Where the Wild Things Are, USA 2009 • 101 Minuten • Darsteller: Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo • Mit Originalstimmen von: James Gandolfini, Lauren Ambrose, Chris Cooper, Forest Whitaker, Catherine O’Hara, Paul Dano • Musik: Carter Burwell • FSK: ab 6 Jahren • Kinostart: 17. Dezember 2009 • Offizielle Website
Ich begegnete Dinosaurier, trainierte Löwen, rettete Welten, sicherte das Universum, ich war überall und sah alles und fühlte alles und liebte alles. Ich war ein Kind, klein und schmal, und doch begrenzte nichts meine Vorstellungskraft, die jeden Tag wütete und die Langeweile besiegte. Wie schön war das, wie unbekümmert diese Zeit doch war, wie herrlich unberührt von Sorgen, von Nöten, von Ängsten all jene Abenteuer doch waren!
Zu schnell verging diese Zeit der Kindheit, sie schweifte dahin, nahm Platz in unseren Erinnerungen und kauerte bereit für den Abruf in der letzten Ecke des Gehirns, das so voll ist mit Anstrengungen, Verpflichtungen, kurz: Leben.

„Wo die wilden Kerle wohnen“ fängt da an, wo Langeweile aufhört: Mit Gebrüll stürzt Max (Max Records) durch sein Haus, jagt seinen Hund und gibt sich seiner Kindheit hin. Er baut ein Schneeiglu und bewirft die Freunde seiner Schwester mit Schneebällen, er weint ob der Niederlage in der Schneeballschlacht und der Zerstörung seines Iglus, er rächt sich an seiner Schwester wegen unterlassener Hilfe und heult in seinem Bett. So facettenreich schafft es Regisseur Spike Jonze innerhalb weniger Minuten, den Geisteszustand seines Hauptcharakters zu visualisieren: Ein Kind mit eindrucksvoller Fantasie, unfassbar sensibel, rührend, ausschweifend, schwelgend. Eben so, wie wir alle waren, und wenn wir es nicht waren, so hatten wir das Verlangen danach, schon damals, und wenn nicht damals, dann heute.
Max aber, nun ja, er fixiert sich auf das Schlechte, auf das, was nicht passt zum Phantasieleben unter der Bettdecke oder im Iglu: Seine Mutter hat einen neuen Freund, einen, mit dem sie lachen kann, doch dieses Lachen löst nicht Max aus, sondern dieser fremde Mann in einer plötzlich fremden Welt. Max rückt sich in den Mittelpunkt, will jetzt der Junge sein, der die Mama zum lachen bringt, wie wir es alle wollten damals. Es kommt zum Streit, plötzlich zwar, aber nicht unerwartet, und so läuft Max weg, weit weg, immer weiter, schnappt sich ein Boot, schippert übers Wasser, bis er eine Insel entdeckt und somit ein neues Leben – oder: eine neue Kindheit. Eine bessere Kindheit, in der alles so ist, wie es sein sollte; in der die Gedanken im Kopf – so abwegig sie auch sein sollten – das Echte verdrängen. Daraus entsteht die Kindheit – daraus entstehen die wilden Kerle.

Die Geschichte in diesem Film, zugegeben, die bietet eigentlich nicht viel. Aber in Spike Jonzes Meisterwerk kämpfen Gefühle gegen Probleme, Realität gegen Scheinwelt und Metapher gegen Bilder. Max kreiert fluchtartig, losgelöst von dem Realen hinter ihm am anderen Ufer eine Welt, die dem Perfekten nahe sein soll, so wie es seine Phantasie schon immer war. Keines dieser Monster aber lebt fröhlich Tag ein, Tag aus und keines dieser Monster entspringt den Idealen aus Max' Gedanken. Im Gegenteil: Max ringt mit sich und dem Werden zum Erwachsenen oder zumindest dem Aufbauen eines Verständnis', das fortgeschrittener ist als das eines verspielten Kindes. Jede Kreatur nimmt einen Platz ein in Max' Entwicklung für Empathie, für das Verstehen von Ereignissen, die einfach nicht in die Abenteuer passten, die er täglich erlebte – fernab von Mutter, Schwester, Vater.

Groß sind die Bilder, die Spike Jonze hier erschafft, ebenfalls. Größer und spektakulärer und umwerfender als alles, was sich die vergangenen Jahre Film nannte. Im Wald boxen und werfen sich die wilden Kerle durch Äste und Laub, brüllen und lachen wie ob der Lautstärke anscheinend seit Jahren nicht mehr und frohlocken angesichts der Lebenslust, der Unbeschwertheit, ja, verdammt, sie lieben und huldigen ihr Leben, das so ist, wie sie es sich immer vorstellten. Und dann, wenn im Hintergrund die Sonne aufgeht und Max und die wilden Dinger am Rande einer Klippe stehen, liebe und huldige auch ich mein Leben. Untermalt mit irgendwie chaotischer, aber die Emotionen perfekt unterstützende Musik mit Kindergebrüll im Hintergrund entsteht eine Kulisse, herrje, die ihresgleichen sucht.


Doch der größte Respekt gebührt Spike Jonze, der zusammen mit Co-Autor Dave Eggers die Geschichte des Kinderbuchs passend und rührend erweitert hat. Denn keiner der Charaktere hat ein einfaches Gemüt, daraus entsteht aber erst die teils düstere Melancholie, wenn etwa Carol sein selbstgebautes Utopia seiner Insel zeigt, in dem alle friedlich miteinander leben und sich vereinend lieben, so, wie es sein sollte. Ohnehin spürt man die Angst immerzu. Wenn etwa Max Carol fragt, ob er wusste, dass die Sonne irgendwann sterben wird; oder als Carol davon erzählt, dass die Insel sich zunehmend in Sand wandelt; oder als sich Max im Magen von KW versteckt, als sie gerade mit Carol streitet. Brillant inszeniert und geschrieben ist das alles, so verträumt und wunderschön und sich irgendwie so real anfühlend, dass einem am Ende nur noch die Tränen kommen. Man muss sich dafür nicht schämen, keineswegs, denn sollten wir weinen, hachja, da wird uns einfach wieder bewusst, wie unendlich schön doch die Kindheit war.

Am Ende aber – und das ist eine Leistung von unbeschreiblicher Leistung -, da weiß ich, dass Filme, trotz der Schwächen, trotz für Kinder manch ungeeignete Szene, trotz der manchmal schwer nachvollziehbaren Handlungen der Monster, da weiß ich jetzt voller Euphorie und mit vehementer Aufrichtigkeit: Nach diesem Meisterwerk können Filme nicht mehr besser werden.

