Fantastic Four: Neue Einblicke in die katastrophale Produktion des gefloppten Reboots

Miles Teller, Kate Mara, Jamie Bell und Michael B. Jordan in "Fantastic Four" © 2015 20th Century Studios

Quelle: Polygon

Seit der Veröffentlichung von Bryan Singers X-Men im Sommer 2000 überrollte eine bis heute anhaltende Welle von Comicbuchverfilmungen die Filmindustrie und die Kinos. Allein in den letzten vier Jahren machten Comicadaptionen stets vier oder fünf Filme der Top 10 der weltweit umsatzstärksten Filme der jeweiligen Jahre aus. Bei so vielen Filmen auf der Basis der Marvel-, DC- oder anderen Comics gab es natürlich einige großartige (und oscarnominierte), viele gute ,aber auch mehr als genug schlechte bis völlig unzumutbare Streifen. Nahezu jede Verfilmung habe ich in der Zeit im Kino gesehen, und keine von ihnen war so schlecht wie die neuste Version von Fantastic Four aus dem Jahr 2015. Die Messlatte lag nach den beiden Fantastic-Four-Filmen von 2005 und 2007 wirklich nicht hoch, doch das Reboot ließ sie plötzlich wie Der Pate des Superheldenkinos aussehen.

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Fantastic Four war berüchtigt, noch bevor der Film überhaupt in die Kinos kam. Als die ersten extrem negativen Rezensionen zum mit Goldenen Himbeeren prämierten Film online aufgetaucht sind, hat sein Regisseur Josh Trank einen Tweet veröffentlicht, der für deutlich mehr Aufsehen sorgte als der Film selbst: (aus dem Englischen)

Vor einem Jahr hatte ich eine fantastische Version davon. Und sie hätte großartige Rezensionen erhalten. Ihr werdet sie vermutlich nie sehen. Das ist aber die Realität.

Der Tweet wurde schnell gelöscht, doch er verbreitete sich bereits wie ein Lauffeuer im Internet. Es dauerte nicht lange, bis The Hollywood Reporter einen ausführlichen Bericht über Tranks angeblich bizarres Verhalten am Set, seine beinahe körperliche Auseinandersetzung mit dem divenhaften Hauptdarsteller Miles Teller, und über Fox' Einmischung, um Schadensbegrenzung zu betreiben, veröffentlicht. Josh Trank tauchte unter. Diesen Monat bringt er seinen ersten Film seit Fantastic Four auf Video-On-Demand heraus. In Capone (Trailer) spielt der unter Maske kaum erkennbare Tom Hardy den berüchtigten Gangster Al Capone in den letzten Jahres seines Lebens, in denen er an Demenz gelitten hat. Der Film war ein Herzensprojekt für Trank und Hardy, und eine deutliche Abkehr vom großen Studiosystem, an dem sich Trank mit Fantastic Four die Finger verbrannt hat.

Anlässlich des Release seines neuen Films hat Online-Portal Polygon einen sehr ausführlichen, gut recherchierten und aus Jahren an Gesprächen mit Josh Trank und dem ersten Fantastic-Four-Autor Jeremy Slater ("The Umbrella Academy") zusammengestellten Bericht über den Aufstieg und Fall von Trank im Hollywood-System und über all die Probleme, die Fantastic Four plagten, veröffentlicht.

Nicht nur Trank und Fox hatten ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Film sein sollte, sondern auch Trank und der von ihm selbst ausgesuchte Autor, sein alter Freund Jeremy Slater. Trank und Slater haben, als sie Anfang 20 waren, die Idee zu Tranks Regiedebüt Chronicle zusammen ausgearbeitet. Doch Slater wurde von seinen Agenten überzeugt, das Drehbuch zu dem potenziellen Film nicht zu schreiben, sondern stattdessen konkrete Jobs für Geld anzunehmen. Trank fand mit Max Landis einen Verbündeten. Landis schrieb das Skript zum Found-Footage-Film über drei Jugendliche, die plötzlich Superkräfte erlangen. Das Drehbuch gelangte zu Fox und das Studio wollte den Film produzieren.

Mit nur 27 drehte Trank seinen ersten Film und landete direkt einen großen Erfolg. An den Kinokassen lief Chronicle fabelhaft, Kritiker und Zuschauer mochten den Film. Plötzlich war Trank ein gefragter Regisseur und viele Türen standen ihm in Hollywood offen. In der Zeit schrieb er im Auftrag von Sony ein R-rated-Drehbuch zu einem Venom-Film. Spider-Man-Produzent Matt Tolmach hasste es jedoch. Fox wollte die Arbeitsbeziehung mit Trank fortsetzen und bot ihm eine Neuauflage von Fantastic Four an, für die sich das Studio durch ihn einen ähnlich frischen, originellen Anstrich wie bei Chronicle erhoffte. Was folgte, war das Paradebeispiel unüberbrückbarer, enormer kreativer Differenzen.

Die Sache war: Trank hatte keine Ahnung von "Fantastic Four"-Comics, hat lediglich einige Folgen der Zeichentrickserie aus den Neunzigern gesehen, und holte daher seinen alten Kumpel Jeremy Slater als Autor an Bord, der sich mit den Comics bestens auskannte. Doch Slaters Vorstellungen entsprachen überhaupt nicht Tranks. Tranks war kein Fan von den meisten Comicbuchverfilmungen und wollte unbedingt, dass sein Film anders wird. Er kam mit der Idee auf Slater zu, dass erst das Ende des Films die spaßigen Abenteuer des Superhelden-Quartetts vorbereiten würde. Trank erklärte:

Das Ende von Fantastic Four sollte sehr organisch das Abenteuer, die Seltsamkeit und den Spaß vorbereiten. Das wäre die Wunscherfüllung des Sequels. Denn natürlich wäre die Ausgangslage im Sequel nach dem Motto: "Okay, wir haben jetzt diese Superkräfte für immer, und es ist schräg und lustig und es gibt Abenteuer an jeder Ecke". Aber der erste Film sollte die filmische Version dessen sein, wie ich mich selbst zu der Zeit gesehen habe: Die Metapher darauf, wie diese Charaktere aus der Hölle emporklettern.

Für mich klingt das, als ob Trank mit dem Film Selbsttherapie betreiben wollte. Denn wer geht schon nicht gerne in einen Fantastic-Four-Film rein, um festzustellen, dass der gesamte Film lediglich die Vorbereitung darauf ist, was man sich eigentlich erhofft hat?

Leider hatten Slater und Trank keinerlei Übereinstimmungen bei ihren Vorstellungen. Slater erklärte:

Der erste Avengers-Film kam gerade heraus und ich sagte zu ihm die ganze Zeit: "Das sollte unsere Vorlage sein, das wollen die Zuschauer sehen!" Und Josh hat jede einzige Sekunde davon absolut gehasst.

Das dürfte keine große Überraschung sein. Letztes Jahr schrieb Trank den folgenden Tweet:

Schaue mir gerade The Irishman an. Die ersten fünf Minuten haben mehr Menschlichkeit und Wahrheit und cineastische Faszination als die Laufzeiten jedes einzelnen Marvel-Films zusammen ahahahahahahahaha. Sorry, fakten. PS: Nicht sorry.

Es gab eine Zeit, in der jemand bei Fox es für eine gute Idee hielt, einen Filmemacher mit einer solchen Einstellung für Fantastic Four an Bord zu holen. Aber machen wir mal weiter.

Slater hat Trank seine Lieblingscomics aus der Welt der "Fantastic Four" zukommen lassen, in der Hoffnung, ihn zu inspirieren und eine gemeinsame Plattform für den Film zu finden. Nichts davon interessierte Trank. Er war an den ersten Momenten der Figuren interessiert, der Charakterentwicklung von Reed Richards und seinem Trauma. Sobald das Team seine Superkräfte hatte, verlor die Geschichte für ihn das Interesse. Galactus, Annihilus, Zeitreisen, verschiedene Dimensionen und viel mehr standen laut Slater als Optionen zur Wahl:

Es war egal, ob sie gegen Roboter in Latveria, Aliens in der Negative Zone, oder die Mole Men in Downton Manhattan kämpften; Josh war es einfach scheißegal".

Slater hat laut eigenen Angaben etwa 18 Drehbuchentwürfe und insgesamt 2000 Seiten an Material für den Film geschrieben. Nur zwei seiner Entwürfe erreichten überhaupt das Studio. Um die Kontrolle zu behalten, war Trank der Bote zwischen Slater und Fox, und ließ bestimmte Anmerkungen des Studios aus ihren Gesprächen heraus. Das Studio bekam nur die Drehbücher von Slater zu sehen, die Trank Fox zeigen wollte. Slater erklärte:

Von Anfang an hat Josh zu mir gesagt, es sei mir nicht gestattet, mit Fox zu sprechen, ohne dass er dabei anwesend ist. Ich habe 95% der Anmerkungen des Studios nie zu sehen bekommen.

Trank erklärte seine eigene Position zu den Problemen zwischen Slater und ihm:

Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Fantastic Four hatten alles mit dem Ton zu tun. Man könnte die comichaftesten Dinge nehmen, wie die Namen, die Gesichter, die Identitäten und die Hintergrundgeschichten, und sie alle in einen bestimmten Ton synthetisieren. Und der Ton, an dem Slater interessiert war, war nicht der Ton, mit dem ich irgendetwas gemeinsam hatte.

Nach sechs Monaten hat Slater aufgegeben und das Projekt verlassen. Fox wurde etwas besorgt und schickte eine Reihe eigens ausgesuchter Drehbuchautoren, um das Skript in Form zu bringen, darunter Simon Kinberg, den Produzenten und Autor mehrerer erfolgreicher X-Men-Filme des Studios. Kinberg wird neben Slater und Trank als dritter Autor des finalen Drehbuchs offiziell angeführt, doch es soll noch andere Autoren gegeben haben. Das festgelegte Startdatum rückte näher, die Dreharbeiten mussten endlich anlaufen, und das Drehbuch hatte immer noch keinen dritten Akt. Da erklärt vielleicht, weshalb der dritte Akt im Film auch kaum existiert und nach gefühlt zehn Minuten vorbei ist.

Zusätzlicher Druck kam durch die Besetzung von Michael B. Jordan als Johnny Storm alias Menschliche Fackel. Der Wechsel der Hautfarbe der Figur brachte viele Fans auf die Barrikaden. Trank erhielt Morddrohungen, die ihn so paranoid machten, dass er sich eine Pistole zugelegt hat. Trank erklärte, weshalb er Jordan besetzte:

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in dem von Rassenspannungen geprägten Los Angeles, in der wir es gewohnt waren, weiße Superhelden zu sehen, und einige meiner schwarzen Freunde hätten auch schwarze Superhelden sehen müssen. Also dachte ich, dass wenn ich die Macht dazu habe, ich das System etwas verändern könnte.

Die 72-tägigen Dreharbeiten sind laut Trank weitgehend problemlos verlaufen. Der Ärger kam nach der ersten Testvorführung. Die erste Schnittfassung hat die Studioleute überrascht. Sie sagten Trank, sein Film sei nicht das vermarktbare Abenteuer, auf das irgendjemand hoffte. Er sei "nicht für die Fans". Sie meinten, die Fans würden sich bei dem grimmigen, verdrießlichen Ton des Films unwohl fühlen. Genau das sei aber sein Ziel gewesen, wie Trank erklärte.

Klar, wenn wer schaut sich nicht gerne einen Fantastic-Four-Film an, um sich dabei unwohl zu fühlen?

Massive Nachdrehs waren notwendig. Der Film hatte immer noch kein Ende. Laut Trank wurde das Budget kurz vor Drehbeginn um $30 Mio gekürzt und das resultierte im stark verkürzten Finale, das als großes Spektakel angedacht war. Der Gedanke war, dieses Finale bei den Nachdrehs erst zu ergänzen. Doch alles wurde viel komplizierter. Die Nachdrehs wurden sehr umfangreich, die Schauspieler mussten an den Wochenenden kommen (und im Falle von Kate Mara eine schlechte Perücke tragen). Laut Jeremy Slater ist die finale Filmfassung im Prinzip die verlängerte Version der ersten 40 Seiten seines Drehbuchs, minus alle Superheldensachen. Tja, das erklärt, weshalb sich der gesamte Film wie 90-minütiges Setup ohne ein Ergebnis anfühlt.

Fox hat Autoren angeheuert, die Trank selbst nie getroffen hat, die neue Drehbuchseiten für die Nachdrehs schreiben sollten. Trank selbst soll auch neue Seiten geschrieben haben, die jedoch konsequent ignoriert wurden. Der Film wurde ihm quasi entrissen, um ihn in den Augen des Studios zu retten. Trank hat einen Deal mit dem Studio vereinbart, dass er seine eigene und das Studio jeweils seine eigene Schnittfassung anfertigen würden und beide einem Testpublikum gezeigt werden würden, um zu entscheiden, welche besser ankommt.

Doch dazu ist es nie gekommen. Fox heuerte Stephen Rivkin an, den erfahrenen Cutter von Avatar und den ersten drei Pirates-of-the-Caribbean-Filmen. Laut Trank wurde er quasi zum neuen Regisseur des Films. Er habe sich bei jeder Szene immer für den Take entschieden, den Trank nicht mochte. Laut Trank legte Rivkin er mehr Wert auf Tempo als auf Performances. Im finalen Film gibt es nur einige wenige Szenen, die Trank wirklich mag, wie beispielsweise die von Doctor Doom verursachten Kopfexplosionen. Letztes Jahr veröffentlichte er seine eigene Kurzrezension des Films.

Als der erste Teaser-Trailer zu Fantastic Four herauskam, waren Reaktionen nicht gerade begeistert und inspirierten das Studio zu massiven Nachdrehs. Trank erklärte:

Sie geben wirklich darauf Acht, was die Leute auf Twitter sagen. Sie schauen sich das an und denken: "Scheiße, Leute sind empört, dass es nicht lustig werden wird. Also werden wir 10 Millionen ausgeben, um mehr Comedy reinzubringen".

Trank hat seine Schnittfassung dennoch angefertigt, in der Hoffnung, dass Fox vielleicht einige Szenen von ihr nutzen und in Rivkins Version einsetzen würde. Während der finalen Nachdrehs resignierte Trank. Sein neues Ziel wurde es, die Produzenten möglichst zu beschwichtigen, damit sie Teile seiner Schnittfassung in den Film integrieren würden – und das ging gegen seine Prinzipien als Künstler:

Es war wie eine Kastration. Man steht da und sieht zu, wie Produzenten Szenen blockieren, fünf Minuten bevor man selbst da ankommt; Cutter, die vom Studio angeheuert wurden, entscheiden über die Reihenfolge der Shots, die was auch immer vor sich geht, zusammensetzen sollen. […] Und dann, weil sie wissen, dass du nett zu ihnen bist, sind sie auf eine Art nett zu einem und sagen: "Na, klingt das gut?" Man kann ja oder nein sagen."

Es gibt noch viel, viel mehr in dem Artikel, den ich ganz oben verlinkt habe. Wenn Ihr mehr Zeit habt, kann ich ihn Euch definitiv ans Herz legen. Mein persönliches Fazit daraus lautet, dass Trank niemals für diesen Film oder irgendeine andere Marvel-Verfilmung hätte angeheuert werden dürfen. Die Schuld lag gleichermaßen bei ihm und dem Studio, weil beide Seiten nicht rechtzeitig eingesehen haben, dass ihre jeweiligen Vorstellungen in keiner Weise miteinander vereinbar sind. Chronicle war ein aufrichtig guter Film und das kann man Trank nicht aberkennen. Vielleicht ist auch Capone ein guter Film. Und vielleicht wird er künftig weitere gute Filme inszenieren. Doch was auch immer seine Vorstellungen zu Fantastic Four waren, nichts von dem neuen Bericht überzeugt mich davon, dass sie gut oder sonderlich sehenswert gewesen wären.

Vielleicht sind alle guten Dinge vier. Vielleicht bekommen wir dank Disney und Marvel nach Roger Cormans, Tim Storys und Josh Tranks Versuchen künftig endlich einen wirklich guten Fantastic-Four-Film. Bis dahin bleiben Pixars Die Unglaublichen und dessen Fortsetzung die besten Beispiele, wie ein wirklich guter Fantastic Four sein könnte.

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