
Wenn die diesjährigen Oscarnominierungen uns an eine Sache wieder erinnert haben, dann ist es, dass die Academy immer für eine Überraschung gut ist. Egal wie sicher man sich die eine oder andere Nominierung denkt – scheinbar weiß man einfach nichts. Natürlich kann man sich mithilfe diverser Vorboten der Oscars – der Kritikerpreise einerseits und (noch wichtiger) der Gewerkschaftspreise andererseits – das eine oder andere ableiten und so mit gewisser Wahrscheinlichkeit die Nominierten vorhersagen. Doch manchmal deuten alle Statistiken, alle Anzeichen und das Bauchgefühl in eine Richtung, die Academy zeigt uns aber eine andere.
Seit deutlich über einem Jahrzehnt verfolge ich nun eifrig die Oscars, von der Vorphase über die Nominierungen bis hin zu der Verleihung. Kaum gab es ein Jahr ohne Überraschungen. Manche bleiben dauerhaft in Erinnerung (L.A. Crash statt Brokeback Mountain als Bester Film, Marcia Gay Harden als Beste Nebendarstellerin 2000, Paul Giamatti nicht nominiert als Bester Hauptdarsteller 2004), andere Überraschungen vergisst man eher schnell. Dieses Jahr wird man sicherlich nicht bald vergessen, das Jahr, welches viele Regeln über Bord warf. War es die vorgeschobene Deadline bei den Oscars? Oder vielleicht eine gute Behind-the-Scenes Kampagne, von der man als Außenbetrachter nichts mitbekommen hat? Waren die Entscheidungen noch stärker als sonst politisch beeinflusst (die größten Leidtragenden sind zwei (modern)-politisch angehauchte Filme)? Oder ist es einfach ein Zufall, dass die Academy dieses Jahr so wenig mit allen anderen Preisverleihungen im Einklang steht.
Natürlich gilt das nicht für alle Kategorien und Nominierte. Viele Namen hat man erwartet und auch gehört. Lincoln und Life of Pi haben gut abgesahnt und zumindest die Bester-Film-Kategorie birgt nicht allzu viele Überraschungen. Doch diejenigen Überraschungsnominierungen und überraschende Auslassungen, die letztlich passierten, sind so markant, dass dies wohl insgesamt die überraschendsten Oscarnominierungen sind, die ich in meiner Zeit, in der ich die Oscar-Rennen mitverfolgt habe, erlebt habe.
Was waren also die größten Gewinner und Verlierer der Nominierungen?
Gewinner

Und hier hat Silver Linings das Unwahrscheinliche geschafft. Die Komödie von David O. Russell wurde für Besten Schnitt nominiert, als erste Komödie seit Wonder Boys 2000 und als erste für Besten Film nominierte Komödie seit Besser geht’s nicht von 1997. Doch das ist nicht alles. Silver Linings hat das Maximum von seinem Potenzial rausgeholt. Der Film wurde ebenfalls für Beste Regie nominiert, was David O. Russell seine zweite Regie-Nominierung bescherte. Dabei setzte er sich schockierenderweise gegen Ben Affleck, Quentin Tarantino, Kathryn Bigelow und Paul Thomas Anderson durch. Obendrauf hat der Film vier Schauspielnominierungen erhalten. Diejenigen für Bradley Cooper und Jennifer Lawrence in den Hauptrollen waren zu erwarten und auch bei Robert De Niro standen die Chancen gut. Doch der richtige Schocker war Jacki Weaver, die im Vorfeld für keinen Preis nominiert war und dann als Beste Nebendarstellerin reingerutscht ist. Auch wenn ich das Szenario in meiner Oscars-Vorschau durchaus als möglich ansah, hielt ich das nie für besonders wahrscheinlich. Damit wurde Silver Linings zum ersten Film seit 31 Jahren, der in allen vier Schauspielkategorien nominiert wurde und zum 14. überhaupt in der Academy-Geschichte. Nur zwei dieser 14 Filmen (einschließlich Silver Linings) waren Komödien. Somit kam der Film auf insgesamt unglaubliche acht Nominierungen. Seit Die Ehre der Prizzis 1985 hat keine Komödie mehr so viele Nominierungen erreicht. Das sind drei Nominierungen mehr als für Der Stadtneurotiker, drei mehr als für Sideways, vier mehr als für Juno und immerhin eine mehr als für Besser geht’s nicht. So stark ging seit Jahrzehnten keine Komödie mehr ins Rennen. Wenn ein Film Lincoln und seiner Übermacht die Stirn bieten kann, dann Silver Linings. Die Weinstein-Maschine ist perfekt geölt und läuft super.
2. Lincoln – Im Gegensatz zu Silver Linings, war das Ergebnis von Lincoln erwartet und wenig überraschend. Dennoch kann man nicht umhin, als den Film als einen Gewinner zu bezeichnen. Jetzt, da die Position von Argo und Zero Dark Thirty geschwächt ist, ist Lincolns Status als absoluter Favorit stärker denn je, auch wenn Silver Linings eine Wild Card bleibt. Faktisch spricht aber nun alles für Steven Spielbergs Film. Mit 12 Nominierungen hat der Film die meisten Oscar-Noms seit Der seltsame Fall von Benjamin Button eingeheimst und ist mit drei Schauspielnominierungen und vielen technischen Nominierungen insgesamt sehr gut aufgestellt. Lediglich die fehlende Nomonierung für das Beste Makeup verwundert ein bisschen. Ansonsten zeigten die Oscarnominierungen genau das, was man vermutet hat – Lincoln ist ein haushoher Favorit.

4. Liebe – Michael Haneke habe ich als Außenseitertipp bei meiner Oscars-Vorschau erwähnt, ebenso wie Emmanuelle Riva. Dennoch konnte ich mir kaum vorstellen, dass gar beide nominiert werden und dann der Film noch als Bester Film. Irgendwie hat sich das schon angebahnt. Der Streifen erhielt enorm viel Lob und wurde von der BAFTA ebenfalls für Beste Regie nominiert. Dennoch ist es ein beachtlicher Erfolg. Liebe wurde zum ersten fremdsprachigen Film, der als Bester Film für den Oscar nominiert wurde seit Tiger and Dragon. Dazu wude er mit fünf Nominierungen für die meisten Oscars für einen fremdsprachigen Film nominiert seit Pans Labyrinth 2006. Emmanuelle Riva wurde mit 85 Jahren zur ältesten Person, die je für einen Schauspieloscar nominiert wurde, was für einen ganz schönen Kontrast zu Quvenzhané Wallis sorgt.
5. Skyfall – Zugegeben, Skyfall hat nicht wie gehofft in großen Kategorien punkten können. Trotz guter Vorzeichen, wude Javier Bardem für seine Darstellung im 23. Bond-Abenteuer leider von der Academy ignoriert. Dennoch verdient der Film an dieser Stelle eie Erwähnung. Zum ersten Mal seit 30 Jahren wurde ein Bond-Film für einen Oscar nominiert. Mit seinen fünf Nominierungen kann Skyfall auch mehr Nominierungen vorweisen als je ein anderer James Bond zuvor. Um genau zu sein, wurden die vorangegangenen 22 Filme für insgesamt sieben Oscars nominiert. Ich würde auch behaupten, die Chancen stehen gut für Skyfall, den einen oder anderen Oscar mit nach Hause zu nehmen. Seit Feuerball vor 47 Jahren hat kein Bond-Film einen Oscar gewonnen.
Verlierer

2. Ben Affleck – Hier ist tatsächlich explizit Ben Affleck und seine Arbeit an Argo gemeint und nicht der Flm selbst. Argo hat ansonsten bei den Oscars den Erwartungen entsprechend abgeschniten und gar zwei unerwartete Ton-Nominierungn ergattert. Mit sieben Nominierungen ist es weiterhin ein starker Kandidat. Genau das macht die fehlende Nominierung für Affleck noch rätselhafter als die für Bigelow. Auch er wurde von der BAFTA, der DGA, den Golden Globes und der BFCA nominiert. Außerdem mag die Academy in der Regel Schauspieler, die selbst Regie führen. Ferner gab es um Argo keine Skandale wie bei Zero Dark Thirty und im Gegensatz zu jenem Film hat Argo ansonsten super abgeschnitten bei der Nominierungsvergabe. Dass Affleck nicht nominiert wurde, macht schlicht und ergreifend keinen Sinn, doch so ist es manchmal eben mit den Oscars.
3. The Dark Knight Rises – Nun gehört The Dark Knight Rises immerhin ein Rekord. Mit über $448 Mio-Einspiel ist es der in Nordamerika erfolgreichste Film aller Zeiten, der für keinen einzigen Oscar nominiert wurde. Damit schlug er den bisherigen Rekordhalter Spider-Man 3 um mehr als $100 Mio. Dass der Film nicht an die acht Nominierungen von The Dark Knight herankommen würde, war im Vorfeld klar. Aber dass er nicht wenigstens eine Ton-, Kamera- oder Effekte-Nominierung holen konnte, war schon schockierend. Sogar Batman Begins wurde für einen Oscar nominiert. Schade für den Abschluss der Batman-Sage.
4. Französische Filme – Hier mag sich der eine oder andere wundern angesichts der Nominierung für Liebe (der schließlich in französischer Sprache gedreht wurde, in Paris spielt und mit französischen Schauspielern besetzt ist). Doch Liebe ist offiziell ein österreichischer Film. Frankreich hatte aber selbst zwei starke Kandidaten im Rennen. Zunächst war das Ziemlich beste Feunde, der zum weltweitem Phänomen avancierte und auch in Nordamerika außerordentlich gut lief. Der Film war ein heißer Kandidat auf eine Nominierung als Bester fremdsprachiger Film und kam gar in die Vorauswahl von neun Filmen. Doch aus einer Nominierung wurde nichts. Marion Cotillard war mit Der Geschmack von Rost und Knochen als Hauptdarstellerin eine starke Kandidatin (SAG-, BFCA-, Golden-Globe– und BAFTA-Nominierungen), doch meine in der Oscars-Vorschau geäußerte Vemutung bestätigte sich und die Academy war wohl nicht bereit, zwei fremdsprachige Performances zu nominieren. Ich dachte Riva würde daruner leider, doch es war schließlich Cotillard.
5. Moonrise Kingdom – Der Film von Wes Anderson galt als erster ernsthafter Oscar-Kandidat von 2012. Von den Kritikern und dem Publikum gut empfangen, war er kommerzieller Hit und Andersons am meisten umjubelter Film seit Die Royal Tenenbaums. Schnell wurde der Film zu einem der Favoriten in der Originaldrehbuch-Kategorie. Auch Nominierungen für die Filmmusik, die Ausstattung und vor allem den Film selbst standen im Raum. Schlussendlich konnte Moonrise Kingdom aber nur eine einzige Nominierung vebuchen – die für sein Drehbuch.
Weitere interessante Infos:
– Roger Deakins, zweifelsohne einer der besten Kameramänner unserer Zeit, wurde mit Skyfall zum zehnten Mal in seiner Karriere nominiert. Gewonnen hat er aber noch nie. Ob ausgerechnet der Bond-Film ihm Glück bringen wird?
– Life of Pi -Schiffbruch mit Tiger ist neben Die Rückkehr des Königs, der Film mit den meisten Oscarnominierungen (11), ohne eine einzige Schauspielnominierung. Nur 11 Filme in 84 Jahren haben den Oscar für Besten Film gewonnen, ohne eine Schauspielnominierung.
– Robert de Niro wurde mit Silver Linings zum 7. Mal für einen Oscar nominiert. Nur 17 weitere Schauspielerinnen und Schauspieler haben so viele Nominierungen im Laufe ihre Karrieren erreicht.
– Der Filmkomponist John Williams erhielt für Lincoln seine 48. Oscarnominierung. Nur Walt Disney wurde häufiger für den OscarS nominiert (59)
– Jeder der nominierten Schauspieler in der Kategorie Bester Nebendarsteller hat bereits einen Oscar gewonnen
– Nur 14 der oscarnominierten Schauspielerinnen und Schauspieler wuEden auch von der Screen Actors Guild nominiert. Selten ist die Passung so schlecht gewesen zwischen den beiden.
– Amy Adams erhielt für The Master ihre vierte Oscarnominierung – alle warne in der Kategorie Beste Nebendarstellerin, und zwar zwischen 2006 und 2012. Lediglich 2007, 2009 und 2011 war sie nicht nominiert in diesem Zeitraum. Gerade Jahren bingen ihr wohl Glück!








