Nymphomaniac Volume I (2014)

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Nymphomaniac (2014) Filmkritik

Nymphomaniac Volume I, D/GB/BE/DK/FR 2014 • 145 Min • Regie: Lars von Trier • Mit: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf, Uma Thurman, Stacy Martin, Udo Kier, Christian Slater, Willem Dafoe, Jamie Bell • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 20.02.2014Deutsche Website

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Nymphomaniac (2014) Filmbild 1„Das hier beginnt mich zu amüsieren.“, sagt Stellan Skarsgård als Seligman, der die Titelfigur Joe (Charlotte Gainsboug) zusammengeschlagen und heruntergekommen in einer Gasse findet. Da ist man mittendrin in der epischen Bums-Biografie einer Sexsüchtigen, die sich selbst gegen diese Bezeichnung wehrt. Mit anderen Labeln hat die Hauptfigur von Lars von Triers melodramatischer Orgasmus-Odyssee keine Probleme: „Ich bin einfach ein schlechter Mensch.“, sagt sie Seligman, der ihr beharrlich widerspricht. Das Leutselige liegt dem asexuellen Gegenüber der hypersexuellen Joe quasi im Namen. Der verrät, dass der Regisseur und Drehbuchautor einmal mehr seiner Faszination für die Heilige Hure und weibliche Widerspruchswesen aus geschundener Leiderin und lasziver Versucherin erliegt. In „Breaking the Waves“ war es Gott, der die gefallene Protagonistin am Ende ihrer sexualisierten Selbstkasteiung aufrichtete, in „Dancer in the Dark“ waren es sentimental-verklärte Musical-Fantasien, die den Opfergang der Protagonistin überhöhten. In „Nymphomaniac“ ist es nun ein als solcher implizierter seliger Mann, der die Gefallene aufnimmt, nachdem sie augenscheinlich ganz unten angekommen ist, und ihrer Lebensbeichte lauscht.

Nymphomaniac (2014) Filmbild 2Die ist unterteilt in zwei rund zweistündige Filmteile, die durch Kapitel, versehen mit bisweilen kuriosen Titeln wie „The Complete Angler“ strukturiert sind. Eine moderne Scheherazade soll Joe sein, die ihren Zuhörer und vor allem ihre Zuschauer mit ihren Erzählungen auf subtile Weise verführt. Die Tausendundeine Nächte der Joe (jung: Stacy Martin). Dabei entgeht von Trier ein entscheidendes Detail. Scheherazade erzählt jede Nacht eine andere Geschichte und alle Geschichten sind so wundersam, poetisch und spannend, dass sie das Zuhören eine Lust machen. Joe erzählt immer die gleiche Geschichte und jede ihrer Wiederholungen ist so vorhersehbar, trivial und langweilig, dass sie das Zusehen zur Plackerei machen. Tatsächlich ist Joe in jeder Beziehung der vollkommene Anti-Typ der literarischen Heldin. Die Literaturgestalt ist klug, während die Filmgestalt trotz daher referierter Fachkenntnisse armgeistig wirkt, frei nach Forrest Gumps Feststellung: „Dumm ist der, der Dummes tut.“ Das gilt auch für eine sie, die mit einer Freundin mit der Chiffre B (Sophie Kennedy Clark) in einem Zug einen Wettbewerb im Fahrgäste-Ficken abhält (von Triers Version eines sex train) oder sich in einem Restaurant ein Arsenal an Löffeln in die falsche Körperöffnung schiebt (nach der Szene scheint es total normal wie Jack Nicholson in „Besser geht’s nicht“ immer überall eigenes Besteck mitzubringen).

Nymphomaniac (2014) Filmbild 3Selbst Kellner Udo Kier, der in seiner Karriere einige Sex-Spleens erlebt hat, guckt verdutzt, vielleicht auch deshalb, weil er sonst nicht viel vor der Kamera zu tun bekommt. Sein Schicksal teilt Uma Thurman, die sich in einem aberwitzigen Auftritt als betrogene Gattin austobt. Spekulationen, dass prominente Cast-Mitglieder wie Shia LaBeouf, Willem Dafoe und Jamie Bell sich beim Dreh etwaige Blöße geben, wurden vorab unterminiert. Für explizite Szenen wurden Bodydoubles eingesetzt – während die Akteure parallel versicherten, dass die sexuellen Inhalte für sie kein Problem darstellten. „Nymphomaniac“ trieft nur so von dieser Ambivalenz. Das monotone Melodrama ist nicht auf sexueller oder moralischer Ebene hemmungslos, sondern allein auf kommerzieller. Vom Titel über den Schriftzug mit dem eindeutigen () über die implizite Posterkampagne über geschickt gestreute Vorabmeldungen über die Teaser und Trailer bis zur portionierten Verwertung des Stoffs in zwei Teilen ist von Triers jüngstes Projekt ein Meisterwerk: des Marketing. Es bündelt den Witz, die Provokation und Suggestivität, die man schmerzlich vermisst, wenn Joe und Seligman über Fliegenfischen, die Fibonacci-Folge und Bach fabulieren.

Fazit

„Auf welche Art hast du am meisten von meiner Geschichte?“, fragt Joe einmal. Die Antwort ist schaler als der Nachgeschmack, den Joes mechanische Befriedigung einer Sucht, die letztlich so stupide ist wie alle Abhängigkeiten, hinterlässt: kommerziell. Fuck that.

Trailer

https://youtu.be/Y9IdMflXpDk