Rechts: Doctor Strange © 2016 Walt Disney Pictures
Links: Trolls © 2016 20th Century Fox
Quelle: Boxofficemojo
Die Dürre an den US-Kinokassen ist endlich vorüber. Seit Suicide Squad vor drei Monaten angelaufen ist, hat kein einziger Film es geschafft, sogar $150 Mio in den USA und Kanada einzuspielen und Clint Eastwoods Sully nahm als einziger mehr als $100 Mio ein. Vergangenes Wochenende sind gleich zwei Filme gestartet, die aller Wahrscheinlichkeit nach beide jeweils mehr als $150 Mio in die nordamerikanischen Kinokassen spülen werden. Die drei breiten Neueinsteiger in die Charts, die problemlos die vordersten drei Plätze der Kinocharts für sich beanspruchten, waren für etwa 80% der Gesamteinnahmen der Top 12 verantwortlich und haben dem Box-Office die lange überfällige Adrenalinspritze verpasst. Insgesamt legte die Top 12 um 135% (!) gegenüber dem vorigen Wochenende zu und erwirtschaftete $183 Mio. Es war das umsatzstärkste Wochenende an den nordamerikanischen Kinocharts seit dem ersten August-Wochenende. Verglichen mit dem gleichen Wochenende im Vorjahr, als Spectre auf Platz 1 eröffnete, ging es um 21% hinauf.
Wie erwartet, hat Marvels Doctor Strange, der 14. Film aus dem ultraerfolgreichen Marvel Cinematic Universe den Spitzenplatz der nordamerikanischen Kinocharts souverän erobert. Von Freitag bis Sonntag spielte die Comicverfilmung grandiose $85,1 Mio von 3882 Kinos ein und erzielte einen Schnitt von $21911 pro Kino. Den Start des einzigen bisherigen November-Starts von Marvel, Thor – The Dark Kingdom ($85,7 Mio), verfehlte der Streifen um weniger als 1%. Es war das achtbeste Startwochenende des Jahres und das zehnbeste für einen Film aus dem Marvel-Universum von Disney. Das mag vielleicht auf den ersten Blick nicht so beeindruckend wirken, doch wenn man sich die Zahlen näher anschaut, wird deutlich, dass Doctor Strange für Marvel ein Box-Office-Triumph auf jeder Ebene ist.
Zunächst einmal war es der 14. Nummer-1-Start für den Comic-Riesen, womit die Erfolgssträhne ungebrochen bleibt. Doctor Strange gelang außerdem der drittbeste Start eines Disney/Marvel-Films, der kein Sequel ist. Die ersten Filme haben es in der Regel schwerer, weil sie die Charaktere erst etablieren müssen. Gerade eine im Mainstream weniger bekannte Figur wie Stephen Strange sollte es eigentlich nicht einfach haben, doch mittlerweile zieht Marvel als Marke mehr als die eigentlichen Charaktere. So ist auch zu erklären, wie Doctor Strange um 30% besser gestartet ist als der erste Thor ($65,7 Mio) und um 31% besser als Captain America: The First Avenger ($65,1 Mio). Außerdem liegt das Startwochenende satte 49% über dem Start von Ant-Man ($57,2 Mio) letzten Sommer. Dass mittlerweile auch Filme über die in der Popkultur deutlich weniger bekannten Charaktere als Captain America oder Thor locker einen Start über $80 Mio aus dem Ärmel schütteln können, spricht dafür, dass die Erfolgsformel des Studios besser funktioniert denn je und man sich keine Sorgen machen muss, dass die Einnahmen beträchtlich zurückgehen werden, wenn sich irgendwann die Stammspieler wie Robert Downey Jr. als Tony Stark oder Chris Evans als Captain America aus diesem Filmuniversum zurückziehen werden. Der Nachwuchs steht bereit und Doctor Strange hat ein sehr vielversprechendes Fundament für ein neues Franchise gelegt.
Für den Film kam natürlich auch der perfekte Sturm aus günstigen Umständen zusammen. Neben der bewährten Beliebtheit der Marke Marvel und den gewohnt positiven Rezensionen betrat Doctor Strange auch einen völlig leeren Markt, der schon lange nach einem großen Blockbuster mit Massen-Appeal an alle Zuschauerschichten durstete. Suicide Squad war tatsächlich der letzte solche Film und er liegt bereits drei Monate zurück. Seitdem wurden die US-Kinos mit Dramen und Thrillern für ältere Zuschauer überschwemmt, die sich im September und Oktober gegenseitig auffraßen, sodass keiner sein volles Potenzial entfalten konnte. Auch die Zuschauer von Doctor Strange waren zu 58% älter als 25, dennoch sprach der Film ein jüngeres Publikum deutlich mehr an als Sully, Die glorreichen Sieben oder The Accountant. Nicht geschadet hat sicherlich auch die beträchtliche Fangemeinde des britischen Hauptdarstellers Benedict Cumberbatch, der sich dank seiner Hauptrolle in BBCs "Sherlock" und seiner oscarnominierten Performance in Imitation Game mittlerweile auch in Nordamerika großer Beliebtheit erfreut.
Kommendes Wochenende hat Doctor Strange mehr oder wenige freie Fahrt an den Kinokassen, bevor er sich an seinem dritten Wochenende gegen Warners Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind zur Wehr setzen müssen wird. Sehr positive Mundpropaganda (die Zuschauer vergaben ihm im Schnitt einen "A"-CinemaScore, äquivalent einer "1") sollte die natürliche Frontlastigkeit des Comic-Films teilweise ausgleichen und dafür sorgen, dass er nicht wie ein Felsbrocken stürzen wird. Folgt Doctor Strange dem genauen Verlauf des zweiten Thor-Films, wird er etwa $205 Mio in Nordamerika erreichen. Da es sich hierbei jedoch nicht um eine Fortsetzung handelt (die für gewöhnlich frontlastiger sind), die Reaktionen der Zuschauer positiver ausgefallen sind und Phantastische Tierwesen auch geringere Konkurrenz darstellen wird als der mit $158 Mio gestartete Die Tribute von Panem – Catching Fire, der Thor – The Dark Kingdom an dessen drittem Wochenende das Leben schwer machte, wird Doctor Strange vermutlich $210-230 Mio in Nordamerika erreichen. Damit wird er zum ersten Film dieses Jahr, der in Nordamerika in den Umsatz-Bereich zwischen $200 Mio und $300 Mio fallen wird. Mit $165 Mio Produktionskosten trägt der Film auch eins der niedrigeren Budgets aus Marvels Kinouniversum.
Eine sehr starke Nummer 2 lieferte am Wochenende DreamWorks Animations' Trolls. Der auf der Puppenreihe der Zaubertrolle beruhende Film spielte $46,6 Mio von 4060 Kinos ein und schrieb einen Schnitt von $11473 pro Spielstätte. Wie Doctor Strange wurde auch Trolls mit einem "A"-CinemaScore von den Kinogängern bewertet, was für seine langfristigen Aussichten sehr vielversprechend ist. Der Start des Films liegt über denen von Bee Movie ($38 Mio), Die Peanuts – Der Film ($44,2 Mio) und Megamind ($46 Mio), die allesamt ebenfalls am ersten November-Wochenende angelaufen sind. Alle diese Filme hatten nach Animationsfilm-Maßstäben kein besonders tolles Durchhaltevermögen, doch Trolls macht den Anschein, ein großer Publikumsliebling zu sein und könnte es sogar schaffen, neben Disneys Vaiana, der am Thanksgiving-Wochenende anlaufen wird, erfolgreich zu co-existieren. Wenn Trolls den gleichen Multiplikator haben wird wie Die Peanuts, wird er $137 Mio erreichen, liegt er näher an Megamind, so sind knapp $150 Mio drin, und wenn er sich so gut hält wie Bee Movie, dann sogar $155 Mio. Man kann also guten Gewissens von einem Gesamteinspiel im Bereich von $150-160 Mio ausgehen – mit Potenzial für mehr. Bei einem Produktionsbudget von $125 Mo ist es ein sehr solides Ergebnis. Während Doctor Strange vom einem leeren Markt für Teenager und junge Erwachsene profitierte, wirkte es sich zu Gunsten von Trolls aus, dass es der erste große und für die Massen interessante Animationsfilm seit Pets im Juli war. Eigentlich sollte Warners Bros.' Störche – Abenteuer im Anflug diese Lücke im September füllen, doch der Film zündete nicht und das Familienpublikum sehnte sich geradezu nach einem neuen Hit. Dafür spricht auch, dass 52% der Zuschauer des Films am Startwochenende jünger waren als 25.
Obwohl er weit abgeschlagen auf Rang 3 landete, feierte auch Mel Gibsons Kriegsfilm Hacksaw Ridge – Die Entscheidung einen guten Einstand mit $15,2 Mio von 2886 Kinos (im Schnitt $5264 pro Kino). Das Startwochenende ist nahezu gleichauf mit dem von Gibsons letzter Regiearbeit Apocalypto ($15 Mio) vor zehn Jahren. Jedoch ist Hacksaw Ridge ein viel zugänglicherer Film, der sich auch trotz des Überangebots für sein Zielpublikum bei den älteren Zuschauern gut durchsetzen konnte. Etwa 88% der Besucher des Films waren über 25 und 47% sogar über 50. Gerade die letzteren, die für gewöhnlich zum kritischsten Segment unter den Kinogängern gehören, bewerteten den Film extrem positiv. Mit einem "A"-CinemaScore und starken Rezensionen gesegnet und als potenzieller Oscarkandidat positioniert, wird der $40 Mio teure Film eine lange Laufzeit in den Charts hinlegen. Da der kommende Freitag in den USA Veterans Day ist, kann man von einem ungewöhnlich guten Rückgang am zweiten Wochenende des Films rechnen. Insgesamt wird Hacksaw Ridge etwa $50-60 Mio in den USA und in Kanada erreichen.
Auf Seite 2 verraten wir Euch, wie die älteren Filme in den Charts abgeschnitten haben, darunter The Accountant, Inferno, Girl on the Train, Suicide Squad und Jack Reacher: Kein Weg zurück.





Während Warner Bros. bei den DC-Comicadaptionen immer noch nach einer bewährten Erfolgsformel sucht, haben Marvel und Disney ihre schon längst raus: freier, aber dennoch respektvoller und im Geiste treuer Umgang mit den Comicvorlagen, makelbehaftete, aber letztlich grundsympathische Protagonisten, meist recht frische Gesichter in den Hauptrollen, namhafte Schauspielveterane und Charakterdarsteller in den Nebenrollen, spektakuläre Action, ein ordentlicher Schuss Humor, etwas Tragik und Drama, ohne jedoch zu sehr ins Düstere abzugleiten, und Verweise bzw. Referenzen zum restlichen Universum, ohne dass diese auf Kosten der Eigenständigkeit des jeweiligen Films gehen. Es gibt einen kleinen Spielraum zum Ausprobieren und Experimentieren, doch insgesamt wird eher auf Nummer sicher gespielt, im besten Wissen, was die Zuschauer gerne sehen wollen. Und genau das bekommen sie auch, weshalb das Studio einen Riesenhit nach dem anderen abliefert und Marvel als Marke bei vielen Kinogängern als Gütesiegel gesehen wird. Auf lange Sicht ist eigentlich niemand vor einem großen Ausrutscher sicher, doch Marvels neustes Abenteuer Doctor Strange ist definitiv keiner.
Der 14. Film im Marvel Cinematic Universe und der zweite Eintrag in Phase Drei des besagten Universums bedient sich ausgiebig der eingangs erwähnten Erfolgsformel und zeigt wieder einmal, dass sie immer noch bestens funktioniert. Vieles fühlt sich mittlerweile vertraut an, jedoch nicht auf eine redundante, sondern auf eine wohlig familiäre Art und Weise, denn man taucht immer wieder gerne in dieses magische Universum ein. Benedict Cumberbatch ist perfekt besetzt als arrogantes Genie, das nach einem einschneidenden Erlebnis seine Läuterung und Bestimmung findet. Das klingt stark nach Robert Downey Jr. im ersten Iron Man und die Parallelen sind natürlich da, doch Stephen Strange ist anders genug angelegt, sodass sich kein Déjà-Vu-Erlebnis einstellt. Frönte Tony Stark noch einem ausschweifenden Lebensstil und behandelte alle seine Mitmenschen von oben herab, beschränkt sich Stranges Arroganz hauptsächlich auf sein Expertisenfeld. Seine Emotionen und seine Menschlichkeit sind deshalb nicht so tief unter einer Schicht von Überheblichkeit vergraben und kommen in seiner Verzweiflung schnell zum Vorschein.
Doch es ist nicht die Geschichte, die ein wenig an eine erwachsene Version von Harry Potter erinnert, mit Ideen, die man sich bei Inception geliehen hat, die Doctor Strange zum besten irdischen Origins-Film des Marvel-Kinouniversums seit Iron Man macht. Es ist der psychedelische, visuelle Wirbelsturm, den Regisseur Scott Derrickson und sein Team von Effektespezialisten hier auf die Leinwand zaubert, der die Comicverfilmung zu einem unvergesslichen Kinoerlebnis macht und dem ersten MCU-Film, bei dem ich guten Gewissens die 3D-Fassung ans Herz legen kann. Hat man außerdem noch die Gelegenheit, den Film in einem IMAX-Kino zu sehen, sollte man diese auf jeden Fall nutzen, denn die trippigen Bilder, die hier heraufbeschworen werden, verleihen dem Film einen einzigartigen Look unter allen bisherigen Marvel-Streifen und sorgen für die bislang innovativsten Actionszenen des Comic-Universums. Diese wären vielleicht noch bahnbrechender, hätte man nicht Vergleichbares schon in Christopher Nolans Inception gesehen, doch die Maßstäbe der sich in Prismen auflösenden und drehenden Städte sorgen dennoch für einen Wow-Moment nach dem anderen. Was dem Film also vielleicht inhaltlich an Originalität fehlt, macht er in puncto Umsetzung mehrfach wieder wett. Die Wahl von Scott Derrickson als Regisseur stimmte mich im Vorfeld eher skeptisch, da ich nur einen seiner bisherigen Filme (Sinister) durchweg gelungen fand, doch er behauptet sich hier mit großer Bravour und hat auf jeden Fall eine Zukunft im großen Blockbusterkino. Gerade seine Wurzeln im Horrorkino kommen in einigen, wirklich abgefahrenen Szenen des Films überraschend deutlich zum Vorschein.
Die Marvel-Formel ist nicht ohne Schwachpunkte und zwei davon werden auch in Doctor Strange wieder deutlich. Zum einen ist da der gewohnt blasse Bösewicht, was, mit wenigen Ausnahmen, auch schon zum Markenzeichen der MCU-Filme geworden ist. Es liegt keineswegs an der Performance des "Hannibal"-Stars Mads Mikkelsen, doch in einem Film über unzählige Dimensionen ist der Charakter erschreckend eindimensional, nicht ausgereift und seine Überzeugungen zu wenig, nun ja, überzeugend. Das andere Manko ist Rachel McAdams’ weibliche Hauptfigur. Es ist schade, dass mit einer Darstellerin von McAdams’ Kaliber die Figur dennoch kaum über ein generisches ehemaliges (und künftiges) Love Interest hinausgeht. Deutlich besser schlägt sich Tilda Swinton, deren ätherische, beinahe androgyne Ausstrahlung, die stille, aber immense Macht, die dem Charakter innewohnt, sehr gut zum Ausdruck bringt. Eine sehr interessante Figur ist auch Chiwetel Ejiofors Mordo – in den Comics ein Erzfeind von Doctor Strange – dessen harte Prinzipien und schleichende Desillusionierung mit seiner Welt gekonnt die Samen für seinen künftigen, düsteren Werdegang säen. Zu erwähnen ist außerdem Benedict Wong als Wong, Wächter der mystischen Bibliothek, dessen Interaktionen mit Cumberbatch für einige der amüsantesten Momente des Films verantwortlich sind. Doch es ist letztlich kein Mensch, sondern der eigensinnige Umhang der Levitation, der in Doctor Strange allen heimlich die Show stiehlt und inmitten einer rasanten Actionszene für die heitersten Momente des Films sorgt.
Trotz des Zusatztitels Kein Weg zurück findet Tom Cruise als Lee Childs unfehlbarer Romanheld Jack Reacher seinen Weg zurück auf die Leinwände, doch seinem zweiten Auftritt fehlen der Elan, die Rasanz und die auf die Essenz reduzierte Inszenierung des Vorgängers. Bevor Jack Reacher im Januar 2013 das neue Kinojahr einläutete, waren die Erwartungen an den Actionthriller verhältnismäßig niedrig. Davon abgesehen, dass Tom Cruise nicht im Entferntesten der in den Romanen beschriebenen Physis des 1,96 m großen und über 100 Kilo schweren Reacher entsprach, wirkte der Film von seinem nichtssagenden Titel bis zu seiner faden Vermarktung wie ein Actionthriller von der Stange, den man normalerweise in der Videothek (damals gab es noch Videotheken!) unter den Neuerscheinungen von Steven Seagal oder Dolph Lundgren erwarten würde. Umso angenehmer war die spätere Überraschung, dass der so generisch aussehende Film sich als ein grundsolider, geerdeter und von Christopher McQuarrie sehr dicht inszenierter Actionthriller entpuppte. Hochwertige, aber nicht auf Spektakel zugeschnittene Actionfilme wie Jack Reacher sieht man heutzutage nur noch selten im Kino und der Film war eine erfrischende Abwechslung zu den Blockbustern, bei denen jede Actionsequenz die vorherige an Opulenz und Maßstab zu überbieten versucht. Zudem zeigte Cruise in der Rolle wieder einmal, weshalb er einst zum größten Star Hollywoods aufgestiegen ist. Alles, was seinem Reacher an äußerer Ähnlichkeit zur Romanfigur fehlte, machte er mit immenser, körperlicher Ausstrahlung wieder wett. Wenn Jack Reacher im Film gesagt hat, dass man sich lieber nicht mit ihm anlegen sollte, hat man es ihm sofort abgenommen.
Regisseur Edward Zwick, der die Zügel von McQuarrie übernahm, hat mit Filmen wie Last Samurai (auch mit Tom Cruise) und Blood Diamond mehr als ausreichend bewiesen, dass er sein Handwerk besteht und die in der Regel komplexen männlichen Hauptfiguren seiner Filme gut in Szene setzen kann. Seiner Regie bei Jack Reacher: Kein Weg sind keine groben Schnitzer vorzuwerfen. Sie ist solide, routiniert, entbehrt jedoch jeglichen individuellen Fingerabdrucks des Regisseurs. Vielleicht ist Jack Reacher als Figur einfach zu makellos und zu eintönig für seine Sensibilitäten, weshalb der Film der Figur quasi eine Familie wider Willen auf den Hals zwingt. Jedoch erweist sich gerade diese Entscheidung als fehlgeleitet, denn die zielgerichtete, brutale Effizienz des Einzelgängers Reacher machte einen Teil seiner Faszination im ersten Film aus. Durch die Bürde von Begleitern, nimmt man der Figur etwas von ihrem Biss. Das liegt nicht an den jeweiligen Darstellern. Als Frau, die sich ihr Leben lang in einer Männerwelt behaupten musste, ist Smulders’ Turner ein gutes Gegenstück zu Reacher und macht sich in den Actionszenen, die ihr in den Marvel-Filmen leider bislang verwehrt geblieben sind, sehr gut. Auch Danika Yarosh ("Heroes: Reborn") als aufmüpfige, unangepasste Teenagerin ist sympathisch. Doch der Film macht wenig aus den beiden Rollen, sodass sie letztlich nur davon ablenken, was man eigentlich sehen möchte: Jack Reacher, der die bösen Jungs aufmischt.
Abgerundet wird dieses mittelmäßige Erlebnis durch ein Drehbuch, das den Anschein erweckt, Mitte der Neunziger geschrieben worden zu sein. Von einem Film wie diesen erwartet man kein oscarreifes Drehbuch, aber wenn man die meisten Dialogzeilen der in Plattitüden und One-Linern sprechenden Charaktere immer wieder vorausahnen kann, bevor sie überhaupt ausgesprochen werden, dann merkt man, dass der Film drumherum einen einfach nicht genug in seinen Bann zieht, dass einem solche Mängel auffallen. Gleiches gilt auch für die zahlreichen, zum Teil gravierenden Logikbrüche. Viele der besten Blockbuster der letzten Jahre (wie
Fans von kompetenter Actionunterhaltung oder von Lee Childs Romanen (die für sich akzeptieren konnten, dass Cruise optisch der Vorlage nicht entspricht) sollten bei Jack Reacher: Kein Weg zurück dennoch auf ihre Kosten kommen. Es gibt zwar keine so einprägsamen Momente wie den Scharfschützenangriff aus der Eröffnungssequenz des ersten Films oder dessen rasante Autoverfolgungsjagd, doch die virtuos inszenierte Verfolgungsjagd durch die Halloween-Parade in New Orleans versprüht die Energie, die sich in dem Film sonst häufig vermissen lässt, und die Nahkampfszenen mit Tom Cruise haben die gleiche brutale Effizienz und Präzision wie im Vorgänger. Der stets zuverlässige Cruise ist der Rettungsring des Films. Er knurrt, rennt, springt, stürzt, teilt aus und steckt ein, was das Zeug hält, und seine sehr souveräne, subtil bedrohliche Ausstrahlung ("You are very intense", stellt seine Vielleicht-Filmtochter in einer Szene treffend fest) macht ihn wieder einmal zur überraschend perfekten Besetzung für Reacher. Es ist nur schade, dass Cruise als Produzent des Films für seine allererste Fortsetzung außerhalb der Mission: Impossible-Reihe einen so durchschnittlichen, anonymen Film abgenickt hat. Wenn Jack Reacher nach seinem zweiten Film keinen Weg mehr zurück in die Kinos findet, könnte ich damit gut leben. Auf die neue Mission von Ethan Hunt freue ich mich hingegen sehr.


Auf dem Sundance Filmfestival liefen die Menschen in Scharen aus dem Kino, da sie mit dem infantilen Humor von Swiss Army Man nichts anzufangen wussten. Dabei schafft es kaum ein Film wie dieser hier, seinen Witz so gekonnt mit einer jugendlich melancholischen Tragik zu verbinden. Aus der Albernheit des Fäkalhumors wird ein einzigartiges Erlebnis, eine Reise, die sich ungepflegt mit dem Außenseitertum junger Menschen und dem kindlichen Wunsch nach Anerkennung beschäftigt. Im Film verfolgen wir Hank (Paul Dano), der auf einer einsamen Insel gestrandet ist, und sich das Leben nehmen will, als plötzlich ein Körper namens Manny (Daniel Radcliffe) an den Strand gespült wird. Die vermeintliche Leiche wird für Hank zum Lebensretter und die beiden begeben sich auf eine Wanderung zurück in die Zivilisation.
Warum so viele Menschen glauben, nichts mit diesem Film anfangen zu können? Weil sie es ganz einfach nicht billigen wollen, dass ein Film, der furzt, spuckt und der Erektion einer Leiche folgt, den Anspruch hat Kunst zu sein. Doch auch aus Blödsinn kann Großes hervorgehen, wenn man richtig davon Gebrauch macht und den kurzsichtigen Zuschauer damit in die Irre führt. Swiss Army Man ist keine stumpfe Komödie, sondern ein Film, der ganz klar einen Menschen mit Behinderung in seinen Mittelpunkt rückt und sich an seiner Andersartigkeit erfreut. Hank reitet auf Manny, er trinkt aus ihm und er lässt sich von ihm den Weg zurück aus der Einsamkeit zeigen. Kurz: Er wird von Manny am Leben gehalten. Die schlichte Borniertheit, die dem Film aufgrund des Transports seiner Botschaft entgegenkommt, kann durchaus auch als Folge eines sozialen Experiments betrachtet werden. Warum kann man sich nicht auch an dieser Andersartigkeit erfreuen, anstatt sie blind verurteilen bzw. ignorieren zu wollen?
Denis Villeneuve kann toll inszenieren. Wenn – wie im Fall des Drogenkrieg-Thrillers
Durch ein Krebsleiden hat die Übersetzerin Dr. Louise Banks (Amy Adams) ihre junge Tochter verloren, und noch immer zerrt der Verlust an ihr. Bis zu dem Tag, an dem zwölf muschelförmige Gebilde über verschiedenen Regionen des Planeten erscheinen und eine offensichtlich extraterrestrische Spezies mit den Menschen zu kommunizieren versucht. Leider sind die Laute der Ankömmlinge mit keiner bekannten Sprache zu vergleichen, weshalb der Militär-Colonel Weber (Forest Whitaker) nun Louise und den Physiker Ian Donnelly (Jeremy Renner) um Hilfe bittet. Zusammen versuchen sie, eine Konversationsbasis zu schaffen und herauszufinden, was die krakenähnlichen Wesen auf der Erde suchen. Sind sie Freund oder Feind?
Nein, „Arrival“ ist ganz sicher nicht der erste Film, in dem die Frage aufgeworfen wird, wie die Menschheit im Fall einer Alien-Begegnung reagieren würde – nicht zuletzt Steven Spielberg hat die Situation bereits mehrfach durchgespielt. Umso bedauerlicher ist es, dass Villeneuve und Heisserer kaum Innovation oder Spannung aus dem Grundthema herauskitzeln können. Natürlich muss man kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Außerirdischen hier vor allem metaphorisch für das Andere und Unbekannte stehen. Insofern darf man wohl auch annehmen, dass den Regisseur an der dürftigen Story vor allem der recht aktuelle politische Subtext interessiert haben dürfte – denn letztlich geht es um Probleme der Verständigung (auch unter Menschen) und brennende Konflikte unter den Weltmächten. China und Russland bekommen ihr Fett weg, während Adams und Renner mit einer Tafel vor dem Abbott und Costello getauften Kraken-Duo hocken und sich bemühen, ihre Schrift mit den kryptischen Zeichen der Wesen in Zusammenhang zu bringen. Das Problem: Möglicherweise werden einzelne Worte falsch interpretiert und „Waffe“ bedeutet in der fremden Sprache schlicht „Werkzeug“.
Während der Film relativ zügig Fahrt aufnimmt und das erste Aufeinandertreffen der Hauptfiguren mit den wenig beeindruckend gestalteten Kreaturen nicht zu lange auf sich warten lässt, muss man leider feststellen, dass „Arrival“ nach einem intensiven Einstieg in das Flugobjekt ziemlich kraftlos auf der Stelle tritt und einen der vermeintliche Wettlauf gegen die Zeit (beziehungsweise gegen die kriegerischen Launen Chinas und Russlands) reichlich kalt lässt. Es wird gekritzelt und dechiffriert, gekritzelt und dechiffriert, mit dem Colonel und dem Agenten Halpern (Michael Stuhlbarg) gestritten und wieder gekritzelt und dechiffriert. Klingt spannend? Ist es nicht. Obendrauf gibt es massig Rückblenden, die Louise mit ihrer Tochter zeigen, und ein furchtbar bedeutungsschwangeres Ende, in dem Zukunft und Vergangenheit ineinanderfließen. Wie eine Klammer umschließt Max Richters Stück „On the Nature of Daylight“, das zuvor genial von Martin Scorsese in seinem Thriller „Shutter Island“ (2010) eingesetzt worden ist, das atmosphärisch bedrückende Werk. Die Bilder von Kameramann Bradford Young (







