Metropia, S/DK/N 2009 • 80 Min • Regie: Tarik Saleh • Drehbuch: Fredrik Edin, Tarik Saleh & Stig Larsson • Mit Originalstimmen von: Vincent Gallo, Juliette Lewis, Udo Kier, Stellan Skarsgård, Alexander Skarsgård • Kamera: Sesse Lind • Musik: Krister Linder • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Capelight Pictures • DVD-Start: 08.06.2012
Inhalt
Wir schreiben das 2024. Die Erdölreserven der Welt sind fast vollständig aufgebraucht. Von der einst blühenden europäischen Zivilisation sind nur noch verfallene, karge Betonwüsten übriggeblieben. Die weitestgehend verarmte Bevölkerung hat sich zum menschlichen Handelsgut für große Zeitarbeitsfirmen gemacht, die sie von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten weiterreichen. Nach dem Zusammenbruch der freien Wirtschaft und des Kapitalismus stehen wenige Monopolisten an der Spitze dieser schönen, neuen Welt. Eines der größten und mächtigsten Unternehmen dieser neuen Ordnung ist Trexx, dessen U-Bahn-System den kompletten Kontinent vernetzt. In dieser Welt lebt Roger (Vincent Gallo). Im zerstörten Stockholm fristet er sein tristes Dasein als Angestellter eines Call-Centers. Sein Job füllt ihn nicht aus; die Nächte kann er kaum durchschlafen, und auch die Beziehung zu seiner Freundin läuft schon lange nicht mehr befriedigend. Außerdem sitzt ihm sein Arbeitgeber im Nacken wegen seiner ständigen Unpünktlichkeit. Roger weigert sich nämlich standhaft, die U-Bahn zu nutzen, sondern fährt lieber mit dem Rad. Eine Absonderlichkeit, die ihn bereits zum Gesprächsthema seiner Kollegen gemacht hat. Rogers Angst vor der Metro rührt aber aus einem viel außergewöhnlicheren Grund her: Die Stimme in seinem Kopf, die ihm nachts den Schlaf raubt, nimmt in den dunklen, verdreckten Tunnel an Intensität und Häufigkeit zu. Doch als er eines Tages sein Fahrrad zerstört vorfindet, ist er gezwungen, in diese persönliche Hölle hinabzusteigen. Auf dem Weg zur Arbeit trifft er auf die geheimnisvolle Nina (Juliette Lewis), die ihn bald in einen Strudel aus Verschwörungen, Verrat und Korruption reißt.
Kritik
„Metropia“ ist, nach den Dokumentationen „Gitmo“ (2005) und „Sacrificio: Who Betrayed Che Guevara“ (2001, TV), der dritte Film unter der Regie des Schweden Tarik Saleh. Bereits 1990 machte er sich in seiner Heimat einen Namen als Graffiti-Künstler. Außerdem drehte er vor der Arbeit an „Metropia“ einige animierte Kurzfilme. Es überrascht angesichts dieser Vorgeschichte wenig, dass auch „Metropia“ vor seiner Veröffentlichung primär wegen seines markanten Stils von sich reden machte. Figuren mit überproportional großen Köpfen und verzerrten Gesichtszügen bevölkern diese Welt. Entstanden sind die Bilder fast ausschließlich mittels Adobe Photoshop und Adobe After Effects. Fotografien von realen Personen (allerdings nicht immer die prominenten Synchronsprecher) wurden verfremdet und dann animiert. In seinen besten Momenten vermittelt „Metropia“ dem Zuschauer dadurch das Gefühl, man würde direkt am Abgrund des Uncanny Valley wandeln. Jenes sonderbare Gefühl zwischen Vertrautheit und Distanz zu den Gestalten auf der Leinwand.
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Doch der an sich mutige Schritt zum abstrakten Stil bringt auch Nachteile: Technische Limitierungen sorgen dafür, dass die Mimik der Figuren wenig ausdrucksstark ist. Außerdem sind lediglich Profil- oder Frontal-Aufnahmen möglich. Und so viel Aufwand und Arbeit auch in die detaillierten Gesichtszüge gesteckt wurde, so wenig plastisch und lebendig wirken die dazugehörigen Körper der Figuren. Ganz abgesehen davon, dass Figuren, die einer bestimmten Ethnie zugeordnet werden sollen, wie alberne Karikaturen (besonders auffällig bei Menschen aus Nahost und Texas) wirken. Auch die Landschaften und Umgebungen sind bearbeitete Fotografien. In den Genuss von deren voller Pracht kommt allerdings nur, wer die Blu-Ray sein Eigen nennt. Das Bild der DVD ist viel zu dunkel, als dass man noch Konturen in den Umgebungen ausmachen könnte.
Aber selbst an dem aufwändigsten und unkonventionellsten Stil hat man sich einmal satt gesehen. Spätestens dann treten „Metropias“ teils eklatante Schwächen im Drehbuch zu Tage. Drei Schreiber sind für das Skript verantwortlich: Regisseur Saleh, Fredrik Erin und ein gewisser Stig Larsson (nein, nicht Stieg Larsson). Dementsprechend viele Ideen feuert „Metropia“ auch ab: Privatisierung von Wahrzeichen, Ländern und Städten, die Allgegenwart der (Massen)Medien, mediale Manipulation, Sensationsgier, Monopolisierung, Verlust des freien Willens, Selbstbestimmtheit, die Überwindung räumlicher Distanzen und der damit verbundene Verlust kultureller Identität sowie Einbüßen von zwischenmenschlichem Vertrauen und Potenz. Am Eiffelturm hängt Neonreklame eines Shampoo-Herstellers, und dem Besitzer einer Fast-Food-Kette gehört Texas. Orwell, Huxley und McLuhan geben sich hier alle irgendwie die Klinke in die Hand. Das führt aber auch dazu, dass keine der angebrochenen Ideen wirklich zu Ende gedacht wird. Alles bleibt sehr an der Oberfläche, und wirklich greifbar wird der Zukunftsentwurf von Saleh und seinem Team nie.
Ideen wie das Gehirnwäsche-Shampoo oder die Spielshow „Wer wird abgeschoben?“ mögen nett sein, werden aber nur in den Raum gestellt, ohne dass sich ein kohärentes Bild der Gesellschaft ergibt. Als reine (alp)traumhafte Erfahrung, losgelöst von narrativen Zwängen, funktioniert „Metropia“ allerdings auch nur eingeschränkt, da er dafür zu oft zu geerdet wirkt. Am schwersten wiegt aber, dass Hauptfigur Roger eine vollkommen uninteressante Figur ohne wirkliche Ambitionen und nachvollziehbares Eigenleben ist. Lethargisch, oft fast schon desinteressiert, schlurft er durch die Geschichte, die selten durch seine Entscheidungen oder Handlungen vorangetrieben wird. Er ist und bleibt der Spielball von Femme Fatale Nina, deren Motive und Ideale bis zuletzt diffus und undurchschaubar bleiben. Dieser fremdgesteuerte Eindruck, den Roger auf den Zuschauer ausübt, mag bis zu einem bestimmten Punkt sogar nachvollziehbar durch das Szenario bedingt sein, gegen Ende aber ist er das nicht mehr. Eigentlich müsste sogar das Gegenteil der Fall sein, geht es doch grundsätzlich um das Ausbrechen aus einem totalitären System und den freien Willen. Überhaupt lässt das Ende ratlos zurück. Wirkliche Veränderungen oder Entwicklungen gibt es nämlich keine. Nicht einmal bei Roger stellt sich eine nennenswerte, charakterliche Entwicklung ein. Zumindest keine, die notwendigerweise aus den vorangegangenen Ereignissen resultieren würde. „Metropia“ sieht sich daher mit einem der härtesten Vorwürfe konfrontiert, die man einem Film machen kann: Er erzählt fast nichts.
Fazit
Auch wenn Ambitionen und Aufwand, die in diesem Film stecken, oft erkennbar sind, bleibt am Ende kaum mehr als eine große Enttäuschung übrig. „Metropia“ ist ein Stückwerk aus guten, wenn auch nicht immer originellen Ideen und Ansätzen, welche sich nicht zu einem homogenen Ganzen verbinden wollen. Da hilft dann auch der durchaus interessante Animationsstil nicht mehr.
Metropia, S/DK/N 2009 • 80 Min • Regie: Tarik Saleh • Drehbuch: Fredrik Edin, Tarik Saleh & Stig Larsson • Mit Originalstimmen von: Vincent Gallo, Juliette Lewis, Udo Kier, Stellan Skarsgård, Alexander Skarsgård • Kamera: Sesse Lind • Musik: Krister Linder • FSK: ab...Metropia (2009)
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