
Die Oscarnominierungen sind bekannt (hier findet Ihr alle auf einen Blick) und es ist Zeit, ein Fazit zu ziehen. Das machen wir, wie immer, indem wir uns den großen Gewinnern und Verlierern der diesjährigen Nominierungen zuwenden. Insgesamt lässt sich sagen, dass The Revenant, Spotlight, The Big Short und Mad Max: Fury Road sich allesamt ein Kopf-an-Kopf Rennen um den Status des Favoriten für die großen Preise liefern werden. Welcher die Nase vorne hat, wird sich in den nächsten Wochen mit der Bekanntgabe zahlreicher Industriepreise (wie der Produzentengewerkschaft oder der Regiegewerkschaft) zeigen.
Gewinner

Doch noch viel überraschender und geradezu schockierend ist die Nominierung für Lenny Abrahamson als "Bester Regisseur". Nicht nur, weil er Ridley Scott unerwartet ersetzte, sondern weil es im Vorfeld wirklich keinerlei Hinweise darauf gab, dass er überhaupt im Spiel war. Letztes Jahr wurde der Überraschungskandidat in der Kategorie, Bennett Miller, zuvor immerhin beim Filmfestival von Cannes für seine Regie von Foxcatcher ausgezeichnet und der Film war von der PGA nominiert. Abrahamson kann lediglich auf Nominierungen der kleinen Kritikergruppen von San Diego, Georgia, North Carolina und Houston zurückblicken. Er war nicht bei den Golden Globes nominiert, den BAFTAs, den DGA Awards, der BFCA oder sonst irgendwo. Der beste Vergleich ist hier vermutlich die Nominierung von Benh Zeitlin für Beasts of the Southern Wild vor drei Jahren, die ebenfalls aus dem Nichts kam und alle überraschte, indem Zeitlin sich gegen mächtige Favoriten wie Kathryn Bigelow und Ben Affleck durchsetzte. Dieses starke Abschneiden von Raum festigt die Chancen von Brie Larson, als "Beste Hauptdarstellerin" zu gewinnen, denn offenbar liebt die Academy den Film.


4. Mad Max: Fury Road – Zugegeben, alle zehn Nominierungen für Mad Max: Fury Road entsprachen den Erwartungen im Vorfeld, doch man kann nicht umhin, den Film jetzt schon als großen Sieger zu bezeichnen. Wer hätte vor einem Jahr noch gedacht, dass der vierte Teil der Mad-Max-Reihe, der mit einer schwierigen Produktion und Budgetproblemen zu kämpfen hatte, ein Film mit Nonstop-Action, Mutanten und ewig langen Verfolgungsjagden in aufgepimpten Fahrzeugen ein Kandidat in zehn Oscarkategorien sein würde, darunter als "Bester Film" und für "Beste Regie"?!
5. "Kleine" Animationsfilme – Die Animatoren-Branche der Academy unterlag nicht der Versuchung, animierte Blockbuster wie Minions oder Arlo & Spot zu nominieren, sondern entschied sich, mit der verdienten Ausnahme von Alles steht Kopf, ausschließlich für kleinere Werke abseits des großen Mainstreams. Der erfolgreichste nominierte Film in der Kategorie nach Alles steht Kopf, war Shaun das Schaf und auch dieser spielte keine $20 Mio in den USA ein, während Anomalisa, Boy and the World und Erinnerungen an Marnie wirklich außergewöhnliche Nominees sind – aber auch sehr verdiente. Insbesondere freut es mich, dass mit Erinnerungen an Marnie Ghiblis (vorerst) finaler Film und in meinen Auge auch deren bester seit über zehn Jahren eine Nominierung erhielt.
Verlierer

2. Aaron Sorkin – Dass Steve Jobs kein großer Anwärter im diesjährigen Oscar-Rennen sein würde, hat sich bereits früh abgezeichnet, als der Streifen im Herbst an den Kinokassen sang- und klanglos unterging und den Zeitgeist nicht so treffen konnte, wie seinerzeit The Social Network. Dass der Film also weder für seine Regie noch als Film nominiert werden würde, hat niemand erwartet. Doch drei Nominierungen schienen ganz sicher: für Michael Fassbender, Kate Winslet und Aaron Sorkins messerscharfes Drehbuch. Doch die Oscars sträubten sich gegen alle Trends und obwohl Sorkins Drehbuch lange Zeit als Nummer 2 im Rennen nach Adam McKays und Charles Randolphs Skript zu The Big Short zu liegen schien, blieb eine Nominierung für Sorkin – der für The Social Network den Oscar gewann – aus. Damit brechen die Oscars einen ganz großen Trend. Steve Jobs gewann den Drehbuchpreis bei den Golden Globes. In fast 70 Jahren, in denen die Drehbücher bei den Golden Globes prämiert werden, kam es nur sechsmal vor, dass der Gewinner bei den Oscars gar nicht nominiert wurde.
3. Beasts of No Nation – Die Oscar-Saison hat für Beasts of No Nation so gut angefangen, als der Film von der Schauspielergewerkschaft für sein Ensemble und für Idris Elba als "Besten Nebendarsteller" eine Nominierung erhielt und auch bei den Independent Spirit Awards erhielt er fünf Nominierungen. Während der verbleibenden Osacar-Saison lief es für den Film dann zwar nicht mehr ganz so gut, doch Elba war immerhin mit einer Golden-Globe– und einer BAFTA-Nominierung eine stets präsente Konstante. Dass die Academy den Film komplett ausgelassen hat, scheint vor allem ein Statement gegen Netflix und dessen Vertriebsmodell von Filmen zu sein.

5. Riesenblockbuster – Jurassic World und Avengers: Age of Ultron ließen zwar die Kinokassen klingeln, stellten aber einen Rekord der ganz anderen Art bei den Oscars auf. Beide wurden zu den umsatzstärkste Filmen aller Zeiten an US-Kinokassen, die keine einzige Oscarnominierung erhielten. Da auch Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 2 keine Nominierung erhielt, ist das Panem-Franchise nun offiziell die finanziell erfolgreichste Filmreihe, die keine einzige Oscarnominierung verbuchen konnte. Schließlich lief es auch für den frischgebackenen erfolgreichsten Film aller Zeiten in Nordamerika, Star Wars: Das Erwachen der Macht, auch eher bescheiden und die nach dem Riesenerfolg und glühenden Kritiken erhoffte Nominierung für den "Besten Film" traf nicht ein.
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Interessante Oscar-Fakten:
– John Williams erhielt für Star Wars: Das Erwachen der Macht seine 50. Oscarnominierung. Nur ein einziger Filmschaffender hat diese Marke zuvor jemals erreicht: Walt Disney, der im Laufe seiner Karriere für 59 goldene Statuen nominiert wurde und 22 erhielt. Hoffentlich hat der 83-jährige Williams noch genug Energie und Kreativität im Tank, um diesen Rekord eines Tages einzuholen. Seit 2005 wurde er immerhin siebenmal nominiert, in zwei Jahren sogar doppelt. So unwahrscheinlich ist es also nicht. Es ist kein Wunder, dass Williams unter Filmkomponisten als unerreichbare Legende gilt, mit der sich alle berühmten Komponisten in den nächsten Jahrzehnten zu messen haben werden. Seine Siegesquote ist allerdings nicht so gut. Lediglich fünf Oscars hat er bislang gewonnen, den letzten vor 22 Jahren. Bei seinen letzten 18 Nominierungen ging er leer aus und Star Wars wird das vermutlich auch nicht ändern, da Ennio Morricone für The Hateful 8 höchstwahrscheinlich seinen längst überfälligen Oscar bekommen wird.
– Star Wars: Das Erwachen der Macht ist der erste erfolgreichste Film aller Zeiten in den USA, der nicht für einen Oscar als "Bester Film" nominiert wurde. Die Nummer-1-Filme vor ihm, Vom Winde verweht, Meine Lieder – Meine Träume (OT: The Sound of Music), Der Pate, Der weiße Hai, E.T. – Der Außerirdische, Titanic und Avatar waren alle nominiert und vier davon haben auch gewonnen.
– Mad Max: Fury Road und The Revenant wurden in jeder einzelnen der acht "technischen" Kategorien nominiert und konkurrieren in zehn Kategorien gegeneinander. Eine solche Ballung an technischen Nominierungen für zwei Filme gab es in einem Jahr noch nie. Überhaupt wurden bislang nur drei weitere Filme in allen diesen acht Kategorien (Tonschnitt/Ton/Schnitt/Kamera/Makeup/Effekte/Kostüme/Szenenbild) nominiert: Titanic, Master and Commander – Bis ans Ende der Welt und Hugo Cabret. Dass es gleich zwei solche technischen Überflieger in einem Jahr gibt, ist bemerkenswert.
– Ex Machina ist (inflationsbereinigt) mit $15 Mio Budget der kostengünstigste Film aller Zeiten, der für seine Effekte eine Oscarnominierung erhalten hat.
– Mit Bridge of Spies haben die Filme von Steven Spielberg zusammengerechnet mehr Oscarnominierungen erhalten (128) als von irgendeinem anderen Regisseur in der Filmgeschichte. William Wyler war der bisherige Rekordträger mit 127 Nominierungen für seine Filme. Bridge of Spies ist Spielbergs 10. Film, der als "Bester Film" nominiert wurde.
– Sylvester Stallone (Creed) ist erst der sechste Schauspieler, der wiederholt für eine Rolle nominiert wurde, für die er bereits im Oscar-Rennen war. Vor ihm gelang dies nur Paul Newman, Bing Crosby, Peter O’Toole, Al Pacino und Cate Blanchett. Nur Newman hat auch einmal gewonnen.
– Sollte The Revenant den Oscar als "Bester Film" gewinnen, wäre es das erste Mal, dass dieser Oscar drei Jahre in Folge an das gleiche Studio gehen würde. Die letzten beiden Gewinner, 12 Years a Slave und Birdman, waren ebenfalls von Fox
– Mit 25 Jahren wurde Jennifer Lawrence (Joy) zur jüngsten Schauspielerin, die vier Oscarnominierungen erreichen konnte.
– Mit der Nominierung für Mustang hat Frankreich jetzt schon die 40. Oscarnominierung für den Auslandsoscar verbucht (für einen türkischsprachigen Film übrigens).
– Kamera-Maestro Roger Deakins erhielt für Sicario seine 13. Oscarnominierung und wird aller Wahrscheinlichkeit nach zum 13. Mal leer ausgehen. Damit wird er George J. Folseys Rekord in dieser Kategorie für die meisten Nominierungen ohne eine Auszeichnung einstellen. Bis zum allgemeinen Nominierungsrekord in der Kategorie fehlen ihm noch sechs Nennungen. Auch Komponist Thomas Newman wurde für Bridge of Spies zum 13. Mal nominiert und hat zuvor noch nie gewonnen.








