Verblendung (2011)

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The Girl With The Dragon Tattoo, USA/S/GB/D 2011 • 158 Min • Regie: David Fincher • Drehbuch: Steven Zaillian • Mit: Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer, Stellan Skarsgård, Steven Berkoff, Robin Wright Penn, Yorick van Wageningen, Joely Richardson • Kamera: Jeff Cronenweth • Musik: Trent Reznor & Atticus Ross FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures Kinostart: 12.01.2012

 

Eigentlich hatte David Fincher die Zuschauer ja bereits mit der frechen, spektakulären Titelsequenz seines, wahlweise als Romanadaption oder Remake bezeichneten, Thrillers „Verblendung“ am Haken – eine Kunst, die der frühere Musikvideo-Regisseur seit seinem Meisterwerk „Sieben“ (1995) versteht wie kein Zweiter. Wilde, schwarz-weisse Eindrücke schlagen auf das Auge ein, dazu eine von Karen O gesungene Coverversion von Led Zeppelins „Immigrant Song“: „We come from the land of the ice and snow / From the midnight sun where the hot springs blow“, heisst es in den Lyrics, und weiter „On we sweep with, with threshing oar / Our only goal will be the western shore“. Die Nordmänner kommen also, um den Westen zu erobern. In diesem Fall: Stieg Larsson goes Hollywood. Es ist ja schon ein wenig unverschämt von der Traumfabrik, nur zwei Jahre nach Niels Arden Oplevs erfolgreicher Erstverfilmung des weltweiten Bestsellers bereits eine Neuauflage auf den Markt zu bringen. Und inhaltlich ist diese US-Version auch eher marginalen Änderungen unterzogen worden, so dass man sie tatsächlich vorschnell als weiteres, überflüssiges Cash In-Projekt abtun könnte. Aber Halt: Ein Film besteht schließlich immer noch aus vielen Komponenten, die den Erzählstil der Geschichte und die Atmosphäre prägen – die Kameraaufnahmen, die Musik, der Ton, der Schnitt. Finchers „Verblendung“ ist ein schattenwerfendes Monstrum und in seiner Gestaltung um Längen intensiver als das schwedische Original. Ein hypnotisches Schauderstück, dessen finsterem Sog man sich kaum entziehen kann.

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Im Mittelpunkt steht natürlich erneut der Reporter Mikael Blomkvist (diesmal nicht minder überzeugend verkörpert von James Bond Daniel Craig), dessen Ermittlungen gegen den zwielichtigen Unternehmer Wennerström (Ulf Friberg) ihm vor Gericht eine deftige Geldstrafe eingehandelt haben. Um sich eine längere Zeit von der Bildfläche zurückzuziehen, und im Austausch gegen angeblich nützliche Informationen über Wennerströms Machenschaften, nimmt Blomkvist den Auftrag von Henrik Vanger (Christopher Plummer, „Insider“), dem Ältesten eines mächtigen Familienkonzerns, an, das mysteriöse Verschwinden von dessen Nichte Harriet, im Sommer 1966, aufzuklären. Der geplagte Mann möchte vor seinem Tod Gewissheit über den Vorfall haben, der ihn seit vierzig Jahren quält. Zu jedem Geburtstag erhält er von einer unbekannten Person eine gepresste Blume – ganz so, wie zuvor von seiner Harriet. Sie ist ermordet worden, da ist sich Vanger sehr sicher. Und der Täter muss ein Mitglied seiner eigenen Familie, die noch zum großen Teil mit ihm auf einer abgeschiedenen Privatinsel lebt, aber trotzdem kaum sozialen Kontakt untereinander pflegt, sein. Die Vangers sind ein ganz schön kauziger Haufen, mild ausgedrückt – einige von ihnen haben einst gar stolz dem Nationalsozialismus gedient. In ihren Kellern stapeln sich Leichen. Blomkvist erhält Zugang zu sämtlichen Archiven. Um die aufwendigen Recherchen zu bewältigen, nimmt er die Dienste der brillanten Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara, „The Social Network“) in Anspruch. Salander, äußerlich ein kühler Goth-Punk, steht unter staatlicher Vormundschaft, seitdem sich in ihrer Vergangenheit fürchterliche Dinge ereignet haben. Bei ihren Nachforschungen decken die Beiden schließlich einen Zusammenhang zwischen der vermissten Frau und einer ganzen Serie grausamer Morde auf…

Ich habe Niels Arden Oplevs „Verblendung“ bisher erst einmal gesehen (und im Übrigen keinen der Larsson-Romane gelesen) und kann mich, ehrlich gesagt, nicht mehr an jede Einzelheit daraus erinnern. Der Film hat mir damals gefallen, regelrecht umgehauen hat er mich aber nicht – anders als Finchers Variante, die mir dieselbe Story auf eine Weise erzählt, die mich mehr berührt. Mir eiskalt unter die Haut kriecht. Leblose, grau-monochrome Landschaften, von deren Dunkelheit die Figuren fast verschluckt werden – ein unheimliches Geheimnis, das in dieser bedrohlichen Stimmung seine Entsprechung findet: In dem Werk gibt es so wenig Sonnenlicht zu sehen, dass man das üppige Vanger-Domizil auf den ersten Blick ebensogut für ein modernes Vampir-Nest halten könnte. Mikael Blomkvists Anreise dort erinnert fast schon an die Ankunft Jonathan Harkers am Schlosse Draculas. Nur, dass die Dämonen hier allzu real sind. „Verblendung“ ist, nach „Sieben“ und „Zodiac – Die Spur des Killers“ (2007), David Finchers dritte Serienkiller-Hatz. Obwohl der Film visuell die trostlose Schwärze von Erstgenanntem erreicht und inhaltlich eine ähnlich detailierte Spurensuche wie Letzter präsentiert, ist diese Arbeit dennoch ein ganz anderes Biest. Es sind drei Welten, die im Verlauf der Handlung aufeinanderprallen: Die des idealistischen, von seiner Informationsquelle hinters Licht geführten, Blomkvist, das abstossend-misstrauische Reich der Vangers, denen trotz ihres gigantischen Reichtums sämtliches Glücksempfinden abhanden gekommen zu sein scheint, und schließlich das beklemmende Loch, in das man Lisbeth Salander geworfen hat.

Salander ist die vielschichtigste und interessanteste Figur der Geschichte. Noomi Rapace hat diese Rolle im Original bereits spannend ausgefüllt, aber Rooney Mara fügt der mental zerrissenen Frau mit ihrer zurückhaltenden, lauernd gefährlichen Performance eine neue Seite hinzu. Ihre Darstellung ist kälter, unberechenbarer, psychotischer, als die von Rapace. Als ein „Bündel des Staates“ aufgewachsen, ist Salander sehr gut vertraut mit dem Gefühl der Abhängigkeit. Sie hasst es. Sie liegt an einer sozialen Kette und wird nach Belieben schikaniert, vom zuständigen Betreuer gar sexuell mißbraucht. Ihr Äußeres ist geziert von Piercings und Tattoos – ein Ausdruck der inneren Qualen und der Abscheu? Die aggressive, abweisende Fassade schützt sie vor Angriffen, davor, dass sich Menschen Zugang zu ihrem zerbrechlichen Inneren verschaffen. Wenn es sein muss, kann sie sich auch blitzschnell und brutal zur Wehr setzen – sie bellt nicht, sie beisst. In der US-Version schließt „Verblendung“ mit einer Szene, die uns Salander emotional näherbringt. Dieser Moment hat für mich besser funktioniert als das Original-Ende, das schlicht die Handlung weitertreibt.Es sind unterm Strich vielleicht Kleinigkeiten, die hier anders sind, aber diese Kleinigkeiten machen einen Unterschied. Oplev stürzt sich ausgiebiger auf den Crime-Plot, während Fincher mich tiefer in die Charaktere zieht. Ich weiss nicht, ob es diese Veränderungen sind, oder womöglich noch stärker die erbarmungslos dichte Umsetzung und der – die unheilvollen Bilder meisterhaft unterstreichende – melancholische bis treibende Score von Trent Reznor und Atticus Ross (Nine Inch Nails), aber die Amis haben mich dieses Mal mit einer Neu-Interpretation restlos überzeugt. Man darf mich abschließend gerne mit Gemüse bewerfen, aber ich bleibe dabei: Finchers „Verblendung“ ist besser als Oplevs Vorgänger. Ich bin gespannt auf die Fortsetzungen.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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