
Liebe Filmfutter-LeserInnen,
Voller Elan und in Hoffnung auf die ersten Höhepunkte des Festivals, ging es für mich weiter am dritten Tag des FFF 2015. Die äußerst bequemen Sessel des Residenz-Kinos weiß ich gerade angesichts des dauerhaften Filmkonsums momentan sehr zu schätzen, allerdings stellen sie auch eine besondere Herausforderung an die gezeigten Filme, denn wenn es über längere Zeit langsam und ruhig wird, liegt das Sandmännchen schon auf der Lauer, insbesondere da ein regulärer Schlafrhythmus während des Filmfests sowieso eher nachrangig ist.
Zum Glück kam am dritten Tag nie Langeweile auf. Auch wenn ich weiterhin auf die großen Knaller wie It Follows, District 9 oder So finster die Nacht aus vergangenen Jahren warte, ging es an Tag 3 stetig bergauf und Totalausfälle wie The Pack vom Vortag blieben mir glücklicherweise erspart. Stattdessen gab es einen fesselnden, wenn auch nicht makellosen Gangsterstreifen von der britischen Insel, einen gerne in die Irre führenden Paranoia-Thriller, ein bildgewaltiges, düsteres Märchen und einen Beziehungsfilm, wie man ihn so garantiert noch nie gesehen hat. Los geht’s mit dem Kurzkritiken zu Hyena, The Invitation, Nina Forever und Das Märchen der Märchen:
TAG 3

Als ich eingangs den Film als "kompromisslos" bezeichnet habe, war das nicht bloß dahingesagt. Hyena ist nicht für Zartbesaitete und sicherlich auch nicht für den Massengeschmack. Wir sehen hier hässliche Menschen in hässlichen Situationen, die hässliche Dinge tun, und gerade wenn man einen Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen glaubt, wird einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Wer den typischen schwarzen Humor der Brit-Crime-Filme erwartet, wird enttäuscht. Hier ist alles todernst, bis auf einige fast schon surreale Momente der zugedröhnten Ausgelassenheit von Michaels Kollegen. Ansonsten bleibt der Ton sehr schwermütig, böse und bis an die Schmerzensgrenze deprimierend. Identifikationsfiguren bietet der Film keine und es ist auch nach Michaels Gewissensfindung nicht einfach, mit ihm zu sympathisieren. Doch Peter Ferdinandos vielschichtiges Spiel eines Mannes, der versucht Gutes zu tun, aber vielleicht gar nicht mehr weiß, wie es geht, macht "Bad Lieutenant" Michael zu einer faszinierenden Figur, während Elisa Lasowski Ariana, das gepeinigte Opfer der Albaner, mit großer Verletzlichkeit und tief sitzender Trauer spielt. Es ist jedoch Gerard Johnsons Regie, die eine besondere Erwähnung verdient. Von der ersten neonbeleuchteten, nahezu wortlosen Szene im Film wird klar, dass Johnson eine besondere Vision für seinen Film hatte und es ist nicht schwer zu erkennen, wieso ausgerechnet Refn großen Gefallen daran fand. Es ist schwer, sich nicht in den blutigen Strudel des Films ziehen zu lassen, wenn man sich erst einmal darauf einlässt, doch gerade beim Filmende werden sich die Geister sehr scheiden. Manch einer wird es mutig nennen, doch viel häufiger wird man eher Adjektive wie "frustrierend" und "unbefriedigend" damit in Zusammenhang bringen. Tatsächlich hinterlässt das Finale einen bitteren Nachgeschmack bei dem ansonsten sehr fesselnden Film, doch irgendwie passt es auch zum Vorangegangenen. Hyena will sich in keine Nische und keine Schublade zwängen lassen, auch wenn es bedeutet, bei vielen Zuschauern anzuecken. 4/5

The Invitation ist sicherlich einer der Filme, die davon profitieren, wenn man nicht viel über sie im Vorfeld weiß. Doch auch wenn man anfangs glaubt, genau zu wissen, wohin die Reise führt, führt Kusama uns gekonnt in die Irre. Will ahnt nichts Gutes hinter der hippiehaften Fassade seiner Ex und deren Mann, doch ist es lediglich die Paranoia eines traumatisierten Mannes, der sich mit seiner Vergangenheit konfrontiert sieht? Mehrmals glaubt man die Antwort zu kennen, doch wie auch beim Protagonisten, kommen auch beim Zuschauer Zweifel auf. Gehören das Paar und deren seltsame Gäste einer Sekte an? "Das ist Los Angeles, hier ist das nichts Außergewöhnliches," meint eine gemeinsame Freundin und lässt so auch ein wenig satirische Kritik an der Stadt der Engel einfließen, wo es zwischen Kabbala und Scientology wirklich nicht an fragwürdigen Glaubensrichtungen mangelt. Auf der Suche nach Erlösung und Erleuchtung öffnen sich die Reichen und die Schönen, zu denen Eden und David zweifelsohne gehören, auch den ungewöhnlichsten Religionen und Bewegungen. Augenscheinlich geht es ihnen damit auch viel besser als dem immer noch stark leidenden Will. Oder ist auch das nur eine Illusion?
Doppelbödig, gelegentlich schwarzhumorig (bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt) und besonders von Marshall-Green überzeugend gespielt, The Invitation ist ein kleines, feines Stück Paranoia-Kino, das den Zuschauer auf dem Trab hält, auch wenn eigentlich sehr wenig passiert und der Film über seine gesamte Laufzeit ein dialoglastiges Kammerspiel ist. Ein wenig geht dem Streifen zwischendurch die Puste aus, besonders wenn er mal wieder in gewohnten Bahnen verläuft. Gerade wenn die Auflösung des Ganzen gegen Ende offenbart wird, verliert The Invitation seinen Reiz und kann dann wieder erst mit der unheimlichen finalen Kameraeinstellung punkten. Der Weg ist hier das Ziel und es lohnt sich, diesen zu gehen. 3,5/5

Nina Forever lässt sich keinem Genre zuordnen und hat gleichzeitig Elemente aus vielen – ein wenig Horror hier, ein bisschen Verlustdrama da, einige sehr britische Humorspitzen, ohne dass es je wirklich eine Komödie ist, und sogar eine Prise Erotik fehlt beim schrägsten Ménage-à-trois der letzten Jahre nicht. Letztlich ist Nina Forever natürlich auf einer metaphorischen Ebene zu sehen und setzt sich mit der Verarbeitung von Verlust auseinander (wie auch viele andere Filme in diesem FFF-Jahrgang), aber auch damit, wie unsere Verflossenen spätere Beziehungen noch belasten oder gar zugrunde richten können, wenn man nie einen Abschluss finden konnte. Die Umsetzung dieser altbekannten Grundgedanken ist erfrischend anders und insbesondere die über große Strecken des Films nackt agierenden Hardingham und "Utopia"-Darstellerin O’Shaughnessy spielen ihre Rollen bravourös. Doch das Konzept alleine reicht viel eher für einen Kurzfilm aus denn für eine fast 100-minütige Laufzeit und so schleichen sich spätestens bei der dritten Sexszene, in der Nina aus einer Blutlache wieder einmal auftaucht, Redundanzen ein, die der Film bis zum Schluss nicht loswerden kann. Nina Forever ist ein lobenswerter Versuch, alte Themen mit einer neuen Herangehensweise aufzugreifen und ein Film, der sich die Bezeichnung "mal was Anderes" redlich verdient hat, doch vielleicht bietet die Idee einfach nicht genug Potenzial und Geschichte für einen Langfilm. 2,5/5

Erzählt werden die drei Märchen in nur sehr lose miteinander verknüpften Geschichten und gerade der Zusammenschnitt der Erzählung macht es dem Zuschauer zuweilen nicht gerade einfach, der Geschichte zu folgen. Man vermag (möglicherweise aufgrund der Erzählweise) auch nicht wirklich in das Schicksal seiner Protagonisten zu investieren und mit ihnen mitzufiebern. Stattdessen übt der Film mit seiner bildgewaltigen, größtenteils handgemachten Optik, die den CGI-Kulissen der US-amerikanischen Märchenfilm-Pendants allemal vorzuziehen ist, seinen engagierten Darstellern und mit Alexandre Desplats magischer Musik eine unwiderstehliche Faszination auf den Zuschauer aus. Wie es für die Charaktere dabei ausgeht, bleibt fast schon zweitrangig. Die Umsetzung ist hier der Schlüssel und mit dieser hat Garrone mit seinem ersten englischsprachigen Film einen wichtigen Beitrag zum europäischen Kino geleistet, wie man ihn lange nicht mehr gesehen hat. 4/5
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In der vierten Ausgabe des Fantasy Filmfest Tagebuchs 2015 erwarten Euch vier Kritiken, darunter zum im Vorfeld sehr gefeierten französischen Gangsterfilm The Connection mit einer absoluten Starbesetzung und zum "Fresh Blood"-Favorit Turbo Kid, der auf jeden Fall ein Anwärter auf den größten Crowd Pleaser des Festivals sein sollte. Schaut vorbei.
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