
Es kann nicht immer nur aufwärts gehen und nachdem das Fantasy Filmfest 2015 in Köln am Vortag mit zwei der größten diesjährigen Highlights kulminierte, fiel Tag 5 ein wenig schwächer aus. Dabei fing er eigentlich super an. Die erste Kritik des Tages stammt zwar (aus Zeitgründen) von einem Gastautor des Tagebuchs, für mich fing jedoch der Tag mit zwei der bislang positivsten Festival-Überraschungen an. Sowohl der australische Mystery-Horrorthriller Backtrack als auch die kleine spanische Perle Shrew’s Nest konnten mich über weite Strecken begeistern, doch mit Infini und Scherzo Diabolico wartete auf mich ein eher durchwachsener Abschluss.
TAG 5

Ich bin kein Spezialist, was Martial-Arts-Filme angeht. Allerdings habe ich in der Vergangenheit an diversen Shaw-Brothers-Produktionen und auch der Street-Fighter-Trilogie mit Sonny Chiba stets großen Spaß gehabt. Auch für den brutalen Klopper The Raid 2 bin ich zu begeistern gewesen. In die Fußstapfen von letzterem kann Kung Fu Killer trotz illustrer Besetzung bis in die Nebenrollen ganz sicher nicht treten. Dazu mangelt es zu sehr an einer originellen Inszenierung und einem einigermaßen spannenden Drehbuch. Außerdem dauert es gehörig lange, bis der große Star der Produktion, Donnie Yen, endlich von der Kette darf und zeigt, was er kann. Vielleicht will der Film auch nur ein kleiner moderner Exploitationstreifen für zwischendurch sein. Das gelingt ihm dann wieder ganz gut, trotz einer eher zähen ersten Hälfte. Der Zuschauerapplaus nach einer langen Huldigung populärer Helden im Abspann zeigt mir, dass Kung Fu Killer nicht der große Hit für mich, aber möglicherweise für andere sein könnte: Von mir also eine moderate Wertung für moderate 100 Filmminuten. 3/5 (Bastian G.)

Backtrack ist in vielerlei Hinsicht ein sehr klassischer Film, der mit Versatzstücken aus anderen Mysterythrillern und Horrorstreifen arbeitet. Allerdings werden diese Versatzstücke so gekonnt zusammengesetzt und von Regisseur Michael Petroni so spannend inszeniert, dass die mangelnde Originalität hier wirklich nicht schwer ins Gewicht fällt. Nach zahlreichen fragwürdigen Rollen in den letzten Jahren darf Adrien Brody hier wieder zeigen, was er schauspielerisch draufhat. Der eigentliche Star ist hier jedoch die Geschichte, die sich spannungs- und wendungsreich entfaltet und mit einigen gut platzierten (wenn auch manchmal zu CGI-lastigen) Schreckmomenten für wohlige Gänsehaut sorgt. Wenn alles vorbei ist, darf man sich zu Recht die Frage stellen, ob der Plot nicht etwas zu konstruiert ist und zu bequem zu Ende gebracht wurde. Doch die große Leistung eines solchen Films besteht auch darin, dass man sich dank der gelungenen und durchgehend sehr fesselnden Inszenierung diese Frage nicht während des Films schon stellt, sondern sich sehr bereitwillig auf den spannungsgeladenen Trip einlässt, der Horror- und Thrillerelemente toll kombiniert. Backtrack ist einfach tolle Unterhaltung! 4/5

Ein Mann der mit übel zugerichtetem Bein ans Bett gefesselt ist und der Willkür einer offensichtlich durchgeknallten, geradezu besessenen Frau ausgeliefert ist. Das kennen wir bereits gut aus der Stephen-King-Verfilmung Misery und was dort gut funktionierte, lässt sich auch super in das katholische spanische Setting verpflanzen. Spaniens enfant terrible Álex de la Iglesia (Witching and Bitching) hat das Erstlingswerk der Regisseure Juanfer Andrés und Esteban Roel produziert und tatsächlich sieht man seinen Einfluss an einigen grotesk-splattrigen Einlagen in der blutigen zweiten Filmhälfte sowie an der Besetzung, in der natürlich auch de la Iglesias Muse, die umwerfende Carolina Bang, in einer kurzen Nebenrolle nicht fehlen darf. Doch es sind nicht diese Elemente, die Shrew’s Nest zu seinem sehr sehenswerten Genrebeitrag machen. Im Kern ist Shrew’s Nest eine sehr tragische, düstere Geschichte und Macarena Gómez' Montse eine komplexe, traurige Figur, die Annie Wilkes aus Misery in nichts nachsteht. Ihre Visionen von ihrem brutalen Vater (grandios: Luis Tosar, der nach Sleep Tight auf Creep-Rollen abonniert zu sein scheint) und gelegentlich eingeworfene Flashbacks offenbaren nach und nach die schockierende Vorgeschichte, die Montse zu dem gemacht hat, was sie nun ist. Gómez liefert mit der Rolle eine absolute Meisterleistung ab und schwankt zwischen Verletzlichkeit und Verzweiflung in einer Szene und blutrünstigem Wahn und Aggression in der nächsten. Neben einer solchen Naturgewalt, geraten Nadia de Santiago und Hugo Silva in den Hintergrund und die langsam aufkeimende Romanze zwischen den beiden fühlt sich arg aufgezwungen an. Außerdem ist das Voiceover von de Santiago, in dem die Parallelen der älteren Schwester zur (titelgebenden) Spitzmaus erklärt werden, eigentlich überflüssig und trägt wenig zu dem Film bei, das die gezeigten Bilder nicht so schon gut rüberbringen.
Doch diese Probleme sind eigentlich nebensächlich, denn im Großen und Ganzen funktioniert Shrew’s Nest von Anfang bis zum Ende sehr gut. Das Setup ist Misery sehr ähnlich, doch es werden gänzlich andere Schwerpunkte gesetzt. Die schockierenden finalen Momente des Films lassen das Gesamtwerk in einem neuen Licht erstrahlen und offenbaren eine weitere tragische Dimension des Films und seiner Charaktere. 4/5

Doch es ist nicht nur der Originalitätsmangel, der den Film letztlich zu einem Fiasko werden lässt. Mit 110 Minuten Laufzeit hat er einfach nicht genug Geschichte zu erzählen und so darf der Zuschauer lange Passagen ertragen, in denen die Charaktere sich gegenseitig anbrüllen, halluzinieren oder einen langen sinnlosen Kampf gegeneinander austragen, ohne dass der Plot dabei wirklich voranschreitet. Im Gegensatz zum sehr zähen Mittelteil ist der Beginn des Films sehr hektisch und dank zahlreicher Zwischenschnitte zwischen mehreren Locations und Charakteren auch schwer verständlich. Außerdem macht der Film zu Beginn ein Versprechen, die er nie einhält. So erklärt die besagte Infotafel auch, dass der Slipstream-Prozess sehr umstritten und für Datenverfälschung anfällig sei. Dieser Punkt wird jedoch später gar nicht mehr aufgegriffen. Überhaupt spielt der Slipstream, dessen Regeln und Funktionsweise zu Filmbeginn ausführlich erklärt werden, später kaum noch eine Rolle im Handlungsverlauf. Dabei wäre dieser Ansatzpunkt eigentlich deutlich interessanter als der besagte Virus, der die Söldner in den Wahnsinn treibt.
Was also auf der Plusseite übrig bleibt, sind nette Kulissen, die es schaffen, klaustrophobische Stimmung aufkommen zu lassen, wenn auch sie so wirken, als hätte man sie direkt vom Event-Horizon-Set mitgenommen und mit Daniel MacPherson ein toller Hauptdarsteller, der den Drehbuchschwächen bravourös trotzt und alles in der Rolle des verzweifelten Soldaten gibt, der nur zurück zu seiner schwangeren Ehefrau möchte. Wenn der Film den Ursprüngen des Virus auf den Grund geht, offenbart er auch einige interessante (wenn auch wieder einmal nicht originelle) Aspekte. Leider ist das bei weitem nicht genug, um Infini sehenswert zu machen und der finale Twist, den sich der Macher vermutlich als besonders clever vorgestellt hat, sorgte bei mir lediglich für Kopfschütteln. 2/5

Scherzo Diabolico, dessen Titel einem Klavierstück entliehen ist, welches (gemeinsam mit anderer Klaviermusik) eine wichtige Rolle im Film spielt, ist ein dreckiges, fieses Filmchen, das seine Exploitation-Wurzeln erst in der zweiten Hälfte offenbart. An dieser Stelle soll nicht mehr verraten werden, doch einige Wendungen der Ereignisse sorgen dafür, dass der Fokus der Zuschauer und der Verlauf der Handlung schlagartig um 180 Grad gedreht werden. Im Prinzip haben wir es dann plötzlich mit einem überraschend brutalen, bluttriefenden Rape ’n' Revenge-Film zu tun, ohne jedoch die Vergewaltigungskomponente. Einige für den Verlauf der Handlung nötige Enthüllungen wirken dabei sehr an den Haaren herbeigezogen und jegliche Logik bleibt dabei auf der Strecke. Die Kontrast zwischen der fast ausschließlich psychischen Gewalt in der ersten und den sehr körperlichen Gewaltausbrüche in der zweiten Filmhälfte verleiht dem Film einen sehr inkonsistenten Ton und lässt den Zuschauer sich auch mal die Frage stellen: "Was soll das Ganze eigentlich?" Mit dieser Frage hält der Film sich jedoch in seinem prestissimo-Finale nicht auf. Regisseur Adrián García Bogliano (Here Comes the Devil) ist hier auf jeden Fall ein kurioses Stück gelungen, dessen überwiegend klassische Klaviermusikuntermalung den ungewöhnlichen Rhythmus bestimmt. Scherzo Diabolico ist ein Film, der trotz all seiner Schwächen und Ungereimtheiten nachwirkt. Direkt nach dem Screening wäre meine Wertung vermutlich niedriger ausgefallen, doch im Gegensatz zu den gesehen-und-vergessen-Beiträgen, die jährlich auf dem FFF zu sehen sind, bleibt Scherzo Diabolico mit seiner kompromisslosen und in der finalen Einstellung auf den Punkt gebrachten Bosheit beim Zuschauer wie ein Parasit hängen und geht unter die Haut. Was das Ganze wirklich soll, weiß man dann aber immer noch nicht. 3/5
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Der sechste Tag des Fantasy Filmfests 2015 wird ganz im Zeichen der Damen stehen, allen voran Katharine Isabelle und Olga Kurylenko. In der nächsten Ausgabe erfahrt Ihr, ob ihre neuen Thriller 88 und Momentum ebenfalls einen so bleibenden Eindruck hinterlassen, wie ihre Darstellerinnen. Dazu gibt es dann noch die Kurzkritik zur Fressorgien-Groteske Excess Flesh.
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