
Marvel’s The Punisher, USA 2017 • Laufzeit: 13 Folgen à 48-56 Min • Regie: Andy Goddard, Kevin Hooks u. a. • Mit: Jon Bernthal, Ben Barnes, Ebon Moss-Bachrach, Amber Rose Revah, Deborah Ann Woll, Jason R. Moore, Paul Schulze, Jaime Ray Newman • Anbieter: Netflix • Veröffentlichungstermin: 17.11.2017
Es war eine wirklich vernünftige Entscheidung von Netflix, den Kritikern nicht, wie üblich, nur eine Hälfte der Staffel von "Marvel’s The Punisher" zur Vorabsichtung bereitzustellen, sondern alle 13 Folgen. Hätte das Urteil über die heiß erwartete fünfte Solo-Serie aus der Marvel/Netflix-Zusammenarbeit lediglich anhand der ersten sechs Episoden gefällt werden müssen, wäre es sicherlich nicht zugunsten von Marvels kontroverestem Antihelden ausgefallen.
Vermutlich als Nebenwirkung des Staffel-als-Film-Konzepts, war eine etwas zähe Erzählweise ein Symptom von allen bisherigen Marvel-Serien bei Netflix. Während ansonsten exzellente Vertreter wie "Daredevil" und "Jessica Jones" dieses eine Manko mit starken Helden, Bösewichten, Nebenfiguren und einer fantastischen Inszenierung noch überdecken konnten, fiel es bei "Luke Cage" gerade in der zweiten Staffelhälfte besonders stark ins Gewicht. Bei "The Punisher" verdichtet sich der Leerlauf in der gesamten, kaugummiartigen Staffelmitte, in der man es keinem Zuschauer übel nehmen kann, wenn er zwischenzeitlich vergisst, was für eine Serie er überhaupt schaut. Denn mit dem echtem Punisher, wie wir ihn noch in seinen ersten Folgen in der zweiten "Daredevil"-Staffel gesehen haben, hat die eigene Serie des Bestrafers nur noch herzlich wenig zu tun.

Moment, nein, ist er nicht. Nach seinem spontanen Einsatz taucht der bärtige Frank wieder unter, doch seine blutige Aktion macht einen Superhacker namens Micro alias David Liebermann (Ebon Moss-Bachrach) auf ihn aufmerksam. Er stellt schnell fest, dass der totgeglaubte Frank Castle quicklebendig ist und nimmt Kontakt zu ihm auf. Der ehemalige Nachrichtendienstoffizier David gilt selbst offiziell als tot, nachdem er Menschenrechtsverbrechen in Afghanistan seitens einer Eliteeinheit der US-Armee auf die Schliche gekommen ist und versucht hat, diese öffentlich zu machen. Die Verantwortlichen in hohen Positionen machten daraufhin Jagd auf ihn, und um sich und seine Familie zu schützen, musste er untertauchen. Mit Frank, der eben jener Eliteeinheit selbst angehörte, wittert er seine Chance, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Natürlich ist der misstrauische Einzelgänger Frank zunächst nicht davon begeistert, dass ihn jemand enttarnte und auch noch in seiner Vergangenheit herumstochert. Die erste Begegnung mit David von Angesicht zu Angesicht verläuft für beide ungemütlich, doch als Frank bewusst wird, dass die Verschwörung, die David aufzudecken versucht, möglicherweise auch etwas mit dem Tod seiner Familie zu tun hat, lässt er sich widerwillig auf die Partnerschaft ein.
Was darauf folgt, sind etwa sieben Episoden, die, mit der Ausnahme von zwei brutalen, kraftvoll inszenierten Actionszenen, so zäh sind und die meiste Zeit so unerträglich auf der Stelle treten, dass sie alle ineinander verschwimmen. Anstatt, wie seine Fans vermutlich hoffen, den bösen Buben ohne Rücksicht und Skrupel den Garaus zu machen, verbringen Frank und David gefühlt etwa die Hälfte der Laufzeit in einer verlassenen Lagerhalle. Es hilft ein wenig, dass Moss-Bachrach als David, den "Girls"-Fans als Desi aus der HBO-Serie kennen, ein sympathisch bemitleidenswerter Charakter ist, dessen Ideale und Prinzipien im Kontrast zum verrohten Frank stehen. Beide Darsteller haben eine gute Chemie miteinander und die Entwicklung von deren Beziehung ist glaubwürdig umgesetzt.
Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass "The Punisher" einfach wenig zu erzählen hat. Der Plot, der u. a. an Mark Wahlbergs Actionstreifen Shooter erinnert, ist recht simpel, und es ist etwas frustrierend, wenn man als Zuschauer alle großen Twists erkennt, lange bevor sie enthüllt werden, und noch länger, bevor sie den Schlüsselcharakteren dämmern. Man muss kein Comickenner sein, um zu wissen, wer hier eigentlich böse ist. Als Zuschauer ist man den Protagonisten meist mehrere Episoden voraus, sodass es ein langwieriges Vergnügen ist, ihnen dabei zuzuschauen, wie auch sie die offensichtliche Wahrheit für sich entdecken. Was über die meiste Laufzeit der Staffel nämlich nicht passiert, ist, dass Frank alias The Punisher das tut, was die meisten Fans von ihm sehen wollen: Bösewichte hinrichten.

Dieses ist nämlich nicht Franks Selbstjustiz, sondern der Umgang der US-Armee mit seinen Veteranen, die nach den Schrecken des Krieges in die Heimat zurückkehren und dort von der Regierung fallengelassen werden. Sie müssen ohne jegliche Unterstützung und meist unter schwerer PTSD leidend ins normale Leben zurückfinden. Auch Frank leidet unter seinen früheren Erlebnissen, die ihn zu dem Mann gemacht haben, der er ist. Der Tod seiner Familie hat den Punisher erschaffen, doch er setzte nur etwas frei, was in ihm bereits steckte.

Immerhin mündet die Geschichte von Lewis in die beste Episode der gesamten Staffel, eine im Stil von 8 Blickwinkel erzählte Folge, die ein befriedigendes Pay-Off ist für die Geduld, die die Zuschauer vorher aufbringen müssen. Allerdings handelt es sich dabei um die 10. Episode der Serie, sodass man über wirklich ausgeprägten Belohnungsaufschub verfügen muss.
Trotz ihres Titels ist dies nicht die Serie über den Punisher. Es ist primär eine Serie über Frank Castle, den Menschen hinter dem Antihelden-Alter-Ego. Wenn Frank in der ersten Folge sein Shirt mit dem Totenschädel-Bild verbrennt, steht das sinnbildlich für die restliche Staffel. Auch wenn die Serie endlich aufhört auf der Stelle zu treten und endlich mit der knallharten Action aufwartet, auf die die Fans hofften, wird es immer noch nicht zu einer Punisher-Serie, wie man sie nach der ersten Episode vielleicht erwarten würde.

Jon Berthal geht in der Titelrolle voll auf. In den Actionszenen besitzt er eine enorme körperliche Präsenz. In ruhigeren Momenten verkörpert er überzeugend einen sehr kaputten Mann, der zaghaft versucht, ins normale Leben zurückzufinden, dabei aber immer wieder auf seine alten Pfade zurückgezogen wird. Ben Barnes macht als geschniegelter Billy Russo einen soliden Eindruck als Actiondarsteller, doch die Serie geht leider zu wenig auf seine dunklen Abgründe ein, die lediglich in einer eindrucksvollen Szene aufgezeigt werden. Ein interessanter Charakter ist Revahs Agentin Madani, die es als Frau mit muslimischem Hintergrund doppelt so schwer in einer männerdominierten Welt hat. Leider geht die Serie kaum darauf ein. Erfreulich sind die zu seltenen Auftritte von Deborah Ann Woll als Karen Page, die allerdingsgegen Ende eine eher fragwürdige Position hinsichtlich der Waffendebatte einnimmt, was gerade im aktuellen Klima einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Neben Karen gibt es noch einige weitere Nebenfiguren aus dem erweiterten Marvel-Universum, die hier kurz auftauchen, aber ansonsten fühlt sich die deprimierend bodenständige Serie Welten entfernt von allen anderen MCU-Beiträgen an.
"The Punisher" wäre eine tolle Miniserie aus sechs bis sieben Folgen gewesen, doch der Durchhänger in den ersten zwei Akten ist einfach viel zu lang, um ihn irgendwie zu rechtfertigen. Wenn man es bis zum Schluss durchhält, wird man aber mit einem fulminanten, actionreichen und dem Charakter angemessen blutigen Finale belohnt, das eine hoffentlich temporeichere zweite Staffel in Aussicht stellt.
https://youtu.be/MIwKE2clsJc









