Scary Stories to Tell in the Dark, USA/CA 2019 • 107 Min • Regie: André Øvredal • Mit: Zoe Colletti, Michael Garza, Gabriel Rush, Austin Zajur, Natalie Ganzhorn, Dean Norris • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 31.10.2019 • Website
Handlung
Es ist Halloween im Jahr 1968. Der Vietnamkrieg wütet und bestimmt die Stimmung in den USA. Doch im ländlichen Kaff Mill Valley haben die junge Horror-Liebhaberin Stella (Zoe Colletti) und ihre besten Freunde Auggie (Gabriel Rush) und Chuck (Austin Zajur) haben ganz andere Sorgen. Sie spielen dem halbstarken Tommy Milner (Austin Abrams), der sie immer schikaniert, einen fiesen Streich. Als Tommy und seine Freunde das Trio daraufhin durch die Stadt jagen, finden die Teenager zunächst Zuflucht in einem Autokino, wo sie auf den durchreisenden Ramón (Michael Garza) treffen, der ebenfalls zu Tommys Zielscheibe wird. Gemeinsam fliehen sie in ein altes, verlassenes Haus, um das sich viele Gerüchte ranken. Dort lebte einst die wohlhabende Familie Bellows, die Mill Valley mitbegründet hat. Doch die Bellows hatten ein dunkles Geheimnis. Ihre jüngste Tochter Sarah wurde wegen ihres andersartigen Aussehens in einem Kellerraum eingesperrt. Die Legende besagt, dass sie Kindern, die sie aus Neugier besucht haben, gruselige Geschichten durch die Wände geflüstert hat, woraufhin sie spurlos verschwunden sind. Tommy ist Stella und ihren Freunden in das Haus gefolgt und sperrt sie dort gemeinsam mit Chucks Schwester und seiner gelegentlichen Freundin Ruth (Natalie Ganzhorn) in Sarah Bellows' altem Verlies ein. Die Teenager können sich befreien, doch Hobby-Autorin Stella lässt leichtsinnigerweise das Buch mit Sarahs Gruselgeschichten mitgehen. Damit beschwört sie ihren rachsüchtigen Geist herauf, der neue Geschichten in das Buch schreibt. Deren Hauptfiguren: die Kids selbst! Schon bald gibt es das erste Opfer.
Kritik
Zum Horrorfan wird man für gewöhnlich jung. Im Gegensatz zu anspruchsvollen Dramen, die man in der Regel erst später im Leben wertzuschätzen lernt, ist Horror ein Genre, zu dem man bereits in den jungen Jahren in der einen oder anderen Form Zugang findet. Diese ersten Erfahrungen prägen häufig eine lebenslange Liebe für das Genre. Wie bei vielen anderen Dingen, ist es der Reiz des Verbotenen und des Gefährlichen, mit dem Horror lockt. Man setzt sich ihm für eine kurze Zeit aus, bevor man sich wieder in die eigene sichere Welt zurückziehen kann. Wie eine Achterbahnfahrt sorgt guter Horror für belebenden Adrenalinausstoß. Jeder Horrorfan hat seine eigene Geschichte, wie er oder sie mit dem Genre in Kontakt gekommen ist. Bei vielen war es der sanfte Einstieg, beispielsweise mit den "Gänsehaut"-Büchern von R.L. Stine oder Filmen wie Gremlins oder Ghostbusters. Bei mir waren es A Nightmare on Elm Street und Tanz der Teufel (ich hatte sehr entspannte Eltern).
Für viele junge US-Amerikaner, die in den Achtzigern und Neunzigern aufgewachsen sind, waren es die "Scary Stories to Tell in the Dark"-Bücher von Alvin Schwarz. In drei von 1981 bis 1991 veröffentlichten Bändern sammelte Schwartz zahlreiche, meist nur eine bis zwei Seiten lange Gruselgeschichten, die ihren Ursprung in der Folklore und Großstadtlegenden hatten. Die Babysitterin, die unheimliche Anrufe erhält, der Mörder mit der Hakenhand, Alligatoren in der Kanalisation – diese und viele andere Geschichten haben ihren Weg in Schwartz' Bücher gefunden. Noch berühmt-berüchtigter als die Bücher selbst waren die grausigen schwarzweißen Illustrationen von Stephen Gammell.


Es ist ein Film, der selten wirklich gruselig, aber dafür durchweg stimmig und schaurig ist. Was der Film nicht ist, ist zahm. Zwar gibt es keine Blutfontänen oder Splattereinlagen, doch die Gefahr für die Protagonisten ist stets sehr real. Nur weil es Kinder sind, bedeutet es hier definitiv nicht, dass sie vor dem Bösen sicher sind. Nachdem die ersten Geschichten von Sarah Bellows zum Leben erwachen, stellt sich sogar ein Gefühl der Unausweichlichkeit ein, nicht unähnlich dem Horror-Meisterwerk It Follows (der kurioserweise eine niedrigere Altersfreigabe in Deutschland erhalten hat, obwohl er deutlich weniger für ein junges Publikum geeignet ist).

Anstatt mehrere Geschichten der Vorlage als Anthologie umzusetzen, verbindet sie im Film ein übergreifender Handlungsbogen über ein junges Mädchen, deren Misshandlungen als Kind sich in einer unaufhaltsamen Wut materialisierten. Man könnte aber auch sagen, dass der wahre Horror, der über allem in dem Film schwebt, der Geist des Vietnamkriegs ist – kaum im Vordergrund thematisiert, aber dennoch stets präsent. So wie die Kinder in dem Film im Angesicht des ungreifbaren Schreckens erwachsen werden müssen, so verlor auch Amerika in den Sechzigern durch den Horror von Vietnam seine Unschuld. Es gibt keinen Weg zurück, und so bleibt auch den Kids nichts anderes übrig, als zusammenzuhalten und gemeinsam einen Weg zu suchen, dem Albtraum zu entkommen.

Trotz einiger leichter Mankos gelingt Scary Stories to Tell in the Dark genau das, was der Film sich zum Ziel setzt. Es ist eine offene Liebeserklärung an das Horrorgenre, die jüngeren und älteren Fans gleichermaßen einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Ein potenzieller moderner Halloween-Klassiker ist geboren, dessen Ende – nicht ganz happy, aber optimistisch – eindeutig auf eine Fortführung ausgelegt ist, die wir hoffentlich zu sehen bekommen werden.
Fazit
Als ein rundherum gelungener Horrorfilm für Jugendliche stellt Scary Stories to Tell in the Dark den Unterschied zwischen "gruselig" und "schaurig" perfekt heraus. Tonal irgendwo zwischen den "Gänsehaut"-Büchern und der neuen Verfilmung von Stephen Kings "Es" angesiedelt, ist der Streifen ein Liebeserklärung an das Horrorgenre und seine Fans. Guillermo del Toros unverkennbare Handschrift und André Øvredals sichere Regie sorgen für viele einprägsame, unheimliche Momente mit Gänsehaut-Garantie und wohligem Halloween-Feeling.

