Crawl, USA 2019 • 88 Min • Regie: Alexandre Aja • Mit: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Ross Anderson • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 22.08.2019 • Deutsche Website
Handlung
Haley (Kaya Scodelario) ist eine Studentin und Hochleistungsschwimmerin an der Universität von Florida, die sich Sorgen um ihr Stipendium macht, nachdem sie bei einem Schwimmwettbewerb eine knappe Niederlage erlitten hat. Dazu gesellt sich die Sorge um ihren frisch geschiedenen Vater Dave (Barry Pepper), der auf Anrufe nicht reagiert, während sich in Florida ein Hurrikan der Kategorie 5 anbahnt. Also setzt sich Haley kurzerhand ins Auto und fährt trotz eindringlicher Warnungen der Bundespolizei dem Hurrikan entgegen, in ihr Heimatnest Coral Lake. Im dunklen, schlammigen Kriechkeller ihres alten Familienhauses findet sie ihren Vater verletzt und bewusstlos vor. Die beiden sind nicht alleine. Mehrere gefräßige Alligatoren haben den Keller zu ihrem Jagdrevier gemacht und Dave bereits übel zugerichtet. Mit knapper Not kann Haley ihren Vater und sich in Sicherheit bringen, wobei lediglich Heizungsrohre sie von den schuppigen Monstern trennen. Doch der Schutz ist nicht von Dauer. Der Hurrikan nimmt an Intensität zu, der Wasserpegel steigt stetig und immer mehr Alligatoren strömen ins Haus. Ein verzweifelter Überlebenskampf beginnt.
Kritik
Für viele Einwohner Floridas gehören Alligatoren zum Alltag. Mehr als eine Million Reptilien mit vielen Zähnen leben aktuell im US-Bundestaat. Neben ihren üblichen Lebensräumen findet man sie regelmäßig in Parks, an Golfplätzen oder sogar in privaten Pools. Auch bei meinem mehrwöchigen Florida-Aufenthalt vor einigen Jahren wurde ich Zeuge von ihrer Allgegenwärtigkeit. Wirkt ein Alligator am Straßenrand anfangs noch faszinierend, exotisch bis furchteinflößend, gewöhnt man sich schnell daran. Es ist eine Co-Existenz, mit der sich alle Parteien mehr oder weniger arrangiert haben. Fast 9000 Alligatoren mussten vergangenes Jahr in Florida als Störenfriede eingefangen oder entfernt werden. Tödliche Angriffe sind jedoch äußerst selten. Keine zehn Menschen fielen seit 2010 einem Alligator zum Opfer. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz tödlich getroffen zu werden, ist in Florida höher, als zum Alligator-Snack zu werden.

Trotz dieser oberflächlichen Gemeinsamkeit und der Tatsache, dass sie jeweils auf ihre Weise zu den besten Tierhorrorfilmen der letzten zehn Jahre gehören, sind beide Filme grundverschieden. Piranha 3D war eine ausgelassene, absurde Splatter-Partygranate, die ihre willkürlichen Nacktszenen, derben Humor und Over-the-Top-Gewalt auskostete. Crawl ist hingegen ein straffer, schnörkelloser, spannungsgeladener und bierernster Survival-Horrorfilm. Auf Gags wird hier weitestgehend verzichtet; augenzwinkernd wird es erst, wenn "See You Later, Alligator" im Abspann spielt. Seine Gewaltspitzen setzt der Film dezent, dann aber wirkungsvoll ein, und bleibt dabei relativ bodenständig. Jedenfalls so bodenständig, wie ein Film sein kann, in dem Alligatoren eine junge Frau durch ein überflutetes Haus jagen. Das klingt vielleicht ein wenig bescheuert, aber wenn schon ein Film es geschafft hat, Haie im Supermarkt halbwegs glaubhaft auf Jagd gehen zu lassen, wirken Alligatoren in einem Haus dagegen wie eine Doku.

Crawl ist ein sehr simpler Film mit einer schlichten Zielsetzung: die Zuschauer erschrecken und vor Spannung schwitzen lassen. Ein Haus, zwei Leute, viele Alligatoren und ein apokalyptischer Hurrikan. Das sind die Zutaten, die Alexandre Aja zu einem unraffinierten, aber sehr zufriedenstellendem Cocktail vermischt. In der Hand eines weniger talentierten Filmemachers hätte der Film vielleicht seinen Blick fürs Wesentliche verloren oder wäre aufgrund seines räumlich eingegrenzten Settings redundant geworden. Nicht so bei Aja. Mit nur 24 drehte er High Tension, trug zur französischen Horrorwelle der 2000er bei und sorgte weltweit für Aufsehen unter Genrefans. The Hills Have Eyes, Mirrors und Piranha 3D machten ihn zum heißesten Hollywood-Export für Horror-Remakes. Crawl ist nicht sein bester Film, doch auch er zeugt von Ajas gutem Gespür für die Interaktion von Setting, Atmosphäre und Spannung. Obwohl nahezu der gesamte Film innerhalb eines Hauses spielt, findet Aja immer wieder kreative Wege, seine Protagonisten, allen voran Kaya Scodelario als Haley, in neue gefährliche Situationen zu bringen. Er verschafft den Zuschauern einen guten Eindruck von der räumlichen Umgebung und trickst nicht mit hektischen Schnitten oder schwacher Beleuchtung. Man sieht immer klar, was passiert; jede Szene ist sorgfältig choreografiert und mit maximaler Effizienz umgesetzt.

Die Kenner von Ajas früheren Filmen wissen, dass der Filmemacher weder dafür bekannt ist, zimperlich mit seinen Charakteren umzugehen noch eine Abneigung gegen Gewaltdarstellungen hat. Auch wenn Crawl in dieser Hinsicht etwas zahmer daherkommt, gibt es darin immer wieder Momente, die einen daran erinnern, wer hier hinter der Kamera saß. Wer also fand, dass es in Tierhorrorfilmen wie The Shallows oder MEG mehr ans Eingemachte hätte gehen sollen, wird bei Crawl seine Freude haben. Es ist kein zügelloses Blutbad á la Piranha 3D, doch es schauen genug Kanonenfutter-Charaktere zwischendrin vorbei, um den Zuschauern ganz genau zu zeigen, was Alligatoren mit dem menschlichen Körper anstellen können. Insbesondere eine Szene, in der gleich mehrere Tiere ein unglückseliges Opfer angreifen, brennt sich ins Gedächtnis ein. Aber auch die beiden Hauptfiguren bekommen eine deftige Abreibung. Crawl ist keiner dieser Filme, in denen die Protagonistin mit einigen Alibi-Kratzern davonkommt. Das lässt die Bedrohung durch die bissigen Alligatoren unerbittlich und real wirken.


Fazit
Inmitten von großen effektgeladenen Sommer-Blockbustern ist Crawl erfrischend in seiner Schlichtheit und Gradlinigkeit. Dank dem vollen Einsatz der Hauptdarstellerin und einem Regisseur mit ausgeprägtem Gespür für Spannung und Szenengestaltung, unterhält er bestens während seiner kurzen Laufzeit. Es ist der beste Film mit tödlichen Reptilien in einem überfluteten Haus seit Jumanji.

