Aloft, USA/ES/CA/FR 2014 • 112 Min • Regie: Claudia Llosa • Mit: Jennifer Connelly, Cillian Murphy, Mélanie Laurent, Oona Chaplin, Ian Tracey • FSK: n. n. b. • Kinostart: n. n. b.
Der Titel von Claudia Llosas Wettbewerbs-Beitrag ist buchstäblich symptomatisch. Die peruanische Regisseurin serviert dem Publikum ein Potpourri der Pathologie von Körper und Gemüt in einem Film, der mit seiner Pathetik geradezu krank macht. Das weihevolle Familiendrama, mit dem die einstmalige Festivalgewinnerin hoch hinaus will, scheint die cineastische Ausdrucksform eines Höhenrauschs nach „The Milk of Sorrow“. (dt. Titel: „Eine Perle Ewigkeit“) Jenes symbolschwere Drama gewann Llosa 2009 den Goldenen Bären, den ihr jüngstes Werk mit der gleichen inszenatorischen Strategie abgreifen will.
Wenn ein abgehalfterter Bauernfänger fragile Konstrukte aus Naturmaterialien schafft und ihm ein Tross unbeirrter Anhänger nachreisen als wäre er die Reinkarnation von The Grateful Dead… Wenn eine Mutter in einem Zweigbauwerk den zahmen Falken ihres Sohnes einfangen will, dabei einen kranken Jungen berührt und der gesundet… Wenn ein Anhänger des Hokuspokus findet, der Falke habe alles verdorben, ihn deshalb abschießt und der Sohn später ein namhafter Falkner wird und Mama eine Geistheilerin… Dann sind das alles Wunder! Wunderbare Wundertaten vollbracht in wunderschönen Wunderwerken von wundergläubigen Wunderdoktoren im wunderschönen Wunderland. Wer jetzt denkt „Schon gut, es geht um Wunder, man muss es ja nicht x-mal sagen.“, wappnet sich besser vorab für den Overkill an Wunderwerk in Llosas Film. Dieser ist alles andere als ein solches, mag die elegische Kameraführung auch vortäuschen, er wäre ein ernsthaftes Beziehungsporträt. Goldenes Winterlicht umschmeichelt die Figuren mit Gloriolen und bringt Herzenswärme an den „kältesten Ort der Welt“ in Kanada. In der Schneelandschaft versorgt die alleinstehende Nana Ephron (Jennifer Connelly) im Haus ihres mürrischen Vaters Ike (Peter McRobbie) ihre Söhne Ivan (Zen McGrath) und dessen jüngeren Bruder Gully (Winta McGrath), der an einem inoperablen Hirntumor leidet.
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Statt den Tod als naturgegeben zu akzeptieren und die verbleibende Zeit mit den Kindern zu nutzen, heftet sich Nana an den Wunderheiler Newman (William Shimell). Die Verzweiflung, die Menschen dazu treibt, in New-Age-Gurus und abstrusen Heilsversprechungen Zuflucht zu suchen, obwohl sie wie Nana eigentlich nicht daran glauben, interessiert vor der prätentiösen Esoterik-Emblematik nicht. Stattdessen verklärt die Filmemacherin Nanas Verlustangst zur spirituellen Prüfung, aus der sie als Gebenedeite hervorgeht. „Rise and shine“. So sagt sie es dem 10-Jährigen Ivan, der sich treffend als „Kollateralschaden“ ihrer Neuerfindung als Heilige bezeichnet. Die Schuld an Gullys verfrühtem Tod bei einem Unfall, der durch Nanas Nachlässigkeit entsteht, gibt sie Ivan, den sie wie zur Strafe bei seinem Großvater zurücklässt. Wichtiger als ihr Sohn ist ihre neue Karriere Wunderheilerin. Um die Jahrzehnte später in ihrem Metier zur Berühmtheit aufgestiegene Nana zu finden, sucht die junge Journalistin Ressmore (Melanie Laurent) den unglücklich liierten Ivan (Cillian Murphy) auf und zieht mit ihm auf einen romantischen Versöhnungstrip.
Zusammengefasst sagen die verwobenen Handlungsstränge, dass wer quasi Gott zum Vater hat, irgendwann fragen muss „Warum hast du mich verlassen?“ Dass Kranke und Behinderte einfach eine Runde im Wald schaukeln sollen oder sich grasgeflochtene Ringe anstecken, um zu genesen. Wenn sie es nicht tun, dann fehlt ihnen der Glaube! Wer Superkräfte will, muss Opfer bringen, und da reichen keine selbstgeklebten Laubbilder aus der Vorschule. Ein Tieropfer ist gut, Menschenopfer sind besser. Idealerweise der eigene Sohn. Da gibt es doch eine Stelle in der Bibel, deren Motive die salbungsvolle Fantasy-Fabel mit Inka-Mythologie und magischem Realismus vermischt. Michael Brooks schwülstiger Soundtrack überzuckert das gehaltlose Melodram musikalisch und alles wird abschließend mit Kuschelrock-Sex garniert.
Fazit
Suchte die Protagonistin in „The Milk of Sorrow“ die spezielle Nähe zu einer Kartoffel, steckt Nana zu Filmbeginn bis zum Ellenbogen in einer Sau, aus der sie (Großaufnahme) ein Ferkel zieht: „Ich weiß, das tut weh.“ Das gilt auch für Llosas Kopfgeburt, die ähnlich schmerzt, wie die Werke der anderen N. Ephron: Nora Ephron.
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