Einer der kreativsten und experimentierfreudigsten Filmemacher Hollywoods ist gestern leider von uns gegangen. David Lynch, der vierfach oscarnominierte Regisseur von Der Elefantenmensch, Blue Velvet, Wild at Heart und Mulholland Drive sowie Schöpfer der wegweisenden Mysteryserie "Twin Peaks", ist im Alter von 78 gestorben. Das teilte seine Familie über Facebook mit. Kommenden Montag wäre er 79 geworden.
Die konkrete Todesursache wurde nicht bekanntgegeben, Lynch litt an einem Lungenemphysem, das sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert hat. Die wahrscheinliche Ursache dafür war Lynchs Leben als Kettenraucher. Er hat mit 8 bereits seine erste Zigarette geraucht und erst mit 76 aufgehört, zwei Jahre nach seiner Emphysem-Diagnose, als ihm klar wurde, dass er ansonsten keine weitere Woche überleben würde. Im letzten Jahr seines Lebens konnte er sein Haus nicht mehr verlassen und war auf Sauerstoff aus der Flasche angewiesen. An den Ruhestand wollte er dennoch nicht denken und war bereit, im Zweifel künftige Projekte aus der Entfernung anzuleiten. Dazu ist es leider nicht gekommen. Vor wenigen Tagen wurde Lynch wegen der Brände in Los Angeles aus seinem Haus evakuiert, danach verschlechterte sich sein Zustand jedoch rapide und er verstarb gestern.
Lynchs großes Interesse an der Kunst führte ihn zunächst zur Pennsylvania Academy of Fine Arts. Dort fand er schnell heraus, dass sein besonderes Interesse bewegten Bildern galt. Seine Vorliebe fürs Surreale materialisierte sich bereits früh in seinen Kurzfilmen, die ihm schließlich ein Stipendium des American Film Institute eingebracht haben. Während seines Filmstudiums am Center for Advanced Filmstudies des American Film Institute arbeitete Lynch die Idee zu seinem ersten Spielfilm heraus: Eraserhead. Die Dreharbeiten zum schwarzweißen Kultfilm, der den Grundstein für Lynchs Karriere als Filmemacher legte, begannen 1972, wurden jedoch aufgrund begrenzter Mittel und Zeit erst 1976 abgeschlossen. Eraserhead feierte 1977 beim Los Angeles Film Festival Filmex seine Weltpremiere, bei der nur 25 Menschen zugegen waren. Doch der Film entpuppte sich als Langläufer und wurde in mehreren US-amerikanischen Großstädten in Mitternachts-Vorstellungen monate- oder gar jahrelang gezeigt.
Lynchs Hollywood-Durchbruch kam 1980 mit seinem zweiten Film Der Elefantenmensch (OT: The Elephant Man), der die tragische, wahre Geschichte des Joseph Merrick, der im 19. Jahrhundert lebte und wegen seiner zahlreichen körperlichen Missbildungen auf Jahrmärkten vorgeführt wurde, erzählt hat. Der mit Anthony Hopkins und John Hurt besetzte Film war nach Lynchs Maßstäben verhältnismäßig sehr zugänglich und wurde vermutlich deshalb auch zu seiner einzigen Regiearbeit, die für den "Bester Film"-Oscar nominiert wurde. Der Film wurde für sieben weitere Oscars nominiert, darunter für Lynchs Regie und seine Arbeit am Drehbuch. Leider ging er komplett leer aus. Auch keine seiner vier Golden-Globe-Nominierungen konnte Der Elefantenmensch in Siege verwandeln.
Dennoch ebnete der kommerzielle und Kritikererfolg des Films Lynchs Weg zu seinem größten wohl aber auch schwierigstem Film – der Verfilmung von Frank Herberts Science-Fiction-Klassiker "Der Wüstenplanet". Lynchs Dune sollte auf der Erfolgswelle von Star Wars reiten, als er 1984 in die Kinos kam, doch der Film war zu schräg für das Mainstream-Publikum, zu weit entfernt von der Vorlage für die Fans des Romans, entsprach aber auch nicht Lynchs eigener Vision. Es ist der einzige seiner zehn Filme, den er bereut hat und sich nie wieder anschauen wollte.
Lynchs vierter Film Blue Velvet brachte ihm seine zweite Oscarnominierung als Regisseur sowie eine Golden-Globe-Nominierung als Drehbuchautor ein. Abermals ging er leer aus. Seine erste große Auszeichnung hat Lynch erst 1990 für Wild at Heart erhalten: Das Roadmovie mit Nicolas Cage und Laura Dern wurde mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet.
Im selben Jahr ging Lynchs erste TV-Serie an den Start, mit der er Fernsehgeschichte schrieb und die für viele das bezeichnendste seiner Werke ist: Gemeinsam mit Mark Frost hat er "Twin Peaks" erschaffen, eine Mysteryserie, die ihrer Zeit voraus war und zu einer der einflussreichsten Fernsehserien der Moderne wurde. Ohne "Twin Peaks" hätten wir "Akte X" oder "Lost" vielleicht nie gesehen. Die erste "Twin Peaks"-Staffel hat drei Golden Globes gewonnen, darunter als "Beste Dramaserie", und wurde für 14 Emmys nominiert von denen sie zwei in technischen Kategorien gewonnen hat. Nach der Auflösung der Frage nach dem Mörder von Laura Palmer in der zweiten Staffel und den zunehmend surrealeren Elementen der Serie sind die Einschaltquoten jedoch eingebrochen und die Serie wurde 1991 abgesetzt. Im darauffolgenden Jahr kam Lynchs Prequel Twin Peaks: Fire Walk with Me in die Kinos, der die Fangemeinde jedoch weiter polarisiert in erst mit der Zeit an Wertschätzung gewonnen hat.
"Twin Peaks" kehrte 2017 überraschend mit einer deutlich komplexeren und weit surrealeren dritten Staffel zurück, die insgesamt sehr positiv aufgenommen wurde. Auf eine weitere Season haben die Fans vergeblich gehofft. Von Lynchs weiteren Serien wie "On the Air – Voll auf Sendung" und "Hotel Room" habt Ihr vermutlich noch nie gehört. Das liegt daran, dass sie nach nur wenigen Episoden abgesetzt wurden.
In den Neunzigern drehte Lynch zwei weitere Filme. Auf den trippy Mindfuck Lost Highway folgte das erstaunlich gradlinige Drama Eine wahre Geschichte – The Straight Story, das für mich zu seinen besten Filmen zählt.
Lynchs neunter Film Mulholland Drive sollte eigentlich der Pilotfilm zu einer neuen Serie werden. Als diese jedoch kein grünes Licht erhalten hat, hat Lynch den Piloten kurzerhand zu einem Kinofilm umgearbeitet und wurde mit seiner dritten Regie-Oscarnominierung sowie Golden-Globe-Nominierungen für die Regie und den Film belohnt.
Lynchs finaler Film, Inland Empire, kam 2006 in die Kinos und gilt als eins seiner unzugänglichsten Werke. Danach hatte er Ideen für weitere Projekte, hatte jedoch Schwierigkeiten, bereitwillige Geldgeber für sie aufzutreiben.
Im Kino war Lynch 2022 in Steven Spielbergs semi-autobiografischem Film Die Fabelmans zu sehen, in dem er in einer kurzen Szene die Regielegende John Ford verkörpert hat. Lynch lehnte Spielbergs Wunsch, ihn als Ford zu besetzen, zunächst ab, wurde jedoch von seiner Muse Laura Dern dazu überredet und stellte sich als Idealbesetzung heraus. Hier könnt Ihr seine Szene in dem Film sehen.
Auch wenn er nie einen Oscar als Regisseur oder Drehbuchautor gewonnen hat, wurde Lynch 2019 mit dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Neben seinen Talenten als Filmemacher war Lynch auch ein begabter Musiker, Maler und Zeichner, dessen Werke rund um die Welt ausgestellt wurden. Privat war er außerdem ein Anhänger der Transzendentalen Meditation, einer spirituellen Bewegung aus Indien. Um ihre Verbreitung zu fördern, gründete er die David Lynch Foundation. In ihrem Namen wollte er in Berlin die "Universität für ein unbesiegbares Deutschland" bauen lassen, eine Baugenehmigung wurde ihm jedoch nicht erteilt. Ob es am denkbar unglücklich gewählten Namen der Einrichtung lag, sei dahingestellt.
Nicht viele Celebrity-Tode haben mich in letzter Zeit so bewegt, wie der von Lynch, und das nicht nur, weil ich den Geburtstag mit ihm teile (uns trennen exakt 40 Jahre). Ich mag nicht alles geliebt haben, was er gedreht hat (mit dem Twin-Peaks-Film kann ich immer noch wenig anfangen), doch die Filmwelt hat mit seinem Tod einen der kreativsten Freidenker verloren, den Hollywood je eigen nennen durfte.
Quelle: David Lynch Facebook