Der Artikel enthält einige "Hannibal"-SPOILER zur besprochenen Folge!
Der Tisch ist gedeckt, die Gäste sind da (auch wenn sie sich zu Vorspeise erst einmal nur wenige gesellen) und es kann wieder losgehen: "Hannibal" ist zurück! Nach dem fabelhaft wendungsreichen und unglaublich schockierenden Ende der 2. Staffel könnten die Erwartungen an die neu anlaufende Season wohl kaum höher sein. Serienschöpfer Bryan Fuller bändigte diese Aufregung etwas, als er verriet, dass die ersten Folgen der neuen Staffel ruhiger sein würden und den Fokus auf die Beziehung zwischen Hannibal und Bedelia Du Maurier legen würden. Erst im späteren Verlauf der Staffel würde sich zeigen, was aus den anderen Hauptcharakteren der Serie, die nach dem Ende von Staffel 2 nicht alle lebendig aussahen, geworden ist.
Mit "Antipasto" erwartet uns eben genau dieser Auftakt, der zwar etwas langsamer ist, als man es von den vorangegangenen Folgen gewohnt ist, aber dem grandiosen Stil wieder einmal in Nichts nachsteht. Es wird hier nicht im Ansatz versucht, viel zu erklären, oder einen tollen Staffelstart mit jeder Menge Charakteren zu kreieren, sondern ein kleines feines Psychospiel etabliert, das voller Symbolik und intelligenter Dialoge steckt. Das ist so ziemlich das, was die Serie an dieser Stelle auch gebraucht hat, und zwar eine kleine Pause und etwas Neues. Zwar werden ordentlich Tempo und Figuren herausgenommen, doch atmosphärisch ist das große Klasse. Frischen Wind bringt unter anderem der kurze Besuch in Paris und das Verschieben der eigentlichen Handlung nach Florenz, eine Stadt, die sich makellos in den Stil von "Hannibal" einfügt.
Mads Mikkelsen wurde im Verlauf der Serie immer mehr zur Hauptfigur, war er anfangs noch neben Hugh Dancy der interessante Antagonist, der leise hinter den Kulissen agierte, bekommt der Zuschauer jetzt seine volle Breitseite zu spüren. Wie lange das von Dauer sein wird, bleibt abzuwarten, denn der Fokus auf Hannibal selbst, der in seinen Worten, seinen Personenanzug endlich abgelegt hat, rückt ihn sogleich auch in die unsympathische Tragerolle. Mehr Sympathie erhält seine Begleitung, gespielt von der großartigen Gillian Anderson, die in der Folge irgendwie immernoch zwischen den Fronten steht. Einerseits versucht sie vor Hannibal zu fliehen, andererseits unternimmt sie auch nichts explizit gegen ihn, oder doch? Endlich erfahren wir außerdem mehr von dem Vorfall, in dem Bedelia ihren Patienten anscheinend umgebracht hat. Zumindest sehen wir Zachary Quinto blutüberströmt am Boden liegen, und es sieht so aus, als wäre sie nicht ganz unschuldig an seinem Tod – oder will ein gewisser Jemand vielleicht nur, dass es genauso aussieht?
So einige Rätsel begleiten die mysteriöse Dr. Du Maurier. Auch ihr Aufenthalt an den Kameras bei den Bahngleisen und im geheimnisvollen italienischen Feinkostladen wirken, als würde sie etwas im Schilde führen. Ist sie womöglich gar nicht so allein auf sich gestellt, wie man gerade annehmen mag? Durchaus denkbar, dass Hannibal bald einsehen muss, dass er nicht ganz so sicher ist, wie er sich gerade fühlt. Wir bleiben mal gespannt wie es in Zukunft mit ihm weitergeht.
In die Vergangenheit hingegen führen uns zahlreiche Flashbacks oder Traumvorstellungen (wer kann das in dieser Serie schon so genau sagen?) von Hannibal und Abel Gideon, mal wieder hervorragend gespielt von Eddie Izzard. Anfangs noch aus bereits bekannten Szenen bestehend, in denen Gideon sein eigenes Bein serviert wird, entwickeln sich jene Szenen zum interessantesten Teil der Episode und scheinen das Geschehen der Staffel in die Zukunft blickend sogar noch zu kommentieren. So ist der Dialog zwischen den beiden Serienmördern der gehaltvollste und vor allem ehrlichste der ganzen Folge und gibt sogar etwas über die Denkweise des titelgebenden Menschenfressers preis:
This isn’t cannibalism, Abel. It’s only cannibalism if we’re equals.
Ein Satz, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt und nicht der einzige Bemerkenswerte in der Unterhaltung zwischen den beiden bleibt, so ist auch Abels Reaktion auf Hannibal sehr schön:
I’m just fascinated to know how you will feel when all of this happens to you.
Hannibal scheint in jeder Situation den richtigen Riecher zu besitzen, immer alles durchgeplant zu haben, und überhaupt komplett perfekt zu sein. Perfekt böse versteht sich. Doch Abel Gideon weiß genau, dass nichts ewig hält, und macht Dr. Lecter bewusst, dass auch er eines Tages auf der Speisekarte stehen wird (oder zumindest geschnappt wird). Hannibal selbst bleibt sehr selbstbewusst, und vielleicht könnte ihm genau das bald zum Verhängnis werden. Allerdings dachten das die meisten auch schon am Ende der zweiten Staffel, und was darauf folgte, war weniger verhängnisvoll für ihn. Doch für wen hält sich Hannibal, wenn er immer überlegen scheint, wenn er in seinen Augen nur Unwürdige beseitigt um seinen Hunger zu stillen? Eine subtile Vorstellung lieferte uns wohl seine Rede über Dante, die uns dieses Bild bescherte:
Man muss der Serie lassen, dass sie mal wieder mit Anspielungen und tollen Blickfängen nicht geizen mag. Hannibal als Lucifer, der Teufel in Menschengestalt, gibt ein wunderbares Bild ab. Generell versucht "Antipasto" sehr, ihn zwar als das Böse darzustellen, aber gleichzeitig auch irgendwie anzuteasen, dass es nicht mehr lang dauern kann, bis auch er einmal auf der Verliererseite ist. Etwas in den Hintergrund rückt durch all die Metaphern und Zeichen leider die eigentliche Handlung, in der Hannibal Bedelia durch seinen Mord an dem wohlhabenden Anthony Dimmond (Tom Wisdom) beweisen will, dass sie sich an seinen Taten beteiligt, anstatt nur zuzusehen.
Observe or participate?
So bleibt zwar das Geschehen noch sehr mysteriös und teilweise nicht vollends verständlich, doch die bloße Detailverliebtheit, die sich aufdrängt, ist einfach wieder fabelhaft gelungen. Die Schnecken, die Hannibal Abel Gideon zeigt bleiben bezeichnend für eine Folge, die langsam und mühsam vorangeht, sich aber umso mehr Zeit nimmt schön zu sein, und unter ihrem Panzer so einiges zu verbergen hat. Wie die Schleimspur einer Schnecke zieht schließlich auch Anthony als Hannibals Opfer eine Blutspur hinter sich her, bevor er umgebracht wird; wie eine Schnecke bewegt sich auch diese Folge langsam auf ein bestimmtes Ziel vor. Zwar fehlen die anderen Charaktere der Serie schon irgendwie, doch die Dialoge zwischen Hannibal, Bedelia und Abel Gideons heben die Folge an.
"Antipasto" reicht zwar bei Weitem nicht an die besten Episoden der Serie heran, allein weil mehr Fragen gestellt werden als scheinbar je zuvor, lässt aber vieles offen, was in den nächsten Folgen aufgegriffen werden wird, und baut stark auf die Atmosphäre der vorigen Staffeln auf. Gleichzeitig entsteht auch eine gänzlich neue Grundstimmung, was vor allem Gillian Andersons Bedelia Du Maurier zu verdanken ist, deren Figur in der dritten Staffel wohl zu einer der interessantesten der Serie wird. Es bleibt abzuwarten, was genau ihr Plan ist, und ob er Früchte tragen wird, doch ich bin mir sicher, die nächsten Folgen werden es uns zeigen und wieder ausgesprochen delikat sein. Auf jeden Fall ist das Buffet endlich wieder eröffnet, und eines ist sicher: Nichts hier ist vegetarisch!