
Nach gerade einmal drei Stunden Schlaf ging es am zweiten Tag der 67. Berlinale auf zum Potsdamer Platz und pünktlich um 8:30 Uhr zum Presse-Ticket-Schalter, wo eine Karte für den Wettbewerbsfilm The Dinner auf mich wartete (mehr dazu im nächsten Teil) und anschließend mit großem Kaffee in die Panorama-Ecke im Sony Center. Ein Festivaltag begann, der spaßig anfangen und deprimierend enden sollte, jedoch nicht auf Grund filmischer Qualitäten.
Teil 2

Theo wird links liegen gelassen und ehe sich Vanilla versieht, muss Tiger sie schon wieder retten. Diesmal müssen gleich drei Typen ordentlich einstecken. Mit dem ersten wuchtigen Schlag auf die Nase und dem ersten Baseballschläger, der jemandem durch das Gesicht gezogen wird, ist Tiger Girl endgültig entfesselt und wirbelt in seiner sympathisch assigen Attitüde über die Leinwand, das stetig enger zusammenwachsende Duo als emanzipatorische Zugkraft. Bei ihrem Job lässt Vanilla eine zusätzliche Security-Uniform mitgehen und begibt sich zusammen mit Tiger auf Streife. Passanten werden verarscht, Fahrräder für den Eigengebrauch konfisziert und Einkäufer bei Verdacht auf Diebstahl bis auf ihr Adamskostüm untersucht. Montagen in prolliger Musikvideoästhetik und Zeitlupen beschreiben das Hochgefühl: Die Farben sind knallig, die Action wuchtig und die Musik eine euphorisierende Dröhnung – der Absturz ist vorprogrammiert.
In der sich zusammenbrauenden Abwärtsspirale sorgen nicht nur Berliner Kulisse und Nebendarsteller Franz Rogowski für Victoria-Vibes. Die Stimmung kippt urplötzlich, aus Spaß wird bitterer Ernst, die Gewalt eskaliert und Vanillas antiautoritäre Haltung wirkt sich negativ auf ihre Ausbildung aus. Aus "Assi befreit Klemmi" wird gefährliche Überkompensation. Und bevor das dramatische Finale zu ernsthaft wird, fährt Tiger Girl Sekunden vor Schluss ein letztes Mal den Mittelfinger aus.
3,5/5 Sterne

Jedes Close-Up drückt eine große Zerbrechlichkeit aus. Man wartet nur darauf, dass sich eine Träne aus den Augen der Charaktere löst oder sich zumindest andeutet. Doch Golden Exits' Welt ist eine tieftraurige ohne Tränen. Obwohl Chloë Sevignys (Love & Friendship) Alyssa die einzige Psychologin im Film ist, werden in den therapeutischen Dialogen alle mal zum offenen Ohr für die Probleme der ganz gewöhnlichen Menschen um sie herum. Die Art Mensch, über die, wie sich eine Figur beiläufig beschwert, nie Filme gemacht werden. Die Art Mensch aus der Mittelschicht, dessen Leben aus einer großen Mittelmäßigkeit besteht, aus der eine große Leere resultiert. Alex Ross Perry nimmt ein Gefühl und formt es zu einem Film. In 94 Minuten beobachtet er diese Menschen auf ihrer von Unzufriedenheit getriebenen Wanderung, ihrer Suche nach irgendetwas, das diese Leere füllen vermag. Niemand kann artikulieren, was es ist, und das macht es umso deprimierender.
3,5/5 Sterne
Zusatz: The Human Surge | Woche der Kritik

In drei Akten fängt The Human Surge verschiedene perspektivlose soziale Ruinen ein, erzählt von ungebändigter Natur wie von menschlicher Entfremdung. Jeder Akt bewegt sich ein Stück weiter weg von Technologien und beschreibt eine Rückkehr zur Natur. Visuell genau gegenteilig eingefangen, beginnen die dreckig-ästhetischen Bilder im körnigen 16mm-Look und enden in digitaler Reinheit. Verbunden sind die drei Teile durch zwei beeindruckende Übergänge durch Computer-Bildschirme und Ameisenhaufen. Letzterer leitet in eine Panorama-Aufnahme einer Berglandschaft über, die aussieht, als wäre die gesamte Erde mit riesigen Ameisenhaufen überdeckt. Mit diesem Bild fasst Eduardo Williams das große Leitthema seines Films, der Überbevölkerung, am eindrucksvollsten zusammen.
4/5 Sterne
Hier geht es zu den bisherigen Berichten:
Filmfutter auf der Berlinale 2017 – Teil 1








