Terrordrohungen: Sony zieht die kontroverse Komödie The Interview zurück

Quellen: Sony Pictures, Variety, Deadline

Wir leben in einer verrückten Welt. Einer verrückten, absurden und gelegentlich traurigen Welt. In einer Welt, in der ein vergessener Koffer, einen gesamten Flughafen oder Bahnhof zum Stillstand bringen kann. In einer Welt, in der Wasserflaschen aus Angst vor Anschlägen nicht mehr im Handgepäck in Flugzeugen mitgeführt werden dürfen. In einer Welt, in der eine stehengelassene Tasche bei vielen Menschen (leider gelegentlich mich eingeschlossen) ein leichtes Unwohlsein weckt. Es gibt diese Momente, in dem einem klar wird, wie sehr die durch Medien aber auch durch die bittere Realität angetriebene Angst vor dem nächsten Anschlag das Leben in vielen Aspekten beeinflusst. Der Krieg gegen den Terror wird weitergehen, doch die Schlacht um die Sorglosigkeit vs. Furcht haben die Terroristen bereits für sich entschieden. Wir leben nun auch in einer Welt, in der Terrordrohungen darüber bestimmen können, welche Filme ins Kino kommen dürfen.

Sony Pictures hat offiziell die kontroverse Nordkorea-Komödie The Interview in den USA vom Startplan genommen. Das Studio wurde vor einigen Wochen Opfer eines massiven Hacker-Angriffs, bei dem unzählige Insider-Informationen (interne E-Mail-Konversationen, Gehältertabellen von Stars und Sony-Mitarbeitern, Drehbücher, darunter angeblich auch das Skript zum neuen James-Bond-Film Spectre) in Besitz der Hacker gelangten, die sich lediglich als "Guardians of Peace" (deutsch: Hüter des Friedens) bezeichneten. Im Zuge des Hacker-Angriffs wurden Sony-Server für einige Tage lahmgelegt und mehrere aktuelle Filme des Studios, wie Herz aus Stahl und Annie, wurden zum illegalen Download im Internet veröffentlicht. Ein kommender Sony-Film blieb jedoch unangetastet und scheint auch das Hauptziel der Hacker zu sein – The Interview. In der kontroversen Komödie spielen Seth Rogen und James Franco zwei Journalisten, die nach Nordkorea für ein Interview mit Kim Jong-un reisen und von der CIA angeheuert werden, um den Diktator umzubringen. Natürlich war die nordkoreanische Regierung not amused, als der Film angekündigt wurde, aber schließlich hat ja auch Team America, in dem Kim Jong-il nicht gerade schmeichelhaft dargestellt wurde, keine Probleme bekommen.

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Doch diesmal sollte es anders werden. Nachdem die Hacker viele der sensiblen Sony-Informationen im Internet veröffentlicht haben, die dem Studio nachhaltig schaden könnten, bestanden die Hacker darauf, dass The Interview niemals veröffentlicht wird. Schnell kam der Verdacht auf, die Hacker könnten von der Regierung Nordkoreas gesponsert worden sein, was diese aber natürlich abgestritten hat (die Hackergruppe jedoch in höchsten Tönen lobte). Nachdem Sony aber keine Anstalten gemacht hat, The Interview zurückzuziehen, gingen die "Guardians of Peace" einen Schritt weiter und drohten weitläufiger Terroranschläge an, sollte der Film, wie geplant, am 1. Weihnachtstag in die US-Kinos kommen. Die Warnung der Hacker implizierte Anschläge gegen Kinos im Stil vom 11. September 2001. Alle, die den Film zeigen, sollten bestraft werden und die ganze Welt sollte sich, laut der Drohung, danach von Sony abwenden. Die Gier von Sony sei es, der die Schuld an den Anschlägen zukommen würde.

Ab diesem Zeitpunkt konnte Sony eigentlich nur noch verlieren. Ist es wahrscheinlich, dass es zu Anschlägen aufgrund des Films kommen würde? Nein. Auch Homeland Security in den USA sah kein erhöhtes Terrorrisiko. Doch auch wenn eine 0,1-prozentige Wahrscheinlichkeit besteht und es dann doch eintreten würde, dann würde das letztendlich an Sony hängen bleiben, gerechtfertigt oder nicht. Andererseits soll man ja den Forderungen der Terroristen nicht nachgeben. Ein Dilemma. Nicht so sehr für viele Kinobetreiber allerdings, denn eine nach der anderen verkündeten die großen US-amerikanischen Kinoketten, dass sie The Interview nicht ins Programm nehmen würden. Zu frisch ist wohl noch die Erinnerung an den Amoklauf von Aurora im Sommer 2012, als dass man auch eine vage Möglichkeit eines weiteren Angriffs auf Kinogänger in Kauf nehmen würde.

Sony zeigte sich verständnisvoll, hegte anfangs vermutlich noch Hoffnung, dass genug Kinoketten die Drohungen nicht beachten würden. Nichtsdestotrotz sagte das Studio die Werbeauftritte der Filmstars und kurze Zeit darauf auch die Filmpremiere in New York ab. Schnell wurde klar, dass sich so viele Kinos dem Release des Films verweigern würden, dass es wenig Sinn machen würde, es überhaupt in Angriff zu nehmen. Jetzt kommt die bittere Kunde – Sony nimmt The Interview vom Startplan in den USA. Begründet wurde dies mit der folgenden Pressemitteilung: (aus dem Englischen)

Wir respektieren und verstehen die Entscheidung unserer Partner und teilen natürlich ihr größtes Interesse an der Sicherheit von Mitarbeitern und Kinogängern.

Sony Pictures wurde zum Opfer eines präzedenzlosen kriminellen Angriffs gegen unsere Angestellten, unsere Kunden und unser Unternehmen. Diejenigen, die uns angegriffen haben, haben unser intellektuelles Eigentum, private E-Mails und sensibles Material gestohlen und versuchten unseren Geist und unsere Moral zu untergraben – all das, um die Veröffentlichung eines Films zu verhindern, den sie nicht mochten. Wir sind über diesen dreisten Versuch, den Vertrieb eines Films zu unterdrücken und im Zuge dessen unserer Firma, unseren Mitarbeitern und der amerikanischen Öffentlichkeit Schaden zuzufügen, zutiefst bestürzt. Wir stehen zu unseren Filmemachern und deren Recht der freien Meinungsäußerung und wir sind von diesem Ergebnis extrem enttäuscht.

Enttäuscht bin ich auch, dass Sony Pictures hier nachgegeben hat. Natürlich kann ich in gewisser Hinsicht auch verstehen, dass wenn die Kinos auch nur eine winzige Wahrscheinlichkeit sehen, dass die Hacker nicht bluffen, sie das Risiko nicht eingehen möchten. Es ist auch eine geschäftliche Entscheidung. Doch die weitreichenden Implikationen dieser Entscheidung scheinen Sony und den Kinoketten nicht ganz klar zu sein. Der Verzicht auf den Kinostart von The Interview erzeugt einen Präzedenzfall. Es zeigt, dass man das Studio und die Kinos über Angstmache zwingen kann, einen Film nicht zu zeigen. Was ist, wenn rassistische Gruppierungen so gegen 12 Years a Slave vorgegangen wären? Was wäre gewesen, wenn christliche Fundamentalisten versucht hätten, so den Start von Noah zu verhindern? Diese Entscheidung zeigt eine Schwäche, die nun von Nachahmern ausgenutzt werden kann.

Die erste Konsequenz der Situation ist jetzt schon zu beobachten. Laut dem Online-Portal Deadline wurde dem geplanten Paranoia-Thriller Pyongyang, in dem Steve Carell einen westlichen Mann spielen sollte, der ein Jahr lang in Nordkorea arbeitet, im Zuge der aktuellen Entwicklungen von der Produktionsfirma New Regency der Stecker gezogen. Im März sollten eigentlich unter der Regie von Gore Verbinski (Fluch der Karibik) die Dreharbeiten beginnen.

Unklar bleibt vorerst, ob The Interview in den USA zu einem späteren Zeitpunkt in die Kinos kommen wird oder direkt über digitale Vertriebskanäle (Video-on-Demand) veröffentlicht werden wird. Wir wissen auch noch nicht, ob der deutsche Starttermin am 5.02.2015 von der Entwicklung betroffen werden wird. Ich hoffe nicht, denn dann würde den hiesigen Zuschauern eine der lustigsten Komödien von 2014 entgehen. Ich hatte das Glück, den Film bereits vor kurzer Zeit zu sehen und kann bestätigen, dass der Film so politisch unkorrekt ist, dass er Borat wie eine Familienkomödie aussehen lässt. Doch es ist trotzdem kein böswilliger Film und lediglich eine sehr absurde Komödie. Zu blöd, dass die aktuelle Situation, in der sich Sony befindet, fast so absurd ist, wie der Film selbst. Mittlerweile berichtet CNN übrigens, dass die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden die Hacker-Attacke auf Nordkorea zurückführen konnten.

Sony wird auf jeden Fall auch ein satter Profit entgehen, denn The Interview wäre für das von Flops dieses Jahr geplagte Studio vermutlich ein ordentlicher Hit an den Kinokassen geworden, spätestens dank der Kontroverse. Die letzte Zusammenarbeit von Rogen und Franco, Das ist das Ende, war der profitabelste Sony-Film vom letzten Jahr – eine Information, die wir übrigens dank den geleakten Dokumenten von Sony wissen.

 UPDATE:

Es sieht schlecht aus. Laut einer Sony-Sprecherin, habe das Studio keine weiteren Pläne, den Film zu veröffentlichen. Das schließt vermutlich auch den digitalen und den Heimkino-Release ein.

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