie ganz loswerden, dazu sind das Franchise und der Charakter einfach zu überlebensgroß und zu sehr ins kollektive kulturelle Gedächtnis eingebrannt. Doch er zeigt immer wieder aufs Neue, wie sehr er sich schauspielerisch in den Jahren während und nach Potter weiterentwickelt hat und wird, wie seine Kollegin Emma Watson, noch eine lange und erfolgreiche Filmkarriere haben.

In Imperium spielt er den cleveren, jedoch unscheinbaren und von seinen Kollegen nicht besonders gemochten FBI-Agenten Nate Foster. Nate ist ein genialer Schreibtischhengst, doch sein neuer Auftrag verlangt mehr von ihm, als er sich vorstellen konnte. Für seine Chefin Angela (Toni Collette) soll er undercover unter Neonazis gehen. Sie vermutet nämlich, dass der nächste große Anschlag in den Vereinigten Staaten nicht von Islamisten, sondern von Rechtradikalen ausgehen wird. Also heißt es für Nate: Haare ab, Tattoo drauf, "Mein Kampf" als Bettlektüre und neue Freunde suchen. Dabei stellt er fest, dass nie alle Rechtsextreme gleich sind oder gleiche Ideen verfolgen. Von den daueraggressiven, Hooligan-mäßigen Skinheads über die weitaus besser organisierten, militanten Aryan-Alliance-Mitglieder bis hin zu eigentlich sehr besonnen Familienmenschen, deren Ideologien unter einer harmlosen Oberfläche schlummern – Nate muss erfahren, dass nicht alle Neonazis einem klaren Stereotyp entsprechen und schon bald muss er hinterfragen, von wem denn nun die eigentliche Gefahr ausgeht, wenn überhaupt.

Imperium gewährt teilweise schockierende, wenn auch kurze Einblicke in eine Subkultur, die sogar manchen hiesigen Neonazis die Schamesröte in die Gesichter treiben würde. Eheschließungen vor brennenden Hakenkreuzen, Cupcakes mit Nazi-Symbolik – Imperium lässt faszinierend abscheuliche Bilder in diversen Montagen über die Zuschauer hereinprasseln. Nicht sehr subtil, aber dennoch äußerst effektiv. Sehr interessant ist der vom gefeierten Bühnenautor Tracy Letts gespielte Dallas Wolf, ein rechtsextremer Radiomoderator und Aufwiegler (Rush Limbaugh lässt grüßen). Eine noch größere Faszination übt "True Blood"-Star Sam Trammell als von den Rassentheorien geblendeter Familienvater, dessen unscheinbares Äußeres und intelligentes, ruhiges Auftreten auch Nate in seinem Glauben an den klassischen Rechtsradikalen erschüttern. Während die meisten Neonazis in dem Film Karikaturen sind (was nicht bedeutet, dass sie unrealistisch sind, wenn man sich so einige Meldungen zu dem Thema aus den USA durchliest), ist Trammells Charakter nuanciert und auf eine perfide Art sogar sympathisch.

Doch Imperium ist keine Milieustudie und möchte weder American History X noch Romper Stomper sein. Die Einblicke gehen selten in die Tiefe und im Kern bleibt der Film ein grundsolider, straffer Thriller. Man kann Radcliffe keinen harten Kerl abnehmen und zum Glück versucht er auch keiner zu sein, sondern zeigt stattdessen überzeugend, wie sein Charakter mit Köpfchen aus diversen brenzligen Situationen herauskommt, ohne dass die Gewalt je eskaliert, obwohl sie ständig in der Luft schwebt. Wie schnell sich Radcliffes Nate zwischen den diversen Gruppierungen bewegen kann und von allen Seiten akzeptiert wird, erscheint etwas zu vereinfacht und wäre in der Realität wohl eher das Ergebnis jahrelanger Undercover-Arbeit. Auch die Pointe, die der Film zum Schluss machen will, ist reichlich absehbar, was dem Film jedoch nie seine Spannung nimmt. 4/5

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Vier Tage und 12 Filme liegen jetzt hinter mir und viele mehr stehen bevor. Genug gechillt: nach zwei verhältnismäßig entspannten und qualitativ bunt durchmischten Tagen beim Fantasy Filmfest, gibt es in den nächsten zwei Tagen wieder die volle Ladung: zehn Filme. Den Anfang mache ich in der nächsten Ausgabe des Tagebuchs mit dem brisanten Thriller Kidnap Capital, einem wilden Geburtstagstrip in Happy Birthday, dem Heavy-Metal-trifft-auf-Satan-Horrorfilm The Devil’s Candy, dem schwarzweißen Arthouse-Beitrag The Eyes of My Mother und Follow, einer abgefuckten Version von Immer Ärger mit Bernie. Schaut wieder rein!

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Swiss Army Man, Carnage Park)
Tag 2 (The Ones Below, Deep in the Wood, Abattoir, Yoga Hosers, Trash Fire)
Tag 3 (Psycho Raman, The Girl with all the Gifts)

Box-Office Deutschland: Suicide Squad und Pets führen wieder

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Box Office Deutschland Pets Suicide Squad

Quelle: Insidekino

Es ist schon erstaunlich, was etwas Regen und kühlere Temperaturen ausmachen können. Nachdem vorletztes Wochenende die Besucherzahlen in den deutschen Kinos wie Eiswürfel in der Sonne geschmolzen sind, legten fast alle Filme vergangenes Wochenende dank kinofreundlichem Wetter kräftig zu. Insbesondere Familienfilme profitierten davon und steigerten sich teilweise immens. Immerhin waren in 41% der Bundesrepublik am Wochenende noch Sommerferien, was in Kombination mit dem tollen Wetter sicherlich zu den guten Zahlen beigetragen hat. Insgesamt verbesserte sich die Gesamtbesucherzahl der Top 10 sich 41% auf etwa 870,000. Gegenüber dem gleichen Wochenende im Vorjahr ging es um 25% hinauf.

Zum zweiten Mal in Folge blieb die Top 2 der deutschen Kinocharts unverändert. An seinem dritten Wochenende führte Suicide Squad mit 193,000 Zuschauern. Gelang der Comicverfilmung voriges Wochenende noch einer der mildesten Rückgänge in den Charts, war es diesmal wiederum einer der wenigen Filme, die gegenüber der Vorwoche abgebaut haben, wenn auch nur um 1%. Nach 18 Tagen im Verleih steht Suicide Squad bei 1,25 Mio Besuchern in Deutschland und ist damit schon an Warcraft: The Beginning in den Jahres-Charts vorbeigezogen. Erstmals gelang Suicide Squad außerdem ein besseres Wochenendergebnis als Batman v Superman, der an seinem dritten Wochenende nur noch Platz 4 belegte und 128,000 Zuschauer in die Kinos lockte. Aktuell liegt Suicide Squad 6% hinter Batman v Superman: Dawn of Justice im selben Zeitraum, wird ihn jedoch in den nächsten 2-3 Wochen einholen, denn Suicide Squad erwartet keine heftige Blockbuster-Konkurrenz, sodass es unwahrscheinlich ist, dass der Film so schnell zusammenbricht wie sein Vorgänger. Dessen Gesamtergebnis von 1,53 Mio Besuchern sollte er mühelos übertreffen und schlussendlich etwa 1,65 Mio Besucher in Deutschland erreichen. Für eine FSK16-Comicverfilmung ist das nicht übel, auch wenn Deadpool mit knapp 2,7 Mio Zuschauern vorgemacht hat, dass auch mehr möglich ist.

Pets gehörte zu den großen Nutznießern des Wetterumschwungs und kletterte um 63% nach oben gegenüber der Vorwoche. Mit 166,000 Zuschauern belegte er wieder den zweiten Platz der Charts und holte sich als zweiter Film des Jahres (nach Zoomania) eine Goldene Leinwand für mehr als 3 Mio Besucher. Insgesamt steht der Animationshit bei 3,121,000 Besuchern und hat bereits Pixars Hit Oben überholt. Verglichen mit der jetzigen Nummer 1 des Jahres Zoomania liegt Pets 2% weiter vorne im selben Zeitraum. In den kommenden Wochen sollte er den Abstand weiter ausbauen, da vor Findet Dorie Ende des Monats keine nennenswerte Konkurrenz um das Familienpublikum auf ihn zukommt. Daher halte ich ein Gesamtergebnis von 4 Mio Besuchern für nicht ausgeschlossen, auch wenn 3,9 Mio wahrscheinlicher sind.

Mike and Dave Need Wedding Dates platzierte sich mit 129,000 Besuchern auf Rang 3 und erzielte in 472 Lichtspielhäusern einen Schnitt von 274 Besuchern pro Kino. Samt Sneaks und Previews erreichte die Komödie mit Zac Efron und Anna Kendrick 159,000 Besucher bis Sonntag. Verglichen mit den anderen Efron-Komödien dieses Jahr, liegt der Start in etwa auf dem Niveau von Bad Neighbors 2, jedoch deutlich unter Dirty Grandpa, der trotz direkter Konkurrenz von Deadpool im Februar mit fast 320,000 Zuschauern (inkl. Previews) angelaufen ist. Mit Filmen wie Männertag, SMS für Dich und Bad Moms im Anmarsch, wird sich Mike and Dave vermutlich nicht sehr lange in den Charts halten, sodass bei etwa einer halben Million Besucher Schluss sein sollte.

Jason Bourne fiel um einen Platz auf Rang 4, legte aber um 8% gegenüber der Vorwoche zu und lockte weitere 66,000 Besucher in die deutschen Kinos, womit er seine vorläufige Gesamtbesucherzahl auf etwa 799,000 nach vier Wochen brachte. Damit liegt der Film 43% hinter Das Bourne Ultimatum, 40% hinter Die Bourne Identität und 21% hinter Die Bourne Verschwörung im selben Zeitraum, was aber angesichts der FSK16-Freigabe (erstmals in diesem Franchise) nicht überraschend ist. Immerhin hat er die Gesamtbesucherzahl des Spin-Offs Das Bourne Vermächtnis (718,000) bereits überholt. Mit etwas Glück könnte Jason Bourne immer noch die Millionenmarke knacken, vorausgesetzt er kann lange genug seine Kinos behalten.

Der Familienfilm Conni & Co mit Emma Schweiger stieg um vier Plätze und 116% in den Charts hinauf und belegte mit 60,000 verkauften Tickets Rang 5. Insgesamt hat der Film 275,000 Besucher für sich begeistert und steuert klar auf mehr als eine halbe Million Zuschauer in Deutschland zu.

Auf Seite 2 verraten wir Euch, wie es um Ice Age – Kollision voraus!, Ein ganzes halbes Jahr und den Arthouse-Hit Toni Erdmann steht sowie welcher Streifen nach vielen Monaten als 19. Film dieses Jahr eine Million Besucher erreichte.

Fantasy Filmfest Tagebuch 2016 – Tag 3

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Fantasy Filmfest 2016 Tag 3

Nach fünf Filmen am zweiten Tag des Fantasy Filmfests 2016 in Köln, ging es am Tag 3 mit nur zwei Filmen auf dem Programm etwas entspannter zur Sache. Dafür waren es gleich zwei Beiträge, die schon im Vorfeld herausragten. The Girl with all the Gifts, die Adaption von Mike Careys intelligentem Zombieroman, galt seit seiner Ankündigung als Teil des diesjährigen Filmangebots als eins der größten potenziellen Highlights und Zuschauermagnete des Festivals und war dementsprechend schon Tage im Voraus restlos ausverkauft. Wer kann schließlich einem Zombiefilm mit Glenn Close widerstehen? Der andere Film wurde hingegen mit der prestigeträchtigen Platzierung als diesjähriges Centerpiece geehrt und dass die Ehre einem indischen Film zuteil werden würde, haben auch nicht viele erwartet. Doch Psycho Raman sollte ganz anders werden als die Bollywood-Schinken, die man als westlicher Kinogänger für gewöhnlich mit Indien verbindet. Düster, kompromisslos und an die Grenzen des in Indien von der Zensur Tolerierten gehend – so wurde Psycho Raman angepriesen. Ob die beiden Filme ihre Versprechen halten konnten, erfahrt Ihr unten in meinen neuen Kurzkritiken vom Festival.

Tag 3

Psycho Raman

Fantasy Filmfest 2016 Tag 3 Psycho RamanEigentlich wollte der indische Kultregisseur Anurag Kashyap einen Film über Raman Raghav alias Psycho Raman (oder auch Sindhi Dalwai) drehen, den berüchtigten indischen Serienkiller, der in den Sechzigern mehr als 40 Menschen zu Tode prügelte, bis er von der Polizei gefasst wurde und den Rest seines Lebens im Gefängnis verbrachte. Psycho Raman, auch bekannt unter dem vielsagenden Titel Raman Raghav 2.0, handelt nicht von diesem Mann. Davon setzt uns eine Texteinblendung gleich zu Filmbeginn in Kenntnis. Es bleibt einer der wenigen wirklich originellen Kniffe des Films, der krampfhaft versucht, so anders zu sein, letztlich aber so gewöhnlich bleibt. Ohne die finanziellen Mittel, einen historischen Film mit einem Sechziger-Setting überzeugend zu inszenieren, entschied sich Kashyap dafür, die Geschichte kurzerhand als Parallele in die Gegenwart zu verlegen. Darin tritt der auf den ersten Blick unscheinbare Ramanna (Nawazuddin Siddiqui) in die Fußstapfen seines Namensvetters und mordet sich mit Radschlüssel oder, falls nicht zur Hand, gebogener Eisenstange durch die Slums und Siedlungen von Mumbai. Angesetzt auf den Fall ist der permanent zugekokste, arrogante Polizist Raghav (Vicky Kaushal), der sich sogar am Tatort das Näschen pudert.

Polizisten und Kriminelle sind sich überhaupt nicht unähnlich. Das ist der nicht gerade bahnbrechend innovative Standpunkt des Films, der sich angesichts der Lobeshymnen als eine bittere Enttäuschung herausstellte. Psycho Raman hat mit dem klassischen Bollywood tatsächlich herzlich wenig zu tun. Tänze und Gesang gibt es hier weit und breit nicht, auch wenn (untertitelte) Songs im Hintergrund bestimmter Szenen gezielt eingesetzt werden, um diese mit der Subtilität eines Vorschlaghammers zu ergänzen. Die Inszenierung des Films ist sehr energisch, mit einem sehr aggressiven Einsatz von Musik und grellen Bildern, und das indische Setting sowie die Verfolgungsszenen in den Slums bieten optisch immerhin eine Alternative zu den ähnlich gelagerten Filmen aus dem Westen.

Inhaltlich kann Psycho Raman leider wenig punkten. Die Dualität zwischen dem Jäger und dem Gejagten hätte interessant sein können, wenn beide Seiten der Gleichung ebenbürtig wären. Nawazuddin Siddiqui ist elektrisierend als Killer, der in Sekundenschnelle von einem unauffälligen Kerl zu einem kompletten Psychopathen umschwenkt. Eine Szene im ersten Filmdrittel, in der er seine potenziellen Mordopfer in deren Wohnung terrorisiert, ist das Highlight des Films. Leider verliert Psycho Raman ihn aber häufig aus den Augen und folgt Vicky Kaushals Junkie-Cop Raghav. Der Charakter bleibt bis zum Ende eine leere Hülle, auf die der Regisseur zwar seine Ideen projiziert, die er aber nie wirklich von dem Charakter auszugehen scheinen. Wir erfahren herzlich wenig über Raghav. Er nimmt Drogen als gäbe es keinen Morgen und ist ein komplettes Arschloch, das Harvey Keitels Bad Lieutenant geradezu engelsgleich wirken lässt. Doch sein Charakter und dessen Darsteller üben im Gegensatz zu seinem Gegenspieler (oder seiner zweiten Hälfte, wie der Film stattdessen postuliert) keinerlei Faszination aus. Stattdessen wird der Film jedes Mal zähflüssig, wenn wir Raghav dabei begleiten, wie er Frauen schlecht behandelt, sich zudröhnt oder seine Machtposition als Polizist ausnutzt. Zusätzlich bemüht sich der Film um eine Aussage über die Stellung der Frau im modernen Indien, versagt aber ironischerweise selbst dabei, irgendeine Frauenfigur in dem Film mit interessanten Attributen auszustatten. Sie sind lediglich hier lediglich Opfer, Mittel zum Zweck, die darauf warten, ausgenutzt oder getötet zu werden. 1,5/5

The Girl with all the Gifts

Fantasy Filmfest 2016 Tag 3 The Girl with all the GiftsMan würde eigentlich meinen, dass man dem Zombiekino heutzutage kaum Neues abgewinnen kann. Es stimmt, dass The Girl with all the Gifts, die von Mike Carey geschriebene Filmadaption seines eigenen Romans "Die Berufene", das Rad des Genres nicht komplett neu erfindet. Ein wenig "The Last of Us" lässt sich hier wiedererkennen, ein bisschen I Am Legend da. Doch der Streifen ist keineswegs eine zusammengeklaute Collage und die Erinnerungen an andere Werke zeugen lediglich davon, wie gut erforscht das Genre in allen Medien ist. The Girl with all the Gifts hat dennoch eine eigene Identität und ist der interessanteste Beitrag zum Thema Zombies seit Jahren. Für einen Endzeit-Horrorfilm ist die Besetzung aus Paddy Considine, Gemma Arterton und der Hollywood-Größe Glenn Close überraschend namhaft, doch der Film gehört nicht ihnen, sondern seiner Protagonistin, gespielt von der Newcomerin Sennia Nanua. Sie ist Melanie, ein aufgewecktes Mädchen, das gemeinsam mit etwa zwei Dutzend Gleichaltrigen in Zellen auf einer Militärbasis gehalten wird.

Wir erfahren im ersten Akt des Films, dass ein mutierter Pilz einen Großteil der Bevölkerung von Großbritannien zu "Hungries" mutieren ließ (aber wir können der Einfachheit halber einfach von Zombies reden). Auf Kinder, die jedoch bereits im Mutterleib infiziert wurden, hatte der Pilz eine etwas andere Wirkung, insofern als dass sie ihre kognitiven Fähigkeiten nicht eingebüßt haben und deshalb auch die einzige Hoffnung auf ein Heilmittel darstellen. Aus diesem Zweck werden die Kinder auf der Basis gehalten und von der Wissenschaftlerin Dr. Caldwell (Glenn Close) gelegentlich zu Studienzwecken seziert. Für die meisten dort sind sie nicht mehr als Monster, deren Zombie-Instinkte nur durch ein Gel im Zaum gehalten werden, das den Geruch der Menschen überdeckt. Die junge Lehrerin Ms. Justineau (Arterton) entwickelt jedoch eine emotionale Beziehung zu den Kindern und insbesondere zu Melanie. Diese bleibt auch bestehen, nachdem Paddy Considines Soldat ihr effektiv vorführt, was passiert, wenn Melanie ihren echten Geruch wittert. Just in dem Moment als Melanie unters Skalpell soll, wird die Basis in einer rasanten, den Puls nach oben treibenden Szene überrannt und nur einige wenige Überlebende können dem Gemetzel entfliehen – Caldwell, Justineau, drei Soldaten und Melanie, die aus Sicherheitsgründen, mit einer Hannibal-Lecter-Maske ausgestattet, auf dem Truckdach festgeschnallt wird.

Die junge Sennia Nanua ist eine Offenbarung. Nicht seit Lina Leandersson in So finster die Nacht habe ich eine so überzeugende Performance von einem Kind in einem Horrorfilm gesehen. Ihr Kampf gegen ihre Instinkte, wenn das Gel seine Wirkung langsam nachlässt, ist fast genau so schmerzhaft anzusehen, wie die Szene, in der sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfährt. Obwohl sie ihnen die Show stiehlt, leisten auch die erwachsenen Darsteller ihren Beitrag. Glenn Close bringt die nötige Gravitas zu der Rolle und hat mehr Nuancen als man von einer besessenen Wissenschaftlerin in einem Zombiefilm vielleicht erwarten würde. Gemma Arterton setzt den Trend fort, dass sie ihre besten Performances in Filmen abliefert, die beim Fantasy Filmfest laufen. Nach Spurlos – Die Entführung der Alice Creed und Byzantium ist es eine weitere gute Darbietung von der häufig unterschätzten jungen Engländerin. Sie ist das leuchtende Herz unter den Überlebenden.

Auch ohne ein gigantisches Hollywood-Budget erschafft Regisseur Colm McCarthy ein beeindruckendes Bild einer Welt nach ihrem Untergang und der Rückeroberung durch die Natur. Trotz bekannter Elemente, sind die zahlreichen Spannungsmomente (zum Beispiel, wenn sich die Überlebenden durch Horden von schlummernden Zombies unauffällig bewegen müssen) sehr effektiv in Szene gesetzt. The Girl with all the Gifts ist intelligentes und emotionales Genrekino, das zwar nicht auf die üblichen Versatzstücke verzichtet, sie aber wohl dosiert einsetzt. Zombies mögen abgedroschen sein, aber so lange das Thema immer noch Filme wie diesen hervorbringt, dann sehe ich für das Subgenre auch eine Zukunft. 4/5

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Daniel Radcliffe als furzende Leiche war klasse. Doch wie macht er sich als Undercover-Agent unter US-amerikanischen Neonazis? Das verrate ich in der nächsten Ausgabe des FFF2016-Tagebuchs, in dem es um seinen Thriller Imperium gehen wird sowie um den Body-Horrorschocker Antibirth und das ruhige Endzeit-Drama Here Alone.

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Swiss Army Man, Carnage Park)
Tag 2 (The Ones Below, Deep in the Wood, Abattoir, Yoga Hosers, Trash Fire)

Fantasy Filmfest Tagebuch 2016 – Tag 2

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Fantasy Filmfest 2016 Kritiken Tag 2

War der erste Abend beim Fantasy Filmfest 2016 in Köln nur der kleine Vorgeschmack auf die folgenden zehn Tage, so erinnerte mich der zweite Tag daran, dass auch nach 12 Jahren Erfahrung mit dem Festival und einer jährlichen Quote von mehr als 200 Kinobesuchen fünf Filme am Tag dennoch sehr anstrengend sind und gerade die späteren Vorstellungen die Konzentration ganz schön fordern. In den sehr bequemen Sesseln der Astor Film Lounge im Residenz in Köln steigen dann die Anforderungen an die gezeigten Filme, die Aufmerksamkeit der Zuschauer stetig zu halten. Keine Überraschung, dass einige Vielseher (mich meistens mit eingeschlossen) mit Energy Drinks und/oder Kaffee nachhelfen müssen. Den zweiten Tag konnte ich allerdings noch ohne Taurin oder Koffein überstehen, auch wenn mich keiner der fünf gesehenen Filme wirklich vom Hocker gerissen hat. Wie ich schon geahnt habe, hat Swiss Army Man die Messlatte erst einmal so hoch gelegt, dass die Filme am Folgetag dagegen einfach nur verlieren konnten. Dennoch: einen wirklich durch und durch schlechten Film habe ich auch nicht gesehen und die meisten Beiträge des zweiten Tages konnten zumindest in Ansätzen punkten. Geboten wurde ein wirklicher Mischmasch an Themen und Genres, das Stichwort war aber meist "unheimlich": unheimliche Nachbarn, unheimliche Wälder, ein unheimliches Dorf, unheimliche Geisterhäuser und eine unheimliche Großmutter standen auf dem Programm. Und winzige Nazis. Aus Bratwürsten. Gespielt von Kevin Smith…

Die Kurzkritiken zu The Ones Below, Deep in the Wood, Abattoir, Yoga Hosers und Trash Fire findet Ihr unten.

Tag 2

The Ones Below

Fantasy Filmfest 2016 Kritiken The Ones BelowEine junge werdende Mutter, unheimliche Nachbarn und dauerpräsente Paranoia… Das kennen wir doch schon aus Roman Polanskis Klassiker Rosmaries Baby. Werke von Polanski und Hitchcock standen eindeutig Pate für The Ones Below, das Regiedebüt von David Farr, der zuletzt die exzellente Miniserien-Adaption von John Le Carrés "The Night Manager" schrieb. Es ist ein solider, wenn auch unspektakulärer Einstand als Regisseur, mit einem Film, der sich eindeutig für unvorhersehbarer und schockierender hält, als er es wirklich ist. Im Gegensatz zu Rosemaries Baby geht hier die Gefahr, die dem jungen Paar Kate (Clémence Poésy) und Justin (Stephen Campbell Moore) droht, nicht von finsteren, übernatürlichen Mächten aus, sondern ist sehr real, wenn auch nicht sonderlich realistisch. Sobald das junge Paar ihre neuen Nachbarn Jon (David Morrisey) und die ebenfalls schwangere Theresa (Laura Birn) kennenlernt, müssten bei ihnen schon sämtliche Alarmglocken klingeln. Theresa ist redselig, schräg und vollkommen besessen von ihrem ungeborenen Baby. Das ist auch die einzige Eigenschaft, die sie mit ihrem Ehemann zu teilen scheint, denn Jon ist ein sehr direkter, schroffer und herablassender Geschäftsmann. Das gemeinsame Abendessen endet in einer Katastrophe: die gestresste Theresa stürzt die Treppe hinunter und verliert ihr Baby, wofür Jon und sie ihren Gastgebern die Schuld geben, denn schließlich wechselten sie nicht die kaputte Glühbirne im Flur aus und Theresa stolperte über ihre Katze.

Jon und Theresa verlassen für eine Weile das Land, verarbeiten ihre Trauer und kehren erst nach der Geburt von Kates Sohn zurück – offenbar bereits zur Versöhnung. Dennoch: sind das wirklich die Leute, denen man sein Kind zum Babysitten anvertraut? Und warum ist es so, dass Ehemänner in solchen Filmen immer allen anderen eher Glauben schenken als ihren Ehefrauen?

Alle Schauspieler, insbesondere Poesy, deren von der Mutterschaft zermürbte Kate tatsächlich an die junge Mia Farrow erinnert, überzeugen in ihren Rollen, doch die geschriebenen Charaktere tun den Schauspielern keine Gefallen. Zu unrealistisch bleiben die Handlungen diverser Figuren und der vermeintliche große Twist, auf den der Film während seiner gesamten zweiten Hälfte hinbaut, ist so offensichtlich, dass nachdem er sich eine halbe Stunden lang im Schneckentempo entfaltet hat, man enttäuscht feststellen muss, dass der Film keine weiteren Asse im Ärmel hat. So sorgfältig und behutsam legt der Film ellenlang die Weichen für sein konsequentes Finale, dass er lange vor der "Enthüllung" bereits keinen Raum für Mehrdeutigkeit zulässt – und in diesem Punkt sind seine Vorbilder ihm meilenweit voraus. 2,5/5

 

Deep in the Wood

Fantasy Filmfest 2016 Kritiken Deep in the WoodEin Kind in Gefahr und überforderte Eltern waren auch das Thema des zweiten Films am Tag. Im italienischen Beitrag Deep in the Wood verschwindet der kleine Tommi in einem Dorf in den Dolomiten, während sein verantwortungsloser Vater Manuel (Filippo Nigro) sich beim alljährlichen Krampus-Fest besäuft. Die fieberhafte Suche nach dem Kind bleibt fruchtlos und die ohnehin schon angespannte Beziehung zwischen Manuel und seiner Frau Linda (Camilla Filippi) steht vor einer neuen Belastungsprobe. In den folgenden Jahren unternimmt Linda einen (erfolglosen) Suizidversuch und zudem wächst der Verdacht, Manuel habe seinen Sohn getötet und die Leiche verscharrt. Das Blatt wendet sich fünf Jahre später, als ein verwahrloster Junge auftaucht und ein DNA-Test bestätigt, dass es sich dabei um Tommaso handelt. Während der Vater einfach überglücklich ist, nach jahrelangem Selbsthass seinen Sohn wieder zu haben, glauben weder die Mutter noch ihr abergläubiger Vater, dass es sich um Tommi handelt. Das schweigsame, kalte, distanzierte und manchmal auch aggressive Kind macht es ihnen auch nicht einfach.

Deep in the Wood ist ein Film, der sehr stark davon profitiert, wenn man ihn ohne jegliches Vorwissen sieht, denn hier ist wirklich nichts so, wie es scheint. Sogar dieser Satz verrät vielleicht schon zu viel, denn der Film spielt von seinen ersten Szenen an mit den Erwartungen der Zuschauer, scheint ihnen zu entsprechen und in die gewohnten Muster zu verfallen, bevor er einem wieder den Teppich unter den Füßen wegzieht – und das gleich mehrfach. Handelt es sich beim seltsamen Kind um den Teufel höchstpersönlich oder spielt der Verstand der Mutter und des Großvaters ihnen einen Streich? Im Kontrast zu The Ones Below, der seine große Wendung wie ein Leuchtturm weit im Voraus ankündigt, überrascht Deep in the Wood die Zuschauer bis zum Ende. Wer jedoch gerne etwas mehr Ambiguität mag, wird hiervon enttäuscht sein. Auch wenn die Twists gelungen und zahlreich sind, löst der Film alle Mysterien am Ende kompakt und glasklar auf. Auf erzählerischer Ebene kann Regisseur Stefano Lodovichi auf überzeugen; dass Deep in the Wood dennoch kein stimmigeres Werk ist, dafür sorgen die durchweg unsympathischen Charaktere, deren Verwicklungen untereinander fast schon Seifenoper-Niveau erreichen, sowie das Gefühl fehlender Konsequenz am Filmschluss. 3/5

Abattoir

Fantasy Filmfest 2016 Kritiken AbattoirMit Abbatoir versucht sich Regisseur Darren Lynn Bousman nach drei Saw-Sequels, Mother’s Day und den blutigen Musicals Repo! The Genetic Opera und The Devil’s Carnival an einem Geisterhausfilm mit einem neuen Twist, denn hier wird kein bestimmtes Haus von einem Geist heimgesucht, sondern ein Geisterhaus wird mit der Absicht erbaut, um eben ein solches zu sein. Leider ist die Grundidee von Abattoir interessanter als der Film selbst, der von einer Genre-Konvention zur nächsten torkelt und sich nach einer schier endlos langen Exposition erst im finalen Akt ein wenig austoben kann.

Jessica Lowndes spielt in Abbatoir die frustrierte Immobilien-Journalistin Julia, die viel lieber über Verbrechen berichten würde. Ihr Wunsch geht auf eine grausige Art und Weise in Erfüllung. Ihre Schwester und deren Familie werden von einem Psychopathen grundlos abgeschlachtet. Als sie kurze Zeit später an den Tatort zurückkehrt, ist dieser verschwunden. Das Haus steht noch da, doch das Kinderzimmer ihres Neffen, in dem die Morde begangen wurden, wurde herausgerissen. Julia recherchiert und findet heraus, dass es über die Jahrzehnte bereits viele solcher Fälle gab – Schauplätze Morde und Todesfälle, die einfach verschwunden sind. Der gemeinsame Nenner bei allen diesen Fällen ist der ominös klingende Name Jebediah Crone. Hier ein Ratschlag an alle Möchtegern-Schnüffler – wenn ein Mann, der etwas mit einer Reihe von grausigen Morden zu tun hat, einen Namen wie Jebediah Crone trägt, dann sollte man sich von ihm lieber fernhalten.

Das tut Julia natürlich nicht und reist mit ihrer gelegentlichen Affäre und Polizisten Grady (Joe Anderson) im Schlepptau ins ebenfalls seltsam benannte Städtchen New English, wo alle Fäden zusammenzulaufen scheinen. Bis wir dort ankommen, scheint der halbe Film schon vorüber zu sein, doch die Exposition und die umfassende Erklärung des Mysteriums geht weiter und weiter und weiter… Darüber hinaus verhalten sich Julia und Grady nicht wie eine clevere Journalistin und ein erfahrener Polizist, sondern wie zwei Idioten in einem durchschnittlichen Horrorfilm. Bousman wollte mit dem Film, nicht unähnlich It Follows letztes Jahr, eine zeitlose, traumartige Atmosphäre erzeugen und das ist ihm zum Teil auch gelungen. Lowndes' Julia ist optisch dem Fünfziger-Noir-Kino entsprungen. Bousmans Ziel, Julia und Grady als eine Art Humphrey Bogart und Lauran Bacall in einem Horror-Setting zu inszenieren, ist jedoch zu hoch gesteckt. Nichts für Ungut, doch Lowndes und Anderson sind nicht Bogart und Bacall und haben auch keinerlei Chemie miteinander.

Obwohl der Filmtitel übersetzt "Schlachthaus" bedeutet, ist Abattoir der bislang zahmste von Darren Lynn Bousmans Filmen. Er setzt auf langsamen Aufbau von Atmosphäre und Spannung. "Langsam" bekommt er hin, Atmosphäre und Spannung eher weniger. Doch gerade als ich alle Hoffnung aufgegeben habe, kommt der Film in den letzten 20 Minuten in Fahrt, wenn wir endlich Jebediah Crones Lebenswerk betreten. Das Setdesign seines Geisterhauses ist ein Triumph und man hat endlich das Gefühl, genau das zu sehen, wofür man überhaupt gekommen ist. Doch leider ist es zu wenig, zu spät und wird schlussendlich abermals durch die grenzenlose Dummheit der Protagonisten unterminiert. Vielleicht kann das bereits angekündigte Sequel Dwelling nach getaner Vorarbeit mehr überzeugen. 2/5

Yoga Hosers

Fantasy Filmfest 2016 Kritiken Yoga HosersMit Yoga Hosers hat Kultregisseur Kevin Smith, am besten bekannt für seine Slacker-Komödien wie Clerks, Mallrats und Chasing Amy, den ultimativen Familienfilm gedreht. Nicht in dem Sinne, dass sein Machwerk ein Film für die ganze Familie ist. Er handelt schließlich von kniehohen kanadischen Bratwurst-Nazis mit Pickelhauben, deren favorisierte Tötungsmethode darin besteht, sich in ihre Opfer dort zu bohren, wo die Sonne nicht scheint. Nein, Yoga Hosers ist ein gemeinsames Projekt der Familien Smith und Depp, bei dem die Töchter von Smith und Johnny Depp die titelgebenden Hauptrollen spielen und ihre Mütter und Väter die Nebenrollen übernehmen, wobei Smith selbst die eingangs erwähnten Bratwurst-Nazis – im Film "Bratzis" genannt – spielt. Der Rest der Besetzung wird nahezu komplett von den Darstellern aus Smiths letztem Film, Tusk, ausgefüllt (besonders sehenswert: Haley Joel Osment als "kanadischer Hitler"), dessen bizarres Spin-Off und den zweiten Teil seiner True-North-Trilogie Yoga Hosers darstellt. Nach dieser Beschreibung dürfte eigentlich jeder wissen, worauf er sich bei Yoga Hosers einlässt. Es ist offensichtlich, dass Smith sich überhaupt nicht darum schert, was andere über den Film denken könnten (in weiser Voraussicht rechnet er bereits in dem Film mit seinen Kritikern ab), solange seine Tochter Harley Quinn Smith und deren beste Freundin Lily-Rose Depp Spaß haben. Bei entsprechender Stimmungslage (Stichwort: Bier) und allgemeiner Aufgeschlossenheit gegenüber reinem Trash kann man das als Zuschauer von Yoga Hosers zum Glück auch, obwohl der Film dennoch die scharfsinnigen Beobachtungen von Smiths früheren Werken vermissen lässt und genau so viele Gags eine Bauchlandung hinlegen wie zünden.

Die Sprösslinge von Smith und Depp sind Colleen C. (Lily-Rose Depp) und Colleen M. (Harley Quinn Depp): dauergelangweilte, Instagram-, Emojis- und Yoga-besessene Teenagerinnen, die im Laden von Colleen C.s Vater arbeiten und dabei in etwa so motiviert und kundenfreundlich sind, wie die legendären Slacker Randall und Dante aus Smiths Kultfilm Clerks. Die beiden geraten in ein Abenteuer, in dem jugendliche Teufelsanbeter, Bratwurst-Nazi-Homunkuli, ein verrückter Wissenschaftler (und verbitterter Bildhauer) sowie Johnny Depp in seiner Rolle aus Tusk als frankokanadischer Detektiv Guy Lapointe vorkommen. Dieser "Plot" ist bestenfalls lose zusammenhängend und letztlich auch absolut irrelevant. Im Gegensatz zu Tusk verzichtet Yoga Hosers auf jeglichen Anspruch von Drama oder Horror und gibt sich damit zufrieden, ein harmloses, weitgehend blutleeres Trashfeuerwerk zu sein. Gerade deshalb hat er für mich auch ein klein wenig besser funktioniert und zum Glück füllen die beiden jungen Hauptdarstellerinnen ihre Rollen sehr natürlich aus. Der störende Faktor ist hier tatsächlich Johnny Depp, dessen mit Warzen bedeckter Detektiv mit schlechtem französischem Akzent wieder einmal fehl am Platze wirkt und nicht die erwünschten Lacher bringt. Viel eher fragt man sich, in welchem dunklen Loch Johnny Depp sein Talent  heutzutage vergraben hat.

Um es klarzustellen: Yoga Hosers ist kein guter Film per se. Genau genommen ist er absolut dämlich. Die Witze über den kanadischen Akzent ("soorry aboot that!") und die heutige Jugendsprache und Verhalten (beobachtet durch die Augen eines Mittvierzigers) prasseln in Dauerschleife über die Zuschauer herein (und werden in der deutschen Synchro sowieso verschwinden) und machen es sich sehr leicht. Doch es gibt auch etwas unbestreitbar Angenehmes in der Einfachheit und Anspruchslosigkeit dieses Films. Man wird als Zuschauer vermutlich nie den Spaß dabei haben, den Smith und Co beim Dreh hatten, doch man verspürt die Freude, die in die Herstellung des Films geflossen ist und irgendwie färbt sie auch auf einen ab. 3/5

Trash Fire

Fantasy Filmfest 2016 Kritiken Trash FireRichard Bates Jr. ist mittlerweile zu einer festen Größe beim Fantasy Filmfest geworden. Nach Excision und Suburban Gothic läuft mit Trash Fire auch seine dritte Regiearbeit beim Festival und knüpft nahtlos an die Themen (und teilweise auch die Schauspieler) seiner beiden Vorgänger an. Religion und die Demontage einer heilen Familie geraten wieder in den Fokus des Regisseurs, sodass man sich des Gedanken kaum erwehren kann, dass er konsequent einen persönlichen Groll verarbeitet. Der Nutznießer ist dabei letztlich der Zuschauer. Vincent Chase Adrian Grenier ist Owen, ein trinkendes, bulimisches und sozial absolut unverträgliches Arschloch, das aus unerklärlichen Gründen von seiner Freundin Isabel (Angela Trimbur) ausgehalten wird. Wenn ihr Geduldsfaden endlich reißt, stimmt der von epileptischen Anfällen und Schuldgefühlen an dem Feuertod seiner beiden Eltern geplagte Owen zu, mit ihr seine Großmutter Violet (Fionnula Flanagan) zu besuchen und sich mit seiner vom Feuer entstellten Schwester Pearl zu versöhnen. Schon kurz nach der Ankunft begreift Isabel, weshalb Owen nur sehr widerwillig dorthin gereist ist – Violet ist ein Gift und Galle speiendes, misanthropes Biest, das kein gutes Haar an Isabel, Owen oder seinen toten Eltern lässt. Pearl hat wiederum mehr Interesse daran, nachts durchs Haus zu schleichen und Isabel heimlich zu beobachten, als mit ihrem Bruder zu reden.

Tonal kohärenter und stimmiger als Suburban Gothic, hat Trash Fire zwar nicht den kompromisslosen Biss von Excision und geht auch nicht ganz so unter die Haut, wird jedoch auch seine Zuschauer mit einem ähnlich mulmigen Gefühl zurücklassen. Dass Trash Fire dennoch nicht mit dem Debütfilm des Regisseurs mithalten kann, liegt daran, dass Greniers blasser Charakter einfach nicht die gleiche Faszination ausübt wie AnnaLynne McCords Hobby-Chirurgin Pauline. Wer "Entourage" gesehen hat, wird vermutlich zustimmen, dass Greniers Vinnie Chase meist der am wenigsten interessante Charakter des Ensembles war und Trash Fire zeigt wieder einmal, dass es nicht (nur) daran lag, wie seine Figur geschrieben war. Fionnula Flanagan als fanatische Oma und Angela Trimbur als Sympathieträgerin entschädigen zum Teil dafür. AnnaLynne McCord ist wieder fabelhaft in der leider zu kurzen Rolle als Owens emotional gestörte Schwester. Auch Suburban-Gothic-Star Matthew Gray Gubler macht als Isabels religiöser Bruder einen guten Eindruck und ist zum Glück nicht so nervig wie im letzten Film des Regisseurs. Wie Excision bereitet auch Trash Fire sein schnell eskalierendes, schockierendes Finale langsam und zielsicher vor, doch auf dem Weg dorthin wirkt der Film zahmer und kaut eigentlich zu sehr die gleichen Themen wieder durch, um einen wirklichen Fortschritt für den Regisseur darzustellen. Richard Bates Jr. hat beachtliches Talent und ein noch größeres Potenzial, doch es ist an der Zeit, dass er sein Blickfeld ausweitet. 3,5/5

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Nach einem doch eher durchwachsenen Tag stehen mir am dritten Tag das bereits vor Beginn des Festivals ausverkaufte, vermeintliche Festival-Highlight The Girl with All the Gifts (Zombiefilm mit Glenn Close!) sowie das diesjährige Centerpiece und der Geheimtipp der Veranstalter Psycho Raman, ein indischer Film weit fernab von Bollywood, bevor. Bleibt dran!

Bisherige Ausgaben:

Tag 1 (Swiss Army Man, Carnage Park)

Fantasy Filmfest Tagebuch 2016 – Tag 1

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Fantasy Filmfest 2016 Tagebuch Tag 1 Kritiken

Der 30. Geburtstag. Nicht wenige junge Menschen sehen diesem Jubiläum mit gemischten Gefühlen entgegen, denn spätestens mit diesem Alter gehört man endgültig und unwiderruflich dem Erwachsenenleben an. Und sobald man 30 ist, steuert man schließlich gefühlt direkt auf die 40 zu. Auch ich habe meinen Dreißigsten dieses Jahr gefeiert und die Wahrheit ist – es ist einfach eine Zahl wie jede andere. Man ist nicht über Nacht verändert und fühlt sich plötzlich reifer, älter, weiser usw.

Das 30. Jubiläum teile ich dieses Jahr mit einer Veranstaltung, die meine Entwicklung als Filmfan in den letzten 12 Jahren stark geprägt und begleitet hat, und für sie ist es ein echter Meilenstein. Das Fantasy Filmfest, Deutschlands größte Institution für das Genrekino und Filme abseits des Mainstreams, wird 30. Für ein Genrefilmfestival in einem Land, in dem einschlägige Filme es seit jeher nicht leicht haben (nicht zuletzt aufgrund der hiesigen Zensur), ist es eine bemerkenswerte Leistung. Alles begann 1987 in Hamburg mit etwa 1000 Zuschauern und wuchs zu einem jährlichen Ereignis mit zwei Ablegern im Frühjahr und Winter (Fantasy Filmfest Nights und Fantasy Filmfest White Nights) heran, das durch sieben deutsche Städte tourt und jedes Jahr mehr als 100,000 Besucher anlockt. Spätere Filmklassiker, Kultfilme und Kinohits wie Das Schweigen der Lämmer, Pulp Fiction, Der blutige Pfad Gottes, Scream und So finster die Nacht entdeckten die Zuschauer über die Jahre erstmals auf dem Fantasy Filmfest – in vielen Fällen noch lange bevor abzusehen war, wie groß der Hype um die jeweiligen Filme später noch werden würde. So erinnere ich mich gerne an mein erstes Fantasy-Filmfest-Erlebnis (damals blutjunge 18 Jahre alt), als ich den ersten Saw-Film im Sommer 2004 sah, lange bevor irgendjemand den Namen James Wan kannte oder ahnen konnte, dass der Film das erfolgreichste Horror-Franchise der 2000er begründen würde. Das alles passierte erst Monate später. Dafür liebe ich das Fantasy Filmfest, denn hier kann man Filme wirklich entdecken, wenn man Glück hat, dann auch unvorbelastet durch Erwartungen und Hype (so wie beim Horror-Meisterwerk It Follows vorletztes Jahr).

Wie jedes Jahr seit 2012 werde ich Euch auch dieses Jahr ausführlich von meinen Erlebnissen auf dem Fantasy Filmfest in Form eines Tagebuchs mit Kurzkritiken zu den gesehenen Filmen berichten. Wie viele Filme genau auf meinem Programm stehen werden, kann ich noch nicht sagen, denn die Ausweitung des Festivals auf 11 Tage (anstelle der ursprünglichen acht) zerrt schon am Durchhaltevermögen, doch Ihr könnt Euch vermutlich auf Eindrücke zu mindestens 35 Filmen aus verschiedensten Genres freuen: Horror, Action, Komödie, Fantasy und der eine oder andere What-the-Fuck-Film, der sich keiner Kategorie zuordnen lässt. Hier wird sich für jeden Geschmack etwas finden.

Bevor es vorgestern in Köln mit dem Hauptfilm losging, haben die Macher anlässlich des Jubiläums des Festivals eine wirklich schönes Special vorbereitet: aufgenommene Grußbotschaften von Filmschaffenden, deren Filme über die Jahre das Fantasy Filmfest prägten und die das Festival auch schon in persona besucht haben. Genregrößen wie Brian Yuzna, Stuart Gordon, John Landis, Adam Green (sein Deutsch ist, ähm, vortrefflich) und viele weitere  beglückwünschten das Festival, durch das viele ihrer Filme größere Bekanntheit erfuhren und wünschten ihm viele weitere Jahre. Dem kann ich mich nur anschließen und hoffe, dass ich gemeinsam mit dem Fantasy Filmfest auch meinen 40. feiern werde.

Ach ja, es gab natürlich auch schon zwei Filme zu sehen und wenn der Auftaktfilm die Messlatte für das gesamte Filmangebot 2016 setzt, dann erwartet uns einer der besten Fantasy-Filmfest-Jahrgänge überhaupt. Eröffnungsfilme des Fantasy Filmfests haben – jedenfalls seit ich dabei bin – eine gemischte Historie und gehören eigentlich nur selten zu den besten Filmen des jeweiligen Festivals. Eine richtige "Gurke" habe ich als Opener zwar noch nicht erlebt, aber auch nur wenige wirkliche Highlights. Severance, Sightseers und Eden Lake waren schon sehr ordentliche Beiträge, die später auch meine Filmsammlung ergänzten, doch ihnen gegenüber standen auch etwas schwächere Titel wie Die Meute, Don’t Be Afraid of the Dark oder The Congress. Meistens sorgten die Eröffnungsfilme für eine gute Einstimmung auf die kommenden Tage, die dann die wahren Perlen enthalten würden. Doch dieses Jahr begann bereits mit einem kleinen Juwel der Filmkunst, das zu übertreffen es nicht einfach werden wird – Swiss Army Man.

Unten könnt Ihr mehr zu diesem Highlight und dem Exploitation-lite-Machwerk Carnage Park erfahren:

Tag 1

Swiss Army Man

Fantasy Filmfest 2016 Swiss Army ManManchmal ist es besonders wichtig, einen Film nicht auf seine Inhaltsangabe zu reduzieren. Als ich vor zwei Jahren meinen Bekannten und anderen Filmfans begeistert von It Follows erzählte und nach dem Plot des Films gefragt wurde, erklärte ich, der Film handle sich um einen sexuell übertragbaren Dämon, der dich nach der "Ansteckung" verfolgt, bis du stirbst. In dem Moment, als ich es erstmals ausgesprochen habe, wurde mir klar, wie dämlich das eigentlich klingt und wie wenig das dem meisterhaft inszenierten Horrorfilm gerecht wird, der mit seiner schrägen Prämisse absolut todernst umgeht, sodass sie in keiner Sekunde lächerlich anmutet. Nicht anders wird es bei Swiss Army Man sein, also auch wenn die nachfolgende Inhaltsbeschreibung sich so liest, als hätten sich Adam Sandler und Marlon Wayans den Film im Vollsuff ausgedacht, bleibt bei mir bis zum Schluss. In Swiss Army Man wird die adrett angezogene Leiche eines jungen Mannes (Daniel Radcliffe) an der Küste einer einsamen Insel angespült, just als deren einziger Bewohner Hank (Paul Dano), der dort vor etwaiger Zeit gestrandet ist, seiner Einsamkeit durch den Strick ein Ende setzen will. Die Leiche weckt seine Neugier und entpuppt sich als seine Rettung. Achtung, ab jetzt wird es seltsam: den scheinbar unerschöpflichen Vorrat an körpereigenen Gasen der Leiche, nutzt Hank, um auf ihr wie auf einem Jet-Ski zum Festland zu reiten. Dort stellt er fest, dass die Leiche durchaus redselig ist (hat aber keinen Hunger auf Gehirne). Hank nennt den freundlichen und wissbegierigen Verblichenen Manny und hofft, mit Hilfe von dessen vielen weiteren verborgenen Talenten, die von einem Süßwasser-Spender bis zu einer Kompass-Erektion (!) reichen, den Weg durch die Wälder zurück in die Zivilisation zu finden.

Zauberhaft, fantastisch, warmherzig, exzentrisch, humorvoll, originell, liebevoll. So werden nicht wenige Zuschauer diesen Film beschreiben. Infantil, dämlich, eklig, bescheuert. Auch solche Reaktionen wird man mit Sicherheit vernehmen. Es stimmt, Vieles spielt sich bei Swiss Army Man unter der Gürtellinie ab. Sogar Emotionen und Traumaverarbeitung. Denn Swiss Army Man ist weitaus mehr als eine Ansammlung an Furz-, Masturbations- und Peniswitzen (obwohl es von jeder Sorte welche gibt), sondern eigentlich eine zutiefst bewegende Auseinandersetzung mit Themen, die genau so menschlich sind, wie unsere Körpergase: Entfremdung, Freundschaft, Liebe, Ängste und Verlust. Es ist ein Film, in dem eine Diskussion über Selbstbefriedigung in einem Moment von lustig zu traurig umschwenkt und in dem ein Furz eine emotionale Szene bestimmt. Dass dieser ambitionierte Film auch trotz seiner ultraschrägen Prämisse funktioniert, ist einerseits den Erstlingsregisseuren Dan Kwan und Daniel Scheinert (die sich einfach "Daniels" nennen) zu verdanken. Mit einem guten Auge für einprägsame Bildsprache, unendlichem Einfallsreichtum und vor allem dem Mut, jenseits der Grenzen des guten Geschmacks zu gehen, beschwören sie ein unvergessliches Feuerwerk aus Bildern, Musik und spürbarer Lebensfreude herauf, das man zuletzt in dieser Form bei Benh Zeitlins magischem Erstlingswerk Beasts of the Southern Wild erleben konnte.

Doch Swiss Army Man würde nicht so gut funktionieren, wenn sich seine beiden Hauptdarsteller nicht mit kompletter Hingabe auf diesen absurden Trip eingelassen hätten. Paul Dano, anfangs kaum wiederzuerkennen mit wildem Bart, erinnert uns wieder einmal daran, dass er einer der besten jungen Schauspieler Hollywoods ist und besticht mit einer Mischung aus Traurigkeit, Melancholie und Verletzlichkeit aber auch tief vergrabener Lebensfreude, die gelegentlich an die Oberfläche sprudelt. Daniel Radcliffe macht weiterhin das Beste aus seiner post-Potter-Karriere und geht in dem schwierigen Part als Manny richtig auf. Wie ein naives Kind entdeckt er durch Hank die Welt und hilft Hank im Gegenzug dabei, mit der Welt selbst besser zurechtzukommen. Die beiden entwickelt eine unglaubliche Chemie miteinander, bei der die Grenzen zwischen Freundschaft und Romantik gelegentlich verschwimmen, doch wie auch bei allem anderen legt sich Swiss Army Man auch in dieser Hinsicht auf nichts fest. Es ist kein Film, bei dem Erklärungen zu dem Wie, dem Was und dem Warum wichtig sind. Vielmehr ist dieser einzigartige Film eine Ode an die Menschlichkeit aber auch an die Magie des Kinos ("If you don’t know Jurassic Park, you don’t know shit!"). In einer von Remakes, Reboots, Sequels, Prequels und Megablockbustern geprägten Filmlandschaft ist ein Werk wie Swiss Army Man nicht einfach eine frische Brise, sondern ein regelrechter Orkan. Kurz gesagt: der beste Eröffnungsfilm, den ich in meinen 12 Jahren Fantasy Filmfest erlebt habe. 4,5/5

 

Carnage Park

Fantasy Filmfest 2016 Carnage ParkAus dem Feuer in die Traufe geht es für die junge Vivian (Ashley Bell aus Der letzte Exorzismus). Gerade noch war sie Geisel von zwei Bankräubern im Kofferraum von deren Fluchtauto und nun steht sie plötzlich auf der Abschussliste des durchgeknallten Vietnam-Veterans Wyatt (unheimlich überzeugend: Pat Healy), der es sich zur Freizeitbeschäftigung gemacht hat, Eindringlinge auf seinem Gelände mit einem Scharfschützengewehr zu jagen.

Der Mensch als ultimative Beute – das haben wir bereits in der Filmgeschichte mehrfach gesehen, darunter in Der Todesmutige von Cornel Wilde, Surviving the Game von Ernest R. Dickerson und Strafpark von Peter Watkins. Letzterem huldigt Carnage-Park-Regisseur Mickey Keating nicht nur mit seinem Filmtitel. Überhaupt ist Carnage Park ein Sammelsurium aus Versatzstücken, Referenzen und Verbeugungen, das unmissverständlich an die Werke von Tarantino, Peckinpah und Rob Zombie angelehnt ist. Das alleine ist natürlich kein Qualitätsurteil, denn schließlich hat auch Tarantino seine gesamte Karriere auf Hommagen und Huldigungen aufgebaut. Beim 25-jährigen Macher von Carnage Park sieht die angestrebte Coolness zuweilen aber doch arg bemüht aus, insbesondere in der Anfangsphase des Films, die uns informiert, der Film beruhe auf einer der bizarrsten Episoden der US-amerikanischen Kriminalgeschichte (und enthält vermutlich in etwa so viel Wahrheit wie Django Unchained). Der vermasselte Banküberfall, den wir nicht zu sehen bekommen, stammt direkt aus Reservoir Dogs und Retro-Popmusik sowie Namenseinblendungen von Charakteren wie "Scorpion Joe" erwecken eher das Gefühl einer Amateurkopie von Tarantino.

Doch Carnage Park fängt sich überraschend gut, sobald er diese aufdringlichen Stilmittel fallen lässt und Vivians Überlebenskampf beginnt. In diesen Momenten zeigt der junge Regisseur (es ist bereits sein vierter Spielfilm!), dass sein inszenatorisches Talent über reines Kopieren seiner Idole hinausgeht. Zwar erinnert diese Sektion des Films in ihrer Ästhetik stark an Rob Zombies Exploitation-Werke wie The Devil’s Rejects oder Haus der 1000 Leichen, das stört jedoch die Spannung und die leicht surreale Atmosphäre nicht. In diesen Momenten geht Carnage Parks unangenehmes Ambiente langsam aber sicher unter die Haut und Keating schreckt sich auch nicht vor einigen sparsam eingesetzten und deshalb wirkungsvollen drastischen Gewaltdarstellungen zurück. Leider nimmt er sich ausgerechnet beim großen Finale wieder den Mund zu voll, mit der ungewöhnlichen Entscheidung, nahezu den kompletten finalen Showdown in absolute Finsternis zu tauchen. Was zunächst noch nach einem mutigen Ansatz aussieht, führt nach einiger Zeit dazu, dass man als Zuschauer abschaltet und so aus dem zuvor spannenden Geschehen herausgerissen wird. Schade, denn davor befand sich der Film auf gutem Weg zu einem kleinen, fiesen Exploitation-Schocker. 3/5

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So viel zu meinem ersten Tag beim Fantasy Filmfest 2016 in Köln. Zehn weitere Ausgaben werden folgen und in der nächsten könnt Ihr Euch auf meine Meinung zu gleich fünf neuen Filmen freuen, darunter Darren Lynn Bousmans Abattoir und Kevin Smiths Yoga Hosers.

Box-Office USA: Don’t Breathe triumphiert mit fantastischem Start

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Dont Breathe 2

Quelle: Boxofficemojo

Das Ende der Sommer-Box-Office-Saison ist eingeläutet. Erstmals seit Ende April fiel der Gesamtumsatz der Top 12 an den nordamerikanischen Kinocharts unter $100 Mio. Obwohl einer der Neustarts sogar über den Erwartungen eröffnete, fielen die Einnahmen der Top 12 um 17% auf $98,7 Mio, lagen jedoch starke 43% über dem gleichen Wochenende im Vorjahr, an dem Straight Outta Compton zum dritten Mal in Folge konkurrenzlos regierte. Interessant war am Wochenende übrigens die Zusammensetzung der Filme. Sechs der ersten 12 Filme in den Charts trugen das R-Rating (US-Altersfreigabe ab 17 Jahren), wovon die jugendfreien Filme deutlich profitierten und nur milde Rückgänge aufwiesen.

Es war ein wirklich starker Sommer für Horrorfilme und Thriller und so ist es nur passend, dass zum Abschluss der Saison ein weiterer Genrevertreter die Erwartungen übertraf und die Chartspitze stürmte. Der für nur $9,9 Mio günstig produzierte Horrorthriller Don’t Breathe des Evil-Dead-Regisseurs Fede Alvarez kam mit $26,4 Mio von 3051 Kinos unglaublich gut aus den Startlöchern und erzielte einen Schnitt von $8657 pro Spielstätte. Nach Conjuring 2 ($102,5 Mio), The Shallows ($54,8 Mio), The Purge: Election Year ($79 Mio) und Lights Out ($65,5 Mio) ist Don’t Breathe ein weiterer riesiger Genreerfolg diesen Sommer. Besonders bemerkenswert im Falle von Don’t Breathe ist aber nicht nur sein starkes Startwochenende, sondern die augenscheinlich sehr positive Mundpropaganda, die gerade bei Horrorfilmen ungewöhnlich ist. Die meisten Horrorfilme zeigen bereits am Startwochenende deutliche Anzeichen der Frontlastigkeit. So fiel Conjuring 2 an seinem ersten Samstag um 14,5%, The Shallows um 19%, Lights Out um 22,1% und The Purge: Election Year um 35,3%. Don’t Breathe spielte am seinem ersten Tag $10 Mio ein und baute am Samstag lediglich winzige 1,5% ab. Zieht man vom Starttag des Films $1,9 Mio ab, die der Film  in Donnerstags-Previews erwirtschaftete, bedeutet das sogar einen kräftigen Anstieg. Für einen Genrefilm ist das beinahe einzigartig! Hinzu kommt noch der ungewöhnlich positive "B+"-CinemaScore (äquivalent einer "2+") von den Zuschauern. Alles deutet auf eine besonders starke Laufzeit des Films hin, sodass man insgesamt $70-80 Mio erwarten kann. Neben Bad Moms und Pets ist Don’t Breathe eine der größten Box-Office-Überraschungen des Sommers in Nordamerika.

Suicide Squad konnte der neuen Konkurrenz nicht standhalten und fiel an seinem vierten Wochenende von der Chartspitze auf Rang 2. Als ein PG-13-Film profitierte Suicide Squad aber dennoch davon, dass die größeren neuen Filme ein R-Rating trugen und legte mit einem Drop von nur 41,3% seinen bislang besten Rückgang hin. Etwa $12,2 Mio spielte Suicide Squad ein und schrieb damit auch erstmals ein besseres Wochenende als Batman v Superman: Dawn of Justice. Mit $283 Mio auf der Bank liegt Suicide Squad jetzt nur noch 9% hinter Batman v Superman und 4% vor Man of Steel im selben Zeitraum. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Suicide Squad die $300-Mio-Barriere in Nordamerika überschreitet und da in nächster Zeit keine großen, jugendfreien Blockbuster in die Kinos kommen, sollte Suicide Squad insgesamt sogar $310-315 Mio verbuchen, bevor die Comicadaption die Kinos verlässt. Bei einem Produktionsbudget von $175 Mio (ohne die Marketingkosten) ist es ein sehr gutes Einspielergebnis, auch wenn Suicide Squad letztlich den deutlich schwächer gestarteten Guardians of the Galaxy ($333,2 Mio) nicht überholen wird. Noch liegt Suicide Squad 13% vor Guardians of the Galaxy, wird aber in spätestens 3-4 Wochen hinter den Marvel-Film zurückfallen.

Kubo – Der tapfere Samurai profitierte ebenfalls vom Konkurrenzmangel und stieg um einen Platz auf Rang 3 der Charts auf. Laikas von der Kritik gefeierter Animationsfilm spielte $7,8 Mio ein (-37,8%) und erreichte $24,9 Mio nach zehn Tagen. Damit bleibt er leider weiterhin der umsatzschwächste Film der innovativen Animationsschmiede (die sich auch für Coraline, ParaNorman und Die Boxtrolls verantwortlich zeichnete) und das wird sich vermutlich auch bis zum Ende seiner Laufzeit nicht mehr ändern. Mit dem Feiertags-Wochenende in petto wird Kubo knapp $46 Mio in den USA und in Kanada erreichen.

Die Animationskomödie Sausage Party fiel im Angesicht der R-rated-Konkurrenz um 51,4% auf $7,5 Mio und belegte damit den vierten Rang der Kinocharts. Nach 17 Tagen steht Seth Rogens derber Spaß bei $79,9 Mio und liegt 16% vor Das ist das Ende. Allerdings hält sich Sausage Party bei weitem nicht so gut wie der Ensemblefilm von 2013 und wird wenn, dann nur sehr mühevoll an der $100-Mio-Marke vorbeiziehen, wobei das noch nicht garantiert ist.

Mechanic: Resurrection, das Action-Sequel, um das niemand gebeten hat, lief mit $7,5 Mio von 2258 Lichtspielhäusern an ($3032 pro Kino) und landete auf Rang 5. Der Vorgänger startete vor fünfeinhalb Jahren mit $11,4 Mio und kam auf insgesamt $29,1 Mio in Nordamerika. Positiv ist immerhin anzumerken, dass Mechanic: Resurrection besser startete als die letzten Jason-Statham-Actioner Homefront ($6,9 Mio) und Parker ($7 Mio) und nur wenig schwächer als Safe – Todsicher, der 2012 mit $7,9 Mio anlief. Die Fangemeinde des Prügelstars scheint sehr konsistent zu sein, wenn auch relativ überschaubar. Es ist das Heimkino, wo Statham heutzutage den größten Erfolg genießt und nicht die Leinwand. Mechanic: Resurrection wurde von seinen Zuschauern mit einem "B+"-CinemaScore (äquivalent einer "2+") besser bewertet als Teil 1, der nur eine "B-" erhielt. Am Durchhaltevermögen des Films wird das vermutlich wenig ändern und der Film wird etwa $17-19 Mio in Nordamerika einspielen, bevor er die Kinos verlässt.

Auf Seite 2 verraten wir Euch, welchen Meilenstein Star Trek Beyond erreichte und wie es für die Kinohits Bad Moms und Pets läuft.

Don’t Breathe (2016) Kritik

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Dont Breathe (2016) Filmkritik

Don’t Breathe, USA 2016 • 88 Min • Regie: Fede Alvarez • Drehbuch: Fede Alvarez, Rodo Sayagues • Mit: Jane Levy, Dylan Minnette, Daniel Zovatto, Stephen Lang, Jane Graves • Kamera: Pedro Luque • Musik: Roque Baños • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures • Kinostart: 8.09.2016 • Deutsche Website

Dont Breathe 8Thrill Thrill Thrill anstelle von Blut Blut Blut: Der aus Uruguay stammende Newcomer Fede Alvarez beweist mit seinem morbiden „Don’t Breathe“, dass er als Regisseur mehr kann, als nur ein müdes „Evil Dead“-Remake. Der Gewaltpegel bleibt im moderaten Bereich, während die Spannungsschraube ordentlich angezogen wird. Und so handelt es sich bei dem Werk auch eher um einen atmosphärisch extrem beklemmenden Thriller mit kranker Note, als um einen reinrassigen Horrorschocker. Alvarez beschränkt sich bei der Exposition auf das Nötigste, gewährt einen knappen Blick in seine Protagonisten, und schickt sie dann direkt in ein Vorhaben, das sich im Verlauf als echter Höllentrip erweisen soll. Wie schon in Wes Cravens „Das Haus der Vergessenen“ (1991) oder zuletzt „Livid“ (2011) von dem französischen Duo Alexandre Bustillo und Julien Maury, läuft auch in „Don’t Breathe“ ein vermeintlich simpler Einbruch völlig aus dem Ruder, da sich die jungen Eindringlinge empfindlich in dem Besitzer der Immobilie getäuscht haben.

Dont Breathe 7Elendspanorama Detroit: Die drei Heranwachsenden Rocky (Jane Levy), Alex (Dylan Minnette) und Money (Daniel Zovatto) halten sich mit einer Reihe sorgfältig geplanter Brüche über Wasser. Da Alex' Vater für eine Sicherheitsfirma arbeitet, sorgt der Sohnemann für einen leichten Zugang in die Häuser der Opfer. Es gibt jedoch eine klare Regel – nur Gegenstände werden mitgenommen, kein Geld! Rocky möchte zusammen mit ihrer kleinen Schwester dem bedrückenden Umfeld entfliehen, und um dieses eigentlich edle Ziel zu erreichen, ist ihr jedes Mittel recht. Dieses Mal ist es der aufbrausende Money, der von einem Dealer einen brandheißen Tipp erhält: In einem fast völlig verlassenen Block gibt es noch ein Haus, dessen Besitzer nach dem Unfalltod seiner Tochter ein kleines Vermögen von der Versicherung erhalten haben soll. So wird nach einer ersten hitzigen Teamsitzung die Kein-Bargeld-Regel doch außer Kraft gesetzt, und das Trio macht sich an die Arbeit. Zwei Tatsachen waren den Kriminellen im Vorfeld allerdings nicht bewusst. Zum einen handelt es sich bei dem Eigentümer um einen erblindeten Kriegsveteran (Stephen Lang). Und zum anderen hütet dieser in seinen bestens gesicherten Gemäuern nicht bloß Geld, sondern auch ein dunkles Geheimnis …

Dont Breathe 13Das war übrigens kein Spoiler: Schon die Anfangsszene des Films führt vor Augen, dass mit dem namenlos belassenen Einbruchsopfer irgendetwas ganz und gar nicht zu stimmen scheint. Ohnehin ist „Don’t Breathe“ ein erfrischend geradliniges Stück Spannungskino ohne aufdringlich eingepflanzten Twist. Es geht ums blanke Überleben, wenn der mysteriöse Blinde erstmal beweist, dass er eben kein hilfloser Sehbehinderter ist, sondern vielmehr die Badass-Version vom „Daredevil“ verkörpert. Die Einbrecher werden zu Ausbrechern. Interessant ist auch die Ambivalenz, mit der die Autoren Alvarez und Rodo Sayagues sämtliche Hauptcharaktere ausgestattet haben. Die obligatorische Sozialstudie (wer Detroit als Handlungsort wählt, kommt da schwer rum) wird zum Glück nicht zu groß aufgeblasen, und Rocky, Alex und Money bekommen für ihre Taten keinen moralischen Freifahrtschein ausgestellt. Es wäre zu langweilig und plump gewesen, wenn der Spieß irgendwann einfach umgedreht worden wäre, und die nun guten Kids gegen ein blutrünstiges Monster hätten kämpfen müssen. Doch so scheußlich und pathologisch die Beweggründe des Blinden auch sein mögen – seine Figur verkommt nicht zum reinen Buhmann, der nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip schlachtet. Trotzdem ist Stephen Langs hauptsächlich körper- und mimikbetonte Performance der Hauptgrund, weshalb man das Werk auch dem Horror-Genre zuschreiben kann: Sein zunächst verwirrtes und schließlich immer aggressiveres Auftreten lässt bei den Zuschauern sämtliche Nackenhaare aufstellen!

Dont Breathe 14Ganz sicher gehört der maximal straffe und überraschend clevere „Don’t Breathe“ zu den besten Vertretern der neuen Genre-Welle. Richtig dumme Patzer werden weitgehend vermieden, das Timing ist immer auf den Punkt und vor allem die Gestaltung ist ein Augen- und Ohrenschmaus: Der Titel kommt nicht von ungefähr, denn der Antagonist kann aufgrund seines Handicaps auf ein besonders sensibles Hörorgan zurückgreifen, das ihn relativ treffsicher zu seinen Gegnern führt. Wie er, nehmen auch die Zuschauer jedes noch so unbedeutende Geräusch (Stichwort: Atmen) wahr. Außerdem verfügt er zweifellos über einen Heimvorteil, denn während die Einbrecher unbeholfen durch die Flure tappen, kennt der brutale Verteidiger jeden Winkel nur zu gut – und schaltet während einer intensiven Szene sogar den Strom ab, damit auch die Protagonisten ihres ersten Sinnes beraubt werden. Alvarez wendet in diesem und auch in anderen Momenten verschiedene Techniken an, um sein begrenztes Setting visuell stets spannend zu halten. Mal erinnern die Bilder von Pedro Luque an ein düsteres Comicbuch, mal wird auf Nachtsicht gestellt oder der Kameramann folgt den Figuren flexibel durch das Haus, damit das Publikum einen (fast) kompletten Überblick erhält.

Kurzum: „Don’t Breathe“ ist ein robuster Heist-Horror mit inszenatorischer Raffinesse und einer wohldosierten Portion Terror, der über seine gesamte Spielzeit an den Sitz zu fesseln vermag. Einige Kollegen klagten nach dem Screening, dass sie inhaltlich mehr erwartet hätten – für mich hätte das Ende ein wenig abgekürzt werden können. Aber zu meckern gibt es schließlich immer etwas. Die Hitchcock-Verweise aus einigen Publikationen sollte man allerdings besser ignorieren …


Trailer


Box-Office Deutschland: Suicide Squad gewinnt am schwachen Wochenende

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Box Office Deutschland Suicide Squad WE 2

Quelle: Insidekino

Ganz Deutschland erfreute sich vergangenes Wochenende am möglicherweise letzten heißen Sommer-Wochenende 2016 und das Letzte, das die meisten Bundesbürger im Sinn hatten, war es, ihre Zeit in dunklen Kinosälen zu verbringen. Das bekamen die Kinobesitzer schmerzlich zu spüren, denn die Gesamtbesucherzahl der Top 10 brach um 57% gegenüber der Vorwoche ein und erreichte nur knapp mehr als 600,000. Gegenüber dem Vorjahr ging es um 5% runter. Nur an einem einzigen anderen Wochenende dieses Jahr (während der Europameisterschaft) waren die Kinos in Deutschland noch schwächer besucht. Die meisten Filme, insbesondere diejenigen mit Familien als Zielpublikum, fielen um 65% oder mehr. Eine Rolle spielte dabei natürlich auch die Konkurrenz. Obwohl keiner der fünf breiten Neustarts wirklich überzeugen konnte, liefen sie alle in mehr als 200 Kinos an und raubten vielen älteren Filmen Spielzeiten und Leinwände.

Suicide Squad hatte keine Schwierigkeiten, an seinem zweiten Wochenende den Spitzenplatz zu verteidigen. Mit einem Rückgang von 61% gegenüber seinem starken Startwochenende gelang der Comicverfilmung sogar einer der besseren Drops in den Charts, auch wenn es natürlich trotzdem ein sehr heftiger Einbruch der Besucherzahlen war. Etwa 195,000 weitere Tickets verkaufte Suicide Squad an seinem zweiten Wochenende und steht nach elf Tagen bei 953,000 Besuchern in Deutschland. Damit liegt der Film 11% hinter The First Avenger: Civil War und 16% hinter Batman v Superman: Dawn of Justice im selben Zeitraum. Wie weit der Film in Deutschland noch kommen wird, wird natürlich davon abhängen, ob das Wetter in den nächsten Wochen mitspielt, doch immerhin muss Suicide Squad noch mehrere Wochen lang keine nennenswerte Blockbuster-Konkurrenz befürchten. Daher traue ich ihm weiterhin mindestens 1,5 Mio Besucher zu, mit Potenzial für mehr.

Der Animationshit Pets fiel an seinem fünften Wochenende um 67%, blieb jedoch auf Rang 2 und brachte seine vorläufige Gesamtbesucherzahl auf fantastische 2,885,000. Damit ist Pets an Deadpool und The Revenant – Der Rückkehrer vorbeigezogen und belegt jetzt nach Zoomania Platz 2 unter den besucherstärksten Filmen 2016 in Deutschland. Der steile Drop aufgrund des Sommerwetters verpasste den Chancen des Films auf 4 Mio Besucher natürlich einen deutlichen Dämpfer, doch wenn das Wetter wieder kinofreundlicher werden sollte, könnte Pets die Marke dennoch packen, denn vor Findet Dorie Ende September kommt keine direkte Konkurrenz auf ihn zu.

Auch Platz 3 der Wochenendcharts blieb unverändert und wurde wieder von Jason Bourne belegt. Der fünfte Film der Bourne-Reihe und vierte Beitrag mit Matt Damon gab um 65% nach und lockte weitere 60,000 in die deutschen Kinos. Insgesamt hat Jason Bourne 692,000 Zuschauer nach 18 Tagen eingesammelt und steuert auf mindestens 900,000 Besucher zu. Auch eine Million würde ich nicht ausschließen. Damit wäre Jason Bourne zwar immer noch der besucherschwächste Bourne-Film mit Damon, allerdings ist es auch der erste Teil der Reihe, der ab 16 Jahren freigegeben wurde.

Die Unfassbaren 2 belegte zum Start mit 55,000 Besuchern von 410 Kinos Rang 4 und erzielte einen schwachen Schnitt von nur 133 Zuschauern pro Kino. Es sieht nicht so aus, als seien die Zuschauer in Deutschland sonderlich heiß auf ein Sequel gewesen. Einschließlich der Sneaks und Previews erreichte Die Unfassbaren 2 93,000 Besucher mit Sonntag – 35% weniger als sein Vorgänger zum Start vor drei Jahren. Bereits der erste Film war in Deutschland, im Gegensatz zu den USA und vielen anderen Ländern, kein Überflieger an den Kinokassen und kam auf insgesamt nur knapp mehr als eine halbe Million Zuschauer. Der Nachfolger wird wohl nicht mehr als eine Viertelmillion erreichen.

Platz 5 ging an Mechanic: Resurrection mit Jason Statham, der mit 51,000 Besuchern von 270 Kinos immerhin einen soliden Schnitt schrieb (187 Zuschauer pro Spielstätte), jedoch auch deutlich hinter dem ersten Teil startete, der 2011 mit 90,000 Besuchern (inkl. Sneaks und Previews) aus den Startlöchern kam. Genau genommen ist es sogar einer der schwächsten Starts überhaupt für Jason Statham in Deutschland. Insgesamt wird Mechanic 2 vermutlich nicht einmal 200,000 Besucher erreichen.

Ähnlich schwach schnitt auch der Haithriller The Shallows mit Blake Lively ab, der hierzulande nicht seinen Erfolg aus den USA replizieren konnte und mit 44,000 Besuchern von 283 Kinos (71,000 einschließlich Sneaks und Previews) auf Platz 6 landete. Mehr als 250,000 Tickets wird The Shallows auch nicht verkaufen.

Ein weiterer Newcomer platzierte sich auf Rang 7. Obwohl Elliot, der Drache mit 541 Kinos breiter gestartet wurde als alle anderen neuen Filme, reichte es lediglich für 35,000 Besucher. Mit kinofreundlicherem Wetter wird sich der Familienfilm zwar noch erholen, aber mehr als 200,000 Besucher erwarte ich dennoch nicht.

Fast genau so peinlich war der Start von Mother’s Day – Liebe ist kein Kinderspiel. Der finale Film des Pretty-Woman-Regisseurs Garry Marshall lief außerhalb der Top 10 mit 17,000 Besuchern von nur 241 Kinos am regulären Wochenende an (50,000 Zuschauer einschließlich der Sneaks und Previews) und erreichte lediglich einen Schnitt von 70 Zuschauern pro Kino. Da hat auch das namhafte Ensemble aus Julia Roberts, Jennifer Aniston und Kate Hudson nicht geholfen. Mother’s Day wird mit maximal 100,000 Besuchern aus den deutschen Kinos verschwinden.

Star Trek Beyond musste sich nach sechs Wochen aus der Top 10 verabschieden, erreichte aber immerhin insgesamt schon 1,25 Mio Besucher und ist jetzt nur noch knapp 30,000 Tickets davon entfernt, Star Trek von 2009 zu übertreffen.

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