„Trickfilmnation Japan“ lautet das Thema des diesjährigen Japan-Filmfest Hamburg. Daher wurde es an Tag drei höchste Zeit, zumindest zwei der Anime zu sehen. Zugegeben: Die Ghibli-Produktion von Hayao Miyazaki war eine sichere Nummer. Der zweite Anime war dafür erfrischend anders. Aber lest selbst.
Wie der Wind sich hebt (2013)
(Kaze tachinu)
Jirô Horikoshi ist seit seiner frühesten Kindheit fasziniert vom Fliegen. Er wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts im aufstrebenden Japan auf. Somit erlebte er auch hautnah das verheerende Kantô-Erdbeben 1923 und die anschließende Wirtschaftskrise mit. Doch in den folgenden Jahren des aufsteigenden imperialistischen Japans kann er endlich sein Können als Flugzeugkonstrukteur unter Beweis stellen. Er beginnt, für Mitsubishi zu arbeiten, und steigt mit der Hilfe seines Mentors Kurokawa allmählich auf. Nebenbei trifft er Naoko Satomi wieder, die er bereits beim Erdbeben kennenlernte. Beide verbindet seit ihrer ersten Begegnung eine innige Zuneigung. Als sie sich einige Jahre später wiedertreffen, können sie ihrer Liebe eine Chance geben. Doch Satomi erkrankt an Tuberkulose. Mit viel Hingabe kümmert er sich um sie, ohne seine Arbeit aus dem Blick zu verlieren. Nach unzähligen Rückschlägen gelingt ihm dann endlich der Durchbruch: die Entwicklung des als „Zero“ bekannt gewordenen Trägerjagdflugzeugs Mitsubishi A6M. Es ist ein Meilenstein in der militärisch genutzten Luftfahrt Japans. Aber je erfolgreicher er wird, desto schlechter steht es um Naokos Gesundheit.
Es gibt wohl kaum einen anderen, der es bei einem „Trickfilm“ in Überlänge so gekonnt schafft, das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute zu begeistern. Und genau daher traut es sich auch niemand zu sagen, dass Wie der Wind sich hebt Hayao Miyazakis letzter Film sein wird. Immer wieder liest man: sein wahrscheinlich letzter Film. In der Tat würde sich mit Miyazaki ein Altmeister zurückziehen, der wie kein anderer den japanischen Anime beeinflusst und immer wieder aufs Neue geformt hat. Falls es dennoch sein allerletztes Werk bleiben sollte, hätte er sich mit Wie der Wind sich hebt ein ehrwürdiges Denkmal gesetzt. In fünf Jahren intensiver Arbeit ist ein wunderschön gezeichnetes Porträt eines Mannes entstanden, der sich schon als kleiner Junge fürs Fliegen faszinierte. Für ihn stand dabei nie die Beihilfe zum Krieg im Vordergrund, im Gegenteil. Miyazaki stellt die reine Faszination für Flugzeuge, die er auch privat hegt, und den Traum des Fliegens in den Mittelpunkt. Die schrecklichen Seiten des Krieges klammert er dennoch nicht aus. Seine Haltung zum Krieg wird auch in seinen früheren Werken deutlich. Er zeigt klar die Schattenseiten auf, ohne etwas zu verschleiern. Und doch kann er Jirô als Konstrukteur für Kampfflugzeuge nicht verurteilen. Schließlich wird er nicht vom Kriegsgedanken gesteuert, sondern einzig und allein von seiner Leidenschaft, Flugzeuge zu bauen. Und da es die Zeit erfordert, baut er eben Kampfflugzeuge. Die Geschichte wird mit so viel Gefühl und Detailverliebtheit erzählt, dass man gar nicht anders kann, als Wie der Wind sich hebt als ein weiteres Meisterwerk aus dem Hause Ghibli zu bezeichnen.
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Die DVD und Blu-Ray sind bereits in Deutschland erschienen. Wer sich den Film mit der japanischen Tonspur anschaut, kommt in den Genuss, neben den tollen Originalsprechern Passagen auf Deutsch mitzuerleben – inklusive Gesangseinlage.
5/5 Sterne
Patema Inverted (2013)
(Sakasama no Patema)
Ein Experiment, die Erdanziehungskraft zur Energiegewinnung zu nutzen, geht schief. Das Gravitationsfeld der Erde kehrt sich um, wodurch ein Großteil der Erdoberfläche zerstört wird. Viele Menschen, Tiere, Häuser und andere Objekte fliegen gen Himmel und verschwinden. Einige Jahre später herrscht an der Oberfläche ein totalitäres Regime, das die wenigen Nachfahren der Überlebenden unterdrückt und für seine Zwecke nutzt. Durch Gleichschaltung und die bedingungslose Befolgung der Regeln des Tyrannen Izamura ist das Leben auf der Erde eintönig geworden. Für Age zu eintönig. Er widersetzt sich immer wieder der strikten Ordnung und liebt es, in den Nachthimmel zu schauen. Und das obwohl Sünder in den Himmel fallen. In der Nation Aiga gelten die Bewohner der Nation Aiga als die letzten Menschen im Universum. Doch dann taucht Patema auf. Sie stammt aus dem Untergrund, der sogenannten Gefahrenzone. Von ihrer Neugier getrieben erkundet sie die unterirdischen Tunnelsysteme und fällt in ein Loch. Dadurch gelangt sie in eine Welt, in der alles auf dem Kopf zu stehen scheint. So auch der junge Age, der ihr hilft, nicht weiter in den Himmel zu stürzen. Hand in Hand versuchen sie, Patema in ihre Welt zurückzubringen. Doch schnell kommt der tyrannische Izamura ihnen in die Quere und bringt das junge Mädchen in seine Gewalt. Mit der Hilfe von Porta, der ebenfalls aus der Gefahrenzone stammt, gelingt es Age, Patema zu befreien. Doch der einzige Ausweg führt für den einen nach oben und den anderen nach unten. Ohne sich loszulassen, müssen beide ihre Angst überwinden.
Yoshiura Yasuhiro präsentiert mit Patema Inverted ein im wahrsten Sinne des Wortes inverses Anime-Projekt. Es geht um verkehrte Welten, die im Grunde doch gleichherum funktionieren, auch wenn sie ihre eigenen Regeln haben. Das Spiel mit oben und unten wirkt mitunter verwirrend, aber zugleich extrem spannend. Immer wieder ertappt man sich dabei zu prüfen, ob das Bild denn so herum nun richtig ist. Oder müsste er jetzt nicht nach oben beziehungsweise sie nach unten fallen? Diesen Wechsel von Auf und Ab nutzt Yasuhiro auch ganz bewusst bei seinen Kameraeinstellungen aus. Immer wieder dreht inmitten einer Szene das Bild, wodurch zudem eine ganz eigene Dynamik der Komik entsteht. Er spielt mit der menschlichen Orientierung, verwirrt in den richtigen Momenten, um die Spannung weiter voranzutreiben. Die Materie ist an einigen Stellen schwer zu durchdringen, aber durchaus unterhaltsam. Durch die jungen Protagonisten und die klaren Bilder ist der Film auch etwas für jüngere Zuschauer. Der zum Teil fordernde Stoff dürfte aber bei ihnen noch mehr Fragen aufwerfen. Patema Inverted ist ein Anime mit einem interessanten Thema, der über weite Strecken unterhaltsam und spannend ist, den Zuschauer am Ende aber mit ein paar Fragen zurücklässt.
Die deutsche DVD und Blu-Ray können bereits online vorbestellt werden. Sie erscheinen voraussichtlich am 27. November bei uns im Handel.
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