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30 Minuten oder weniger (2011)

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30 Minutes Or Less, USA/CDN/D 2011 • 83 Min • Regie: Ruben Fleischer • Drehbuch: Michael Diliberti • Mit: Jesse Eisenberg, Aziz Ansari, Danny R. McBride, Nick Swardson, Michael Pena • Kamera: Jess Hall • Musik: Ludwig Goransson FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Sony Pictures Kinostart: 24.11.2011

 

30 Minuten oder weniger hat der Pizzabote Nick (Oscar-Nominee Jesse Eisenberg, „The Social Network“) in der gleichnamigen Crime-Comedy von Ruben Fleischer Zeit, um die saftig belegten Bestellungen bei den Kunden abzuliefern. Kommt er über dieses Limit, werden ihm die verspäteten Tomatentorten vom Lohn abgezogen. Sein Boss (Brett Gelman) vertritt diesen Slogan mit erbarmungsloser Konsequenz.Im Prinzip könnte Nick behaupten (abgesehen von der sporadischen, berufsbedingten Action selbstverständlich) ein recht entspanntes Slacker-Leben zu führen. Allerdings findet dieses ein jähes Ende, als er während einer vorlauten Diskussion mit seinem besten Freund Chet (Aziz Ansari, „Männertrip“) herausfindet, dass dieser als Kind unbeabsichtigt dafür gesorgt hat, dass sich seine Eltern scheiden lassen, und er ihm anschließend, seinen Rachegelüsten folgend, beichtet, dass er Sex mit dessen Schwester Kate (Dilshad Vadsaria) gehabt hat. Der Freundschaft wird anschließend hastig das Aus erklärt. Ein Zustand, der aber nicht von langer Dauer bleiben soll. Denn Nick sucht seinen Lehrerbuddy schon bald mit einem wahrlich ernsten Problem am Hals in der Schule auf und bittet ihn um Hilfe: Zwei maskierte Kunden haben ihn bei der Pizzalieferung überwältigt und ihm eine Bombe um den Körper geschnallt. Sie erwarten von ihm, dass er innerhalb von zehn Stunden schlappe 100.000 Dollar auftreibt…oder er darf sich von seinem jungen Leben verabschieden. Die einzige Möglichkeit, in der Zeit an so viel Geld zu gelangen, scheint nun wohl tatsächlich ein Banküberfall zu sein – ein Gedanke, der den Freunden so gar nicht schmeckt. Nur, wie heisst der Spruch noch gleich? Mitgehangen, mitgefangen…

„30 Minuten oder weniger“ ist im Grunde ein locker-leichtfüßiger Mix aus Buddy-Abenteuer und schwarzer Thriller-Komödie. Dass das aberwitzige Szenario eigentlich sogar von einem wahren, ungleich tragischeren Vorfall aus dem Jahre 2003 inspiriert worden ist, reibt Fleischer den Zuschauern glücklicherweise nicht, wie heute üblich, zu Beginn seiner reichlich übertriebenen, aber durchweg unterhaltsamen Version der Geschehnisse unter die Nase. Das, was man hier zu sehen bekommt, gibt sich ganz klar als amüsanter Spielfilm für den kurzweiligen Abend zu erkennen. Nicht mehr, nicht weniger. Das große Drama bleibt außen vor. Wichtiger ist es dem Regisseur hier, wie bereits bei seinem „Zombieland“ (2009) zuvor, gewesen, sympathische Figuren zu entwerfen, deren Schicksal einem trotz des gelegentlichen Klamauks nicht völlig schnuppe ist. Dieser Ansatz ist ihm dann auch weitgehend geglückt – selbst wenn der genannte Vorgänger im Vergleich dann doch noch ein ganzes Stück herzlicher und humorvoller ausgefallen ist. Das Konzept einer nahezu auswegslosen Situation, die von einem Sprengsatz und einem limitierten Zeitfenster dominiert wird, kommt einem nicht zuletzt aus John Carpenters Klassiker „Die Klapperschlange“ (1981) oder Jan de Bonts schweißtreibendem Kracher „Speed“ (1994) bekannt vor, mit dem Unterschied, dass sich die Bedrohung in „30 Minuten oder weniger“ nicht annährend so beklemmend anfühlt. Die beiden – von Danny McBride („Up in the Air“) und Nick Swardson („Meine erfundene Frau“) verkörperten – Bösewichte sind selbst viel zu sehr verplante Trottel, als dass man ihnen ihren (zugegebenermaßen) ganz schön hinterhältigen Plan, Nick zu benutzen, um das Geld aufzutreiben, welches sie für die Bezahlung eines Auftragskillers benötigen, wirklich krumm nehmen könnte. Einer der kriminellen Blödköpfe hat nämlich einen schwer reichen, aber verhassten Marine-Papa (Fred Ward, „Tremors – Im Land der Raketenwürmer“), der nun eben das Zeitliche segnen und seinem Sohnemann das Vermögen überlassen soll. Einfacher Plan, klarer Plan. Geht nur leider selten gut. Und erst recht nicht in Filmen wie diesem…

Natürlich brennt Ruben Fleischer nach kurzer Einführung der Charaktere und Initiierung des Plots das gesamte Arsenal möglicher und unmöglicher Späße ab (von der beiläufigen Besorgung des Fluchtwagens, über den reichlich unbeholfenen Bankraub bis zur verzwickten Geldübergabe), die aber trotz ihrer mangelnden Innovation immer noch einen gewissen Charme versprühen und es vermögen, den Zuschauern das gewünschte Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Kritisch darf man an „30 Minuten oder weniger“ allerdings anmerken, dass abgesehen von dem hohen Unterhaltungswert ein wirklicher Spannungsbogen fehlt. Das mag zum einen einfach den absichtlich stumpf gezeichneten Kriminellen mit dem Slayer-Ringtone geschuldet sein, zum anderen aber auch daran liegen, dass sich die offensichtlichste Konsequenz (abgesehen von dem um den Körper gebundenen Sprengstoff natürlich) für die Helden der Geschichte, die Konfrontation mit den Gesetzeshütern, auf eine solide inszenierte Mini-Verfolgungsjagd beschränkt. Man hätte wohl schon etwas mehr Action und Adrenalin von dem Regisseur erwarten dürfen. Dass er auch ganz anders kann, hat er ja bereits im Showdown von „Zombieland“ bewiesen, der hier leider keine ähnlich elektrisierende Entsprechung findet. Irgendwie beschleicht einen auch das Gefühl, dass Fleischer nach seinem witzigen Abenteuer die Puste für einen cleveren Schlussstrich ausgegangen ist. Das ist etwas schade, ändert aber trotzdem nichts an dem positiven Gesamteindruck, den man sich aus dem Kinobesuch mitnehmen kann.Der Plot ist interessant, die Schauspieler gut aufgelegt (Eisenberg etwas unterfordert) und die Umsetzung tight. Vielleicht macht „30 Minuten oder weniger“ auch einfach deshalb so viel Spaß, weil er so unspektakulär und unverkrampft eine Story erzählt, die man auch in ein aufgesetzt-tobendes Actioninferno hätte zwängen können…aber Moment mal: War das nicht eben noch einer meiner Kritikpunkte…?!

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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Four Lions (2010)

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Four Lions, GB 2010 • 97 Min • Regie: Chris Morris • Drehbuch: Jesse Armstrong, Sam Bain, Chris Morris & Simon Blackwell • Mit: Riz Ahmed, Arsher Ali, Nigel Lindsay, Kayvan Novak, Adeel Akhtar, Benedict Cumberbatch • Kamera: Lol Crawley • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Capelight Pictures Kinostart: 21.04.2011

 

„I think I’m confused, but I’m not sure!“

 

Terrorismus ist mit Sicherheit keine Sache, mit der man scherzen sollte. Und dennoch nimmt sich der britische Satiriker Chris Morris die Dreistigkeit heraus, seinen ersten Spielfilm „Four Lions“ thematisch in genau einem solchen Milieu anzusiedeln und dabei seine Zuschauer eher zu belustigen, als zu schockieren. Oder schockiert er sie gar, indem er sie belustigt? Oder umgekehrt? Schauen wir doch mal. Es existieren unterschiedlichste Formen von Terrorismus. Terrorismus mit einer sozialrevolutionären Ausrichtung beispielsweise. Eine Umwälzung bestehender, gesellschaftlicher Besitzverhältnisse ist in diesem Fall ein erklärtes Ziel der gewaltbereiten Revoluzzer, wie etwa der RAF. Der aktuell wohl aber brisanteste und von der Allgemeinheit gefürchtetste Hintergrund für die Verbreitung von Angst und Schrecken ist der fundamental-religiöse. Beispiele dafür gibt es etliche, die Medien sind voll mit Berichten über kleine und große, „geglückte“ oder gescheiterte Anschlagsversuche. Wir wollen an dieser Stelle auch gar nicht erst weiter auf diese eingehen, sondern uns nun endlich Morris' fiktiver Geschichte zuwenden. Im Zentrum von „Four Lions“ stehen der junge Omar (Riz Ahmed) und seine drei Freunde Waj (Kayvan Novak), Faisal (Adeel Akhtar) und Barry (Nigel Lindsay), die allesamt als radikalisierte Muslime in Sheffield leben. Barry ist eigentlich erst spät zum Islam konvertiert, vertritt aber dafür die extremsten Ansichten innerhalb der kleinen Gruppe von entschlossenen Selbstmordattentätern. Und er hat auch schon eine Idee für ein potentielles Ziel: Eine Moschee soll es sein. Seine etwas unorganisierten Glaubens-Mitstreiter sind von dem Plan, die gemäßigten Muslime auf diese Weise zu radikalisieren, nicht recht überzeugt und suchen nach weiteren Optionen. Während Omar und Waj ein Trainingscamp in Pakistan besuchen, aber aufgrund diverser „Pannen“ von dort verbannt werden, hat Barry in Hassan (Arsher Ali) einen weiteren Gefährten rekrutiert. Gemeinsam tüfteln die Fünf an Sprengsätzen herum, bis sie sich auf einmal nur zu viert wiederfinden. Zumindest ihr Ziel steht nun endlich fest: Der London-Marathon…

Gibt es im Paradies eigentlich auch Jungfrauen für Märtyrer-Krähen? Diese Frage müsste man sich nach der Sichtung von „Four Lions“ eigentlich stellen, denn genau ein solches Federvieh findet in dem Film nach einem selbstlosen Bomben-Test sein vorzeitiges Ende. Man könnte natürlich auch spitz mutmaßen, dass das arme Tier sein Leben eigentlich gar nicht für einen höheren Zweck gelassen hat, sondern schlicht dem Schwachsinn einiger verpeilter Möchtegern-Terroristen zum Opfer gefallen ist, die selbst so gar nicht recht verstehen, was sie da gerade tun. Freilich ist das hier alles nur ein Film – auch wenn uns der Abspann später äußerst glaubhaft (zwinker, zwinker) versichert, dass während der Dreharbeiten tatsächlich ein Schaf in die Luft gejagt worden sei. Und da sage nochmal jemand, die militanten Tierschützer seien diejenigen, die mit Sprengstoffen um sich werfen würden…

Regisseur Chris Morris setzt uns also einige wahrhaft ruchlose Zeitgenossen vor, denen es in ihrer grenzenlosen Unfähigkeit zumindest zufällig gelingt, völlig unbeteiligten Lebewesen den Garaus zu machen. Sein „Four Lions“ ist ein insgesamt recht cleverer, wenn auch nicht wirklich brillanter, Lachangriff auf ein reichlich heikles Thema. Die zwischen vier und fünf schwankenden Hauptcharaktere der Story werden selbstverständlich nicht als echte Helden gefeiert – so weit geht Morris mit seinem abgründigen Humor dann doch nicht. Sie sind vielmehr ein Grüppchen motivierter Menschen ohne echtes Motiv und mit Herz und Hirn an vertauschten Körperstellen, wie sie später unterbewusst selbst herausfinden sollen. Die meisten makabren Späße des Werkes zünden, während offensichtlicher Klamauk, wie zum Beispiel der rückwärts losgehende Raketenwerfer (Bitte lachen!), etwas bemüht in das Gerüst gequetscht wirkt und vermutlich zusätzlich die konventionelle Komödien-Fraktion ins Kino locken soll. So ist das wohl. „Four Lions“ ist kein Film, der die Welt retten wird. Wahrscheinlich wird er nicht einmal daran teilhaben, diese in irgendeiner Form zu verändern oder zu verbessern. Terroristen werden ihn sich wohl eher weniger anschauen, und falls doch, wird er sie wohl kaum dazu animieren, noch einmal über die Sinnhaftigkeit der geplanten Tat nachzudenken. Die letztlichen Zuschauer werden lachen oder sich womöglich gar empört zeigen, aber für ein bleibendes Zeichen ist die präsentierte Satire dann doch noch zu harmlos.

Obwohl im Handlungsverlauf eindeutig die Ironie überwiegt, gibt es hier dennoch einige Momente, welche ganz schön bitter auf der Zunge liegen: Wenn Omar mit seiner Frau und seinem Kind zusammen ist, scheint sein Vorhaben einen ganz natürlichen Platz im Familienleben einzunehmen. Vor dem Schlafengehen erzählt der Sicherheitsmann seinem Sohn erfundene Geschichten von Simbas Dschihad. Die Wurzel allen Terrors entpuppt sich erneut als große Lüge im unschuldigen Gewand. Wie ist es in der Realität? Fügen sich fundamental-religiöse Attentäter wirklich zunächst so unscheinbar in eine Gesellschaft ein und können trotz Familie und ganz gewöhnlicher Interessen von einem Moment zum anderen so unvermutet auf einen Knopf drücken? Auch wenn der Rest von „Four Lions“ auf seine Weise belustigend sein mag, so gibt einem diese geschilderte, beharrliche Ignoranz der eigenen Vernunft zu denken. Hier hat Chris Morris einen echten Punkt gesetzt – und ansonsten eine sehr unterhaltsame, wenn auch finster-böse, Komödie abgeliefert, die bereits auf diversen Festival-Aufführungen von sich reden gemacht hat.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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The Woman (2011)

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The Woman, USA 2011 • 108 Min • Regie: Lucky McKee • Drehbuch: Lucky McKee & Jack Ketchum • Mit: Pollyanna McIntosh, Sean Bridgers, Angela Bettis, Lauren Ashley Carter, Zach Rand, Shyla Molhusen • Kamera: Alex Vendler • Musik: Sean Spillane FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Capelight Pictures DVD-Start: 09.12.2011

 

Die bissig-clevere Horrorsatire „The Woman“ markiert die erste echte Zusammenarbeit von Independent-Filmer Lucky McKee und Kultautor Jack Ketchum. Obwohl der Regisseur bereits zuvor die Ketchum-Adaption „The Lost“ (2006) in produzierender Funktion betreut hat und sogar einige Wochen an der Inszenierung von dessen Roman „Red“ (deutscher Titel: „Blutrot“) beteiligt gewesen ist, haben sich die beiden Kreativköpfe für diese Arbeit erstmalig gemeinsam an einen Tisch gesetzt, um ein weiteres Schreckensszenario zu entwerfen. Dabei spinnt der Film, dessen Buchvorlage parallel veröffentlicht worden ist, im Prinzip eine Geschichte weiter, die der Genre-Autor 1980 mit „Beutezeit“ initiiert und 1991 mit „Beutegier“ fortgesetzt hat. Beide Werke erzählen von einem mysteriösen Kannibalenstamm, welcher die Bewohner einer friedlichen Gemeinde in Maine grausam dezimiert. Am Ende des Sequels, das inzwischen auch als Verfilmung vorliegt, gelingt nur einer Angehörigen der wilden Horde verletzt die Flucht in den Wald. Diese Frau (erneut dargestellt von Pollyanna McIntosh) ist nun die Titelfigur in „The Woman“ Passender wäre es vielleicht gewesen, das Schauderstück gleich „The Women“ zu nennen. Denn eigentlich geht es im Kern der neuen Geschichte generell um die ignoranten, kleinen wie großen, Grausamkeiten, die leider immer noch in vielen Hinterzimmern unserer Gesellschaft von Männern an Frauen verübt werden. McKee und Ketchum fuchteln hier aber zum Glück nicht nur plump mit dem erhobenen Zeigefinger herum – sie drücken diesen munter und ohne Umwege in eine klaffende Wunde. Im Gegensatz zu den konsequent düsteren und ultrabrutalen Vorgänger-Vorlagen wird die Darstellung in „The Woman“ stets von einer schwarzhumorigen Note begleitet. Aber Vorsicht: Der Film ist keine Komödie! Der zynische Witz ist viel eher notwendig, um die inhaltliche wie grafische Gewalt ein wenig zu kompensieren und einen gewissen Abstand zu den Vorgängen auf der Leinwand herzustellen. Dass das Werk trotz seiner ironischen Inszenierung noch schwere Kost ist, und in manchem deshalb gar den Wunsch hervorruft, es verbrennen zu lassen, beweist ja nicht zuletzt eine recht prominente Zuschauerreaktion nach der Premiere auf dem diesjährigen Sundance Film Festival

Die Familie Cleek könnte auf den ersten Blick direkt aus einem Bilderbuch stammen. Vater Chris (Sean Bridgers) ist ein erfolgreicher Anwalt. Seine Frau Belle (Angela Bettis, „Toolbox Murders“) steht hinter dem Herd und kümmert sich um die drei Kinder. Die Kinder, das sind die Teenagerin Peggy (Lauren Ashley Carter), die kurz vor ihrem Highschool-Abschluss steht, das Nesthäkchen Darlin' (Shyla Molhusen) und der freche Brian (Zach Rand), welcher mit seinen Attitüden direkt nach seinem Vater kommt. „Tu nichts, was ich nicht auch tun würde“, zwinkert Chris Brian zu Beginn der Schulferien zu. Doch der Sohnemann ist ein aufmerksamer Beobachter und der gutgemeinte Rat lässt eine schreckliche Tat nach sich folgen. So weit sind wir allerdings noch nicht. Während der Jagd entdeckt Papa Cleek im Wald eine Frau, die wie ein Tier in einer Höhle haust und auch sonst nicht gerade zivilisierte Manieren an den Tag legt. Der pathologisch selbstbewusste Kontrollfreak entschließt sich deshalb, das arme Geschöpf einzufangen und es zusammen mit seiner Familie zu zähmen. Er legt die wilde Unbekannte in seinem Keller in Ketten und bekommt als Dankeschön erst einmal den Ringfinger abgeknabbert. So ein Biest! Um seinen Kindern Verantwortung beizubringen, weist er jedem eine feste Aufgabe bei der Haltung der Frau zu. Zunächst scheint das Konzept zur Zufriedenheit (fast) aller aufzugehen, bis ein innerer Drang Chris zu etwas treibt, was nicht ungesehen bleiben soll…

Es ist wohl meist eine positive Anmerkung, wenn man darauf verweist, dass sich die Handschrift des betreffenden Regisseurs direkt an den ersten Bildern seines vorliegenden Werkes erkennen lässt. Bei Lucky McKee, der 2002 mit „May“ ein vortreffliches Spielfilmdebüt vorgelegt hat, und „The Woman“ verhält sich das nicht anders: Auch wenn der grimmige Geist von Ko-Schöpfer Ketchum ebenfalls klar auszumachen ist, darf man die markante Verquirlung von schrägem Popcorn-Kino mit dramatisch-bedrohlichen Elementen wohl sehr eindeutig dem inszenatorischen Talent McKees zuschreiben. Allein die Untermalung von selbst unangenehmsten Szenarien mit beschwingten Indie-Songs, so als würde man gerade die neueste Teenie-Komödie aus Übersee begutachten, verleiht dem Werk eine sehr eigene Stimmung. Man bekommt das seltsame Gefühl vermittelt, dass doch eigentlich alles schön und gut ist, auch wenn die gezeigten Bilder eine deutlich andere Sprache sprechen. „The Woman“ manipuliert unser sauberes Bild einer typischen US-Kleinfamilie, indem er uns unter der freundlichen Oberfläche Dinge offenbart, die wir am liebsten nicht sehen würden, oder vor denen wir unsere Augen gerne verschließen.

Die Haltung eines Menschen als eine Art Nutztier ist dabei nur die comichaft-übersteigerte Spitze eines Eisbergs physischer und psychischer Greueltaten. Das erschreckend kühle Machtspiel der männlichen Protagonisen geht unter die Haut. Auch in kurzen Szenen, wo der Film einen privaten Blick auf die streng patriarchalische Familienordnung gewährt. Eine beiläufig ausgeteilte Backpfeife an die vermeintlich aufmüpfige Ehefrau führt bereits vor Augen, dass ihre Meinung in diesem Haushalt wohl nicht zählt. Es kommt allerdings noch viel, viel schlimmer. Nun liegt es Lucky McKee aber auch mehr als fern, die Frauen in seinem Werk als schwache, willenlose Opfer darzustellen. Im Gegenteil. Im Prinzip blickt man von deren Position auf die testosterongesteuerten, unberechenbaren Männer herab, die in Wirklichkeit diejenigen sind, die noch eine Lektion in Sachen „zivilisiertes Verhalten“ lernen müssten. Wer „The Woman“ mysogynische Tendenzen unterstellt, hat den Film ganz einfach nicht verstanden – oder hat sich möglicherweise gar von der unbeschwerten, männlichen Lebensweise in der ersten Hälfte einlullen lassen und sieht sich schließlich von dem düsteren, aber kraftvollen, Finale innerlich überrumpelt.

Stoßen könnten sich einige Zuschauer verständlicherweise an der teils doch expliziten Gewaltdarstellung. Als stupider Splatterstreifen lässt sich das Ganze jedoch keineswegs zusammenfassen. Hier werden nicht zum puren Selbstzweck irgendwelche Grenzen überschritten. Mehr, als nur mit seinen Bildern zu verstören, möchte das Werk nämlich inhaltlich wahrgenommen werden.Viele interessante Horrorgeschichten verfügen über einen provokanten, sozialkritischen Ansatz. „The Woman“ ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Und obendrein eine echte Genre-Perle.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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Attack The Block (2011)

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Attack The Block, GB 2011 • 88 Min • Regie & Drehbuch: Joe Cornish • Mit: Nick Frost, Jodie Whittaker, Luke Treadaway, John Boyega, Alex Esmail, Leeon Jones, Paige Meade, Jumayn Hunter • Kamera: Thomas Townend • Musik: Steven Price • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Wild Bunch • Kinostart: 22.09.2011

 

„This is too much madness to fit into one text!“

 

South London ist der ganz falsche Ort, um eine Alien-Invasion zu starten. Das erfährt ein zunächst einzelner Aggressor aus der Ferne der Galaxie am eigenen Leib, als dieser direkt nach seiner Ankunft auf dem blauen Planeten von der Straßengang des jungen Moses (John Boyega) brutal in seine extraterrestrischen Einzelteile zerlegt wird. Der Sieg der kriminellen Kids über das Unheil von Oben soll allerdings nicht von langer Dauer bleiben: Im Schutze des Feuerwerks während der Bonfire Night schlagen weitere Lichtbälle im Umkreis der tristen Wohnsiedlung ein. Nur, dass sich in diesen nun eine pelzig-schwarze Spezies mit messerscharfen Zähnen (die Critters lassen grüßen) befindet, welche Jagd auf die fünf Jugendlichen macht. Zusammen mit der Krankenschwester Sam (Jodie Whittaker, „Venus“) und dem Kiffer Brewis (Luke Treadaway, „Heartless“) verschanzen sich die Freunde in dem Gebäudekomplex und versuchen einerseits, ihren Block vor den Angreifern zu verteidigen und sich andererseits vor dem zornigen Gangster-Boss Hi-Hatz (Jumayn Hunter, „Eden Lake“) zu verstecken. Eine abenteuerliche und mörderische Nacht beginnt, die nicht jeder von ihnen unbeschadet überstehen wird…

„Attack The Block“, das Spielfilmdebüt des Londoners Joe Cornish, stellt neben J.J. Abrams' „Super 8“ schon die zweite diesjährige Hommage an das Science Fiction/Monster-Kino der frühen/mittleren Achtziger dar. Während sich Abrams' Arbeit jedoch eindeutig dem Werk Steven Spielbergs verschrieben hat, kommt sein britisches Gegenstück ungleich düsterer und blutiger daher und erinnert nicht selten an die etwas „leichteren“ Filme von John Carpenter („Big Trouble In Little China“, „Sie leben!“), gewürzt mit einer Prise von dessen knallhartem Actionthriller „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976). Die erste Einstellung könnte sogar direkt aus „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) stammen, nur dass die seltsam vertrauten, pulsierenden Klänge diesmal nicht von Carpenter und Morricone, sondern von Steven Price und den Electronica-Tüftlern Basement Jaxx komponiert worden sind. Produziert wurde der Film übrigens von Edgar Wright, der ja seit seiner Zombie-Satire „Shaun Of The Dead“ (2004) und dem Nachfolger „Hot Fuzz – Zwei abgewichste Profis“ (2007) so etwas wie Englands hoffnungsvollster Genre-Export ist. Abgesehen davon, dass „Attack The Block“ vergleichsweise ernstere Töne als Wrights eigene Arbeiten anschlägt, bemerkt man dennoch, dass hier Regisseur und Produzent auf einer Wellenlänge gefunkt haben, was die schräge Grundidee angeht. Cornishs Abenteuer ist durchweg unterhaltsam, actiongeladen und – trotz seiner US-Zitate – typisch britisch ausgefallen. Ohne viel Zeit zu verlieren, führt der Newcomer seine Kreaturen und minderjährigen, aber keineswegs unschuldigen, Charaktere ein. Gleich zu Beginn werden wir Zeuge, wie Moses und seine Gefährten die völlig eingeschüchterte Sam überfallen und obendrein noch ein davonlaufendes Etwas von einem fremden Planeten zu Tode schlagen. Man darf also wohl mit Recht behaupten, dass die Hauptfiguren der Geschichte nicht wirklich von vornherein als Helden taugen. Diesen Titel müssen sie sich erst noch verdienen.

Tatsächlich hat ein selbst erlebter Gang-Überfall den Regisseur erst zum Schreiben des Drehbuchs inspiriert. Ihn hat die Frage fasziniert, wer die jungen Täter in den Kapuzenpullis wirklich sind. Woher kommen sie, wie sieht ihr Leben sonst so aus? Auch wenn dieser sozialkritische Ansatz in Anbetracht der später geschilderten Ereignisse in den Hintergrund gerückt, beziehungweise eher auf humorvolle Weise abgehandelt wird, ist der etwas andere Blickwinkel auf ein erbarmungslos-brutales Umfeld erfrischend unangepasst – eine weitere Verbeugung vor den etwas kantigeren Helden aus den erwähnten John Carpenter-Filmen? So in etwa sähen dann wohl die älteren Goonies aus, wenn sie in South London aufgewachsen wären. Deren weitgehend unbekannte Darsteller verleihen ihnen schließlich genügend Energie und Witz, um dem Publikum auch einen Unterhaltungswert in den weniger turbulenten Szenen zu bieten, während Wright-Regular Nick Frost in einer Nebenrolle als Drogendealer einige Lacher ganz sicher auf seiner Seite hat. Im Großen und Ganzen lässt sich „Attack The Block“ also als solider Kino-Spaß bezeichnen, der aber leider einen Teil seines Potentials verschenkt. Selbst wenn das Konzept mit Sicherheit eher als Komödie, als als Horrorstreifen angelegt worden ist, hätte es dem Werk dennoch gut getan, wenn die Angriffe der Aliens, die mit ihrem pechschwarzen Äußeren recht ansprechend umgesetzt worden sind, auch den einen oder anderen Gänsehautmoment eingeschlossen hätten – schließlich sind die ja nicht zum Kuscheln vorbeigekommen. Am Ende des Films gibt es eine sehr gelungene Szene, in welcher die Protagonisten auf einem rauchgefüllten Flur vor den Wesen flüchten und sich aufgrund des dichten Schleiers aus den Augen verlieren. Hier beweist der Regisseur dann auch ein Händchen für echten Nervenkitzel, der seinem Debüt ansonstern etwas fehlt.

Im direkten Vergleich mit „Super 8“ verliert Cornish zwar die große Monsterschlacht, was aber nun wirklich nicht gegen einen netten Filmabend sprechen soll. Den kann man mit „Attack The Block“ nämlich durchaus haben.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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Don’t Be Afraid Of The Dark (2010)

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Don’t Be Afraid Of The Dark, USA/AUS 2010 • 95 Min • Regie: Troy Nixey • Drehbuch: Guillermo del Toro & Matthew Robbins • Mit: Katie Holmes, Guy Pearce, Bailee Madison, Alan Dale, Jack Thompson • Kamera: Oliver Stapleton • Musik: Marco Beltrami & Buck Sanders FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Studio Canal Home Entertainment DVD-Start: 03.05.2012

 

John Newlands TV-Grusler „Don’t Be Afraid Of The Dark“ (deutscher Videotitel: „Gate Of Darkness“, 1973) ist ein Film gewesen, der dem mexikanischen Fantasy-Spezialisten Guillermo del Toro als Kind schlaflose Nächte bereitet hat. Zusammen mit Matthew Robbins hat er sich deshalb das Original-Drehbuch von Nigel McKeand vorgenommen, um die geliebte Geschichte für ein neues Publikum und die große Leinwand zu überarbeiten. Nur den Regiestuhl hat er unter seinem produzierenden Auge Troy Nixey überlassen, welcher bereits zuvor mit seinem Kurzfilm „Latchkey’s Lament“ (2007) ein Händchen für das Fantastische bewiesen hat. An dem Story-Grundgerüst um ein altes Anwesen, in dessen Gemäuern unheimliche Kobolde ihr Unwesen treiben, hat sich nichts geändert. Allerdings ist dieses Mal keine verschüchterte Frau, sondern ein junges Mädchen, das Zielobjekt der Nachtgeschöpfe und auch der Hintergrund um die mysteriösen Kreaturen ist um eine Facette erweitert worden. Sally (Bailee Madison, „Meine erfundene Frau“) heisst die kindliche Protagonistin der Neuauflage, die nach Problemen mit ihrer leiblichen Mutter kurzerhand zu ihrem Architektenvater Alex (Guy Pearce, „Memento“) und dessen neuer Freundin Kim (Katie Holmes, „Batman Begins“) abgeschoben wird. Das Mädchen hat natürlich Schwierigkeiten, sich gleich an das neue, märchenhafte Umfeld zu gewöhnen und auch ihr Mutterersatz ist ihr zu Beginn noch ein Dorn im Auge. Nach und nach erforscht Sally das Grundstück und stößt dabei auf einen versteckten Keller, von dessen Wiedereröffnung sich der alte Hausmeister (Jack Thompson) keineswegs begeistert zeigt. Warum, das wird die Familie bald erfahren: Aus dem dortigen Kamin krabbeln winzige Ungeheuer, welche sich nur im Schutze der Dunkelheit herumtreiben können und dem Kind mit ihren Flüsterstimmen ihre freundschaftlichsten Absichten vorgaukeln. Selbstverständlich sind diese Wesen nicht aus ihrem finsteren Reich entstiegen, um gemütlich Kakao und Plätzchen zu genießen. Sie wollen etwas ganz anderes von Sally…

Als vielleicht größte Pluspunkte von „Don’t Be Afraid Of The Dark“ darf man wohl die Ausstattung des geheimnisumwogenen Anwesens und die atmosphärischen Aufnahmen von Kameramann Oliver Stapleton („Gottes Werk & Teufels Beitrag“) werten. Das oberflächlich opulente Haus bekommt durch seine Darstellung selbst einen undurchsichtigen und unheilvollen Charakter verliehen, in dessen Kern sich das Böse in Form der Monster manifestiert. Wie man es jedoch von del Toro gewohnt ist, existieren in seiner Welt neben dem Schrecken auch noch Wunder und Magie – auch wenn diese Elemente im Vergleich zu „Pans Labyrinth“ (2006) oder den „Hellboy“-Adaptionen hier weniger präsent sind. Vor allem in der ersten Hälfte erweist sich das Werk als sehr solider und angenehm altmodischer Genre-Beitrag, der die Zuschauer sowohl zu gruseln, als auch zu verzaubern versteht. Nach einem bereits wenig zimperlichen Einstieg, der wohl im Vorfeld verdeutlichen sollte, dass die Verantwortlichen definitiv keinen seichten Familienfilm mit ein paar Horroreinsprengseln im Sinn hatten, erleben wir die weitere Handlung vom Blickwinkel des Kindes aus, von welchem man – wie das nicht nur oft in Filmen der Fall ist – die Dinge meist klarer wahrnimmt, als dies die Erwachsenen tun. So wird nach Sallys Erstkontakt mit den Wesen natürlich zuerst mal ein Psychologe konsultiert, der dem Mädchen ihre angeblich nur imaginären Freunde aus dem Kopf schaffen soll. Aber können wir es ihren Erziehern verübeln? Würden wir unseren Kindern die Geschichte von fiesen Kobolden glauben? Wohl kaum. Aber wer weiss, vielleicht sollten wir damit ja mal anfangen…

Schauspielerisch gibt es in dem Film leider keine wahren Glanzleistungen hervorzuheben, aber zumindest die junge Bailee Madison verkörpert sehr glaubhaft das einsame, traurige Mädchen und auch Katie Holmes nimmt man die „gute Stiefmutter in der Beweispflicht“-Rolle durchaus ab. Guy Pearce wirkt als ständig beschäftiger Vater, der seiner neuen Aufgabe nicht wirklich gewachsen ist, ein wenig desinteressiert – allerdings passt diese Eigenschaft nun auch perfekt zu seiner Figur. „Don’t Be Afraid Of The Dark“ ist eine eigentlich schöne – wenn auch nicht zuletzt aufgrund seiner bekannten Wurzeln unspektakuläre – Liebesbekundung eines echten Genrefans an ein ansonsten eher unbekanntes Werk. Selbst wenn del Toro „lediglich“ als Autor und Produzent in den Credits gelistet ist, kann man hier dennoch auch dessen visuellen Stil deutlich erkennen. Ob die inszenatorischen Ähnlichkeiten nun auf detailierten Storyboard-Entwürfen basieren, oder ob das Multitalent seinem Regisseur vielleicht doch etwas deutlicher über die Schulter geschaut hat, ist bisher nicht übermittelt worden. Leider lassen sich in dem durchweg sauber umgesetzten Film einige dramaturgische Mäkel nicht von der Hand weisen, die spätestens im letzten Drittel das wohlige Schauergefühl fast gänzlich auslöschen und gegen ein trotzdem unterhaltsames Spezialeffekt-Spektakel eintauschen: Der Angriff der Gestalten kommt zu früh und zu heftig. Zu Zeiten von John Newlands Original gab es freilich noch keine CGIs, weswegen die Ungeheuer dort noch auf wesentlich realer wirkende, handgemachte Art Protagonisten und Publikum terrorisieren mussten. Außerdem hat man bei der TV-Produktion wohl auch nicht das nötige Budget zur Verfügung gehabt, um das Grauen allzu lange auf dem Bildschirm stattfinden lassen zu können. Oder hat man dies schlauerweise von Beginn an gar nicht gewollt? Die Wesen im Remake sind ganz ohne Frage toll animiert und versprühen mit ihrer Mischung aus blutdurstigen Dämonen und „Gremlins“ einen gewissen Charme. Unheimlich sind sie nach ihrer Sichtung allerdings nicht mehr.

Da hätte man sich ruhig noch ein Weilchen länger an deren beschwörenden Zischen und der titelgebenden Dunkelheit aufhalten sollen. Angst kann nämlich kein Computer der Welt erzeugen – sie entsteht in unseren Köpfen.

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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https://youtu.be/_dkeWW2trjg

Red State (2011)

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Red State, USA 2011 • 88 Min • Regie & Drehbuch: Kevin Smith • Mit: Michael Angarano, Kerry Bishé, Nicholas Braun, Kyle Gallner, John Goodman, Melissa Leo, Michael Parks, Kevin Pollak, Stephen Root • Kamera: David Klein • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Planet Media/Ascot Elite Home Entertainment • DVD-Start: 06.12.2011

 

„I fear God. You better believe I fear God.“

Knatter. Knatter. Peng. Peng.

 

Kevin Smith steht gern im Rampenlicht und hört sich selbst reden. Und Smith redet richtig viel. Zuletzt ist sein neues Werk, der zuerst als Politischer Horrorfilm angekündigte „Red State“, das große Thema seiner berüchtigten Ansprachen gewesen. Nun ist „Red State“ eigentlich gar kein richtiger Horrorfilm, und als politischstes Element darf man hier wohl den Titel nennen, der sich natürlich auf die farbliche Kodierung der US-Bundesstaaten nach der Präsidentschaftswahl in Rot (Mehrheit für die Republikanische Partei) und Blau (Mehrheit für die Demokratische Partei) bezieht. Smiths Arbeit ist eher ein kruder Genre-Mix, dem der Absprung zur Homogenität nicht so recht geglückt ist. Wie uns spätestens die strenge Zuordnung der Charaktere zu Oberbegriffen im Abspann verdeutlicht, wollte uns der Regisseur hier etwas über Sex, Religion und Politik erzählen. Und da sich die Figuren im weiteren Verlauf bemerkenswert beiläufig mit allerhand schwerer Schusswaffen gegenseitig über den Haufen ballern, geht uns irgendwo auch auf, dass diese Themen in einer ungünstigen Konstellation dem friedlichen Miteinander im Weg stehen könnten. Natürlich pilgern nun die Smith-Fans in Scharen ins Kino, um das neue Output ihres Lieblings tatkräftig zu unterstützen – und Fan-nah, wie dieser halt ist, hat er seinen (lauthals betonten) Independent-Film nach dessen Premiere auf dem Sundance Film Festival zunächst im Rahmen einer traveling roadshow im Eigenvertrieb unter die Leute gebracht…für schlappe 54 US-$ bis über 100 US-$ pro Karte! Man muss Smith schon sehr gern haben, um so viel von seinem sauer verdienten Geld für einen Kinoeintritt mit anschließender Q&A-Runde auf den Tisch zu legen…

Selbst Quentin Tarantino „fucking love[s] this movie“, so erfahren wir von dem im Internet extrem aktiven „Clerks“-Schöpfer stolz. Die Euphorie des Rezensenten dagegen hält sich bezüglich „Red State“ arg in Grenzen. Der Film verfügt über zwei erstklassige Performances – die eine stammt von Michael Parks als fundamentalistischer Psycho-Priester, die andere von John Goodman, der einen von Gewissensbissen geplagten ATF-Agenten mimt – und schafft es, trotz narrativer Zerfahrenheit und aufgesetzter Kontroversität, in seinen 90 Minuten zumindest keine Langeweile aufkommen zu lassen. Zum Ende hin lässt Kevin Smith den gesamten Plot (oder besser: das Szenario) durch einen vielleicht interessanten, aber längst nicht so clever wie gedachten, Gag implodieren. Davor gibt es drei Highschool-Schüler, die im Internet auf ein gefaketes Sex-Date reinfallen und sich schließlich gefesselt und geknebelt in den Fängen der gefährlichen Mitglieder der Five Points Trinity Church, welche im Staat ungestraft ihr Unwesen treiben und eine offensichtliche Anspielung auf die Anhänger des ultrakonservativen US-Baptisten Fred Phelps darstellen, wiederfinden. Diese extremste Ausgabe einer christlichen Sekte hasst vor allem Schwule und hemmungslosen Sex, weshalb die vermeintlichen Sünder dann auch während einer ausführlichen Predigt des Oberhauptes Abin Cooper (Michael Parks, „From Dusk Till Dawn“) an den Pranger gestellt und anschließend exekutiert werden. Dass überhaupt mal jemand Wind von dem finsteren Treiben im Gotteshaus bekommt, ist einem kleinen Blechschaden zu verdanken, den die notgeilen Kids am Wagen des Sheriffs Wynan (Stephen Root) verursachen, welcher eigentlich nur am Straßenrand seiner homosexuellen Affäre nachkommen wollte. Natürlich begehen die Heranwachsenden Fahrerflucht und natürlich lässt das der Gesetzeshüter nicht auf sich sitzen und schickt seinen Deputy auf die Suche nach dem Wagen, welcher inzwischen bereits hinter den Mauern der Kirche abgestellt ist. Nun ein Zeitsprung: Der Deputy ist tot, der abendliche „Gottesdienst“ verläuft keineswegs reibungslos und ein Sondereinsatzkommando unter der Leitung von Agent Keenan (John Goodman, „Arachnophobia“) will die Hütte stürmen. Die Hölle bricht los und der Rest ist Schall und Rauch. Knatter. Knatter. Peng. Peng.

Ein großes Problem von „Red State“ besteht darin, dass sich fast ein Drittel der Handlung auf die vorherige Lautmalerei reduzieren lässt. In dem Film geht es ohne Zweifel ordentlich zur Sache. Nur hinterlässt die ganze laute Knallerei keinen besonders schockierenden Eindruck bei den Zuschauern – eben weil einem eigentlich sämtliche Figuren herzlich egal sind. Da kippen im Kugelhagel haufenweise Menschen um, aber wirklich berühren wird das wohl niemanden. Es stellt sich überhaupt die Frage, aus welcher Perspektive man „Red State“ verfolgen soll. Eine richtige Identifikationsfigur fehlt nämlich schmerzlich. Gerne orientiert man sich als Zuschauer ja sonst an der schillerndsten Gestalt, die einem angeboten wird – und das wäre hier nunmal eindeutig der ständig böse witzelnde Priester! Möchte Smith, dass wir mit einem diabolischen Schwulenhasser sympathisieren, oder möchte er womöglich, dass wir letztlich mit keinem der Protagonisten mitfiebern? Was möchte Smith überhaupt? Hat er uns etwas Wichtiges mitzuteilen – vielleicht über Sex, Religion, Politik? Ja, der Regisseur teilt uns zwischen wildem Geballer, Predigten und witzlosen Späßchen (die aber vermutlich witzig gemeint waren) etwas mit. Bestimmt ist das auch irgendwo wichtig. Nur „Red State“ ist nicht so wichtig, als dass man ihn für die Vermittlung dieser Botschaft unbedingt bräuchte.

Wer kennt das nicht: Ein kleines Kind kommt von der Schule nach Hause und hat dort gerade etwas Interessantes gelernt. Sagen wir, über Elefanten: „Mama! Papa! Elefanten sind voll groß! Und die können ungefähr so alt werden wie wir! Außerdem sind das Landtiere! Und fressen tun die nur Pflanzen!“ Obwohl Mama und Papa das zwar alles schon wissen und eigentlich etwas anderes zu tun hätten, hören sie dem – sagen wir – kleinen Kevin aufmerksam zu. Sie wollen ja, dass aus ihm irgendwann mal ein smarter junger Mann wird. Dieser Kevin könnte gut mit Nachnamen Smith heissen und aus Red Bank, New Jersey, stammen. Nur, dass er inzwischen ein erfolgreicher Filmregisseur ist, der sich seine kindliche Begeisterung für einfache Dinge bewahrt hat und diese nun mit Hilfe seiner Arbeit geschickt auf seine gewillten Jünger überträgt – nicht ganz unähnlich, wie sein Abin Cooper seine Anhänger durch großmäulige Predigten bei der Stange hält. Smith hat sich zuvor stets in seinem ureigenen Komödien/Dramen-Garten herumgetrieben und sollte in Zukunft besser die Finger von den Früchten seiner Nachbarn Horror und Politthriller lassen. „Red State“ ist als homogenes Gesamtwerk eine echte Enttäuschung, die sich fast wie ein Unfall anfühlt. Unterhaltsam ist er dennoch. Nur nicht witzig…aber das hatten wir ja schon.

 

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Super 8 (2011)

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Super 8, USA 2011 • 112 Min • Regie & Drehbuch: J.J. Abrams • Mit: Joel Courtney, Elle Fanning, Kyle Chandler, Zach Mills, Ron Eldard, Noah Emmerich, Gabriel Basso, Riley Griffiths, Ryan Lee • Kamera: Larry Fong • Musik: Michael Giacchino • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 04.08.2011

 

Nostalgie ist etwas, das selbst so manchem tollwütigen Kritiker die Zähne zu ziehen vermag. Es gibt halt diese kleinen Dinge im Leben, an die man sich mit Vorliebe zurückerinnert – das erste große Abenteuer, das man auf der großen Leinwand erlebt hat, zum Beispiel. Und dann gibt es andere Dinge, die es irgendwie vermögen, eben dieses vergangene Gefühl noch einmal im Hier und Jetzt aufflammen zu lassen. Vielleicht nur kurz, für die Dauer eines Spielfilms. Der Verfasser dieser Zeilen hat sein erstes großes Kinoerlebnis im Alter von zwölf Jahren erfahren, als er sich bei Steven Spielbergs „Jurassic Park“ (1993) ein verblüffend überzeugendes Bild davon machen konnte, wie sich die Dinosaurier ihren Weg aus der Urzeit in die Gegenwart bahnen. J.J. Abrams' „Super 8“ ist nun genau solch ein Film, der sofort selige Erinnerungen an die fantastischen Geschichten des zuvor genannten Hollywood-Titans (der hier obendrein recht prominent unter seinem Amblin-Banner als Produzent in Erscheinung tritt) ins Gedächtnis zurückruft, aber dennoch inszenatorisch klar die Handschrift seines Regisseurs (und „Lost“-Ko-Entwicklers) erkennen lässt. Genau genommen könnte man „Super 8“ inhaltlich sogar fast als ein Spielberg-Best-Of bezeichnen, das Elemente aus Werken wie „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977), „E.T. – Der Außerirdische“ (1982), „Die Goonies“ (1985) oder eben „Jurassic Park“ zu einem neuen, schmackhaften Blockbuster umformt. Hier liegt nun auch – das gleich vorweg – der einzige, bestimmt nicht von der Hand zu weisende, Kritikpunkt des Films: „Super 8“ erfindet das Rad ganz einfach nicht neu. Nicht wenige Zuschauer, die nun möglicherweise das bahnbrechende Monster-Movie dieser Zeit erwarten, werden sich obendrein von der nicht sonderlich innovativen „Auflösung“ des Mysteriums enttäuscht zeigen. Dabei ist das Ende an sich völlig stimmig. Aufgrund der schwindelerregenden Erwartungen ist es bei den Betreffenden nur ganz einfach schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt gewesen.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht hier auch gar nicht unbedingt das obligatorische Ungeheuer, sondern die titelgebende Super 8-Kamera (die Handlung ist in den späten Siebzigern angesiedelt, als auf diesem populären Format bevorzugt Privatfilme produziert worden sind). Abrams' Film ist zunächst eine Liebeserklärung an die Magie der bewegten Bilder und die Abenteuer, die man mit ihnen erleben kann. In einer der stärksten Szenen von „Super 8“ erklärt der junge Joe Lamb (Joel Courtney) seiner Freundin Alice Dainard (Elle Fanning), welche Bedeutung eine kurze Filmszene seiner verstorbenen Mutter für ihn hat: Während dieser Spielzeit erwacht sie für ihn wieder zum Leben, verewigt in diesen knappen Minuten. Joe, der noch immer mit dem schweren Verlust kämpft und seitdem allein von seinem Vater Jackson (Kyle Chandler), dem Deputy der verschlafenen Kleinstadt, mit strenger Hand erzogen wird, unterstützt unerlaubt als Make Up-Künstler seinen Schulfreund Charles (Riley Griffiths) bei der Erstellung seines Zombie-Kurzfilms, welcher auf einem Nachwuchswettbewerb aufgeführt werden soll. Neben weiteren Freunden, wie dem Jung-Pyromanen Cary (Ryan Lee) und dem Hauptdarsteller Martin (Gabriel Basso), gehört nach einer spontanen Drehbuchänderung nun auch Alice zur offiziellen Besetzung. Bei nächtlichen Aufnahmen am örtlichen Bahnhof werden die Kinder Zeugen eines unglaublichen Ereignisses: Während ein Güterzug der Army vorbeizieht, rast ein zunächst unbekanntes Auto auf die Schienen und verursacht einen gewaltigen Crash, welcher der Filmcrew fast Kopf und Kragen gekostet hätte. Als sie schließlich die Unfallstelle erkunden, finden sie den noch lebenden Fahrer des Wagens vor – es ist ihr Biologielehrer Dr. Woodward (Glynn Turman), der sie noch mit wirren Worten zur absoluten Geheimhaltung ermahnt, bevor ein Trupp Soldaten eintrifft und die Freunde aufgeregt flüchten. Der Vorfall zieht bald weitere, unheimliche Schatten nach sich. Zuerst verschwinden sämtliche Hunde aus der Stadt. Dann elektronische Gegenstände. Und schließlich werden auch die ersten Einwohner als vermisst gemeldet. Auch ein Metallwürfel, den Joe bei dem Wrack gefunden hat, entwickelt ein mysteriöses Eigenleben. Was geht in dem kleinen Ort vor? Nachdem selbst das Militär vorgerückt ist und die Gegend zur Sperrzone erklärt hat, wollen sowohl die Kinder, wie auch Joes Vater, der Wahrheit hinter der Geheimniskrämerei auf den Grund gehen und begeben sich dabei in höchste Lebensgefahr…

Mehr Informationen über J.J. Abrams' Mystery-Abenteuer preiszugeben würde bedeuten, noch so manchen fantasievollen Einfall unnötig vorwegzunehmen. Da das keineswegs im Sinne der Macher sein kann, wird sich auch der Rezensent auf seine bisherigen Angaben beschränken. Wie bereits zuvor erwähnt, bezieht „Super 8“ seine Kraft in erster Linie aus einer authentischen Liebe zum Kino selbst. Abgesehen von den unzähligen Spielberg- und Horrorfilm-Zitaten, die der Regisseur des großartigen „Star Trek“-Reboots an allen Ecken und Enden einbaut (Charles' Zimmer wird von „Halloween“- und „Dawn Of The Dead“-Postern geziert), sind es vor allem die durch die Bank sympathischen (und glücklicherweise niemals nervigen) Kindercharaktere, die bei den Zuschauern Erinnerungen an den eigenen Erstkontakt mit der Materie hervorrufen. Das Werk ist angenehm ironisch, ohne dabei je den tragischen Aspekt der Geschichte zu überspielen. Ohne bitteren Zynismus, aber dafür mit willkommen kindlicher Naivität, inspiriert es junge Kinogänger, doch auch einfach mal selbst eine Kamera in die Hand zu nehmen und die eigenen Träume einzufangen.

Vieles davon, was eine tolle Kinoerfahrung auszeichnet, kann man in „Super 8“ erleben: Ein rührendes Familiendrama, eine Geschichte über Freundschaft und die erste große Liebe, ein rätselhaftes Abenteuer. Und natürlich auch einen sanften Horrorplot mit einem umherwütenden Monster. Stets untermalt von den gefühlvollen Klängen von Abrams' Hofkomponisten und Oscarpreisträger Michael Giacchino („Oben“) und von Kameramann Larry Fong in grandiosen Bildern eingefangen (Anhänger von Abrams' Vorliebe für lens flare-Effekte müssen auf dieses Trademark auch hier keineswegs gänzlich verzichten), serviert der Regisseur seinem Publikum ein Werk, das emotional auf unterschiedlichen Ebenen punkten kann, das sowohl spannend und gruselig, wie auch melancholisch und über weite Strecken einfach zum Brüllen komisch ist. Die große Kraft liegt hier in der dennoch homogenen Verküpfung dieser verschiedenen Gefühle. „Super 8“ ist zumindest ein Film, für den der Rezensent auch gerne ein zweites Mal eine Eintrittskarte löst. Ein Leinwand-Spektakel, das nach all der puren, ohrenbetäubenden Zerstörungswut durch irgendwelche „Transformers“ endlich mal wieder Platz für die ruhigen Momente im Auge des Sturms und seine Figuren findet – eben wie in den seligen frühen Achtzigern. Und solange es in Hollywood Träumer wie J.J. Abrams gibt, kann ein Michael Bay mit seinen Effekteskapaden allein das gute Event-Kino noch nicht vollständig in die Luft jagen.

Kurze Anmerkung zum Schluss: Auf keinen Fall den Saal bereits zu Beginn des Abspanns verlassen! Da bekommen einige Zuschauer ihre reine Horrorstory noch nachgeliefert…

 

Kritik im Original erschienen bei mannbeisstfilm.de


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Reflecting Skin – Schrei in der Stille (1990)

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The Reflecting Skin, GB/CDN 1990 • 96 Min • Regie & Drehbuch: Philip Ridley • Mit: Jeremy Cooper, Viggo Mortensen, Lindsay Duncan, Sheila Moore, Duncan Fraser • Kamera: Dick Pope • Musik: Nick Bicât • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Atlas Film • Kinostart: 06.06.1991

 

„Es ist alles so furchtbar, nicht wahr? Der Albtraum der Kindheit. Und es wird noch schlimmer…“ – diese Worte sagt die mysteriöse Dolphin Blue (Lindsay Duncan) noch zu ihrem achtjährigen Nachbarn Seth Dove (Jeremy Cooper) bevor sie in ein Auto steigt und davonfährt.

Dolphin ist ein Vampir, da ist sich Seth sicher. Und da wir „The Reflecting Skin“, das beachtliche Spielfilmdebüt des Briten Philip Ridley, aus der Sicht des Kindes betrachten, glauben wir ihm – oder schließen diese Möglichkeit zumindest nicht kategorisch aus. Seth lebt zusammen mit seiner psychotischen Mutter Ruth (Sheila Moore) und seinem in sich gekehrten Vater Luke (Duncan Fraser) irgendwo im ländlichen Nirgendwo der USA. Irgendwann in den Fünfzigern. Da sein älterer Bruder Cameron (Viggo Mortensen) in den Koreakrieg gezogen ist, fällt das herrische Wesen der Mutter nun brutal über den Übriggebliebenen her – den Vater hat sie längst mundtot gemacht, so dass sich dieser nun auf der Veranda in Schundromane über Vampire vertieft. Dem aufgeweckten Jungen ist die anfangs erwähnte Nachbarin, welche er vornehmlich mit seinen Freunden Eben (Codie Lucas Wilbee) und Kim (Evan Hall) auf grausame Weise ärgert, nicht geheuer, und als ihm sein Vater schließlich die Definition eines Blutsaugers schildert, entsteht für Seth ein unheimlicher Verdacht: „Die sind nicht sehr freundlich. Die beißen in deinen Hals und trinken dein Blut. Wenn sie das nicht tun, sind sie alt und wenn sie es tun, sind sie jung. Die armen Menschen, deren Blut sie trinken, werden ganz schnell alt und dann sind sie tot.“ Als Seth die einsame Dolphin nun tatsächlich aufgrund eines besonders bösen Streiches besuchen muss, um sich bei ihr zu entschuldigen, liefert sie ihm weitere Gründe für seine Annahme, einen Vampir vor sich zu haben. Ohne ihren verstorbenen Mann werde sie immer älter, zweihundert Jahre habe sie bereits auf dem Buckel – und sie hasst das Sonnenlicht! Die Augen des Kindes funkeln und durchdringen die Fassade der Frau, blicken tiefer als ihre Worte. Kurz darauf findet Seth seinen Freund Eben ermordet im Brunnen auf, woraufhin Luke, der in der Umgebung als Perverser gilt, verdächtigt wird und sich anschließend an der eigenen Tankstelle in Brand steckt. Cameron kehrt aus dem Krieg zurück, doch die ungetrübte Freude des Jungen darüber bleibt nur von kurzer Dauer: Sein Bruder verliebt sich ausgerechnet in die blutsaugende Dolphin…

„The Reflecting Skin“, der auch den ausnahmsweise gar nicht so unpassenden, deutschen Titel „Schrei in der Stille“ trägt, ist ein Werk, das eigentlich den Verstand eines Kindes fordert, um es wirklich ergründen zu können. Die für uns Erwachsene so konkreten Dinge verändern ihre Proportionen und Sinnhaftigkeit, wenn sie erstmal durch die kindliche Fantasiemaschine gelaufen sind – und werden für unseren rationalen Verstand nicht mehr recht greifbar. Es ist das Porträt des jungen Seth, der unter teils verstörenden Verhältnissen in einer isolierten Umgebung aufwachsen muss. Und es ist gleichzeitig ein Horrorfilm über das Sterben der Unschuld. Alles, was Seth hört oder sieht, saugt er mit riesigem Interesse, fast wie ein Schwamm, auf. „Wenn deine Ma über dich weint, tötest du einen Engel“, behauptet Kim, als die Freunde eines Tages zusammenhocken. Nach der Ermordung Ebens finden Seth und Kim einen eingewickelten Fötus in einer Scheune und die Beiden glauben nun, dass es sich dabei um dessen Umwandlung in einen Engel handele – die Kausalität von Kindern. Die beunruhigenden Vorfälle – der mysteriöse Mord, der Tod seines Vaters und die Geheimnisse um dessen Vergangenheit sowie die Verführung seines Bruders durch das Geschöpf der Nacht – rütteln an der kleinen Welt, die sich der Junge in seinem Kopf errichtet hat. Nur Cameron, der versprochen hat, sich nun um ihn zu kümmern, gibt ihm noch den nötigen Halt in der Realität. Seth kann es nicht ertragen, ihn an seinen großen Erzfeind – Dolphin – zu verlieren, weshalb er wohl alles daran setzen würde, sie aus seinem Blickfeld zu schaffen. Er weiss, wer Eben – und wenig später Kim – ermordet hat, doch versperrt er sich selbst vor der nüchternen Wahrheit, um weiterhin die Schuld dem Vampir anzulasten. Nach Camerons Entscheidung für Dolphin spricht er sich nun in der Nacht bei seinem aufgefundenen „Engel“ aus. Seinem imaginären Freund.

Der Filmtitel „The Reflecting Skin“ bezieht sich primär auf ein Foto, welches Cameron aus dem Krieg mitgebracht hat und ein nach den Explosionen silbern überzogenes Baby zeigt. Wie erwartet, erweckt auch dieses sofort Seths Interesse – die Reflektion findet also nicht nur darauf abgebildet statt. Alle Menschen und Gegenstände haben für Seth selbst den Effekt einer spiegelnden Oberfläche. Ridleys Werk, welches sich teilweise übrigens offensichtlich beim grotesken Humor eines David Lynch bedient (man beachte hier zum Beispiel die schräge Darstellung des örtlichen Sheriffs), ist mit Sicherheit kein solches, welches man Zuschauern mit einem eher konventionellen Filmgeschmack empfehlen könnte. Hier ist ein Einfühlungsvermögen in die eigenwillige und symbolische Bildsprache des Regisseurs nötig, das man wahrlich nicht jedem Kinogänger abverlangen kann. „The Reflecting Skin“ liefert seine Interpretation eben nicht gerade selbst mit, so dass man angehalten ist, zwischen den oftmals überwältigenden Landschaftsaufnahmen und den stillen Gesten des aufmerksamen Seth selbst mitzulesen, mitzudenken und mitzufühlen. Wer dazu bereit ist, wird mit einer visuell betörend schönen, aber inhaltlich nicht gerade angenehmen Reise an das Ende einer Kindheit belohnt. Die letzte Szene zeigt einen ungehörten Todesschrei.

 

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X-Men: Erste Entscheidung (2011)

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X-Men: First Class, USA 2011 • 132 Min • Regie: Matthew Vaughn • Drehbuch: Ashley Miller, Zack Stentz, Jane Goldman & Matthew Vaughn • Mit: James McAvoy, Michael Fassbender, Kevin Bacon, Jennifer Lawrence, Rose Byrne, Nicholas Hoult • Kamera: John Mathieson • Musik: Henry Jackman FSK: ab 12 Jahren • Verleih: 20th Century Fox Kinostart: 09.06.2011

 

„My fellow Mutants! The real enemy is out there.“

 

„X-Men: Erste Entscheidung“ ist ein Film, der uns gleichzeitig etwas über die menschliche Evolution und historische Ereignisse lehren möchte und uns noch obendrein die wichtige Botschaft zu vermitteln versucht, dass es doch gar nicht so schlimm ist, individuell und irgendwie anders zu sein. Gleich drei fromme Wünsche auf einmal? Und das in 132 Minuten? Das geht nun wirklich nicht! Natürlich basiert das Werk zunächst auf den gleichnamigen Comichelden aus dem Marvel-Universum, welche ja bekanntlich schon drei erfolgreiche Kinoabenteuer gemeinsam absolviert haben und nun von Regisseur Matthew Vaughn ihre Herkunftsgeschichte spendiert bekommen. Die ersten beiden Teile der Reihe, welche von Bryan Singer („Die üblichen Verdächtigen“) inszeniert worden sind, gehören für nicht wenige Fans zu den besten Adaptionen einer Comicvorlage. Warum das so ist? Nicht den Rezensenten fragen, der hat dafür auch keine plausible Erklärung parat. (Eigentlich hat ja eh Ang Lee die bisher einzige, wirklich sehenswerte Umsetzung einer Marvel-Figur betreut…) Nun aber schnell zurück zur „Ersten Entscheidung“, deren Schöpfer unmittelbar zuvor mit „Shit-Ass“…Pardon, „Kick-Ass“ (2010) einen Kinderfilm abgeliefert hat, der nach Meinung der hiesigen Jugendschutzbeauftragten gar nicht für Kinder geeignet ist.

Da hier, wie bereits angeführt, die Ursprünge der ganz schön begabten Männlein und Weiblein ergründet werden soll, dürfen zunächst anstelle von Patrick Stewart und Ian McKellen diesmal die deutlich jüngeren Hüpfer James McAvoy („Der letzte König von Schottland“) und Michael Fassbender („Inglourious Basterds“) in die Rollen der mutierten Freundfeinde Charles Xavier/Professor X und Erik Lehnsherr/Magneto schlüpfen. So weit, so gut. Vaughn lässt zu Beginn dann auch nicht allzu viel Zeit mit der Einführung seiner beiden Hauptfiguren verstreichen, aber erzählt zur Sicherheit doch noch einmal das, was Fans ja eh schon wissen: Lehnsherr wird als Kind durch die Nazis von seinen Eltern getrennt und demonstriert in einer nahezu identischen Szene, wie sie zuvor auch Singer schon gezeigt hat, seinen Peinigern eine Kostprobe seiner magnetischen Kräfte. Daraufhin wird er von dem sinistren Naziarzt Klaus Schmidt (Kevin Bacon bemüht sich erfolglos, möglichst fies und durchgeknallt zu wirken), der sich dann im Verlauf der Handlung, die in den frühen Sechzigern angesiedelt ist, Sebastian Shaw nennt, für seine Experimente missbraucht und schwört blutige Rache. Auch Charles Xavier findet bereits im Kindesalter, wie parallel eingefügte Momente verdeutlichen, heraus, dass er offensichtlich telepathisch begabt ist und freundet sich außerdem mit der Gestaltwechslerin Raven an, die als Erwachsene von Jennifer Lawrence verkörpert wird, welche dem Rezensenten zuvor durch ihre großartige Performance in dem Drama „Winter’s Bone“ fast Tränen in die Augen getrieben hat und nun ihr Talent für eine blasse Rolle wie diese verpulvert. Da der Regisseur noch Großes vorhat und seine späteren X-Men sogar tapfer in die Kuba-Krise eingreifen lässt, muss der Verfasser dieser Zeilen – wie der Film selbst auch – das Gaspedal ordentlich durchtreten, um seinen Text irgendwann zu einem Ende zu bringen. Es sei übrigens bereits vorweggenommen, dass die extreme Hast in der Story dem Werk so gar nicht gut tut…

Irgendwie gerät also Xavier, der sich inzwischen einen Namen in „Genetik“ gemacht hat, an die CIA-Agentin Moira MacTaggert (Rose Byrne, „Insidious“). Diese ist einer kommunistischen Verschwörung rund um Sebastian Shaw, der inzwischen selbst allerhand farbenfrohe Kollegen um sich gescharrt hat, auf der Spur und stellt anschließend über fünf Ecken mit Xavier gar ein CIA-Mutanten-Team zusammen, in welchem sich neben Raven und dem auf Rache sinnenden Lehnsherr noch andere Individuen befinden: Der eine hat zum Beispiel grosse Füße und kann flitzen wie die Vampire in den „Twilight“-Streifen, einer sieht aus wie Justin Bieber und spielt gern mit Feuer und noch einer kann schreien wie der kleine Oskar Matzerath aus Günter Grass' „Die Blechtrommel“. So, jetzt aber wirklich Warp 4 und weiter im Text (Apropos: Wer sich von „X-Men: Erste Entscheidung“ übrigens eine ähnlich gelungene Frischzellenkur wie vom 2009er „Star Trek“ erwartet hat, wird schwer enttäuscht – allein die ersten fünfzehn Minuten von J.J. Abrams' Neuauflage waren besser und emotionaler als dieser gesamte Film). Die Mutanten versammeln sich, feiern ordentlich ab und werden schließlich durch eine Auseinandersetzung mit Kevin Bacon, aka Shaw, in zwei Lager gespalten. Die „Guten“ nehmen den Kampf auf und starten sportlich mit ihrem Jet in Richtung Kuba, wo es bald heiß hergeht. Raketen fliegen durch die Luft und Kevin Bacon mutiert zur Atombombe, wie wir von einem besorgten Protagonisten erfahren. Fassbender kümmert sich darum, doch dann geht wirklich alles schief: Fassbender knurrt und will jetzt richtig Stress machen, während McAvoy mit der Zunge schnalzt. Der Rest der Geschichte ist ja wieder bekannt…

Die beiden besten Performances in dem Werk stammen übrigens von Hugh Jackman, der ein Cameo als Wolverine gibt und in einer Bar Fassbender und McAvoy mit den Worten „Los, verpisst euch wieder!“ anschnauzt (kann man verstehen – wer will schon bei seinem Bier von solchen Vögeln belästigt werden…), und Michael Ironside als Kriegsschiff-Captain. Letzterem nimmt man seine Rolle selbstverständlich in jeder Sekunde ab – wenn jemand der Captain sein kann, dann Ironside. Zu Sicherheit trägt er aber dennoch einen Helm, auf dem nochmal der Rang schriftlich fixiert ist. Der Film-Dienst lobt, dass der Streifen „[den] historische[n] Hintergrund geschickt [nutzt], um über die verheerende Eigenschaft von Feindbildern und Vorurteilen zu reflektieren.“ (12/2011, Seite 40) Dazu muss gesagt werden, dass sich der Bezug zur Historie in etwa auf eine Einblendung mit der Bemerkung Kuba und eine Masse an Kriegsschiffen beschränkt, die unbeirrt aufeinander zusteuern. Im schulischen Geschichtsunterricht wird „X-Men: Erste Entscheidung“ vermutlich so schnell nicht als bedeutendes Dokument auf dem Lehrplan stehen. Auch das Evolutionsthema kann bestenfalls noch Mittelstufler faszinieren, die mit der Materie noch nicht andernweitig in Berührung gekommen sind. Und zur alten Leier, um die X-Men als ein Bild für die von der Gesellschaft Ausgestossenen – nun ja…

Also gut: Die Ausstattung ist klasse, die Spezialeffekte wuchtig und Michael Fassbender lässt zumindest zu Anfang eine kantige, junge Sean Connery-Bond-Version seiner Figur raushängen, die besonders effektiv in einer Gaststätten-Szene rüberkommt, wo er souverän zwei Altnazis plus Wirt aus dem Weg räumt. Warum „X-Men: Erste Entscheidung“ dennoch eher ein schlechter, als ein guter Film geworden ist, lässt sich abschließend platzsparend zusammenfassen: Er ist ein Comicheft, das vor den Augen der Zuschauer so schnell durchgeblättert wird, dass sich diese nicht einmal an den zugegebenermaßen schick gezeichneten Bildern erfreuen können, und dessen Sprechblasen mit unglaublich flachen Dialogen ausgefüllt sind, die Zack Snyders Pathosgemälde „300“ glatt in die Tasche stecken. Kein Witz!

Kinder, ich glaub', ich werde alt…

 

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John Carpenter’s The Ward (2010)

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John Carpenter’s The Ward, USA 2010 • 88 Min • Regie: John Carpenter • Drehbuch: Michael Rasmussen & Shawn Rasmussen • Mit: Amber Heard, Mamie Gummer, Danielle Panabaker, Laura-Leigh, Lyndsy Fonseca • Kamera: Yaron Orbach • Musik: Mark Kilian FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Concorde Filmverleih Kinostart: 29.09.2011

 

Jüngere Kinogänger werden mit dem Namen John Carpenter vermutlich wenig bis gar nichts mehr anfangen können. „Ach ja, ich glaube, das ist dieser Typ, der den ersten von diesen langweiligen 'Halloween'-Streifen gedreht hat?!“, wird ihnen vielleicht noch als abfälliger Kommentar über einen der (wenn nicht sogar den) spannendsten und einflussreichsten Regisseure der Siebziger und Achtziger über die Lippen kommen. Leider lässt sich tatsächlich festhalten, dass es in den vergangenen Jahren verdächtig still um die 63-jährige Filmikone geworden ist. Sein letzter, reichlich zerfahrener, Spielfilm „Ghosts Of Mars“ liegt inzwischen stolze zehn Jahre zurück und lediglich zwei Kurzeinträge in die Masters Of Horror-Reihe (der gelungene „Cigarette Burns“ sowie der ungleich schwächere „Pro-Life“) haben die Hoffnung der Fans auf ein späteres Leinwand-Comeback des Meisters aufrecht erhalten. „The Ward“ nennt sich nun schließlich Carpenters Rückkehr ins Kino-Rampenlicht – ein Werk, das der Regisseur auf dem letztjährigen TIFF per charismatischer Videobotschaft als „old school horror movie by an old school director“ seinem Publikum vorgestellt hat.

Mit einer atmosphärischen Eingangssequenz werden zunächst wohlige Erinnerungen an die Anfangstage der Legende geweckt: Die subjektive Kamera überquert zu den unheilvollen Geräuschen schwerer Schritte den finsteren Korridor einer psychiatrischen Klinik. Vor einem Zimmer, neben welchem der Name Tammy an einer Tafel angeschlagen steht, macht sie Halt und blickt durch ein Fenster auf die sich darin befindliche, völlig verängstigte Patientin herab. Hände ergreifen aus dem Hinterhalt den Hals der jungen Frau und brechen ihr das Genick. Der riesige weisse Schriftzug „John Carpenter’s The Ward“ leitet anschließend einen elegant umgesetzten Vorspann ein, während welchem historische Bilder von der Behandlung „Irrer“ in Zeitlupe zu Scherben zerbrechen. Fans wird hier schon auffallen, dass der Regisseur ausnahmsweise mal nicht zusätzlich einen markanten Soundtrack beigesteuert hat, sondern diesen Posten Mark Kilian („Machtlos“) überließ, welcher jedoch – das als Entwarnung – ganze Arbeit mit seinen verträumten Klängen leistet. Wie man dann durch eine Einblendung erfährt, ist die folgende Geschichte im Jahre 1966 angesiedelt. Die junge Kristen (Amber Heard, „All the Boys love Mandy Lane“) wird von der Polizei vor einem Farmhaus aufgegriffen, welches sie zuvor in Brand gesteckt hat. Sie schlägt um sich, wehrt sich gegen ihre Verhaftung – und wird schließlich in jene Klinik eingewiesen, in welcher sich der zuvor beschriebene Mord ereignet hat…

Leider muss der Rezensent – welcher sich selbst seit seiner Kindheit als grosser John Carpenter-Fan bezeichnet – zugeben, dass sich „The Ward“ nach seinem soliden Start als allzu austauschbarer Horrorthriller entpuppt, der zudem das sonst so sichere Gespür des Regisseurs für eine subtile Bedrohung weitgehend außen vor lässt und dieses gegen laute und teils blutrünstige Schockeffekte eingetauscht hat. Eigentlich ist bereits zu Beginn klar, in welche Richtung die Reise gehen wird: Da ist die unter Amnesie leidende Hauptfigur Kristen, ein nerviges Grüppchen weiterer Patientinnen, das sinistre Klinikpersonal und ein mordender Unhold, um den sich ein internes Geheimnis rankt – eine solche Personenkonstellation sieht man im Genrekino bestimmt nicht zum ersten Mal, und wer mal an die letzten ähnlich gestrickten Storys zurückdenkt, wird nicht nur relativ treffsicher voraussagen können, hinter welcher Ecke sich der nächste Schreck versteckt, sondern sich sogar von der finalen „Auflösung“ eher angeödet als überrascht zeigen.

„The Ward“ fehlt es neben einem interessanteren Grundkonzept außerdem an sympathischen oder zumindest kantigen Charakteren. Kristen weist zwar durchaus einen Carpenter-typischen, rebellischen Dickkopf auf, allerdings erschöpft sich dieser hier in einer zickigen Aufmüpfigkeit gegen die Pfleger und Schwestern der Einrichtung. Die übrigen Figuren sind dann so blass und schablonenhaft gezeichnet, dass man sie in dem Werk kaum als Individuen wahrnehmen kann und sie eher als ein schwammiges Gebilde potentieller Opfer vor sich sieht. Als größtes Problem des Films stellt sich jedoch der obligatorische Bösewicht heraus: Abgesehen vom erwähnten Anfang existiert in „The Ward“ kein wirklicher Moment, in welchem dieser echte Angst oder Nervenkitzel beim Zuschauer auslöst. Meist kündigt ein lautes Getöse dessen Auftritt spektakulärer an, als sich das Ergebnis letztlich darstellt – ein Sturm im Wasserglas. Diese uninteressante Geistergestalt steht zumindest in keinem Vergleich zu den vielen, durch ihre mysteriöse Aura gerade effektiven, Unholden aus früheren Werken des Regisseurs. Ein unheimlicher Mythos, wie er bei Michael Myers, den auf Rache sinnenden Seeleuten oder gar dem Vampirfürsten Valek präsent war, fehlt hinter diesem Wesen völlig. Auch wenn „The Ward“ recht stimmungsvoll in dem von John Carpenter stets favorisierten Cinemascope-Format eingefangen worden ist, erweist sich das meiste, was über die puren Bilder hinausgeht, als enttäuschend müde Fingerübung für den ursprünglichen Spannungs-Garanten. Wie auf Autopilot spult der Meister nun die alte Story von der Flucht aus der unheimlichen Anstalt ab und kann (oder mag) dieser nicht den erhofften Glanz echter Inspiration verleihen. Wer das Thema gern wirklich packend und modern aufbereitet sehen möchte, sollte zumindest lieber zu Brad Andersons „Session 9“ (2001) greifen…

Gerade für einen echten Fan tut es weh, diese abschließenden Worte zu verfassen: Der einstige Leinwand-Held hat mit seiner neuesten Arbeit vielleicht keinen wirren Totalausfall wie „Ghosts Of Mars“ abgeliefert, aber gibt sich dafür schlicht mit einem absolut mittelmäßigen 08/15-Schocker zufrieden, über welchen man sich vermutlich nur halb so sehr ärgern würde – wüsste man nicht, dass der verantwortliche Regisseur eigentlich zu weit mehr als diesem Spukstündchen im Stande gewesen wäre. „Old school horror by an old school director“ sieht zumindest anders aus…

 

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