"So ist es auch im echten Leben" – Wolfgang Groos im Interview

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Wofgang Groos Interview
© Constantin Film

Wie angekündigt, hatten wir zum Start des deutschen Jugendfilms Systemfehler – Wenn Inge tanzt die Gelegenheit, den Regisseur Wolfgang Groos zu interviewen. Der 1968 in Kassel geborene Groos hat sich einen Namen gemacht als Regisseur erfolgreicher Kinder-und Jugendfilme. Sein Debüt als Regisseur feierte er mit dem Geschwisterdrama Hangtime – Kein leichtes Spiel, doch bereits vorher kam er als Regieassistent mit Jugendstoffen in Berührung. So arbeitete er unter anderem an dem deutschen Kinohit Crazy mit. Mit Die Vampirschwestern hat er letztes Jahr seinen bislang größten Hit hingelegt, der nicht nur an den Kinokassen gut lief, sondern auch beim TIFF Kids International Film Festival in Toronto den TIFF Kids Young People’s Jury Award gewann. Nach den Kinderstreifen Vorstadtkrokodile 3 und Die Vampirschwestern, wendet sich Wolfgang Groos mit der unterhaltsamen und leichtfüßigen Teenie-Komödie Systemfehler – Wenn Inge tanzt wieder an ein jugendliches Publikum, das er schon mit Hangtime ansprach. In unserem Interview erzählt der sichtlich sehr begeisterte Filmemacher von dem Dreh, seiner Sichtweise auf den Zustand des Jugendfilms in Deutschland, der Zusammenarbeit mit der Schlager-Legende Peter Kraus, einem unwilligen Filmhund und der baldigen Fortsetzung zu Die Vampirschwestern.

FilmFutter: Wenn man sich Deine Filmografie anschaut – Hangtime, Vorstadtkrokodile 3, Die Vampirschwestern, Systemfehler – man sieht schon eine Tendenz zu Jugend-/Kinderfilmen. Hat es sich einfach so ergeben oder sind es gerade die Stoffe, die Dich besonders interessieren?

Wolfgang Groos: Es ist beides. Es hat sich natürlich auch so ergeben aber gerade bei den Kinderfilmen finde ich, dass sie eine besondere, fantasievolle Welt erzählen können.Es gibt wenig andere Genres, wo – wie beispielsweise bei Die Vampirschwestern – man so eine fantasievolle Welt erzählen kann. Und Systemfehler – Wenn Inge tanzt ist ein sehr dynamischer, junger, energievoller Film, der von seiner Energie und seiner Zielgruppe her schon mit Hangtime in eine Richtung geht.. Aber ich stelle mir da nie die Frage, für wen die Filme seien sondern ich lese das Buch und denke "Wow, es ist eine coole Geschichte. Sie hat Dynamik, sie hat Witz, sie hat auch Emotionen".

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FF: Das heißt, es kann auch gut sein, dass Deine nächsten zwei, drei Projekte auch für das ältere Publikum sein werden?

WG: Absolut. Für nächstes Jahr sind jetzt zwei Projekte geplant, die beide weder Jugend- noch Kinderfilme sind. In diesem Jahr drehe ich noch den zweiten Tel von Die Vampirschwestern.

FF: Also es kommt eine Fortsetzung zu Die Vampirschwestern? Der erste Film war ja mit fast einer Million Zuschauern sehr erfolgreich.

WG: Genau. Es war super. Es waren alle sehr zufrieden, ich auf alle Fälle. Sonst würden wir ja auch keinen zweiten Teil machen dürfen. Wir werden im September die Dreharbeiten beginnen. Für nächstes Jahr sind dann aber zwei Filme in der Planung, die ein ganz anderes Genre abdecken, ganz klar ein Erwachsenen-Genre.

FF: Wenn Du dir die deutsche Filmlandschaft anschaut, wie siehst Du den Zustand von dem deutschen Jugendfilm? Also weniger dem Kinderfilm – da gibt es ja schon sehr viele gute und erfolgreiche Produktionen, die auch in Serie gingen – sondern Filme für das ältere Teenager-Publikum, die aus Deutschland kommen. Ich sehe da persönlich nicht viele Vertreter. Siehst Du das anders oder wie beurteilst Du den Stand der Dinge?

WG: Ne, ich glaube schon, dass es viele gibt, die das gerne machen würden oder es auch versuchen. Es ist aber eine schwer zu kriegende Zielgruppe. In dem Moment, wo es in den Bereich über 14/15 (Jahren) geht, da müssen wir uns mit den großen Monster-Blockbustern aus Amerika messen. Das wird schon schwierig und deshalb gibt es da nicht so viele Projekte, die in diese Zielgruppe reinragen. Ich würde mir wünschen, dass es mehr deutsche Filme in diese Richtung gibt. Ich glaube nämlich, dass die Situation sehr ambivalent ist. Auf der einen Seite gibt es in der Altersklasse oftmals eine generelle Ablehnung gegenüber deutschen Filmen. Das ist gerade beim männlichen Publikum sehr weit verbreitet, welches dann lieber internationale Action sehen möchte. Aber es gibt ja auch einen Grund, warum diese Haltung existiert. Ich glaube, dass wir in den letzten zehn Jahren einfach zu wenige richtig gute Filme für diese Zielgruppe gemacht haben und ich denke Systemfehler – Wenn Inge tanzt ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben eine Komödie jetzt, die auf der einen Seite extrem tolle, schräge komödiantische Momente hat und auf der anderen Seite auch sehr emotionale Elemente. Dazu kommt die Musik, die, wie ich finde, sensationell ist und sich in den Charts super aufgehoben fühlt. Trotzdem ist sie schräg genug und nicht totaler Mainstream.

FF: Ich finde, Dein Film braucht sich nicht hinter diversen US-Filmen zu verstecken, die dasselbe Publikum ansprechen – weder schauspielerisch noch regietechnisch. Ähnliche Themen wurden ja auch schon in dem einen oder anderen Film aus den USA, aus Großbritannien verarbeitet. Gab es irgendwelche direkten filmischen Vorbilder für Systemfehler.

WG: Nicht direkt. Es gab so ein Grundgefühl von Filmen aus den achtziger und neunziger Jahren, vor allem deren Wirkung auf uns selbst als Jugendliche wie beispielsweise Ferris macht blau.

FF: Also Filme von John Hughes?

WG: Zum Beispiel. Oder auch der Durchbruch von John Cusack, The Sure Thing, auf deutsch Der Volltreffer. Das waren Filme, deren Plots mit unserem Film nichts zu tun haben, aber vom Grundgefühl, das wir damals hatten, gibt es Ähnlichkeiten. Damals dachten wir: "Endlich ein cooler Film, bei dem wir uns amüsieren können, bei dem wir uns auch selbst sehen können und bei dem wir auch unsere Sprache wiedererkennen". Ein solches Gefühl wollten wir wieder erzeugen. Die Geschichten sind aber komplett anders. Deswegen kann man diese beiden Filme (Ferris macht blau und Der Volltreffer) vor allem als gedanklich-emotionale Anlehnungen sehen.

Wolfgang Groos Interview 1
Szenebild aus "Systemfehler – Wenn Inge tanzt"

FF: Was den Film wiederum etwas unterscheidet von den ähnlichen US-amerikanischen Streifen sind die zwei großen Nacktszenen, was natürlich auch an dem amerikanischen Zensursystem liegt. Wie war es denn für die Darsteller, die Komparsen und für Dich, diese Szenen zu drehen?

WG: Die ersten Nacktszene, die wir gedreht haben, war die Poolparty-Szene. Bei dem Drehtag dachten wir erst "Mal gucken, wie es so wird". Dann entsteht aber eine Eigendynamik. Ich habe allen meinen Schauspielern gesagt, dass ich nichts von ihnen zeigen werde, was sie auch nicht möchten, dass es gezeigt wird. Es war eine Abmachung und wenn man diese Abmachung einhält, dann haben sie Vertrauen und können sich gehen lassen. Wir haben es auch so gefilmt, dass man beim Gucken weiß, dass er (Anm: Thando Wlabaum) komplett nackt ist, aber es ging mir nicht darum, spezielle anatomische Dinge zu zeigen (lacht). Als es klar war, dass das Vertrauen da ist, ab dem Moment hatten wir unheimlich Spaß bei dem Dreh. Generell hat das Drehen der Poolparty, nach dem anfänglichen Anlauf, unheimlich viel Spaß gemacht. Die zweite Szene, beim Konzert, sie war von Anfang an Fun. Das war von Anfang an lustig und wir haben viel Spaß gehabt. Es war so unglaublich heiß, dass am Ende ich auch mit freiem Oberkörper da stand. Das war super entspannt. Das liegt auch daran, dass in dem Moment, wo man mit Musik arbeiten kann, es für alle entspannt ist.

FF: Es war auch eine sehr lustige Szene und ein amüsant gefilmter Drogenrausch des Drummers. Mir ist im Film aufgefallen, dass die männlichen Charaktere durchaus bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich nehmen. War das nur für den Comedy-Effekt oder wie stehst Du zu der Aussage?

WG: Ich persönlich habe damit sehr geringe bis gar keine Erfahrungen. Ich glaube auch nicht, dass man es selbst erlebt haben muss, um es filmisch darzustellen. Mir geht es auch nicht darum, dass wir jetzt hier einen "Trainspotting"-Effekt haben oder mit dem Zeigefinger wedeln und sagen: "Macht das nicht!". Uns ging es einfach darum, dass es Teil der Jugendkultur ist. Immer so zu tun, als ob es das nicht gäbe oder es auszuschließen oder zu sagen: "Wir dürfen unsere Hauptcharaktere das nicht machen lassen, weil wir sie damit beschädigen", ist für meinen Begriff einfach ein Fake. Das fällt dann wiederum dem jungen Publikum auf. Wir stellen uns ja nicht hin und sagen: "Nehmt Drogen und dann wird alles cool". Im Endeffekt ist es aber so, dass die Jugend das tut und wir verschweigen es nicht. Es würde dem Ganzen auch an vielen Punkten helfen, wenn man ein bisschen  entspannter mit solchen Situationen umgehen würde. Unsere Gesellschaft ist ja auch in diesem Punkt nicht ganz ehrlich. Wenn jemand Wein oder anderen Alkohol trinkt, gehört das zur normalen Kultur und solange man das in Maßen tut, ist alles cool. So sehe ich das auch mit anderen Dingen. Solange man es in Maßen tut, ist das einfach Teil unserer Jugendkultur.

FF: Eine ganz andere Frage. Wie seid Ihr eigentlich auf den Namen "Systemfehler" für die Band gekommen?

WG: Wir haben uns lange überlegt, wie wir die Band nennen. Irgendwann kam mir und meiner Frau der Gedanke mit "Systemfehler". Wir haben uns überlegt, wogegen sie sein können und zu dem Zeitpunkt gab es schon die Songs – neben "Wenn Inge tanzt" auch andere wie "Konsuminfarkt" – die in sich gegen das Establishment sind und da kam uns auch der Gedanke mit "Systemfehler". Sie empfinden sich, auch wenn sie es nicht wirklich sind, als einen Fehler im System, als welche, die aus dem System ausbrechen, die etwas anders sind in ihrer Schule und der Gesellschaft. Dann mochten wir den Bandnamen so sehr, dass daraus auch der Filmtitel entstanden ist.

FF: Wenn man genau hinschaut, sind die Jungs von der Band und Inge doch gar nicht so unterschiedlich. Beide grenzen sich von der Mainstream-Gesellschaft eher ab. Inge tut es mit ihren Wohltätigkeitsveranstaltungen und dem Öko-Aktivismus und die Band verpackt das in ihre konsumkritischen Songs.

WG: Das sind die beiden extremeren Pole, deshalb haben sie auch die Gemeinsamkeit, dass sie anders sein wollen bzw. anders sind als die Masse. Wenn diese beiden Pole aufeinander treffen, dann rappelt’s meistens. So ist es auch im echten Leben. Und wenn sie es dann schaffen zu kapieren, dass der andere genau so eine besondere Qualität hat wie man selber, dann könnte das passieren, was bei uns im Film passiert – dass man feststellt: "Wow, es könnte der Richtige sein".

FF: Kannst Du vielleicht etwas über die Zusammenarbeit mit den älteren Darstellern wie Peter Kraus und Jürgen Tarrach erzählen?

WG: Wir haben ja mit Jürgen Tarrach und Peter Kraus zwei Haudegen, wobei man ehrlicherweise natürlich sagen muss, dass die beiden unterschiedlich alt sind. Und dann auch noch Matthias Koeberlin, der, wie ich finde, Dan Biermann, den Musikmanager,  fantastisch spielt. Die Jungs von "Madsen" haben es gesehen und meinten:  "Ja, genau so sind sie!". Mit Jürgen Tarrach war es eine ganz tolle Zusammenarbeit. Er hatte die Schwierigkeit mit dem Hund spielen zu müssen. Er hat uns im Vorfeld mitgeteilt, dass er nicht so gerne mit Hunden dreht und ich habe versprochen, dass wir einen Top-Hund holen. Wir haben den Hund dann auch gecastet und beim Dreh hat er leider überhaupt nicht gemacht, was er machen sollte. Es war genau so, wie Jürgen es befürchtet hat, aber wir konnten nichts dafür. Er war aber extrem cool. Auch wenn er Angst vor Hunden hat, hat er es sensationell gelöst und da habe ich großen Respekt vor. Was Peter Kraus betrifft – er ist ein Phänomen. Er ist körperlich so fit, und geistig sowieso. Er ist top in Form und das macht mir als jungem Mann schon fast Angst. Es war natürlich auch eine Herausforderung, wie das wohl werden würde. Man hat Peter Kraus lange nicht mehr im Kino gesehen. Bei seinem ersten Drehtag hat er es uns allen aber gezeigt, dass es richtig gut werden würde. Er hat diese Ironie. Als wir ihm das Drehbuch geschickt haben, meinte er, dass er das gut findet, er aber Herb (König, seinen Charakter) noch krasser machen würde als er vorher schon war. Da wusste ich, dass er Herb König als Figur sieht und nicht will, dass Peter Kraus sich selbst im Film spielt. In dem Moment wusste ich, dass es super werden würde.

FF: Zum Abschluss – es kommen jede Woche viele neue Filme ins Kino: Hollywood-Konkurrenz, Blockbuster, Filme aus anderen Ländern. Da ist es natürlich nicht leicht für einen Film, insbesondere einen deutschen Jugendfilm, sich durchzusetzen. Kannst Du vielleicht kurz in Worte fassen, warum die Zuschauer Systemfehler – Wenn Inge tanzt im Kino sehen sollten?

WG: Ich glaube, dass es eine außergewöhnlich lustige Komödie ist, die aber nicht emotional platt erzählt wird. Ich glaube es macht besonders Spaß, sich diesen Film mit Freunden anderthalb Stunden lang anzuschauen. Man wird lachen können, man wird mitfühlen können und es gibt fantastische Musik, Wenn ich mir vorstelle, wie ein Kinoabend für mich verläuft – mich mit Freunden treffen, Popcorn kaufen und mich unterhalten lassen – das kann der Film ganz sicher!

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Systemfehler – Wenn Inge tanzt läuft ab dem 11.07.2013 in den deutschen Kinos (hier geht es zu unserer Filmkritik)