
Liebe Oscar-begeisterte Cineasten,
willkommen zum zweiten Teil unserer jährlichen großen Oscar-Vorschau. Da wir uns diesmal gleich vier Kategorien zuwenden, ist das für gewöhnlich auch der längste Teil unserer Vorschau. Es geht um die Schauspieler. Genau genommen um die Kategorien "Bester Hauptdarsteller", "Beste Hauptdarstellerin", "Bester Nebendarsteller" und "Beste Nebendarstellerin". Noch mehr als in den vergangenen Jahren sind die Schauspielkategorien im diesjährigen Oscar-Rennen von problematischer Kategorisierung geprägt. Es geht dabei um die Frage, welche Performances als Hauptrollen und welche als Nebenrollen eingestuft werden. Eine große Rolle spielt dabei, in welcher Kategorie das Studio die Darsteller pusht und bewirbt, doch nicht immer spielt die Academy da mit. So wollten die Weinsteins Kate Winslet für Der Vorleser gerne als Nebendarstellerin im Rennen haben, doch sie wurde berechtigterweise als Hauptdarstellerin nominiert (und gewann!). Leider fällt die Academy aber häufig auf den Kategoriebetrug ein. So kann ja niemand allen Ernstes behaupten, dass Jamie Foxx in Collateral ein Nebendarsteller war oder Jennifer Connelly in A Beautiful Mind nur eine Nebenrolle gespielt haben soll.
Der Gedanke dahinter ist, dass die Darsteller in der Nebenrollen-Kategorie häufig eine bessere Chance haben, insbesondere wenn sie in der anderen Kategorie mit jemandem aus dem eigenen Film konkurrieren müssten. Dieses Jahr sind von diesem Problem Rooney Mara (Carol), Alicia Vikander (The Danish Girl), Paul Dano (Love & Mercy) und Christian Bale (The Big Short) betroffen. Je nach Verleihung wurden die drei schon als Haupt- oder Nebendarsteller nominiert. Im Falle von Rooney Mara möchte The Weinstein Company offenbar nicht, dass sie gegen Cate Blanchett aus dem eigenen Film antreten muss, bei The Big Short würde Bale in der Hauptrolle möglicherweise mit Steve Carell konkurrieren. Unklar ist auch, ob Spotlight überhaupt einen Hauptdarsteller hat. Michael Keaton ist zwar ein Kandidat dafür, hat jedoch nicht mehr Screentime im Film als sein Kollege Mark Ruffalo. Die vergleichbare Frage nach der Einstufung der Rolle stellt sich auch bei Paul Dano in Love & Mercy.
Als wäre das Rennen dadurch noch nicht kompliziert genug, herrscht in den Nebendarsteller-Kategorien ein reines Chaos. Die Kandidaten-Auswahl ist extrem breit gefächert und die üblichen Oscar-Prädiktoren konnten sich überhaupt nicht auf ihre Favoriten einigen. Letztes Jahr waren die fünf Nominees in der "Bester Nebendarsteller"-Kategorie eigentlich glasklar, doch diesmal ist es nur einer. Überhaupt wurden in beiden Nebendarsteller-Kategorien nur drei Schauspielerinnen und Schauspieler bei den drei großen Oscar-Vorläufern nominiert: den Golden Globes, der Screen Actors Guild und den BAFTAs.
Die Auszeichnungen der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild sind für gewöhnlich die aussagekräftigsten im Oscar-Rennen und bestimmen schon früh über die meisten Kandidaten. Die Faustregel ist, dass von den 20 nominierten Schauspielern bei diesen Auszeichnungen etwa 13-15 auch bei den Oscars später nominiert werden. Schauen wir uns doch die 2015-Nominierungen der Screen Actors Guild Awards an:
Bester Hauptdarsteller
Bryan Cranston (Trumbo)
Johnny Depp (Black Mass)
Leonardo DiCaprio (The Revenant – Der Rückkehrer)
Michael Fassbender (Steve Jobs)
Eddie Redmayne (The Danish Girl)
Beste Hauptdarstellerin
Cate Blanchett (Carol)
Brie Larson (Raum)
Helen Mirren (Frau in Gold)
Saoirse Ronan (Brooklyn)
Sarah Silverman (I Smile Back)
Bester Nebendarsteller
Christian Bale (The Big Short)
Idris Elba (Beasts of No Nation)
Mark Rylance (Bridge of Spies – Der Unterhändler)
Michael Shannon (99 Homes)
Jacob Tremblay (Raum)
Beste Nebendarstellerin
Rooney Mara (Carol)
Rachel McAdams (Spotlight)
Helen Mirren (Trumbo)
Alicia Vikander (The Danish Girl)
Kate Winslet (Steve Jobs)
Die britischen Filmpreise der BAFTA sind allerdings ebenfalls ein wichtiger Faktor und obwohl es keine wirkliche Überschneidung zwischen den Wählern der Golden Globes und der Academy gibt (genau genommen nur eine einzige Person), kann man die Relevanz der Globes im Oscar-Rennen ebenfalls nicht unterschätzen. Bei meiner Analyse der Oscarchancen der Schauspieler schaue ich mir neben diesen drei Indikatoren auch die Preise der BFCA und der wichtigen Kritikerverbände an.
Beste Nebendarstellerin
Wir fangen mit einer der verrücktesten Oscarkategorien überhaupt dieses Jahr an. Nur eine einzige Schauspielerin wurde als Nebendarstellerin bei den Golden Globes, der Schauspielergewerkschaft und den BAFTAs nominiert. Schuld daran ist hauptsächlich der oben ausgeführte Kategoriebetrug, denn während Rooney Mara und Alicia Vikander eigentlich als starke Oscarkandidatinnen gelten, ist es schwer, sie im Rennen in eine Kategorie einzuordnen.
Sichere Kandidatin

Wahrscheinliche Kandidatinnen


Jennifer Jason Leigh (The Hateful 8) – Die Schauspielveteranin Jennifer Jason Leigh wurde im Laufe ihrer Karriere noch nie für einen Oscar nominiert, aber noch nie waren ihre Chancen auch so gut, wie dieses Jahr. Sie startete sehr gut ins Oscar-Rennen mit einer Auszeichnung von der National Board of Review, doch die Schauspielergewerkschaft SAG verpasste ihren Chancen gleich einen Dämpfer, als sie sie nicht nominierte. Dennoch berappelte sie sich schnell mit Nominierungen bei den Golden Globes, den BAFTAs und der BFCA sowie zahlreichen Nominierungen von Filmkritikerverbänden. The Hateful 8 wird keine sehr große Rolle im diesjährigen Oscar-Rennen spielen, doch neben der Filmmusik und Tarantinos Drehbuch sind die Oscarchancen des Films am besten in der Nebendarstellerin-Kategorie.
Weitere Anwärterinnen
Helen Mirren (Trumbo) – Helen Mirren gehört zur britischen Schauspielelite und umso verwunderlicher ist es deshalb, dass sie von der BAFTA für ihre Performance in Trumbo nicht nominiert wurde, obwohl die "britischen Oscars" ihren Co-Star Bryan Cranston auf die Liste der Nominees setzten. Wäre nicht dieser eine Verpasser, dann würde Mirren weit höher auf unserer Kandidatinnen-Liste stehen, denn zuvor wurde sie von den Golden Globes, der Schauspielergewerkschaft SAG und der BFCA nominiert. Allerdings erschien es häufig so, dass die Nominierungen aus einem Mangel an Alternativen entstanden sind und nicht aus großer Leidenschaft für die Performance. Je stärker Alicia Vikander für Ex Machina und Jennifer Jason Leigh für The Hateful 8 im Rennen werden, desto tiefer sinken die Chancen von Mirren. Ihre Position im Oscar-Rennen erinnert mich an ihre Performance in Hitchcock, für die sie eigentlich im Vorfeld zu den Oscars noch mehr Nominierungen erhielt (BAFTAs, SAG Awards, Golden Globes), später jedoch keine Oscarnominierung. Dieses Jahr würde eine Nennung bei den Oscars für Mirren keineswegs überraschen, doch ebenso wenig würde es mich schockieren, wenn sie auf der finalen Liste nicht mehr steht.
Alicia Vikander (The Danish Girl) – Falls Vikander für Ex Machina in dieser Kategorie nicht nominiert werden wird, dann vermutlich nur, weil sie eine Oscarnominierung für The Danish Girl erhält. Die BFCA und die Schauspielergewerkschaft nominierten sie für den Film in dieser Kategorie, die Golden Globes und die BAFTAs aber als Hauptdarstellerin. Im Gegensatz zu Rooney Mara sieht es in ihrem Fall immer mehr danach aus, als würde die Performance der Schwedin doch mehr als Hauptrolle betrachtet werden, insbesondere da sie in der Kategorie nicht gegen eine andere Schauspielerin aus dem eigenen Film konkurrieren muss.
Rachel McAdams (Spotlight) – Spotlight ist ein Ensemblefilm, wie er im Buche steht und während das Zusammenspiel der Darsteller als Ganzes perfekt ist, ragen die einzelnen Performances aus der Masse im Film wenig hervor. Die besten Chancen auf eine Nominierung aus dem Film hat Rachel McAdams, denn im Gegensatz zu Michael Keaton und Mark Ruffalo muss sie nicht mit ihren männlichen Kollegen um die Aufmerksamkeit konkurrieren. McAdams wurde für die Rolle bislang von der SAG und der BFCA nominiert, jedoch nicht von der BAFTA oder den Golden Globes, wodurch ihre Position im Rennen natürlich sehr wackelig wird. Allerdings hat sich McAdams bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in Hollywood durch überzeugende Performances hervorgetan und die Academy hätte jetzt endlich die Gelegenheit, sie als eine der besseren Schauspielerinnen ihrer Generation anzuerkennen. Außerdem ist das die Schauspielkategorie, in der Spotlight es vermutlich am leichtesten haben sollte, auch wenn die Prädiktoren nicht unbedingt für McAdams sprechen.
Jane Fonda (Ewige Jugend) – Insgesamt sieben Oscarnominierungen hat Jane Fonda im Laufe ihrer Karriere erhalten, jedoch keine mehr seit den Achtzigern. So gut wie jetzt standen ihre Chancen schon lange nicht mehr, doch neben einer Golden-Globe-Nominierung für Ewige Jugend konnte sie im Oscar-Rennen dennoch nicht wirklich punkten. Es ist lediglich ihr Status als Schauspielveteranin, der ihr zu einer Nominierung verhelfen könnte.
Elizabeth Banks (Love & Mercy) – Elizabeth Banks erwähne ich der Vollständigkeit halber, weil sie von mehreren Kritikerverbänden nominiert wurde (in Las Vegas gewann sie sogar), glaube aber nicht wirklich daran, dass sie ausgerechnet für diesen Film und ohne Vorläufer-Nominierungen bei den Golden Globes, den BAFTAs oder der SAG eine echte Chance hat.
Außenseitertipp

Vorhersage:
Kate Winslet (Steve Jobs)
Jennifer Jason Leigh (The Hateful 8)
Rooney Mara (Carol)
Alicia Vikander (Ex Machina)
Rachel McAdams (Spotlight)
Auf Seite 2 gehen wir auf Kandidaten in der Kategorie "Bester Nebendarsteller" ein, darunter Sylvester Stallone und Christian Bale.








