Black Swan (2010)

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Black Swan, USA 2010 • 108 Min • Regie: Darren Aronofsky • Drehbuch: Mark Heyman, Andres Heinz & John J. McLaughlin • Mit: Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis, Barbara Hershey, Winona Ryder • Kamera: Matthew Libatique • Musik: Clint Mansell FSK: ab 16 Jahren • Verleih: 20th Century Fox Kinostart: 20.01.2011 • Website

 

„I had the craziest dream last night about a girl who has turned into a swan, but her prince falls for the wrong girl and she kills herself.”

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Perfektion heisst der Dämon, der die attraktive Nina besitzt und sie gnadenlos antreibt. Nina ist Mitglied eines New Yorker Ballett-Ensembles und soll nun in einer Neuauflage des Tschaikowski-Stücks „Schwanensee“ sowohl die Rolle des weißen als auch die des schwarzen Schwans übernehmen. Obwohl die junge Frau aufgrund ihrer Tanztechnik für den weißen Schwan prädestiniert erscheint, fehlt ihr dennoch das düstere und ungezügelte Naturell für den schwarzen Schwan.

Gleich zu Beginn von „Black Swan“, der inzwischen fünften Spielfilm-Arbeit des renommierten Independent-Regisseurs Darren Aronofsky, werden wir in den Alltag der aufopferungsvollen aber schüchternen Ballerina, welche durchweg brillant von der völlig zu Recht für ihre Performance für den Golden Globe nominierten Natalie Portman („Hautnah“) verkörpert wird, eingeführt, welcher in erster Linie vom sowohl physisch als auch psychisch harten Training und ihrer Mutter Erica (Barbara Hershey, „Entity“) dominiert wird. Erica hat ihre eigene Ballett-Karriere für das Leben ihrer Tochter an den Nagel gehängt und opfert nun jede Minute ihrer Zeit, um Nina auf dem Weg zu dem Erfolg zu unterstützen, in dessen Genuss sie nie gekommen ist. Allerdings erscheint das Engagement der Mutter übertrieben und irgendwie unheimlich – sehr bald wird nämlich deutlich, dass Ninas rosa-rotes und mit Plüschtieren übersätes Domizil eher einer Isolationszelle für die unschuldige Prinzessin als einem gemütlichen Zuhause gleichkommt. Die perfekte Fassade Ninas beginnt letztlich zu bröckeln, als der zuständige Bühnen-Regisseur Thomas Leroy (Vincent Cassel, „Die purpurnen Flüsse“, „Irreversible“), dem der zweifelhafte Ruf eines Wolfes, der alle seine Starletts früher oder später in sein Bett zerrt, vorauseilt, sein neues Talent mit der sexuellen Natur des schwarzen Schwans konfrontiert und in der Gestalt der anziehenden Lily (Mila Kunis, „The Book Of Eli“) außerdem Ninas stärkste Konkurrentin auf der Bildfläche erscheint, welche offensichtlich all das verkörpert, was Nina für ihre Doppelrolle fehlt…

Wie in allen Filmen Aronofskys zuvor („Pi“, „Requiem for a Dream“, „The Fountain“, „The Wrestler“), rückt der Regisseur auch in „Black Swan“ die Obsession seiner Hauptfigur in den Mittelpunkt einer Geschichte, über der man schon zu Anfang fatalistisch das schwebende Damokles-Schwert erahnt und die sich zunächst bedrohlich-langsam wie eine Spirale in einen schwarzen Abgrund bohrt. Aronofsky lässt uns sein neuestes Werk aus der Sicht Ninas erleben – zumindest liegt der Verdacht mehr als nahe, dass die Schreckensbilder, die wir ebenso wie die psychisch wenig stabile Frau vermehrt wahrnehmen, nicht etwa vom Satan höchstpersönlich entsandt worden sind, sondern ihrer eigenen Großhirnrinde entstammen. Denn selbst wenn inzwischen Genre-Fanzine „Black Swan“ gern als den nächsten großen Schocker anpreisen und durchaus Anspielungen auf frühe De Palma-Arbeiten auszumachen sind, sowie ganz offensichtlich Bezug auf Polanskis Paranoia-Studien „Ekel“ (1965) und „Der Mieter“ (1976) genommen wird: Passender lässt sich der eigenwillige aber absolut grandiose Film als ein psychologischer (meinetwegen Horror-)Thriller klassifizieren, dessen übersinnliche Elemente allerdings zur Veranschaulichung der innerlichen Metamorphose der Hauptfigur dienen. Darren Aronofsky geht dabei mit einer ähnlichen Technik wie bei seinem Drama „Requiem for a Dream“ vor – oder hat dort etwa irgendein Zuschauer ernsthaft geglaubt, dass Ellen Burstyns Charakter tatsächlich von einem menschenfressenden Kühlschrank verfolgt wird…? Eben.

Sehr viele Parallelen weist „Black Swan“ auch zu seinem Vorgänger „The Wrestler“ auf. Bei diesem Umstand handelt es sich allerdings keineswegs um einen Zufall, denn ursprünglich sollten in der Tat die beiden Geschichten zu einem einzigen Film verwoben werden. Dieses Vorhaben ist nun letztlich zugunsten zweier Werke, die aber zusammen gesehen durchaus ein interessantes Gesamtbild ergeben, verworfen worden. Obwohl beide Filme den Aufstieg und Fall von Vertretern unterschiedlicher Kunstformen behandeln, fühlt sich „Black Swan“ stilistisch wesentlich kühler und steriler als sein Gegenpart an – die Tragik von Tschaikowskis Schwanensee findet in Aronofskys Werk vor allem hinter der Bühne statt: Die Liebe des Prinzen, die in dem Ballett-Stück den Bann des weißen Schwans brechen könnte, findet in Ninas Leben keine Entsprechung. Fraglich bleibt, ob es der von der Mutter abgeschotteten, labilen Frau überhaupt jemals möglich gewesen ist, soziale Kontakte abseits des Theaters zu knüpfen. Vermutlich nicht. Nahezu alle äußeren Einflüsse scheinen Nina zu verängstigen, vor allem die sexuellen Anspielungen ihres Regisseurs verunsichern sie und setzen unter ihrer Oberfläche eine gefährliche Lawine ins Rollen. Irgendjemand scheint sie zu verfolgen – ist es tatsächlich Lily, die auf Nina eine eigenartige Faszination ausübt, oder ist die kalte Hand in ihrem Nacken womöglich ihre eigene? Wir hören ferne Geräusche und Stimmen und werden Zeuge von bizarren Szenarien…doch existieren diese überhaupt außerhalb des Kopfes der Hauptdarstellerin? Ein merkwürdiger Ausschlag am Rücken sowie die finsteren Reflektionen ihrer selbst in Spiegeln oder anderen Menschen – wie zum Beispiel in ihrer verbitterten Vorgängerin Beth (Winona Ryder) – dienen als Vorboten ihres scheinbar unausweichlichen Schicksals: Der schwarze Schwan droht aus der Ballerina hervorzubrechen.

„Black Swan“ beginnt zwar schleichend und elegant, aber bläst schließlich zum Aronofsky-typischen, hysterischen Crescendo, bei welchem einem Irrsinn und Genialität wie von einem Tornado aufgewirbelt um Augen und Ohren fegen.In erster Linie gehört das Werk ganz und gar seinen Hauptdarstellerinnen Portman und Kunis, die über ihre vorherigen Leistungen hinauswachsen und zweifellos Jahresbesten-Performances an den Tag legen. Matthew Libatiques flexible Kameraarbeit klebt deshalb stets nah an den Figuren und scheint manchmal gar mit der Leichtigkeit eines Ballett-Partners um diese zu tanzen. Der Bipolarität der Geschichte Rechnung tragend, steuert auch Aronofsky die Perfektion seines Films durch die technisch versierte Komposition des betörend ästhetischen bis ungezügelt wilden Bildmaterials an. Sowohl der weiße wie auch der schwarze Schwan finden inszenatorisch ihr Pendant. Ob nun die dezenten aber dennoch effektiven Horror-Elemente, der gelegentlich durchschimmernde, groteske Humor oder die schlüpfrige Einlage zwischen Natalie Portman und Mila Kunis, welche im Vorfeld bereits für einige Aufmerksamkeit gesorgt hat, nicht doch zu viel des Guten für die eher konservative Academy sein könnten, bleibt noch abzuwarten.Aber Preisregen hin oder her: „Black Swan“ gehört einfach zum Faszinierendsten und Besten, was in diesem Jahr über die Leinwände geflimmert ist.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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