
Auch wenn ich mich immer wieder gerne von der Stimmung der Eröffnungsnacht beim Fantasy Filmfest mitreißen lasse, braucht es in der Regel etwas länger, bis ich in den Alltagstrott des Festivals (kurze Nächte, noch kürzere Essenspausen und sehr viel Zeit vor der Leinwand) hineinkomme. Am ersten Tag erscheint die Vorstellung, den Großteil meiner Wachzeit über die nächsten zehn Tage im Kino zu verbringen, noch irgendwie abstrakt. Erst mit der Zeit setzt das Festival-Gefühl wirklich ein. Dieses Jahr war es schon am zweiten Tag so weit, was nicht zuletzt einer im Schnitt recht guten Filmauswahl zu verdanken ist. Nach einem wirklich gelungenen Auftakt mit Es und The Mermaid, hatte auch Tag 2 einige sehenswerte Filme zu bieten. Das ganz große Highlight ist mir zwar noch nicht untergekommen, aber auch noch keine Gurke und jedem der vier sehr unterschiedlichen Filme vom zweiten Tag konnte ich das Eine oder Andere abgewinnen.
Auf dem Programm standen hübsche junge Kannibalinnen, Weltkriegshorror, eine sehr mysteriöse Leiche und der erste finnische Superheld der Filmgeschichte. Zwei der Filme – The Autopsy of Jane Doe und Raw – spielten vor einem ausverkauften Saal, was wieder einmal für die sehr ansprechende Programm dieses Jahr spricht. Weiter geht’s also mit meinen Eindrücken vom FFF 2017:
Tag 2

Wir schreiben die letzten Tage des Ersten Weltkriegs im November 1918. Ein Stoßtrupp aus US-amerikanischen und britischen Soldaten sowie einem kanadischen Tunnelgräber (Rossif Sutherland) erhält den Auftrag, eine riesige unterirdische Bunkeranlage der Deutschen zu erkunden. In dieser hat der deutsche Truppenführer Reiner (Robert Stadlober), auch als "Prophet" bekannt, angeblich an einer neuen hochgefährlichen Waffe gearbeitet. Zeitgleich wird ein deutscher Trupp, darunter Reiner höchstpersönlich, abkommandiert, um alle Spuren seiner ethisch fragwürdigen Forschung zu beseitigen. Das Alliierten-Kommando trifft zuerst am titelgebenden Schützengraben 11 ein. Tief unter der Erde werden sie von wildgewordenen Deutschen angegriffen, deren Verhalten mehr an Tiere als an Menschen erinnert…
Trench 11 ist im Prinzip nichts Anderes als eine kurzweilige Variation des Zombies-/Infizierten-Horrors mit einem zusätzlichen Ekelfaktor, was den Ursprung der Infektion angeht. Der Film möchte das Rad nicht neu erfinden, sondern begnügt sich mit altbekannten Versatzstücken, was aber dennoch überraschend gut funktioniert. Der Blood-’n'-Gore-Anteil ist ordentlich und sobald die Bunkeranlagen betreten sind, bewegt sich die Handlung recht flott. Durch das unterirdische Setting fällt das geringe Budget des Films nicht so sehr ins Gewicht. Leider setzt Trench 11 seine Kulisse kaum dazu ein, um Klaustrophobie beim Zuschauer zu erzeugen.
Die meisten Charaktere sind sehr eindimensional gezeichnet, es gibt allerdings nette kleine Elemente, die man in Weltkriegsfilmen selten sieht, wie beispielsweise den Einsatz von Kokain unter Soldaten. Rossif Sutherland (Kiefer Sutherlands Halb-Bruder!) ist ein sympathischer, wenn auch unterentwickelter Protagonist. Schauspielerisch fällt vor allem Robert Stadlober durch shamloses Overacting auf. Als klischeehafter Oberbösewicht scheint er vergessen zu haben, in welchem Weltkrieg er sich gerade befindet, hatte aber sichtlich großen Spaß an der Rolle und bringt Leben in den dritten Akt des Films. 3/5

Das englischsprachige Debüt des norwegischen Regisseurs André Øvredal, dessen Mockumentary Trollhunter vor einigen Jahren bei den Fantasy Filmfest Nights lief, erreicht das Fantasy Filmfest mit vielen Vorschusslorbeeren von diversen Festivals. Diese sind weitgehend gerechtfertigt. The Autopsy of Jane Doe ist nicht so gruselig, wie er sein möchte oder wie er von diversen Rezensionen angepriesen wird (die Langkritik meines Kollegen findet Ihr hier), doch er baut bedächtig eine unheimliche Atmosphäre auf und sorgt im letzten Drittel durchgehend für wohlige Gänsehaut. Geschickt lässt Øvredal seine Protagonisten mit jeder neuen Stufe der Autopsie tiefer in das Geheimnis der Leiche vordringen. Auch wenn die meisten Zuschauer die große Enthüllung noch vor den Hauptcharakteren erahnen können werden, ist es ein erfrischender Ansatz im angestaubten Genre.
Die Filmmusik von Danny Bensi und Saunder Jurriaans hilft dabei, die Spannungsschraube anzuziehen. Großes Lob gebührt auch den beiden Hauptdarstellern, die als Vater und Sohn sehr glaubwürdig sind. Gerade Brian Cox hat man schon länger nicht mehr so gut gesehen. Er bringt Würde, Trauer und augenzwinkernden Humor in die Rolle mit. Die Spannung funktioniert in einem Horrorfilm bekanntlich immer nur zu dem Maß, in dem wir mit den Figuren mitfiebern. Auch wenn die Geschichte gegen Ende immer vorhersehbarere Pfade Wege einschlägt, hält Øvredals starke Inszenierung die Spannung aufrecht. Noch nie war das klingeln eines Glöckchens beunruhigender als in diesem Film! 4/5

Raw handelt von Justine (Garance Marillier), einer Erstsemester-Medizinstudentin und überzeugten Vegetarierin (wie auch der Rest ihrer Familie). Erstmals weg von Zuhause, stellt sie fest, dass solche Ideale an der Uni nicht lange Bestand halten. Im Rahmen eines Aufnahmerituals für Neuankömmlinge wird sie durch Gruppendruck – darunter seitens ihrer älteren Schwester Alexia (Ella Rumpf) – dazu gezwungen, rohes Fleisch zu konsumieren. Justine kommt auf den Geschmack, doch schon bald reicht ihr totes Tierfleisch nicht mehr aus.
Raw ist eine sensibel erzählte Coming-of-Age-Geschichte, die dem Ruf eines ultraheftigen Horrorschockers weder gerecht wird noch tut dieser ihr einen Gefallen, denn er lenkt davon ab, worum es hier eigentlich geht. Im Grunde ist Raw nichts anderes als Ginger Snaps mit einem Schuss von Black Swan. Wurde im kanadischen Horrorfilm das sexuelle Erwachen und die Selbstfindung einer jungen Frau durch die Verwandlung in einen Werwolf symbolisiert, sind es hier kannibalistische Gelüste. Auch die Dynamik der beiden Schwestern – eine ausgelassen, wild und herrisch, die andere zurückhaltend und schüchtern – erinnert sehr an das Zusammenspiel von Katharine Isabelle und Emily Perkins aus Ginger Snaps. Weil Ginger Snaps die Alegorie bereits so gut abgehandelt hat, hat man bei Raw trotz guter Umsetzung durch die Regisseurin Julia Ducournau das Gefühl, es alles irgendwie schon zu kennen. Die beiden fantastischen Hauptdarstellerinnen (Garance Marillier war bei den Dreharbeiten erst 17!) heben den Film jedoch deutlich über den Durchschnitt und wirken sehr glaubwürdig als gegensätzliche und einander doch sehr verbundene Schwestern. Eine noch positivere Rezension findet Ihr von meinem Kollegen hier. 3,5/5

Jesse Haaja war bei dem Film offensichtlich mit viel Herz- und Filmblut bei der Sache und großer Liebe für seine Vorbilder. Technisch kann sich die Umsetzung der Actionsequenzen sehen lassen und wer seine Superheldengeschichten etwas brutaler mag, wird hier auf seine Kosten kommen. Abgesehen davon, dass es der erste finnische Superheld ist, ist bei Rendel jedoch wenig originell. Was die düstere Hintergrundgeschichte und das Modus Operandi seines Titelhelden angeht, schneidet der Film eine große Scheibe bei Marvels Punisher und Sam Raimis Quasi-Superheldenfilm Darkman ab. Dabei leidet der Film jedoch unter Logiklöchern, die so groß sind, dass Hulk hindurchspringen könnte. So können die Handlanger der Schurken noch weniger treffsicher schießen als die Stormtrooper bei Star Wars. Vor allem wird aber nie erklärt (Spoilerwarnung!) wie aus einem Bürohengst, der eine Gesichtsmassage mit einem mit Nägeln bespickten Baseballschläger verpasst bekommen hat, plötzlich sofort ein effektiver Nahkampf-Experte wird. Ich bin normalerweise der letzte, der bei einem Superheldenfilm den Mangel an Logik anprangert, doch wenn deren Missachtung so offenkundig ist, fällt es schwer, darüber zu schweigen.
Spaßig bleibt es allerdings meist dennoch, insbesondere wenn ein Trupp tödlicher, eigenwilliger Söldner ins Spiel kommt, um Rendel das Handwerk zu legen, darunter auch Wyrmwood-Darstellerin Bianca Bradley. Leider ist es auch der Segment, in dem jegliche Plausibilität endgültig flöten geht. Ein Gag, der an eine gewisse Szene aus dem ersten Indiana Jones erinnert, ist dennoch klasse. Bei aller Kritik wünsche ich mir, das deutsche Kino würde sich auch mal an einen solchen Film herantrauen. 2,5/5
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Ein durchaus zufriedenstellender, aber auch langer Tag beim Fantasy Filmfest ging zu Ende und am dritten Tag wird es wieder ein wenig ruhiger zugehen, mit 2-3 Filmen. Auf jeden Fall erwartet Euch meine Meinung zum im Vorfeld viel gepriesenen Entführungsdrama Hounds of Love und zur filmgewordenen Kotztüte The Night of the Virgin.
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